Lebenswert von SweeneyLestrange (ein alternatives Ende) ================================================================================ Kapitel 3: Überredungskünste ---------------------------- Kapitel 3: Überredungskünste Sweeney blieb keine andere Wahl, er wandte sich an Mrs Lovett: „Kennen Sie einen geeigneten Ort, wo…“ Seine Stimme brach. Schnell versuchte er sich zusammenzureißen und nutzte dafür den Widerwillen, mit dem er der Frau diese Frage gestellt hatte. Er wollte sich nicht eingestehen, dass er sie immer noch brauchte. Sie, diese … Mörderin! Jedoch musste dieses Problem warten. Er würde sich darum kümmern, darauf war Verlass! Währenddessen rang Mrs Lovett mit sich selbst. Es tat so weh, verletzte sie so sehr, wenn sie mit ansehen musste, wie er sie benutzte für seine Lucy. Sie war versucht, ihm die Antwort schuldig zu bleiben, jedoch brachte sie es nicht übers Herz – um seinetwillen. Stumm nickte die Bäckerin. „Folgen Sie mir einfach“, sagte sie mit schwerer Stimme und ging voraus. In tiefes Schweigen gehüllt führte Mrs Lovett ihn durch die finsteren Straßen Londons, bis sie die Kirche erreichten, die sie selbst oft genug aufgesucht hatte. Der Anblick des Gebäudes weckte in Mrs Lovett schlimme Erinnerungen. Hier war ihr Albert bestattet worden, hier sollte er bis zum Jüngsten Tag ruhen. Skeptisch musterte Sweeney Todd die Kirche, die vor ihm aufragte und die sich ohne viel Pracht begnügte. Das musste reichen, entschied er nach kurzem Überlegen und suchte das Pfarrhaus. Schließlich entdeckte er eine kleine Gasse, die in eine Art Hinterhof führte, der bloß noch vom schwachen Licht des Mondes, den graue Wolkenschleier versteckten, beleuchtet wurde. Die schlichte Tür des Pfarrhauses war in den Schatten nur schwer auszumachen, jedoch wusste Mrs Lovett, wo sie sich befand und ersparte Mr Todd die Suche. „Klopfen Sie an!“, bestimmte dieser, kaum dass sie vor dem Eingang des Hauses standen und deutete mit dem Kinn auf den bronzenen Türklopfer. Zögernd kam Mrs Lovett der Aufforderung nach und ließ zaghaft den Ring gegen die Tür fallen. Leise hallte der Schlag in der Stille wider. Dann warteten sie darauf, dass ihnen geöffnet wurde. Als sich nach langer Zeit des Wartens immer noch nichts tat, wandte sich Sweeney verärgert an die Frau an seiner Seite. Zu leise, viel zu leise hatte sie angeklopft, so würde niemand mitten in der Nacht geweckt werden. „Noch einmal!“, wies er sie an. „Und dieses Mal lauter!“ Hätte er seine geliebte Lucy nicht getragen, hätte er es sofort selbst in die Hand genommen. Mrs Lovett wusste nicht, was sie von Mr Todds starrsinnigem Vorhaben halten sollte. Zu solch einer Zeit – es hatte schon lange Mitternacht geschlagen – eine Beerdigung zu verlangen, war wahrlich ein gänzlich falscher Zeitpunkt – das musste ihm doch bewusst sein! Aber als sie in sein starres Gesicht sah, das bis auf einen Anflug von verbissener Entschlossenheit nur Kälte offenbarte, fasste sie sich ein Herz und tat wie ihr geheißen. Kräftig ließ sie den bronzenen Ring gegen die Tür donnern. Die dröhnenden Schläge mussten im ganzen Haus zu hören sein und jeden aus seinem tiefsten Schlaf reißen. Schließlich ertönte ein verärgert klingender Laut aus dem Hausinneren, der den beiden Wartenden bedeutete, dass der Pfarrer bald komme und ein weiteres Klopfen unnötig sei. Trotzdem dauerte Sweeney die Warterei viel zu lang. Ungeduldig starrte er auf die Tür, als wolle er den Geistlichen mit der bloßen Kraft seines Willens herbeizwingen, bis sie sich endlich öffnete und den Blick auf einen schlaftrunkenen alten Mann freigab. Müde blinzelte dieser in die Nacht hinaus, die nun von der kleinen Gaslampe in seiner Hand erleuchtet wurde, wenn er auch nur sehr spärlich. „Ist Ihnen bewusst, wie spät es ist?“, gähnte er und zupfte geistesabwesend an seinem Gewand, das er in aller Eile über sein Nachthemd angezogen hatte. „Welch ein wichtiger Anlass hat sie dazu bewegt, mich zu dieser unchristlichen Zeit aus dem Schlaf zu reißen?“ Die Worte klangen anklagend, doch störte sich Sweeney nicht daran. Alles, was in diesem Augenblick zählte, was für den kümmerlichen Rest seines Lebens zählen würde, war Lucy alles zu geben, wozu er imstande war. „Eine Beerdigung“, brachte er zusammenhangslos hervor und verbesserte sich sogleich: „Ein plötzlicher Tod eines lieben Menschen war es, der mich zum Trotz der späten Stunde dazu getrieben hat, eine Beerdigung zu ersuchen.“ Erst langsam sickerten die Worte zu dem Pfarrer durch und noch länger dauerte es, bis er den vollständigen Sinn erfasst hatte. Stöhnend riss er sich zusammen, bemüht darum, die Augen offen zu halten. Dann sah er den Leichnam. „Grundgütiger!“, entfuhr es ihm entsetzt, als er Lucys leblosen Körper in den Armen des Barbiers sah. „Aber hätte das, so schwer der Tod eines guten Menschen auch ist, nicht bis zur Morgendämmerung warten können? Es ist mitten in der Nacht!“ „Nein!“, zischte Sweeney bedrohlich. Schnell hatte er sich wieder unter Kontrolle und fügte in einem ausdruckslosen Tonfall hinzu: „Mir bleibt nicht viel Zeit hier in London. Wissen Sie, wir waren auf der Durchreise, am Abend hatten wir London wieder verlassen wollen und dann geschah es: Unsere Kutsche wurde überfallen, rücksichtslos plünderten die Halunken unsere Reisetaschen...“ Er hielt kurz inne, als müsse er das Geschehene noch überwinden. Währenddessen rief er sich die Geschichte, die er sich zurechtgelegt hatte, noch einmal in Erinnerung. „Schließlich hatten sie alles Wertvolle unseres Besitzes gefunden. Doch war da auch ein kleiner, schlichter Ring, der nicht mal einen allzu hohen Wert hatte, ein Erbe der Mutter von Lucy. Dieser war die letzte Erinnerung, die sie noch von ihrer Mutter hatte, Sie müssen wissen, dass diese gestorben war, als die kleine Lucy sich im zarten Alter von sechs Jahren befand. So ist es nur verständlich, dass sie vergeblich versuchte, den kostbaren Ring vor den dreckigen Händen zu retten. Doch machten diese schrecklichen Unmenschen nicht einmal vor so einem lieben Wesen, wie es Lucy war, halt. Gnadenlos fielen sie über sie her, entrissen ihr den Ring und … und…“ Sweeneys Stimme versagte. Schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er dieser schreckliche Unmensch war, von dem er sprach. Er war es gewesen, nicht irgendwelche Halunken. Er hatte Lucy umgebracht! „…und schnitten ihr die Kehle durch“, beendete Mrs Lovett den Satz mit rauer Stimme. „Tapfer hat Mr Todd diese furchtbaren Halunken in die Flucht geschlagen, als er sah, dass sie Lucy bedrohten, doch kam jede Hilfe zu spät…“ Erstaunt sah der Barbier auf, zu Mrs Lovett. Wieder hatte sie ihm geholfen. Aber dieses Mal war es ihm gleichgültig. Alles war ihm gleichgültig. Eine dunkle Woge der Leere drohte, ihn mit sich zu reißen, in seinen grässlichen Erinnerungen zu ertränken und nicht mehr gehen zu lassen. Plötzlich war ihm, als greife eine strahlende Wärme nach ihm, die ihn aus der Dunkelheit zog, sanft aber bestimmt. Und dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Als er jedoch den Grund dafür sah, entglitt ihm diese fast wieder. Es war Mrs Lovett, die ihm mitfühlend ihre Hand auf die Schulter gelegt und ihn so vor dem Nichts in sich bewahrt hatte – dabei trug er Lucy auf den Armen, die das hätte tun sollen! Zum zweiten Mal verlor er beinahe die Kontrolle, als er die brodelnde Wut in sich aufsteigen spürte. Wut, auf diese verdammte Frau, die er töten sollte und doch nicht konnte, da er sie für kurze Zeit noch brauchen würde. Mrs Lovett bemerkte den gefährlichen Stimmungsumschwung Mr Todds und nahm traurig die Hand wieder fort. Stattdessen wandte sie sich an den Pfarrer. Mr Todd, dessen war sie sich gewiss, würde in seiner derzeitigen Gefühlslage nicht dazu fähig sein, die gewünschte Beerdigung zu erreichen. Vielmehr befürchtete sie, dass es letzten Endes einen weiteren Toten geben könnte. Mitfühlend erwiderte der alte Mann ihren Blick. „Es tut mir aufrichtig Leid für Sie. Der Tod unter solch einem Umstand ist fürwahr grauenhaft.“ „Ich danke Ihnen“, antwortete Mrs Lovett mit belegter Stimme. „Aber umso schlimmer ist es nun, dass wir kaum mehr Zeit haben, eigentlich schon längst London hätten verlassen haben müssen und jetzt durch diesen schrecklichen Umstand aufgehalten werden. Darum bitte ich Sie, Vater, tun Sie Ihr Möglichstes, um unserer geliebten Lucy ein schnelles und anständiges Begräbnis zu ermöglichen, wie sie es verdient hätte.“ „Ich verstehe Sie, aber so schnell wird das nicht möglich sein. Ich habe viele Pflichten zu erfüllen und Sie wissen doch sicherlich auch, dass eine Beerdigung nicht in solch einem kurzen Zeitraum vonstatten gehen kann“, meinte der Pfarrer, dem die Situation langsam unangenehm wurde. Er konnte sich nicht erklären, woran es lag, doch strahlten die beiden Reisenden etwas Bedrohliches aus und er wünschte sich nichts sehnlicher, als sich wieder in sein Bett begeben zu können. Mit dieser Antwort hatte Mrs Lovett gerechnet. Sie konnte die Absicht ihres Gegenübers, die sich hinter dieser Ausrede verbarg, förmlich in seinem Gesicht lesen. Trotzdem ließ sie sich nichts anmerken, spielte das Spiel mit, darauf bedacht, den Sieg davon zu tragen. Einen Sieg, von dem sie nicht wusste, ob er sich lohnte. „Ja, das weiß ich“, seufzte die Bäckerin bedauernd. „Doch hoffte ich, dass Sie mir helfen können. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den guten Albert Lovett, dessen Beerdigung Sie einst gemacht hatten. Sie waren in dieser Zeit wirklich eine sehr große Hilfe gewesen und ich hegte die Hoffnung, dass Sie mir bei meinem zweiten schweren Schicksalsschlag beistehen könnten…“ Erst nach diesen Worten sah der Pfarrer genauer hin und erkannte in der fremden Frau Mrs Lovett, die ihn einst in tiefer Trauer aufgesucht hatte, als ihr Mann verstorben war. Aber nicht nur das… „Ach Sie sind es tatsächlich, meine Liebe! Verzeihen Sie mir, in der finsteren Nacht habe ich Sie gar nicht erkannt“, rief er entschuldigend. „Nun, dann ist die Situation natürlich eine andere. Ich werde sehen, was sich machen lässt.“ Geistesabwesend hatte Sweeney dem Gespräch zugehört und sich in seinen Gedanken verloren. Nun aber, nach diesen Neuigkeiten, sah er verwundert auf und schenkte Mrs Lovett einen fragenden Blick, den sie mit einem siegesgewissen Lächeln erwiderte. Ja, das musste er ihr lassen, die Frau wusste, was sie tat, doch gefiel ihm das nicht. Schon wieder fühlte er sich benutzt, hatte keinen Einfluss mehr auf die derzeitige Situation und war zu seinem Missfallen auf sie angewiesen. Dennoch war er sich dieses Mal darüber im Klaren, dass es töricht wäre, sie jetzt noch stoppen zu wollen, dafür war er durch sie seinem Ziel schon zu nah gekommen. Mrs Lovett hatte Mr Todds Reaktion bemerkt und für einen kurzen Moment gefürchtet, was geschehen würde. Jedoch schien es, als ließe er sie machen, vertraute ihr vielleicht sogar! Fest entschlossen sein Vertrauen nicht zu missbrauchen und ihm damit zu verstehen zu geben, dass er ihr trotz allem, was vorgefallen war, immer noch viel bedeutete – viel zu viel - , fuhr sie fort: „Vielen Dank, das weiß ich wirklich zu schätzen, aber wäre es irgend möglich Lucy am kommenden Abend zu beerdigen?“ Überraschung spiegelte sich in den trüben Augen des Pfarrers wider und langsam schlich sich zu dem Gefühl der Beunruhigung auch etwas wie Misstrauen. „Wozu diese Eile? Soweit mir bekannt ist, leben Sie doch hier in London, warum ist die Beerdigung dann so dringlich?“ Mrs Lovett gefiel die Richtung nicht, in die das Gespräch verlief. „Mr Todd ist der jüngere Bruder meines lieben Alberts“, erklärte Mrs Lovett bedächtig, jedes Wort wohl gewählt, „und mietet derzeit die Wohnung über meinem Geschäft. Nun ist ihn seine Cousine Lucy aber vom Land besuchen gekommen, um mich und Mr Todd auf den Landsitz seines Onkels einzuladen, wo die Hochzeit des Sohnes von der Schwester Mr Todds stattfinden wird. Zuvor aber wollten wir seiner lieben Cousine noch London zeigen, was mehr Zeit in Anspruch genommen hatte, als gedacht. Nun aber hat sich dieser schreckliche Zwischenfall ereignet und es ist höchste Zeit zum Aufbruch, sonst werden wir letztendlich zu spät kommen. Das möchten wir beide vermeiden, wo doch sein Neffe so sehr auf unsere Anwesenheit hofft. Selbstverständlich ist dies kein Grund, um einen Beerdigung ja nahezu an Ort und Stelle zu vollbringen, statt sie einfach aufzuschieben, doch müssen Sie wissen, Lucy hatte große Angst davor, dass ihr Körper nach ihrem Tode erst Tage oder auch Wochen später in die geweihte Erde kommt. So ist dies nun eins der letzten Dinge, die wir noch für sie tun können, damit sie auf ewig in Frieden Ruhen kann.“ „Nun gut, ich verstehe“, brummte der Geistliche und strich sich nachdenklich über das Kinn, um seine Verwirrung zu verbergen. „Wir werden einen Sarg brauchen. Ich bin mir nicht sicher, ob sich in dieser kurzen Zeit einer beschaffen lässt…“ „Das soll kein Problem sein. Der Sarg muss nicht nach Maß sein, solange er für Lucys Größe ausreichend ist“, meinte Mrs Lovett und versuchte vergeblich den bohrenden Blick Mr Todds zu ignorieren. Sie wusste, dass ihm das nicht recht war, doch mussten sie die Beerdigung so schnell wie möglich vonstatten gehen lassen, ohne viel Aufsehen oder am Ende gar einen verheerenden Verdacht zu erregen. Die Worte der Frau überraschten den Pfarrer. Ihm kam das alles sehr absurd vor und er fühlte sich merklich unwohler, wenn er an die kommende Beerdigung dachte. Trotzdem raffte er sich zusammen und nickte bereitwillig. „Dann ist auch das geklärt“, stellte der alte Mann erleichtert fest. „Wenn Sie mir nun bitte folgen würden… Zwar ist dies kein Ort, an dem sonst die Leichen aufbewahrt werden, doch zu der späten Stunde werden wir wohl eine Ausnahme machen müssen. Außerdem wird es sicherlich Erleichterung für Sie sein, von der schweren Last befreit zu werden - Mr Todd?“ Stumm schüttelte Sweeney den Kopf. Nie würde es zu anstrengend für ihn sein, Lucy zu tragen, sie in seinen Armen zu haben und vor dem wimmelnden Abschaum Londons zu schützen. Trotzdem folgte er dem Pfarrer zu einem Raum, in dem er ihn anwies, den Leichnam abzulegen. Langsam ging der Barbier in die Hocke und legte den kalten Körper seiner geliebten Frau auf das weiße Tuch, das der Geistliche vor ihm ausgebreitet hatte. Obwohl das Gewicht Lucys, das wahrlich nicht viel war, von seinen Armen verschwunden war, verspürte Sweeney keine Erleichterung. So sehr seine Muskeln auch schmerzten, von der langen Zeit, in der sie den ausgemergelten Körper hatten tragen müssen, so breitete sich in ihm schlagartig das schreckliche Gefühl aus, einen lebenswichtigen Teil für immer verloren zu haben. Und der Verlust schmerzte, überlagerte die belanglosen Schmerzen seiner Arme. Viel zu oft hatte er in den vergangenen Jahren solche schwere Arbeit verrichten müssen, nach der er geglaubt hatte, sein Körper sei durch die schwere Last in Stücke gerissen, als dass ihn dieses eine Mal gestört hätte. Nein, viel, viel schlimmer waren diese schrecklichen Schmerzen die der plötzliche Verlust in ihn geschlagen hatte. Mit starrem Gesicht sah er ein letztes Mal auf seine geliebte Frau hinab, deren Schönheit auch all die grausamen Jahre, die sie hatte durchleiden müssen, nichts hatten anhaben können. Bloß versteckt unter all dem Dreck, Elend und Leid war sie, doch er konnte sie erkennen. Erst da bemerkte er, wie sauber Lucys Antlitz war. Das Blut war von der Haut gewaschen und einzig getrocknete Überreste klebten in den Kleidern sowie an der grausamen Wunde, die er ihr zugefügt hatte. Ihm dämmerte, dass dies Mrs Lovetts Werk war, dass sie in der Zeit, in der er untätig in dem Wohnzimmer gesessen hatte, Lucy gewaschen hatte. Ein Gefühl wie Dankbarkeit wollte sich seiner bemächtigen. Erst als er sich das selbstsüchtige Handeln der Frau, das hinter diesem Tun stecken musste, vor Augen rief, schaffte er es, das aufkommende dankbare Gefühl zu ersticken. Mit einem Mal wurde er wieder zurück in die Realität gerissen, als sich etwas Warmes, ja Unangenehmes auf seine Schulter legte. Einem Reflex gleich schüttelte sich Sweeney und vertrieb somit die Hand wieder, die er gespürt hatte. Doch zu seinem Erstaunen musste er feststellen, dass es sich gar nicht um die Mrs Lovetts gehandelt hatte, sondern um die des Geistlichen, der ihm in einer vorgeheuchelten Geste des Mitgefühls seine Hand auf die Schulter gelegt hatte. „So Leid es mir auch für Sie tut, muss ich Sie nun bitten zu gehen. Ein bisschen Schlaf wird Ihnen sicherlich gut tun, Mr Todd. Sie sehen schrecklich aus und trotz der Tatsache, das es lange dauert, bis man den Tod eines lieben Menschen verwunden hat – manchmal nie über diesen hinwegkommt – möchte ich Ihnen in guter Absicht raten, sich auszuruhen und sich selbst Erholung zu gönnen“, sagte der Pfarrer. Dann wandte er sich an Mrs Lovett. „Zu meinem großen Bedauern wird es mir aber nicht möglich sein, die Beerdigung noch am kommenden Abend vorzubereiten. Ich will nichts unversucht lassen und werde versuchen, Ihnen diese für spätestens in einer Woche zu versprechen – mehr kann ich nicht für Sie tun.“ Der gierige Glanz in den Augen des alten Mannes, straften die Worte jedoch Lügen. Von Anfang an war sich Mrs Lovett der Gier bewusst gewesen und gab nun den entscheidenden Anstoß, um ihren Willen zu bekommen. Seufzend holte sie unter ihrem Mieder eine prall gefüllte Geldbörse hervor und ließ das Säckchen mit ihrem gesamten Ersparnis klimpern. Der metallene Klang erfüllte das bedrückte Schweigen und verlieh den trüben Augen des alten Mannes ein gieriges Funkeln. „Zwar waren die Halunken recht gründlich gewesen, doch haben sie das hier übersehen“, erklärte Mrs Lovett in einem unbekümmerten Tonfall und ließ wie unbeabsichtigt die Münzen erneut klimpern. Voller Abscheu betrachtete Sweeney indessen den Pfarrer, in dem eine Wandlung vorgegangen war. Sein Blick klebte an dem dicken Säckchen in Mrs Lovetts Hand und vor Gier rieb er seine schweißnassen Finger aneinander, als würde er das Geld schon fühlen. „Natürlich würde sich Ihr gewünschtes Begräbnis auch für diesen Abend einrichten lassen, nur bin ich ein armer, alter Mann, mein Beruf gibt nicht viel her und die Zeiten sind hart…“ „Ja, das sind Sie in der Tat“, erwiderte Mrs Lovett mit einem harten Ton und fuhr schnell in einem beiläufigeren hinzu: „Ich dachte mir, dass wir Ihren guten Willen belohnen sollten. Ich bin mir sicher Lucy hätte das gewollt, wenn Sie sähe, wie sehr Sie doch für die Erfüllung Ihres letzten Willens sorgen.“ „Ja, ja“, nickte der Pfarrer eifrig, den Blick immer noch auf die Geldbörse geheftet. „Das tue ich. Ich hoffe doch, dass ein Begräbnis beim siebten Glockenschlag am Abend in Ihrem Sinne stand…“ Dieses Mal warf Mrs Lovett Mr Todd einen fragenden Blick zu, der hinter dem Geistlichen stand, wie ein dunkler, unheilverkündender Schatten. Unmerklich nickte Sweeney. „Aber das ist doch wunderbar!“, rief Mrs Lovett überschwänglich und drückte dem Pfarrer ein paar Münzen in die Hand. „Ich werde morgen früh vorbeikommen, um alles Weitere mit Ihnen zu besprechen, wenn Ihnen das recht ist. Ich möchte Sie schließlich nur ungern weiterhin von Ihrem wohlverdienten Schlaf abhalten.“ Hastig umschloss der Geistliche die Münzen mit den dürren Fingern, in Gedanken schon längst bei der Bezahlung, die er noch erhalten würde. Währenddessen trat Mrs Lovett neben Mr Todd. Nach längerem Zögern umfasste sie schließlich seinen Arm sanft und leicht, ohne aufdringlich zu erscheinen. „Kommen Sie“, flüsterte sie leise. „Lassen Sie uns gehen und noch das Bisschen der verbliebenen Nacht ausruhen.“ Doch Sweeney hörte die Worte der Frau nicht. Sein ausdrucksloser Blick war starr auf den Rücken des Pfarrers geheftet. Hinter dieser Leere in seinen dunklen Augen jedoch glomm eine erschreckende Mordlust, die er nur schwer bezwingen konnte. Alles in ihm schrie danach sein Rasiermesser zu ergreifen, sich auf dieses Stück Abschaum zu stürzen und ihm das Leben zu nehmen. Solch ein abartiges Geschwür schimpfte sich Geistlicher! Wie konnte nur so jemand leben, wie konnte so jemandem das wertvolle Leben vergönnt sein? Wie nur? Warum mussten solch reine Geschöpfe wie seine geliebte Lucy sterben, wo doch dieses Ungeziefer am Leben blieb! Der Drang zu töten wurde immer stärker. Ja, dieser Pfarrer hatte es verdient zu sterben, vor seinen Gott zu treten und sich zu erklären! Ein Lächeln wollte sich auf Sweeneys Lippen stehlen. Ein Hauch von Wahnsinn zeichnete sich darin ab, der jedoch schnell von Mrs Lovett zunichte gemacht wurde.Sie hatte Angst um ihn. Sie wollte nicht, dass er immer weniger Herr seiner Selbst wurde. Und in diesem Augenblick war es ihr gleichgültig, wie er reagieren würde, solange sie ihm nur irgend helfen konnte. „Mr Todd!“, sagte sie eindringlich und zog ihn immer noch sanft aber bestimmt in Richtung Tür. „Kommen Sie, wir müssen gehen, schließlich steht uns noch eine Menge Arbeit bevor!“ Den Blick weiterhin starr auf den alten Mann gerichtet, ließ er sich von der Frau mitziehen in Richtung des Ausgangs, bis er sich mit einigen Schwierigkeiten zusammengerissen hatte. Verärgert schüttelte er Mrs Lovetts Arm ab, sagte jedoch dieses Mal nichts dazu, denn ihm war bewusst, dass sie ihn gerade davor bewahrt hatte, die Kontrolle zu verlieren… Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in ihm aus. Sollte er ihr nun dankbar sein? Nein!, fauchte es in ihm. Nicht ihr! Mit einem kurzen Wort des Abschieds an den Pfarrer verließen sie den Raum und traten hinaus auf die Straßen Londons. Während sie den Weg zur Fleet Street einschlugen, konnte Mrs Lovett nicht mehr an sich halten. „Mr T!“, rief sie, in ihrem Ärger so aufgebracht, dass sie unwillkürlich seinen Kosenamen benutzte. „Sie müssen sich zusammenreißen! Sie können doch nicht einfach mit der Leiche ihrer Frau im Arm durch die Stadt gehen und dann auch noch eine sofortige Beerdigung erwarten! Vor allem zu dieser Zeit…!“ Sweeney aber hörte der Frau nicht zu. Er war in seinen Gedanken gefangen, die sich alle darum drehten, wie er den Geistlichen, dieses Stück Dreck, töten würde. „Er verdient es zu sterben“, sagte er auf einmal, den Blick starr ins Leere gerichtet. Mrs Lovett entfuhr ein Seufzer. Er hatte ihr nicht zugehört. Was hätte sie auch anderes erwarten können? Was machte sie sich überhaupt all die Mühe? „Bieten Sie ihm als Dank eine kostenlose Rasur an, Mr Todd. Dann wäre das Problem aus der Welt geschafft“, erwiderte sie schließlich in einem unbekümmerten Tonfall. Sweeney antwortete ihr nicht. In Schweigen gehüllt, lief er einfach immer weiter, alles um sich herum ausblendend, bis sie schließlich das Pastengeschäft erreicht hatten. Ohne ein einziges Wort zu verlieren, ging er die alte knarrende Holztreppe zu seinem Barbiersalon hinauf. Er wollte in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als einfach nur für sich sein und das konnte er nur in seiner kleinen Wohnung, wie sehr sie auch schmerzhafte Erinnerungen in ihm wachrief. Mit einem Ausdruck der Erschöpfung, sah Mrs Lovett ihm nach. Am liebsten wäre sie ihm gefolgt, hätte versucht, in vor seiner inneren Leere zu bewahren, doch wusste sie, dass das in diesem Augenblick vergebens war. Und wie konnte sie ihm überhaupt den Wunsch, allein zu sein, verübeln? Nun, da er die Wahrheit erfahren hatte und schlimmer: Für den Tod seiner geliebten Lucy verantwortlich war? Ein Seufzer entglitt Mrs Lovett bei den Gedanken, während sie sich langsam zu ihrem Bett begab, das ihr die dringend benötigte Ruhe versprach. Sie war müde, so unendlich müde. Für kurze Zeit wollte sie einfach alles vergessen. Ihre Sorgen, ihre Ängste, das Geschehene. Sie wollte einfach nur wissen, dass alles gut werden würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)