Unspoken von Aislynn (KaixTyson) ================================================================================ Kapitel 14: A Dragon's Tears ---------------------------- Aye, ein neues Kapitelchen im Anflug ^_^ Bei diesem bitte ich im Hinterkopf zu behalten, dass ich mir die Freiheit raus genommen habe, die Familiengeschichten der Charaktere überwiegend nach eigenen Ideen zu gestalten, auch wenn ich kleine Details (wie etwa die Namen der Eltern, soweit bekannt) aus dem Original übernommen habe. Deswegen, ja, es stimmt nicht immer mit den spärlichen Details, die Herr Aoki im Anime/Manga preisgegeben hat, überein =3 Ich habe zwar nie verstanden, warum man die Originalnamen der Hauptpersonen unbedingt veramerikanisieren muss (siehe – Tyson Granger alias Takao Kinomiya oder Jurij (<- übrigens die korrekte deutsche Transkription für Юрий) alias Tala) denn es ist ja natürlich überaus logisch, dass ein Japaner Tyson und ein Russe Tala heißen würden (verdrehte Weltvorstellung o.O)... Kai Hiwatari ist übrigens eine stolze Ausnahme, ich frage mich, warum... (wahrscheinlich einfach nur, weil es der Kai Hiwatari ist *lach*) Aber dieses Mal habe ich mir gedacht, könnte ich diese kleine Absurdität doch glatt in meiner Story utilisieren X3 Und bevor noch die Vorwürfe ob der Anglizismen kommen (zu viele MSTings schreiben/lesen macht paranoid... *lol*), utilisieren ist ein deutsches Wort (obschon veraltet) und entstammt auch nicht dem Englischen, sondern dem Lateinisch-Französischen... fragt Duden (http://www.duden.de/rechtschreibung/utilisieren) XD! Okay, random comment was random, ich halte nun die Klappe und sage nur noch: Fiction ab! A Dragon's Tears "Es gibt da etwas, was ich dich schon immer fragen wollte." Er schaute wieder auf, direkt in die nichts ahnenden Augen seines Verwandten. Seiner Familie, der einzigen, die er je wirklich gehabt hatte. Die er wirklich kannte. "Meine Eltern... Wo sind sie?" Für einen Augenblick schaute Großvater Granger seinen Enkel einfach nur stumm an. Er wusste, dass diese Frage irgendwann aus jenem Munde kommen würde, auch wenn er für sich im Stillen gehofft hatte, dass sie vielleicht doch nie kommen würde. Er liebte Tyson, ihm mit der Wahrheit wehtun, wollte er nicht. Wenn es nach Ryu hätte gehen können, würde es diese Wahrheit einfach nur nicht geben. Dass Tyson sich ob seiner Eltern oft Gedanken machte, wusste der ältere Mann. Der Junge hatte ihn auch schon ein paar Mal darauf anzusprechen versucht, jedoch nie so direkt, dass er nicht in der Lage gewesen war, sich um eine eindeutige Antwort herum zu manövrieren. Dieses Mal war anders. Dieses Mal war die Frage klar und unmissverständlich, und jene Augen zeigten eine Entschlossenheit, die man nicht beschwindeln konnte. Dieses Mal wollte Tyson es wissen. Wirklich wissen. Ryu seufzte und setzte sich auf seine Fersen auf den Boden, deutete seinem Enkel dann, ihm gegenüber Platz zu nehmen. "Komm her und setzt dich, Grünschnabel." Von einem Grünschnabel hatte Tyson langsam immer weniger. Er wurde erwachsen... Achtzehn würde er bald werden. Eine Beziehung hatte er schon, und was für eine. Er war kein Kind mehr... Auch wenn er es für Ryu wahrscheinlich dennoch immer bleiben würde. Tyson kam der Aufforderung nach und ließ sich seinem Opa gegenüber in dieselbe Position nieder, die Hände auf den Knien ablegend. Die dunkelbraunen Iriden schauten ernst, obschon nervös. Die Angst vor der Antwort kehrte zurück, dennoch wollte er diese Antwort wissen. Musste er sie wissen... "Ich weiß nicht wirklich, wie ich das anfangen soll." Gestand sein Großvater mit einem Seufzen. Der Anfang war immer das Schwierigste, schätzte er. "Na ja... Vielleicht damit... warum Hiro und ich verschiedene Nachnamen haben?" Schlug Tyson zögerlich vor. Das hatte er sich ebenfalls schon oft gefragt, seit dem Tag, an dem er seinem Bruder zum ersten Mal begegnet war, aber die Frage selbst hatte er natürlich noch nie laut gestellt. Zwar waren beide, Hiro und er, hier in Japan geboren, jedoch hatte sein drei Jahre älterer Bruder, in namentlicher Hinsicht, viel mehr von einem Japaner als Tyson es je haben würde. Die Namen Kinomiya Hiroshi und Granger Tyson waren herkunftsweise meilenweit voneinander entfernt. Sein Name war Englisch, auch wenn Tyson nicht wusste, warum. "So wollte es euer Vater." Antwortete sein Opa nach einer kleinen Pause. Verständliches Unverständnis spiegelte sich auf Tysons Gesicht. "Und... warum?" Einmal mehr seufzte der ältere Herr, diesmal tiefer und bedrückter. Dann begann er seine kleine Erzählung. "Deine Eltern, Tyson... Sie waren sehr glücklich zusammen. Als deine Mutter mit Hiro schwanger wurde, schien ihrer beider Glück vollkommen. Doch ein paar Jahre danach, langsam aber stetig, hatten sie sich irgendwie... auseinander gelebt. Sie stritten sich oft, umso mehr nachdem du zur Welt kamst. Eines Tages dann, du dürftest nicht älter als vier Monate gewesen sein, stand deine Mutter in Tränen aufgelöst an meiner Türschwelle. Sie... drückte dich mir in die Arme, drehte sich um, und war verschwunden." Noch eine Pause, die Erinnerungen drückten sehr auf das Gemüt. Natürlich fragte sich Ryu sehr oft, wie es seiner Tochter gehen mochte. Wo sie gerade war... ob sie überhaupt noch lebte. Seine Stimme war etwas abgesunken, als er fortfuhr. "Ich war verwirrt, behielt dich aber für die nächsten Tage bei mir. Ich dachte, vielleicht haben sie sich wieder gestritten und deine Mutter brauchte nur ein wenig... Zeit. Aber einige Tage später war Tatsuya, dein Vater, bei mir. Er sagte mir, er würde Hiroshi mitnehmen und abreisen... Wohin sagte er nicht. Ich fragte ihn, was denn nun mit dir wäre, warum er dich nicht auch mitnehmen wollte. Da..." Der Satz riss ab. Konnte er jenes junge Herz wirklich mit dieser Bürde belegen? Von den eigenen Eltern verlassen... und das auch noch... so. "Was ist dann passiert, Opa?" Ein Flüstern, aber es klang fest und bestimmt. Jetzt konnte Tyson auch nicht mehr zurück. Alles oder nichts, er konnte nach der Hälfte keinen Rückzieher machen. "Tyson, ich..." Ryu entkam abermals ein Seufzen. Sein Enkel hielt den Blick gesenkt, ebenso wie die steifen Schultern, die Hände auf den gebeugten Knien zu Fäusten geballt. Seine Stimme jedoch war ruhig und leise: "Es ist okay, Großvater. Ich bin schon siebzehn Jahre alt. Ich denke... ich sollte die Wahrheit wissen. Und ich denke, ich kann mit ihr umgehen." Zumindest... hoffte Tyson das. Besser als die Ungewissheit würde es alle Mal sein... oder? "Dein Vater... er war sehr verärgert. Sagte, er wolle dich nicht einmal angucken, geschweige denn, dich irgendwohin mitnehmen. Sagte, du wärest... Wärest nicht sein Sohn. Deine Mutter wäre fremdgegangen. Du wärest eine..." Ein weiteres abruptes Verstummen ertränkte den Rest des Satzes. So viel musste Tyson auch wieder nicht wissen... Ein paar der eher grausamen Einzelheiten wollte Ryu seinem Enkel dann doch ersparen, obwohl er befürchtete, dass Tyson es sich auch so denken konnte. Schließlich war er in der Tat... schon siebzehn Jahre alt. "Er sagte, er wolle nicht, dass du seinen Namen trägst. Sie hatten dich ursprünglich Kinomiya Takao getauft. Takao war der Name seines Vaters, Kinomiya logischerweise, der Familienname. Aber er wollte nicht, dass du auch nur einen davon behieltest... eine Schande wäre es für die Kinomiya Familie... Er war ein sehr... altmodischer Mann in dieser Hinsicht." Die beschmutze Ehre gehörte gerettet. Das Bastardenkind... gehörte vergessen. "Also gab ich dir unseren Nachnamen, den Nachnamen deiner Mutter. Granger. Wir Grangers waren nicht rein japanischer Herkunft, unsere Vorfahren kamen aus Amerika. Obwohl die Kinder japanische Namen kriegten, Ryu wie ich, oder Yoshie wie deine Mutter, den Nachnamen behielten wir durch Generationen hindurch. Mein Großvater hieß Tyson. Deswegen..." So wurde aus Kinomiya Takao... Tyson Granger. Das Kind selbst hatte natürlich nie ein Mitspracherecht dabei gehabt und jetzt... müsste es mit dem eben Erfahrenen irgendwie klar kommen. "Jedenfalls... waren sowohl deine Mutter, als auch dein Vater von da an verschwunden." Großvater Grangers Stimme verklang, seine Augen trugen einen fernen Blick in ihnen, bevor sich dieser wieder klärte und auf die Gestalt seines Enkels fokussierte. Der nachtblaue Wuschelkopf war tief gebeugt, der schmale Rücken schien noch mehr abgesunken zu sein unter der unsichtbaren Last, die so plötzlich auf seine Schultern herabgefallen war. Kaum hörbar schlug ein Tropfen auf den Jeansstoff auf, der seine Schenkel bedeckte. Das Material saugte die salzige Flüssigkeit begierig auf, ein winziger, runder, dunkler Fleck bildete sich auf der Oberfläche der verflochtenen Fasern. "Ty..." Der junge Drache erhob sich abrupt, ohne den Kopf zu heben, damit sein leidvoller Gesichtsausdruck verborgen blieb. "Danke, Großvater..." Wisperte er, es fiel schwer, die gefühlserstickte Stimme aufrecht zu halten. "Ich... gehe in mein Zimmer. Etwas... nachdenken..." "Ty." Genauso abrupt drehte sich der Teenager auf dem Absatz um und verschwand schnellen Schrittes aus dem Trainingsraum. Ryu folgte ihm nicht, denn es war klar, dass Tyson jetzt erst einmal allein sein wollen würde. Der alte Mann wechselte seine Position zu einem Schneidersitz und schloss die Augen in einem Versuch, zu meditieren und die aufgewühlten Erinnerungen und Gedanken wieder zu beruhigen. In seinem Zimmer angekommen, schloss Tyson vorsichtig die Tür und lehnte sich schwer dagegen. Die Arme schlaff an den Seiten hängen lassend, berührte sein Kinn beinahe seine Brust, so tief war sein Kopf geneigt, die blauen Ponyfransen verwehrten die Sicht auf seine Augen. Der Mond hoch am dunklen Firmament flutete das Zimmer in einem silbernen Licht, längliche Schatten von diversen Objekten und Möbelstücken formten ein kompliziertes Ornament den Boden und die Wände entlang. Ihm war so elend wie noch nie in seinem Leben. Er fühlte sich betäubt, von der Realität gleich einem gekappten Kabel getrennt, alles, was innen drin pulsierte, war ein stumpfes Gefühl von Leere. "...eine Schande für die Kinomiya Familie..." "...drehte sich um, und war verschwunden..." "...wollte dich nicht mal angucken, geschweige denn, dich irgendwohin mitnehmen..." "...stritten sich immer öfter, umso mehr, nachdem du zur Welt kamst..." "...du wärest... wärest nicht sein Sohn. Sagte, du wärest eine..." Die Hand gehoben, presste er abrupt die Rückseite seiner Finger gegen seine zitternden Lippen. Augen krampfhaft zugeschlossen, versuchte er, die Welle an Schmerz hinunterzuschlucken, durch den Kloß in seinem Hals hindurch. Langsam und schwerfällig glitt er die Tür entlang runter auf den Boden. Beine angezogen, stützte er die Arme auf seinen Knien ab, den Kopf immer noch gesenkt. Es tat weh. Es tat so weh, als ob sich eine eiserne Klaue erbarmungslos durch seine Brust hindurch geschlagen hätte, um sein Herz zu umgreifen und nun qualvoll langsam lange, tiefe Schnitte in es zu ritzen. Mit periodischem, dumpfen Pochen, das in seinen Ohren widerhallte, blutete dieses zerklüftete Herz nur noch Schmerz heraus, sodass er den metallischen Geschmack davon schon beinahe schmecken konnte. Eine Schande. Nicht sein Sohn. Die Wurzel allen Übels... war er selbst gewesen... Die Zeiger der Uhr schlichen sich hinter die Marke drei auf dem Ziffernblatt, als Kai unsanft von einem Klingeln an der Haustür geweckt wurde. Die Lider aufgeschlagen, versuchte er erstmal, sich zu orientieren, denn es war dunkel und allem Anschein nach noch tiefe Nacht. Wer zum Teufel... Er schwang die Beine aus dem Bett, die Sohlen kamen auf dem Teppichboden auf und seine in ein simples schwarzes Shirt und eine Boxershorts gehüllte Gestalt stand einen Augenblick später aufrecht. Er knipste das Licht im Eingangsbereich an, kniff kurz die Augen ob der schneidenden Helligkeit künstlicher Beleuchtung zusammen und war in ein paar Schritten an der Tür. Das Schloss klickte, die Klinke runtergedrückt zog er das stabile Stück Holz vom Rahmen weg. Im nächsten Moment wurde er sofort um einiges wacher. "Tyson...?" Sein spätnächtlicher Besucher sah ihn nicht an, nur seine leise Stimme erklang: "Tut mir Leid... dass ich so spät..." Murmelte er unbeholfen. "Kann ich... reinkommen...?" Zur Seite tretend, gab Kai seine Zustimmung mit Handlung und Wort. "Sicher." Der Jüngere huschte an ihn vorbei ins Innere und er schloss die Tür. Rubinrote Augen beobachteten aufmerksam, wie Tyson sich aus den Schuhen befreite und dann wieder aufrichtete, ohne den Kopf zu heben. Den Arm ausgestreckt berührte Kais Hand behutsam eine jener versteiften Schultern. "Ty-" Weiter kam er nicht, denn plötzlich war ein bestürztes Wesen dicht an ihn gepresst, das Gesicht an seiner Brust vergraben und die feingliedrigen Finger in das Shirt verkrallt, das selbe Brust bedeckte. Einen Schritt nach hinten nehmend der vorwärtsdrängenden Kraft wegen, schloss Kai reflexartig die Arme um den Anderen und drückte ihn sachte fester an sich. Den Kopf geneigt, erklang seine Stimme ruhig, aber besorgt an dem Ohr des Drachens. "Tyson, was ist passiert?" Er nahm dann mit noch mehr Besorgnis das kaum merkliche Zittern zur Kenntnis, ein Zeichen, welches er nur zu gut deuten konnte – das innere, bittere, schmerzhafte Ringen mit den Tränen. Ihm schossen augenblicklich eine Menge Gedanken und Szenarien durch den Kopf, eins schlimmer als das andere, aber er zwang sich zur Ruhe und konzentrierte sich wieder auf das verstörte Geschöpf in seinen Armen. "Hey... shhh. Ganz ruhig." Behutsam den angespannten Rücken streichelnd, schob er den Anderen leicht von sich, auch wenn sich dieser sichtlich widerwillig von ihm trennte. Stattdessen griff Kai die Hände, die immer noch sein Shirt umklammert hielten und löste diese davon, auch wenn er sie danach nicht komplett losließ. Er zog Tyson sachte mit sich. "Komm mit." Eine sichere, bequeme Lage musste her. Am besten hinsetzten. Die am nächsten liegende Sitzgelegenheit war das Sofa im Wohnzimmer, das Licht blieb aus und nachdem er sich auf die weiche Oberfläche niedergelassen hatte, zog er den Jüngeren mit einem sanften "Komm her," runter auf seinen Schoß. Sobald dieser etwas ungeschickt darauf geplumpst war, fanden Kais Arme wieder um ihn. "Was ist los?" Fragte er einmal mehr und konnte endlich einen Blick auf Tysons Gesicht erhaschen, praktischerweise war das große Fenster direkt gegenüber und im hellen Mondlicht konnte man den Ausdruck relativ gut sehen. Die rehbraunen Augen waren geschlossen, die feinen Konturen zu einer todunglücklichen, verzweifelten Maske verzogen. Kais Herz verkrampfte sich schmerzvoll bei dem Anblick und wenn er hier nicht bald irgendeine Antwort gekriegt hätte, hätte er vor lauter Sorge ungemütlich werden können. Doch der Drache schien sich genug gefasst zu haben, sodass er seine Stimme in einem erschlagenen Flüstern heben konnte. "Ich habe Großvater nach meinen Eltern gefragt..." Den Kopf drehend, legte Tyson die Stirn auf Kais Schulter ab und versteckte somit wieder das Gesicht. Er hatte es versucht... so sehr... aber nach schier endlosen Stunden in seinem Zimmer, hatte er es nicht mehr ausgehalten. Durchs Zimmerfenster raus in die Stadt entflohen, war er eine Zeit lang ziellos umhergestreut und letztendlich... hatte er hierher gefunden, weil er nicht gewusst hatte, wohin er sonst hätte gehen können. Jetzt, eingehüllt in diese Wärme und Fürsorge, fiel es immer schwerer, sich zusammenzureißen. Das Band, das alles in ihm drin zusammenhielt, gab unter dem Druck immer weiter nach, wurde dünner und dünner. Es tat weh. "Erzähl." Forderte Kai ihn sanft auf und dieser Aufforderung kam der junge Drache bereitwillig nach, denn er musste es mit jemandem teilen, anderenfalls würde er noch durchdrehen. Es war zu viel... er konnte alleine einfach nicht damit klar kommen, was in seinem Kopf, seinem Herzen gerade rumschwirrte und stattfand. Der Phönix bekam also das geschildert, was Großvater Granger seinem Enkel ausgelegt hatte und wenn das für Tysons Seele bereits überaus marternd war, waren die Schlüsse, die er für sich daraus gezogen hatte, noch viel, viel schlimmer und schmerzhafter. "Deswegen meldeten sie sich nie, und werden sich auch nie melden... Deswegen interessiert es sie kein bisschen, was mit mir ist... dass ich überhaupt existiere..." Tysons Stimme wankte immer stärker und das Zittern kehrte zurück, denn der Druck in seiner Brust, um sein Herz, wurde mit jedem Wort immer unerträglicher. "Mein Vater hasst mich... ich bin nicht sein Kind. Meine Mutter schämt sich für mich... Und mein Bruder verabscheut mich bestimmt im Stillen, weil seine Familie wegen mir auseinander gebrochen ist..." All die Jahre, die er gehofft und gewartet hatte, und keiner sich gemeldet hat... Weil sie ihn sicherlich hassten. Das Bastardenkind, das alles, alles kaputtgemacht hatte, das die Familie zerstört, auseinander gerissen hatte. Die verschmähte Missgeburt. Abgeschoben, verlassen, verabscheut. Von genau den Menschen, die er so sehr hatte finden, treffen wollen; der einen Begegnung mit Hoffnung, Vorfreude, Aufgeregtheit entgegengeschaut hatte. Die Menschen, die er, sie nicht einmal kennend, doch irgendwo geliebt hatte, denen er sich doch irgendwie verbunden gefühlt hatte. Sie waren doch seine- Sie waren- Die eigene- Familie... Und das Band riss. Der Damm brach und die Tränen kamen, wallten auf, flossen diesmal richtig, und zahlreich. Wuschen alles heraus - den Schmerz, die Enttäuschung, das Leid. Von leisen Schluchzern erschüttert, zuckten die schmalen Schultern sachte in Kais fester Umarmung, während heiße Tränen den Stoff seines Shirts benetzten und es kostete ihn die Hölle, ihn nicht so stark zu drücken, dass er Tyson die Luft abschnitt, denn auch in seiner Brust wüteten Gefühle, aber einer vollkommen anderen Sorte. Zorn, Entrüstung, Groll. Weil Tyson verletzt war, weil ihm jemand wehgetan hatte und weil Kai niemandem dafür, dass diese schönen Augen jetzt Tränen vergossen, den Hals umdrehen konnte. Er konnte den Jüngeren nur festhalten, ihm beruhigende Worte zuflüstern und ihn ausweinen lassen. Die Hilflosigkeit, wenn ein einem wichtiger Mensch litt, war eins der bittersten Empfindungen überhaupt. Wie viel Zeit vergangen war, bis die herzzerreißenden Geräusche verebbten, vermochte Kai nicht zu sagen. Das Weinen war verstummt, die apathische Müdigkeit, die einen danach zu ergreifen pflegte, kroch nun in Tysons Gemüt. Sicher in Kais Umarmung versteckt, wollte er nichts hören, nichts sehen, nichts wissen. Nichts fühlen. Nur für einen Augenblick wünschte er sich, einfach nur eine leere Hülle zu sein, ohne Gedanken, Erinnerungen, Emotionen. So vieles lag nunmehr in Scherben zu seinen Füßen und es machte keinen Sinn mehr, zu versuchen, es wieder zusammenzusetzen, so zerschnitten waren seine Hände von den vergeblichen Versuchen, genau das zu tun. Jetzt wollte er einfach nur, dass der Schmerz endlich aufhörte. Einen Kuss auf dem nachtblauen Haarschopf platziert, beschloss Kai, sich zu erheben. Es war verdammt spät und Tyson brauchte Ruhe und eine gute Mütze Schlaf, denn meistens schienen die Dinge nicht mehr ganz so furchtbar, wenn man eine Nacht drüber geschlafen hatte. Ein Arm löste sich aus seinem Griff um den entnervten Drachen und glitt stattdessen unter dessen Kniekehlen. Mit einem sanften Ruck stand der junge Russe auf, seine leichte Last nun auf seinen Armen. Tysons eigene schlossen sich einfach nur fester um den Hals des Teamleaders, kein Protest kam von ihm, dazu war er körperlich sowohl auch seelisch schlicht und ergreifend zu fertig mit sich und der Welt. Der kurze Marsch endete im Schlafzimmer, wo Kai seinen Freund behutsam aufs Bett legte und ihn geschwind aus Hemd, Hose und Socken befreite, um bald darauf auf der Kante des Möbelstücks Platz zu nehmen und den Jüngeren zuzudecken. "Ist es in Ordnung, dass ich hier bleibe...?" Vielleicht war die Frage, die Tyson Kai dann stellte, etwas überflüssig anbetracht der Tatsache, dass er bereits in dessen Bett lag. Geschickte Finger strichen liebevoll ein paar vorwitzige Ponyfransen aus seinem Gesicht. "Natürlich." Hände neben den Schultern des Anderen abgestützt, beugte Kai sich runter und lehnte seine Stirn gegen Tysons, fest in die tieftraurigen, rehbraunen Augen blickend. Untermalt von dem silbrigen Mondlicht, schimmerte die immer noch von den verebbten Tränen benetzte Oberfläche der dunklen Iriden umso leidvoller. Kais Stimme war leise, aber ernst. "Und jetzt hör mir mal genau zu. Mach dich nicht mit all diesen Selbstvorwürfen fertig. Ty, der Einzige, der an diesem Schlamassel überhaupt keine Schuld trägt, bist du. Du warst ein Kind, vier Monate alt. Was hättest du ausrichten können? Deine Eltern waren erwachsene Menschen, die für ihr Tun die Verantwortung selbst übernehmen konnten und sollten. Du kannst überhaupt nichts dafür; weder für ihr Handeln, noch für ihre Worte." Leider war es viel zu oft so... Ob nun absichtlich oder nicht, die Eltern machten die Fehler. Den nicht selten hohen Preis dafür jedoch mussten die Kinder mitbezahlen. Tyson schloss kurz die Augen und schluckte schwer. Er wusste ja, dass Kai irgendwo Recht hatte... Es war nur so schwer... So schwer. Trotzdem war er dankbar, denn das zu hören, hat gut getan. Es war lindernd. Beruhigend. "Okay?" Auf die mit leichtem Nachdruck gestellte Frage, gab der gebürtige Japaner ein Nicken zur Antwort. "Gut." Damit streifte Kai zärtlich ihre Lippen gegeneinander, bevor er eine weitere Frage formulierte. "Weiß dein Großvater, dass du hier bist?" Dieses Mal erhielt er ein verneinendes Kopfschütteln, womit er eigentlich schon gerechnet hatte. "Dann rufe ich ihn am Besten gleich mal an und sage ihm Bescheid. Ich bin sofort wieder da." Mit einem weiteren Kuss auf die glatte Stirn, ließ Kai seinen Schützling für eine kleine Weile alleine. Er hatte zwar auch ein Telefon im Schlafzimmer, aber er zog es vor, das Gespräch außerhalb Tysons Hörweite stattfinden zu lassen und griff deswegen kurze Zeit später den Hörer von dem Gerät, dass an der Wand in der Küche befestigt war. Neben dem Telefon hing auch eine kurze Liste mit den wichtigsten Nummern, Tysons Hausnummer mit inbegriffen. Es wurde kaum nach dem zweiten Tonsignal abgenommen. "Tyson?!" Erklang alsbald eine bekannte, hektisch aufgewühlte Stimme vom anderen Ende der Leitung. "Mister Granger, hier ist Kai. Keine Sorge, Tyson geht es gut, er ist bei mir." "Dem Himmel sei Dank! Ich habe mir schon weiß Gott was gedacht!" Ryu hatte wirklich fast der Schlag getroffen, als er nach seinem Enkel hatte sehen wollen, dessen Zimmer jedoch leer und den Jungen selbst nirgendwo vorgefunden hatte. "Sein Handy hat er auch nicht mitgenommen! Wozu kauft ihr Knaben euch diese ganze Technik überhaupt, wenn ihr sie sowieso nicht benutzt?" Man merkte dem älteren Mann sehr die ganze Erleichterung und durchgemachte Sorge an, was Kai milde in sich hineinseufzen ließ. Großvater Granger hatte natürlich Recht, man haute nicht so einfach mitten in der Nacht von Zuhause ab, doch Tyson konnte Kai genauso gut verstehen und höchstwahrscheinlich konnte sein Opa es ebenfalls. "Ist denn wenigstens alles in Ordnung mit ihm? Soll ich ihn abholen kommen?" "Das ist nicht nötig, Mister Granger. Wir haben geredet und ich habe ihn ins Bett gesteckt, er ruht sich jetzt aus. Ich hoffe, es ist okay, wenn er heute über Nacht bei mir bleibt. Ich verspreche Ihnen, ich bringe ihn morgen heil und unversehrt wieder nach Hause." Versicherte er dem älteren Herrn, ein Versprechen, das er genau so meinte. Bei ihm war Tyson gut aufgehoben. Ein langes, tiefes Seufzen kam vom anderen Ende. Ryu war in der Tat sehr erleichtert, auch darüber, dass jemand für Tyson da war, wo er es selbst nicht sein konnte. "Ich danke dir, Kai. Es ist sehr lieb von dir, dass du dich so um ihn kümmerst." "Es ist nicht der Rede Wert, Mister Granger." Denn Kai tat es gern. Weil Tyson ihm wichtig war. Weil er... "Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht." "Gute Nacht, Kai." Es wurde aufgehängt, und Kai löschte auf seinem Weg zurück zum Schlafzimmer das Licht in der Küche und auch im Eingangsbereich. Nur die vom Mondlicht erhellte Dunkelheit erfüllte nun das Haus. Bald im Bett unter der flauschigen Decke, zog er Tyson in eine warme, liebevolle Umarmung, in die sich der junge Drache bereitwillig einkuschelte. "War er sehr sauer...?" Wisperte Tyson etwas nervös in die Stille um sie herum, schuldig fühlte er sich jetzt doch irgendwo. Er hatte seinem Opa keinen Kummer bereiten wollen. "Weniger sauer, sondern sehr besorgt. Aber jetzt sollte er eine ruhige Nacht haben und du solltest jetzt auch schlafen, du kleiner Ausreißer." Zum Ende hin klang der junge Russe ein wenig amüsiert, nun da das Schlimmste überstanden war, konnte man es etwas lockerer sehen. Tyson hatte heute Nacht sicherlich auch Kai einen kleinen Schrecken eingejagt und durch einen Parkour aus allen möglichen Emotionen getrieben. Dessen war sich auch der Drache vollkommen bewusst. "Kai...?" "Hm?" Ein geflüstertes, aufrichtiges "Danke..." huschte aus Tysons Mund. Daraufhin spürte er ein leichtes, bereits so sehr vertrautes, beruhigendes, trost- und sicherheitsspendendes Berühren jener samtigweichen Lippen an seiner Stirn. "Shhh. Schlaf jetzt." Müde schlossen sich die rehbraunen Augen und sich näher an die Wärmequelle neben sich geschmiegt, leistete Tyson der sanften Aufforderung Folge und glitt, trotz all dem, was er heute durchleben und durchmachen musste, an seines Phönix' Seite mühelos ins Reich der Träume. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)