The lost Chapters von Flordelis (Color of Twilight) ================================================================================ #01: Wir lieben Kino -------------------- Der Sessel war ungewohnt weich, so sehr, dass er dem Drang nicht widerstehen konnte, sich ein wenig tiefer sinken zu lassen. Ein wohliges, leises Seufzen entfuhr ihm, ging in dem riesigen Raum aber geradewegs unter. Schon die reich verzierte Eingangshalle mit all den Werbeständen hatte ihn staunen lassen, aber dieser Saal, in den er nach den Vorzeigen eines Stück Papiers geführt worden war, war so groß, dass er Mühe hatte, alles auf einmal zu erfassen. Unzählige dieser Sessel reihten sich in diesem Saal, alle waren auf eine weiße Leinwand ausgerichtet, wo im Moment noch nichts zu sehen war. Er wusste inzwischen, dass man es Kino nannte, aber was der Zweck dieser Einrichtung war, hatte er immer noch nicht verstanden. Der Saal füllte sich trotz der reichlich vorhandenen Plätze kaum, aber die Menschen, die hereinkamen, trugen meist zwei Becher mit sich. In dem kleinen war ein Strohhalm und in dem Großen... er konnte gar nicht sagen, was dieser weiße Inhalt war, aber er erinnerte ihn entfernt an Verpackungsmaterial, mit dem er mal konfrontiert worden war. Allein beim Gedanken daran runzelte er wieder missbilligend seine Stirn – aber das war eine andere Geschichte, weswegen er sich auch sofort wieder aus seinen Überlegungen zurückholte. Die Eintrittskarte war ihm von diesem Informanten übergeben worden, damit sie an einem anderen Ort über die Bringer des Lichts reden könnten. Immerhin wollte er nicht mit ihm gesehen werden. Zetsu war es gleich gewesen, solange er nur die erforderlichen Informationen bekam, auch wenn er sich bei all dem Licht, das diesen Saal erhellte, wunderte, wie man hier nicht gesehen werden konnte. Bislang war aber auch noch nichts von dem anderen Mann zu sehen... wenn er denn überhaupt kommen würde. Nanashi war der festen Überzeugung, dass er nicht kommen würde und diese Verabredung nur dazu hatte dienen sollen, ihn abzuwimmeln. Dementsprechend missgelaunt hielt sein Shinjuu sich auch auf seine Anweisung hin versteckt. Er wusste, dass sie es hasste, sich verstecken zu müssen, aber er hielt es für besser, wenn nicht jeder wusste, dass er ein Shinkenträger war – und außerdem konnte er sich damit einmal in Ruhe erstaunt umsehen, ohne ihren übertrieben verständnisvollen Blick ertragen zu müssen, der ihm stumm mitteilte, dass all das komplett normal war und er sich wie ein kleines Kind verhielt. Aber warum sollte er das auch nicht einmal dürfen? Immerhin war er viel zu früh seiner Kindheit beraubt und in einen Strudel von Gewalt und Boshaftigkeit geworfen worden. In seiner Rolle als Rächer musste er stark und eiskalt sein – da war es eine willkommene Abwechslung für ihn, dass er einmal wieder wie ein Kind staunen durfte. Während er noch darauf wartete, dass sein Informant endlich auftauchte, wurde plötzlich das Licht im Saal gedimmt. Verwirrt warf er einen Blick umher, wunderte sich darüber, ob es möglicherweise Zeit war, zu gehen und falls ja, was genau man hier drin eigentlich hatte machen sollen. War es am Ende möglicherweise nur ein Treffplatz für Leute, die in gemütlichen Sesseln etwas trinken und – offenbar wurde auch das Verpackungsmaterial verzehrt – essen wollten? Da alle anderen aber keinerlei Anstalten machten, aufzustehen und wieder zu gehen, blieb er auch sitzen – und staunte nicht schlecht, als auf der Leinwand plötzlich bewegte Bilder erschienen. Er musste auch nicht lange überlegen, Nanashi hatte es Werbung genannt, aber zu dem Zeitpunkt war es auf einem wesentlich kleineren Gerät zu sehen gewesen und nicht auf einer so großen Leinwand – und vor allem nicht in dieser Lautstärke. Die hohen Töne schmerzten bereits in seinen Ohren, aber den Lautstärkeregeler suchte er vergebens und so musste er es wohl oder übel ertragen. Die Werbung verging und wurde von einer Vorschau auf neue Filme unterbrochen, die Zetsu mit ihren bruchstückhaften Informationen und schnellen Schnitten verwirrte. Erst als auch das vorbei war, wurde es noch einmal etwas dunkler im Saal und das, was auf der Leinwand angezeigt wurde, hatte nichts mehr mit dem gemein, was zuvor gelaufen war – sehr zur Erleichterung von Zetsu. Er konzentrierte sich auf den laufenden Film, die nebelhafte Umgebung, in der sich der Protagonist aufhielt, die spannungsgeladene Musik, die eine unheimliche Atmosphäre aufbaute und verlor sich derart darin, dass er überrascht zusammenzuckte, als jemand nach seinem Arm griff. Mit vor Schreck geweiteten Augen wandte Zetsu den Kopf, nur um seinen Informanten zu erblicken, der ihm einen Becher mit Verpackungsmaterial reichte. „Popcorn, zur Tarnung“, erklärte der andere leise. Misstrauisch beäugte Zetsu den Inhalt. Aus der Nähe betrachtet sah es weniger wie Verpackungsmaterial aus, eher als ob irgendetwas aufgeplatzt wäre, um so zu enden. Außerdem stellte er fest, dass es warm war und verlockend gut roch, so süß, es brachte seinen Magen zum Knurren und hielt ihm vor Augen, wie hungrig er war. „Iss schon!“, drängte der Informant. Immer noch argwöhnisch nahm er eines dieser weißen Dinger in die Hand und steckte es sich in den Mund, um darauf zu kauen – und überrascht festzustellen, dass es tatsächlich schmeckte. So gut sogar, dass er sich sofort noch eine Handvoll in den Mund steckte. Der Informant nickte zufrieden und lehnte sich zurück. Zetsu dagegen konzentrierte sich wieder auf die Leinwand, wo gerade eine Verfolgungsjagd in Gang war, auch wenn er keine Ahnung hatte, weswegen eigentlich. „Also“, begann der Informant, „du hast vorhin nach den Bringern des Lichts gefragt.“ Zetsu lauschte nur mit einem Ohr, der Großteil seiner Aufmerksamkeit galt dem Film und war damit beschäftigt, sich zu fragen, warum der Protagonist eigentlich verfolgt wurde und was seine Verfolger mit ihm zu tun gedachten. Sein Sitznachbar schien das allerdings gar nicht mitzubekommen, sondern sprach unbeirrt weiter: „Ich habe mich ein bisschen umgehört und tatsächlich ein Mitglied gefunden.“ Er erging sich in Erklärungen, wer das wäre und wo er zu finden war, Zetsu hörte allerdings schon gar nicht mehr zu. Automatisch schob er sich weitere Ladungen Popcorn in den Mund, die er hastig kaute und schluckte, vollkommen versunken in den Film. Der geschockte Protagonist bekam gerade erklärt, dass man ihn verfolgte, weil er der Schlüssel für irgendein wichtiges Ereignis in der Geschichte der Menschheit war, wovon er bislang noch nicht einmal im Mindesten etwas geahnt hatte. Zetsu fühlte sich ein wenig an sich selbst erinnert, nur dass er nicht verfolgt wurde – aber er war auch stets als Schlüssel oder Schatz bezeichnet worden von seiner Familie und allen anderen Stadtbewohnern. Insofern wunderte es ihn nicht, dass er sich mit diesem Protagonisten verbunden fühlte. Außerdem schienen sie beide gleichermaßen verwirrt über die Feinde und deren Absichten zu sein. Doch bevor der Protagonist mehr darüber erfahren konnte, musste er bereits wieder fliehen und es kam zu einer neuen aktionsreichen Flucht, deren schnelle Schnitte ihn zwar erneut verwirrten, aber gleichzeitig faszinierten. Erst als der Informant ihn sacht an der Schulter rüttelte, wandte Zetsu seine Aufmerksamkeit wieder ihm zu, zeigte aber mit seiner gerunzelten Stirn deutlich, dass er sich von dieser Ablenkung gestört fühlte. „Hast du das alles verstanden?“, fragte der Informant. „Ja ja“, antwortete er sofort, um sich wieder auf den Film konzentrieren zu können, ohne überhaupt zu wissen, worüber der andere sprach. Aber er machte sich auch keine weiteren Gedanken darum, dass er da etwas verpasst haben könnte, immerhin würde Nanashi mit Sicherheit alles mitbekommen haben und es ihm später erzählen. So pflichtbewusst schätzte er sein Shinjuu zumindest ein. „Gut, dann bin ich wieder weg, bevor jemand bemerkt, dass ich hier bin. Viel Glück.“ Der Informant klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, Zetsu erwiderte es nur mit einem knappen Nicken und wandte sich sofort wieder dem Film zu, während der andere aufstand und hastig, gebückt, wieder aus dem Saal huschte. Konzentriert verfolgte er den Film weiter. So kam es, dass es ihm selbst mehrere Szenen später, als es erneut zu einer Störung kam, so vorkam als wären lediglich ein paar Minuten vergangen, wenngleich der fast leere Popcorn-Becher ihm etwas ganz anderes sagte. „Meister~“, hörte er die zaghafte Stimme seines Shinjuu. „Ich glaube, wir sollten langsam auch los, wir haben noch etwas zu tun.“ Missbilligend verzog er sein Gesicht, egal, ob sie es im Moment sehen konnte oder nicht. „Muss das sein?“ Für einen kurzen Moment schwieg sie tatsächlich als ob sie nicht fassen könnte, dass er diese Gegenfrage stellte, doch dann antwortete sie doch: „Ja, muss es.“ „Das reicht auch noch nach dem Film.“ Er konnte Nanashis Verwirrung regelrecht spüren, auch wenn das wohl nur an dem Blick lag, mit dem sie ihn in diesem Moment durchbohrte. Tatsächlich war es unüblich für ihn, seine Rache hintenan zu stellen, in den letzten Jahren hatte er teilweise sogar auf Schlaf verzichtet, nur um die Lichtbringer zu verfolgen. Aber dieses Mal war etwas anderes, etwas Wichtiges war dazwischengekommen, was ihn davon abhielt, sofort loszueilen. Abrupt wandte er ihr den Kopf zu, das Gesicht todernst und entschlossen, keinen Widerspruch zuzulassen: „Ich fange gerade an, den Film zu verstehen und ich will wissen, wie er ausgeht!“ #02: Reminiszenz ---------------- Schnee. Das Wort durchzuckte ihn geradezu und ließ ihn augenblicklich innehalten, den Blick nach oben gerichtet. Stahlgraue, schwer aussehende Wolken bedeckten den Himmel als wäre er wie durch Zauberei asphaltiert worden. Ganz sacht schwebten die weißen Flocken herab, die durch ihre Leichtigkeit einen interessanten Kontrast zu den Wolken bildeten aus denen sie kamen. Anhand der entzückten Ausrufe um ihn herum, wusste er, auch ohne sich umzusehen, dass er nicht der einzige war, dem es aufgefallen war. Schlagartig fühlte er sich in seine Lehrzeit bei Jinmu zurückversetzt, er sah sich selbst wieder vor dessen Hütte stehen, wie er das allererste Mal Schneeflocken beobachtete und sie auf seiner Handfläche schmelzen ließ; er spürte wieder die Kälte, die sich mit seiner Aufregung vermischte und die große Verwunderung, als das Eis zu Wasser schmolz. Als in der Wüste aufgewachsenes Kind hatte er nicht gewusst, worum es sich bei Schnee handelte, kurze Zeit war in ihm sogar die Befürchtung erwacht, dass es etwas Schädliches sein könnte, aber Nanashi war schnell dabei gewesen, ihm zu versichern, dass es sich nur um gefrorenes Wasser handelte und es ihn nicht krank machen würde. Erst eine Hand auf seiner Schulter schaffte es, ihn wieder aus seinen Erinnerungen zu reißen. Als er den Kopf drehte, erkannte er Nozomu, der neben ihn getreten war. Nozomu... eigentlich jemand, dem er Gleichgültigkeit entgegenbringen sollte, immerhin war es sein Ziel, diesen Jungen zu töten, aber im Moment fühlte er sich derart ruhig und ausgeglichen, dass er nicht einmal das schaffte. Das Lächeln, das er Nozomu schenkte, war ausnahmsweise absolut ehrlich gemeint. An diesem Tag war nichts weiter von Belang, weder seine Rache noch seine schwere Vergangenheit und schon gar nicht seine Zukunft. „Gehst du mit uns nach Hause, Zetsu?“ Nozomu machte eine ausholende Handbewegung, die Nozomi und Satsuki einschloss, die gerade lachend aus dem Schulgebäude traten. Manchmal beneidete Zetsu sie ein wenig. Obwohl sie Rivalen waren, wenn es um Nozomu ging, waren sie doch auch Freundinnen. Er könnte wohl kaum Nozomus Freund bleiben, wenn er versuchen würde, ihn umzubringen. Aber bis dahin... Er nickte sofort. „Natürlich.“ Sie gingen oft gemeinsam nach Hause, hatten sie doch immerhin ein gemeinsames Wegstück. Dabei unterhielten sie sich stets lachend, Zetsu konnte sich nicht erinnern, in seinem Leben je so viel gelacht zu haben wie mit dieser kleinen Gruppe. Auch an diesem Wintertag an dem die rasch mehr werdenden die Schneeflocken sie im Wind umstoben, lachten sie auf dem Weg, den sie gemeinsam gingen. Doch Zetsu registrierte nicht wirklich, worüber er da lachte, seine Gedanken wanderten noch einmal zu Jinmu zurück, wie sie beide gemeinsam eines Abends im Winter an seinem Fenster gesessen und nach draußen gesehen hatten. Schnee, so hatte Zetsu gelernt, war tagsüber mit seiner glitzernden Oberfläche schön anzusehen, aber nachts erwachte erst sein wahrer Zauber, wenn das Mondlicht davon reflektiert wurde und es aussah als würden unzählige Sterne dort leuchten. Er war von diesem Anblick nie satt geworden, umso bedauernswerter empfand er, dass er seit damals keinen Schnee mehr gesehen hatte. Nicht, dass es ihm an Gelegenheiten gemangelt hätte, er war oft in Welten gewesen, in denen Schnee gefallen war, aber niemals wieder hatte er sich Zeit genommen, um ihn zu bewundern, niemals wieder war er einfach nur dagesessen, um das Glitzern zu betrachten und sich vorzustellen, dass alles gut war. Erst in jenem Moment wurde ihm wirklich bewusst, was das für ein bedeutsamer Tag war und in diesem Augenblick wurde auch sein Lachen ehrlich, was seine drei Begleiter überrascht innehalten ließ. Nozomu blinzelte ein wenig verdutzt. „Geht es dir gut, Zetsu?“ Er erwiderte den Blick lächelnd. „Natürlich. Es könnte nicht besser sein.“ Satsuki setzte ein wissendes Grinsen auf. „Aha! Jetzt weiß ich es.“ Die anderen sahen sie ratlos an, aber erst auf Nozomis Nachhaken, fuhr die Schulsprecherin fort: „Das eben war Akatsuki-kuns echtes Lachen, das er sonst versteckt, weil es ihm peinlich ist, stimmts?“ Zetsus Körper hatte sich für einen kurzen Moment versteift, lockerte sich nun aber wieder auf, als er leise lachte. „Stimmt, Senpai, du hast mich durchschaut. Dann gibt es jetzt wohl keinen Grund mehr, es zu verstecken.“ „Das hättest du doch auch nicht tun müssen“, meinte Nozomi. „Es klingt wirklich hübsch. Oder, Nozomu-chan?“ Der Gefragte runzelte ein wenig verwirrt seine Stirn. „Warum fragst du mich so etwas?“ Satsuki lachte, während Nozomis Gesicht von einem leichten Rotschimmer überzogen wurde. Ohne dass einer von ihnen etwas sagen musste, setzten sie alle drei gleichzeitig ihren Weg fort und unterhielten sich nun über ihre Pläne für die kommenden Weihnachtsferien – und für diesen Moment war Zetsu so glücklich wie selten in seinem Leben. Er lächelte leicht, während er in den sternenklaren Himmel sah. In der Wüste schneite es nicht, besonders nicht in dieser Welt, die nah vor dem eigenen Tod stand, es fehlte nur noch ein kleiner Schubs, damit sie endgültig in den Abgrund stürzte und zerbröckelte. Hier hatte alles angefangen, er war in dieser Welt geboren worden und hier würde auch alles enden, er würde gemeinsam mit ihr sterben und sie gleichzeitig rächen. Die Manafunken der von ihm besiegten Lakaien erinnerten an Schneeflocken, die das Licht reflektierten, aber sie schwebten nach oben, statt nach unten, sie kannten keine Schwerkraft, sie widersetzten sich der Erdanziehung, sie waren frei. Frei... Genau das, was er auch sein wollte und er würde es wieder sein. Frei von dem Namen des Ruins, frei von seinem Shinken, frei vom Schicksal. Solange würde er in seinen Erinnerungen schwelgen, Erinnerungen an Schnee, Freundschaft und den Glauben, dass alles einmal gut werden würde. #03: Ein Moment von Frieden --------------------------- Während seiner Reisen durch die Welten, um diejenigen zu finden, die für den Untergang seiner Heimat verantwortlich waren, damit er seine Rache durchführen konnte, machte Zetsu gemeinsam mit Nanashi öfter mal eine Pause – und nicht selten begegnete er bei diesen dann anderen Shinkenträgern, auch wenn das oft nicht sehr lange Treffen waren. Einer dieser Begegnungen maß er damals keine sonderlich große Bedeutung zu, denn zu diesem Zeitpunkt ahnte er noch nicht, dass er eine dieser beiden Personen viel, viel später als seinen Verbündeten betrachten würde. Zu jenem Zeitpunkt der ersten Begegnung, saß Zetsu gerade auf einem Felsen und aß einen Apfel, den er zuvor von einer nahegelegenen Plantage stibitzt hatte. Nanashi wiederum saß sichtlich gelangweilt auf seiner Schulter und wartete darauf, dass etwas geschah oder er endlich bereit dafür war, seinen Weg fortzusetzen. Aber im Moment war er wieder damit beschäftigt, sich zu fragen, wie sinnvoll es wohl war, diesen Racheplan durchzuziehen. Nicht, dass er daran zweifelte, dass es wirklich notwendig war, ihm ging es eher darum, dass er nicht wusste, wie er das schaffen sollte. Sein Training bei Jinmu war nun einige Jahre her, inzwischen war er fast fünfzehn, aber ihm fehlte immer noch der entscheidende Funke, der ihm zum Sieg verhelfen könnte. Während er so in Gedanken versunken kaute, bemerkte er plötzlich, wie jemand auf ihn zugelaufen kam. Aber er hob den Kopf erst, als sich die andere Person ungefragt mit einem schwerem Ächzen auf dem Felsen neben ihm niederließ. Es war ein älterer Mann mit grauem, krausen Haar, die Brille auf seiner Nase, die mehrmals gebrochen aussah, sah... futuristisch aus, hinter den lila-farbenen Gläsern waren die Augen des Mannes nicht zu erkennen. „Du erlaubst, mein junger Freund?“ Der Mann hob eine knorrige Hand, die mehr an einen alten Ast erinnerte als ein Körperteil wie zur Begrüßung, auch wenn diese genau wie die Frage viel zu spät kam. Zetsu störte sich allerdings nicht daran, sondern nickte lediglich und wollte sich wieder auf sein Essen konzentrieren – als ihm auffiel, dass der Mann ebenfalls ein Shinken trug, auch wenn er dieses im Moment nicht sehen konnte. Inzwischen wusste er bereits, dass sie verschiedene Formen annahmen, was es schwer machte, sie auf den ersten Blick zu erkennen. Doch ehe er etwas sagen konnte, sprach der Fremde weiter: „Wie es aussieht, bin ich wohl nicht der einzige Shinkenträger in dieser Welt. Darf ich deinen Namen wissen?“ Da er keinerlei Bösartigkeit von dem Mann spürte, antwortete er arglos: „Zetsu Akatsuki.“ „Verstehe. Du kommst also nicht aus dieser Welt, zumindest gehe ich von deinem Namen her davon aus.“ „Das ist richtig“, stimmte Zetsu zu. „Ich denke, ich sollte mich wohl vorstellen: Mein Name ist Morgan. Darf ich dich vielleicht zu einer Mahlzeit einladen?“ Er spürte, dass Nanashi daran zweifelte, dass er kochen könnte, nicht zuletzt, weil er keinerlei Lebensmittel mit sich führte, doch der Hunger, der von dem Apfel nicht gestillt werden konnte, ließ Zetsu ungeachtet dessen zustimmen. Doch Morgan machte keine Anstalten, sich selbst ans Kochen zu machen, stattdessen klatschte er in die Hände. „Asake!“ Kaum war das Geräusch verklungen, erschien ein blauhaariger Junge bei der Gruppe. Er sah nicht sonderlich gut gelaunt aus, seine Stirn war gerunzelt als ob ihm irgendetwas nicht gefallen würde, aber er beklagte sich nicht, sondern wartete schweigend, wie ein gutes Shinjuu, auf den kommenden Befehl. Als er hörte, dass es sich dabei lediglich um etwas zu essen handelte, verfinsterte sein Gesicht sich noch weiter, aber er widersprach nicht. „Sehr wohl, Meister.“ Damit verschwand er wieder, was Zetsu leicht schmunzeln ließ. Der Unwille war in jeder Faser des Jungen spürbar und in jedem Wort hörbar gewesen und doch gehorchte er – fast so als fürchtete er die Konsequenzen, wenn er es nicht tun würde. „Nun, was führt dich in unsere Welt, junger Zetsu?“, fragte Morgan, um die Wartezeit zu überbrücken. „Nichts wirklich Genaues“, antwortete er. „Ich bin auf meiner Reise nur durch Zufall hier gelandet.“ Der alte Mann zog eine dünne Pfeife aus seiner Kleidung hervor, stopfte etwas Tabak hinein und entzündete diesen schließlich, ehe er genüsslich an dem hölzernen Mundstück zog. Ein angenehmer würziger Duft entstieg der Pfeife mit dem Rauch, so dass Zetsu sich für einen kurzen Augenblick wünschte, zu wissen, was das für ein Tabak war und wo man diesen kaufen könnte. „Und wohin geht die Reise?“ Allzuviel Neugierde machte Zetsu misstrauisch, deswegen antwortete er nur verhalten: „An keinen bestimmten Ort. Man könnte eher sagen, dass ich etwas suche – und es auf dieser Reise zu finden hoffe, auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, worum es sich dabei handelt.“ Zu seinem Glück stellte Morgan keine weiteren Fragen, sondern nickte verstehend. „Ah, es gibt in der letzten Zeit so viele Träger, die nach Erleuchtung suchen – ich kann dir dabei nur Glück wünschen und hoffen, dass du es schaffst.“ Hätte er gewusst, wonach Zetsu suchte, hätte er das vermutlich nicht gesagt – zumindest war er bislang nach derartigen Aussagen immer nur schockiert angesehen oder belächelt worden –, deswegen konnte dieser nur amüsiert darüber schmunzeln. Ehe sie das Gespräch fortsetzen konnten, kehrte Asake mit zwei Tellern zurück, um ihnen je einen davon geben zu können. Zetsu bedankte sich höflich, Morgan wiederum sagte nichts und begutachtete nur misstrauisch das Essen. „Ist es dir auch gelungen?“ Die gerunzelte Stirn Asakes wurde von einem leicht besorgten Heben der Augenbrauen abgelöst. „Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet, Meister.“ Selbst Zetsu war – auch ohne die Augen von Morgan zu sehen – bewusst, dass dieser das nicht so recht glauben konnte oder wollte und sprang deswegen sofort ein, auch wenn das keine seiner Aufgaben war: „Es ist bestimmt gut, ich würde mir da keine Gedanken machen.“ Doch Nanashi, die offenbar darauf aus war, diese Aussage als inkorrekt zu enttarnen, stibitzte etwas von dem, was sich auf seinem Teller befand und kostete es. Aber kaum hatte die Nahrung ihre Zunge berührt, verzog sie direkt ihr Gesicht. „Das ist viel zu scharf, das kann kein Mensch essen! Meister, Ihr solltet das Essen nicht anrühren!“ Asakes enttäuschte Miene berührte, aus einem für ihn nicht nachvollziehbaren Grund, Zetsus Herz und ließ seine eigene Stimmung auch wieder ein wenig sinken. Morgan schüttelte schnaubend den Kopf und gab Asake den Teller zurück. „Dass du so etwas einem Gast vorsetzt, schämst du dich denn gar nicht, mich so zu blamieren!?“ Mit beschämt gesenkten Blick entschuldigte das Shinjuu sich und nahm dann auch Zetsu den Teller wieder ab, ehe dieser überhaupt die Gelegenheit hatte, auch nur zu kosten. Ihm blieb nichts anderes übrig als Nanashis Worten in dieser Hinsicht zu vertrauen. Morgan wedelte mit der Hand, um sein Shinjuu wieder zu verscheuchen. „Nun verschwinde, wenn du nicht einmal das hinbekommst.“ Asake stieß ein letztes Seufzen aus, ehe er wie befohlen wieder verschwand. „Ich muss mich für die Inkompetenz meines nichtsnutzigen Shinjuu entschuldigen.“ Zetsu spürte, dass Nanashi sich erhoffte, dass er nun dachte, dass sie anders war als dieser Asake, aber er tat ihr diesen Gefallen nicht und schüttelte stattdessen lediglich den Kopf. „Ist schon in Ordnung.“ Doch für Morgan schien das Thema damit noch nicht erledigt zu sein: „Ich finde es sehr praktisch, ein Shinkenträger zu sein, aber das dazugehörige Shinjuu ist reichlich nervig. Sobald ich eine Methode gefunden habe, ihn loszuwerden...“ Er beendete den Satz nicht, aber Zetsu wusste auch so, was er sagen wollte und er konnte das nicht wirklich unterstützen. Für ihn war es eindeutig, dass sich Asake auch deswegen so ungeschickt anstellte, weil er diese Ablehnung und keinerlei Vertrauen in seine Fähigkeiten spürte. So konnte er ihm das nicht im Mindesten verübeln. Der zuerst recht umgängliche Eindruck, den er von diesem Mann gehabt hatte, revidierte sich mit dieser Erkenntnis, so dass er den Wunsch verspürte, schnellstmöglich seine Reise fortzusetzen, um von diesem Shinkenträger und seinem bedauernswerten Shinjuu fortzukommen. Also warf er das Apfelgehäuse fort und stand auf. „Ich muss weiter, hat mich gefreut, Sie kennenzulernen.“ Entweder Morgan bemerkte gar nicht, dass die Worte nicht ernst gemeint waren oder es kümmerte ihn nicht weiter, denn er ging nicht auf die Unwahrheit darin ein, sondern nickte. „Hat mich auch sehr gefreut, mein junger Freund. Vielleicht sieht man sich ja irgendwann wieder.“ Zetsu hoffte, dass sie sich erst dann wiedertreffen würden, wenn er gelernt hatte, respektvoll mit seinem Shinjuu umzugehen, dann verabschiedete er sich von dem Mann und machte sich auf seinen Weg. Sicher war es nicht wirklich weise von ihm, seinen eigenen Umgang mit seinem Shinjuu als Maßstab zu nehmen, immerhin war Nanashi seit Jahren seine einzige Vertrauensperson – aber dennoch verstand er dieses respektlose Verhalten, das er bereits bei mehreren Shinkenträgern miterlebt hatte, nicht im Mindesten. So freute er sich insgeheim darüber, dass er sich so gut mit seinem eigenen Shinjuu verstand – ohne zu ahnen, dass er in mehreren Jahren selbst kein sonderlich gutes Verhältnis mehr zu Nanashi haben würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)