Die Motte von Futuhiro (Todsünden auf Mission) ================================================================================ Kapitel 1: Die Motte -------------------- Gula sah sie mit großen Augen an. Mit einem Blick, als könne er sein Glück gar nicht fassen, als sie sich an ihn schmiegte und ihn mit beiden Armen liebevoll umschlang. Ihre Hände glitten sanft über seinen Rücken, dann wieder nach vorn über seine Front. Und unter sein Hemd. Ihre Finger strichen zart wie ein Lufthauch über seine Haut, als getrauten sie sich gar nicht, ihn richtig zu berühren. Als sei er zu kostbar. Schließlich schob sie ihn unaufdringlich, geradezu vorsichtig, die drei Schritte zum Bett und setzte ihn dort hinein. Mit geschlossenen Augen genoss er einen Moment lang einfach nur das Gefühl ihrer Lippen auf seiner Haut, als sie seine Halsseite küsste. Gott, wie lange hatte er sich das hier ersehnt? Aber als sie sich letztlich mit Acedia eingelassen hatte, hatte er die Hoffnung schließlich aufgegeben. Und jetzt saß sie tatsächlich hier. In seinem Bett, auf seinem Schoß. Nach einigen Augenblicken schüttelte Gula sachte den Kopf, um wieder zu klarem Verstand zu kommen und schob sie so weit von sich, daß er ihr wieder ins Gesicht sehen konnte. „Kocco, bitte spiel nicht mit mir.“, bat er in beherrschtem, aber unterschwellig geradezu flehendem Ton. Er wirkte unvermittelt, als habe man ihm bereits oft genug wehgetan. „Meinst du das hier wirklich ernst?“, fügte er leise an. Kleinlaut. „Ich meine es ernst. So respektlos bin ich nicht, dir was vorzuspielen. Zumal ich weis, was du dabei empfindest.“, versicherte Kocco ruhig. Er konnte einen Wimpernschlag lang das Erschrecken nicht ganz verbergen. Sie wusste es? „Und Acedia?“, wollte die Völlerei wissen. Da seufzte Kocco wehmütig und senkte den Blick. „Tja, Acedia ... Er will nicht. Er hat keine Lust, eine handfeste Beziehung zu führen. Und zwingen werde ich ihn nicht.“ Sie sah ihm wieder in die Augen und ein geradezu entschuldigender Ausdruck lag in ihrem Gesicht. „Bitte halte dich nicht für zweite Wahl, nachdem ich bei Acedia nichts erreicht habe, hörst du, Gula? Zu ihm wurde ich von Luxuria geschickt. Und Acedia hatte Recht, vorher habe ich mich nie für ihn interessiert. Luxurias Bann wirkt vermutlich verdammt lange nach. Aber zu dir bin ich ganz von allein gekommen. Und ich mag dich wirklich.“ Gula zog sie näher zu sich heran und gab ihr einen Kuss. Schlang sanft die Arme um sie. „Wie lange weist du es schon?“ „Das ich dir gefalle? Schon lange. Wirklich lange. ... Aber vor dieser Aktion, die Luxuria da eingerührt hat, bin ich nie auf die Idee gekommen, daß man mit euch Todsünden auch tatsächlich was anfangen könnte.“, lächelte Kocco. „Na? Hast du bei Acedia nicht gepunktet?“, meinte Superbia, als er in die Küche kam und, ohne Kocco anzusehen, nach dem Kakao-Pulver griff. Die junge Frau, die gerade allein am Küchentisch saß, schaute etwas sauer auf und sah Superbia noch gehässig den Kakao angrinsen. Naja, er war eben der Hochmut. „Wie darf ich denn das bitte verstehen?“, wollte sie mürrisch wissen. „Na, bist du gestern Abend nicht zu Gula gegangen? Da muss ich wohl annehmen, daß du bei Acedia abgeblitzt bist. Du wirst langsam ein ganz schönes Flittchen. Luxuria hat einen schlechten Einfluss auf dich.“, erklärte er selbstgefällig, während er seinen Kakao mit Milch aufgoss. Kocco holte vernehmlich Luft, aber er lies sie gar nicht erst zu Wort kommen. „Hör mal, wenn du dich wirklich mit Gula einlassen willst, solltest du ein oder zwei Dinge beachten. Er ist nicht zum Kuscheln da, das wirst du ziemlich schnell merken. ... Das sind wir Todsünden übrigens alle nicht. Nichtmal die Wollust.“ Na, wenn schon Luxuria nicht zum Kuscheln da ist, wer denn dann?, dachte Kocco seufzend und nippte kommentarlos an ihrer eigenen Tasse. Sie gedachte sich nicht von Superbia die Laune verderben zu lassen. „Du solltest ihn die ersten ein oder zwei Male fesseln, bis du mit ihm richtig klarkommst.“, fuhr der Schwarzhaarige fort und drehte sich nun endlich zu ihr um, damit er sie mit einem Blick ansehen konnte, der sie fast auslachte. „Das musst du mir erklären.“ „Ganz einfach. Normalerweise haben wir Todsünden uns ganz gut unter Kontrolle. Aber beim Sex verlieren wir die Beherrschung ...“ Kocco verschluckte sich an ihrem Kaffee, als er so unverhohlen mit diesem Thema herausplatzte. „... und lassen zwangsläufig unseren sündigen Charakterzügen freien Lauf.“ Sie hustete. „Das heißt, Gula denkt dabei nur ans Essen?“ „Ach, wenn´s nur das wäre! Er wird dich fressen, wenn du nicht aufpasst! Er wird regelrecht zum Zombie und zerfleischt dich.“ „Wie ... romantisch.“, kommentierte Kocco zynisch und überlegte, was sie dagegen machen könnte. Eine Schweinshaxe mit ins Bett nehmen? „Acedia wird dir buchstäblich wegpennen, wenn du es mit ihm versuchst.“ Kocco prustete ihren Kaffee über den halben Tisch und brachte Superbia damit zum lachen. Sein gehässiges Lachen verfolgte sie immer noch, als sie die Küche verließ, weil das Telefon im Flur leutete. Sie atmete noch ein, zwei mal durch, bevor sie gefasst den Hörer abnahm. „Ja? ... Ach, du, hallo. ... Warum ich nicht ans Telefon gehe? Vermutlich weil ich gerade nicht da war! Glaubst du, ich gehe aus Spaß nicht ran? Weil mir das Klingeln so gefällt?“, meinte sie säuerlich, aber respektvoll. Dann hörte sie sich an, was ihr Kontaktmann zu sagen hatte. Und seufzte. Gula wachte auf, als Kocco wieder zu ihm ins Bett geklettert kam und sich an ihn kuschelte. Er sah müde auf und versuchte ihr nachdenkliches Gesicht zu deuten. „Ist alles okay mit dir?“, wollte er gleich anstelle eines wissen. „Hm? ... Ach, ich hab gerade einen Anruf bekommen. Ich muss runter nach München. Ein Auftrag.“ „Du arbeitest?“, wollte Gula ungläubig wissen und zauberte damit wieder ein amüsiertes Lächeln auf ihr Gesicht. „Natürlich arbeite ich auch. Habt ihr etwa geglaubt, ich würde immer nur euch in der Gegend rumscheuchen und euch die ganze Drecksarbeit alleine machen lassen?“ Die Völlerei überdachte das einen Moment. Es gefiel ihm gar nicht, daß Kocco gerade jetzt abhauen wollte, wo er sie endlich für sich hatte gewinnen können. Er wollte, daß sie hier blieb und ihn weiterknuddelte. Um ehrlich zu sein hätte er gern noch viel mehr mit ihr angestellt, als nur zu knuddeln. Sehr viel mehr. Aber er wollte es nicht gleich am Anfang übertreiben. Mit Frauen musste man immer schön langsam machen. „Meinst du, ich kann mitkommen, nach München?“ Koccos Lächeln wurde zu einem Grinsen. „Ich hatte gehofft, daß du das fragen würdest. Pack deine Sachen!“ „Wie, jetzt gleich?“ Gula sah sich etwas missmutig auf dem Bahnsteig um. Neben ihm stand Kocco, sie hatte sich bei ihm untergehakt. Und ein paar Schritte weiter stand Superbia. Der hatte aus Langeweile beschlossen, sich dem Reisegrüppchen anzuschließen. Er kam mit Kocco und Gula nach München. So hatte Gula sich das natürlich nicht gedacht. Aber das war noch nichtmal das schlimmste. Da hinten kam gerade mit schwingendem Modell-Laufsteg-Gang Luxuria angeschwebt. Auch der hatte sich entschlossen mitzukommen. Ein junges Mädchen kam ihm auf dem Bahnsteig entgegen, das er mit seinem jahrelang perfektionierten Frauen-Rumkriege-Blick anschaute. Sie starrte ganz gebannt zurück. Im Vorbeigehen streckte Luxuria die Hand nach ihr aus, strich ihr mit den Fingerspitzen zart über die Wange, und schwebte weiter. Sie sah ihm schmachtend nach und rannte dabei scheppernd in eine mobile Würstchenbude. Gula schüttelte den Kopf und hörte auch Kocco neben sich genervt stöhnen. „Diese flatterhafte Jugend von heute. Wann geht unser Zug?“, kommentierte Luxuria, als er selbstgefällig lächelnd zu den anderen aufschloss. „Hast du da nicht was vergessen?“, gab Superbia anzüglich grinsend zurück. Ein Blick, der deutlich genug sagte, was er meinte: „Der Zug geht in 10 Minuten!“, warf Kocco themenwechselnd ein, bevor das Gespräch noch weiter ausartete. Sie bereute es jetzt schon, Luxuria mitgenommen zu haben. Das hier würde totsicher nur der erste von einer ganzen Kette von Vorfällen gewesen sein. Und Superbia tat sein Übriges dazu. Die Wollust drehte sich schwungvoll zum Fahrplan um und begann ihn zu studieren. Seine langen, weißen Haare hatten den gewohnten türkisen Lichtreflex, und sein hautenges, schwarzes T-Shirt gab den passenden Kontrast dazu. Zugegeben, mit diesem täuschend sanften und charismatischen Äußeren war es auch schwer, ihm nicht zu verfallen. Er zog alle Blick auf sich, wenn er mit seinem aufrechten, sicheren Gang durch eine Menschenmenge stolzierte. Die Reise konnte heiter werden. Wenigstens spazierte er nicht in seinem viel zu weiten Kimono durch die Öffentlichkeit, dachte Kocco. Am Münchener Bahnhof holte sie ein finsterer Kerl mit Hut und langem Filzmantel ab. Koccos Kontaktmann. Mit verschränkten Armen lehnte er an einem Geländer und überschaute mit kalten Augen die aus dem Zug strömenden Massen. Luxuria machte einen begeisterten, quietschenden Ton, nahm mit einem Puffen seine weibliche Gestalt an und warf sich dem düsteren Typen an den Hals. „Was zur Hölle!?“, entfuhr es dem Mann noch. „Hallo, du Süßer! Wie wäre es mit uns beiden? Du bist ja sowas von mein Typ!“ „Luxuria, lass das!“, keuchte Kocco panisch und zerrte die Wollust wieder weg. „Genau, man, lass mir was von dem Schnuckel übrig!“, warf Superbia von der anderen Seite ein und verwandelte sich ebenfalls in eine Frau. „Superbia!“, zeterte Kocco tadelnd. Luxuria und Superbia nahmen mit mürrischen Gesichtern wieder ihre Männergestalt an und maulten mit verschränkten Armen vor sich hin, während Kocco die Hände vor das Gesicht schlug. Sie befanden sich hier mitten auf einem Bahnsteig, umringt von Leuten. Klar konnten die Todsünden wahlweise männliche oder weibliche Gestalt annehmen und jederzeit beliebig hin und her wechseln, aber musste das hier sein, wo es alle sehen konnten? „Warum zur Hölle hast du diese Flegel mitgebracht?“, wollte Koccos Kontaktmann mit dem breitkrempigen Hut sauer wissen, als er sich endlich wieder im Griff hatte. Luxurias Übergriff hatte ihn doch mehr aus der Bahn gehauen als er jetzt zugeben wollte. „Was hätte ich machen sollen? Die Todsünden haben Bewegungsfreiheit auf der ganzen Erde. Ich hätte es ihnen schlecht verbieten können.“, gab Kocco müde zurück. Sie war selbst sichtlich begeisterungsfrei. Wie viel lieber hätte sie jetzt Acedia hier gehabt! Der stellte wenigstens keinen Blödsinn an. Aber der hatte lieber die freien Tage auf Koccos Anwesen genießen wollen, solange sie weg war. „Darf ich vorstellen, das ist Losebrunn. Mein Geschäftspartner, könnte man so sagen.“ „Sehr erfreut. Ich bin Gula, Todsünde Völlerei.“, meinte Gula und streckte dem Typen grüßend die Hand hin, die der verwundert annahm. „Du gefällst mir, du hast wenigstens Anstand!“, grummelte Losebrunn dann, drehte sich um und ging voraus. „Ist ja selten, daß du mich mal persönlich nach München zitierst. Was ist denn passiert?“, wollte Kocco mit etwas mulmigem Gefühl wissen und versenkte den Löffel in ihrem Eisbecher. Eigentlich hatte sie gar keinen richtigen Appetit auf Eis, aber Gula war sich dämlich vorgekommen, hier in diesem Eiscafe als einziger was zu essen. Nun ja, auch wenn Kocco kameradschaftlich ein Eis mitaß, hatte Gula allen Grund, Blicke auf sich zu ziehen. Vor ihm standen nämlich bereits 17 ineinander gestapelte, leergefutterte Eisschalen. Gerade arbeitete er an der 18. und hatte auch die 19. bereits dastehen. Wohlbemerkt hatte dieses Eiscafe nur 20 verschiedene Eisbecher auf der Karte. Sicher würde Gula es sich nicht nehmen lassen, auch den 20. noch zu probieren. Losebrunn sah man deutlich an, daß Gula ihm schon gar nicht mehr so sympathisch war wie noch vorhin auf dem Bahnhof. Mit peinlich berührtem Blick schob sich Losebrunn die Hutkrempe tiefer ins Gesicht und den Strohhalm in den Mund und trank geräuschvoll schlürfend seinen Eiscafe. „Wir haben einen Tinea.“, nuschelte er dann unheilvoll zwischen zwei Zügen. Kocco entschlüpfte ein unschöner Fluch. „Hier mitten in München?“ „Nein, draußen auf dem Land, im Randbezirk, aber trotzdem.“ „Was wirst du tun?“ „Dich rufen!“, gab Losebrunn schulterzuckend zurück. „Schönen Dank auch.“ „Du hast mehr Erfahrung damit. Ich hatte sowas noch nie.“ „Ich bin damals fast dabei draufgegangen!“, maulte Kocco und löffelte verbissen ihr Eis weiter. Das gefiel ihr gar nicht. Schlagartig war sie direkt dankbar, die Todsünden mitgenommen zu haben, allen Peinlichkeiten und Vorfällen zum Trotz. „Was ... was ist denn ein Tinea?“, wollte Luxuria wissen. „Klingt nicht pervers genug, als daß ich es kennen müsste. Kann man das poppen?“ „Das ist eine Motte.“, meinte Kocco, als sei das Erklärung genug. Die Wollust stutzte kurz. „Hm ... nicht pervers genug, ich sag´s ja.“, entschied er dann. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was Motten sind?“, wollte Gula ruhig wissen und schob seine Eisschale Nummer 19 von sich. „Mir egal! Wenn ich die Wahl habe, nehme ich dieses Herzblatt hier!“, gab Luxuria zurück und verwandelte sich noch in der Bewegung in seine weibliche Gestalt, als er sich schwungvoll an Losebrunns Hals warf. Der quiekte schockiert. „Luxuria, hör auf!“, verlangte Kocco wütend. „Menno.“ „Motten!“, fuhr Gula streng fort. „Motten sind Viecher, die nachts rumschweben und den Leuten ihre Lebensenergie abzapfen.“ „Du meinst ihre Seelen.“, korrigierte Luxuria schmollend und nahm wieder männliche Gestalt an, mit verschränkten Armen. „Nein, eben nicht! Die Seelen wären ja nur halb so schlimm, Seelen kann man retten. Aber die Lebensenergie nicht. Wenn die Seele in einem toten Körper zurückgelassen wird, entstehen Zombies! Verstehst du, was ich meine?“, erklärte Gula. „Ach, und was ist so schwer daran, diese Motte zu erledigen?“, warf Superbia ein. „Was meinst du wohl, warum das Ding heißt?“, wollte Losebrunn wissen. „Weil´s genauso hässlich ist?“, schlug Luxuria vor. „Nein! Weil´s genauso KLEIN ist, du Depp! Nun versuch dieses Vieh mal zu finden, in einer Stadt wie München! Bis wir den Tinea haben, kann hier schon eine ganze Zombieplage herrschen.“ „Darauf brauch in noch ein Eis!“, entschied Gula niedergeschlagen. „Ich auch!“, stimmte Kocco zu und griff nach der Karte. Kocco strich sachte über Gulas nackten, schlanken Oberkörper und über das schwarze Loch, das dunkel durch seine Bauchdecke schimmerte. Sie teilte sich mit ihm ein Hotelzimmer, und die Abenddämmerung war schon fast vorüber. Gedankenversunken beugte sie sich vor und küsste die Völlerei, der es mit einem halb unterdrückten, erregten Stöhnen quittierte. Als Kocco plötzlich ihre Finger am Hosenknopf seiner Jeans registrierte, schreckte sie zurück. Gula, der unter ihr lag, schaute fragend auf. „Du hast Angst vor mir?“, stellte er verwundert fest. Sie wusste nicht, woher er diese Erkenntnis nahm. „Ach ... Superbia hat mir Schauergeschichten eingeredet.“, versuchte sie herabzuspielen und küsste ihn wieder. „Ich weis nicht, wie ernst ich das nehmen kann.“ „Was denn?“ „Er sagte, ihr Todsünden würdet euch dabei vergessen und eure Triebe voll ausleben.“ Gula wog einen Moment lang nachdenklich den Kopf. „Da hat er mal nicht gänzlich gelogen. Du hast also Angst, daß ich dich ... ähm ... beiße?“ Er keuchte erschrocken auf, als plötzlich jemand aus dem Nichts nach seinen Handgelenken griff und ihm die Hände über den Kopf zog. „Mach ruhig weiter. Ich halt ihn für dich fest!“, meinte Luxuria grinsend. Er war direkt durch die Wand gekommen, gerade im perfekten Moment, wie es schien. Ein spürbares Schaudern ging über Gulas gesamten Körper. Er fühlte sich schlagartig ausgeliefert. Das grenzte fast an Kaltblütigkeit, was Luxuria hier tat. Einen Moment lang war Kocco direkt sprachlos, und das wollte was heißen. „Äh, was!? Spinnst du?“, begehrte sie dann schließlich auf. „Was denn? Wenn du jemals was mit Gula haben willst ...“ „Aber doch nicht, wenn du dabei bist!!!“, zeterte Kocco. Langsam hatte sie die Perplexität überwunden und begann, richtig sauer zu werden. Luxuria grinste. „Damit bringt ihr mich nicht in Verlegenheit. Ich hab schon ganz andere Sachen sehen dürfen, in meinem Leben.“ „Das ist ja wohl die Höhe! ... Was zur Hölle tust du überhaupt hier?“, wollte sie empört wissen. Luxuria lies Gula seufzend wieder los. „Solltest du nicht mit Superbia auf Patroille sein und den Tinea suchen?“ „Ach ja, jetzt wo du es sagst! Wir haben den Tinea gefunden. Ich soll dich schnell holen!“ „IDIOT!!!“ Als Kocco mit Gula und Luxuria ankam, lag Losebrunn bereits reglos am Boden. Superbia fuchtelte wild in der Gegend herum, als versuche er eine Fliege zu verscheuchen. Kocco stockte der Atem. „Lass nicht zu, daß sich die Motte irgendwo auf dir festsetzt! Das ist dein Ende!“, rief sie Superbia zu. „Wie bekämpft man denn so ein Vieh? Mit der Fliegenklatsche?“ „Nein, mit Willen! Mit nichts als Willen. Gula, ich werde gleich deine Hilfe brauchen.“, meinte sie und knippste ihre Taschenlampe an, die sie mitgenommen hatte. Superbia schrie auf und in der Dunkelheit sah man deutlich eine weiß leuchtende Sillhouette, die sich von seinem Körper zu lösen begann. Kocco fluchte. Das war die Lebensenergie, die die Motte in Form eines Astralkörpers aus ihren Opfern herauszog und dann mit einem Schlag auffraß, sobald sie sich ganz vom stofflichen Körper getrennt hatte. Sie richtete ihre Taschenlampe auf den Hochmut. „Komm her, du Drecksvieh! Lass Superbia in Ruhe! Komm hier her! ... Nimm mich!“, brüllte sie. „Hach, könntest du das bitte auch mal zu mir sagen?“, warf Luxuria von der Seite ein und kassierte sofort eine Kopfnuss von Gula. „Kann man sie mit Licht bekämpfen?“, wollte Gula hoffnungsvoll wissen. „Nein, aber anlocken. Darum heißen die Dinger , die reagieren auf Licht.“ Etwas winzig Kleines flackerte durch den Lichtkegel auf Kocco zu. Und Superbias Astralkörper vereinigte sich wieder mit seinem stofflichen Körper, bevor er haltlos in sich zusammensackte und stöhnend am Boden liegen blieb. Gott sei Dank, der Tinea hat von Superbia abgelassen, dachte Kocco erleichtert und richtete die Taschenlampe in ihre Handfläche um die Motte dort hinein zu locken. Kaum war das dämonische Vieh auf ihrer Hand gelandet – denn nichts anderes als ausgebüchste Tierdämonen waren Tineas – fuhr ein unerhörter Schmerz wie ein Stromschlag durch Koccos Körper. Die Taschenlampe entglitt ihr und schepperte zu Boden, wo sie erlosch. Sie spürte mit gruseliger Deutlichkeit, wie ihre Lebensenergie aus ihrem Körper fuhr und sich draußen zum Astralkörper manifestierte. „Willen!“, erinnerte sie sich selbst und versuchte mit aller Macht, ihre Energie bei sich zu behalten. Ein verbissenes Tauziehen mit dem Tinea begann, und das Ding war verdammt stark. Es musste bereits einige Astralkörper gefressen haben, seit es auf der Erde war. Kocco biss die Zähne zusammen, als ihr vor Anstrengung die Tränen in die Augen stiegen. Nur mit Willen konnte man diese Viecher besiegen. Die Hoffnung, daß ihr Willen stark genug war, schwand zusehends. Sie bekam selbst gar nicht mehr mit, daß sie brüllte wie am Spieß. Sie erlebte alles wie auf einer anderen Spur. Eine Ewigkeit des grausamen und rohen Hin- und Herreißens verging, bis das Zerren an ihrer Lebensenergie endlich nachlies. Kocco merkte spürbar auf. Der Tinea schwächelte! Endlich! Das war der Moment, in dem man ihm beikommen konnte! „Gula! Jetzt!“, brachte sie noch hervor. „Was soll ich denn machen?“, gab der schockiert, fast panisch zurück. Er sah sich hilflos um, auf der Suche nach einer Lösung. „Egal, irgendwas!“, keuchte Kocco und kämpfte weiter mit der Motte um ihren Astralkörper, der bereits vom vielen Zerren und Reißen zu schmerzen begann. Es war ein seltsames Gefühl, Schmerzen außerhalb seines eigenen Körpers zu spüren. Gula seufzte und wurde schlagartig völlig ruhig und beherrscht. Entschlossen riss er die Druckknöpfe seines Hemdes auf und konzentrierte sich. Das schwarze Loch, das durch seine Bauchdecke schimmerte, begann zu pulsieren und brach dann explosionsartig auf. Und eine gewaltige, geisterhafte, halbdurchsichtige Schlange schoss mit aufgerissenem Maul aus Gulas Bauch hervor – ihr Kopf war so groß wie Gulas gesamter Oberkörper – schoss quer über den Platz auf Kocco zu und schloss ihr Maul mit einem dröhnenden Schnappen um die Motte. Sie verharrte einen Moment. Ihr Körper steckte immer noch zu großen Teilen in Gulas Körper und es sah aus, obwohl sie gute drei Meter weit herausragte, als ob sie noch lange nicht am Ende ihrer Körperlänge angelangt war. Dann zog sie sich im Rückwärtsgang in das schwarze Loch in Gulas Bauch zurück, bis sie wieder zur Gänze darin verschwunden war. Die Bauchdecke des Schwarzhaarigen schloss sich augenblicklich, als sei nichts gewesen. Koccos Energiekörper vereinigte sich wieder mit ihrem organischen, sie kippte ohnmächtig um und blieb liegen. „Ich hasse es, wenn du das tust.“, meinte Luxuria schaudernd und deutete auf Gulas Magengegend. Der zuckte nur mit den Schultern. „Ich hatte nicht viel Auswahl. Guck mal, ob bei Superbia alles okay ist.“, trug er der Wollust auf und ging zu Kocco hinüber. Er hielt sich den Bauch. Das schwarze Loch freizusetzen, damit es sich außerhalb seines Körpers zu einer festen Form manifestieren konnte, war eine verdammt schmerzhafte Sache. Sicher würde ihm jetzt noch tagelang kotzübel sein. „Was ist mit Losebrunn? Wird der zum Zombie, wenn wir nicht aufpassen?“ „Nein, der ist richtig tot. Der Typ war kein Mensch.“ „Hm ... den Verdacht hab ich bei Kocco auch manchmal.“, murmelte Luxuria und spazierte los, um Superbia wieder aufzusammeln. Zwei Tage später saßen Kocco, Gula, Superbia und Luxuria im Zug Richtung Heimat. Superbia hatte zum Glück keine Schäden von der Begegnung mit dem Tinea zurückbehalten. Nur Kocco schwächelte immer noch etwas vor sich hin. Aber da sie nicht das erste Mal gegen eine Motte gekämpft hatte, wusste sie, daß sich das wieder geben würde. Davon erholte man sich. „Woran denkst du gerade?“, wollte Luxuria ruhig wissen, weil sie nachdenklich herumsaß und nichts mehr sagte. Sie saß gerade zwischen seinen Beinen und lehnte rücklings an seiner Brust, so daß er die Arme um sie hatte schlingen können. Alles kameradschaftlich, ohne jegliche Hintergedanken. Auch dazu war Luxuria in der Tat fähig. Wenn er wollte. „An Acedia ...“, gestand sie leise und beschähmt. Da Superbia und Gula gerade nicht im Abteil waren, sondern im Zug herumwanderten, konnte sie es laut aussprechen, ohne Gula zu verletzen. „Er geht dir immer noch nicht aus dem Kopf?“ „Nein. ... Dein lästiger Bann von Ostern könnte wirklich langsam mal abklingen.“ „Mein Einfluss hält maximal 48 Stunden. Ich hab damit schon lange nichts mehr zu tun. Wenn du nach all den Tagen immer noch an Acedia hängst, hast du dich vermutlich ganz gewaltig in ihn verguckt.“ Kocco wurde knallrot. „Aber ... ich hatte doch vorher ...“ „... auch kein Interesse an ihm? Tja, dann hast du es gut weggeleugnet.“ „Verdammt.“, hauchte sie wie erschlagen. Luxuria lachte. „Hat Acedia nicht einen Sohn?“, wollte sie dann wissen. „Ja, den Inneren Schweinehund. Wieso?“ „Naja ... ich hab mich die ganze Zeit gefragt ... wenn Acedia wirklich wegpennt, bevor man richtig was mit ihm anstellen kann ... wie hat er da ... ???“ „Also man kann Acedia bis zu einem gewissen Punkt mit Aufputschmitteln und Drogen wach halten. Wenn du ihn nicht gerade stundenlang vereinnahmen willst, geht da schon was zu machen.“ Kocco rutschte zur Seite, um ihm über ihre Schulter hinweg verdutzt ins Gesicht schauen zu können. Das war sicher die letzte Antwort mit der sie gerechnet hatte. „Wusstest du, daß Gula auch zwei Töchter hat? Zwillinge! Anorexia und Bulimia. Aber er kann die beiden überhaupt nicht ausstehen, weil sie ihm nicht ähnlich sind. Gula isst praktisch pausenlos, und die zwei verweigern das Essen einfach.“, fuhr Luxuria fort. Dann seufzte er. „Was wirst du mit Acedia machen?“, wollte er interessiert wissen. Und meinte damit eigentlich eher Er hatte es ja schon zweimal vergeblich versucht. Auch in der Nacht nach Ostern war nicht wirklich was ernsthaftes zwischen Acedia und Kocco gelaufen. Wie auch, wenn sie zuließ, das Acedia vorher einschlief? Irgendwie wurmte ihn das. Es machte ihn wahnsinnig, daß er die junge Frau einfach nicht steuern konnte. Sie widerstand seinem Todsünden-Einfluss konsequent. Kocco zuckte mit den Schultern. „Gar nichts. Ich bleibe bei Gula.“ „Hm, Acedia wird das sowieso nicht wollen.“ „Richtig, aber das ist es nicht. Ich habe mich einfach entschieden. ... Alles deine Schuld!“, fügte sie dann gespielt sauer an und knuffte der Wollust in die Rippen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)