Kleine Hand, großes Herz. von Sopschild ================================================================================ Kapitel 3: Hart und weich ------------------------- Auch der längste Weg beginnt immer mit dem ersten Schritt. . . . . . . . . Morrigan wusste der Weg würde hart werden. Schmerzhaft musste sie erfahren, dass auch hier an diesem Ort das Leben niemandem etwas schenkte. Ihre Arbeit bestand darin, den feinen Damen und Herren am Hofe, wie sie mit Schrecken erfahren musste, alles hinterher zu räumen. Falte die Hände, schau sie nicht an und stelle keine Fragen. Morrigan lernte schnell den Regeln zu folgen. Der Hof war ein Ort voller Schrecken und Wunder zugleich. Dicht an dicht, lebten die Schönen und die Verdammten. Ob die Adeligen wussten, dass Kammern unter ihnen Gefangene gefoltert wurden? Sicher wussten sie es, aber entweder war es ihnen egal, oder sie hatten Angst selbst dort unten zu landen. Es war einfach ein Gemisch, eine Übermaß an ineinander verwobener Leben, Ereignisse, Wunder, Gerüchten und Magie zugleich. Ein Ort an dem sich Unwahrscheinliches und Alltägliches die Hand reichten. Es war der Ort, an dem Morrigan ein neues Zuhause fand. Nun wenn man es so nennen konnte, schließlich war Zuhause der Ort an dem man Willkommen war. Ob dies am Hofe der Fall war, war der jungen Sklavin fragwürdig. Die Arbeit war hart, doch die Kammer in der Murtagh der Drachenreiter Morrigan unter brachte war im Vergleich zu ihrem altem Verschlag kein schlechter Tausch. Obwohl ein leichter Fäulnisgeruch in der Luft hing und die Decke mit braunen Flecken übersät war, war es trocken und warm. Außerdem besaß sie zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder ein Bett. Sie war Murtagh dankbar, keine Frage, schließlich rettete er ihr Leben und gab ihr eine zweite Chance, doch ob sie Sympathien für ihn hegte war ihr nicht bewusst. Sie war sich nicht einmal sicher ob sie ihn mochte. Vertraute sie ihm in jenem schwachen Moment in seiner Kammer, als sie sich in seine Arme schmiss, doch wusste sie nicht, konnte man ihm als Freund vertrauen? Konnte sie ihm so vertrauen wie sie es bei Orwen tat? Vertrauen entstand dort wo man bereit ist sich selbst aufzugeben, ein kleines Stück seiner Maske fallen zu lassen, doch war Morrigan dazu noch nicht bereit. Ja, einmal fiel ihre Maske bereits in seiner Nähe, doch ging sie nun auf Distanz, wollte sie keine Schwäche zeigen, keine Stelle zum verletzen lassen. Der Hof war ein Ort der keine Schwäche verzieh, die Aasgeier warteten nur darauf das sie einen Fehler machte. Sowieso wusste die junge Sklavin, dass die anderen Sklaven über sie redeten, schließlich kannte sie niemand. Sie war eines Tages doch gewesen, noch dazu in der Kammer des Drachenreiters, dem mächtigsten Mannes nach dem König und er war gut zu ihr! Morrigan wusste was die anderen Sklaven über sie dachten. Hübschlerin nannten sie sie! Oft genug riefen sie ihr hässliche Dinge hinterher, behandelten sie wie Dreck, ließen Morrigan wieder an sich zweifeln. Doch sie würde nicht aufgeben, sie musste für Orwen leben, ihren Tod durch ihr Leben ehren. Sie lernte wieder eins mit ihrer Maske zu werden, war ihre Alte zerstört schuf sie eine Neue. Es war, als hätte sie sich in ihrem Inneren ein Nest gebaut. Als säße sie darin versteckt, sicher und geborgen, ließ niemanden an sich ran, während draußen alles weiter funktionierte. Morrigan ließ keinen Schmerz zu, keine Furcht, keine Trauer. Ihr Herz wandelte sich in Stumpfsinn. Nur Abends wenn sie alleine war, die Hände blutig vom schrubben der Böden, ließ sie Tränen zu, beklagte Orwens Verlust. Es war einer dieser Abende, an denen sich Morrigan wünschte an Orwens Stelle zu verweilen, an der Seite der Götter dem Spiel der Lebenden zuzusehen. Morrigans Blick war tränenschwer, ihr Hals rau und trocken vom weinen, als die Türe ihrer Kammer aufgestoßen wurde. Es war der junge Drachenreiter, der sie mit seinem Blick musterte, der so viel sagte und doch nichts. „Seht ihr mich?“, fragte er sie mit der Stimme, die wie Regen klang. Natürlich sah Morrigan ihn, sah die Ketten, in denen er zu tanzen versuchte. Sie wusste er war eine Marionette. Eine störrische vielleicht, aber letztendlich musste er den Befehlen seines Meisters folgen, wie sie auch. Sie waren beide Marionetten, grinsend hingen sie an ihren Fäden und lebten eine Lüge. „Es ist schwerer zu sehen als zu erblinden.“, sagte Morrigan und sie meinte es so. Am Hofe war man glücklich, wenn man sein Herz in Ignoranz tränkte, doch war dies eine Gabe, die ihnen beiden verwehrt blieb. Er setzte sich zu ihr. „Es tut mir leid.“ Als er ihr Unverständnis sah fügte er hinzu. „Ich weiß was die Stimmen im Schloss zwitschern, und dafür möchte ich mich entschuldigen. War es nicht meine Absicht euch in eine Lage zu versetzen die eure Ehre in Frage stellt.“ - „Ich verzeihe euch, doch solltet ihr euch nicht für etwas entschuldigen, was nicht eure Absicht war. Ihr meintet es nur gut, ihr zeigtet mir den Weg, nun ist es meine Aufgabe diesen zu gehen, egal welche Steine mir in den Weg gelegt werden.“, antwortete sie leise und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Ihr seid nicht glücklich.“ Es war eine Feststellung keine Frage. Morrigan war nicht darauf ausgelegt sich mit Murtagh anzufreunden dennoch wollte sie ihn nicht weg stoßen. „ Ihr seid es doch auch nicht. Ist irgendwer glücklich in diesen Gemäuern? Doch solltet ihr euch nicht um meine Gefühle sorgen machen, es ist nicht eure Aufgabe. Es war nicht dieser Hof der meinen Glauben mordete.“ Der junge und doch so alte Drachenreiter schloss die Augen. „Irgendwann wird der Tag kommen, an dem wir gemeinsam Seite an Seite in Richtung Freiheit gehen. Eines Tages wird die Kette der Sklaverei gesprengt.“ - „Macht mir keine Hoffnungen, das wäre grausam. Wir wissen beide, das es kein entkommen gibt.“, namenloser Kummer schwankte in ihrer Stimme mit. „Lasst mich euch etwas zeigen.“, sprach Murtagh leise, während er ihr eine Träne weg wischte. Ohne es zu wollen, begann Morrigan den Drachenreiter zu mögen. Er verstand sie, das sah sie in seinen Augen, er sprach mit seinen Augen. Er war einer dieser Menschen, von denen Morrigan gehört hatte; nach wenigen Minuten war man sich sicher die Person ein Leben lang zu kennen. Murtagh war dieser Mensch bei Morrigan. Sie versuchte ihn nicht zu mögen, flehte selbst die Götter an ihn wenigstens ein klein wenig zu verabscheuen, doch blieben diese stumm.Es wäre alles so viel einfacher, wenn sie nicht einander mögen würden. Beide lebten in verschiedenen Welten; er ein Drachenreiter, sie eine Sklavin. Und doch waren sie eins, zwei Seiten einer Medaille, beide Gefangene ihrer selbst. „Kommt!“, sagte er und reichte ihr seine Hand. Klein und kalt lag ihre Hand in seiner, als er sie hoch führte, immer höher zu den Zinne der Burg. Morrigan wusste er war ein Drachenreiter, doch das Geschöpf, das vor ihnen seine Flügel ausbreitete, war schöner und mächtiger als sie es sich je zu träumen wagte. Im Antlitz seiner rubinroten Schuppen fühlte sie sich plötzlich unbedeutend, nicht das sie vorher dachte die Götter hätten ihr ein besonderes Stück geschrieben, doch jetzt begriff sie wie wenig sie eigentlich über die Welt wusste. Sie hatte Urû'baen nie verlassen, war nie weiter als die Felder am äußersten Rand gekommen. Der Drache streckte seinen Kopf mit den allwissenden Augen in die Höhe und stieß einen dunkles Grollen aus, welches Morrigan noch kleiner werden ließ als sie es war. Wimmernd klammerte sie sich an Murtagh, den dieses doch so schöne Geschöpf würde sie töten! Wie imposant konnte der Tod sein? Die Schwingen des Giganten schwankten sich in die Lüfte, dem Wind trotzend. „Kommt!“, sagte Murtagh wieder Gemeinsam und unter Angst nahmen sie auf dem Rücken des wahrlich königlichen Geschöpfes platz. Es kam Morrigan falsch vor, auf ihm zu reiten. Sie war eine Sklavin, nichts wert! Und sie sollte ein solches Geschöpf fliegen? Es war bereits eine Ehre in seiner Nähe sein zu dürfen. Ehe sie weiter nachgrübeln konnte, schmiss der Drache sich von den Zinnen. Ein greller Schrei durchschnitt die Stille. Es war kein gewöhnlicher Schrei, es war ein Schrei der Panik, Angst und Freude zugleich der Morrigans Kehle verließ. Als Dorn der Drache sich dem Wind entgegen schmiss, legte sich nach sehr langer Zeit wieder auf das Gesicht der kleinen Sklavin ein Lächeln. Morrigan spürte den Wind, er wehte durch ihr Haar, schleuderte ihr den Geruch der Nacht entgegen, kalt und rein, machte sie benommen, lockte sie mit seinem wilden und sanften Lied, seiner rauen Stimme. Das Ganze hatte etwas geheimnisvolles, abenteuerliches. Sie tauchten durch Luftströme, ritten auf Wellenkämmen. Morrigan spürte ihren eigenen Körper, atmete Leben ein, atmete Freiheit! Morrigan war glücklich, der Wind rau und sanft, hart und weich. Lust und Risiko. Glück! Ein Gefühl, das sie glaubte zuletzt in einem lange vergessenen Traum wahrgenommen zu haben. Tränen standen in Morrigans Augen, Tränen des Glücks, den sie wusste genauso wie Murtagh, dieser Augenblick ward nicht von Dauer, den es war nur ein Augenblick. Ein Augenblick der Morrigan weich und wieder ein Kind werden ließ. Für diesen Augenblick vergaß Morrigan die Irrwege der Welt, vergaß ihr Misstrauen und ihre Angst. Und so, in diesem kurzen Augenblick voller Glück, öffnete sie Murtagh die Pforten zu ihrem Herzen, um den Weg gemeinsam zu gehen. Kein Weg ist lang mit einem Freund an der Seite. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)