Lebenswert von SweeneyLestrange (ein alternatives Ende) ================================================================================ Kapitel 1: Schreckliche Erkenntnis ---------------------------------- Wie nur? Wie konnte ein so kurzer Augenblick alles zerstören? Fassungslos starrte Sweeney auf die Leiche der Bettlerin … seiner Frau. Lucy! Er wollte nicht glauben, was passiert war, nicht akzeptieren, dass er ihr das Leben geraubt hatte und das, nachdem seine Hoffnung, sie je wieder zu sehen, beinahe erloschen war. Gähnende Leere hatte all seine Sinne verschlungen. Er fühlte nichts mehr. Er konnte bloß wie betäubt auf den Leichnam seiner totgeglaubten Frau starren. „Lucy“, flüsterte Sweeney mit schmerzerfüllter Stimme. Allmählich begannen sich wieder die Gefühle in ihm zu regen. Er empfand Entsetzen vor dem, was er getan hatte und einen unendlichen Schmerz, der ihn zu zerreißen schien. Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg, seine schreckliche Tat zu entschuldigen, denn nie und nimmer wäre es ihm in den Sinn gekommen, was geschehen war: Er hatte seine geliebte Frau umgebracht. Und dann durchzuckte ihn die Erkenntnis. Langsam blickte Sweeney auf. All der Schmerz und die Trauer waren verschwunden, als sein Blick auf die Frau fiel, die eigentlich Schuld daran trug, dass er Lucy nicht erkannt hatte und…und. Nein! Es war nie seine Absicht gewesen! Zorn loderte in den schwarzen Augen Sweeney Todds auf, während er dem Blick von Mrs Lovett begegnete. Diesem Blick voller Bedauern und Mitleid. Was gab es für sie schon zu bedauern? Sie hatte es ihm mit Absicht verschwiegen, da halfen auch die leeren Entschuldigungen nicht mehr, mit denen sie die Stille füllte und die ihn nur noch mehr in Rage versetzten. Hass wallte in Sweeney auf, pulsierte durch seine Adern und vernebelte seinen Blick, als er sich erhob, seine vor Zorn lodernden Augen starr auf Mrs Lovett gerichtet. „Sie haben mich angelogen“, flüsterte er tonlos. „Nein, nein ich habe nicht gelogen“, verteidigte sich Mrs Lovett, die sich ihrer Situation bewusst zu werden schien. „Ich sagte bloß, sie habe sich vergiftet, nie…“ Doch da drangen die Worte gar nicht mehr bis zu Sweeney durch. Langsam schritt er auf die Frau zu, die mit angsterfülltem Gesichtsausdruck versuchte sich herauszureden, immer weiter vor ihm zurückwich, bis ihr Rücken gegen die Kellerwand stieß und sie nicht mehr weiter zurück konnte. Diesen Moment nutzte Sweeney aus. „Nun kommen Sie her, meine Liebe“, sagte er und winkte sie mit seinen blutbeschmierten Fingern auffordernd heran. „Es gibt nichts zu fürchten.“ Der unmenschliche Ton in seiner Stimme jedoch strafte die Worte Lügen. Alles um ihn herum schien so unwirklich. Wie durch einen Schleier sah er Mrs Lovett seinen Worten Folge leisten und zögerlich die dargebotene Hand ergreifen. Ein Lächeln verzerrte Sweeneys Gesicht, als er sie packte und den Tanz mit ihr begann. Den Tanz, den sie beide schon zuvor getanzt hatten an dem Tag, an dem der verlogenen Frau die geniale Idee mit der Beseitigung der Kunden in Form von Pasteten gekommen war. Doch dieses Mal handelte es sich um einen gänzlich anderen Anlass. Obwohl es keinen Grund mehr zur Freude gab, versuchte der Barbier die Bäckerin von Gegenteiligem zu überzeugen, sie in Sicherheit zu wiegen. Während er deswegen irgendwelche zusammenhängenden Worte erzählte, welche Mrs Lovetts Vertrauen in ihm stärken würden, war sein Blick die ganze Zeit über starr auf sie gerichtet. Sweeneys Gedanken drehten sich bloß noch um seinen letzten Akt der Rache und den immer näher rückenden Ofen. Er konnte die Hitze des Feuers schon spüren, das dem düsteren Keller mit seinem schwachen Flackern eine unheimliche Atmosphäre verlieh. Ja, es gab nichts mehr für ihn. Sein ganzer Lebensinhalt, der ihm geblieben war, war mit dem Tode seiner Frau und dem des Richters endgültig erloschen. Seine Welt war zerstört. Da war nichts mehr – niemand mehr… Für einen kurzen Augenblick lichtete sich Sweeneys Sicht wieder und er sah auf Mrs Lovett, die ihm gerade etwas von ihrem Traum, ein Leben am Meer gemeinsam mit ihm, erzählte. Es war vorbei, aus und vorbei! Wieder verschleierte roter Nebel des Zorns seinen Blick. „And life is for the alive, my dear!“, rief Sweeney und drehte sich im Takt, der nur ihm und Mrs Lovett bekannt war. „So let’s keep living it.“ Da! Gleich hatten sie den Ofen erreicht! Es waren nur noch wenige Zentimeter, die Hitze des Feuers brannte bereits auf seinem Rücken. Dumpf hörte Sweeney, wie Mrs Lovett ihm zustimmte, während er die letzte schwungvolle Umdrehung ihres Tanzes vollführte. „REALLY LIVING IT!“, brüllte er. Sein abgrundtiefer Hass verlieh ihm unmenschliche Kräfte, sodass es ein Leichtes für ihn war, Mrs Lovett zu heben. Doch gerade, als er sie loslassen und den lodernden Flammen des Ofenfeuers übergeben wollte, schrie eine helle Jungestimme: „Mrs Lovett!“ Sweeney spürte, wie sich etwas mit ganzem Gewicht auf ihn warf, was nicht allzu viel war, ihn aber im Augenblick der Überraschung straucheln und die Bäckerin mit zu wenig Schwung loslassen ließ. Die Flammen griffen nach Mrs Lovetts Kleid, doch gelang es ihr, sich aus dem alles verzehrenden Griff des Feuers zu befreien und die Glut, die in ihrem Kleid steckte wieder zu löschen. Dann starrte sie immer noch zu Tode erschrocken auf das Geschehen, was sich vor ihren Augen abspielte. Sweeney hatte sich an Toby gewandt. Seine dunklen Augen funkelten den Jungen, der seine Rache an Mrs Lovett vereitelt hatte, hasserfüllt an. Das sonst so kalte und ausdruckslose Gesicht war zu einer unmenschlichen Fratze der Wut verzerrt. Wie konnte dieser Junge es wagen, ihn aufzuhalten? Diese Tat würde ihn das Leben kosten! Der Griff um sein Rasiermesser verstärkte sich, sodass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Mit schnellen Schritten ging Sweeney auf Toby zu, der sich ihm tapfer entgegenstellte. „Sie sind ein Monster!“, rief er mit dem Mut der Verzweiflung und wich allmählich zurück, wusste er schließlich, in welcher Gefahr er sich befand. Doch Sweeney ignorierte die Beschimpfungen des Jungen. Unbeirrt folgte er ihm. Nicht mehr lange und es wäre seinem Opfer unmöglich, weiter zurückzuweichen. Als Toby jedoch die Kellerwand im Rücken spürte, drehte er sich flink um und versuchte an Mr Todd vorbei zur Kellertür zu hechten. Sein Vorhaben scheiterte. Mit jedem Schritt, den Sweeney gegangen war, war er ungeduldiger geworden. Er fühlte förmlich, wie sein treuer Freund in der Hand nach dem Blut Tobys verlangte. Als der Junge nun zu entkommen versuchte, reagierte Sweeney blitzschnell. Er packte ihn am Arm und schleuderte ihn gegen die Kellerwand. Hart schlug Tobys Kopf auf dieser auf und er sackte mit einem Stöhnen zusammen. Er glaubte schon, sein letztes Stündlein habe geschlagen, doch wurde ihm der Gefallen auf ein schnelles Ende nicht gewährt. Eisern griff Sweeney nach Tobys Kehle und zog ihn, gegen die Wand gedrückt, auf Augenhöhe hoch. Durch einen schmalen Spalt sah Toby verschwommen auf das unmenschliche Antlitz des Barbiers. Er spürte, wie etwas Warmes, Klebriges seinen Nacken hinunterlief. Keine Regung des Mitleids, war auszumachen, als Sweeney auf den Jungen starrte. Wenn er glaubte, Mrs Lovetts Tod verhindern zu können, so sollte er nun am eigenen Leib erfahren, was es bedeutete, zu sterben. Sweeney verstärkte den Druck seines Griffes um Tobys Hals, sodass der Junge kaum mehr Luft bekam. Dann ließ er ihn los und holte aus. Im gleichen Augenblick als Toby seine Lungen röchelnd mit der köstlichen Luft füllte, besiegelte der Barbier sein Todesurteil. Mit einer vertrauten Bewegung schnitt er ihm die Kehle durch. Blut sprudelte hervor, tränkte Sweeneys Kleidung und vertiefte bloß die Farbe, die so schon unverkennbar seine grausigen Taten verriet. Es war ihm jedoch gleichgültig. Der Blick, mit dem er auf sein neuestes Opfer starrte, war leer. Irgendetwas war in dem Moment, in dem aus Tobys Körper der letzte Funke Leben entwichen war, erloschen. Eine alles verschlingende Leere breitete sich in ihm aus und beraubte ihn jeden Gefühls. Schmerzlich und mit voller Härte drang die bittere Erkenntnis in sein Bewusstsein. Er hatte alles verloren, was das Leben lebenswert gemacht hätte und die Menschen um ihn herum, die ihm irgendetwas bedeuteten, waren tot! Sein blutbeflecktes Rasiermesser fiel klirrend zu Boden. Sein getrübter Blick irrte durch den Keller. Dieses Mal war es nicht unbändige Wut, die seine Sicht verschleierte, dieses Mal war es der Verlust seines Lebenswillen. Doch halt! Sweeney stockte. Waren wirklich alle tot? Noch nicht! Erst da wurde ihm wieder Mrs Lovett gewahr, die ihn in einem sicheren Abstand zum Ofen beobachtete. Ja, auch sie sollte noch sterben, hatte das Leben nicht mehr verdient. Langsam schritt Sweeney auf die Frau zu. Alles in ihm fühlte sich an, als sei es aus Blei und jeder Schritt, jede Bewegung kostete ihn mehr Kraft. Er verdankte es schließlich einer unglaublichen Willensanstrengung, dass er nicht einfach zusammengesunken war, um auf das Ende zu warten. Nur der Gedanke, dass er auch noch Lucys Tod rächen musste, zählte und hielt ihn am Leben. Von diesem Gedanken beseelt, hatte Sweeney Mrs Lovett endlich erreicht. Mit grimmiger Miene starrte er sie an. Doch in seinen dunklen Augen spiegelte sich bloß die Leere, welche in seinem Inneren herrschte, wider. Nicht wie sonst pure Mordlust oder abgrundtiefer Hass. In einer vertrauten Geste griff der Barbier nach seinem Rasiermesser, nur um feststellen zu müssen, dass es nicht da war, sondern außerhalb seiner Reichweite auf dem Kellerboden ruhte. Egal! Es gab auch andere Mittel, mit denen er Mrs Lovett das Leben nehmen konnte. Als er jedoch nach ihrer Kehle greifen wollte, taumelte er und hielt sich stattdessen an ihrer Schulter fest. Mit verbissenem Gesichtsausdruck sah er in ihr Gesicht. Sein finsterer Blick, der die Verzweiflung nicht ganz verbergen konnte, begegnete dem der Bäckerin. Diese sah den Barbier mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen an. Als sie jedoch seinen Verfassungszustand erkannte, füllten sich ihre dunkelbraunen Augen mit Tränen. Es durfte einfach noch nicht enden! Nicht so! „Mr T“, flüsterte sie und griff nach seiner eiskalten Hand. Sweeney spürte die warme Hand auf der seinen und für einen kurzen Moment wünschte er sich, einfach die Augen zu schließen, alles zu vergessen und einzig und allein die wohltuende Wärme zu fühlen. Aber der Wunsch wurde sogleich von seinen Rachegedanken, an die er sich verbissen klammerte, als seien sie seine letzte Rettung, zunichte gemacht. Unsanft schüttelte er Mrs Lovetts Hand ab. Ihre Tränen entgingen ihm dabei nicht, doch schenkte er ihnen keine Beachtung. Stattdessen wollte er sich von ihr abwenden, um mit seinem „Freund“ Vergeltung zu üben, bis ihm wieder einfiel wie unerreichbar dieser für ihn im Augenblick war. Dennoch versuchte es Sweeney nicht so zu belassen. Er ließ von Mrs Lovett ab und machte einen Schritt auf sein Rasiermesser zu, als ihn plötzlich ein Schwindel ergriff, der ihn zu Boden zwang. Allmählich verstärkte sich das Gefühl in ihm von einer unbegreiflichen Schwere niedergedrückt zu werden, die ihn nicht mehr atmen ließ. Einem schleichenden Gift gleich hatte sie sich in ihm ausgebreitet, lähmte ihn und erstickte seinen kümmerlichen Rest an Lebenswille. Warum sich nicht einfach hinlegen, auf einen Boden, der mit dem Blut der Opfer seiner eigenen grausigen Taten getränkt war? Warum nicht einfach die Augen schließen und vergessen? Vergessen, wie die Süße eines glücklichen Lebens schmeckte. Vergessen, was geschehen war. Vergessen, wie man atmete, am Leben blieb. Ja, das sollte sie sein. Seine Erlösung! Sweeney schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken, als würde eine sanfte Brise sein Gesicht umspielen und gab den Verlockungen nach. Er gab das Leben auf. Es zerriss Mrs Lovett nahezu, ihren geliebten Mr Todd so am Ende zu sehen. In ihr rangen die Gefühle miteinander, als sie langsam in die Hocke ging und sich ihm näherte. Sie musste etwas tun, das war ihr bewusst, denn ansonsten würde sie ihn verlieren. Und das wollte sie um keinen Preis zulassen! Eher würde sie sterben! Nur täte sie das nicht sowieso? Er hatte sich noch nie etwas aus ihr gemacht. Nicht nur das: Hatte sie nicht sogar beinahe durch seine Hand den Tod gefunden? Es war die Angst, die ihr immer noch tief in den Knochen steckte, welche ihr die Zweifel einflüsterte. Sie dazu bringen wollte, Mr Todd aufzugeben und ihr eigenes Leben weiterzuleben. Doch das konnte Mrs Lovett nicht mehr. Sie war schon längst an den dämonischen Barbier verloren, an Sweeney Todd. Ihr Herz schlug immer noch für ihn und es sollte wohl auch weiterhin so sein. Schließlich hatte Mrs Lovett ihre Zweifel niedergerungen. Ihr letztes bisschen Furcht ignorierend, ergriff sie Sweeneys Arm. „Mr T“, hauchte sie. „Es ist noch nicht vorbei, ihr Leben ist noch nicht zu Ende.“ Regungslos lauschte Sweeney den Worten. Nur langsam bahnten diese sich einen Weg bis in sein Bewusstsein. Länger brauchte es jedoch, bis er den vollständigen Sinn des Gesagten erfasst hatte. Er sah keinen Grund, warum sein Leben nicht zu Ende sein sollte. Mit einem verächtlichen Lächeln auf den Lippen, schaute Sweeney Mrs Lovett an. „Es ist vorbei, meine Liebe. Was hat das Leben jetzt noch für einen Sinn?“ Aber insgeheim wusste er die Antwort, war da schließlich auch diese Wärme an seinem Arm, diese Wärme, die ihm das Gefühl von Geborgenheit schenkte… „Sie sollten schon längst tot sein“, fügte der Barbier finster hinzu. Zum Teufel mit der Wärme! Allein Lucy vermochte es, ihn zu retten, nur sie und sie war…tot! Der Gedanke an seine Frau genügte und seine Trübsal hatte ihn wieder fest im Griff. „Doch bin ich es nicht“, erwiderte Mrs Lovett trocken und fügte mit einem Hauch von Zärtlichkeit in der Stimme hinzu: „Dank Ihnen, Mr T!“ Sweeney wollte darauf keine Antwort geben. Vielmehr plagte ihn die Frage, warum dem so war und die Bäckerin immer noch voller Leben neben ihm hockte. Als Mrs Lovett klar wurde, dass sie keine Antwort erhalten würde, erhob sie sich seufzend wieder. Während sie ihr Kleid glatt strich, meinte sie: „Finden Sie nicht auch, dass es langsam an der Zeit ist, diesen unseligen Ort hier zu verlassen?“ Auch wenn sie damit eigentlich nur den Keller meinte, befand sie sich in Gedanken längst am Meer zusammen mit Mr Todd. Dort gab es keine Sorgen, die sie plagten, sie führten einfach nur ein verdientes glückliches Leben. Kaum, dass die Worte ausgesprochen waren, befiel Sweeney die Gewissheit, nicht mehr den Keller verlassen zu wollen. Hier war seine Lucy. Bei dem Gedanken huschte sein Blick zu dem schattenhaften Umriss, der kurz vor dem Fleischwolf lag. Schon wieder zog sich alles in ihm zusammen und raubte ihm den Atem. Es hatte keinen Zweck, das sah Mrs Lovett sofort. Also legte sie sich kurzerhand seinen Arm um den Hals und zwang ihn mehr oder weniger zum Aufstehen. Widerstandslos ließ es Sweeney geschehen. Warum nur konnte diese Frau nie Ruhe geben? Was hatte sie davon, wenn er aus dem Keller herauskam? Gar nichts. Oder? Trotzdem ließ er sich hinauf in die Küche führen und von dort aus in seinen Barbier Salon. „Vielleicht sollten Sie für heute Nach doch lieber in der Küche bleiben“, meinte Mrs Lovett nach einem kurzen Blick durch den Raum, der immer noch vom schrecklichen Blutbad zeugte. Das würde eine Menge Arbeit bedeuten, ging es ihr durch den Kopf. Doch verdrängte sie diese Gedanken schnell und widmete Mr Todd erneut ihre volle Aufmerksamkeit, der, wie sie es erwartet hatte, keine Antwort von sich gab. Plötzlich aber kam wieder Leben in Sweeney. Mit einem Mal fiel ihm der Junge ein, der letzte noch verbliebene Zeuge seiner Gräueltaten. Ein kurzer Blick genügte und der Barbier sah, dass der Bursche längst verschwunden war. Dafür jedoch weckte der Anblick seines Barbiersalons die noch frische Erinnerung an seine kürzlich verübten Morde und unweigerlich an Lucy. Lucy… Sweeney unterdrückte ein qualvolles Stöhnen, als sich in seinem Geiste die schreckliche Tat wiederholte. Immer und immer wieder. Er konnte hier nicht die restliche Nacht verbringen. Nicht jetzt! Sein Schweigen und der Schmerz in den dunklen Augen war Mrs Lovett schließlich Antwort genug. „Kommen Sie“, flüsterte sie und zog ihn sanft mit sich zur Tür hinaus. In der Küche würde er gewiss nicht schlafen können, das war der ihr bewusst. Vor allem, wenn am nächsten Morgen ihre Kunden das Geschäft aufsuchten. Was diese wohl zu einem über und über mit Blut besudelten Barbier sagen würden? So genau wollte Mrs Lovett das gar nicht wissen. Aus diesem Grund führte sie ihn nach längerem Überlegen in ihr Wohnzimmer. Dass die blutgetränkte Kleidung ihr Sofa beflecken würde, daran verschwendete sie keinen Gedanken, als sie Mr Todd auf das weiche Möbelstück setzte. Eine Weile lang geschah nichts. Keiner der beiden verlor ein Wort oder rührte sich auch bloß einen Zentimeter. Sweeney starrte mit ausdruckslosem Gesicht ins Leere. In ihm herrschte ein einziges Durcheinander. Er wusste nicht mehr, was er tun sollte, was er denken sollte, ob er lieber tot oder lebendig sein wollte. Er wollte nur eins: Seine Lucy zurückhaben – und das war unmöglich. Mrs Lovett indessen beschäftigten vielmehr die Probleme, die Sweeneys Rache mit sich gebracht hatte. Im Keller warteten vier Leichen auf sie, darunter die Frau des Mannes, den sie liebte; der Barbiersalon sah schrecklich aus, dort hieß es erst einmal alle Spuren beseitigen, die das Blutbad an Turpin zurückgelassen hatte. Und wie sollte sie überhaupt das Verschwinden des Richters ebenso wie das des Büttels erklären? Doch am wichtigsten war: Was machte sie mit ihrem geliebten Mr Todd, der das Leben so gut wie aufgegeben hatte? Sie wusste es nicht und wünschte vergebens ein bisschen Hilfe von seiner Seite. Stattdessen kam ihr ein anderer Entschluss. An den Barbier gewandt, sagte sie: „Warten Sie hier!“, und verschwand. Ausdruckslos sah Sweeney ihr nach. Was sollte er auch anderes tun, fragte er sich, doch es war ohnehin egal. Alles war ihm so gleichgültig. Selbst Zeit hatte keine Bedeutung mehr für ihn. Deshalb konnte er auch nicht sagen, ob Mrs Lovett nun lange gebraucht hatte oder nicht. „Hier bitte“, sagte sie und reichte ihm einen nassen Lappen, den sie zusammen mit einer Schüssel Wasser geholt hatte. „Sie sollten sich wenigstens das Blut aus dem Gesicht waschen, Ihre Kleidung können Sie meinetwegen noch anbehalten.“ Wortlos griff Sweeney nach dem Lappen und wusch sich sein Gesicht. Das kalte Wasser klärte seine Gedanken wieder ein wenig und holte ihn zurück in die Realität. Während sich Lappen und Wasser immer rötlicher färbten, bemühte sich der Barbier vergebelich seine Gedanken zu ordnen und zu entscheiden, was zu tun war. Währenddessen Mrs Lovett ging wieder in den Keller, um dort mit der zurückgelassenen Arbeit zu beginnen. Ihre Abwesenheit war eine Wohltat für Sweeney. Er konnte es sich nicht erklären, doch verwirrte ihn die Anwesenheit der Frau in diesem Augenblick nur und das konnte er bei weitem nicht gebrauchen. Es war so schon schwierig genug, sein inneres Gefühlschaos unter Kontrolle zu bekommen, da brauchte er nicht auch noch unnötige Ablenkung. Schließlich kam er zu dem Schluss, dass er Wohl oder Übel eine Weile lang am Leben bleiben musste, bis er seine Erlösung bekommen würde. Solange gab es bloß eine Aufgaben, die er erfüllen konnte. Rache! Und langsam nahm ein Plan in seinem Kopf Gestalt an. Sweeney wusste endlich, wie er seinen restlichen, lästigen Rest an Lebenszeit vollbringen würde. Als hätte Mrs Lovett geahnt, dass er letztendlich wieder zu sich gefunden hatte, kam sie zurück ins Wohnzimmer und legte ihm sein blutiges Rasiermesser auf den Tisch. „Ich weiß nicht, wofür Sie das weiterhin gebrauchen wollen, doch denke ich, dass es nicht die ganze Zeit über im Keller, wo keiner etwas damit anfangen kann, liegen sollte. Finden Sie nicht auch?“ Ohne sich zu einer Antwort herabzulassen, griff Sweeney nach dem Rasiermesser. In dem Moment, als er das mittlerweile so vertraute Metall in seiner Hand spürte, wurde er von der Gewissheit gepackt, dass eine neue Zeit angebrochen war. Eine Zeit, die der vergangenen in ihrer Grausam- und Trostlosigkeit in nichts nachstehen sollte. Gemeinsam mit dieser plötzlichen Erkenntnis fand eine Wandlung in ihm statt. Nie wieder wollte er sich noch einmal seinen Gefühlen hingeben, sich von ihnen kontrollieren lassen! Nein, von nun an, sollten es Kälte und Gleichgültigkeit sein, die in ihm herrschen würden. Als der Barbier wieder aufsah, kam es Mrs Lovett vor, als sei er ein anderer. Sein einst so hasserfüllter Blick, gepaart mit einer Mischung aus Schmerz und Leere, war erloschen und einer kalten Gleichgültigkeit gewichen, die keine Gefühlsregung mehr preisgab. Mit ausdrucksloser Miene betrachtete er sein Rasiermesser, seinen treuen Freund, doch selbst ihm gegenüber zeigte er nicht das kleinste Fünkchen Zuneigung, wie es sonst immer der Fall gewesen war. „Sie werden Hilfe benötigen, wenn Sie bis zum Morgengrauen alle Spuren beseitigt haben wollen“, sagte Sweeney knapp. Erstaunt sah Mrs Lovett ihn an. Bis vor wenigen Minuten hatte sie überhaupt gezweifelt, dass er je wieder ein Lebenszeichen von sich geben würde und nun das… Sie wusste nicht, ob ihr sein neuer Zustand tatsächlich besser gefiel als der alte, depressive, in dem er jedes bisschen Lebenswillen aufgegeben hatte. Der neue jedoch beunruhigte sie vielmehr, machte ihr Angst und gab ihr das schreckliche Gefühl ein Niemand für Mr Todd zu sein. Schnell beeilte sie sich, eine Antwort zu geben, auch wenn ihn diese wahrscheinlich gar nicht interessierte. „Ja, da haben Sie Recht, Mr T-…Todd“, entgegnete Mrs Lovett hastig und dieses eine Mal zögerte sie, den Kosenamen für den Mann zu benutzen, der jetzt vor ihr stand. „Vielleicht können Sie mir im Keller helfen – der Richter und auch die anderen tun meinem Rücken nicht sehr gut…“ Sweeney nickte nur und ließ nicht erkennen, was er von ihrem Vorschlag hielt. Er dachte bloß daran, so schnell wie möglich alle Spuren seiner Taten zu beseitigen. Nichts sollte mehr darauf hindeuten, was in dieser Nacht geschehen war. ~***~***~***~***~ Nach bisherigem Stand der bereits fertigen Kapitel und der, die noch geschrieben werden müssen, wird wohl alle drei Wochen ein neues Kapitel hochgeladen werde. Auf diese Weise wird das hoffentlich ein fließender Ablauf an Kapiteln bis zum Fanficende bleiben. Außerdem muss ich mich noch für den Gebrauch der englischen Lyrics entschuldigen, aber auf Deutsch hätte es für mich einfach nicht gewirkt. Ansonsten hoffe ich, dass das Kapitel gefallen hat :) Lg, SweeneyL Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)