Kleine Hand, großes Herz. von Sopschild ================================================================================ Kapitel 1: Anfang und Ende -------------------------- Kleine Hand, großes Herz. Krieg. Seit Anbeginn der Zeit tobt ein unerbittlicher Krieg zwischen den Mächten des Guten und des Bösen. Dieser Krieg kann in großen Schlachten ausgetragen werden, oder in dem Herzen eines jeden Einzelnen, sogar in dem eines Kindes. Immer wieder versuchen die Kräfte der Finsternis die Mächte des Lichts aus dem Gleichgewicht zu bringen, um die Herrschaft endgültig an sich zu reißen. Doch ungeahntes wurde dadurch geweckt. Man sagt, es sei die unstillbare Gier, in den Herzen der Menschen gewesen, die dem Bösen den Siegeszug ermöglichte. Die Welt fiel in einen Höllenschlund aus Dunkelheit und Chaos. Es war eine Zeit des Hexenwesens und der schwarzen Magie. Eine Zeit in der sich die Rinnsteine mit Blut füllten und das Volk, das von Königen und Kriegsherren in Aufruhr versetzt wurde, schrie wie ein Haufen zurückgelassener Kinder nach Hilfe. Die Reiter folgten diesem Ruf. Die Legende erzählt von einem Bund edler Krieger, welche auf mächtigen Wesen die Lüfte beherrschten, bekannt als die Drachenreiter. Die Drachenreiter haben geschworen, die Schwachen zu beschützen und das Unrecht zu bekämpfen. Doch ward ihr Sieg über das Böse nicht von Dauer. Zu lange wurden ihre Warnungen ignoriert und so war es einer der ihren, der die Welt erneut ins Chaos stürzte. Nun steht das Volk Alagaesias erneut am Abgrund und starrt hinab in die Hölle. Das Volk ist dem Untergang geweiht, die einzige Frage ist nur: Wo wird es untergehen? . . . . . . . . . . Es kochte in ihr, während sie durch die engen Gassen von Urû'baen eilte. Ihr Mistkerle, dachte sie. Ihr verdammten Mistkerle. Macht mich nicht glücklich, bitte erfüllt mich nicht, lasst mich nicht glauben, dass aus all dem etwas Gutes werden kann. Auf Morrigans Gesicht zeichnete sich eine Maske der Wut. Oh ihr elenden Mistkerle, lasst mich nicht hoffen. Bitte tut es nicht! Ihre kleinen Füße trugen sie weiter, durch die verdreckten Straßen des Armenviertels. Die Varden eroberten all jene verloren geglaubten Posten zurück. Je näher sie Urû'baen kamen, desto mehr schlug der Keim der Hoffnung Wurzeln in Morrigans dunklen Herzen. Oh, ihr Götter, lasst meine Angst so ungeheuerlich sein, dass die Hoffnung in ihrem Schatten verborgen bleibt. Hoffnung, die hatte Morrigan schon vor langer Zeit aufgegeben, so dachte sie. Einst träumte sie von der Freiheit, von einer Welt in der alle Menschen gleich waren, doch früher oder später musste wohl jeder aufwachen. Nun brachten die Varden ein Funken Licht in Morrigans Welt. Zum erstem mal schien es, als erkenne sie am Horizont einen silbernen Streifen. Konnte das ihre Freiheit bedeuten? Doch es gab keine Freiheit. Nicht für Morrigan, dies bewies das Brandmahl an ihrem Hals. Morrigan war eine Sklavin. Lebte nur aus Gnade ihres Herrn. Ihre Lumpen wehten im Wind als sie eilig weiter lief. Sie durfte sich nicht verspäten! Dem Betrachter offenbarte sich ein wahrlich groteskes Bild. Ein junges Mädchen, barfuß, in Lumpen gehüllt und mager, stürmte mit wütendem Gesicht durch die Gassen. Morrigans dreckige kleinen Füße trippelten über das Kopfsteinpflaster. Mit ihren scheinbar winzigen Händen umklammerte sie einen Korb, in dem die Einkäufe des Marktes lagen. Es war erstaunlich, wie die ästedünnen Arme des Mädchen den schweren Korb hievten. Morrigan musste sich beeilen. Sie musste noch zu ihrer Freundin Orwen, die im Fieber lag. Doch zugleich durfte sie sich nicht verspäten, der Herr würde wütend sein. Morrigan zog die Lumpen enger um ihren Körper. Es schneite und regnete zugleich. Ein böses Omen! Es platschte, als sie in mit ihren nackten Füßen in eine tiefe Pfütze trat. In ihren braunen langen Haaren schimmerten kleine Eiskristalle. Ihre Füße schmerzten vor Kälte. Aber wer kaufte schon einer Sklavin Kleidung, gar Schuhe? Wahrscheinlich waren Schuhe teurer als ein neuer Sklave. Morrigan seufzte. Seit sie denken konnte, hatte man ihr beigebracht, dass ihr Leben nichts wert war. Und letztendlich begann sie zu glauben, was sie gelehrt wurde. Sie war nicht mehr wert, als der Dreck unter ihren Füßen! Morrigan kniff die Augen zusammen und starrte zum Himmel. Ihr Götter, was habe ich euch getan?, dachte sie. Mit einer Hand hielt sie zitternd den schweren Korb und öffnete die Türe des kleinen Verschlages, in dem Orwen und Morrigan hausten. Es war feucht, dunkel und eng. Sie schliefen auf faulig riechenden Strohsäcken. Das Dach war vermutlich schon kaputt, als das Haus gebaut wurde. Aber dem Besitzer war es egal. Orwen lag auf einem der Säcke. Zusammengerollt, das Gesicht hinter den Armen verborgen. Morrigan legte sanft ihre Hand auf Orwens Stirn. Ihr Gesicht war gerötet und feucht vom Schweiß. Ein paar Minuten später stand Morrigan am Brunnen, und wrang einen Lappen aus, mit dem sie den Schweiß aus Orwens Gesicht getupft hatte. Manchmal konnte Morrigan laut losheulen, vor Verzweiflung, aber damit würde keinem geholfen. Seit Orwen krank war, musste Morrigan auch die ihren Arbeiten erledigen, und sich um sie kümmern. Im schwarzen Wasser betrachtete Morrigan ihr Spiegelbild. Sie sah müde aus, mager, mit Ringen unter den Augen und einer namenlosen Erschöpfung im Blick. Und trotz allem hing ein Hauch der Hoffnung in ihren Augen. Sie trat in den Verschlag. Morrigan hörte Orwen leise wimmern, mit schnellen Schritten war sie bei ihr. Orwens Hand schlang sich um Morrigans Arm. Ein alter Reflex, aus der Zeit, als beide noch auf der Straße lebten. Trotz all den Jahren, die vergangen waren, wusste Morrigan noch genau, wie Orwen sich zum ersten mal an ihr festgehalten hatte. Und sie erinnerte sich noch an den Stolz der sie durchströmte, und die Angst vor den älteren Jungen, die es auf Orwen abgesehen hatten, verdrängte. Sekunden später musste Morrigan den ersten erfolgreichen Kampf ihres Lebens durchstehen. Am Schluss hatte sie eine schwere Gehirnerschütterung, völlig zugeschwollene Lippen, eine gebrochene Rippe, und einen tiefen Schnitt über ihrem Schlüsselbein, dessen Narbe noch heute ihre Brust beherrschte. Aber trotzdem waren zwei Wachen nötig, sie von ihren Gegner wegzuziehen. Orwen brachte Morrigan zu einem Heiler. Morrigan fragte nie, welchen Preis der Heiler nahm. Doch in jener Nacht fand Morrigan einen Lebenssinn. Und für Orwen wurde der Arm ihrer Freundin zu einem Strohhalm, an dem sie sich klammerte, wenn sie nicht mehr weiter wusste, wie in diesem Moment. „Morrigan“, flüsterte Orwen. „Morrigan. Ich werde sterben.“, hauchte sie mit einer Gewissheit, die Morrigan einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. „Nein.“, sagte Morrigan. „Nein, das werde ich nicht zulassen.“ - „Du kannst das Schicksal nicht täuschen.“, sprach Orwen mit leise werdenden Stimme. „Meine Geschichte endet hier, aber deine beginnt erst grade!“ Orwen war schwach. Ihr Atem ging unregelmäßig und stockend. Ihre Decke klebte nass, von den stundenlangen Fieberattacken. Eine Träne lief über Morrigans Gesicht, und plötzlich war es egal, das sie zu spät kommen würde, das der Herr sie bestrafen würde. Alles um sie herum nahm einen unwirklichen Glanz an. Eine Wand des Unglaubens schützte sie vor der Wahrheit. Erst Stunden später wurde Morrigan bewusst, dass Orwen tot war. Ein Schrei der Verzweiflung durchschnitt die Stille. Warum?, dachte sie. Warum ihr Götter? Hatte sie nicht grade ihren Glauben an das Gute wieder gefunden. Es war als wollten die Götter ihr zeigen; schau her, die Welt ist in Finsternis gehüllt. Es gib keine Hoffnung! Morrigan starrt auf das Feuer, in deren Inneren Orwen als schwarze Rauchschwaden zum Himmel aufstieg. Orwen war endlich frei. Und Morrigan? Morrigan würde nun für sie beide Leben müssen. Blind vor Tränen rannte Morrigan durch die Stadt. Ihren Herrn hatte sie bereits vergessen, was sollte er sie auch kümmern? Solle er sie doch töten, sie war doch schon tot! Das Einzige was Morrigan suchte und jemals gesucht hatte, war einen Ausweg. Sie suchte Freiheit und Hoffnung. Doch fand sie nur Armut und Elend. Als Morrigan in dem kaltem grauen Schnee zu erliegen kam, wusste sie, dies war das Ende. Sie schloss die Augen und wartete auf den Tod. Sie bekam nicht mit, wie sie zwei kräftige Arme hoch nahmen und davor trugen, denn jedes Ende ist auch immer ein Anfang. Orwens Geschichte endete, doch Morrigans Reise begann. Kapitel 2: Groß und klein ------------------------- Kleine Hand, großes Herz. Hoffnung. Sie ist die wesentlichste menschliche Illusion, die beides ist: Sowohl Quelle unserer größten Stärke, als auch unserer Schwäche. . . . . . . . . . Der Schmerz hatte beinahe eine eigene Substanz, so dicht und schwer drückte er von innen gegen Morrigans Schädel. Am Rande bemerkt sie, wie jemand an ihrem Arm herumzerrte. War sie tot? Es war als falle sie in ein tiefes Loch. Ihr war kalt, sie konnte nicht mehr atmen. Fühlte sich so der Tod an? Morrigan wusste es nicht, doch so schwach hatte sie sich schon seit langem nicht mehr gefühlt. Leben war schwer, müsste sterben nicht einfach sein? Das Leben so voll Ungerechtigkeit. So voller Leid, endete im Tod. Und ließ nichts zurück. Nichts als Leere. Doch war es diese Leere, die Morrigan wieder hoffen ließ. Wenn man verlor, was man gewann, hatte man seinen Wert verloren, oder fing man nicht ein reineres und neues Leben an? Dies war doch die Frage, die sich alle Geschöpfe stellten: War der Tod das Ende oder der Anfang? Für Morrigan war es nicht der Tod, aber es war ein Anfang. Der Anfang eines neuen Lebens. Durch den Schleier des Schmerzes drängten sich langsam Eindrücke. Um sie herum war es dunkel, Morrigan war sich dessen sicher, obwohl ihr Augen geschlossen waren. Die Luft war erfüllt von einem dunklen Duft, der Morrigan an ihre Kindheit erinnerte, und plötzlich lag sie wieder in ihrem Kinderbettchen und die Welt war gut. Ihre Mutter kam jede Nacht, nachdem unzählige raue Männerhände ihren Körper begehrt hatte noch einmal in ihr Zimmer um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben, und sie in eine Wolke ihrer pudrigen Wärme zu hüllen. Morrigan verstand damals nicht, was ihre Mutter tat, geschweige denn warum sie es tat, denn Morrigans Welt war eine bunte Blumenwiese, auf die sanft das Sonnenlicht herab schien. Die Tage verbrachte Morrigan bei ihre Mutter, abends saß sie neben ihr, wie sie mit hochgesteckten Haaren vor dem Spiegel stand, und mit Kohlestiften und Schwämmchen in ihrem Gesicht fuhrwerkte. Ehrfürchtig reichte Morrigan ihr die filigran aussehenden Döschen mit blumen- und tropfenförmigen Verschlüssen, als könnten sie unter ihrer Berührung zerbrechen. Nachts, nachdem die Lippen ihrer Mutter ihr Gesicht liebkosten, hörte sie das Wimmern aus der Kammer, als quälten ihre Mutter unbegreifliche geheimnisvolle Schmerzen. Morrigan blieb immer wach im Bett liegen, und wenn die Schmerzen ihrer Mutter allzu groß waren, kroch Morrigan in das salzigwarme Bett und spendete ihr unwissend Trost. Immer wieder wartete Morrigan auf ihre Mutter, doch sie kam nicht mehr. Sie fragte Lyra, Orwens Mutter, ob ihr etwas geschehen sei, doch sie schüttelte den Kopf und schwieg. Nach einigen Wochen nahm Lyra Morrigan mit hinaus zu den Feldern vor der Stadt. Morrigan sprang über die Lücken im Weg, die die Räder der Karren in die vor Hitze brüchigen Erde gestoßen hatten. Lyra sagte, das Morrigans Mutter fort war, für immer. Sie käme nicht mehr zurück. Überall wo Morrigan hinsah, waren rote und gelbe Blütenköpfe, die diesen dunklen Duft verströmten, der sie schwindelig und müde machte. Morrigan glitt aus ihrem Schlaf. Ihre Zunge lag staubtrocken in ihrer Kehle und ein Krätzen verließ diese, als sie zu sprechen versuchte. Sie war schwach und konnte kaum die Hand heben, um nach dem Wasserkrug auf dem Nachttisch zu greifen. Eine große breite Hand schob sich in ihr Gesichtsfeld und setzte ihr den Becher an die Lippen. Gierig trank sie das kühle Wasser. Es schien als habe sie nie etwas besseres getrunken, es war, als entspringe ihr eine Quelle. „Mir ist ein Fluss entsprungen.“, sagte Morrigan mit belegter Stimme und blickte den Mann mit den Augen von der Farbe blauer Gletscher entgegen. Nun, er war nicht viel älter als Morrigan, doch konnte man ihn Mann nennen. Urû'baen war ein Ort, an dem man nicht mit den Jahren erwachsen wurde. Selbst die Kinder hatten jenen Glanz der Alten in den Augen, die des Lebens überdrüssig waren. Ein Seufzen entschwand ihr und sie griff nach ihrer Narbe, die sie mit Stolz trug. Morrigan wusste es nicht genau, aber es schien, als wäre sie an jenem Tag, als sie Orwen beschützte, endgültig erwachsen geworden. „Wie geht es mir?“, fragte Morrigan und blickte in die stummen Augen, die bis in ihre Seele zu schauen schienen. „Das müsst ihr mir sagen.“, berichtigte der Mann. „Doch seid ihr nicht tot.“ Morrigan wusste nicht, ob sie sich freuen oder traurig sein sollte. So entschied sie sich für die Gleichgültigkeit. Früher hatte Morrigan Angst vor dem Leben, vor dem Tod, doch Angst wandelt sich unter ständiger Bedrohung in Gleichgültigkeit. Es war ihr egal ob sie lebte oder tot war! Es herrschte ein Loch in ihrer Brust und einzig Orwen war es, die es zu füllen vermochte. Doch nun, wie sollte Morrigan weiter machen, ohne ihren Lebenssinn? Tiefe Einsamkeit erfüllte sie, dunkel und still, einzig ihren Zorn hörte sie „ES IST DEINE SCHULD!“, sagte er ihr. Es war als atme sie Feuer. Die Maske, die sie so lange vor den Schrecken Urû'baens beschütze schien zu fallen. Jene Maske, einst so unbedeutend und unwichtig, so lange nicht wahrgenommen, und doch dort, fiel und über Morrigan schlugen die Wellen der Wahrheit zusammen. Morrigan bemerkte erst das sie weinte, als sie ihr eigenes Schluchzen vernahm. Sie schreckte zurück, als die große Hand des Fremden ihr kleines Gesicht berührte um ihre Tränen wegzuwischen. „Es tut mir leid“, sagte er mit dunkler Stimme und Morrigan war sich nicht sicher, ob er von Orwens Schicksal, oder von der Berührung sprach. „Manchmal sagt einem nur der Schmerz, dass man noch lebt.“, sagte er, und ohne ihn anzusehen war Morrigan klar, er wusste wovon er sprach. „Manchmal sind es nur die Tränen, die einen voran treiben.“ „Ich ertrinke.“, flüsterte Morrigan leise, als traue sie ihrer Stimme nicht mehr. Sowieso verstand sie nicht warum der Mann gut zu ihr war. Für jemanden, der sein Leben lang wie Dreck behandelt wurde, der schmerzlich erfahren musste, dass es im Leben nichts geschenkt gab, für den war es unverständlich Wärme zu erfahren. Wie sollte sie den Mann entlohnen, für seine Tat ihr das Leben zu retten? Sie besaß kein Geld! Erwartete er, die selbe Entlohnung, die die Männer von ihrer Mutter erwarteten? Erst jetzt bemerkte sie, dass sie unter ihrer Decke nackt war. Erschrocken sog sie die Luft ein und zog die Decke unter ihr Kinn. Der Mann hob beschwichtigend die Hände. „Ich schwöre bei den Göttern, ich habe euch nicht angerührt, es war meine Magd, die euch der nassen Kleider entledigte.“ Wer ist er?, dachte Morrigan. Er besaß eine Magd, also besaß er Geld. Jemand der Geld besaß war nicht gut zu einer Sklavin! Wusste er etwa nicht, das sie eine Sklavin war? Doch bewies dies einwandfrei das Brandmal an ihrem Hals, deutlich sichtbar für jedermann. Morrigan wusste, nun da sie nicht zu ihrem Herrn zurück gekehrt war, war sie vogelfrei. Ihr Herr konnte sie für ihr Ungehorsam töten, wie jeder freie Mensch in Urû'baen! Was sollte sie nur tun? Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen, wollte sie doch nicht schwach sein! Manch einer mochte es Wahnsinn nennen, doch war es jener Wahnsinn der Morrigan blindes Vertrauen schenkte und sie sich dem fremden Mann in die Arme schmiss. Mit seinen starken Armen hielt er sie fest, spendete ihr Trost ohne Worte. Es war komisch, kannte sie weder seinen Namen noch wusste sie wo sie war. Ihr Götter ich ertrinke!, dachte Morrigan und einzig der fremde Mann war ihr Rettungsring. Sie löste sich von ihm und sah ihm in die blauen Augen, die selbst so viel Leid erfahren hatten. „Wo soll ich hin?“, fragte sie zaghaft. „Bleibt hier!“ „Wer seid ihr?“ - „Mein Name ist Murtagh, Bastard, Königsmörder, Sklave und Drachenreiter.“ - „Seid gegrüßt Murtagh, ich bin Morrigan Niemandstochter und Sklavin.“ Mit diesen Worten entschied sie sich zu bleiben und legte ihre kleine Welt in seine großen Hände. Es war der Moment als ihr bewusst wurde, sie würde wieder aufstehen, immer und immer wieder. Sie hatte ihren Weg gewählt. Der Glut der Hoffnung in ihrem Herzen schlug Funken und entfachte ein großes Feuer, welches noch endlose Jahre brennen sollte. Kapitel 3: Hart und weich ------------------------- Auch der längste Weg beginnt immer mit dem ersten Schritt. . . . . . . . . Morrigan wusste der Weg würde hart werden. Schmerzhaft musste sie erfahren, dass auch hier an diesem Ort das Leben niemandem etwas schenkte. Ihre Arbeit bestand darin, den feinen Damen und Herren am Hofe, wie sie mit Schrecken erfahren musste, alles hinterher zu räumen. Falte die Hände, schau sie nicht an und stelle keine Fragen. Morrigan lernte schnell den Regeln zu folgen. Der Hof war ein Ort voller Schrecken und Wunder zugleich. Dicht an dicht, lebten die Schönen und die Verdammten. Ob die Adeligen wussten, dass Kammern unter ihnen Gefangene gefoltert wurden? Sicher wussten sie es, aber entweder war es ihnen egal, oder sie hatten Angst selbst dort unten zu landen. Es war einfach ein Gemisch, eine Übermaß an ineinander verwobener Leben, Ereignisse, Wunder, Gerüchten und Magie zugleich. Ein Ort an dem sich Unwahrscheinliches und Alltägliches die Hand reichten. Es war der Ort, an dem Morrigan ein neues Zuhause fand. Nun wenn man es so nennen konnte, schließlich war Zuhause der Ort an dem man Willkommen war. Ob dies am Hofe der Fall war, war der jungen Sklavin fragwürdig. Die Arbeit war hart, doch die Kammer in der Murtagh der Drachenreiter Morrigan unter brachte war im Vergleich zu ihrem altem Verschlag kein schlechter Tausch. Obwohl ein leichter Fäulnisgeruch in der Luft hing und die Decke mit braunen Flecken übersät war, war es trocken und warm. Außerdem besaß sie zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder ein Bett. Sie war Murtagh dankbar, keine Frage, schließlich rettete er ihr Leben und gab ihr eine zweite Chance, doch ob sie Sympathien für ihn hegte war ihr nicht bewusst. Sie war sich nicht einmal sicher ob sie ihn mochte. Vertraute sie ihm in jenem schwachen Moment in seiner Kammer, als sie sich in seine Arme schmiss, doch wusste sie nicht, konnte man ihm als Freund vertrauen? Konnte sie ihm so vertrauen wie sie es bei Orwen tat? Vertrauen entstand dort wo man bereit ist sich selbst aufzugeben, ein kleines Stück seiner Maske fallen zu lassen, doch war Morrigan dazu noch nicht bereit. Ja, einmal fiel ihre Maske bereits in seiner Nähe, doch ging sie nun auf Distanz, wollte sie keine Schwäche zeigen, keine Stelle zum verletzen lassen. Der Hof war ein Ort der keine Schwäche verzieh, die Aasgeier warteten nur darauf das sie einen Fehler machte. Sowieso wusste die junge Sklavin, dass die anderen Sklaven über sie redeten, schließlich kannte sie niemand. Sie war eines Tages doch gewesen, noch dazu in der Kammer des Drachenreiters, dem mächtigsten Mannes nach dem König und er war gut zu ihr! Morrigan wusste was die anderen Sklaven über sie dachten. Hübschlerin nannten sie sie! Oft genug riefen sie ihr hässliche Dinge hinterher, behandelten sie wie Dreck, ließen Morrigan wieder an sich zweifeln. Doch sie würde nicht aufgeben, sie musste für Orwen leben, ihren Tod durch ihr Leben ehren. Sie lernte wieder eins mit ihrer Maske zu werden, war ihre Alte zerstört schuf sie eine Neue. Es war, als hätte sie sich in ihrem Inneren ein Nest gebaut. Als säße sie darin versteckt, sicher und geborgen, ließ niemanden an sich ran, während draußen alles weiter funktionierte. Morrigan ließ keinen Schmerz zu, keine Furcht, keine Trauer. Ihr Herz wandelte sich in Stumpfsinn. Nur Abends wenn sie alleine war, die Hände blutig vom schrubben der Böden, ließ sie Tränen zu, beklagte Orwens Verlust. Es war einer dieser Abende, an denen sich Morrigan wünschte an Orwens Stelle zu verweilen, an der Seite der Götter dem Spiel der Lebenden zuzusehen. Morrigans Blick war tränenschwer, ihr Hals rau und trocken vom weinen, als die Türe ihrer Kammer aufgestoßen wurde. Es war der junge Drachenreiter, der sie mit seinem Blick musterte, der so viel sagte und doch nichts. „Seht ihr mich?“, fragte er sie mit der Stimme, die wie Regen klang. Natürlich sah Morrigan ihn, sah die Ketten, in denen er zu tanzen versuchte. Sie wusste er war eine Marionette. Eine störrische vielleicht, aber letztendlich musste er den Befehlen seines Meisters folgen, wie sie auch. Sie waren beide Marionetten, grinsend hingen sie an ihren Fäden und lebten eine Lüge. „Es ist schwerer zu sehen als zu erblinden.“, sagte Morrigan und sie meinte es so. Am Hofe war man glücklich, wenn man sein Herz in Ignoranz tränkte, doch war dies eine Gabe, die ihnen beiden verwehrt blieb. Er setzte sich zu ihr. „Es tut mir leid.“ Als er ihr Unverständnis sah fügte er hinzu. „Ich weiß was die Stimmen im Schloss zwitschern, und dafür möchte ich mich entschuldigen. War es nicht meine Absicht euch in eine Lage zu versetzen die eure Ehre in Frage stellt.“ - „Ich verzeihe euch, doch solltet ihr euch nicht für etwas entschuldigen, was nicht eure Absicht war. Ihr meintet es nur gut, ihr zeigtet mir den Weg, nun ist es meine Aufgabe diesen zu gehen, egal welche Steine mir in den Weg gelegt werden.“, antwortete sie leise und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Ihr seid nicht glücklich.“ Es war eine Feststellung keine Frage. Morrigan war nicht darauf ausgelegt sich mit Murtagh anzufreunden dennoch wollte sie ihn nicht weg stoßen. „ Ihr seid es doch auch nicht. Ist irgendwer glücklich in diesen Gemäuern? Doch solltet ihr euch nicht um meine Gefühle sorgen machen, es ist nicht eure Aufgabe. Es war nicht dieser Hof der meinen Glauben mordete.“ Der junge und doch so alte Drachenreiter schloss die Augen. „Irgendwann wird der Tag kommen, an dem wir gemeinsam Seite an Seite in Richtung Freiheit gehen. Eines Tages wird die Kette der Sklaverei gesprengt.“ - „Macht mir keine Hoffnungen, das wäre grausam. Wir wissen beide, das es kein entkommen gibt.“, namenloser Kummer schwankte in ihrer Stimme mit. „Lasst mich euch etwas zeigen.“, sprach Murtagh leise, während er ihr eine Träne weg wischte. Ohne es zu wollen, begann Morrigan den Drachenreiter zu mögen. Er verstand sie, das sah sie in seinen Augen, er sprach mit seinen Augen. Er war einer dieser Menschen, von denen Morrigan gehört hatte; nach wenigen Minuten war man sich sicher die Person ein Leben lang zu kennen. Murtagh war dieser Mensch bei Morrigan. Sie versuchte ihn nicht zu mögen, flehte selbst die Götter an ihn wenigstens ein klein wenig zu verabscheuen, doch blieben diese stumm.Es wäre alles so viel einfacher, wenn sie nicht einander mögen würden. Beide lebten in verschiedenen Welten; er ein Drachenreiter, sie eine Sklavin. Und doch waren sie eins, zwei Seiten einer Medaille, beide Gefangene ihrer selbst. „Kommt!“, sagte er und reichte ihr seine Hand. Klein und kalt lag ihre Hand in seiner, als er sie hoch führte, immer höher zu den Zinne der Burg. Morrigan wusste er war ein Drachenreiter, doch das Geschöpf, das vor ihnen seine Flügel ausbreitete, war schöner und mächtiger als sie es sich je zu träumen wagte. Im Antlitz seiner rubinroten Schuppen fühlte sie sich plötzlich unbedeutend, nicht das sie vorher dachte die Götter hätten ihr ein besonderes Stück geschrieben, doch jetzt begriff sie wie wenig sie eigentlich über die Welt wusste. Sie hatte Urû'baen nie verlassen, war nie weiter als die Felder am äußersten Rand gekommen. Der Drache streckte seinen Kopf mit den allwissenden Augen in die Höhe und stieß einen dunkles Grollen aus, welches Morrigan noch kleiner werden ließ als sie es war. Wimmernd klammerte sie sich an Murtagh, den dieses doch so schöne Geschöpf würde sie töten! Wie imposant konnte der Tod sein? Die Schwingen des Giganten schwankten sich in die Lüfte, dem Wind trotzend. „Kommt!“, sagte Murtagh wieder Gemeinsam und unter Angst nahmen sie auf dem Rücken des wahrlich königlichen Geschöpfes platz. Es kam Morrigan falsch vor, auf ihm zu reiten. Sie war eine Sklavin, nichts wert! Und sie sollte ein solches Geschöpf fliegen? Es war bereits eine Ehre in seiner Nähe sein zu dürfen. Ehe sie weiter nachgrübeln konnte, schmiss der Drache sich von den Zinnen. Ein greller Schrei durchschnitt die Stille. Es war kein gewöhnlicher Schrei, es war ein Schrei der Panik, Angst und Freude zugleich der Morrigans Kehle verließ. Als Dorn der Drache sich dem Wind entgegen schmiss, legte sich nach sehr langer Zeit wieder auf das Gesicht der kleinen Sklavin ein Lächeln. Morrigan spürte den Wind, er wehte durch ihr Haar, schleuderte ihr den Geruch der Nacht entgegen, kalt und rein, machte sie benommen, lockte sie mit seinem wilden und sanften Lied, seiner rauen Stimme. Das Ganze hatte etwas geheimnisvolles, abenteuerliches. Sie tauchten durch Luftströme, ritten auf Wellenkämmen. Morrigan spürte ihren eigenen Körper, atmete Leben ein, atmete Freiheit! Morrigan war glücklich, der Wind rau und sanft, hart und weich. Lust und Risiko. Glück! Ein Gefühl, das sie glaubte zuletzt in einem lange vergessenen Traum wahrgenommen zu haben. Tränen standen in Morrigans Augen, Tränen des Glücks, den sie wusste genauso wie Murtagh, dieser Augenblick ward nicht von Dauer, den es war nur ein Augenblick. Ein Augenblick der Morrigan weich und wieder ein Kind werden ließ. Für diesen Augenblick vergaß Morrigan die Irrwege der Welt, vergaß ihr Misstrauen und ihre Angst. Und so, in diesem kurzen Augenblick voller Glück, öffnete sie Murtagh die Pforten zu ihrem Herzen, um den Weg gemeinsam zu gehen. Kein Weg ist lang mit einem Freund an der Seite. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)