Lichtbringer von MilliBee (Der Fall des Lichkönigs einmal anders...) ================================================================================ Kapitel 1: Sturmgipfel ---------------------- Es war einer dieser unglaublich klaren Frosttage. Schnee glitzerte auf den mächtigen Gletschern der Sturmgipfelberge, die gewaltig und schroff gen Himmel ragten – einem tiefblauen Sonnenhimmel, an dem sich hoch oben und mit geradezu unwirklicher Schärfe der Mond abzeichnete. Es war so klar, dass man bis in weite Ferne jeden einzelnen Gipfel erkennen konnte – Gipfel die sich für gewöhnlich in sturmzerrissenen Wolken versteckten. Die Feuchtigkeit der durch die Sonne erwärmten Schneeflächen gefror in der Kälte schon beim Aufsteigen. Gleißende Sonnenstrahlen reflektiert von den unzähligen Facetten der winzigen Eiskristalle brachten sogar die Luft zum Funkeln. Irgendwo in der Ferne kreisten zwei Schneeadler und ihr lang gezogener, klagender Schrei verlor sich in der weiten, weißen Einsamkeit. Vielleicht, weil es so unglaublich klar war, vielleicht hatte er sie gerade deswegen nicht gesehen. Vielleicht aber auch weil niemand mit ihnen hier gerechnet hatte. Nicht hier, soweit waren sie noch nie hinausgekommen. Sie griffen direkt aus der Sonne an und als das leise, bösartige Zischen durch die klare Stille der Frostluft drang, war es schon zu spät. Mit einem dumpfen, hässlichen Schmatzen drang der schwarze Pfeil direkt durch den Hals des hoch gewachsenen Nachtelfen. Der Elf griff sich an die Kehle und sackte mit einem leisen, in einem Gurgeln erstickenden Schrei zusammen. Zwischen seinen Fingern strömte in pulsierenden Schüben das rote Blut und malte bizarre Muster in den Schnee. „Runter! Runter vom Gletscher!“ Wild gestikulierend zeigte Golofin Gnollhammer, Fährtenleser des Erkundungstrupp seinen Gefährten die Richtung die sie nehmen sollten. Während der Rest der einstmals neunköpfigen Patrouille auf ihren Schneeschuhen so schnell es ging durch den dichten Schnee in die angegebene Richtung stolperte hatten zwei der Zwerge bereits ihre Vorderlader gezogen und zielten blind in die Sonne. „Kommt da weg, ihr habt keine Chance, rennt!“ brüllte Golofin und blieb kurz stehen. Ein Schuss knallte. Fast im selben Moment ertönte zweimal ein dumpfer Aufprall. Im Gegenlicht sah Golofin noch, wie die beiden plump in den Schnee sanken- einer erhob sich schwankend wieder, versuchte noch ein paar Schritte zu rennen. Wieder ein Zischen, ein dumpfer Einschlag. Der Zwerg sank zu Boden und rührte sich nicht mehr. Golofin drehte sich entsetzt um und eilte weiter, seine drahtigen rötlichen Bartzöpfe wild auf und ab hüpfend. Dicht neben seinem Ohr zischte ein weiterer Pfeil vorbei. So schnell ihn seine kurzen Beine tragen konnten, versuchte er zu den anderen aufzuschließen. Wieder ein Zischen, ein harter Stoß traf ihn in den Rücken, ließ ihn taumeln aber er konnte sich noch gerade fangen und hastete weiter. Der Pfeil hatte sich mitten in seinen Ledertornister gebohrt. Bei den ersten Krüppelkiefern am Rande des Gletschers holte er seine Gefährten wieder ein, und er musste sich nicht umdrehen um zu wissen, dass ihnen die Verfolger dicht auf den Fersen waren. „Runter ins Tal, bleibt dicht an den Bäumen!“ Seine knorrige Stimme drang dumpf durch die aufgewirbelten Schneewolken. Mehr rutschend als laufend stürzten sie den steilen Hang hinab, furchten eine tiefe Schneise in den Schnee, der zu ihren Seiten ins Rutschen kam und ihnen den Halt nahm. Purzelnd, sich überschlagend wurden sie vom Schnee mitgerissen, konnten in ihrem nahezu unkontrollierten Sturz gerade noch den Bäumen ausweichen. Ein lang auslaufendes Plateau stoppte ihre wilde Rutschpartie. Erstaunlich beweglich in der dick gefütterten Schneekleidung kam Golofin wieder auf die Beine, rückte seinen Tornister in Position und sah den Hang hoch. Für einen Moment meinte er zwei wieselflinke schwarze Schemen hinter die Bäume huschen zu sehen. Mit aufsteigender Panik sah er sich zu den anderen drei um, die den Weg mit ihm hinabgeschafft hatten – es waren nur noch Mirdin, der schmale Hochelf sowie die beiden Menschen Garrett und Saana bei ihm. Murtan und Bevis, die beiden anderen Waldläufer aus Sturmwind hatte es offensichtlich auch erwischt, keine Spur von ihnen war zu sehen. „Wir müssen weiter,“ keuchte Golofin. „Sie sind noch dran!“ Leise keuchend stapften sie durch den tiefen Schnee entlang des auslaufenden Plateaus und erreichten bald einen schmalen, völlig verschneiten Pfad, der sich wie ein kleiner Sims die steile Bergwand hinabschlängelte. Einer nach dem anderen tastete sich vorsichtig auf dem glatten Weg voran. „Seuchenpirscher! Hier!“ Garrett atmete schwer, feiner weißer Nebel stieg aus seinem Mund und vereiste in seinen struppigen Barthaaren. „Soweit sind sie noch nie‚ rausgekommen.“ Er spuckte aus. „Wenn wir das Lager nicht rechtzeitig erreichen, haben wir keine Chance, in diesem Schnee ist es unmöglich, die Spuren zu verwischen,“ Saanas Stimme zitterte, die junge Waldläuferin aus Seehain war erst vor kurzem zu ihnen gestoßen. Ihr kleiner Erkundungstrupp gehörte zu der Vorhut des Argentumskreuzzuges, der seine Beobachtungsposten aufgrund der seit einigen Tagen verstärkt zugenommenen Geißelaktivitäten weit in die Sturmgipfel hinein verlegt hatte. Golofin fluchte leise. „Ich hätte sie sehen müssen, ich hätte sie verdammt noch mal sehen müssen!“ Garrett schüttelte den Kopf. „Die hätte keiner von uns gesehen, die kamen direkt aus der Sonne. Verrottetes Pack, soviel Intelligenz hätte ich denen gar nicht zugetraut.“ „Die sind noch da, ich habe da wieder was gesehen!“ Mirdins helle Stimme von hinten klang panisch. „Schneller! Wir müssen an der Schlucht vorbei zum Tannenhang!“ zischte Golofin. „Da können wir sie vielleicht abhängen!“ So schnell es auf dem vereisten Felssims ging, schoben sie sich entlang der steilen Wand weiter. Der zerklüftete Berg warf einen dunklen Schatten ins Tal. War es vorhin noch blendend hell auf dem Gletscher gewesen, so herrschte hier bläuliches Zwielicht. Aus dem Dunkel des Tals stiegen träge weiße Eisnebelwolken. Der leuchtende Frosthimmel, der gelegentlich über ihnen zwischen den Felsen aufblitzte, färbte sich allmählich rosa. Die Sonne ging unter. Und sie waren noch längst nicht in Sicherheit. Unterhalb des Tals drang ein entsetzlich schrilles Kreischen zu ihnen nach oben. Für einen Moment war wieder Stille, dann antwortete ein ähnlich unheimliches Kreischen auf der anderen Seite. „Harpyien“ knurrte Golofin. „Die haben uns jetzt gerade noch gefehlt.“ Besorgt sahen sich die vier um, aber es war wieder still. Das pfeifende Zischen hörten sie erst in dem Moment, als Mirdin aufstöhnend den Pfeil in seiner Schulter packte. Er sackte zusammen, verlor das Gleichgewicht und fiel hintenüber. Blitzschnell griff Garrett zu, bekam Mirdins Fellkragen zu fassen. Aber das vereiste Fell entglitt seinen Händen und bevor es ihm gelang nachzufassen, war der schmächtige Elf schon aus seiner Reichweite gekippt. Das letzte, was sie von ihm sahen, war der Blick seiner entsetzen, himmelblauen Augen als er in die Tiefe stürzte. Saana schluchzte auf und starrte in die Schlucht. Golofin riss sie mit sich. „Mädchen, beweg’ dich, oder willst du die nächste sein?“ „Woher kam der Pfeil?“ Hektisch sah Garrett sich um während er Golofin und Saana den Pfad hinabfolgte. „Ballistisch gesehen von der anderen Seite,“ schnaufte Golofin im Laufen. „Aber das ist jetzt auch egal, je dunkler es wird, desto besser können diese Biester sehen! Bleibt nicht stehen!“ In diesem Moment kreischte es direkt neben ihnen auf. Saana verharrte wie angewurzelt und starrte vor Angst gelähmt auf das krallenbewehrte, geflügelte Wesen, das sich vor ihr aus dem Eisdunst herausschälte. Die Harpyie sah sie mit ihren boshaft gelbleuchtenden Augen direkt an, den roten Federschopf hoch aufgerichtet. „Lauf, Saana!“ Garrett riss sein Schwert aus der Scheide, stieß sie zu Seite und hieb in Richtung der Harpyie, die zornig kreischend zurückflatterte um Garretts Angriffen auszuweichen. Ihre blitzenden Krallen schnellten vor – aber Garrett war schneller und schlug mit einem gezielt geführten Schwertstreich eine ihrer Klauen ab. Ohrenbetäubendes Kreischen erfüllte das Tal, als die Harpyie in den Dunst hinabstürzte. Garrett steckte sein Schwert wieder ein und lächelte Saana und Golofin erleichtert zu. Dann gefror sein Lächeln. Wie eine gefällte Tanne kippte er vornüber. Der schwarze Pfeil in seinem Rücken vibrierte noch. Saana begann zu schreien. Golofin hasste es tun zu müssen, aber im blieb keine andere Wahl. Er zog seinen Handschuh aus und wollte Saana eine schallende Ohrfeige verpassen, als der Boden unter ihnen beiden wegbrach. Umhüllt von einer Wolke aus Eis und Schnee stürzte Golofin in die Tiefe, prallte ein paar Mal schmerzlich auf vereistem Gestein auf, rutschte weiter und fiel immer schneller werdend durch den Eisnebel. Ein harter Ruck ging durch seinen Körper - der Sturz hatte ein jähes Ende gefunden. Er schwebte irgendwo im eisigen Nichts, baumelte leise hin- und her. Nach einem kurzen Moment der Irritation begriff er, was passiert war. Sein Tornister war an einem mageren Baum, der direkt über ihm aus der Wand wuchs hängen geblieben. Und unter ihm gähnte durch die Eisnebel die Schwärze der Vysjeddholdschlucht. Golofin versuchte das Zittern seines Körpers unter Kontrolle zu bringen, er wagte zunächst kaum zu atmen aus Angst, dass eine falsche Bewegung den Baum abbrechen könnte. Dann wurde ihm langsam klar, in welch aussichtsloser Lage er sich befand. Es gelang ihm nicht, den Baum mit seinen Händen zu greifen. Und niemand würde ihn hier, irgendwo im Nichts zwischen Himmel und Erde finden. Stockend holte er Luft. Es war aus, vorbei mit ihm. Er stieß ein trockenes, humorloses Lachen aus. War es Schicksal, das er, der erfahrene Fährtenleser, der seine Gruppe nicht rechtzeitig vor der drohenden Gefahr gewarnt hatte nun als Letzter hier im Nirgendwo hing, um vor seinem Tode noch einmal über sein Versagen nachdenken zu dürfen? Resigniert begann er, soweit es ihm gelang seine Taschen nach seinem Messer zu durchsuchen. Nein, bevor ihn die Krähen und Harpyien hier bei lebendigem Leibe auffraßen, würde er dem Ganzen selbst ein Ende setzen. Er stieß einen leisen Fluch aus. Das Messer war ihm offensichtlich beim Sturz aus der Tasche gefallen. Ein flüsterndes Knacken von seinem Tornister ließ nichts Gutes erahnen. Gequält schielte er schräg nach oben. Ganz offensichtlich würde es sich wohl gleich von ganz alleine erledigen. Dann sah er im der eisigen Dämmerung das schwache grüne Leuchten eines Augenpaares direkt oberhalb des kleinen Baumes. Oder so. Er schloss die Augen und wartete auf den Aufprall des Pfeils. „Herr Zwerg! Hallo Herr Zwerg! Nehmt meine Hand!“ Eine helle klare Frauenstimme. Eine dunkle, zierliche Gestalt, das Gesicht größtenteils verborgen unter einer buschigen Fellkapuze hatte sich an einem schmalen Tau den Hang hinab gelassen, stemmte sich jetzt mit dicken Fellstiefeln von der Felswand ab und streckte ihm eine schmale, weiße Hand entgegen. Ächzend versuchte Golofin etwas Schwung zu holen, schaukelte kurz hin und her und griff dann zu. Augenblicklich schlang die Fremde ein Seil um sein Handgelenk und zog es mit einem Ruck fest. Dann reichte sie ihm ein weiteres Seil mit einer Schlinge und forderte ihn mit einer unmissverständlichen Kopfbewegung dazu auf, es um seinen Körper zu legen. Was alles andere als einfach in seiner Lage war. Aber irgendwie gelang es ihm. Seine unbekannte Retterin vergewisserte sich, dass das Seil fest saß, reichte ihm ein Messer und zog sich am Tau wieder hoch. Kurz nachdem sie aus seinem Sichtfeld entschwunden war, zog es an dem Seil. Golofin sah noch einmal skeptisch zu seinem Tornister, holte tief Luft und schnitt die Schulterriemen durch. Für einen Augenblick stürzte er talwärts, dann hielt ihn mit einem schmerzhaften Ruck das Seil und er prallte unsanft gegen die Felswand. Dabei glitt ihm das Messer aus der Hand. Leise stöhnend ergriff er das Tau und begann schwerfällig seinen gedrungenen Körper nach oben zu hieven. Es war ausgesprochen hilfreich, dass die Unbekannte von oben mit am Seil zog. Der Weg nach oben war überraschend kurz dafür dass er ziemlich tief gefallen war. Keuchend sank er in den Schnee. Er konnte es noch gar nicht recht fassen. Gerade noch hatte er mit seinem Leben abgeschlossen, da hatte es sich das Schicksal schon wieder anders überlegt. Hier auf dieser kleinen verschneiten Bergmatte, die ein ganzes Stück entlang der Vysjeddhold lief, fielen jetzt einige rötliche Strahlen der Abendsonne und lösten stellenweise den Eisdunst auf. Ein paar Fuß weiter ragte die Felswand des Berges steil gen Himmel – und ein ganzes Stück weiter oben im Stein konnte er den Sims erkennen auf dem sie hinabgeeilt waren. Er konnte sogar die Stelle noch ausmachen, wo der Felsvorsprung unter ihren Füßen weg gebrochen war. Er war tief gefallen. Die Fremde kam jetzt von der kleinen Baumgruppe direkt an der Schlucht wieder, die Seile in der Linken, einen Reiserucksack in der Rechten und ein langes, schmales Schwert auf dem Rücken watete sie durch den Schnee auf ihn zu. Neben ihm ließ sie Rucksack und Seile wieder in den Schnee sinken und hockte sich hin. „Seid ihr verletzt, Herr Zwerg?“ Erst jetzt viel ihm ihr weicher, rollender Akzent auf, der die Aussprache ihrer Gemeinsprache färbte. Diesen Akzent kannte er. Es hätte ihm eigentlich schon mit den grün leuchtenden Augen klar sein müssen. Argwöhnisch verneinte er ihre Frage und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. „Ihr seid eine Blutelfe?“ Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, das fast so weiß war wie der sie umgebende Schnee. „Ein Dankeschön hätte es auch getan.“ Golofin räusperte sich und fühlte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg. „Natürlich... ich.. ach, verzeiht einem ungehobeltem Kerl wie mir die Unhöflichkeit. Nur hätte ich niemals erwartet, dass eine Blutelfe mich retten würde.“ Ein verlegenes Grinsen zeigte sich hinter seinem eisverkrusteten Bart. „Ich schulde euch mein Leben, junge Dame. Blutelf hin oder her, ich werde euch das nie vergessen. Oh, und ich schulde euch ein Messer.“ Dann fielen ihm die Seuchenpirscher wieder ein und er sah sich hektisch um. Die Blutelfe schob ihre buschige Kapuze etwas nach hinten und zottelige, silbrigweiße Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht. „Ihr sucht nach diesen widerwärtigen Kreaturen, die euch verfolgt haben?“ Golofin sah sie erstaunt an. Sie lächelte wieder. „Ich glaube, die sind fort. Habe sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Was waren das für welche?“ Golofin betrachtete ihr herzförmiges, androgynes Gesicht. Sie war nicht schön im klassischen Sinne, nicht so wie die anderen weiblichen Elfen, mit denen er es bisher zu tun hatte. Aber die silbernen, spitz nach oben laufenden Brauen und die seidenfeinen Silberwimpern, die ihre leuchtenden Augen rahmten, gaben ihr etwas unnatürliches – mit ihrer schimmernden, perlweißen Haut wirkte sie wie eines dieser geschlechtslosen Wesen aus dem Feenreich. Mit einem erneuten Räuspern riss sich Golofin von ihrem Anblick los und sein Blick wurde finster. „Seuchenpirscher. Elitebogenschützen der Geißel die bevorzugt ihre Giftpfeile aus dem Hinterhalt abschießen. Seit einiger Zeit versetzen sie verstärkt gerade die entlegeneren Ansiedlungen in Angst und Schrecken. Scheint Methode zu haben das Ganze.“ Er sah sich wieder um. „Wir sollten trotzdem schnellstens hier verschwinden, es wird dunkel. Unser Lager ist nur noch eine knappe Stunde Marsch entfernt. Wollt ihr mich begleiten?“ Die Blutelfe nickte etwas zögerlich. „Wenn das kein Problem ist?“ Golofin winkte ab. „Kein Gedanke, ihr habt mein Leben gerettet. Ihr werdet den besten Platz am Feuer bekommen!“ Etwas umständlich rappelte er sich auf und klopfte den Schnee von seiner Kleidung. Die Blutelfe hängte sich die Seile um und nahm ihren Rucksack wieder auf. Dann stapften beide Seite an Seite durch den hohen Schnee den leicht abfallenden Berghang hinab. Sie waren noch nicht lange zusammen unterwegs, da grinste er wieder und streckte ihr seine Hand entgegen. „Ich bin übrigens Golofin Gnollhammer, Sohn von Golbok Gnollhammer aus Kargath.“ Die Blutelfe erwiderte den Handschlag mit einer Herzlichkeit, die Golofin bei einer Blutelfe nie vermutet hätte. „Niamanee.“ Der Zwerg zog amüsiert seine Brauen hoch. „Nur Niamanee? Ihr Elfen habt doch sonst die Angewohnheit noch einen ellenlangen Schwanz an unaussprechlichen Namen hinterherzuschicken.“ Diesmal lag eine unbestimmte Traurigkeit in dem Lächeln, das sie im schenkte. „Man kann sich leider nicht aussuchen, wo man geboren wird.“ „Hm.“ Golofins graue Augen unter den buschigen Brauen verfinsterten sich wieder und sein Blick wanderte ein letztes Mal zurück zum geborstenen Felssims. Man kann sich leider auch nicht aussuchen, wo man stirbt. Golofin hatte nicht zuviel versprochen. Nachdem er ihnen von dem Überfall und seiner Rettung erzählt hatte, wurde Niamanee nach anfänglicher Skepsis freundlich im Lager willkommen geheißen. Man reichte ihr warmes Wildbret und Gewürzwein an einen warmen Platz, dicht am dem großen Lagerfeuer, mitten unter Menschen, Zwergen und Nacht- und Hochelfen. Ihr entging nicht, dass insbesondere einige der wenigen Nachtelfen sie immer noch ausgesprochen argwöhnisch, beinahe feindlich beobachteten, begegnete dem aber mit offensichtlicher Gelassenheit und genoss das warme Essen. Seitdem sie mit dem Zeppelin im Hafen der Vergeltung angekommen war, hatte sie nichts Warmes mehr gegessen. Und das war jetzt schon gut anderthalb Wochen her. Am Rande des Feuerplatzes, das dichte Fell auf der feuerabgewendeten Seite schon mit Reif überzogen lag eine große Meute Schlittenhunde, teils friedlich dösend, teils knurrend um die Reste des Bratens streitend. Gut zwei Dutzend schwerer, großer Filzzelte standen kreisförmig um das Feuer herum, wirkten im Dunkel der Nacht wie ein Ring aus gigantischen Maulwurfshügeln. Außerhalb des grob befestigten Zeltlagers standen kaum noch erkennbar einige schwere, gepanzerte Schneefahrzeuge. Man beklagte den Verlust von acht tapferen Männern und Frauen, daher ging es auch am Feuer recht schweigend zu. Niamanee hatte mitbekommen, dass man die Lagerwachen verdoppelt hatte – ein nächtlicher Angriff seitens der Seuchenpirscher hielten die meisten hier für höchstwahrscheinlich und von daher war die Stimmung im Lager gedrückt und äußerst angespannt. Golofin tauchte aus einem der Zelte wieder auf, setze sich neben sie und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Metkrug. „Wir werden das Lager hier morgen abbrechen. Die Situation ist zu unsicher geworden. Was führt euch denn so ganz alleine hier in diese Eiseskälte?“ Niamanee wischte sich den Mund ab und sah ihn an. „Ich bin auf dem Weg zur Argentumsfeste in Eiskrone. Man sagte mir der Weg entlang der Ausläufer des Sturmgipfelmassivs sei der sicherste. Laut Karte kann es so weit nicht mehr sein. Zwei, vielleicht drei Tagesmärsche noch.“ Golofin nickte. „Kommt hin. Wollt ihr euch dem ehrenwerten Tirion Fording und seinem Argentumskreuzzug anschließen?“ Niamanee nahm noch einen Schluck Gewürzwein. „Eigentlich suche ich jemanden.“ „Jetzt macht ihr es aber spannend.“ Niamanee lächelte leise. „Wahrscheinlich kennt ihr ihn gar nicht.“ „Ah, ein er! Jetzt kommen wir der Sache näher – ihr seid Eurem Liebsten durch Eis und Schnee in den Krieg gefolgt. Das ist der Stoff, aus dem Geschichten sind!“ Die Elfe wehrte peinlich berührt ab. „So ist es nicht. Der Mann, denn ich suche ist eher so etwas wie ein Vater für mich.“ Neugierig zog Golofin die Brauen hoch. „Darf man seinen Namen erfahren?“ Niamanee lachte wieder leise. „Das dürft ihr. Er heißt Bolvar Fordragon und ist ein Paladin der silbernen Hand.“ Manchmal ist es aber auch der Stoff, aus dem Tragödien sind. Der Zwerg sah Niamanee überraschend ernst an. „Hochlord Bolvar Fordragon?“ „Ich wusste nicht, dass er ein Hochlord ist.“ Niamanee wirkte etwas irritiert ob der plötzlichen Ernsthaftigkeit des Zwerges. „Aber ja, dass könnte passen. Er war noch vor einem guten halben Jahr Kommandant der Streitkräfte aus Sturmwind in der Scherbenwelt und führte den Angriff auf den schwarzen Tempel. Kennt ihr ihn?“ Golofin nickte. „Ihr werdet wohl kaum jemanden hier finden, der ihn nicht kennt.“ Dann hellte sich sein Gesicht wieder etwas auf. „Wisst ihr was, Mädchen? Ihr geht jetzt erst einmal schlafen, und morgen kommt ihr mit uns zur Argentumsfeste. Dort wird sich alles weitere ergeben!“ Heute gab es schon zu viele schlechte Nachrichten. Der erwartete Angriff in der Nacht blieb aus. Bis auf das vereinzelte, ferne Kreischen einiger Harpyien blieb es ruhig. Am nächsten morgen hingen schwere bleigraue Wolken tief vom Himmel, vereinzelte Schneeflocken tanzten federleicht im kalten Frostwind. Kaum hatte das erste Licht des Morgens versucht durch die dichte Wolkendecke zu dringen, war das Lager schon auf den Beinen und begann mit dem Abbau der Zelte. Das Packgut wurde auf den schweren Schneefahrzeugen und einigen riesigen Wollmammuts, die Niamanee in der gestrigen Dunkelheit gar nicht gesehen hatte, verstaut. Sie packte beherzt mit an, und es dauerte nicht lange, da war das Lager nicht mehr als eine große, zertretene Fläche Schnee. Auch das große Lagerfeuer hatte man mit Schnee zugeschüttet. Der Kommandant des Lagers, ein hoch gewachsener, stämmiger Nachtelf mit einer wehenden, dunkelblauen Haarmähne, einem fein rasierten Vollbart und bedrohlichen dunklen Tätowierungen um seine weiß leuchtenden Augen gab den Aufbruchsbefehl. War er zunächst strikt dagegen gewesen, so hatte sich Sardak Dunkelschwinge letztendlich doch noch von Golofin überzeugen lassen, Niamanee mitzunehmen. Neben dem Zwerg nahm sie auf einem der Hundeschlitten Platz. Dann setze sich die Karawane in Bewegung, die dampfbetriebenen Schneefahrzeuge der Zwerge vorweg, um den Nachfolgenden den Weg zu ebnen. Der Schneefall war stärker geworden, die Flocken trieben ihnen eiskalt entgegen. Niamanee hüllte sich zufrieden in die Decke des Hundeschlittens ein, so hatte sie zwei, drei Tage beschwerlichen Fußmarsch gespart. Auch wenn es mit dieser Karawane nicht wesentlich schneller gehen würde, so war es doch um einiges bequemer. Und sicherer. Diese merkwürdigen Kreaturen, die Golofins Gefährten umgebracht hatten waren ihr schon seit einigen Tagen aufgefallen, aber sie hatte es immer verstanden, ihnen aus dem Weg zu gehen. Sie wirkten so gar nicht wie die Untoten, die damals das Verderben über ihre Heimat gebracht hatten. Diese hier wirkten intelligent, organisiert. Sie beugte sich zu Golofin hinunter, der vor ihr saß. „Diese Seuchenpirscher, wie ihr sie nennt – was für Geschöpfe sind das denn? Als ich sie das erste Mal gesehen habe, dachte ich zunächst, es seien Verlassene.“ Golofin nickte und wandte sich um. „Ja, könnte man fast glauben, nicht wahr? Sind aber die neusten Schöpfungen aus den Horror-Laboratorien des Lichkönigs. Tauchen immer da auf, wo man es zuletzt vermuten würde. Wir waren nicht der erste Erkundungstrupp, den sie aufgerieben haben. Vor einer knappen Woche haben sie ein ganzes Lager bei Kjällvangar ausgelöscht. Fast siebzig Männer und Frauen. Sie kamen nachts, niemand hat sie kommen sehen.“ Golofins Gesicht verfinsterte sich. „Sie haben alle mit ihren tödlichen Pfeilen niedergestreckt. Als wir in das Lager kamen fanden wir die Leichen grausam verstümmelt allesamt auf Pfähle aufgespießt.“ Der Zwerg schien kurz zu schlucken. Kein Wunder, dass das Lager heute so hastig abgebaut wurde- Niamanee schauderte. Die Bilder der schrecklichen Zerstörung ihrer Heimat hatte sie nie vergessen können und wurden jetzt nur wieder allzu lebendig vor ihren Augen. Und in ihrem tiefsten Inneren stieg die unbestimmte Ahnung auf, dass ihr Weg sie hier in noch tiefere Abgründe des Grauens ziehen würde. Sie spürte, wie ihr Herz anfing schneller zu schlagen. Niemals wollte sie dieses Scheusal, dass jetzt in der Eiskronenzitadelle saß und soviel Leid über ihre Familie und ihr Volk gebracht hatte wieder sehen. Das einzige, was sie wollte war bei Bolvar zu sein. Golofin war ihren erneuten Fragen nach Bolvar bisher immer ausgewichen, daher hatte sie es fürs erste aufgegeben. Aber das ungute Gefühl in ihrer Magengrube nagte immer mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)