Disruptive Factor von Rizuloid (Never ever // Manabu x Jin - Kazuki x Manabu) ================================================================================ Kapitel 1: If god gives you a kick in the ass --------------------------------------------- Begrüße die Leserschaft! (Falls es diesmal eine ansatzweise große gibt, ist immerhin kein GazettE. XD) Also, nochmal mein kurzer Warnhinweis - ich denke, es wird später viele Flashbacks geben. Lasst euch nicht verwirren. Ganze Story ist aus Manabu´s Sicht geschrieben. SCREW gehören net mir und ich verdien leider kein Geld mit diesem Blödsinn. Chapter werden alle unterschiedlich lang sein, das ist mir diesmal nämlich egal >D *hust* Im Moment rechne ich mit maximal 10 Kapiteln. Mal sehen wie weit ich mich verrechnen werde. Und jetzt wünsch ich viel Spaß beim Lesen ♥ **************************************************************** Ich war nie ein Mensch gewesen, der sich sonderlich viel von seinem Leben erwartet hatte. Genau genommen hatte ich immer sehr wenig erwartet. Auch nicht von meiner Familie oder denen, die ich flüchtige Bekannte nannte – Freundschaft war etwas, das ich erst viel später begriff - , denn sie alle waren gleich, und wirklich kümmern tat man sich ohnehin nur der Höflichkeit halber um mich. Ich hatte immer schon den Eindruck gehabt, als würde ohne mein höchstpersönliches Zutun, ohne einen gehörigen Arschtritt ausgehend von meinen Füßen oder ohne, dass ich meine Stimme eine Stufe zu laut erheben musste, mein Leben nicht einen einzigen verdammten Zentimeter voran kommen. Tja, so selbstbewusst das auch gerade klang – Ich war ein ganz schöner Looser in Sachen leben gewesen. Seit meiner Kindheit schon war ich schüchtern, zurückhaltend und vollkommen unkommunikativ gewesen. Manche von denen, die heute tatsächlich so was wie Freunde für mich waren, erzählten mir, dass ich früher fast schon vor ihnen davongelaufen war. Wobei dieses „früher“ offensichtlich in Grundschulzeiten verborgen lag, denn ich konnte mich doch beim besten Willen nicht erinnern, jemals unter ernsthafter Menschenphobie gelitten zu haben. Und wenn doch, hatte meine Mama mir eben was verschwiegen. Nein, ich war nicht menschenscheu gewesen… Ich war nur kein Entertainer. Man konnte sich mit mir schon über seriöse Themen unterhalten, man konnte sich bei mir ausheulen oder mir Tunnel in die Ohren quasseln, aber wenn es dann darum ging, den Humor in seinem vollen Ausmaß anzupreisen, an der Stelle versagte ich gewaltig. Warum das so war, wusste ich selbst nicht so genau, aber ich war vorher nie anders gewesen. Ich war nun einmal kein lustiger Mensch. Eigentlich schon immer eher ein stiller, zurückhaltender und noch dazu ganz schön oft depressiver Mensch. Und unkommunikativ... Gewesen! Ja, das war einmal. Jetzt lebte ich einen völlig anderen Abschnitt. Das Kapitel davor war dunkel gewesen, sehr dunkel, und eindeutig etwas, was ich verdrängen, vergessen und nie wieder darüber sprechen wollte. Auch jetzt nicht. Aber dann gab es da diese eine Person, die irgendwie für mich da gewesen war, obwohl er überhaupt keinen Grund dazu gehabt hatte, das zu tun. Dieser Mensch hörte auf den Namen Yuuto, war zu allen anderen außer mir immer ein egoistisches, asoziales, aber dennoch sympathisches und vor allem niedliches Drecksschwein gewesen, war es mittlerweile auch zu mir und schimpfte sich nun seit guten 3 Jahren, vielleicht auch länger, meinen besten Freund. Und Kami, das war er. Er war der Beste, der absolut Genialste, Yuuto war es, der mich das Wort „Freundschaft“ aus einer völlig neuen Perspektive sehen ließ. Früher war ich in dem Glauben gewesen, dass ein Freund jeder war, der einen mochte und sich mit einem abgab. Irgendwann hatte ich realisiert, dass das nicht alles sein konnte, und habe darüber nachgedacht. Ich habe mich gefragt, wenn das Freundschaft sein soll, warum ist es dann oft so, dass mich die andere Person überhaupt nicht wirklich interessiert? Gleichermaßen hatte ich immer das Gefühl, als wäre ich ebenso uninteressant für alle anderen – jemand, den meine damaligen „Freunde“ mit schneller Leichtigkeit ersetzen konnten. Austauschbar. Als ich Yuuto kennengelernt hatte, war ich gerade am Tiefpunkt meines Lebens gewesen. Ich konnte mich klischeehafterweise wirklich noch erinnern, als wäre es gestern gewesen, wie ich in dieser Bar gesessen hatte, irgendein Gesöff mit einer undefinierbaren Farbe in einem durchaus hübschen Glas vor mir stehen hatte und nicht einmal wissen hatte wollen, was da drin war, da es aussah wie aus dem Chemielabor meiner Schule. Unwichtig. Hauptsache Alkohol. Viel Alkohol. Und als ich grade mal beim zweiten Glas davon gewesen war, war jemand direkt neben mir gegen die Theke geschleudert worden. In dem Moment war ich ein wenig zu langsam gewesen, um zu verstehen, was vor sich ging. Alles, was ich verstanden hatte war, dass zwei Kerle sich gegenseitig angeschrien hatten, und dass einer der beiden den anderen anscheinend schlagen hatte wollen. Beziehungsweise, ihm während meiner Schockstarre direkt neben mir fast an die Kehle gegangen war. Keine zwei Minuten später war allerdings einer der beiden verschwunden. In meiner leichten alkoholischen Heiterkeit und meinem inneren, tiefen, depressiven schwarzen Loch hatte ich das allerdings wenig bis gar nicht zur Notiz genommen. Yuuto hatte mir später mal erzählt, dass sie den Kerl, der übrigens sein Ex-Freund war, rausgeschmissen hatten. Es gab also doch noch vernünftige Menschen auf dieser Welt. Tja, und dann war ich immer noch auf meinem Hocker gewesen, hatte mich keinen Millimeter bewegt oder irgendetwas gesagt. Aber das war auch nicht nötig gewesen, denn der werte Herr neben mir seufzte, schnappte sich ebenfalls einen der reichlich unbequemen Barhocker und pflanzte sich mit einem Gesichtsausdruck zwischen „reichlich angepisst“ und „dezent depressiv“ vollkommen ungefragt neben mich. Was mir in meiner Situation ebenfalls egal gewesen war. Ich hätte ja eigentlich nie im Leben damit gerechnet, von ihm angesprochen zu werden. Wer sprach schon mit einem Looser wie mir, noch dazu, wo sicherlich jeder auf 20 Meter Entfernung erkannt hatte, dass ich depressiv war und deswegen vor hatte, mir meine Birne möglichst blau zu saufen. Aber dann, dann war irgendwie alles ganz schnell gegangen. Ich hätte eben auch niemals erwartet, dass es nicht eine lang und ausführlich überlegte, sondern eine spontane Entscheidung sein würde, die mich aus meiner Lebenskrise herausholen würde. Aber genau so war es, das hatte ich bereits gespürt, als der Fremde neben mir mich durchdringend gemustert und schließlich seine Stimme erhoben hatte. „Was machst du hier?“ Daraufhin hatte ich erst einmal 2 Minuten schweigen und ihn anstarren müssen. Ich hatte mich gefragt, seit wann zum Teufel sich jemand für mich interessierte. Aber ich hatte beschlossen, ihm der Höflichkeit halber zu antworten. „Mich stilvoll betrinken und die Nacht hinter der nächsten Mülltonne verbringen.“ „Sehr gut! Ich mach mit.“ Man erlebt viel Scheiße im Leben, wofür man immer wieder sehr gerne anderen die Schuld gibt. Aber man baut eben auch leider mindestens so viel Scheiße, und die muss man dann selber wegmachen, sich entschuldigen, es bereuen – es sei denn, man hat Freunde, die da einfach drüber stehen. Ich könnte heute noch angewidert über mich selbst den Kopf schütteln, wenn ich daran denke, dass ich Yuuto´s Wohnung das erste Mal betreten hatte, nur um mich sofort auf dessen Toilette ausgiebig zu übergeben und mir von ihm die Haare aus dem Gesicht halten zu lassen. Und noch übler wird mir heute, wenn ich daran denke, wie OFT das in den darauffolgenden Wochen noch geschah! An diesem einen Abend waren wir beide, wusste der Teufel wie wir es bis dorthin geschafft hatten, letzten Endes in seiner Wohnung angekommen. Ich hatte bei ihm übernachtet, obwohl ich noch nicht einmal seinen Namen gewusst hatte, denn ich hatte ihn den ganzen Abend nicht danach gefragt. Am Morgen war ich dann in einer nicht ganz gesund aussehenden Position auf diesem fremden, dunkelroten Sofa aufgewacht, hatte mich aufgerichtet, mir verschlafen die Augen gerieben, sie aufgeschlagen – und in ein grinsendes Gesicht gestarrt, dessen Besitzer mir seine rechte Hand entgegenstreckte. „Oh Gott!“, - war es mir vor Schreck entkommen, was allerdings nur ein noch breiteres Grinsen bewirkte. Er hatte ausgesehen wie eine Hyäne. Aber wenn ich ihm das heute sagen würde, würde ich mir vermutlich eine freundschaftliche Tracht Prügel einhandeln. „Dir auch einen guten Morgen. Ich bin übrigens Yuuto. Aber wenn ich es recht bedenke, kannst du ruhig auch bei `Gott` bleiben. Nett dich kennen zu lernen.“ Ich hatte verwirrt geblinzelt und mich gefragt, mit was für einem Vollpfosten ich mir gestern die Ehre, beziehungsweise die Kante, gegeben hatte. Schließlich aber hatte ich mir ein gepflegtes innerliches `Scheiß drauf ` gedacht und seine Hand ergriffen, somit einfach mitgespielt und bin auf seine seltsame Art und Weise zu kommunizieren eingestiegen. „Manabu.“ Lange Zeit hatte ich ihn immer wieder scherzhaft mit „Yuuto-sama“ angesprochen. Um ehrlich zu sein, ich hatte Yuuto danach ein klein wenig testen wollen. Ich war deswegen nach meinen, zu dieser Zeit schon fast ritualartigen Besäufnissen, niemals alleine nach Hause gegangen und stattdessen immer wieder zu ihm, weil ich sehen wollte, ob ihm davon irgendwann einmal der Kragen platzen würde. Aber niemals war etwas dergleichen geschehen. Immer, wenn ich bei ihm gewesen war, wenn ich mich betrunken oder gekotzt hatte, seine Katze massakriert oder ihm seine Sofakissen voll geheult hatte… Dann war er einfach nur da gewesen, hatte vielleicht selber noch ein, zwei Gläser getrunken, hatte mich in seine Arme gezogen und mir vor allem immer ein aufmunterndes Lächeln geschenkt. „Scheiß drauf! Das Leben geht weiter Mann. Du bist keine Nullnummer, Manabu, ich weiß dass man mit dir Spaß haben kann… Auch wenn du selber davon wahrscheinlich die Hälfte nicht mehr weißt, gestern war ja auch nach dem Tequila Schluss, hm?“, so etwas Ähnliches hatte er immer zu mir gesagt, und dabei sein breites Hyänengrinsen gezeigt, „Hast ja mich, Hübscher. Was Besseres hätte dir im Leben nicht passieren können!“ – da hatte er sogar durchaus Recht. Ich hatte mich an ihn gekuschelt, die Nähe zu ihm und vor allem seine aufbauenden Worte genossen. Ich fühlte mich bei ihm wohl, ich fühlte mich verstanden, und innerhalb von Sekunden war er stets dazu in der Lage gewesen, meine Tränen zu trocknen. Er hatte mit mir geredet, stundenlang, über mich, über ihn, über alles, und jedes Mal beruhigte ich mich so schnell wieder, dass es mir Angst machte. Und das war dann der Punkt, an dem ich mich gefragt habe – What the fuck? Ja, doch, dieser etwas unsittliche englische Ausdruck traf die damalige Situation ganz gut. Ich meine hey, ich war so etwas nicht gewohnt. Absolut nicht. Niemand hatte sich je wirklich einen Deut um mich gekümmert. Für alle war ich zu diesem Zeitpunkt einfach nur ein dummer Oberschüler gewesen, der seinen Abschluss nicht schaffte, seine sogenannten Freunde vernachlässigte und egoistisch genug war, um sich nur um seine eigenen Probleme zu kümmern. Ich hätte nicht verstehen können, wenn sich irgendjemand mit mir abgeben wollte, immerhin hatten die meisten doch genug mit sich selber zu tun. Und vorher hatte ich, außer einer bestimmten Person, überhaupt keine Freunde gehabt… Aber auf einmal war Yuuto da, einfach so, BÄM. Und als wäre es nicht genug gewesen, dass er sich für mich interessiert hatte, er hatte mir sogar in meiner schwersten Zeit geholfen. Ich könnte schwören, dass ich es ohne ihn nicht überlebt hätte. Wahrscheinlich wäre ich an einer Alkoholvergiftung gestorben oder hätte Selbstmord begangen, irgend so etwas Klischeemäßiges eben, womit jede unglückliche Liebe in irgendwelchen niveaulosen J-Doramas endete. Yuuto war eindeutig mein Schutzengel gewesen. Ein Engel, der mich knallhart face-to-face zurück vor die Realität gestellt hatte, mir vor Augen geführt hatte, was wirklich wichtig war, und der mich gezwungen hatte, mich einer Therapie zu unterziehen, um meine Depressionen loszuwerden – Die letzten Endes sogar erfolgreich war. Hätte ich vorher auch niemals geglaubt. Es war mir von da an besser gegangen, viel besser. Und nicht nur das. Ich hatte mich verändert, hatte mir ein Selbstbewusstsein aufgebaut, ein Ego, das mittlerweile mindestens so groß wie Yuuto´s war und wofür mich andere sogar schon bewunderten. Ich fühlte mich gewissermaßen stärker, und irgendwie hatte ich mich plötzlich dazu in der Lage gefühlt, auf eigenen Beinen zu stehen. Nein, ich wollte auf eigenen Beinen stehen. Ich wollte niemandem mehr zur Last fallen und nicht mehr der ewige Versager sein, das war mir damals klar geworden. An der Stelle musste ich erwähnen, dass ich mein letztes Schuljahr wiederholen hatte müssen, denn meine Noten waren vorher einfach zu schlecht gewesen. Natürlich waren meine Eltern am wenigsten begeistert von meinem schulischen Nachlass und meiner plötzlichen Liebe zum Hochprozentigen gewesen, doch ich hatte rebelliert und ihre Einwände knallhart ignoriert. Einmal war mein Vater deswegen total ausgetickt und hatte mir ernsthaft eine geknallt, doch auch das war mir irgendwie egal gewesen. Meine Eltern hatten sich immerhin genauso wenig um mich gekümmert wie die meisten anderen, alles was zählte waren meine Noten. Erneut mit Yuuto´s Hilfe hatte ich es aber auch mit dem Lernen geschafft, meinen Abschluss gemacht, und dann war alles Schlag auf Schlag gegangen. Ich hatte gewusst, was ich wollte, und ich war motiviert genug gewesen, um es umzusetzen. Ich hatte einen Beruf wollen, mir mein eigenes Geld verdienen, meinen Eltern nicht mehr auf die Nerven gehen, denn auch wenn sie es nicht aussprachen, wusste ich, dass sie von meiner Art und Weise damals gekränkt und enttäuscht waren. Und das erste, was mir eingefallen war, was mir eventuell gefallen könnte und wofür ich vielleicht geeignet wäre, hatte mich dazu gebracht, Lehramt zu studieren und schließlich in einer kleinen Schule im hintersten und unauffälligsten Winkel Tokyos Lehrer für Musik und ein bisschen Englisch zu werden. Und wie sah mein Leben jetzt aus? Ganz ehrlich. Es war, im Vergleich zu vorher, einfach nur geil. Um es mal ganz kurz zu fassen – Ich hatte eine hübsche, kleine Wohnung, nicht groß, aber umso gemütlicher, und nirgendwo auf der Welt fühlte ich mich wohler als in meinen eigenen 4 Wänden. Ich hatte einen annehmbaren Job, was für jemanden wie mich sowieso schon ein kleines Wunder war. Der Direktor hasste mich, meine Schüler liebten mich. Die Kleinen waren besonders begeistert von meinen Gitarrenkünsten, weshalb zwei von ihnen auch gleich privaten Gitarrenunterricht bei mir wollten. Sprich, noch eine kleine Verdienstmöglichkeit nebenher. Yuuto war nach wie vor der beste Idiot, den ich mir an meiner Seite vorstellen konnte, er hatte sich kein bisschen verändert, im Gegensatz zu mir. Aber - Mittlerweile gab es da noch jemand anderen. Und dieser jemand, der auf den klingenden Namen Jin hörte, war der Mensch, der mir endgültig mein jetziges, strahlendes Gemüt gegeben hatte. Er hatte es geschafft, dass ich mich nach so langer Zeit wieder einmal in jemanden verliebte, und sogar glücklich wurde. Ich hatte nach meiner letzten Enttäuschung gedacht, dass ich niemandem mehr vertrauen können würde, doch jetzt tat ich es. Und Himmel, wie sehr ich ihn liebte! Seine niedliche, aufgedrehte Art und Weise, sein ewiges sinnloses Gequatsche, seine Anhänglichkeit, sein schönes Gesicht, sein perfekter Körper, sein süßer Schmollmund, mit dem er von mir sowieso alles bekam, was er nur wollte. Eigentlich war ich nicht der Typ dafür, um so kitschiges Zeug auch nur zu denken, geschweigedenn auszusprechen, aber bei ihm konnte ich nicht anders. Ich liebte einfach alles an ihm. Wenn er lächelte, dann musste ich auch lächeln. Er war der Sonnenstrahl, der mich jeden Morgen aus meinen Träumen weckte, nur um zu realisieren, dass dieser Mensch vor mir so viel besser als jeder noch so schöne Traum war. Kurz, ich war überglücklich vergeben. Und als würde mein Leben nicht schon gut genug verlaufen – Nein, da gab es, zusammen mit Jin, noch einen Menschen, der in mein Leben getreten war. Von da an waren also Jin, dessen bester Freund Byou, Yuuto und ich ein festes Vierergespann. Ich liebte sie alle drei, wenn ich mit ihnen zusammen war, kam ich mir echt immer vor als wären wir die absolut Geilsten in der Gegend, auch ohne mich umzusehen und mich davon zu überzeugen. Wir vertrugen uns alle blendend, machten viel Scheiße zusammen und zogen uns gegenseitig wieder raus, um am nächsten Morgen lautstark drüber zu lachen. Richtige Freunde halt, mit denen man alles durchziehen konnte, die selbst im Knast einem noch auf die Schulter klopfen und sagen würden „Geile Aktion Alter!“. Das wurde auch durch meine Beziehung mit Jin überhaupt nicht gestört. Ich hätte nicht geglaubt, dass es funktionierte, aber in Gesellschaft der anderen verhielten wir uns kein bisschen anders als in der Zeit, bevor wir zusammen kamen. Jin war gleichzeitig ein Kumpel für mich, obwohl wir zusammen waren. Die andern beiden freuten sich für uns und brachten dies auch immer wieder zum Ausdruck. Yuuto und ich hatten schon kurze Zeit, nachdem wir uns kennengelernt hatten, beschlossen, dass wir irgendwann eine Band gründen wollten. Er konnte Bass spielen, und ich Gitarre. Und Musik war unser Leben, immerhin hatten wir beide schon in relativ jungen Jahren mit diesem ganzen Visual Kei-Zeug angefangen. Kranke Sache, aber gefallen hatte mir das schon immer, nur wollte ich es in Schulzeiten nie zugeben. Und dann hatten wir plötzlich alles, was nötig war – Denn Jin konnte Schlagzeug spielen wie kein Zweiter, und Byou konnte singen! Zumindest war seine Stimme kräftig genug, um in die Richtung zu gehen, die wir uns vornahmen. Yuuto und ich hätten Freudentänze aufführen können, als die beiden uns das irgendwann beiläufig erzählt hatten (Obwohl, ich glaube das hätte dezent schwul ausgesehen…). Wir hatten begonnen, uns öfter zu treffen und versucht, einige Songs zu covern. Es lief nicht schlecht, es lief sogar ziemlich gut. Anfangs hatten wir Probleme, in Einklang zu spielen. Wir mussten uns alle erst aneinander gewöhnen. Ich mich ganz besonders an Byou´s Stimme… Und den Stress, den eine eigene Band mit sich brachte, hatte ich eindeutig unterschätzt. Vorerst hatten die anderen mich ungefragt als Leader eingeteilt – mit der Begründung, ich wäre „der Seriöseste in der Runde“. Haha. Sehr witzig. Doch nach einigen Monaten, in denen wir nur verbissen Songs gecovert hatten und uns an etlichen Aufnahmen versucht haben, wobei wir nach und nach kapierten, wie das alles funktionierte, war es beschlossene Sache – Gemeinsam arbeiteten wir unseren ersten eigenen Song aus, und nach viel weiterer Arbeit, hunderten verkorksten Aufnahmen, zwischenzeitlicher Verzweiflung und ständigem gegenseitigen Motivieren (In Form von Keksen, Kaffee, Sex oder Geschrei) war es soweit. Wir hatten „SCREW“ ins Leben gerufen. Und wir hatten nicht vor, es aufzugeben, wir würden es definitiv durchziehen. Ich war vollkommen überzeugt, dass wir das Zeug dazu hatten. Ein Lächeln schlich sich auf meine Züge. Es hatte definitiv Unterhaltungswert, sich all diese Dinge, die bis jetzt passiert waren, noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Im Moment lag ich neben Jin in dessen wunderbar bequemen Bett, während er seelenruhig schlief. Und dabei zum anbeißen niedlich aussah, nebenbei bemerkt. Konnte man schöner aufwachen, als mit seinem schlafenden Schatz neben sich, den man seelenruhig betrachten und schließlich zum morgendlichen Kuscheln in seine Arme ziehen konnte? Jetzt noch eine richtig geile Tasse Kaffee, und nichts auf der Welt könnte mir mein breites, gut gelauntes Grinsen aus dem Gesicht schlagen. Samstag + ausschlafen + Jin + dessen riesengroßes Bett + dessen schlafendes Gesicht + Kaffee = überglückliches Manabu. Minus Kaffee ergab zumindest ein `ausgesprochen zufriedenes Manabu`. Ich schlang meine Arme fester um Jin, der ein leises, verschlafenes Murren von sich gab. Ich musste ihn so oder so aufwecken, immerhin war es schon beinahe Mittag, irgendwann mussten wir auf die Beine kommen. Aber wenn, dann wenigstens auf die schöne Art. Wer weckte schon gerne schlafende Engel? Ich drehte seinen Kopf etwas in meine Richtung, streichelte ihm sanft durch seine verwuschelten Haare und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Stirn. Aufgrund der Streicheleinheiten öffnete er nun auch langsam die Augen und blickte mich schließlich verschlafen an. „Guten Morgen, mein Engel~“, sagte ich zu ihm und grinste ihn an. Wenn er so verpennt war, wirkte er eigentlich ziemlich lustig. Jin antwortete mir nicht, sondern murrte nur leise und drehte sich ruckartig mitsamt mir um, sodass er auf mir drauf lag, nur um sich gleich darauf seelenruhig an meinen Oberkörper zu kuscheln. Die Wärme seines Körpers auf mir ließ mich leise seufzen, ich atmete tief durch und genoss den Moment, da es sich einfach gut anfühlte. Er machte den Eindruck, als wollte er einfach in dieser Position weiterschlafen. Was er ja wahrscheinlich auch wirklich wollte. Aber ich würde ihm maximal noch 5 Minuten gönnen. Dann stellte ich allerdings fest, dass es nicht mal so lange dauerte, bis er erneut seinen Kopf hob - und mich böse ansah. „Du Arsch. Wieso verdammt nochmal siehst du nach dem Abend, und vor allem nach DER Nacht, so verdammt gut aus??“ Hatte ich schon erwähnt, dass ich ihn liebe? Leise lachend wuschelte ich ihm durch die Haare. Ob ich wirklich so gut aussah, wie er es gerade behauptete, konnte ich nicht beurteilen, aber für gewöhnlich graute es mir morgens vor einem Blick in den Spiegel. Also, ganz so viel Glauben schenkte ich seinen Worten in diesem Fall nicht… „Ich hab keine Ahnung wovon du redest, Schatz, aber du siehst auf jeden Fall ausgesprochen lecker aus~“, - ich sagte absichtlich nicht süß, weil Jin immer schmollte, wenn ich ihn „süß“ nannte. Er stand nun mal eher drauf, wenn ich ihm sagte, wie sexy und heiß er doch war. War er ja auch, und wie… Der Kleinere grinste und drückte kurz seine Lippen auf meine. Ich hatte ihn keinesfalls angelogen, er sah wirklich „lecker“ aus – immerhin war er splitternackt und lag zwischen meinen Beinen, was mich irgendwie nicht so kalt ließ, wie ich mir das im Moment wünschte. Es hatte seine Nachteile, wenn man bei der Nähe des Körpers eines anderen beinahe zerging wie Eis in der Sommerhitze. Wenn Jin Lust darauf hatte, mich geil zu machen, dann hatte ich absolut keine Kontrolle über das, was er tat. Nicht, dass ich so viel dagegen hätte, aber man kann ja nicht den ganzen Tag nur vögeln…! „Schatz… gönn mir doch mal ne Pause“, sagte ich grinsend und schloss die Augen, als er begann an meinem Hals zu knabbern und mich zu streicheln. Ich erwiderte die Geste, indem ich meine Hand hob und mit den Fingern durch sein blondes Haar strich, um ihm anschließend sanft den Nacken zu kraulen. Ich wusste nicht ganz, ob ich beunruhigt sein oder mich freuen sollte, als seine Hand plötzlich merklich tiefer wanderte. Aber um ehrlich zu sein hatte ich nach der ohnehin recht ausgelassenen und dezent alkoholisierten Nacht mehr Lust auf Kuscheln als auf Sex. Beziehungsweise hatte ich Lust langsam mal aufzustehen und es bis zum Frühstück zu schaffen, ohne auf ihn anzuspringen. Wieso nur mangelte es mir so an Selbstbeherrschung? Ist ja nicht so, als wäre ich Byou oder jemand in der Art… „Ich finds lustig.“ Verwundert sah ich zu ihm auf. Was fand er denn jetzt so lustig? Er grinste mich an. „Ich weiß dass du morgens nie wirklich Lust hast, und trotzdem wehrst du dich nicht.“ Jetzt musste ich auch grinsen. „Liegt vielleicht daran, dass ich genau weiß, dass du nicht viel weiter gehst… Eben weil du weißt, dass ich morgens keine Lust auf Sex hab“, antwortete ich gelassen, erntete dafür ein leises Kichern und ein genuscheltes „Wir kennen uns wohl schon zu gut“, ehe er von meinem Hals abließ und sich einfach wieder an mich schmiegte. Nun, er wollte jetzt vielleicht keinen Sex, wie ich bereits erwartet hatte, aber er hatte wohl auch absolut keine Lust, aufzustehen. Ein genüssliches Seufzen entkam Jin´s Lippen. Ich hingegen seufzte aus einem anderen Grund, auch wenn ich seine Nähe sehr genoss. „Jin… wir müssen langsam wirklich aufstehen, es ist schon-“ „Ach halt den Mund, es ist Samstag und wenn ich das jetzt nochmal höre, steht bei dir gleich was ganz anderes!“ Hatte ich übrigens schon erwähnt, dass ich ihn liebe? Kapitel 2: You should not risk a second one ------------------------------------------- Und weiter gehts~ Ich wollte nur kurz im Vorweg erwähnen - ich weiß, dass es Screw ein Jahr länger gibt als AND, und sie deswegen extrem unwahrscheinlich als Vorband für AND auftreten werden, aber in meiner FF ist das eben so und basta xP Viel Spaß ♥ EDIT: Da mich drauf aufmerksam gemacht hat besser ich jetzt auch aus, dass Manabu Deutschlehrer ist, weil das ja für Japan ziemlich seltsam wär >D Ich schreibe halt immer so wie ich grade denke, da passiert mir so was leider oft "XD Also machen wir den Guten einfach zum Englischlehrer. **************************************************************** Die Tage in der Schule zogen sich bei mir stets wie Kaugummi. Ich meine ja, die Kleinen sind ja wohl niedlich, erinnerten mich an mich selber in der Pubertät. Obwohl, war ich wirklich auch so schlimm gewesen? Jedenfalls, der Direktor konnte mich nun mal nicht leiden, und wenn man beim Chef nicht eingeschleimt war, hatte man gleich ein etwas schwereres Leben. Aber ich wäre nicht der Liebling aller Schüler, wenn mich dessen hochgestochenes Gequatsche wirklich interessieren würde. Leute, die sich wichtig vorkamen, aber in ihrem Beruf eigentlich ebenso leicht ersetzbar und somit keinen Deut besser als andere waren, konnte ich nun einmal von Grund auf nicht ausstehen. Obwohl meine Beliebtheit bei der Jugend natürlich auch noch andere Gründe hatte, so wie heute. „Und das waren ganz sicher nicht ihre verzogenen Bälger?“ Ich verkniff es mir, die Augen zu verdrehen. Genau genommen hasste ich es, wenn dieser Mann über die Kinder sprach, als wären sie alle nur dumm und nutzlos – und vor allem sprach er, als wären sie alle gleich. Tat grade so als wäre er selber nie jung gewesen. „Ich habe es Ihnen doch bereits erklärt. Frau Sato hat die Sache von ihrem Garten aus ja auch gesehen. Sie kann Ihnen sicher bestätigen, dass das ältere Schüler waren, keine von unserer Schule.“, erklärte ich dem wütenden Gesicht vor mir möglichst ruhig und fragte mich, ob er bei seinen vielen Wutfalten nicht einfach mal einen Urlaub nötig hätte. Aber wahrscheinlich könnte der Kerl sich nicht mal da entspannen, er war ein Arbeitstier und hatte nichts anderes im Kopf. Hatte der überhaupt eine Familie oder eine Freundin? Der Direktor lächelte gespielt. Ich wusste genau, dass sein Kopf auf Hochtouren überlegte, wie er mich trotzdem irgendwie auffliegen lassen könnte. Er war ein sadistisches Arschloch. Zur Erklärung, es ging um ein kaputtes Fenster in einer Klasse, aus Versehen zerschossen als ich mit meinen Jungs während der großen Pause im Hinterhof Fußball gespielt hatte. Konnte ja jedem Mal passieren. Und dem netten Fräulein Sato würde ich dann ne Schachtel Kekse für ihre Zeugenaussage schenken. „Sie sind ein ganz schön beliebter Lehrer. Ich dachte immer, so lockere Lehrkräfte würden von den Schülern ausschließlich als naiv angesehen und ausgenutzt.“ Ich lächelte ihn leicht an. Auch wenn es mir ganz schön schwer viel, in seiner Anwesenheit zu lächeln. „Man kann den Schülern auch auf lockere Art und Weise Wissen vermitteln.“, antwortete ich trocken. Jetzt bildete sich wieder eine kleine Falte auf seiner Stirn. „Und Sie glauben, sie wären dazu in der Lage? Ich glaube eher, ihre Schüler lernen überhaupt nichts.“ – Na vielen Dank für die Blumen! Ich riss mich zusammen und schüttelte den Kopf. „Shidou-san, sie können gerne einer meiner Unterrichtsstunden beiwohnen, sie werden sehen, dass meine Schüler keineswegs faul sind.“ Das waren sie wirklich nicht, denn eigentlich war ich ein strenger Lehrer. Was ich als Verbot für unnötig hielt, erlaubte ich ihnen– zum Beispiel durften meine Schüler während dem Unterricht Essen, Trinken, und von mir aus auch Kaugummi kauen. Ich erwartete allerdings trotzdem Aufmerksamkeit von ihnen, gerade in Englisch prüfte ich oft und viel, und wenn jemand zu laut war, stellte ich demjenigen frei, die Klasse zu verlassen und eine Fehlstunde in Kauf zu nehmen, wenn er lieber etwas anderes machen möchte. Ärgern ließ ich mich von ihnen auf keinen Fall, genau das war doch der Fehler, den die meisten Lehrer machten. Kam mir ein Schüler frech, dann gab ich genauso frech zurück, basta. Wie du mir, so ich dir. Und in den Pausen setzte ich mich dann, wann immer ich Zeit hatte, zu ihnen, ließ mich von ihnen zuquatschen, lernte sie kennen oder spielte Fußball mit ihnen. Das tat außer mir nur ein einziger anderer Lehrer. Gerade das Kennenlernen fand ich am interessantesten. Weil es so viele verschiedene Persönlichkeiten waren – kleine Rebellen, Schüchterne, Aufgeschlossene, Fröhliche, Dauerquasselstrippen, aber auch solche, die eher wie Außenseiter wirkten. Reden taten sie trotzdem alle mit mir, und so konnte ich mir von ihnen allen auch gleich ein viel besseres Bild machen. Kinder mochten es, wenn man ihnen viel Aufmerksamkeit schenkte und zeigte, dass man Interesse an ihren Persönlichkeiten hatte. Das war für mich eine Tatsache. Man glaubte es kaum, aber ich war jemand, der seinen Beruf eigentlich recht Ernst nahm. Auch wenn ich ein bisschen so rüber kam, als wäre ich der Schulpsychologe oder so. „Ich werde mich bei Gelegenheit davon überzeugen“, sagte der Direktor noch und machte eine Handbewegung, die mich zur Tür des Sekretariats verwies. Am liebsten hätte ich ihm die Zunge rausgestreckt. Da meldete sich wohl das Kind in mir. „Einen schönen Tag wünsche ich noch!“ Ne Hodenkrebserkrankung wünschte ich ihm, und mir einen stressfreien weiteren Tagesablauf… Der Nachmittag wurde für mich gleich um einiges unterhaltsamer. Okay, zwar musste ich auch die Bandproben ernst nehmen, besonders da unser erstes kleines Konzert ja gar nicht mal mehr so weit in der Zukunft lag. Aber „ernst“ war irgendwie etwas, was mir in Gegenwart meiner drei Chaoten einfach unmöglich erschien. Besonders in Situationen wie der momentanen, wo Jin und Yuuto sich gerade seit einer halben Stunde darum stritten, wer von beiden jetzt zum nächsten Starbucks rennen und Kaffee für alle holen sollte, und Byou desinteressiert daneben saß und Tetris zockte – auf einem Gameboy COLOR, wohlgemerkt. „Ich bin letztes Mal gegangen!“, protestierte Jin gegen Yuuto, der auf seinen Gewinn bestand, immerhin hatten sie kurz zuvor die Sache noch per Schere, Stein, Papier entscheiden wollen. „Na und? Du hast verloren!“, entgegnete unser Bassist, verschränkte die Arme und hob eine Augenbraue. Diesen Blick kannte ich nur zu gut. Den hatte ich schon sehr oft von ihm bekommen. Er bedeutete: Deine Meinung ist mir scheißegal und ich werde trotzdem bekommen was ich will. In diesem Fall seinen Latte Macchiato. „Vergiss es! Dir kann ein bisschen Sport doch eh nicht schaden, also geh endlich!“ Oh, jetzt machte Jin die Sache interessant. An dieser Stelle sollte ich vielleicht erwähnen, dass der kleine Blonde wohl unser `Mädchen` abgab, in Sachen Zickereien und momentan wohl auch im Aussehen. Aber Yuuto war dafür absolut schizophren – einerseits ein Macho, Aufreißer und Kumpel, mit dem man sich ruhig mehrmals wöchentlich die Kante geben und über Gott und die Welt sinnieren konnte, andererseits war er aber auch wie eine Frau, die dauerhaft ihre Tage hatte. „Ach, ich brauche also Sport?! Steig du mal lieber auf Diätschokolade um, du wandelnde Fressmaschine! Passt ja schon bald nicht mehr in dein Outfit für unser Konzert!“ Zickenkrieg. „Na wunderbar, dann kann ich ja mit dir tauschen, da pass ich auch mit 10 Kilo mehr noch locker rein und muss nicht auf meine Pralinen verzichten! Komm, lass tauschen, X-large gegen Small!“ „Mit DEINEN Klamotten würd ICH nicht auf die Bühne gehen, so billig wie das aussieht!“ „MANABU! ER BESCHIMPFT MICH ALS SCHLAMPE!“ Für einen Moment musste ich mir ein „wo er Recht hat“ verkneifen. Aber auch das war nicht weiter verwunderlich, immerhin wusste ich, wie Jin´s Outfit für unser erstes Live aussah, und ich wusste auch jetzt schon, dass ich ihn nach dem Konzert ohne Rücksicht auf Verluste bespringen würde, wenn er vorhatte noch länger in dem Fummel rumzulaufen, der viel mehr Haut zeigte als verdeckte… „HIGH SCORE!“ Beinahe gleichzeitig schnellten alle Köpfe in Richtung Byou, der mit einem freudigen Lächeln von seinem Gameboy aufsah – das ihm aber sofort verging, als er die grimmigen Gesichter unserer beiden `Frauen` erblickte. Erneut musste ich mir ein Lachen verkneifen, denn unser Sänger sah gerade aus, als hätte er seine imaginäre Ehefrau betrogen, die nun mit gefundener fremder Damenunterwäsche und einem fetten Nudelholz vor ihm stand. „Byou~ du weißt doch, wie lieb wir dich haben, oder?“ Ah, hatten die beiden also doch nicht vergessen, worum es hier eigentlich ging – um Kaffee. Angesprochener seufzte und verdrehte die Augen. „Was krieg ich dafür?“, fragte er misstrauisch und warf einen vielsagenden Blick zu Yuuto. Der wiederum grinste anzüglich, kam auf den Sänger zu und setzte sich auf seinen Schoß, nur um ihm im nächsten Augenblick verführerisch ins Ohr zu hauchen – „Was immer du willst…“ Noch nie hatte ich meinen Starbucks-Espresso schneller bekommen als an diesem Tag. Byou war und blieb nun mal ein geiler Bock. Trotz der täglichen Streitereien, an die ich mich aber schnell gewöhnt hatte, da sie niemals ernst gemeint waren, brachten wir eine gar nicht so schlechte Leistung zustande. Was mich gegen Ende der Probe doch recht zufrieden stimmte. Wir hatten zwar nur zwei eigene Songs und einen Gecoverten für unseren ersten Auftritt, aber wir waren ja auch nur als Vorband für AND –eccentric agent- dort. Was mir wiederum eine kleine Ehre war, immerhin liebte ich deren Stil und war schon einmal auf einem kleinen Konzert von ihnen gewesen. Ikuma wusste wirklich, wie man die Menge zum Kochen brachte – Und wenn man mal davon absah, dass es für mich trotzdem niemand heißeren als Jin gab, hatte ich eine kleine Schwäche für den Bassisten der Band. Der war aber auch zu niedlich. Außerdem dem fand ich, dass unser eigenes Bandimage gar nicht zu schlecht zu dem von AND passte, also würden wohl auch deren Fans mit uns zufrieden sein. Hoffte ich zumindest. Natürlich war ich nervös, wer wäre das nicht. Aber darum wollte ich mich jetzt nicht kümmern, immerhin war unsere Probe heute sehr erfolgreich gewesen, es waren nur noch Details, an denen gefeilt werden musste, und die fehlende Perfektion, für die wir aber auch noch knapp eine Woche Zeit hatten. Jetzt wollte ich mich lieber um Jin kümmern – denn der war so müde, dass er schon fast im Stehen einpennte, und so würde ich ihn auf keinen Fall ans Steuer seines Autos lassen. Wofür gab es denn den hauseigenen Screw-Taxidienst Manabu, bezahlbar mit Kaffee und Keksen? Nachdem ich mich also von Yuuto und Byou verabschiedet hatte, die ja jetzt anscheinend wirklich noch vor hatten zu vögeln – An der Stelle, nein, die beiden waren nicht zusammen und eigentlich wirklich nicht mehr als Freunde, aber es war schon immer normal für sie gewesen, hin und wieder miteinander zu schlafen, und mir sollte es egal sein – Und Jin auf dem Weg zu meinem Wagen vor dem Umkippen bewahrt hatte, fuhr ich meinen Schatz nach Hause. Warum Jin so müde war, wusste ich ja, immerhin war es Montag und er hatte Sonntag unbedingt noch was mit alten Freunden unternehmen müssen. Ich war nicht mitgegangen, denn ich hatte einen Haufen Zeug für die Schule zu erledigen und abgesehen davon kannte ich außer ihm ja auch keinen. Ich ging generell nur dann mit feiern, wenn Byou und Yuuto auch dabei waren. Tja, und heute hatte er natürlich trotzdem zur Arbeit und zur Bandprobe müssen und ein bisschen zu viel Kaffee getrunken. Worum es im Moment aber auch gar nicht ging. Jetzt musste ich Jin erstmal ins Bett bringen und dann überlegen, ob ich einfach gleich bei ihm blieb, oder ob ich etwas zu tun hatte, weswegen ich nach Hause fahren müsste. Entscheiden tat ich mich für Letzteres. Ich würde meinen Sonnenschein ja morgen ohnehin wieder sehen, und ich würde ihn später auch nochmal anrufen um sicher zu gehen, dass es ihm gut ging. Ja, das gute alte Telefon. Hätte ich gewusst, dass heute nicht einfach irgendein Tag war, ich wäre nicht mal halb so ruhig gewesen. Es wäre nett gewesen mir irgendeine Warnung zu schicken, irgendein „ACHTUNG, gleich passiert dir was!“, von mir aus auch in Form eines Handy-Störsignals, aber irgendetwas, was mich aus meiner gottverdammten Ruhe brachte – Das hätte meinen Schock um einiges erleichtert. Hätte. Hätte ich nur gewusst, dass heute der Tag sein sollte, der mein perfektes Leben wieder über den Haufen werfen würde. Ich war ganz normal zu Hause in meiner kleinen Wohnung angekommen, hatte meine Schuhe in die Ecke geworfen und meine Jacke auf den Küchentisch. Ich hatte ganz normal eine Pizza in den Ofen geschoben, damit ich wenigstens noch etwas in den Magen bekam, so ganz ohne Abendessen ging ich ja doch nicht gerne ins Bett. Und ich hatte ganz normal den Fernseher eingeschalten und mir die nächstbeste ach so interessante Dokumentation über – ich glaube es war über Waschbären, gegeben. Plötzlich klingelte mein Handy. Die Nummer war mir unbekannt, von daher hatte ich auch an dieser Stelle noch nicht die geringste Ahnung, was auf mich zukam. Wenn ich jetzt so darüber nachdachte, könnte ich Lachen und Heulen gleichzeitig, man wurde eben doch niemals alle seine Probleme los, egal wie sehr man sie zu verdrängen und zu verjagen versuchte. Als ich mich mit einem gepflegten „Moshi Moshi?“ meldete, und dann diese Stimme, DIESE Stimme am anderen Ende der Leitung ertönte – Ich schwöre, das Pizzastück rutschte mir unabsichtlich aus der Hand. „Manabu? Ich bins… Kazuki. Ich… also, ich bin wieder in Tokyo und wollte fragen, ob wir uns vielleicht sehen könnten?“ Nein. Das war ein Scherz, das musste ein Scherz sein. Das war irgend so ne Telefonverarsche, wo sie unschuldige Leute anriefen um diese völlig zum Austicken zu bringen, und am Ende ertönte dann eine lustige Melodie, die aufklärte dass das alles nur ein schlechter Scherz war. Aber wer machte heutzutage noch DERMAßEN schlechte Scherze? Vor Schreck drückte ich wie von selbst sofort auf den roten Hörer. Zwei Minuten, vielleicht sogar länger, brauchte ich, um zu realisieren, WER mich da gerade aus heiterem Himmel angerufen hatte. Ich musste eine rauchen, jetzt sofort. Unruhig riss ich die Balkontür auf, bemerkte wie mein Handy plötzlich ein weiteres Mal klingelte, es ließ mich zusammenzucken. Dieselbe Nummer. Erneut legte ich auf, ohne überhaupt erst abzuheben. Mein gesamter Verstand schrie, dass ich mir möglichst bald eine neue Nummer beschaffen sollte, dass ich bloß nicht mit diesem Mann sprechen sollte. Ich wusste an dieser Stelle komischerweise ganz genau, auf was es hinauslaufen würde. So ein Gefühl, das mir sagte, dass mein momentan so gut verlaufendes Leben gewaltig gestört werden könnte, denn ich war mir bewusst, dass ER dazu in der Lage war. Woher diese ganzen Vorahnungen kamen, das wusste ich allerdings nicht so genau. Auf jeden Fall war ich von einer Minute auf die nächste nicht mehr gut gelaunt und sorgenlos, sondern viel mehr beunruhigt und… ich glaube ich hyperventilierte. Ein ganz kleines Bisschen. In einer verzweifelten Geste krallten sich die Finger meiner rechten Hand schon fast unsanft in meine Haare. Noch nie hatte ich so schnell und plötzlich Kopfschmerzen bekommen, anscheinend war es gerade ein bisschen zu viel Information für mich. Zu viele Fragen, die nun drohten, meinen Kopf unbarmherzig zu sprengen! Wieso rief er mich an? Wieso war er wieder hier? War er wirklich wieder hier? Was wollte er? Was sollte ich tun? Was würde ER tun? Das konnte doch alles einfach nicht wahr sein! Meine Finger zitterten, während ich meine Zigarette aufrauchte, wobei ich schon nicht mehr wusste, die wievielte das gerade war. Scheißegal! „Gott, Manabu, beruhig dich…“, sagte ich verzweifelt zu mir selbst. Es half nichts. Die Unruhe blieb. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, ich wusste nicht einmal, wovor genau ich hier eigentlich Angst hatte, ich wusste nur, dass ich mir wünschte, diesen Anruf niemals erhalten zu haben. Trotzdem beruhigte mich der Gedanke zumindest ein bisschen, dass ich ihn nur weiterhin ignorieren müsste, und er würde es sicherlich aufgeben, mit mir in Kontakt treten zu wollen. Hoffte ich. Fast jeder Mensch hatte viele Momente und Situationen gelebt, die er gern vollständig vergessen würde. Man konnte stark sein und damit umgehen, oder man rannte einfach davon und ließ all jene, die damit zusammenhängen, zurück. Beide Varianten hatten ihre guten und schlechten Seiten. Eigentlich war ich der Zurückgelassene gewesen, nicht er. Und dennoch war ich es gewesen, auf den die Probleme dann hereingebrochen waren, und der letztendlich vor seinen Gefühlen davonrennen hatte müssen. Und jetzt sollte mich das alles wieder einholen? Nach so langer Zeit? Oder was bezweckte er sonst mit diesem Anruf? Müsste er nicht eine ungefähre Vorstellung davon haben, wie es mir die letzten Jahre ergangen war?! Gerade in diesem Moment sah ich alte, sehr alte Situationen vor mir. Dinge, an die ich eigentlich nicht mehr denken wollte, die zum Vergessen aber doch zu schade waren. Dinge, die mein Herz in sich aufbewahrt hatte, weil es sich weigerte, nicht mehr daran zu denken. Da war etwas gewesen, das auch mit einem Anruf begonnen hatte. Und wahrscheinlich hätte ich auch diesen Anruf damals nicht entgegennehmen sollen. Wie alt war ich da gewesen? 16…? --Flashback-- „Kazuki…? Was ist los?“ Verschlafen rieb ich mir die Augen, während ich mir mit dem bisschen zusammengeraufter Kraft mein Handy ans Ohr presste. Müde blinzelte ich, um nach einigen Sekunden in der Dunkelheit meine Zimmerwände erkennen zu können. Es war mitten in der Nacht, ich wollte gar nicht erst wissen, wie spät es eigentlich war. Dass ich durch das Vibrieren meines Handys tatsächlich wach geworden war, grenzte deutlich an ein Wunder. „Ich… Manabu, du hast doch gesagt ich kann immer zu dir kommen, oder?“, meldete sich beinahe zögerlich eine Stimme am anderen Ende der Leitung. Das war ich nicht gewohnt. Kazu war niemand, der `zögerlich` sprach. Er war jemand, der gerade heraus seine Meinung und das, was er wollte, zum Ausdruck brachte, ohne die geringste Erwartung einer Enttäuschung in seiner Stimme. Aber ja, das, was er da behauptete, hatte ich wirklich mal zu ihm gesagt. Ich war nämlich mal bei ihm auf Besuch gewesen, und Kami, seine Eltern waren unausstehlich. Bei denen hätte ich es auf Dauer nicht ausgehalten. An diesem Tag hatte ich Kazuki versprochen, dass er immer zu mir kommen konnte, wenn die Alten ihn zu sehr stressten. „J-ja… ist was passiert?“, fragte ich ihn, und eine gewisse Sorge machte sich in mir breit. Er war ja auch immerhin mein bester Freund. Und mein einziger, wenn man es genau nahm. „Kann ich zu dir oder nicht?“, fragte er, ohne auf meine Frage einzugehen, und klang nun wieder voll und ganz wie der Kazuki, den ich kannte. Was für eine schlagartige Veränderung, dachte ich. „Ja… kannst du.“ Ich hatte geantwortet, ohne nachzudenken. Aber es war egal, meine Eltern waren eh nicht zu Hause und es störte mich nicht, wenn Kazuki meinte er müsse um 01:20 Uhr morgens – mittlerweile wusste ich dank meiner Küchenuhr die Uhrzeit – zu mir kommen. Tatsächlich meldet sich wenig später nochmals mein Handy, um mir mitzuteilen, dass er bereits vor meiner Tür stand. Mit einem etwas mulmigen Gefühl öffnete ich, und stellte fest, dass mein bester Freund gerade aussah wie ein Hund, der von seinem Herrchen geschlagen worden war und nun einen treudoofen Blick auflegte. Wobei „geschlagen“ es anscheinend ziemlich gut traf, denn er sah wirklich so aus. „Gott, Kazu… was ist passiert?“, fragte ich und musste wohl ziemlich betroffen wirken, immerhin kam es grade so rüber, als hätten seine Eltern ihn verprügelt oder sonst was… „Nicht so wichtig.“, sagte er hingegen und machte eine wegwerfende Handbewegung, die mir signalisieren sollte, dass das Thema hiermit erledigt war. Ich fühlte mich ein kleines bisschen verletzt. Ich hatte es noch nie ausstehen können, dass Kazuki niemals erzählte, wie es ihm wirklich ging. Jeder Blinde hätte doch gemerkt, dass hier was nicht stimmte. Dennoch ging ich nicht weiter darauf ein. Ich wusste, dass er mir keine Antwort geben würde, das tat er nie. „Willst du was essen oder trinken? Nen Tee oder so?“, fragte ich. Man musste eben fragen, wenn man nicht wusste, was der andere wollte. Ich hatte ihn noch nie durchschauen können. Seltsam, dass er trotzdem mein bester Freund war, aber ich könnte nun einmal auch niemals ohne ihn. Was genau mich so an ihn kettete, das wusste ich selbst nicht… War es eine Art Faszination für seinen Charakter? Oder einfach nur die Tatsache, dass er sich mit mir abgab, wo es doch der Rest der Schule nicht tat? Gut möglich. Aber toll war er schon, vielleicht sah ich ja auch irgendeine Art von Vorbild in ihm… oder so. Kazuki schüttelte den Kopf, nuschelte nur noch ein undeutliches „Schlafen…“, und ging ohne zu Fragen die Treppe in mein Zimmer hinauf. Das war mir egal, ich war nun wirklich kein Mensch, der sich was aus Höflichkeiten machte. Von mir aus konnte er hier tun und lassen was er wollte. Und wenn er schlafen wollte, dann würde ich ihn sicherlich nicht davon abhalten. Ich folgte ihm nach oben. Immerhin war ich selbst auch ziemlich müde… Wenn es alles war, was er wollte, würde ich jetzt auch einfach wieder wegpennen und die Sache hatte sich. In meinem Zimmer standen zwei Betten, eines gehörte mir und eines meinem älteren Bruder, der jedoch schon vor einiger Zeit ausgezogen war. Wenn Kazuki bei mir war, schlief er meistens im Bett meines Bruders. Umso perplexer musste mein Blick gewesen sein, als ich ins Zimmer kam und ihn in MEINEM Bett erblickte, die Augen geschlossen und tief in die Decke gekuschelt. Er wirkte, als wäre er stundenlang durch die Kälte gerannt und hätte jetzt nichts dringender nötig als genau diese warme, weiche Decke um seinen Körper. Ich setzte mich auf die Bettkante und betrachtete ihn kurz. Wiedermal fiel mir etwas auf, wofür ich Kazuki schon beneidete, seit ich ihn kannte – sein hübsches Gesicht. Er war generell hübsch, eben der typische Weiberschwarm an der Schule. Er könnte echt jede haben, durchaus beneidenswert. Nur seine Art und Weise dabei gefiel mir nicht so recht… ich wusste nicht, ob es stimmte, aber er hatte den Ruf eines kleinen Herzensbrechers, der Beziehungen nicht allzu ernst nahm. Aber da ich nicht wusste, ob es die Wahrheit war, und selber nicht mal ansatzweise Erfahrungen auf diesem Gebiet hatte, ließ ich die Gerüchte einfach Gerüchte sein, und selbst wenn, was ginge mich sein Liebesleben bitteschön an? „Kazu? Schläfst du schon?“, fragte ich leise und musste ziemlich dumm ausgesehen haben, wie ich da saß und ihn fragend anguckte, wo er doch sowieso die Augen geschlossen hatte. Aber schließlich erhielt ich doch ein undeutliches Murren als Antwort. „Äh… ich leg mich dann halt ins andere Bett, wenn du lieber hier schlafen willst.“, sagte ich noch und wollte aufstehen. Betonung auf wollte. Eine Hand schnellte unter der Bettdecke hervor und packte mich beinahe unsanft am Arm. Irritiert sah ich Kazuki an, der mit einem Mal seine Augen aufschlug und mich anfunkelte. Ich konnte diesen Blick nicht deuten, irgendwie sah er ein bisschen beleidigt aus, gleichzeitig aber wie ein Tiger, der auf seine Beute lauerte und vielleicht sogar ein bisschen amüsiert. Auf jeden Fall nichts, was ich von ihm gewohnt war. Genauso wenig war ich es gewohnt, dass er mich plötzlich zu sich in mein Bett zog, die Decke über mich warf und seine kräftigen Arme um meinen schmalen Körper schlang, deutlich ungewillt, mich wieder loszulassen. Mir blieb in dem Moment schlichtweg die Luft weg. „Kazuki…?“, fragte ich leise, erhielt jedoch keine Antwort, und die Situation behagte mir nicht. Zu deutlich spürte ich seinen Körper unter mir und konnte mich an dieses Gefühl nicht so recht gewöhnen. Dann vernahm ich aber doch noch einmal seine Stimme, gepaart mit seinen dunklen, katzenartigen Augen, die mich nun wieder mit diesem undeutbaren Blick durchbohrten. Sein Gesicht war meinem plötzlich so nahe. Ich war verwirrt, spürte wie mein Herz klopfte, wie mein Verstand aussetzte und ich mich einfach nicht mehr rührte, da ich keine Ahnung hatte, wie ich mich verhalten sollte. „Lust auf ein Experiment?“ - sagte er und küsste mich. Kapitel 3: Just thinking of the scene makes me sick --------------------------------------------------- Auf ein Neues~ Ab jetzt ist übrigens jedes Kapiteltitel aus einem beliebigen J-Rock Song geklaut... Und wers errät kriegt einen imaginären Keks 8D Ist das nicht toll? °3° Es gibt wieder ein paar Flashbacks. Die kennzeichne ich jetzt einfach mit einem "♦" Und jetzt bereiten wir Manabu gehöriges Kopfzerbrechen~ Viel Spaß :D *********************************************************************************************** Unruhig wälzte ich mich im Bett hin und her. Ich hatte die Nacht fast kein Auge zugemacht. Mein Handy hatte ich abgeschaltet. Um ehrlich zu sein, ich hatte Angst vor weiteren Anrufen. Ein Blick auf die Uhr an meiner Wand verriet mir, dass es fast 5 Uhr morgens war. Mit halb geschlossenen Augen starrte ich sie an. Ich fühlte mich seltsam leer. Mein Kopf fühlte sich leer an, so, als wären gerade überhaupt keine Gedanken darin, als hätte jemand diese mit einem Besen einfach weggefegt. Dabei waren es doch so viele Dinge, um die ich mir Gedanken machte… Viel schlimmer war allerdings, dass ich einen Schmerz in meiner Brust spürte, den ich nur zu gut kannte. Ich hatte es früher immer gespürt, wenn ich an irgendetwas gedacht hatte was mit Kazuki zusammenhing. Mit ihm, mit dem Menschen, der mich in meinem Leben am meisten verletzt hatte. Im Laufe der Zeit war es schwächer geworden, ich hatte ihn vergessen können, ich hatte nie mehr an ihn gedacht, doch jetzt… Ich hatte Angst. Ich hatte ehrliche Angst vor dem, was in naher Zukunft vielleicht passieren würde. Immerhin kannte ich Kazuki sehr gut, und falls er sich wirklich nicht verändert hatte, dann war er derselbe Sturschädel wie damals und würde über Leichen gehen, um zu bekommen, was er wollte. Wenn er mich also wiedersehen wollte, dann würde es so sein, ob ich das nun wollte oder nicht. Ich spürte, wie meine Augen leicht wässrig wurden, und blinzelte die Tränen schnell weg. Ich wollte nicht. Mit schmerzendem Kopf stand ich schließlich auf, es hatte keinen Zweck, ich konnte einfach nicht schlafen. Ich starb hier beinahe vor Ungewissheit! Gerade gestern hatte ich noch eine perfekte Vorstellung, wie mein Leben weitergehen würde, und jetzt plötzlich war da nichts mehr, nur noch ein ständiges „Was wäre, wenn…“, das in meinem Kopf widerhallte und verantwortlich dafür war, dass ich nun in meiner Küche stand und in einer Schublade mit Medikamenten nach einer Aspirin-Tablette kramte. Gefundenes Medikament warf ich schließlich in ein Glas Wasser, stellte es auf den Küchentisch und ließ mich resigniert auf einen Sessel fallen, beobachtete, wie die Tablette sich im Wasser auflöste. Ich starrte darauf, als gäbe es ihm Moment überhaupt nichts Interessanteres auf der Welt als diese Brausetablette. Langsam aber sicher wurde ich noch ganz krank. Ich rieb mir mit einer Hand die Augen, da sie immer noch schwer wirkten, ich hatte immerhin sicherlich keine 2 Stunden wirklich geschlafen. Etwas erschrocken bemerkte ich dabei, dass mir Tränen über die Wangen liefen. Ungläubig starrte ich das bisschen Flüssigkeit an, die dabei an meine Finger gelangt war. Wieso? Wieso, verdammt nochmal, heulte ich?! Es war doch eigentlich alles in Ordnung. Ich hatte einen tollen Job, ich hatte meine Jungs, ich hatte Jin, und ich würde Kazuki einen gehörigen Arschtritt geben, wenn er es wagte, mir unter die Augen zu treten! Wieso war es plötzlich so schwer, das alles auch zu glauben? Wovor hatte ich Angst? Ich legte meine Arme auf die Tischplatte und ließ meinen Kopf darauf sinken, denn er fühlte sich einfach unglaublich schwer an. Er schmerzte, als hätte ich gerade sämtliches Wissen der Erde in Form einer Spritze durch mein Gehirn gejagt und stände nun kurz vor einer Informationsexplosion. Dazu kam, dass meine Augen partout nicht aufhören wollten Tränenflüssigkeit von sich zu geben. Wunderbar, wirklich. Hatte ich doch meine sensible Seite eigentlich schon so gut verdrängt gehabt, so dass sie nie wieder zum Vorschein gekommen war… Tja, sag niemals nie. Ich kam mir gerade ziemlich hilflos vor und drückte mein Gesicht stärker in die Ärmel meines schwarzen Pullovers, den ich mir vorher schnell übergezogen hatte, denn in meiner Wohnung war es doch ein bisschen kalt. Ich wollte doch einfach nur schlafen, verdammt nochmal. Und nicht über diesen… über meinen Ex nachdenken. Das hatte doch keinen Sinn. Ich wollte das gar nicht. Aber im Moment spielte irgendwie alles verrückt. So viele, so irrsinnig viele Gefühle hatte ich vor Jahren bereits verdrängt, Gefühle, die mich geprägt hatten, Sehnsucht, die mich zerrissen hatte, ungelöste Fragen, an denen ich beinahe endgültig zugrunde gegangen wäre. Und bis heute war ich ahnungslos. Vollkommen unwissend über ihn… Als hätte ich ihn nie gekannt. Erneut schossen mir die Erinnerungen durch den Kopf, welche ich so lange verdrängt hatte. Und mit einem Mal ertappte ich mich dabei, wie mir ein leises Schluchzen entkam. ♦ Ich war fassungslos, absolut, ich konnte einfach beim besten Willen nicht verstehen, was hier vor sich ging. Kazuki küsste mich. War das ein schlechter Scherz? Ein „Experiment“, wie er gerade so schön gesagt hatte? Tat man so etwas unter Freunden? Was sollte das alles bloß?! Und dennoch konnte ich mich dem nicht entziehen, ich war wie erstarrt, spürte die Hände des unter mir Liegenden an meinen Hüften und es jagte mir einen Schauer über den Rücken. Beinahe verspielt wirkte er, wie er immer und immer wieder nach meiner Unterlippe schnappte, während ich einfach nur verzweifelt war und nicht wusste, was ich tun oder lassen sollte. Er drückte mich näher an seinen Körper. Ich musste ein wahnwitziges Bild abgeben, vermutlich war ich rot wie eine überreife Tomate. Aber er ließ sich nicht beirren, krallte die Finger seiner rechten Hand in meinen Haarschopf und drückte so meinen Kopf nach vorne, dass er mich bestimmender küssen konnte. Ehe ich irgendetwas tun oder reagieren konnte, spürte ich seine Zunge, wie sie sich vorwitzig zwischen meinen Lippen hindurch drängte. Ich erzitterte leicht. Was sollte ich nur tun? Sollte ich ihn wegstoßen? Warum tat er das? Fragen über Fragen schossen durch meinen Kopf, aber jede einzelne wurde durch den betörenden Geschmack von Kazukis Lippen vernichtet. Zaghaft schloss ich schließlich meine Augen, traute mich immer noch nicht, irgendetwas zu tun, bis ich es schließlich doch wagte, den Kuss zu erwidern. Mit einem Mal fühlte ich mich gefangen, in Besitz genommen, ich konnte nicht mehr widerstehen und ließ meine zittrigen Hände auf Kazukis Körper ruhen. Immer wieder stupste seine Zunge gegen meine eigene, umspielte sie mit einer gewissen Art von Neugier, und ich wusste längst nicht mehr, wie mir geschah oder was ich hier überhaupt tat. Es fühlte sich wahnsinnig gut an, was er hier mit mir machte, so gut, dass ich überhaupt nicht darüber nachdenken wollte, am allerwenigsten über mein ungewöhnlich schnell klopfendes Herz. Es war nicht so, als hätte ich noch nie jemanden geküsst, aber ich hatte definitiv noch nie einen anderen Jungen geküsst. Und auf die Idee wäre ich auch vermutlich mein Leben lang nicht gekommen. Seine Lippen machten mich süchtig, es war, als wäre Kazuki irgendeine Art von Droge – mein Verstand hatte sich verabschiedet, ich wollte mehr, mehr von ihm. Irgendwann löste ich den Kuss, da ich einfach nicht mehr konnte. Ich wagte es, meine Augen leicht zu öffnen, und als ich sein Gesicht sah, mit geschlossenen Augen, leicht geöffnetem Mund, verirrten Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht hingen und sein Brustkorb, der sich unter mir hob und senkte, mir deutlich zeigte, dass sein Atem nicht in geregelten Bahnen verlief – Ich fragte mich in diesem Moment, wie ein Mensch nur so wunderschön aussehen konnte. Es war um mich Geschehen, voll und ganz, ich konnte gar nicht anders und legte wie aus Reflex meine Lippen auf seinen Hals, um dort sanfte Küsse zu verteilen und an der hellen Haut zu saugen. Ich wollte Reaktionen von ihm sehen, hören, und ich bekam sie. Ein leises Keuchen ertönte. Musik in meinen Ohren. Ich machte weiter, ließ nicht von seinem Hals ab, und mir wurde schlagartig wärmer, als Kazuki begann, mich an den Hüften zu streicheln, wobei seine Hände hin und wieder wie durch scheinbaren Zufall mein Hemd aufwärts strichen, um mehr Haut freizulegen, die er berühren konnte. „Manabu…“, gab er leise seufzend von sich. Dass er mich so plötzlich ansprach, riss mich irgendwie in die Realität zurück, ich ließ von seinem Hals ab und sah erschrocken zu ihm auf, direkt in seine verklärten Augen, die etwas widerspiegelten, was ich nicht deuten konnte. Er hörte auf, mich zu streicheln, sah mich für einen Moment einfach nur an, was mein Herz aussetzen ließ. Was nun? Hörte er auf? Würde er mich jetzt fragen, warum zum Teufel ich seinen Hals geküsst hatte? Wollte er überhaupt irgendetwas sagen oder mir eine Erklärung für das hier liefern…? Ich hatte Angst. Wahnsinnige Angst, jetzt einfach zurückgewiesen und alleine gelassen zu werden, dessen war ich mir bewusst, so gerne ich das auch abstreiten würde. Ich war noch nie in meinem Leben gerne alleine gewesen, ich hatte immer jemanden gebraucht, der bei mir war, und gerade jetzt würde ich innerlich vermutlich einfach nur noch zusammenbrechen, irgendetwas in mir würde wahrscheinlich absterben, wenn Kazuki mich jetzt einfach so zurücklassen und gehen würde. Doch er strich mir lediglich durch die Haare, drückte meinen Kopf wieder näher zu sich heran und küsste mich kurz und sanft. Ganz anders als beim ersten Mal. Viel vertrauter, viel mehr so, als würde er mir damit irgendetwas sagen wollen… Nach diesem Kuss drehte er sich ruckartig mit mir herum, sodass ich neben ihm lag, und schlang meine Arme um mich, als wäre ich ein überdimensionales Kuscheltier. Sein wieder recht ruhiger Atem streifte meinen Nacken, sein Körper schmiegte sich an meinen. Ich hatte das Gefühl, in seinen Armen zu zergehen wie Schokolade in der Sommerhitze, und doch schrie alles in mir irgendwie etwas, das nach `Lass mich bloß nicht los` klang. „Kazu…?“, fragte ich ein letztes Mal leise, fast schon flehend, hoffte auf eine Erklärung, oder wenigstens eine Antwort, wagte aber nicht, ihm ins Gesicht zu sehen. Ich konnte einfach immer noch nicht fassen, was hier gerade passiert war, und vor allem nicht, dass ich darauf eingegangen war… Ich meine, was erwartete ich mir hiervon? Was wollte ich überhaupt? Und was wollte er? War es nur ein Experiment, wie er gesagt hatte, oder war ich in irgendeinem Sinne mehr für ihn? Aber anstelle einer Antwort spürte ich die Hand meines besten Freundes, wie sie nach meiner griff und sie fest miteinander verwob. Ich konnte deutlich seine Finger spüren, wie sie hauchzart und sanft über meinen Handrücken streichelten. Ich wusste nicht, was genau es war, was ich dann fühlte - Aber es veranlasste mich, Kazukis Hand fester zu drücken und mich dicht an ihn zu schmiegen, sodass ich seinen Herzschlag beinahe spüren konnte, woraufhin ich, weiß Gott wie, seelenruhig einschlief. ♦ „Manabu…? MANABU!!!“ Ich erschrak ziemlich heftig, als mein Name so laut geschrien an mein Ohr drang, zuckte zusammen und starrte schließlich mit verwirrtem Blick Yuuto an, der mich soeben aus meinen verlorenen Gedanken gerissen hatte. Mein Gesichtsausdruck musste lustig aussehen, denn ich bemerkte am Rande, wie Byou anfing lautstark zu lachen. Yuuto hingegen sah ein bisschen sauer aus. Dezent. Ich versuchte, meine Gedanken ein bisschen zu ordnen, und erstmal zu verstehen, wo ich mich gerade befand – bis ich zur glorreichen Erkenntnis kam, dass ich auf einem Stuhl in dem Raum saß, der uns von Jin´s Eltern zum Proben zur Verfügung gestellt worden war. Immer noch etwas daneben starrte ich die Gitarre in meiner Hand an. Wo war ich gerade mit meinen Gedanken gewesen? „Sag mal, WAS soll das? Und komm mir jetzt nicht wieder mit `Hab schlecht geschlafen` oder so nem Kram, du bist seit einer Woche bei den Proben ständig nur am Tagträumen, morgen ist unser Auftritt und WIE verdammt nochmal stellst du dir das alles vor?!“ Ich hatte das Gefühl, in dem Sessel, auf dem ich bis jetzt gedankenverloren an meiner Gitarre herumgezupft hatte, zu versinken. Wenn Yuuto SO mit jemandem redete, dann war er ehrlich sauer auf denjenigen. Beschämt wandte ich meinen Blick von ihm ab. „Verdammt, Manabu! Ich will dir nicht zu nahe treten, aber wir können uns jetzt, wo es so gut läuft, echt nicht leisten dass einer von uns aus der Reihe tanzt! Willst du alles wieder hinschmeißen, oder was? Wieso benimmst du dich gerade wie ein hormongestörter pubertierender Teenager vor seinem ersten Date?!“, machte er mich weiter fertig. Ich wusste doch selber nicht, warum ich auf einmal so war… Das konnte doch nicht wirklich nur wegen diesem einen Anruf sein, oder? Der lag jetzt doch schon eine Woche zurück, und nichts war mehr passiert. Kazuki würde mich sicher nicht finden, der hatte doch keine Ahnung wo ich wohnte, arbeitete oder sonst was! Da könnte er ganz Tokyo auf den Kopf stellen, wir würden uns nicht wiedersehen. Zumindest redete ich mir das fest ein und versuchte, es zu glauben. Und überhaupt, was sollte der ganze Scheiß? Wieso hallte es in meinen Gedanken pausenlos und von allen Seiten nur Kazuki, Kazuki, KAZUKI?! Der hatte mich eigentlich überhaupt nicht mehr zu interessieren, und ich ihn genauso wenig! „Krieg ich jetzt mal ne Antwort?“, fragte Yuuto und wirkte nun richtig angepisst. Er hasste es, wenn man ihm Sachen vorenthielt, das wusste ich genau. Aber das… das war etwas, was ich selbst ihm nicht erzählen wollte. Klar, er war es gewesen, der mich damals aus dieser Krise, deren Auslöser Kazuki gewesen war, herausgeholt hatte – Aber dennoch hatte ich ihm nie seinen Namen genannt oder genau erklärt, was passiert war. Ich erinnerte mich nur noch vage, ihm gesagt zu haben, dass mein Ex-Freund Schuld an der ganzen Sache war… ♦ „Sag mal, wer oder was hat dich eigentlich überrannt, dass du so fertig bist?“ Das hatte Yuuto mich gefragt, während ich mit ihm am MarioKart zocken auf dem Gamecube war, und diese Frage hatte ihm letzten Endes dank meines plötzlichen Konzentrationsverlustes auch noch zum Sieg verholfen. Mit durchdringenden Augen sah er mich an. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihm eine Erklärung schuldig war, immerhin hatte er mir geholfen, war immer für mich da… andererseits wollte ich keinesfalls darüber sprechen. Aus dem einfachen Grund, da ich die Sache lieber vergessen und nicht wieder ausgraben wollte. Es war doch sinnlos, sich an etwas zu erinnern, was einem nur schadete, oder? Wir sprachen auch sonst über Gott und die Welt, aber dass er ausgerechnet dieses Thema ansprach, wollte mir nicht so recht gefallen. „Wegen… meinem Ex-Freund. Hat mich im Stich gelassen.“, murmelte ich leise vor mich hin, jedoch so, dass Yuuto es verstand. Mehr würde er nicht erfahren. Ich fand es zwar nicht ganz fair von mir selbst, doch mehr musste er auch nicht wissen. Wenn ich das Wort „Ex-Freund“ von mir gebe, müsste jeder normale Mensch bereits einen halben Schluss ziehen können, weshalb ich depressiv sein könnte. Mir fiel ein, dass Yuuto vorher nicht einmal gewusst hatte, dass ich auf Männer stand, ich glaubte zumindest, es ihm nie erzählt zu haben. Schien ihn allerdings auch nicht weiter zu stören. Außerdem war er ja selbst auch bi. Seelenruhig nahm er einen Schluck von seinem Kaffee und sah mich erneut mit seinem tiefen, dunklen Blick an. Seine Augen waren für mich unergründlich, ich wusste niemals, was Yuuto dachte. Beinahe so schlimm, wie es bei Kazuki gewesen war. Eigentlich hasste ich solche undurchsichtigen Menschen, wieso waren es genau solche, die mir immer so wichtig wurden? „Hast du ihn sehr geliebt?“, fragte er plötzlich und starrte mich immer noch mit demselben Blick an, beinahe prüfend, als würde er mir nicht glauben wollen, dass mich so eine einfache Sache dermaßen mitnahm. Ohne irgendetwas tun zu können, verschwamm meine Sicht. Ich brachte ein leichtes, melancholisches Lächeln zustande, während ich versuchte, meine Tränen zu verbergen, und ein ersticktes „Über alles…“ von mir gab. Jetzt hatte er doch ein wenig zu tief gebohrt. ♦ „Gomen ne, Yuuto-sama~“, gab ich etwas unbeholfen vor mir und zwang mich zu einem Lächeln. Ein wenig irritiert sah der Bassist mich an, als ich ihn bei seinem alten Spitznamen nannte, denn ich hatte ihn nun schon längere Zeit nicht mehr damit angesprochen. Vielleicht verstand er dies als Zeichen, dass es mir zurzeit nicht gut ging und ich ihn vielleicht brauchen würde, aber nicht reden wollte. Wenn Yuuto mich gut genug kannte, und das tat er eigentlich, würde er es verstehen. Ich sah, wie er sich auf die Unterlippe biss. Anscheinend rang er gerade ein bisschen mit sich selbst. „Na gut…“, seufzte er schließlich und warf mir einen Blick zu, der ein bisschen Mitleid und ein bisschen `Rede-gefälligst-mit-mir-wenns-dir-scheiße-geht` beinhaltete, „Aber konzentrier dich jetzt, um Himmels Willen… Wir spielen das ganze zwar schon sehr gut, aber zwischendurch hast du deutliche Aussetzer, und das darf morgen einfach nicht sein.“ Yuuto-sama hatte gesprochen. Erst jetzt wurde mir richtig bewusst, wie sehr ich in der letzten Woche, seit ich diesen verhängnisvollen Anruf von Kazuki erhalten hatte, die Band vernachlässigt hatte. Und nicht nur sie, auch meine Schüler. Wenn ich so darüber nachdachte, dann wusste ich gar nicht, mit wem ich in den letzten Tagen alles gesprochen oder etwas unternommen hatte. Ich hatte einfach nur meine Arbeit gemacht und meine Mitmenschen dabei nicht beachtet. Hatte ich Jin vernachlässigt…? Tatsächlich wirkte sein Blick ein bisschen traurig, als ich zu ihm sah, aber viel mehr besorgt. Verdammt, das wollte ich doch nicht. Jin sollte sich keine Sorgen um mich machen und schon gar nicht traurig sein! Entschlossen stand ich auf und ging auf ihn zu, während Byou und Yuuto hinter mir über eine mögliche Textänderung in einem unserer Songs diskutierten, oder viel mehr stritten. Dass sie noch über etwas anderes diskutierten, etwas viel Wichtigeres, bekam ich in dem Moment nicht mit. Jin sah mich nicht an. Allein das versetzte mir einen kleinen Stich. Hatte ich ihn verletzt? Nicht wirklich, oder? „Schatz? Hey~“, sprach ich ihn etwas unbeholfen an und schlang meine Arme um seine Hüften. Nun sah er doch, wenn auch zögerlich, zu mir auf. „Was ist denn los?“, fragte ich ihn, und er antwortete es mir mit einem beleidigten Schmollmund. Also war er schon einmal nicht ernsthaft beleidigt. „Du hast die ganze letzte Woche nichts mit mir zusammen gemacht. Wir haben uns nur bei den Bandproben gesehen, und dann bist du auch noch die ganze Zeit so… - ach vergiss es. Ist schon okay…“, sagte er gerade heraus. Er klang tatsächlich ein bisschen enttäuscht, zwar nicht sehr, aber immerhin. Seine Eigenschaft, die Dinge sofort und ohne Umschweife auf den Punkt zu bringen, war etwas, worum ich ihn beneidete. Ich selber konnte selten bis nie jemandem ins Gesicht sagen, was ich von ihm hielt oder was mich störte. War ich denn wirklich so… so abwesend gewesen? Wahrscheinlich war es genau das, was Jin am Ende seines Satzes noch sagen hatte wollen. „Tut mir Leid, Jin… Wirklich. Ich war etwas neben der Spur die letzte Woche… kommt nicht wieder vor, und wenn du willst, können wir ja heute noch was zusammen machen, okay? Ich wollte dich wirklich nicht vernachlässigen.“, sagte ich und drückte ihm einen kleinen Kuss auf die Stirn. Ich hoffte, dass er mir verzeihen würde, glaubte aber andererseits auch gar nicht, dass er das vielleicht nicht tun würde. Wegen so einer Kleinigkeit streiten? Sicher nicht. Jin war kein nachtragender Mensch, er war jemand, der vieles, beinahe alles verzeihen konnte. Noch eine Eigenschaft an ihm, die ich liebte. „Schon gut… Ich mach mir halt- naja, ich hab mir halt ´n bisschen Sorgen gemacht.“, sagte er und sah mich aus ehrlichen Augen an. Ehrlich gesagt verstand ich nicht ganz, weshalb man sich um jemanden Sorgen machen musste, nur weil er vielleicht eine zeitlang ein paar Aussetzer hatte. Es ging mir doch gut. Dennoch fand ich es irgendwie süß von ihm. Mir wurde sogar ziemlich warm ums Herz, wenn ich mich genauer mit dem Gedanken befasste. Jin sorgte sich um mich. „Mach dir keinen Kopf, okay? Ich hatte ein bisschen Stress bei der Arbeit und so, aber nichts was wirklich wichtig wäre.“ … Hatte ich ihn gerade angelogen? Ja, das hatte ich. Auch noch mit wunderbarer Leichtigkeit. Verdammt. Ich hatte Jin doch noch nie wirklich angelogen! Und jetzt tat ich es einfach so, ohne überhaupt darüber nachzudenken? Ich hätte ihm aber auch nicht die Wahrheit sagen können. Auch wenn es unfair Jin´s stetiger Ehrlichkeit mir gegenüber war, ich wollte das einfach niemandem erzählen. Das war Vergangenheit, und meine Vergangenheit sollte hier meiner Meinung nach niemanden etwas angehen. Es war eine Notlüge… Und es tat ja auch nichts zur Sache, ob er davon irgendetwas wusste oder nicht. Der Gedanke beruhigte mich wieder. Alles in Ordnung soweit, oder? Mit einem leisen Seufzen, das sicherlich keiner der anderen gehört hatte, schnappte ich mir meine Gitarre wieder. Ich durfte mich nicht von etwas verunsichern lassen, was eigentlich keine Bedeutung mehr für mich haben dürfte. Ich musste jetzt für den morgigen Tag mein Bestes geben! Kapitel 4: You'd better forget everything ----------------------------------------- ...irgendwie mag ich dieses Kapitel nicht D: Ich mag keine Konzertszenen schreiben öö Und irgendwie kommt mir in diesem Kapitel die FF noch unrealistischer vor als sie eh schon ist XD Manabu reagiert total über. >D Aber naja, viel Spaß und nochmal - Ich weiß, dass es Screw schon länger gibt als AND, und ich habe auch keine Ahnung, ob Nejireta shiso wirklich ihr erster Song war. Dazu befasse ich mich mit der Band zu wenig "öö ~ *********************************************************************************************** „Alles klar? Startbereit?“, fragte Byou in die Runde. Er war ebenso nervös wie der Rest von uns, auch wenn er es nicht zugab. „Ich hab Angst.“, sagte Jin grade raus und sorgte somit dafür, dass unser Sänger resigniert die Handfläche auf seine Stirn klatschen ließ und genervt aufseufzte. „Das einzige, wovor du verdammt nochmal Angst haben musst, ist dass du heute in dem Fummel noch vergewaltigt wirst!“ Ich linste wiedermal, wie so oft in den letzten Minuten, auf Jins blanke, helle und perfekte Oberschenkel. Sein Outfit bestand aus einem weiß-lilanen, stilvoll zerfetzten Sex Pot Revenge-Shirt mit abnehmbaren Armstulpen als Ärmel, einer schwarzen Hotpant und daran befestigten Strapsen. Das Shirt hing ihm über die Schulter hinunter, sodass man auch an dieser Stelle noch einen recht großen Teil der Haut darunter erspähen konnte. Abgesehen von diesen ausgesprochen reizenden Klamotten war ich der festen Meinung, dass er von uns allen sowieso am besten aussah. Wusste der Teufel warum, aber dieser blonde Kerl, der sich meinen festen Freund schimpfte, war der einzige von uns der wirklich haargenau wusste was er tat, wenn er sich schminkte. Ich hingegen hoffte einfach, möglichst bald berühmt zu werden und dafür die geeigneten Stylisten zu bekommen… „Leute. Tieeef Luft holen.“ Yuuto-sama hatte gesprochen, Rest der Band holte tieeef Luft. „Byou, du hast noch nie besser geklungen als vorher beim Soundcheck.“ Angesprochener guckte verwirrt, grinste aber im nächsten Moment übers ganze Gesicht. Oh ja, das gefällt ihm wieder, unserem Angeber. „Jin, ich gebs zu, du siehst verdammt scharf aus.“, fuhr Yuuto fort und musterte meinen Freund kurz beinahe, als wäre er eifersüchtig. Er wusste, wie sehr Jin es liebte, wenn Leute eifersüchtig auf ihn waren. Mein kleiner Teufel. „Und Manabu,“, er wandte sich mir zu und hatte plötzlich wieder dieses Hyänengrinsen drauf, was mich unweigerlich an den Tag erinnerte, an dem ich es zum ersten Mal nüchtern zu Gesicht bekommen hatte, „Du wirst die wenigsten Probleme haben, weil du´s einfach drauf hast. Ich weiß das. Und du auch, du gibst es bloß nie zu. Wir sind noch nicht weit gekommen, Leute. Es geht noch viel weiter bergauf, aber leider auch noch um einiges tiefer weiter nach unten. Und wenn ich ehrlich bin, dann hab ich keine Lust, jetzt mit euch allen gemeinsam gehörig auf der Fresse zu landen, nur weil ihr euer Lampenfieber nicht im Griff habt.“ Jin blies seine Backen auf wie ein Hamster und schaute beleidigt. Lustiger Anblick. „Als ob DU überhaupt nicht nervös wärst!“ Aber Yuuto grinste nur und klopfte dem Kleineren auf die Schulter. „Aufmerksamkeit ist mein zweiter Name, Hübscher. Wenn wir jetzt gleich versagen, zerr ich dich von den Drums weg und wir legen nen Striptease hin, ich denke damit ist der hormongestörte Mädchenhaufen da drin auch zufrieden, hm?“ Yuuto sprach JETZT SCHON so von seinen eventuellen zukünftigen Fans?! „Dich guckt eh keiner an, Yuu. Die Show gehört mir~“, sagte Jin und streckte ihm die Zunge raus, seine anfängliche Nervosität war wie verflogen, jetzt schien er fast schon eher bühnengeil zu sein. Yuuto hatte es wiedermal geschafft! Auch ich war etwas motivierter als vorher. Zu sehen, wie Jin und Yuu sich anzickten wie immer und Byou pervers vor sich hin grinste, sodass man sich lieber nicht die Frage stellen wollte, woran er gerade dachte – das zu sehen beruhigte mich, denn es zeigte mir, dass mit meinen Bandkollegen alles in bester Ordnung war. Solange wir alle noch vollkommen die Alten waren, würde nichts schief gehen, davon war ich überzeugt. Ob ich allerdings wirklich so toll bin wie Yuuto vorhin gesagt hatte, davon wieder weniger. Eins wusste ich auf jeden Fall. Ich wollte mich ganz besonders für diejenigen anstrengen, die uns zuvor auf einigen Seiten geschrieben hatten, sie würden heute für uns hier sein, obwohl wir nur als Vorband fungierten. „Na Jungs? Aufgeregt?“,- sprach es plötzlich hinter mir und ich musste mir vor Schreck einen leisen Aufschrei verkneifen. Soviel zur Nervosität… Mein Gehirn brauchte einen Tick zu lange, um zu verarbeiten, wer uns da grade angesprochen hatte und nun mitsamt Bassist seiner Band direkt vor mir stand. „Ikuma~ habt ihr also auch endlich mal eure Ärsche hierher geschwungen! Wo bleibt der Rest?“ Yuuto wie er leibte und lebte - kein bisschen anders in seiner Art und Weise zu reden. Mit anderen Worten, ohne jeglichen Respekt. Also ich persönlich hatte schon eine gewisse Achtung vor Musikern, die es schon weiter gebracht hatten als man selber, aber bitte, jedem das seine… und die Jungs von AND schien das eh nicht weiter zu stören. „Mit der Motivation hätten wir euch auch allein lassen können!“, sagte Ken und lachte dabei, „Die anderen kommen gleich, die schleppen noch ihr Zeug her.“ Sein Lächeln fand ich ausgesprochen niedlich. Aber das war er sowieso. Und er sah in echt sogar noch besser aus als auf den vielen Fotos der Band, zumindest war das mein Eindruck! Hoffentlich bemerkte Jin nicht, wie viel Aufmerksamkeit ich da gerade einem anderen Kerl zukommen ließ. Aber hey, gucken durfte man doch. Ich würde Jin doch sowieso nie im Leben betrügen, dafür war er mir viel zu viel wert. Und ich war überhaupt nicht der Typ dafür, jemandem fremd zu gehen, allein schon deswegen, weil ich wusste dass ich Jin damit stark verletzen würde. Das könnte ich niemals tun, er sollte glücklich sein, am besten immer und zu jeder Zeit. „Also, vor unserem allerersten Konzert damals haben wir gezittert wie sonst was… Unser werter Herr Drummer konnte nicht mal seine Sticks gerade halten! War eigentlich ziemlich lustig, wenn ich jetzt so drüber nachdenke. Aber eins könnt ihr mir glauben“, sagte Ikuma, „Sobald ihr den ersten Ton anschlagt, ist es vorbei. Dann werdet ihr euch wünschen, das Konzert wäre niemals zu Ende, weil es einfach ein wahnsinnig geiles Gefühl ist, da oben zu stehen und diese vielen leuchtenden Augen zu beobachten, wie sie zu dir aufsehen und dir Bewunderung vermitteln.“ Ken nickte bestätigend. „Das stimmt. Ich hatte auch wahnsinnige Angst, aber ich bin überzeugt, dass ihr nicht weniger geübt habt als wir, also werdet ihr es auch auf die Reihe kriegen. Und kleine Fehler fallen keinem Schwein auf!“ Ich sagte nichts darauf, weil ich irgendwie keine Ahnung hatte, was ich darauf hätte antworten können. Klar, wir schaffen das schon? Das wusste ich doch nicht. Jin und Yuuto hingegen begannen den beiden AND-Membern Löcher in die Ohren zu quasseln, wobei ich gar nicht mehr richtig hinhörte, sondern eher auf Byou achtete, der im Moment ungewöhnlich ernst wirkte. Und das zu Recht, denn langsam wurde es hier immerhin wirklich ernst. Eine halbe Stunde später hörten wir bereits ein bisschen Geschrei von draußen, und ich meinte tatsächlich, ich würde unter dem ganzen irgendwo sogar ein „SCREWUUU“ heraushören. Waren also tatsächlich ein paar Leute da, um uns zu sehen? Ich konnte es mir irgendwie gar nicht richtig vorstellen. Immerhin gehörte der Abend immer noch den Leuten von AND. Und alles, was wir bis jetzt erreicht hatten, waren Teilnahmen bei verschiedenen Bandcontests, einmal gewonnen, eine kleine erste Single als Demotape verteilt und unser ewiges Verteilen von Flyern. Lächerlich im Vergleich. „Seid ihr fertig? Können wir raus?“, fragte Yuuto schnell in die Runde. Jin saß auf einem kleinen Hocker und schlug schon seit einigen Minuten seine Sticks höchst konzentriert auf ein imaginäres Drumset. Byou machte Atemübungen, und ich zupfte gedankenlos auf meiner Gitarre herum. Aber jetzt gab es kein Herauszögern mehr, denn von weitem sah ich, dass in der Halle das Licht ausging – was noch lauteres, hysterisches Gekreische zur Folge hatte, das mir irgendwie ein bisschen Angst machte. Dezent. „Wir schaffen das.“, sagte Byou plötzlich, nachdem er die letzte halbe Stunde nicht wirklich ein Wort gesprochen hatte, und wirkte entschlossen. „Da hat er sogar ausnahmsweise mal Recht“, fügte Jin hinzu und wirkte plötzlich wieder genauso schnippisch und zickig, wie sonst auch immer, wenn er mit Yuuto stritt oder Byou kritisierte, „Bei den Proben war es perfekt. Also wird es jetzt genauso sein. Uns wurde oft genug gesagt, dass wir gut sind, und das nicht nur von Freunden. Geil genug aussehen tun wir allesamt – ja, Yuuto, ich gebs zu, du auch – und ehrlich gesagt, ich hab jetzt richtig Lust dieses Drumset auf der Bühne in Grund und Boden zu schlagen.“ Yuuto grinste breit. Er musste nichts mehr sagen, der Motivationsversuch von vorhin hatte zur Genüge eingeschlagen. Und auch ich musste lächeln. Denn ich hatte jetzt auch wahnsinnige Lust, die Saiten meiner Gitarre endlich auf einer anständigen Bühne vor einem anständigen Publikum so richtig heiß zu spielen! Einer der Männer hinter der Bühne gab uns ein Zeichen, dass wir nun loslegen sollten, und ehe wir noch länger zögern konnten, lief Yuuto – beispielhaft! – ungefragt als Erster voran. Wir hatten uns dafür gar nichts ausgemacht, aber danach ging Jin, ich folgte meinem Freund - Nachdem ich noch einmal ordentlich Luft geholt hatte… - , und Byou ließ sich am längsten Zeit. Wobei es doch passend war, wenn der Sänger als letzter die Bühne betrat, oder? Das nächste, was mir passierte, war das blendende Bühnenlicht und die kreischenden Stimmen des Publikums, und beides machte mich schlagartig wieder nervös. Ich fühlte mich irgendwie eingeengt, mein Herz begann schneller zu klopfen, mein Gehirn blendete sämtliche logische Gedanken aus und ließ mich im ersten Moment wohl ziemlich schüchtern wirken. Zu schnell, es ging alles zu schnell. Lichter an, Lichter aus, Scheinwerfer auf uns gerichtet. Schreiendes Publikum. Menschen, die zu einem aufsahen und etwas von einem erwarteten. Etwas von mir erwarteten. Doch ein Blick zu Yuuto, der bereits begann ausgiebig gute Laune zu verbreiten und die Herzen der Fangirls zu erobern, genügte, um mich wieder zurück auf den Sattel zu holen – Ich stand nicht umsonst hier oben, und genau das sollte ich denen da unten jetzt zeigen! Mein Blick fiel direkt in die Menge und schenkte ihnen ein breites Grinsen. Bei den Bandcontests, an denen wir bis jetzt teilgenommen hatten, hatte ich es doch auch geschafft, das Publikum zu überzeugen. Zumindest hatte ich mich auf der Bühne sicher gefühlt. Und wie ich schnell bemerkte, lagen die meisten Blicke gerade ohnehin auf Yuuto. Kein Wunder, der benahm sich auf der Bühne, als wäre er sein Leben lang nirgendwo anders gewesen! Die Leute waren laut und ausgesprochen gut drauf, viele rissen ihre Arme hoch, so als wollten sie uns zeigen, dass sie uns willkommen hießen. Endlich sah ich auch unseren Sänger vom Backstage Bereich zu uns stolzieren. Er ließ sich ausgesprochen Zeit. Ging absichtlich langsam auf die Bühne. Ich hatte meine Gitarre bereits fest im Griff, auch wenn meine Hände zugegebenermaßen dezent zitterten, und spielte ein paar erste Töne an, um das Publikum ein bisschen anzuheizen. Das war ausnahmsweise nicht mal improvisiert. Und es zeigte seine Wirkung, die Mädels und Jungs im Publikum beobachteten uns mit stechenden, gespannten Augen, warteten darauf, dass wir ihnen zeigten ob wir es nun drauf hatten oder nicht, einige von ihnen schienen uns sogar zu kennen und riefen unsere Namen. Das wiederum machte mich plötzlich unglaublich stolz. Yuuto trat einige Schritte zurück, denn bis vor zwei Sekunden hatte er es sich nicht nehmen lassen, mit zwei der Mädels in der ersten Reihe zu flirten (Tja, solange wir unbekannt sind konnte er sich das noch erlauben…), aber jetzt begab auch er sich auf seine Position und ließ probeweise seinen Bass erklingen, während die Menge immer lauter wurde. Eine Ansprache oder sonstiges hatten wir vorweg gestrichen. Stattdessen kam, obwohl Yuuto und ich ihm noch vorher gesagt hatten er sollte es lassen, von Byou ein lautes, mit schlechtem Englisch geschrienes „WE ARE SCREW! “ - und im selben Moment schlug Jin den Takt für `Nejireta shiso`, unseren ersten Song, an. Es war unglaublich. Meine Finger bewegten sich nahezu wie von selbst, ich war konzentriert, und doch hatte ich das Gefühl, als würde ich in vollkommen anderen Sphären schweben, alles kam mir so unwirklich vor. Unrealistisch. Surreal. Ich verschmolz direkt mit der Atmosphäre dieser Halle. Ich vernahm Byou´s Stimme intensiver denn je, ich bewegte mich im Takt, den Jin vorgab, ließ mich mitreißen und tauschte einmal den Platz mit Yuuto, der mir im Vorbeilaufen ein freches, triumphierendes Grinsen zuwarf – Als wollte er mir sagen „Ich hab´s dir doch gesagt!“ Die Leute im Publikum rissen ihre Arme in die Höhe, sprangen zu unserem Takt und gingen im wahrsten Sinne des Wortes so richtig ab. In der ersten Reihe konnte ich nach wenigen Minuten fliegende Haarschöpfe erkennen. Viel zu schnell. Es ging viel zu schnell. Drei Songs waren geplant, und ich hatte es anfangs für viel gehalten, doch es war viel zu schnell vorüber. Als hätte man unsere Probestunden auf Video aufgenommen und dieses nun in hundertfacher Geschwindigkeit abgespielt – denn plötzlich klang meine Gitarre aus, und ich erkannte, dass es bereits der letzte Song gewesen war. Erst jetzt vernahm ich das Jubeln, die Begeisterung, die lächelnden Gesichter im Publikum, die alle uns galten und uns mitteilten – Good Job! Ich lächelte. Drehte mich zu Jin, zu Yuuto, auch zu Byou, und sie alle grinsten übers ganze Gesicht. Ikuma hatte Recht behalten. Ich wünschte mir mehr als alles andere, ich hätte noch länger hier oben stehen können. Denn ich spürte deutlich, wie mein Herz nach mehr verlangte, als Byou und Yuuto noch einen kleinen, unterhaltsamen Smalltalk durchführten, in dem sie AND ankündigten und einige Informationen über uns preisgaben. Und wenige Minuten später, die mir schon wieder vorkamen, als wären es nur Sekunden, musste ich die Bühne mit meinen Bandkollegen schweren Herzens verlassen. War es wirklich schon vorbei? So schnell… Ich musste tief durchatmen. Eine plötzliche Müdigkeit überfiel mich, die bis vor wenigen Minuten noch nicht vorhanden gewesen war. Und erst jetzt konnte ich Schritt für Schritt nachdenken, was genau die letzte halbe Stunde eigentlich alles passiert war – und es brachte mich dazu, breit zu grinsen. Das war geil gewesen. Einfach nur geil. Wir hatten es geschafft, vollkommen problemlos, und auch wenn ich vorher noch gedacht hatte ich müsste kotzen vor Nervosität, so war dieses ungute Gefühl in meinem Magen in dem Moment verschwunden gewesen, in dem wir unseren ersten Song begonnen hatten. Jetzt fühlte ich mich gut. Wahnsinnig gut. Denn ich wusste, dass da draußen Menschen waren, die mich vielleicht bewunderten, und dass es nun Leute gab, die sich für unsere Band interessierten. Wir hatten einen wichtigen ersten Schritt souverän hinter uns gebracht. Viel später, nachdem auch das Konzert von AND ein Ende gefunden hatte, begannen Yuuto und ich draußen vor der Halle noch Flyer zu verteilen. Das war so ziemlich die beste Werbung, die wir im Moment haben konnten, auch wenn die Sache mit den Zettelchen auf Dauer ein wenig nervig wurde. Einige der Leute, die das Konzert besucht hatten, unterhielten sich mit uns und zeigten deutliches Interesse. Das allein schon gab mir erneut das tolle Gefühl, heute etwas geschafft zu haben, worauf ich stolz sein konnte. Yuuto stand etwas entfernt von mir, in seiner Gesellschaft die beiden Mädels, die während unseres Konzerts offensichtlich vollkommen hin und weg von ihm gewesen waren und ihn nun mit Fragen löcherte. Die Situation fand ich ausgesprochen lustig. Ich fragte mich, ob er dieses Image des Playboys behalten würde, sonderlich ratsam wäre es ja nicht, falls wir noch richtig bekannt werden würden. Aber hey, seinen Willen ließ ich ihm voll und ganz – wäre ja auch Selbstmord, wenn ich es nicht tun würde… Plötzlich, in einem Moment, in dem ich einmal nicht aufpasste, schlangen sich zwei Arme von hinten um mich und hielten mich fest, ich wurde gedrückt wie ein Kuscheltier. Und ich erschrak mich zu Tode. Ein heftiges Zucken ging vor Schreck durch meinen Körper, und mein Kopf drehte sich in Sekundenschnelle ruckartig zur Seite, um sehen zu können, wer es wagte mich so maßlos und vor allem so was von frech zu erschrecken. Ich wünschte, ich hätte einfach nicht hingesehen, denn mein Herz setzte im selben Moment völlig aus. Es schaltete sich ganz von selbst auf Funkstille. „Tolles Konzert, Manabu… Du hast super gespielt.“ Nein! NEIN! Das konnte einfach nicht wahr sein!! Einen Moment starrte ich ihn an, und alles, was mein Kopf mir zu sagen hatte, klang nach – Wow, er hatte sich kaum verändert… Doch dann reagierte ich endlich. In einer schnellen, nahezu panischen Bewegung entriss ich mich dem anderen, der mich daraufhin mit einem verwirrten Blick ansah. Am liebsten hätte ich so richtig sarkastisch aufgelacht. Er sah mich genauso an… genauso wie früher, jedes Mal wenn ich etwas getan oder gesagt hatte, was er nicht verstanden hatte, weil er mich nie verstanden hatte. Dabei müsste er besser als jeder andere verstehen, dass er jetzt schleunigst das Weite suchen sollte!! „Warum gehst du mir so aus dem Weg? Was soll diese Reaktion? Ich hab mich-“, begann er, doch ich unterbrach ihn auf der Stelle. „Halt den Mund! Warum ich dir aus dem Weg gehe? Soll das ein schlechter Scherz sein?! Du… Du tauchst hier einfach auf und… Erwartest du, dass ich dir um den Hals falle oder was?! Höchstens um dich umzubringen, Kazuki!!“ Ich schrie. Laut. So laut wie schon seit Jahren nicht mehr. Wissend, dass ich übertrieb, dass ich mich im Moment nicht unter Kontrolle hatte, denn irgendetwas in mir bekam gerade gefährliche Risse und drohte zu zerbrechen. Er sah mich immer noch so an. Als würde er nicht verstehen. Mit einer Prise Fassungslosigkeit, nach den richtigen Worten suchend, die er sowieso niemals fand. Er war noch nie ein Mann großer Worte gewesen. „Manabu, ich bin nur wegen dir zurückgekommen! Und jetzt soll ich deiner Meinung nach einfach wieder verschwinden?“, sagte er, zwar nicht so laut wie ich, eher ruhig und gefasst – und dennoch ließ es meine Wut kontinuierlich ansteigen. Im Moment musste mein Inneres gut mit einem Vulkan vergleichbar sein, der jeden Moment ausbrechen konnte. Nur wegen mir also, ja? Was für eine nette Idee. Nach 4 Jahren kam er also auf darauf, sich hier mal blicken zu lassen. Nach 4 VERDAMMTEN JAHREN. Eine ausgesprochen schlechte Idee für ihn! Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern oder darüber nachzudenken, denn dazu war mein Hirn in diesem Moment überhaupt nicht fähig, schlug ich ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, so fest es mir meine momentane Kraft erlaubte. Und nichts hoffte ich mehr, als dass seine Wange nun mindestens so schlimm brannte, wie es mein aufgewühltes Herz gerade tat. Mich traf sein fassungsloser Blick, und schon wieder wollte er ansetzen, etwas zu sagen, doch ich wollte es nicht hören. Allein seine Stimme machte mich wahnsinnig, ließ mich alles andere um mich herum vergessen, und seine Worte ließen mich vor blinder Wut glatt noch ein zweites Mal zuschlagen. Ich wusste, dass es ihm nicht sonderlich weh tat. Kazuki hatten Schläge selten etwas ausgemacht, schon gar nicht, wenn sie von Schwächlingen wie mir kamen. Und diese Tatsache machte mich noch wütender. Bis ich von einem Moment auf den anderen von ihm weggezogen wurde, nur noch gehetztes Rufen von jemand anderem hörte und nichts mehr klar erkennen konnte, da meine Sicht verschwamm. Das letzte, was ich mich fragte, war ein einfaches „Warum“, für alles, was in den letzten Minuten geschehen war, für diese vielen Mauern in mir, die innerhalb von so kurzer Zeit zum Einsturz gebracht worden waren… „Manabu? Manabu! Jetzt hör mir doch endlich zu, verdammt nochmal!!“ Mit diesen Worten riss mich eine vertraute Stimme zurück in die Realität. Statt eingestürzten Mauern sah ich nun Yuuto´s bestürztes Gesicht. Oder vielmehr, verärgertes. Ich stand weiter weg als vorher, konnte Kazuki nicht mehr sehen, und Yuuto hielt mich fest an meinen Schultern gepackt. Er bemerkte, dass er nun meine Aufmerksamkeit hatte, und seufzte tief, ehe er weiter sprach. „Also nochmal. Was zum Teufel sollte das gerade?“ Ich musste wie irgendwas zwischen lustig und lächerlich gewirkt haben, denn im ersten Moment wusste ich nicht einmal, was er überhaupt meinte. „Was…?“, entkam es mir daher kleinlaut, woraufhin Yuu seine Handfläche auf meine blanke Stirn klatschen ließ, anscheinend um zu prüfen, ob ich Fieber oder sonst was hatte. „Bist du noch ganz dicht?! Du sollst Flyer verteilen und keine Leute verprügeln! Was bitte war das gerade, Manabu?“, fuhr er mich weiter an, vorwurfsvoll, aber dennoch nicht richtig wütend. Ich wusste, warum er nicht wirklich wütend auf mich war. Er war ein Mensch, der in allem, was ich tat, einen Grund suchte, eine Erklärung, um mich besser verstehen und mir in Fällen wie diesen verzeihen zu können. „So kenne ich dich gar nicht…“, fügte er daher noch hinzu, wobei ich deutliche Besorgnis heraushören konnte. So kannte er mich nicht…? Und erst jetzt spielte sich vor meinem inneren Auge wieder das ab, was ich nur kurze Zeit zuvor noch selbst erlebt hatte. Kazuki. Er war hier. Hatte behauptet, wegen mir hierher gekommen zu sein. Hatte es nicht für nötig gehalten, sich erstmal zu entschuldigen. Oder irgendwelche Ausreden aufzutischen. Erklärungen. Etwas, was mich hätte besänftigen können, oder mich vielleicht dazu bringen hätte können, ihm zuzuhören. Stattdessen hatte er genauso gehandelt wie früher, war mit der Tür ins Haus gefallen und hatte gerade so getan, als könnte er… Als könnte er mich nach 4 Jahren, von denen ich mehr als die Hälfte nur wegen ihm stets gelitten hatte, einfach so zurückhaben? Oder mit mir befreundet sein? Was auch immer er wollte, hatte er denn nicht verstanden, warum ich nicht abgehoben und nicht zurückgeschrieben hatte, als er sich letzte Woche bei mir gemeldet hatte?! Ich hatte zugeschlagen… Ich hatte ihn geschlagen, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Natürlich kannte Yuuto mich so nicht. Niemand, nicht einmal ich selbst, hätte je sagen können, was genau passieren würde, wenn ich Kazuki jemals wieder über den Weg laufen würde. Jetzt wusste ich es. Ich bemerkte gar nicht, wie mein Blick total wässrig wurde, während ich über all diese Dinge nachdachte. Ohne etwas dagegen tun zu können, fanden die Tränen ihren Weg aus meinen Augen nach unten. Ein schmerzhaftes Gefühl breitete sich in mir aus, wie ein schwarzes Loch. Es fühlte sich an, als würde es brennen, ziehen und gleichzeitig stechen, mitten in mein Herz. Ich hielt es nicht aus, klammerte mich mit einem Mal zittrig an Yuuto, presste ihn fest an mich, um irgendetwas zu haben, dass ich gegen diesen Schmerz drücken konnte. Ein Widerstand, der die Schmerzen vielleicht lindern könnte. Und doch konnte ich in diesem Moment kein Schluchzen verhindern. Auch war ich nicht im Stande, etwas zu sagen. Ich krallte mich einfach nur an meinen besten Freund und hoffte, dass er mich nicht loslassen würde. Lass mich jetzt bloß nicht allein… Yuuto wirkte für einen Moment wie versteinert, ehe er erneut ein leises Seufzen von sich gab und mir sanft über den Rücken streichelte. „Ach Manabu… was machst du bloß wieder für ne scheiße...“ - Er hatte geschwiegen. Yuuto hatte den anderen nichts von der ganzen Sache erzählt. Er tat es generell nicht, denn ich war kein Mensch, der gerne Dinge über sich preisgab. Wenn, dann keine Details, und das wusste er. Eigentlich war es unfair ihm gegenüber, immerhin hatte ich auch ihm nicht gesagt, wer dieser Kerl, den ich verprügelt hatte – oder es zumindest versucht hatte – wirklich gewesen war. Ich wollte es nach wie vor niemandem erzählen, es konnte immerhin gut sein, dass ich Kazuki kein weiteres Mal begegnen würde, und damit… damit hatte sich die Sache, oder? Ich wollte mein Leben ganz normal weiterleben und keine Gefühle ausgraben, die mich irgendwann wieder genauso kaputt machen würden wie früher. Er würde doch jetzt wohl verstanden haben, dass ich ihn keinesfalls mehr sehen wollte. Dass ich ihm am liebsten den Hals umdrehen würde. Aber wahrscheinlich würde ich nicht mal das über mich bringen. Ob Kazuki die Tatsache, dass ich ihn nicht sehen wollte, davon abhalten würde mich trotzdem zu sehen? Das war eine andere Sache… Leise seufzend drückte ich auf einen der Knöpfe meiner Kaffeemaschine, um mir ein klein wenig Entspannung aus der Tasse zu gönnen. Momentan hatte ich das wohl wirklich nötig. Es war Samstagnachmittag, und was ich brauchte war eine Auszeit von allem. Yuuto war erstmal verschwunden, er hatte aber gesagt, dass er später nochmal vorbeischauen würde, um nach mir zu sehen. Gewissermaßen konnte ich das verstehen. Ich an seiner Stelle würde mir nach der Aktion auch Sorgen um mich machen. Wenn ich so darüber nachdachte, konnte ich kaum glauben, was ich eigentlich angestellt hatte. Ich war eigentlich kein aggressiver Mensch, ganz und gar nicht, und ich konnte mich nicht einmal erinnern jemals jemanden ernsthaft geschlagen zu haben. Vielleicht, vielleicht auch nicht, auf jeden Fall wollte mir momentan nichts dergleichen einfallen. Aber gestern Abend sind mir anscheinend gehörig die Sicherungen durchgebrannt. So kannte nicht nur Yuuto mich nicht, auch mir ist diese Seite an mir selbst unbekannt. Froh wiederum war ich darüber, dass Kazuki nicht mehr zu sehen war. War ich das? Ich hätte ihm doch eigentlich zuhören sollen, oder? Aber was sollte er für eine Entschuldigung parat haben? Es gab keine Entschuldigung dafür, dass er mich einfach im Stich gelassen hatte! Es gab auch keine Entschuldigung dafür, dass ich nach ihm gesucht hatte, dass ich verzweifelt versucht hatte Kontakt aufzunehmen, dass sich mein ganzes damaliges Leben nur um ihn gedreht hatte und dass mich das alles innerlich vollkommen zerstört hatte! Früher wäre ich ihm wirklich um den Hals gefallen, wenn er genau so wie gestern wieder aufgetaucht wäre. Aber dieses „früher“ lag viel zu lange zurück. Jetzt war es viel zu spät für ihn, sich zu entschuldigen, falls er das überhaupt vor hatte, denn ich war nicht mehr abhängig von ihm. Ich würde ihm die Chance dazu erst gar nicht geben. Denn er war der letzte, der sich jetzt in mein Leben einmischen sollte. Nur eines beunruhigte mich doch. Woher um alles in der Welt hatte Kazuki von unserem Konzert gewusst? Überhaupt, dass ich in dieser Band spielte? Das konnte doch wirklich nur ein schlimmer Zufall sein, oder? Kapitel 5: Listen to a heartless cry ------------------------------------ Dass ich weitaus mehr Pech haben würde als erwartet, konnte ich vorher ja leider nicht wissen. Zu schade. Hätte ich bereits gewusst, wie es weitergehen würde, dann hätte ich meine Lebensgeschichte an einen Fernsehsender verkauft und mit diesem Drama sicherlich das große Geld verdient. „Manabu und die Liebe“ – Ha, ha. Seht ihr wie ich lache? Denn am Montag, nach einem doch recht erholsamen Wochenende und Yuuto, der mich erfolgreich von meinen Sorgen abgelenkt hatte, erlitt ich einen weiteren Schock, den ich nicht so schnell vergessen würde. Als würde mir der von Freitag nicht noch in allen Gliedern sitzen – Ich hatte mich gefragt, ob ich weinen oder lachen sollte, als ich an jenem Montagabend, nachdem ich in Lichtgeschwindigkeit von der Schule zur Bandprobe gerast war und dabei mindestens drei rote Ampeln überfahren hatte, meinen Ex-Freund in unserem Proberaum erblickte. Wie viele schlechte Scherze konnte man innerhalb von nicht einmal zwei Wochen erleben? Ich starrte ihn an. Starrte Byou an, danach Jin und schließlich Yuuto, der mir einen mehr als nur skeptischen Blick zuwarf, während die anderen ganz normal wirkten, so wie immer. „Mana-chan~“, begrüßte mich Byou und klopfte mir auf die Schulter, „Du guckst ins Leere, wenn ich das mal so sagen darf. Dabei wollte ich dir grade einen alten Freund von mir vorstellen, auch wenn du ihn eigentlich schon kennen müsstest!“ Wie bitte? Einen alten Freund von Byou? Ich müsste ihn schon kennen? Was hatte ich denn hier verpasst?! „Also, das ist Kazuki“, plapperte unser Sänger weiter, wobei mein verhasster Ex selbst gerade damit beschäftigt war, sich mit MEINEM festen Freund zu unterhalten. Und Jin schien auch noch gut unterhalten zu sein. Allein dieser Anblick ließ mich innerlich kochen. Aber ich musste mich zurückhalten. Wenn sie es nicht wussten, dann sollte auch keiner hier erfahren, was los war! Ich musste einfach nur so tun, als würde ich Kazuki nicht kennen! „Im Prinzip kennen wir uns schon seit der Oberschule, wir waren auch zusammen im Fußballverein… aber richtig kennengelernt haben wir uns erst, als er mich vor einem halben Jahr auf Facebook zugespammt hat!“, erklärte Byou mir, und anscheinend war es ihm egal, wie perplex ich drein schaute. Machte auch nichts, denn ich hatte trotzdem jedes Wort gut verstanden. „Ich hab ihm dann irgendwann mal von der Band erzählt, und ihm unseren Flyer gezeigt, den wir damals grade erst gedruckt haben.“ Das war es also. Deswegen hatte Kazuki von unserem Konzert gewusst, deswegen hatte er mich überhaupt sofort erkannt, und deswegen hatte er wahrscheinlich auch meine Handynummer. Von Byou. „A…ha…“, murmelte ich leise und schüttelte leicht den Kopf, grade so, als müsste ich erst einmal wieder zu mir kommen, „Und was macht er jetzt hier?“ Ich hoffte einmal mal, dass das gerade nicht zu hysterisch geklungen hatte. Ich musste mich wirklich besser in den Griff kriegen, dafür, dass ich Kazuki gerade offiziell nicht kannte. „Er wollte mal bei unseren Proben dabei sein. Wir haben doch vor ein paar Monaten herumgerätselt, ob wir uns nicht doch einen zweiten Gitarristen zulegen sollten, schon vergessen? Hat Kazuki dich denn nicht mal angeschrieben oder so? Freitag war er auch auf dem Konzert, um sich ein Bild von unserem Bandimage zu machen.“ Meine Augen wurden wohl immer größer. Ich konnte einfach nicht fassen, was Byou mir da gerade alles auftischte, während ich immer noch zusah, wie mein Schatz sich lachend mit dem meiner Meinung nach größten Arschloch der Nation unterhielt! Kazuki als zweiten Gitarristen in unserer Band? Das konnte er mir doch nicht antun! Das konnte mir niemand antun! Womit um alles in der Welt sollte ich das verdient haben? Und wo war Gott, wenn man seine Gnade benötigte?! „N-nein hat er nicht… ich kenne ihn noch überhaupt nicht!“, log ich sofort drauflos, wobei diese Worte anscheinend selbst Kazuki´s Ohren erreichten, denn er drehte endlich seinen Kopf in meine Richtung und musterte mich. Dann lächelte er. Es war ein Lächeln, als wollte er mir sagen – Wie du mir, so ich dir. „Hallo! Du musst dann Manabu sein. Tut mir leid dass ich dir vorher nie geschrieben habe, aber irgendwie hab ichs wohl geschafft deine Nummer zu verlieren.“ Haha. Sollte ich jetzt lachen? Am besten so richtig laut und hemmungslos? Er spielte allen Ernstes mit und tat so, als würde er mich nicht kennen. Und ich wusste gerade nicht, ob mich das wütend machen sollte, oder ob ich lieber froh darüber sein sollte… Nein, warte. Froh sein. Dieses Spielchen war um einiges einfacher als den anderen zu erklären, woher ich Kazuki kannte. „Ah, okay. Also kennst du die andern alle schon? Naja, freut mich jedenfalls dass du hier bist!“, - ich versuchte so überzeugend wie nur irgend möglich zu klingen, jedoch spürte ich Yuuto´s stechenden Blick in meinem Rücken. Er wusste, dass an der Sache was faul war. Warum sonst sollte ich jetzt mit dem Kerl, dem ich am Freitag noch ein paar unsanfte Schläge hatte, jetzt so sprechen? Yuu hatte doch alles gesehen. „Ganz meinerseits. Du spielst Gitarre?“, lautete die nächste Frage meines Ex-Freundes. Er provozierte mich. Mit voller Absicht. Ich spürte die Wut direkt durch meinen ganzen Körper rasen. Sein selbstgefälliges Grinsen gepaart mit diesem dämlichen Getue, bei dem ich gezwungenermaßen auch noch selber mitspielte, brachte meinen inneren Vulkan erneut zum brodeln. Aber eigentlich hatte ich nur Angst, die ich versuchte mit meinem Zorn zu überspielen. Wahnsinnige Angst, dass jetzt alles noch mehr den Bach runter laufen würde, als es das letzten Freitag bereits war. Warum tat er mir das an? Wieso um alles in der Welt konnte er nicht einfach wieder dahin verschwinden, wo er vor eineinhalb Wochen hervorgekrochen gekommen war?! „Ja… schon ziemlich lange. Seit der Mittelschule.“, antwortete ich sachlich und versuchte nun, mich von ihm abzuwenden, indem ich meine Aufmerksamkeit Jin zukommen ließ. HA! Jin! Meine Trumpfkarte gegen Kazuki und ein guter Grund, ihn nicht weiter zu beachten! „Morgen Schatz~“, begrüßte ich ihn und gab ihm einen Kuss, allerdings kein kleines Küsschen, wie ich es sonst immer tat, wenn ich ihn begrüßte. Ich schenkte ihm einen leidenschaftlichen, richtigen Kuss, den er etwas überrascht, aber glücklich erwiderte. Kazuki sollte ruhig sehen, wie gut es mir ohne ihn ging. „Huh? Ist hier etwa jemand liebesbedürftiger als sonst?“, grinste Jin, als ich mich von ihm löste. Ich lächelte ihn an und schaffte es tatsächlich für einen kleinen Moment zu vergessen, wer mich da gerade von hinten mit Blicken durchbohrte, denn Yuuto war es diesmal nicht. „Ich bin nicht liebesbedürftig, ich bin Jin-bedürftig~“, antwortete ich gut gelaunt, wissend, aber mir nicht eingestehend, dass ich mir gerade sogar selber was vorspielte. „Sind die beiden zusammen? Das wusste ich gar nicht.“, sagte Kazuki zu Byou, eine Mischung aus Frage und Feststellung. Byou nickte bekräftigend zu dieser Aussage und sah lächelnd zu uns herüber. „Schon recht lange sogar, ja. Aber es stört unsere Zusammenarbeit nicht wirklich. Hat alles super funktioniert, und die beiden kleben ja auch aneinander wie zwei mit Honig beschmierte Brote. Man kriegt sie kaum auseinander, und zusammen sind sie mir und Yuuto sowieso lieber!“, erklärte er. Man hörte wirklich heraus, dass sich der Sänger über unsere Beziehung freute. Aber das war auch relativ logisch – denn Byou war glücklich, wenn auch Jin glücklich war, ein einfaches Prinzip. Jin war für Byou alles, zwar nur im freundschaftlichen Sinne, aber dennoch gab es niemand wichtigeren für unseren Sänger. Das war… irgendwie etwas spezielles. Man könnte fast schon sagen, dass Byou einen Beschützer-Instinkt oder so was Ähnliches für meinen Freund hatte. Es verging sicherlich kein Tag, an dem er nicht an Jin dachte und sich um ihn sorgte, und anfangs hatte ich es für eine einseitige Liebe gehalten, doch mittlerweile wusste ich es besser. Es war eine freundschaftliche Liebe. „Warum guckst du so?“, fragte er plötzlich an Kazuki gewandt, denn dieser hatte einen nachdenklichen Blick aufgesetzt und konnte es anscheinend nicht wirklich lassen, mich und meinen Freund anzustarren. Etwas verwirrt sah mein Ex nun wieder zu Byou. „Wieso? Ich guck doch ganz normal!“, verteidigte er sich gespielt beleidigt und klang dabei anscheinend ziemlich lustig, denn Byou grinste amüsiert vor sich hin. „Ja, jetzt wieder, aber vorher hattest du da“, er tippte Kazu auf die Stirn, „Ne tiefe Sorgenfalte. Brauchst dir aber wirklich keine zu machen. Wie gesagt, das Klima in unserer Band wird in keinster Weise durch ihre Beziehung gestört. Hat bis jetzt funktioniert und wird es auch weiterhin.“ Bloß dumm, dass das sicherlich nicht Kazuki´s Sorge war. Nun räusperte Yuuto sich, nachdem er bis jetzt nur still auf dem Tisch gesessen hatte und die Situation ein wenig – na gut, ziemlich - misstrauisch beäugt hatte. „Also dann Leute! Ich würde den werten Herren jetzt wirklich gerne mal spielen hören. Ich hoffe du bist wirklich so gut, wie Byou behauptet hat, Kazuki.“ „Ist er, keine Sorge!“, entgegnete unser Sänger und klopfte unserem `Neuen` auf die Schulter. Jin und ich gesellten uns zu Yuuto, während mein Ex seine Gitarre auspackte und mit einigen schnellen Handgriffen an einen unserer herumstehenden Verstärker anschloss. Ich brauchte eigentlich gar nicht mehr darauf zu hoffen, dass die anderen ihn nicht in die Band aufnehmen würden. Er hatte schon damals sehr gut spielen können, und wenn man bedachte, wie viel Zeit nun vergangen war, dann hatte er sich sicherlich noch einmal stark verbessert… Viel mehr ärgerte es mich, dass ich von der ganzen Aktion nichts erfahren hatte. Ich war der einzige hier, der nicht gewusst hatte, dass ER unser neuer Gitarrist werden würde, und diese ganze Sache war anscheinend von vorne bis hinten von IHM geplant gewesen! Aber warum? Was zum Teufel bezweckt er mit der ganzen Sache? Er stimmte seine Gitarre, warf uns noch einen flüchtigen Blick zu, und mir ein Grinsen. Ich wusste, was er mir damit sagen wollte, obwohl ich es nicht einmal genau in Worte fassen konnte. Und dann begann er zu spielen. Nicht irgendeinen, sondern unseren Song. Nicht irgendeinen, sondern meinen Gitarrenpart, den ich Freitagabend zum Besten gegeben hatte. Und genau wie ich es erwartet hatte, beherrschte er es absolut perfekt. Dieser Schleimer. Natürlich würden die anderen begeistert sein, wenn er unseren ersten eigenen Song bereits so gut mitspielen konnte… Generell würden sie begeistert sein, denn die Erkenntnis traf mich nach Jahren zum wiederholten Mal - Kazuki spielte besser als ich. Das war schon immer so gewesen. Nur zugeben würden sie es allesamt nicht, höchstens Yuuto, der war ja auch immer ehrlich zu mir. Ich spürte, wie meine Hände leicht zitterten, spürte die Lust in mir hochkommen, so schnell wie möglich durch die Tür zu verschwinden und diese hinter mir mit all meiner Kraft zuzuknallen, damit auch jeder in diesem Gebäude meine aufkommende Wut spüren konnte. Aber ich musste mich beherrschen. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich es mit Kazuki in unserer Band aushalten sollte. Das war doch praktisch unmöglich, oder? Oder würde es vielleicht doch möglich sein, dass wir wieder Freunde sein könnten, ohne dass ich ständig an meine ehemalige Beziehung zu ihm denken musste…? Wenn es ihm nur darum ging… wenn er sich entschuldigen wollte und wieder mit mir befreundet sein wollte, könnte ich das nicht vielleicht sogar annehmen? Es würde auf jeden Fall unserer Band weniger Probleme bereiten. Die Gitarre klang aus. Als ich von der Probe nach Hause ging, hatte ich ein ungutes Gefühl in der Magengrube. Nun ja, irgendwo war es wohl verständlich, eigentlich war mir schon fast wieder nach Heulen zumute… Aber irgendwo war ich ja doch noch ein Mann, zwar ein schwuler Mann, aber immer noch einer mit Stolz, der es normalerweise vermied zu weinen. Schon gar nicht vor anderen. Außer vor Yuuto, vor dem war´s mir scheißegal. Der hatte mich nun wirklich schon oft genug in dem Zustand erlebt, immerhin war ich lange Zeit beinahe täglich bei ihm zu Hause gewesen und hatte es immer wieder aufs Neue fertig gebracht, über dieselben Dinge Tränen zu vergießen. Vielmehr war ich beunruhigt, weil ich immer noch nicht wusste, was Kazuki mit der ganzen Aktion hier bezweckte. Dass er ausgerechnet in unserer Band spielen wolle und sich keine andere suchte, konnte nur – so arrogant war ich jetzt einfach mal, das zu glauben – an mir liegen. Trotzdem, wenn er… wenn er mich einfach nur wiedersehen hatte wollen oder sonst was, musste er denn gleich wieder so mit der Tür ins Haus fallen wie früher?! Er hatte noch nie einen Sinn für Feingefühl und Taktik gehabt. Nur leider war das früher bei mir auch nicht nötig gewesen, ich war ihm auch ohne jegliche Sinne mit Haut und Haaren verfallen gewesen. Traurige Einsicht eigentlich. Seufzend ging ich die Treppe zu meiner Wohnung nach oben, und bemerkte nebenbei, dass Seufzen etwas war, was ich in letzter Zeit viel zu oft tat. Aber ich hatte doch auch einen guten Grund dazu, oder nicht? Waren 4 Jahre, von denen mindestens die Hälfte aus purer Verzweiflung bestanden hatte, ein Grund für so ein Verhalten, wie ich es gerade an den Tag legte? Oder war ich einfach nur kindisch? War es kindisch von mir, dass ich so emotional auf meine Jugendliebe reagierte? Jugendliebe… was für ein Ausdruck… „Glaubst du, du kannst mich mit ein paar halbherzigen Faustschlägen für immer von dir fernhalten?“ Ich wusste nicht, zum wievielten Mal in den letzten zwei Wochen ich hier tausend Tode innerhalb einer einzigen Sekunde starb. Kazuki stand wenige Meter vor meiner Wohnungstür und hatte mich in Sekundenschnelle am Arm gepackt, ehe ich einfach vorbeigehen konnte. Ich hatte ihn nicht einmal bemerkt!! Für einen Moment stand ich unter Schock. Offensichtlich hatte er Spaß daran, mir immer wieder aufs Neue einen halben Herzinfarkt zu bereiten. „W-was machst du hier…?“, brachte ich schließlich hervor, allerdings viel leiser und unsicherer, als eigentlich geplant. Eigentlich… Ja, denn eigentlich wollte ich ihn ja anschreien, er sollte auf der Stelle verschwinden. Aber in diesem Moment realisierte ich, dass wir hier nicht in unserem Proberaum, und auch nicht irgendwo auf der Straße beim Flyer verteilen waren, wo viele andere Leute anwesend waren. Hier war kein Yuuto, Jin oder Byou in der Nähe. Ich war alleine mit Kazuki, und diese Situation verunsicherte mich gerade aufs Äußerste. Er machte mir beinahe ernsthaft Angst. Warum… warum war er überhaupt hier? War er mir etwa nach Hause gefolgt? Das fiel doch unter Stalking, oder?! Oder hatte er schon vorher längst gewusst, wo ich wohnte? Woher sollte er das wissen? Von Byou…? Diese ganzen Gedanken machten mir im Moment Angst, und Kazuki´s Schweigen ebenfalls. Was hatte Byou ihm noch alles über mich gesagt? Womöglich hatte sogar Yuuto etwas ausgeplaudert! Oder reagierte ich über? Wie viel wusste Kazuki bereits über mich?! Meine Augen starrten auf den Arm, der von ihm festgehalten wurde. „Lass mich los!“, zischte ich und wollte mich losreißen, aber er war stärker. Wie immer. Genau wie früher. Die Erkenntnis tat weh. Es war, als würde er mir zeigen wollen, dass sich überhaupt nichts verändert hatte. „Nichts da“, sagte Kazuki und wirkte ruhig, aber dennoch hatte er immer noch etwas an sich, was mir Angst machte – war er etwa wütend…? – „Erst müssen wir reden, Hübscher.“ „Ich will nicht.“, antwortete ich kurz und bündig. Ganz genau, ich wollte nicht! Such dir einen anderen Dummen für deine Spielchen! Ich wurde doch jetzt schon total krank, wenn ich daran dachte, dass er sogar wusste wo ich wohnte und mir an meiner Wohnungstür auflauerte!! Doch auch diese klare Ansage ließ ihn den festen Griff um meinen Arm nicht lockern. „Ich werde nicht gehen.“, sagte er mit klarer Stimme. Und ich wusste, dass er es ganz genau so meinte, wie er es gesagt hatte. Das war Kazuki. Ich kannte ihn kein bisschen anders. Er war genauso wie früher… Ich biss mir auf die Unterlippe. Verzweifelt. Ratlos. Nachgebend. „Dann… komm mit rein…“, murmelte ich. Keine Sekunde später hatte er mich losgelassen. Ich kam nicht darum herum. Musste aufs Neue feststellen, dass Kazuki immer das bekam, was er wollte. Wortlos kramte ich nach meinem Schlüssel und öffnete die Wohnungstür. Ich war nervös, natürlich. Wer wäre das an meiner Stelle bitte nicht gewesen? Ich wagte es ja nicht einmal, ihn anzusehen. Er machte mir Angst. Wer wusste schon, was in seinem Kopf gerade vor sich ging… Er war viel kräftiger als ich, ich könnte mich doch nicht einmal wehren, falls er mir etwas tun sollt- Okay, jetzt übertrieb ich wirklich, oder? „Willst du was trinken?“, fragte ich aus reiner Höflichkeit. Ich war nun einmal gut erzogen worden, im Gegensatz zu ihm. „Danke, nein.“, sagte er. Und ich wunderte mich schon wieder. Die Tatsache, dass er nicht irgendwelche dummen Sprüche riss oder blöd vor sich hin grinste, das verunsicherte mich. Das war… anders… Mein Handy vibrierte plötzlich, und ich zog es schnell aus meiner Hosentasche, um zu sehen um wen und was es sich handelte. Es war eine SMS von Jin. Wollen wir noch was unternehmen? Wir haben am Wochenende ja nix gemacht =O Ich biss mir heftig auf die Unterlippe. Das hatte er nicht verdient. Aber… Ich hatte Kazuki an meinem Küchentisch sitzen, und mir war jetzt wirklich nicht nach ausgehen, sondern eher nach Nervenzusammenbruch. Sorry, Jin… Schatz, ich bin heute wirklich schon zu müde… war ein harter Tag für mich. Tut mir leid, ein andermal, aber sicher noch diese Woche, okay? Ich liebe dich Ich schrieb diese drei Worte nur sehr selten ans Ende einer SMS. Eigentlich konnte ich sowas nicht ausstehen, ich fand, dass es viel zu abgedroschen klang, egal wie man es in einer solchen Nachricht verpackte. Aber ich wusste, dass Jin sich freute, wenn ich es tat. Wenige Sekunden später, in denen ich kurz unauffällig zu Kazuki schielte, der seelenruhig an meinem Küchentisch verweilte, erhielt ich eine Antwort. In der stand, dass es kein Problem sei und ich mich nicht verausgaben sollte. Und vor allem – dass er mich auch liebte. Da Kazuki anscheinend immer noch das Schweigen der Lämmer cosplayte, gesellte ich mich einfach ihm gegenüber zu Tisch. Natürlich hatte ich selbst keine Ahnung, was ich sagen sollte. Immerhin wollte ich ihm genau genommen nicht einmal zuhören, wollte überhaupt nicht wissen, was er mir so unbedingt sagen wollte – denn ich wusste, dass ich es nicht gut verkraften würde, egal was es war. Ich spürte, wie er mich nahezu durchdringend anstarrte, und konnte diesem Blick nicht standhalten. Ich senkte meinen Blick und starrte die Tischplatte vor ihm an. Toll, wirklich. Ich traute mich nicht einmal, meinem Ex in die Augen zu sehen. Und ihn selber brachte diese Tatsache nur zum Grinsen. „Du hast dich nicht verändert, Manabu.“ Ich glaubte wirklich, mich verhört zu haben. Solche Worte sollte ich mir ausgerechnet von IHM anhören? Von dem Grund, weshalb ich so sehr an mir und meinem Selbstbewusstsein gearbeitet hatte?! „Fick dich!“, lautete daher meine reflexartige Antwort, die ihn jedoch glatt zum Lachen brachte. Klar, mach dich ruhig drüber lustig, was ich wegen dir alles durchmachen musste! Mach dich darüber lustig, was ich in den letzten Jahren erreicht hatte, denn deiner Meinung nach hatte sich ja anscheinend gar nichts geändert! Tu ruhig weiter so, als könntest du mir einfach so ins Gesicht lachen und alles wäre wieder wie früher!! „Ich hab doch noch nicht einmal angefangen…“, sagte er und wirkte immer noch sehr ruhig. Natürlich, wie denn auch sonst. Ihn konnte nun einmal nichts so schnell aus der Ruhe bringen, im Gegensatz zu mir… „Also…“, fuhr er fort und schien zu überlegen, „Ich weiß nicht wie es dir bei der ganzen Sache wirklich geht, aber ich für meinen Teil hab dich wahnsinnig vermisst.“ Als er diese Worte aussprach, blieb für einen Moment mein Herz stehen. Worauf wollte er hinaus? Ich kannte diesen Blick doch. Ich kannte das alles hier so gut, und dennoch wusste ich nicht, was genau hier mit mir passierte. Lediglich dem, was mein Hirn mir sagte, könnte ich so schnell wie nur möglich folgen – Kazuki rauswerfen und nicht weiter mit ihm sprechen, sofort. „Nein.“, sagte ich daher und versuchte so kalt wie möglich zu klingen, auch wenn ich wusste, dass mir das nicht so gut gelang, wie ich es gerne gehabt hätte, „Ich freue mich verdammt nochmal nicht, dich zu sehen. Hast du überhaupt eine leise Ahnung davon, was du mir angetan hast? Was ich wegen dir durchmachen musste?! Soviel bist du nicht einmal wert, Kazuki!!“ Ich geriet schon wieder ins Schreien, wurde wieder wütend. Keine Kontrolle, ich hatte absolut keine Kontrolle über mich, eigentlich sollte ich mich dafür schämen. „Du hörst mir doch nicht einmal richtig zu!“, entgegnete Kazuki, diesmal tatsächlich etwas lauter. „Ich WILL es auch gar nicht hören, verdammt nochmal!! Warum bist du überhaupt hier?! Bist du mir nach Hause gefolgt? Willst du mich stalken? Was soll die ganze Scheiße?!“ Tatsächlich schien ich ihn mit dieser Aussage erwischt zu haben, er geriet ins Stocken. Anscheinend hatte er nicht einmal darüber nachgedacht, was er da tat, wenn er mir einfach so bei meiner Wohnung auflauerte, auch wenn es nur war, um mit mir zu reden. Jetzt kam ihm wohl die Erkenntnis. Ein bisschen zu spät. „Ich will dass du gehst. Sofort.“, sagte ich etwas ruhiger, aber endlich schaffte ich es in einem Ton, der keine Widerrede duldete. Entschlossen stand ich auf, um Kazuki den Weg zur Tür zu weisen. „Manabu…“, murmelte er, doch ich kannte diesen Klang, diesen leicht enttäuschten Unterton, ich würde mich nicht erweichen lassen. Seine Anwesenheit tat mir nicht gut, also sollte er verschwinden. Er freut sich also mich zu sehen? Er konnte mich mal! „Nichts `Manabu`“, sagte ich, und äffte bei meinem Namen seinen bettelnden Tonfall nach, „Verzieh dich einfa-“ Einfach, hatte ich sagen wollen. Doch innerhalb zweier unachtsamer Sekunden hatte mich ein fremdes Lippenpaar zum Schweigen gebracht. Erschrocken riss ich meine Augen auf, versuchte mich gegen ihn zu stemmen, doch er drückte mich fest gegen die Wand in meinem Korridor, ließ mir keinerlei Bewegungsfreiheit. Gerade eben hatte ich mich doch noch so… stark gefühlt. Jetzt stand ich unter Schock. Meine Hände begannen zu zittern. Meine Gedanken spielten verrückt. Zeigten mir Szenen von vor vielen Jahren, andere Küsse, die Kazuki mir geschenkt hatte, und die ich so sehr genossen hatte. Seine weichen Lippen, die mich immer problemlos um den Verstand gebracht hatten. Ich geriet innerlich außer Kontrolle, und äußerlich verfiel ich in eine Starre, war nicht im Geringsten dazu in der Lage mich gegen ihn zu wehren. Ich konnte mich nicht einmal rühren. Er bewegte seine Lippen, stürmisch, leidenschaftlich. Es ließ meinen ganzen Körper erbeben. Seine Zunge drängte sich zwischen meine Lippen, beutete meine Mundhöhle aus, raubte mir vollkommen den Atem. Seine rechte Hand hielt meinen Nacken, jedoch nicht grob, sondern sanft, nur um meinen Kopf in seine Richtung zu drücken. Wie früher. Er küsste mich, als gäbe es kein Morgen mehr. Und als er endlich von mir abließ, mir über den Kopf streichelte… so sanft, eine beinahe flüchtige Bewegung, die ich dennoch so intensiv wahrnahm, genau wie damals… ich fühlte mich plötzlich vollkommen kraftlos. Meine Beine fühlten sich schwer an, meine Knie von einer Sekunde auf die anderen weich wie Butter, und ich sackte in seinen Armen zusammen. Es war, als hätte sein Kuss mir meine sämtliche Kraft geraubt. Kazuki gab mir Halt. Und immer noch strich er mir durch meine Haare, hielt mich im Arm, so als wollte er mich beruhigen… Denn längst hatte die erste Träne ihren Weg über meine Wange gefunden. „VERSCHWINDE!!!“, schrie ich mit einem Mal, noch um einiges lauter als vorher, und stieß ihn mehr als nur unsanft mit meinen verbliebenen Kräften von mir, „Verschwinde aus meiner Wohnung, und am besten so schnell du nur kannst aus meinem Leben!!“ Meine Stimme zerbrach förmlich, ich hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Vollkommen außer mir riss ich dir Tür auf und zerrte ihn mit Gewalt nach draußen. Seine Proteste, Einwände und jämmerliche Versuche irgendetwas auch nur ansatzweise zu erklären trafen auf taube Ohren, und kaum war Kazuki über der Türschwelle, hatte ich besagte Tür auch schon mit einem lauten Geräusch zugeknallt und abgesperrt. Vermutlich würden sich meine Nachbarn beschweren, dass ich wiedermal zu laut war… Sarkastisch lächelte ich vor mich hin. Ich ließ mich vor die verschlossene Tür sinken und versuchte, meinen Atem zu beruhigen. Aber es gelang mir nicht. Und es wurde erneut eine der unruhigsten Nächte meines Lebens. Wenigstens ließen mich die Nachbarn in Ruhe. Kapitel 6: Even now, on this coal tar sea, I´m trying to escape --------------------------------------------------------------- Wie? Wie um alles in der Welt konnte Kazuki es nur wagen, mich zu küssen? Er hatte es doch gesehen, bei der Probe! Er war da gewesen und hatte gesehen, dass ich mit Jin zusammen war! Er hatte Byou doch sogar danach gefragt, ich hatte es gehört verdammt nochmal!! Wie also konnte er so dreist sein und mich einfach so küssen, als wären meine Beziehung, meine Einwände, meine eigenen Wünsche, als wäre das alles vollkommen gleichgültig?! Nicht nur, dass ich nicht damit gerechnet hatte, ihn jemals wieder zu sehen. Nein. Er setzte sogar noch eins drauf, in dem er offensichtlich versuchte, mich zu verführen. Das tat er doch, oder? Nur wieso verdammt nochmal hatte ich mich nicht gegen ihn gewehrt? Ich hatte ihm nicht so nahe kommen wollen. Er hatte es mir einfach aufgezwungen. Aber ich war doch nicht schwach… ich hätte mich wehren können… „Ich hasse ihn!“ Musste lustig aussehen, wie ich gerade in meinem Bett hin und her rollte und diese Worte in ständiger Wiederholung von mir gab. „Ich hasse ihn! Ich hasse ihn! Ich hasse ihn! Ich hasse ihn!“ Und ich konnte es gar nicht oft genug sagen! Am liebsten hätte ich es laut in die Welt hinausgeschrien! Es war Dienstag, ich war gerade von der Schule nach Hause gekommen – wie das klang, Lehrer sein war auch ein lustiger Job… - und hatte nun noch eine halbe Stunde Zeit, bis ich mich zur Bandprobe aufmachen musste. Wo ich Kazuki wieder sehen würde. Arbeitskollege. Konnte mich mal einer kitzeln, damit ich lachen konnte? Ich hatte keine Chance, ihm wirklich aus dem Weg zu gehen. Wunderbar! Wirklich geschickt hatte er das eingefädelt! ARSCHLOCH! Irgendetwas in mir versuchte mir ja zu sagen, dass ich Kazuki zuhören sollte. Er musste doch seine Gründe dafür haben, wenn er so etwas tat. Gründe, weshalb er jetzt plötzlich, nach all der Zeit, wieder auftauchte. Aber mein gesunder Verstand hatte da gewaltig was einzuwenden, denn was Kazuki wollte, erschien besagtem Verstand seit gestern Abend mehr als nur eindeutig. Und ich war vergeben. Mehr musste dazu nicht gesagt werden, er konnte sich wirklich jemand anders suchen, mit dem er seine Spielchen spielen konnte. Es war für mich wirklich das absolut asozialste auf der Welt, wenn man sich an vergebene Leute ran machte! Im nächsten Moment ertönte meine Türglocke, und wie bereits viel zu oft in letzter Zeit erschrak ich mich davor, als wäre es eine riesige Kobra, die langsam in mein Schlafzimmer gekrochen kam um mich zu fressen oder zu erwürgen oder sich sonstigem Spaß an meinem Tod zu bereiten. Und der nächste Gedanke, für den ich mich schon wieder hätte schlagen können, war natürlich – was, wenn es wieder Kazuki war? Ich biss mir heftig auf meine Unterlippe, als eine Art Strafe. Er war aus meiner Wohnung verschwunden, aber leider nicht aus meinen Gedanken. Ich wünschte mir momentan einfach nur so sehr, es würde ihn nicht geben. Dennoch bequemte ich mich dazu, meinen Kopf von meinem flauschigen, blauen Kissen zu heben, aufzustehen und mich zur Tür zu begeben. Ich hätte sowieso gleich aufstehen müssen, weil ich ja bald zur Probe musste… Und wenn es wirklich Kazuki war… Dann würde ich einfach nicht aufmachen, basta. Gott sei Dank hatte ich ein nettes kleines Guckloch, wodurch ich gleich feststellen konnte, wer mein momentan noch unbekannter Besucher war. Und obwohl es sich ausnahmsweise nicht um denjenigen handelte, der meine Gedanken auf so unverschämte Art und Weise für sich selbst beanspruchte, ließ der Mann vor meiner Tür mich erst einmal schwer schlucken. Yuuto. Scheiße. Er wollte sicher wissen, was los war. Und was sollte ich ihm erzählen? Ich sperrte die Tür auf. „Hey.“, begrüßte ich ihn, und schenkte ihm einen verwirrten Blick, „Warum bist du hier?“ Yuuto aber antwortete mir nicht, sondern drängte sich ungefragt an mir vorbei in Richtung Küche und stellte, frech wie er war, vorher eine Gegenfrage. „Seit wann sperrst du die Tür ab, wenn du zu Hause bist?“ Argument. Ich folgte ihm und schloss die Tür hinter mir. „Bei meiner Nachbarin wurde letztens eingebrochen. Ich mach mir nur ein bisschen Sorgen, nichts weiter.“ Wow. Hatte ich doch vor wenigen Tagen noch überhaupt niemandem ins Gesicht lügen können, wurde ich damit anscheinend immer kreativer, seit ein gewisser Jemand wieder aufgetaucht war. War diese Tatsache jetzt gut oder schlecht? „Aha…“, hatte mein bester Freund dafür nur übrig, mit einem ausgesprochen desinteressierten Unterton, und ließ sich auf einen Sessel vor meinem Küchentisch fallen, „Ich komm um dich für die Probe abzuholen. Und um dich zu fragen, was das mit dir und Kazuki soll.“ Ohne große Umschweife direkt auf den Punkt. So wie ich Yuuto kannte. „Was soll sein?“, fragte ich scheinheilig und betete innerlich inständig, er könnte es vergessen haben oder nicht genau auf sein Gesicht geschaut haben, und würde vielleicht nicht mehr wissen dass es Kazuki gewesen war, der letzten Freitag Bekanntschaft mit meiner Faust gemacht hatte. Aber dafür war Yuuto zu scharfsinnig. Selbst der größte Volltrottel hätte gemerkt, dass hier etwas nicht stimmte. Also musste schnell eine passende Story her. Denn ich war der festen Meinung, solange keiner wusste, was zwischen Kazuki und mir einmal war, würde auch nichts dergleichen mehr passieren. Wir würden einfach nur Arbeitskollegen sein, und ich wäre weiterhin glücklich mit Jin. „Hältst du mich für komplett bescheuert? Oder versuchst du grade, mich zu verarschen? Mich? Mach dich bitte nicht lächerlich, Manabu.“, sagte Yuuto. Sein scharfer Unterton ließ mich beinahe ertappt zusammenzucken. Er duldete ganz offensichtlich keine Widerrede. „Nein…“, antwortete ich, jedoch nicht mehr als das, ich wusste doch, dass er noch weiter fragen würde. „Gut. Dann erklär mir mal, weshalb du Kazuki am Freitag verprügelt hast, danach vollkommen außer dir warst und jetzt so tust, als würdest du ihn gar nicht kennen. Und wehe du versuchst mir weiszumachen, er hätte einen Zwillingsbruder. Er hat keine Geschwister.“ Na wunderbar, dann fällt die Ausrede ja schon mal weg. Die Version hätte er mir vermutlich eh nicht geglaubt. Ich atmete kurz tief durch. Die Wahrheit würde es nicht sein. Aber zumindest ein kleiner Teil davon. „Ich kenne Kazuki schon länger. Und letzte Woche, kurz vor unserem Auftritt, haben wir wegen etwas mehr oder minder Belanglosem gestritten… Wenn man jetzt so über die Sache nachdenkt, schon… Naja, deswegen bin ich Freitag ein wenig ausgerastet. Wenn du ihn ansatzweise kennst, müsstest du wissen, wie dreist er oft ist, und er ist einfach eine Spur zu weit gegangen. Am Wochenende haben wir uns dann allerdings ausgesprochen…“ Ich log hier wirklich wie ein Weltmeister. Wann hatte ich das bloß gelernt? Ich hob meinen Kopf und sah Yuuto an, um anschließend weiter zu sprechen, denn er schien mir zu glauben, „…dass wir das alles einfach vergessen… Weil ich ja wusste, dass er wahrscheinlich bei uns spielen wird. Und Streit in der Band ist doch das Letzte, was wir gerade brauchen können. Deswegen tun wir beide so, als würden wir uns nicht kennen, praktisch ein Neuanfang. Ist doch gut so, oder nicht?“ Ich warf ihm einen etwas hilflosen Blick zu, und dachte mir im selben Moment, dass ich Schaupieler hätte werden sollen. Diese aus dem Ärmel gezogene Story hatte ich gerade wirklich perfekt vorgetragen. Das würde er garantiert schlucken. Natürlich war es gemein, dass ich ihm nicht die Wahrheit sagte. Aber es diente sozusagen meinem Selbstschutz und es würde meine Situation auch nicht bessern, wenn ich es ihm sagen würde. „Und warum sagt ihr uns das alles nicht einfach? Wenn ihr euch doch ausgesprochen habt und alles in Ordnung ist, dann schadet es auch bestimmt nicht, wenn wir auch Bescheid wissen.“ Argument. Ich sagte es doch, Yuuto war einfach zu scharfsinnig. Er schien immer noch zu spüren, dass ich nicht ganz die Wahrheit sagte. Dabei war es doch schon fast die halbe Wahrheit… „Weil…“, ich stockte kurz, „…Mann, du kennst mich doch, Yuu… ich rede nie über solche Sachen. Ich verdräng es lieber schnell, das macht weniger Probleme…“ Das war eigentlich auch nicht so viel gelogen… Und Yuuto wusste das. Ich brachte es einfach nie über mich, über meine Probleme wirklich zu sprechen. Klar, ich konnte ein richtiges Weichei sein, aber selbst dann redete ich nicht, sondern ließ mich einfach nur trösten, ohne irgendetwas zu erklären. Und in Yuuto hatte ich einen Menschen gefunden, der das auch ohne Weiteres durchgehen ließ. Zumindest bis jetzt. „Auf Dauer wirst du mit diesem ewigen in-dich-hinein-fressen auch nicht zurechtkommen…“, sagte er, leise, jedoch deutlich genug dass ich es verstehen konnte, und wirkte darüber anscheinend sogar ein wenig traurig – hatte ich was verpasst? - „Aber wenn du dir sicher bist, dass jetzt alles okay ist zwischen euch… tja dann. Woher kennt ihr euch überhaupt?“ „Facebook.“, sagte ich kurz und bündig. Die perfekte Ausrede für alles, schoss es mir durch den Kopf. Was täte die Welt in ihrer ganzen Ironie nur ohne soziale Netzwerke. „Hm…“, lautete seine kurze und absolut nichtssagende Antwort darauf. Was er wohl dachte? Wie immer hatte ich davon nicht die leiseste Ahnung, obwohl er mein bester Freund war, ich konnte ihn einfach nicht ganz durchschauen. Und vor allem wusste ich rein gar nichts über seine eigene Gefühlswelt. Ich hatte mich einige Male getraut, ihn danach zu fragen, jedoch nie eine anständige Antwort erhalten. Ich hatte ihn auch noch nie weinen sehen, nicht einmal richtig deprimiert war er je gewesen, seit ich ihn kenne. Höchstens sauer. Aber einfach… Nein, er war nicht leicht zu verstehen. Mit Kazuki war es früher genau dasselbe gewesen… Der beste Freund, der mir einfach nicht den leisesten Hinweis geben wollte, wie es in ihm, in seinen Gedanken wirklich aussah. Wieso stieß ich immer wieder auf solche Menschen? Ich hatte Yuuto wirklich gern, mindestens so sehr, wie ich Jin liebte, aber… Jin war im Gegensatz zu ihm oder Kazuki so simpel gestrickt. „Mach keinen Scheiß, Manabu, okay?“, seufzte er schließlich und fuhr sich durch die Haare, anscheinend wusste er gerade nicht, wie er dieses Gespräch weiterführen sollte. Das war mal eine seltene Situation. Yuuto fehlten normalerweise niemals die Worte. „Nee, keine Angst…“, beruhigte ich ihn, doch sogar ich selber fand, dass ich wenig überzeugend dabei klang, und dafür hätte ich mich zum wiederholten Male selbst bestrafen können, „Aber was hältst du eigentlich von Kazuki? Ich wusste gar nicht, dass ihr euch alle schon kennt.“ Yuuto hatte in seinem kurzen Anfall von Wortlosigkeit, beziehungsweise verlorenem Gesprächsfaden, seine Augen geschlossen gehalten, doch jetzt öffnete er sie wieder und schielte in meine Richtung. Irgendetwas in seinem Blick hatte schon wieder so etwas stechendes, etwas scharfsinniges, anscheinend glaubte er immer noch, dass an der ganzen Sache etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Und natürlich hatte er Recht. Er kannte mich nun einmal. „Also ich versteh mich prima mit ihm… Liegt vielleicht dran, dass wir viel gemeinsam haben. Gleich und gleich gesellt sich gern.“, sagte Yuuto und grinste dabei leicht. Wow, sogar ihm selber war aufgefallen, dass er Kazuki ähnelte. Zwar wusste ich nicht, ob Yuuto das gerade vom Verhalten her oder von ihren Interessen her gemeint hatte, aber dennoch. Hatte ich in Yuuto vielleicht schon immer so jemanden wie Kazuki gesehen? Nein, okay, so viel Ähnlichkeit war da nun auch wieder nicht. Ich kannte Yuuto immer noch ein wenig besser als meinen Ex-Freund, und er war… er war anders, er war besser, anders konnte ich es nicht beschreiben. Eigentlich wirklich eine seltsame Feststellung. „Stimmt, ihr seid beide arrogante Arschlöcher.“ – eine lustige Feststellung meinerseits. „Ya, und wahnsinnig stolz drauf.“ Jetzt grinsten wir wieder beide um die Wette. Anscheinend war er nicht wirklich sauer auf mich. Innerlich tat es mir leid, dass ich es einfach nicht über mich brachte, ihm zu sagen wer Kazuki wirklich war. Später, als ich mit Yuuto zusammen in unserem Proberaum auftauchte, stellte ich fest, dass Kazuki noch nicht da war. Vielleicht würde er heute überhaupt nicht kommen? Das würde meinen Nerven sicherlich gut tun. Aber selbst wenn er NICHT da war, machte mich diese Tatsache nervös. Ich war eindeutig paranoid geworden. „Wo ist Kazu heute?“, fragte Jin – und ich musste zugeben, es wurmte mich gerade mehr als alles andere, dass er diese Frage noch stellte BEVOR er mich zur Begrüßung umarmte. Klar, ein wenig reagierte ich schon über, es war ja auch nicht weiter schlimm… Dennoch fragte ich mich, seit wann Kazuki nun schon ohne mein Wissen mit Jin und den anderen in Kontakt war. Ich konnte mir das gerade gar nicht richtig vorstellen, es kam mir so unwirklich vor… Jin und Kazuki kannten sich, hatten sich wahrscheinlich schon öfters gut miteinander unterhalten. Das war irgendwie so richtig surreal. Mir erschien das wie zwei völlig unterschiedliche Abschnitte meines Lebens, die aufeinander prallten – was anderes waren die beiden doch nicht. Kazuki war für mich meine Vergangenheit, Jin hingegen war das Hier und Jetzt. „Der kommt anscheinend nicht. Und ich muss heute bisschen früher los, hab noch was vor~“, sagte Yuuto und grinste, allerdings merkte ich, dass es gespielt war. Ich spürte, dass Yuuto nicht gut gelaunt war. Und es wunderte mich. Anscheinend war ich doch in der Lage, Yuu zumindest ein klein wenig zu durchschauen. Nur warum er gerade offensichtlich schlecht gelaunt war, das blieb mir ein Rätsel. „Hast´n Date?“, fragte ich ihn scherzhaft und grinste breit. „Natürlich. Jeden Tag. Das weißt du doch.“, gab er gelassen zurück, mit seinem für ihn typischen gespielt arroganten Tonfall inklusive sexy wippender Augenbrauen, und widmete sich anschließend lieber seinem Bass als mir und Jin, während ich vernahm, wie Byou durch die Tür hereingeschneit kam. „Ich bin nicht zu spät, oder?“, kam es von dem Sänger mit verwirrtem Gesicht, und nachdem er keine Antwort von uns erhielt, plapperte er einfach weiter, „Kazuki kommt heute übrigens nicht, ich soll ihn entschuldigen. Aber nachdem er eh noch nicht so ganz in der Band ist, dürfte das kein Problem sein, wenn wir heute ohne ihn spielen…“ Natürlich NICHT! Tust ja grade so als wären wir schon längst von Kazuki abhängig und könnten ohne ihn überhaupt nichts mehr! Das hätte ich ihm gerne ins Gesicht geschrien, aber irgendwie glaubte ich, dass es momentan sinnvoller war sich meinem Schatz zu widmen, als über meinen Ex nachzudenken. Denn Jin war es, der momentan wirklich meine Aufmerksamkeit verdient hatte und bekommen sollte, mir wurde wieder einmal klar, wie sehr ich ihn in letzter Zeit vernachlässigt hatte. Wenn ich mich so an gestern erinnerte… Ich hatte ihn schon wieder angelogen. Aber ich hätte ihm doch nicht einfach sagen können, dass Kazuki bei mir war… Byou seufzte kurz, anscheinend hatte er schnell gemerkt, dass heute ein wenig angespannte Stimmung herrschte. „Haut rein Leute, ich will heut so schnell wie möglich wieder heim!“ Es klappte genauso gut wie immer und wir kamen auch dazu, ein paar neue Noten auszuarbeiten, damit wir ansatzweise wussten wie Kazuki und ich zusammen spielen könnten. Immerhin wollten wir nicht wirklich einfach beide dieselbe Melodie spielen, das würde nur halb so gut klingen und den Sinn eines zweiten Gitarristen deutlich verfehlen. Allerdings wehrte ich mich dagegen, dass ICH die neuen Parts lernen sollte, das konnte ruhig Kazuki machen, ich würde bei den Songs die wir bis jetzt drauf hatten weiterhin genau das spielen, was ich gewohnt war. Ein Lächeln zog sich nun, da wir fertig waren, über meine Lippen. Heute war ein richtig schöner Tag für meine jetzigen Verhältnisse – Kein Kazuki bei der Probe und den restlichen Tag würde ich mit dem Menschen verbringen, den ich liebte! Jin wollte ja schon die ganze letzte Woche endlich wieder irgendetwas mit mir zusammen machen, und ich hatte zwar nach wie vor keine Lust auszugehen, aber das war auch nicht nötig. Wir hatten Pizza, einen Nintendo64 und Jin´s kuscheliges Sofa, mehr brauchte man nicht, um uns beide rundum glücklich zu machen. Was ich nicht mitbekam, war, dass Yuuto nicht wirklich ein Date hatte – was ich ihm bei seinem Tonfall ohnehin nicht geglaubt hatte – sondern im Proberaum mit jemandem sprach, als wir schon längst verschwunden waren. Er hatte eben doch eine sehr deutliche Ahnung und war sich wohl dessen bewusst, dass ich ein schlechter Lügner war. „Und wo warst du heute, während wir geprobt haben?“ „Ich hatte was zu tun…Sorry. Ab morgen werd ich immer da sein.“ Kazuki war aufgetaucht, um seine Gitarre zu holen, die er am Vortag nicht mitgenommen hatte. Und Yuuto hatte sich bereits gedacht, dass er deswegen kommen würde, und darauf gewartet. Auf eine Chance, um ihren neuen Gitarristen mal auf ein paar höchst interessante Dinge anzusprechen. „Manabu und du, ihr habt also gestritten, hm?“, fragte Yuuto und sah den anderen nicht an, sondern sortierte mit desinteressiertem Blick seine Notenblätter. Eigentlich war Yuuto ein Mensch, der dauerhaft gute Laune verbreitete, jemand der einen immer aufheitern konnte, egal wie beschissen die Situation gerade war, und vor allem ein treuer Freund, der einen niemals hintergehen würde. Aber wenn er wütend war oder wusste, dass etwas vor sich ging, was ganz und gar nicht in Ordnung war, dann konnte er auch so richtig, richtig unangenehm werden. „Gestritten?“, fragte Kazuki, mit einer Mischung aus Überraschung und Unsicherheit. Er hatte nicht wirklich eine Ahnung, wovon genau Yuuto jetzt sprach, beziehungsweise wie viel dieser eigentlich über Manabu und ihn wusste. „Hat Manabu jedenfalls gesagt. Genaues weiß ich auch nicht. Deswegen frag ich ja.“ Genau genommen war das eher eine Art unauffälliges Verhör, was er da abzog. Aber das musste der Gefragte ja nicht wissen. „Uhm… nennen wir es Meinungsverschiedenheiten? Aber jetzt ist sowieso alles klar.“, sagte Kazuki, allerdings leise, und machte Anstalten zu gehen. Er wollte nicht weiter über so etwas reden, schon gar nicht mit jemandem, den die ganze Sache eigentlich überhaupt nichts anging. Und anscheinend wusste Yuuto ja doch nichts davon, dass er Manabu schon weit länger kannte als der Rest der Band es tat. Sonst hätte er ihn jetzt doch direkt drauf angesprochen, dass- „Du bist Manabu´s Ex, stimmts?“ Ein Schlag mit einem Hammer mitten ins Gesicht hätte nicht effektiver sein können. „Und er wusste es doch…“, murmelte Kazuki für sich selbst, mit sarkastischem Unterton, und grinste dabei. Er drehte sich zu Yuuto um. „Und weiter?“ Yuuto aber lachte nicht, wie man es nun vielleicht von ihm gewohnt wäre, sondern wirkte ungewohnt ernst. Nicht nur ernst, sondern sogar fast richtig sauer, mochte man meinen… Und er unterstrich dies, indem er Kazuki näher kam und ihn davon abhielt, einfach durch die Tür zu verschwinden. Er war größer als der Gitarrist, und das schien diesen tatsächlich ein klein wenig einzuschüchtern. „Und weiter? Das fragst du mich gerade nicht ernsthaft, oder?“, fragte er und sah Kazuki genau in die Augen, wirkte nun viel mehr bedrohlich, jede Spur von Yuuto´s gewohnter Harmlosigkeit war mit einem Schlag verschwunden, „Hast du eine Ahnung, wie es ihm die letzten Jahre gegangen ist? Glaubst du wirklich, du kannst nach all dem einfach so Auftauchen und so tun als wäre nichts?“ Kazuki wirkte selbstbewusst, nach wie vor, er wirkte ruhig und gefasst, wie man es von jemandem wie ihm erwarten würde, doch er wusste nicht, was er auf diese Frage antworten sollte. Und vor allem… was er da an den Kopf geworfen bekam, tat irgendwie weh. „Ich sag dir was Sache ist, Hübscher. Du bist mir wirklich sympathisch. Und ich kann mir mehr als nur gut vorstellen, dass wir gemeinsam in einer Band spielen können, du passt perfekt in unser Line-up. Aber, “, und nun verschärfte sich sein Tonfall aufs Neue, „Wenn du ihm noch einmal so weh tust wie damals, wenn er das alles noch einmal durchmachen musst, weil du keine Rücksicht auf ihn nimmst, und wenn ich wieder miterleben muss, wie mein jetziger bester Freund an sich selbst zerbricht – dann wird bei dir was brechen, und zwar sämtliche funktionstüchtige Knochen in deinem Körper.“ Kazuki schwieg. Yuuto lehnte sich neben ihm an die Wand. „War es wirklich… so schlimm für ihn?“, flüsterte Kazuki plötzlich, und jetzt wo Yuuto seine Stimme hörte, wusste er, warum der Andere bis jetzt geschwiegen hatte. Er selber hätte vermutlich nicht anders gehandelt, wenn seine Stimme plötzlich so brüchig klingen würde. „Du hast ja wirklich keine Ahnung…“, seufzte Yuuto und schüttelte verständnislos den Kopf. Natürlich, er kannte Kazuki nicht wirklich, und er wusste auch nicht wirklich, was genau alles passiert war. Manabu hatte ihm kaum irgendetwas erzählt. Aber dieser Vollpfosten vor ihm wird doch wohl wissen müssen, was der Grund für Manabus lange Depressionen gewesen war! Er war schuld daran, warum also sollte er jetzt nicht die leiseste Ahnung von all dem haben? „Ich wollte das auch nicht…“, sagte Kazuki. Yuuto blieb noch eine Weile, um mit ihm zu reden. Während ich von all dem keine Ahnung hatte, immer noch der festen Meinung war, Yuuto hätte nicht den blassesten Schimmer und Kazuki würde ebenfalls problemlos dichthalten, während ich all diese Sachen einfach nur ausblendete, genoss ich stattdessen die Wärme vom Körper meines Freundes, mit dem ich gerade auf seinem Sofa kuschelte, während wir uns Rush Hour 3 reinzogen. Eine solche Situation war im Moment wirklich etwas, was ich mehr brauchte als alles andere, ich fühlte mich wie im Himmel – so beruhigt! Glücklich schlang ich meine Arme fester um Jin, und er lächelte dabei. Jetzt fehlte eigentlich nur noch die fette Pizza in unserer Mitte, aber die würde noch ein Weilchen dauern. Ich war tatsächlich für den Moment wieder einmal wunschlos glücklich. „Ich bin froh dass du wieder mal bei mir bist~“, sagte Jin gut gelaunt, und schenkte mir einen Kuss, um seine Freude zu unterstreichen, „Ich hab dich ja schon fast vermisst. Auch wenn ich dich trotzdem gesehen hab, bei den Proben - weißt du, in so einem riesigen, kuschligen Bett schläft es sich alleine einfach nicht gut…“ Gespielt beleidigter Schmollmund. Ach Gott, er war so süß! Ich unterbrach meinen gedanklichen fanboy-artigen Ausbruch über seine Niedlichkeit und antwortete ihm: „Es tut mir wirklich leid. Ich war ein wenig… ausgelastet, könnte man sagen. Aber ich liebe dich doch, so schnell wirst du mich also nicht los~“ Jin strahlte nach diesen Worten regelrecht und hatte anscheinend vor, mich mit seiner Liebe zu erdrücken, woraufhin ich lachen musste. „Du bist so toll, weißt du das?“, fragte Jin mich und lächelte dabei sanft. „Nicht so toll wie du.“ Wir waren ja so was von kitschig. Aber ich liebte es~ Bei jedem anderen würde ich rot werden, wenn ich solche Kindereien auch nur denken würde, aber bei Jin… das war anders, bei ihm und mit ihm war alles einfach anders. „Und warum genau warst du jetzt wirklich so daneben? Du benimmst dich genau so komisch, seit Kazu bei uns ist.“ Autsch. Musste er mich denn unbedingt jetzt daran erinnern? Ich wollte jetzt wirklich über alles reden und nachdenken, meinetwegen über Gott und die Welt, aber NICHT über Kazuki! „Nein, der Direktor hat mich so´n bisschen… fertig gemacht. Hat rausgekriegt dass ich die Sache mit dem kaputten Fenster vertuscht hab, einer der anderen Lehrer hat gepetzt. Jetzt hab ich den Ärger am Hals, aber der beruhigt sich schon wieder. Du weißt ja, dass mich nur die Schüler gut leiden können, die Lehrer leider nicht.“ – meine Stimme nahm einen genervten Tonfall an. Eigentlich war das schon wieder so eine halbe Wahrheit und gar nicht allzu stark gelogen, nur die Sache wegen dem Fenster ist nie herausgekommen. Dass die meisten anderen Lehrer nicht mit mir klar kamen, war allerdings eine Tatsache. „Das liegt dran, dass du selber noch ein kleines Kind bist!“, sagte Jin und lachte dabei leise. Er schien mir ohne weiteres zu glauben und vor allem, er ging nicht weiter auf Kazuki ein. Und das war gut so. Es wurde ein Abend, wie ich ihn mir gewünscht hatte. Es hatte mir schon gefehlt, auch wenn die Zeit, in der wir nun nichts miteinander unternommen hatten, nur kurz gewesen war. Jin´s Lachen. Es hatte gefehlt, ich war es gewohnt, dass ich sein Lachen um mich herum hatte, Schließlich war es doch genau das, was mir selber stets ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Es war etwas, woran ich festhielt, woran ich mich beinahe krampfhaft klammerte – Solange Jin lachte, schien die Welt für mich in Ordnung, es schien mir, als wäre alles genau so, wie es sein sollte. Wir sahen den Film zu Ende. Bis Mitternacht spielten wir ausgelassen Mariokart. Beinahe hätte Jin geheult, weil er es nur ein einziges Mal geschafft hatte vor mir ins Ziel zu kommen. Er begann sich aufzuregen, von wegen ich hätte gecheatet. Danach hatte er plötzlich Hunger, und entgegen meiner gesundheitlichen Einwände fing er plötzlich an, sich in der Küche einen Vanillepudding zu kochen. Was die Küche natürlich nicht fleckenfrei überstand. Eigentlich wurde es sogar eine ziemliche Sauerei, wie man es von einem harmlosen Vanillepudding nicht unbedingt erwarten würde, es sei denn es handelte sich um Jin, der ihn zubereitete. Nachdem er festgestellt hatte, dass ihm der Pudding so nicht schmeckte, beschloss er, erneut entgegen meinen gesundheitlichen Protesten, sich einfach eine Schüssel Popcorn zu machen. Die dann eine halbe Stunde später auch schon im halben Wohnzimmer verteilt war. Ich konnte über all diese Dinge nur grinsen, das war eben Jin, er war ein kleiner, niedlicher Chaot. Man musste ihn einfach lieben! Und nachdem ich Jin einen Schubs ins Bad verpasst hatte, damit er sich den Vanillepudding aus den Haaren waschen konnte – fragt mich bitte nicht, wie der dort hin kam – hatte ich die Zeit, um in der Zwischenzeit das Wohnzimmer aufzuräumen. Meine Alltäglichkeit war wieder da. Eigentlich war ich schon ziemlich müde, und ließ mich daher schon mal auf Jin´s kuscheliges, riesengroßes Bett kippen. Ich wünschte, mein Bett wäre auch so toll wie seins. Aber wahrscheinlich war es besser so, ansonsten würde ich resignierter Morgenmuffel niemals mehr da rauskommen. Wie schaffte mein Schatz das bloß? Ich könnte hier für den Rest meines Lebens einfach nur liegen bleiben… hatte ich schon mal erwähnt, dass Schlafen eigentlich eins meiner liebsten Hobbys war? „Ist da etwa jemand müde?“, hörte ich seine Stimme. Ich drehte meinen Kopf in Richtung der Schlafzimmertür. Was ich erblickte, war durchaus einen genaueren Hingucker wert, denn Jin, der kleine Teufel, stand dort nur mit einem Handtuch um die Hüfte. „Das tust du nicht.“, sagte ich und grinste dabei selbst, womit ich mich selber verriet. Dass ich ihn durchschaute, war eine Leichtigkeit, er hatte nichts anderes vor, als mich zu verführen. „Und was wenn doch?“, kam es frech zurück, langsam kam er auf mich zu, ich bequemte mich in eine aufrechte Position. Er stand vor dem Bett, seine Haare hingen ihm ungestylt in sein hübsches Gesicht, und ich ertappte mich bei dem Gedanken, weshalb ich nicht schon vorher zum Duschen mitgegangen war, da hätte ich ihn auch gleich vernaschen können. Erwartungsvoll grinsend sah ich zu ihm auf. „Dann… wirst du morgen vielleicht Probleme mit dem Sitzen auf deinem Schlagzeughocker haben“, sagte ich, versuchte dabei so sexy wie nur möglich zu klingen, und er sprang augenblicklich darauf an. Unsere Lippen trafen sich. Verharrten. Genossen den Moment, das Gefühl, die Geborgenheit, die Sicherheit dass man jemanden küsste, den man liebte. Gingen weiter. Eine verspielte Zunge stupste gegen meine Lippen. Ich ließ sie gewähren. Langsame Lippenbewegungen. Hände, meine Hände, die sich selbstständig machten, um mit zarten Bewegungen die nackte Haut über mir zu erkunden, die Konturen seines Oberkörpers in einem Rausch aus Faszination zu umstreichen. Keuchen, entflohen zwischen seinen süßen, weichen Lippen, unterdrückt von den meinen, die ihm rettungslos seinen Atem raubten. Die Sicherheit jemanden zu küssen, den man liebte… Hatte ich diese Sicherheit noch? Denn wenn meine Lippen auf die meines Freundes stießen, drängte sich ein Bild vom letzten Abend dazwischen, ein Kuss, den ich nicht mit ihm geteilt hatte. Nicht mit ihm, nicht mit Jin, nicht mit demjenigen, den ich liebte. Ich fühlte mich unwohl. Schuldig. Schlecht. Und dennoch beruhigte ich mich wieder, blendete es aus – Es war nicht meine Schuld gewesen… ich hatte das doch nicht gewollt. Aber das hier, was jetzt passierte, das wollte ich. Wollte ich? Kapitel 7: Left to be just taken -------------------------------- Tage vergingen, schneller als ich es realisieren wollte, und ich hatte das Gefühl, als würden meine plötzlichen chronischen Kopfschmerzen keinesfalls besser, sondern mit jedem weiteren verhängnisvollen Tag immer schlimmer werden. Vielleicht lag es daran, dass ich immer weniger und schlechter schlief, und irgendwie schien mir auch der Hunger vergangen zu sein. Die meiste Zeit war mir einfach nur schlecht, und ich war müde, dagegen half mittlerweile leider auch ein Aspirin nicht mehr allzu viel. Bei der Arbeit war das Ganze überhaupt nicht von Vorteil, und das strapazierte meine Nerven noch zusätzlich. Seit dem Abend bei Jin war schon wieder fast eine Woche vergangen. Dass Kazuki mir nicht aus dem Kopf ging, hatte ich mittlerweile sogar eingesehen. Das war auch nicht weiter schwer, immerhin waren zwischen uns viele Dinge, die mich stets zum Rätseln brachten, und andere wiederum, die mich einfach nur wütend machten und mir meine Laune von einer Sekunde auf die nächste verderben konnten. Traurig daran war wohl, dass es weniger eine aggressive, wohl aber eine verzweifelte Wut war, die sich auch wenig positiv auf meine Mitmenschen auswirkte – Was ich leider nicht bemerkte. „Spiel das nochmal“, forderte Byou mich auf, nachdem ich den neuen Gitarrenpart zu Ende gespielt hatte, und sah mich dabei mit kritischem Blick an, „Und pass bei der Stelle mit den höheren Tönen etwas besser auf.“ Ich schnappte nach Luft. Das war jetzt das vierte Mal, dass er mich aufforderte, es ein weiteres Mal zu spielen, und langsam würde mich wirklich interessieren, WAS GENAU denn nun nicht passte! „Wie oft soll ich dir den Scheiß jetzt noch vorspielen? Wenn du nur die Stelle in der Mitte meinst, wo ich die paar Noten einen Halbton höher spiele, darüber haben wir schon geredet, ich habe dir gesagt dass ich es so schöner finde, oder nicht?“, sagte ich und klang dabei ungewollt gereizt, was mir allerdings nicht so ganz einleuchten wollte. Byou hingegen blieb ruhig, lediglich eine kleine Falte legte sich auf seine Stirn, er zog die Augenbrauen zusammen, aber nichts weiter könnte darauf hindeuten, dass ihm gerade etwas überhaupt nicht passte. „Ich habe dir allerdings auch gesagt, dass die andere Variante in meinen Ohren besser klingt. Und die anderen sind derselben Meinung, also dachte ich, die Diskussion wäre durch Überstimmung beendet gewesen…“, antwortete er monoton und sah mir nicht in die Augen, sondern fixierte stattdessen mit seinem ernsthaften Blick die Saiten meiner Gitarre. Ich hasste es, wenn er so war. Dass er mich nicht ansah und so mit mir sprach, reizte mich im Moment wieder, und das war schlecht. „Ach, hab ich gar kein Mitspracherecht mehr? Dann lass es doch am besten Kazuki machen, der macht alles perfekt, und lass mich mit solchen Kleinigkeiten in Ruhe, ich hab Wichtigeres zu tun!“ „MANABU!“ Ich zuckte erschrocken zurück, als der Sänger so plötzlich seine Stimme erhob und mich anschrie. Mit so plötzlicher verbaler Gegenwehr hatte ich nicht gerechnet. „Mich würde ernsthaft interessieren, wann du zu so einem überempfindlichen und dauerhaft genervten Beschwerdekasten geworden bist!“ Autsch. Beschwerdekasten? „Deswegen musst du mich nicht so anschreien!“, zischte ich ihm zu, obwohl irgendetwas, ich glaube mein Gehirn, versuchte mir zu sagen dass ich weiteren Streit vermeiden sollte. Das war nicht gut, das würde früher oder später eskalieren, aber irgendwie gelangten die Befehle meines Hirns nicht bis hin zu meinem momentan recht vorlauten Mundwerk. „Ich schrei dich an so viel ich will, im Moment hab ich allen Grund dazu. Was sollen die ständigen Zickereien auf einmal? Spätpubertäre Phase mit 24 Jahren oder was? Verarsch mich nicht, Manabu.“, sagte Byou. Seine Stimme hatte einen dunklen, drohenden Ton angenommen, seine Worte klangen nach spitzen Pfeilen, direkt angriffslustig. Und irgendwie hatte ich das deutliche Gefühl, dass es vor allem in diesem Gespräch bereits längst nicht mehr um Gitarrennoten ging – Denn wegen so etwas wäre er niemals ernsthaft wütend auf mich. Und dennoch. „Das geht dich nichts an. Ist immerhin meine Sache und nicht deine, hm?“, antwortete ich und machte Anstalten zu gehen, immerhin hatten wir eigentlich offiziell gerade Pause, und ich würde jetzt wirklich gerne von allen verschont werden. Kazuki machte es ausnahmsweise richtig, er hatte sich mit den anderen vor 20 Minuten zu Starbucks verzogen und mich in Ruhe gelassen. Dummerweise war Byou nun einmal geblieben. Und den konnte ich jetzt auch nicht mehr brauchen, also würde ich gemütlich eine rauchen gehen und mich nach Möglichkeit abreagieren! „Wie wärs, wenn du dich zur Abwechslung mal wieder etwas mehr um andere kümmerst, als nur um dich selbst? Du verscherzt es dir gewaltig mit mir, wenn Jin noch einmal bei mir auftaucht, nur um mir vorzuheulen dass du ihn vernachlässigst.“ Ruckartig blieb ich stehen. Bitte was? Das war doch gerade nicht sein ernst, oder? Ich wagte es erst gar nicht mich wieder zu ihm umzudrehen, konnte ich es doch förmlich spüren, wie er mich mit seinen Blicken aufspießte. Und wenn das, was er gesagt hatte, stimmte, dann konnte ich durchaus verstehen, dass er mir gerade nur zu gerne eine reinhauen würde. Meine Zähne bohrten sich in meine Unterlippe, auch wenn diese Geste mir kein bisschen weiterhalf. Ich wusste nicht, was ich spontan darauf antworten sollte, mein Herz begann plötzlich schneller zu klopfen und irgendetwas in mir schmerzte, während ich über mögliche nächste Worte nachdachte. „Wann… hat er das getan?“ „Vorgestern Abend.“ Erneutes Schweigen. Ich hatte Jin vernachlässigt… - verletzt. Genau das, was ich eigentlich nicht hatte tun wollen. Aber wieso hatte er denn das nicht mir persönlich gesagt? Nein, falsche Frage. Was zum Teufel war bloß los mit mir? Mein Kopf senkte sich, im Moment wünschte ich mir, ich könnte einfach im Boden verschwinden und die Welt hier oben Welt sein lassen. Aber Byou fuhr fort. „Er hat gesagt, dass du dich seltsam benimmst, seit Kazuki hier ist, und bei allem Respekt, das kann ich ihm nicht ausreden.“ Und augenblicklich schlugen meine Schuldgefühle in die altbekannte Mischung aus Verzweiflung und Wut zurück. Dazu genügte offensichtlich nur ein einzelner Name, gut zu wissen. „Halt den Mund! Ich hab Schlafstörungen und mir ist ständig schlecht, vielleicht hab ich irgendeine Krankheit erwischt, keine Ahnung, aber hört auf ständig irgendwelche Dinge festzustellen und zu glauben, die kompletter Schwachsinn sind! Ich brauch einfach nur meine Ruhe…!“, bis zum letzten Satz hin wurde ich leiser, und danach verschwand ich durch die Tür so schnell ich konnte. Ich musste nach draußen, ich brauchte eine Zigarette, jetzt. Draußen kamen mir Jin, Yuuto und Kazuki entgegen, letztere beiden mit Kaffee, erstgenannter mit einem Eis in der Hand, und alle drei scheinbar in bester Laune. Man sah ihnen deutlich an, dass sie sich in der letzten halben Stunde gut unterhalten hatten. „Schatz, wolltest du nicht aufhören?“, fragte Jin im vorbeigehen, wir hatten eigentlich nicht mehr lange Pause, aber so genau hatten wir uns noch nie an unsere eigenen Regeln gehalten. „Ich weiß… aber ich schätze da bin ich wohl doch noch nicht soweit.“, gab ich als knappe Antwort. Jin zog einen Schmollmund. Er mochte es nicht, wenn ich rauchte, es störte ihn zwar nicht direkt, aber er beschwerte sich im Nachhinein immer über den Geschmack beim Küssen. Konnte ich ja auch irgendwo verstehen, nur im Moment war bei mir alles außer dieser Zigarette zur Hälfte ausgeblendet. Seufzend ging Yuuto einfach weiter, in Richtung der Tür die zu unserer Probegarage führte. Jin folgte ihm. Das alles zog eher an mir vorbei, als dass ich mir Gedanken um meine Situation machte. Ich nahm einen tiefen Zug und stieß den Rauch aus, versuchte an nichts zu denken und mich einfach ein wenig zu entspannen. Wo mir natürlich schon wieder jemand einen Strich durch die Rechnung machen musste. „Du wartest doch heute auf mich, wenn wir fertig sind, hm?“, fragte Kazuki, der sich neben mich gepflanzt und sich ebenfalls eine Zigarette angesteckt hatte. Momentan war ich ruhig genug, um ihn nicht anzuschreien, doch eine gereizte Reaktion zu unterdrücken war mir dennoch unmöglich. Kazuki wohnte zu allem Übel, wie ich es vor einiger Zeit bereits erfahren hatte müssen, ziemlich in meiner Nähe. Was ja auch nicht weit von hier war, generell war ich zu Fuß unterwegs. Und natürlich war Mr. Perfect der Meinung, er habe nichts Besseres zu tun als mich in seiner Euphorie stets von der Probe bis nach Hause zu begleiten. War es ungefähr vorstellbar, wie begeistert ich von dieser Tatsache war? „Wenn ich etwas in meinem Leben nie wieder tun werde, dann ist es auf dich zu warten.“, sagte ich und ließ meine Stimme ungefähr so klingen, als hätte ich sie gerade dem Tiefkühlfach entnommen und vergessen sie auftauen zu lassen. Kazuki stieß ein Seufzen aus, allerdings klang sogar dass mehr sarkastisch als ernst gemeint. Was mir wiederum zeigte, dass diese Worte ihm anscheinend rein gar nichts aus machten. „Und zwischen den Zeilen tust du es doch.“, sagte er. Er lachte dabei leise. Ich sagte nichts. Was sollte ich schon sagen? Es gab nichts, was ich gegen Kazuki sagen konnte, ich wollte doch nichts weiter, als dass er mich in Ruhe ließ und vor allem, dass er aus meinen Gedanken verschwand. „Lass mich in Ruhe.“, beendete ich also das kurzweilige Gespräch, nachdem ich die Zigarette aufgeraucht, auf den Boden geworfen und zertreten hatte, ehe ich ging, bevor er noch irgendeinen idiotischen Spruch schieben konnte. Kazuki sah mir nach, fast schon ein bisschen traurig, als würde er sagen wollen – hör mir doch endlich mal richtig zu. Ich musste nachdenken, schon wieder. Was war aus mir geworden? Ich war doch sonst eher eine gefasste und ruhige Person, wieso also war ich plötzlich so sensibel und leicht reizbar? Und wieso um alles in der Welt waren mir die anderen plötzlich so… egal? Seit wann bitteschön war ich derartig egoistisch?! Ich sah meine Fehler ein, das tat ich durchaus, nur momentan wusste ich noch nicht, wie ich etwas ändern sollte, aus dem einfachen Grund, da ich mein eigentliches Problem noch nicht wirklich identifiziert hatte. Und wie sollte man ein Problem lösen, über das man sich in keinem Punkt sicher ist? Jin… Scheiße. Alles war einfach nur richtig scheiße zurzeit. Ich enttäuschte Jin, Byou war deswegen sauer auf mich, Yuuto wäre nicht Yuuto wenn er nicht längst gewittert hätte dass etwas nicht stimmt, Kazuki ließ mich nicht in Ruhe, geisterte die ganze Zeit in meinem Kopf herum und zu allem Übel fühlte ich mich ständig kränklich, müde, geschwächt. Und noch dazu hatte meine Abhängigkeit zum Rauchen nicht ab, sondern zugenommen. Wunderbar. Konnte mir jetzt noch bitte irgendein Vogel auf den Kopf scheißen, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen? Aber statt Vogelscheiße am Kopf kam etwas viel Schlimmeres. Byou halste mir, mehr oder weniger aus Rache, noch etwas Arbeit auf – ich sollte die letzten Aufnahmen durch kontrollieren und vielleicht ein paar Korrekturen bei den Effekten vornehmen. Schon blöd, wenn man der einzige war der sich mit so was auskannte. Frechheit… Gegen Byou konnte ich momentan nichts mehr sagen, ich wusste, dass er mir gerne den Hals umdrehen würde wenn er könnte, und das wollte ich nicht riskieren. Diese kleine Zusatzarbeit, während die anderen bereits nach Hause gingen, war jedoch nicht mein Problem. Das Problem war Kazuki, der ja auf mich wartete, um mich nach Hause zu begleiten. „Geht´s dir nicht gut? Du siehst so blass aus.“, fragte er und setzte sich auf den Tisch, auf dem ich arbeitete. Blass. Haha. Natürlich gings mir scheiße. Und ihm auch gleich, wenn er so weitermachte. „Halt den Mund und geh nach Hause.“, sagte ich und schaffte es nach längerer Zeit endlich mal wieder, so ruhig und gefasst wie früher zu klingen – allerdings mit dem Unterschied einer eisig kalten und nicht so warmen Stimme, wie ich sie sonst für gewöhnlich hatte. „Warum sollte ich? Wo ich endlich mal eine Chance habe, ein bisschen mit dir zu plaudern. Du gehst mir doch sowieso pausenlos aus dem Weg“, sagte Kazuki. Ich sah ihn mit gehobener Augenbraue an. Sollte das gerade ein Vorwurf sein, oder hatte ich mir diesen Tonfall nur eingebildet? Er wollte doch jetzt nicht ernsthaft den Beleidigten spielen, nach allem, was er sich geleistet hatte? „Ich hab auch allen Grund dir aus dem Weg zu gehen. Und reden will ich auch nicht. Also verzieh dich und lass mich meine Arbeit machen…“, antwortete ich ihm, jedoch deutlich leiser. Es machte mich nervös, mit ihm alleine zu sein. Das war eine Tatsache, um die ich nicht herumreden konnte. Wer weiß, vielleicht würde er mich gleich wieder einfach so küssen? Und vielleicht könnte ich mich genauso toll wehren wie beim letzten Mal. Nämlich gar nicht… Ich starrte auf den Computer vor mir und versuchte, ihm so wenig Aufmerksamkeit wie nur irgend möglich zu schenken. Aber gleichzeitig kreuzten sich meine Gedanken wieder mit jenen von früheren Zeiten. Die Situation behagte mir nicht. Ich war früher ein sensibler Mensch gewesen, und kaum tauchte Kazuki wieder in meinem Leben auf, ging das alles wieder von vorne los? Sollte es wirklich umsonst gewesen sein, dass ich so an mir gearbeitet hatte? Dass ich endlich mal gelernt hatte, mich nicht immer einfach darauf zu verlassen, dass alles gut werden würde, ohne etwas dafür zu tun? „Manabu… hör mir doch endlich mal zu. Ich versuch dir doch schon die ganze Zeit zu sagen, dass ich eigentlich niemals von dir weg wollte.“, sagte Kazuki plötzlich und riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich starrte immer noch auf den Bildschirm. „Spar dir den Scheiß. Ehrlich. Es interessiert mich nicht, Kazuki, das alles ist Vergangenheit, sollte vergessen werden und damit hat sich die Sache.“, sagte ich, schielte kurz zu ihm, und selbst ohne hinzusehen hätte ich seinen stechenden Blick spüren können. Und ich kannte diesen Blick. Den hatte er früher immer drauf gehabt, wenn er mal nicht das bekommen hatte, was er gewollt hatte. „Merkt man ja, wie egal ich dir bin. Weißt du eigentlich, dass du mir schon mehr Aufmerksamkeit schenkst als du es bei Jin tust?“ Jetzt reichte es. „HALT DEN MUND! Wieso kannst du nicht einfach verschwinden, wenn ich dir sage, dass du verschwinden sollst? Wieso läufst du mir nach, wenn ich dir glasklar vermittelt habe, dass ich kein Interesse an deinem Geschwafel und schon gar nicht an dir selber habe? Und WIESO verdammt nochmal versuchst du mich zu verführen, obwohl du mittlerweile besser als jeder andere WEIßT, dass ich VERGEBEN bin?!“ Ich hoffte schwer, dass diese geschrienen Worte Kazuki endlich mal etwas härter treffen würden, hoffte, dass er eingeschüchtert sein würde oder vielleicht einfach zur Tür hinaus gehen würde, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen sah er mich einfach nur an, mit demselben nichtssagenden Gesichtsausdruck wie immer. Wieso konnte er nicht einfach zeigen, was er gerade fühlte? Wieso konnte ich, wo ich ihn doch eigentlich so gut kannte, nicht sagen, ob er gerade wütend, traurig, verletzt oder sonst irgendetwas war? „Weil ich dich immer noch liebe, Manabu. Darum.“ Ich blieb regungslos auf meinem Platz sitzen und starrte Kazuki, der während des Gesprächs vom Tisch aufgestanden war, wie eine Geistererscheinung an. „Du… das- das gibt dir trotzdem kein Recht, dich in mein Leben einzumischen, und außerdem…“, versuchte ich irgendetwas vor mich hin zu stottern, aber so richtig wollte es nicht klappen. Mit dieser Aussage hatte er mich endgültig überfordert. Er… liebte mich immer noch? Wie? Wie konnte er das einfach so sagen? Es waren 4 verdammte Jahre gewesen, in denen wir uns nicht gesehen hatten. Er konnte mir keinesfalls erzählen, dass er sich in niemand anders verliebt hätte, schon gar nicht, nachdem er mich damals einfach zurückgelassen hatte…! Er war auf einmal weg gewesen. Hatte sich nie wieder gemeldet. War, ohne mir irgendetwas zu sagen, umgezogen und hatte die Schule gewechselt. Er hätte mir doch schreiben können. Aber ich hatte ihn nicht einmal mehr anrufen können. Ich hatte Nächte heulend im Bett verbracht, mein Handy auf meinem Kopfkissen liegend, in der Hoffnung, er würde mich vielleicht zurückrufen oder wenigstens eine SMS schreiben. Ich hatte sogar Angst um ihn gehabt, Angst, dass ihm vielleicht irgendetwas Schlimmes passiert war. Bis ich von einem meiner Lehrer erfragen hatte können, dass er tatsächlich mit seiner Familie umgezogen war. Nur nicht wohin. Das schien keiner zu wissen, oder man hatte es mir vielleicht einfach nur nicht sagen wollen. Und ich hatte weiter gewartet… Ein halbes Jahr, ein ganzes Jahr, eineinhalb Jahre. Hatte an meinem Geburtstag und zu Weihnachten gehofft, dass vielleicht irgendein Lebenszeichen von ihm kommen würde, hatte mir nichts auf der Welt mehr gewünscht, als dass er zurück kommen würde, zurück zu mir. Schon allein deswegen, weil sein Verschwinden mir zusätzliche Probleme eingebracht hatte, über die ich nicht einmal reden wollte… Und je mehr ich darauf gehofft hatte, desto tiefer war ich gefallen. Aufgefangen hatte mich niemand. Erst Yuuto, und das war viel, viel später – beinahe zu spät. „Wie kannst du das einfach so sagen…?“, fragte ich leise, „Wie kannst du einfach so tun als wäre in den letzten 4 Jahren…- als wäre kein einziger Tag seit damals vergangen und überhaupt nichts passiert?“ „Es ist mehr als genug passiert, auch bei mir, nicht nur bei dir. Aber das ändert nichts daran, dass ich hauptsächlich wegen dir hierher zurück wollte“, antwortete er und sah mir direkt in die Augen, wobei ich diesem Blick wie schon so oft nicht standhalten konnte und auf den Boden sah, mir dabei auf die Unterlippe beißend. „Ich will das nicht hören.“, sagte ich. Dieses Gespräch tat mit jedem weiteren Satz immer mehr weh, ich wollte es beenden. Die Gedanken, die seine Worte bei mir auslösten, brannten sich in mein Inneres ein und schienen mich zum Zerbrechen bringen zu wollen. „Das sagst du dauernd“, sagte er und aus den Augenwinkeln sah ich, wie er mir näher kam. Reflexartig stand ich von dem Sessel auf und wollte Richtung Tür gehen. Jedoch hielt Kazuki mich mit Leichtigkeit zurück, indem er mich am Handgelenk packte, mit einem Ruck zu sich zog und kurzerhand seine Arme von hinten um meinen Körper schlang, mich fest an sich drückte. Ich erstarrte, wusste nicht wie und ob ich mich wehren sollte, ich spürte seinen Atem deutlich in meinem Nacken – es bescherte mir augenblicklich eine Gänsehaut. Er tat es schon wieder, einfach so, ich wollte das doch nicht...! Wollte ich? Sanfte Lippen legten sich auf meine Haut, er hauchte mir einen Kuss in den Nacken, der mich schaudern ließ. Ich wollte den Mund öffnen, um etwas zu sagen, doch kein Ton verließ meine Kehle. „Aber ich kann einfach nicht anders…“, flüsterte er, ich hörte ihn gut, denn seine Lippen waren nahe an meinem Ohr, „du ziehst mich an, du lässt meine Gedanken verrückt spielen, du löst in mir Gefühle aus, die ich sonst bei niemandem habe…“ Langsam stiegen mir Tränen in die Augen, die ich mit aller verbliebenen Willenskraft zu unterdrücken versuchte. Das konnte einfach nicht sein. Er log. Er musste einfach lügen, es konnte nicht anders sein… Seine rechte Hand streichelte verspielt durch mein Haar. Die andere fand ihren Weg über meinen Hals bis hin zu meinem Kinn, er hob es an, drehte mein Gesicht in seine Richtung - es war mir vollkommen offensichtlich was er vorhatte, aber mein Körper bewegte sich nicht. Ich hatte das Gefühl, absolut nichts tun zu können. War ich wirklich so wehrlos? Oder wollte ich einfach nur nichts tun? „…hau endlich ab“, brachte ich schwach hervor, versuchte ihm so gut es ging nicht in die Augen zu sehen, denn ich wusste, ich würde mich darin verlieren. Genau wie früher. Ein Blick würde genügen, und ich wäre ihm verfallen, das wusste ich genau. Doch er schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht“, sagte er und schon lagen seine Lippen auf meinen, er bewegte sie sanft und bestimmend, er küsste mich vorsichtig, nicht so stürmisch wie beim letzten Mal, und ich tat… nichts. Meine Augen fielen einfach zu, Mein Hirn setzte aus, und meine Lippen schienen sich von selbst zu bewegen, wenn auch so zögerlich, dass Kazuki es vermutlich kaum wahr nahm. Ich spürte seinen kräftigen Arm um meine Hüfte, spürte wie er den Kuss verstärkte, und gleichzeitig bekam ich es mit der Angst zu tun – er drängte mich langsam zurück, in Richtung des Tisches. Schlimm genug, dass er mich schon wieder küsste und ich mich nicht wehren konnte, stattdessen fast schon wie betäubt war und mein Kopf aufgrund zu vieler gleichzeitiger Informationen zu explodieren drohte, aber was hatte er jetzt vor? Er begann meinen Hals zu küssen, woraufhin ich mir ein leises Keuchen nicht mehr verkneifen konnte. Ich hätte mich dafür schlagen können, und auch dafür, dass ich eingeschüchtert dastand und mit mir machen ließ anstatt ihm nicht einfach eine zu knallen. Nein, stattdessen spürte ich bereits die Tischkante hinter mir und Kazuki´s Zähne, die sich kurz und schmerzlos in meinen Hals gruben, ehe er sich danach an selbiger Stelle festsaugte und mir erneut erregte Reaktionen entlockte. Die Situation überforderte mich. Ich spürte, dass mein Körper sich nach seinen Berührungen sehnte, und gleichzeitig hörte ich wie mein Kopf laut schrie, dass das, was hier passierte, einfach nicht richtig sein konnte. Wem konnte ich nun vertrauen? Meinem Hirn, meiner Seele oder meinem Körper? Ich kniff meine Augen fest zusammen, mein Kopf begann zu schmerzen, wie schon öfters in letzter Zeit, ich fühlte mich irrsinnig verloren, und diese Tatsache besserte meine Lage nicht wirklich. Ohne große Mühe wurde ich von Kazuki auf den Tisch gedrückt, während er immer noch damit beschäftigt war, meinen Hals mit Küssen zu übersähen, und nur Sekunden später erneut meine Lippen. In mir stieg eine Sehnsucht, die jeden klaren Gedanken zu verdrängen schien – Eine Sehnsucht nach früher. Ich reagierte empfindlich auf seine Berührungen, sehr empfindlich, denn ich kannte es so gut, dass es mir Angst machte, so gut, dass ich beinahe schon genau wusste, welche Berührung auf die vorherige folgen würde. Ich fühlte mich, als hätte sich tatsächlich nichts verändert. Seine Hand verschwand unter meinem T-Shirt, und ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg, wollte etwas sagen. Leider fehlten mir sämtliche Worte. Er streichelte mich, mein Körper erzitterte. Er zitterte vor Aufregung und Sehnsucht nach diesen Händen, die ihn so vertraut berührten. Die Hände, die einfach weiter machten in ihrem Tun, sich nicht beirren ließen und mich in einen Zustand versetzten, den ich nicht beschreiben konnte. Das hier ging zu weit, viel zu weit. Kazuki ging zu weit…! „Hör auf…!“, brachte ich es endlich über meine Lippen, und gleichzeitig kamen mir bei meinen eigenen Worten die Tränen. Ich hätte mich nur zu gerne an ihn gekrallt, ihn umarmt und seine Nähe genossen, in diesem Moment war es genau das, was ich fühlte – aber ich konnte das nicht. Es sprach zu viel dagegen. In erster Linie mein Verstand. Kazuki sah die Tränen in meinen Augenwinkeln, und als eine davon sich löste, hielt er sofort inne. Er hob die Hand, um sie mir wegzustreichen. Ich fragte mich in diesem Moment, wann ich wieder zu genau demselben Weichei wie früher geworden war. „Ich will das nicht, Kazuki. Wieso verstehst du das nicht?“, flüsterte ich fast, meine Stimme schien gerade zu versagen, denn eigentlich wollte ich diese Worte doch lauter von mir geben. Aber es war zwecklos, ich war längst nicht mehr der Mensch, der ich eigentlich sein wollte, nicht in dieser Situation. „Ich verstehe es nicht, weil ich sehe, dass du es willst.“, antwortete er klar und deutlich. Irgendetwas in mir brach. Weil er recht hatte. Ruckartig riss ich mich von ihm los, musste ihn dazu erst einmal von mir herunterstoßen – soweit waren wir also schon – und rannte, was eigentlich schon viel früher geplant gewesen war, in Richtung Tür. Ehe Kazuki mir folgen konnte, hatte ich sie bereits zugeknallt und war nach draußen gelaufen. Da mir spontan nichts Besseres einfiel, lief ich einfach um die nächste Hausecke, versteckte mich sozusagen, kindisch wie ich anscheinend war. Allerdings in einem guten Blickwinkel, sodass ich sehen konnte, wenn Kazuki das Gebäude verließ. Und ich wartete. Wartete darauf, dass er aufgeben, herauskommen und nach Hause gehen würde. Dann würde ich mein Zeug holen und nach Hause verschwinden. Am besten mit einem Umweg über die Apotheke... Kapitel 8: So I´d like to say No, thank you ------------------------------------------- Weeeehh. Entschuldigt die lange Pause, ich musste arbeiten und... K-ON ist schuld, die Animewelt ist grausam und rosa >D Ich habe alles mir mögliche getan, damit diese fuuuuuuu~ Serie die FF nicht beeinflusst, aber letzten Endes ist es nichts weiter als der Kapitel-Titel, das fällt ja nicht unbedingt auf "xD Und jetzt begleiten wir Manabu auf seinem weiteren Leidensweg! Yööh. *********************************************************************************************** „Scheiße!“ Mein Spiegelbild starrte mir wütend entgegen, während ich mit den Fingern vorsichtig über meinen Hals strich. Knutschflecken. Zwei, gut sichtbar. Etwas Schlimmeres hätte Kazuki heute kaum machen können, als er nach der Probe ja quasi über mich hergefallen war. Wie sollte ich das bitte Jin erklären? Wie sollte ich überhaupt noch irgendwem irgendetwas erklären?! Ich spürte eine plötzliche Übelkeit in mir hochkommen, beim Gedanken daran, wem ich jetzt alles besagte Erklärungen schuldete. Verzweifelt hielt ich mir die Hand auf den Mund. Nein, Manabu, jetzt bloß nicht kotzen…! Ein weiterer Blick in den Spiegel, aus dem mir ein todblasser, krank wirkender und schwarzhaariger Kerl entgegen starrte, genügte. Ich brauchte dringend Ruhe. Immerhin sah ich mehr oder minder aus wie eine wandelnde Leiche. Vor 10 Minuten hatte ich mich bereits in der Schule und bei den anderen krank gemeldet. Allerdings hatte ich nur Yuuto angerufen. Der Mut, um mit Jin oder Byou zu sprechen, war momentan irgendwie nicht da. Wirklich wundern tat es wohl keinen. Schwer schleppend begab ich mich in mein Schlafzimmer und ließ mich aufs Bett fallen. Ich spürte erneut Magenkrämpfe aufkommen, versuchte ruhig liegen zu bleiben und hoffte, dass die Schmerzen dadurch verfliegen würden. Kopfschmerz, Magenschmerz und Herzschmerz. Toll. Ich konnte nicht anders, als meinen aufkommenden Tränen freien Lauf zu lassen, schon gar nicht jetzt, wo mich sowieso niemand heulen sehen oder hören würde. „Ich hasse dich, Kazuki!! ICH HASSE DICH!“, schrie ich es nun wirklich heraus, mir egal was die Nachbarn denken würden, ich wollte jetzt einfach nur noch irgendwie den Schmerz loswerden, der auf meiner Seele lastete. Und ich schrie wirklich, meine Stimmbänder dankten es mir mit einem empörten Kratzen – so ungefähr musste Byou´s Hals sich wohl beim Screamen auf der Bühne fühlen… „ICH HASSE DICH!!“ Der Ironie entsprechend erinnerte ich mich gerade jetzt daran, dass Yuuto einmal zu mir gesagt hatte, Liebe und Hass würden gar nicht allzu weit auseinander liegen. Das setzte der Situation natürlich gerade die Krone auf. Nur leider brachte mich der Sarkasmus nun auch nicht mehr weit. Schluchzend presste ich mein Gesicht auf die Bettdecke. Mein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt und ich würde mein Übelkeitsgefühl einfach nicht los. Wieso konnte das nicht einfach alles aufhören? Wieso konnte ich nicht einfach mein normales Leben zurück haben, das ich in den letzten Jahren geführt hatte?! Ich blieb trotzdem einfach liegen, auch wenn ich meine Klamotten noch anhatte. Ich zitterte immer wieder in unregelmäßigen Abständen. Doch, wie auch immer ich dazu in der Lage gewesen war, ich schaffte es, sehr langsam einzuschlafen. Als ich am nächsten Morgen, zu mir unbekannter Uhrzeit, aufstand und mich leicht schwankend ins Bad begab, sah mein Spiegelbild noch schlimmer aus als zuvor. Jetzt sah ich wirklich aus wie frisch dem Grabe entstiegen. Graf Dracula war ein Abziehbild gegen mich. Verzweifelt fuhr ich mir durch die Haare. Ich atmete einmal tief durch und versuchte meine Gedanken zu sammeln. „Ich muss was essen…“, murmelte ich. Es sprach die Vernunft aus mir, nicht der Hunger, denn ich hatte keinen. Aber ich hatte auch gestern den ganzen Tag nichts Anständiges gegessen, und so konnte ich unmöglich weitermachen. Also würde ich mich einfach zum Essen zwingen, ob Hunger oder nicht. Ich war immerhin kein Magermodel. Zumindest wollte ich keines werden. Und in den nächsten Stunden… passierte einfach nichts. In mir und auch um mich herum war eine gähnende Leere, die einfach nicht verschwinden wollte. Resigniert blieb ich einfach in meinem Bett liegen und wartete. Worauf, das wusste ich nicht. Vielleicht auf ein Wunder. Ich aß zwischendurch Kleinigkeiten, legte mich wieder schlafen, wachte wieder auf, rollte hin und her, ging duschen und ging wieder schlafen. Im Prinzip verpennte ich den ganzen Tag, und es ging so schnell, dass ich mich am nächsten Morgen mit einem Déjà-vu konfrontiert sah, denn ich stand wieder auf, blickte in den Spiegel und erschrak mich erneut vor dem Bild, dass sich mir bot. Und wieder verbrachte ich den Tag zuhause. Ging ein paar Mal auf Facebook online, schaute einen langweiligen Film – um mich vielleicht etwas abzulenken oder zum Aufstehen zu begeistern - beschloss dann allerdings erneut, einfach weiter zu schlafen. Diese himmlische Ruhe, als ob man einfach nicht da wäre, nichts hören und nichts sehen - Schlaf war schon etwas Besonderes. Und erneut raffte ich mich dazu auf, wenigstens kurz Yuuto anzurufen, um ihm zu sagen, dass ich immer noch krank war. Das konnte ich mir leisten, immerhin war ich sonst immer anwesend. Ich hatte, soweit ich mich erinnerte, doch noch nie bei den Proben gefehlt… „Was hast du denn überhaupt?“, fragte Yuuto. „Das volle Programm hab ich. Kopfschmerzen, Magenkrämpfe, und ich glaub auch ein bisschen Fieber…“, sagte ich und es war wieder einmal eine halbe Wahrheit, ich hatte kein Fieber, und meine Bauchkrämpfe waren zwar noch da, aber nicht mehr so stark. Hatte mich einmal ausgekotzt und seitdem war es besser. Für solche Fälle gab es doch diesen ekligen Tee, bei dem man sich nach wenigen Minuten sofort übergeben musste… Der hatte sich als ausgesprochen praktisch erwiesen. „Soll ich vorbeikommen oder so? Brauchst du irgendwas?“ Ich überlegte kurz. Nämlich, ob ich Yuuto einfach alles erzählen sollte, was mir gerade auf der Seele lag und die Ursache für meinen momentanen Zustand war. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich mit irgendjemandem darüber reden konnte, da wäre es ja fast ratsamer, sich an irgendeine anonyme Kummerkasten-Nummer zu wenden… 147, Rat auf Draht! „Nein, schon gut… Aber danke. Ich brauch einfach meine Ruhe. Ich komm schon klar“, versicherte ich ihm. Er gab einen halb zustimmenden und halb skeptischen Laut von sich, und schließlich verabschiedeten wir uns, ich drückte den roten Hörer. Wäre es besser gewesen, wenn ich gesagt hätte, er sollte zu mir kommen? Nachdenklich blätterten meine Finger durch das Telefonbuch meines Handys, wobei mein Blick auf Jin´s Namen fiel, mit einem Herz dahinter eingespeichert. Warum nur brachte ich es nicht über mich, ihn anzurufen? Damit enttäuschte ich ihn doch nur noch mehr, als ich es ohnehin schon tat, oder? Fuck, ich wollte ihn doch nicht enttäuschen, aber ich kam momentan einfach nicht mit mir selber klar. Mein gesamtes Leben, meine Gefühlswelt, meine Gedanken und sogar mein Körper, alles spielte verrückt und schien einfach nur darauf zu warten, dass jemand endgültig auf einen großen roten Standby-Knopf drücken würde. Wie von selbst landete ich wieder zurück in meinem Bett, wälzte mich unruhig hin und her und hatte Angst vor meinen Gedanken, die stets und ständig um Kazuki kreisten. Es schien einfach nicht aufhören zu wollen. Ich hatte dauernd vor Augen, wie glücklich ich damals mit ihm gewesen war, wie sehr er mir gefehlt hatte, alles was wir zusammen erlebt und durchgemacht hatten, einfach alles. Und es tat weh. Diese Beziehung, die ich damals mit ihm hatte, war einfach perfekt gewesen. Wir hatten es geheim gehalten, doch auch als meine Mutter es herausfand, war sie nicht enttäuscht oder dergleichen gewesen, sondern behielt es einfach für sich und hatte sogar gesagt, dass sie sich für uns freuen würde, und dass wir unsere Jugend genießen sollten. Ich hatte ihre Worte noch heute deutlich im Ohr. Und noch heute war ich ihr dafür unendlich dankbar, denn es zeigte mir, dass sie mich genau so liebte, wie ich nun einmal war. Kazuki´s Eltern waren ein anderer Fall, eigentlich hatte ich sie kaum gesehen, denn er war die meiste Zeit immer nur bei mir gewesen, niemals ich bei ihm. Alles was ich wusste war, dass sie sehr strenge Menschen waren. Kazuki… Mein Blick wurde trüb, wenn ich über diese alten Zeiten nachdachte, und doch war es eine wertvolle Zeit, eine wunderschöne Zeit, die ich mit ihm verbracht hatte. Momente, die ich nicht wegwerfen konnte und wollte, sondern einfach tief in mir vergrub und in meinem Herzen aufbewahrte, um mich daran zu erinnern, wie sich diese Liebe angefühlt hatte, wann immer ich mir meiner Gefühle nicht sicher war. Er war meine erste Liebe gewesen. Ausgerechnet ein Kerl. Noch dazu einer wie der. Aber ich war ihm einfach mit Haut und Haaren verfallen gewesen. Ich hatte ihn von Herzen geliebt, war nahezu süchtig nach ihm gewesen, niemand war mir wichtiger gewesen. Aber hatte er mich genauso geliebt? Eigentlich hatte ich diesen Eindruck immer gehabt, denn auch wenn er es ganz anders demonstriert hatte als ich, so waren da doch diese Gesten, die zeigten, dass ich nicht einfach nur irgendjemand für ihn gewesen war. Aber warum hatte er mich dann einfach verlassen? Wäre ich ihm wirklich wichtig gewesen, hätte er sich doch wenigstens einmal melden können…! Ich verbrachte eine unruhige Nacht. Und ich träumte, träumte von Kazuki, wachte dazwischen immer wieder auf und spürte diese aufkommende Angst. Ich hatte nach wie vor blanke Angst davor, was in nächster Zeit passieren würde. Dabei sollte ich doch eigentlich eher betrübt sein, weil bereits vieles von dem, wovor ich Angst gehabt hatte, als Kazuki mich vor mittlerweile mehreren Wochen erstmals angerufen hatte, passiert war. Es war das meiste genau so eingetroffen, wie ich es befürchtet hatte… Hatte ich Jin bereits verloren…? Erschrocken riss es mich aus meinem bereits viel zu langen Schlaf. Ich wusste nicht genau, was mich geweckt hatte, vielleicht war es genau dieser Gedanke über Jin gewesen. Denn irgendetwas in mir hatte auf diese leichtsinnig gestellte Frage ein klares NEIN hinterher gebrüllt. Ich rieb mir den Kopf, die Schmerzen vergingen langsam. Es war der dritte Tag, den ich zuhause verbrachte, und viel länger würde ich es mir nicht leisten können. Okay, doch – zwei Tage noch, denn es war Wochenende. Ich stand auf, fühlte mich immer noch etwas wacklig auf den Beinen, aber schon etwas besser. Mein Zeitgefühl schien vollkommen verschwunden zu sein. Hatte ich tatsächlich zwei komplette Tage einfach nur verschlafen? Das konnte doch irgendwie nicht sein, oder? So schnell? Nachdem ich mir in meiner Routine die Zähne geputzt und mein wieder weniger blasses Gesicht gewaschen hatte, begab ich mich in Richtung Küche. Ich verspürte tatsächlich wieder ein Hungergefühl. Das war in letzter Zeit wirklich selten geworden. Doch leider schlug mir, als ich meinen Kühlschrank öffnete, gähnende Leere entgegen. Einkaufen war also angesagt. Irgendwie schien plötzlich alles wieder etwas einfacher. Immerhin hatte ich mich bis vor kurzem überhaupt nicht bewegen wollen, und da war das nun schon ein großer Fortschritt. Ich zog mir schnell ein unauffälliges weißes Shirt über, die nächstbeste lange schwarze Hose aus meinem Schrank und hatte es aus unerfindlichen Gründen plötzlich eilig, mir die Schuhe anzuziehen und endlich zum Supermarkt rüber zu laufen. Entweder war es das ungute Gefühl oder der Hunger, auf jeden Fall kam beides aus meinem Magen. Ich verließ also meine Wohnung, sperrte die Tür hinter mir zu und ging los, nachdem ich mir eine Sonnenbrille aufgesetzt hatte. Zum nächsten Supermarkt war es nicht sonderlich weit, das war ein großer Vorteil an der Lage meiner Wohnung. Zur Schule begab ich mich zwar stets mit S- und U-Bahn, aber zur Bandprobe und zum Einkaufen konnte ich locker zu Fuß gehen. Ich fragte mich kurz, ob ich Yuuto besuchen sollte – einfach so, aus einer Laune heraus, wie ich es früher oft getan hatte. Überraschungsbesuche von mir war er mittlerweile gewöhnt. Nur leider hatte ich momentan so gar keine Lust, jemandem meiner engeren Freunde unter die Augen zu treten, und das, obwohl ich eigentlich jemanden zum Reden brauchen könnte… „Manabu!!“ Jemand brüllte meinen Namen, und ich erschrak mich zu Tode. Schnell drehte ich mich herum und sah irritiert durch die Gegend, bis ich entdeckte, dass der Mensch mit dem lauten Organ auf der anderen Seite des Zebrastreifens stand, den ich soeben überquert hatte. Kazuki. NEIN, nicht JETZT! Ich biss mir auf die Unterlippe und drehte mich demonstrativ um, beschleunigte mein Schritttempo augenblicklich. Bloß weg hier, bevor für ihn die Ampel grün wurde. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Wie konnte man in einer Stadt wie Tokyo durch puren Zufall genau der Person über den Weg laufen, die man am wenigsten sehen will?! Auch wenn wir hier eher am Rand der Stadt waren, ich wurde das Gefühl nicht los, dass mich irgendjemand aus hoch oben in den Wolken einfach nur gehörig verarschen wollte! Da ich bereits ein Gespür dafür hatte, dass er mir folgen würde, beschloss ich einfach mal zu laufen. Nicht zu auffällig aber doch. Ich kannte mich in dieser Gegend sicherlich besser aus als er, also würde er mich nicht finden, wenn ich unauffällig in einer Seitengasse verschwand – genau so machte ich es, da ich von hier die Abkürzung zu einer völlig anderen Straße kannte. Ich benutzte sie manchmal, weil es dort ein Musikgeschäft gab. Im Moment war diese verzweigte Gasse meine Lebensrettung. Bloß weg von Kazuki! Ich spürte, wie mein Handy vibrierte, und musste eigentlich nicht einmal auf Display sehen, um zu wissen, dass er nun versuchte mich anzurufen. Ich drückte ihn weg. Er versuchte es noch einmal. Aber gut zu wissen, denn das bedeutete, er hatte mich aus den Augen verloren! Ein letztes Stück rannte ich noch, ehe ich ein wenig außer Atem stehen blieb. Mein Handy vibrierte auch nicht mehr. Ich war schon ziemlich kindisch, oder? Aber wenigstens war ich ihn los… Etwas fertig ließ ich mich auf eine Parkbank fallen, stellte die Einkäufe neben mir ab, holte erstmal tief Luft und lauschte der Stimme einer jungen Frau, die neben mir telefonierte. „Wann ich ihn das letzte Mal gesehen hab? Ich glaube letzte Woche. Warum fragst du?“, hörte ich sie plappern und dachte mir meinen Teil, vermutlich hatte sie ihre beste Freundin am andern Ende und sie diskutierten über die Männerwelt. Zumindest klang es danach. Ging mich ja auch rein gar nichts an, immerhin kannte ich diese Person nicht und wollte mich nur mal kurz hier ausruhen, ehe ich langsam nach Hause schleichen würde. Betonung auf langsam. Ich rechnete mittlerweile damit, dass Kazuki mir an der nächstbesten verdächtig aussehenden Hausecke auflauern würde. Zutrauen würde ich es ihm. Ich sah noch einmal kurz zu dem Fräulein neben mir, zwar nur kurz, doch im selben Augenblick wendete auch sie mir ihre Aufmerksamkeit für eine Sekunde zu. Und stockte. Zumindest verplapperte sie sich. „Ääh… ja. Weißt du was, wir reden da am Abend drüber, okay? Baibaii~“ – und schon hatte sie aufgelegt. Ich schenkte ihr einen etwas irritierten Blick, ehe ich selbigen abwandte und einfach zu Boden starrte. Sie wird doch wohl jetzt nicht ihr Gespräch beendet haben, nur weil sie mich bemerkt hatte, oder? Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie nur noch schnell eine SMS tippte, ehe sie sich tatsächlich mir zuwandte. „Anou… alles okay bei Ihnen?“ Ahaha. Große Klasse. Wie scheiße musste man bitte aussehen, um von wildfremden Personen nach seinem Befinden gefragt zu werden? „Äh… klar. Bin nur´n bisschen aus der Puste.“, gab ich zurück, immer noch sichtlich verwirrt darüber, von einer fremden Frau angesprochen zu werden. Frau oder doch eher Mädchen? Sieh sah ja doch ziemlich jung aus, ich konnte sie nicht einschätzen. Und irgendwie nur so halb-japanisch. Sie hatte dezent ausländische Züge an sich, auch wenn es nur bei genauem Hinschauen auffiel. Aber hübsch. Lange, hellbraune Haare, schöne volle Lippen, tolle Figur und ein Lächeln, das eher nach einem fröhlich-frechen Grinsen aussah. Würd ich auf Frauen stehen, wär sie sicherlich mein Fall, so süß und frech wie sie aussieht. „Waren Sie auf der Flucht oder so?“, fragt sie und grinste mich an. Was mich noch mehr irritierte. War ich denn so interessant oder wie? Aber eigentlich wirkte sie sehr sympathisch. Also warum nicht ein bisschen quatschen. „So ähnlich. Muss vor jemandem davonlaufen, der versucht mein Leben zu zerstören!“, sagte ich also und grinste dabei schief, wobei leichter Sarkasmus in meiner Stimme mitschwang. Daraufhin lachte das Mädchen – dachte ich mir jetzt einfach mal, ich konnte ihr Alter schlicht nicht einschätzen – hell auf. Warum genau sie so amüsiert war, verstand ich nicht ganz, war die Aussage denn so lustig gewesen? Aber irgendwie hatte ich sowieso schon die ganze Zeit das Gefühl, als würde das nicht einfach eine x-beliebige Fremde sein. Kannte die mich etwa? Zumindest machte es auf mich den Eindruck, und welches Mädchen sprach schon so offen fremde Männer an? „Sag mal, du bist nicht zufällig Gitarrist bei der Band Screw?“ Jetzt stockte mir für einen Moment der Atem. Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit, auf der Straße von jemandem als Gitarrist unserer doch recht unbekannten Band erkannt zu werden. Und vor allem, wieso hatte sie so plötzlich von Sie auf du gewechselt? „J-ja bin ich… äh… Mann, das hab ich jetzt echt nicht erwartet!“, gab ich etwas überfordert von mir. War sie vielleicht sogar ein Fan von uns? Oder hatte sie nur zufällig einen Flyer gesehen und mich daher erkannt? Irgendwie war ich jetzt doch neugierig geworden, immerhin befand ich mich zum ersten Mal seit unserer Bandgründung in so einer Situation. Noch nie hatte jemand fremdes mich einfach so auf meine Band angesprochen. „Wusst ich´s doch!“, rief sie und schien auf einmal ziemlich begeistert zu sein, „Ich war bei eurem Live, da wo ihr als Vorband für AND gespielt habt. Und dafür, dass ich eigentlich wegen AND dorthin gegangen bin, fand ich euch echt klasse! Wow, das war eigentlich ein gar nicht so schlechtes Lob. „Danke… also, ehrlich, das freut mich grad total.“ Und das meinte ich ernst, es gab doch nichts schöneres, als gute Kritik für seine Arbeit zu bekommen. Auf meine Antwort hin kicherte sie allerdings verschwörerisch. Was denn…? „Du bist ja voll niedlich. Ganz anders als auf der Bühne! Und siehst du, ich hab es schon geschafft dich ein bisschen aufzumuntern~“, sagte sie und musste sich anscheinend zurückhalten, mich nicht dauerhaft so strahlend anzugrinsen. N-niedlich? Ich? Und das auch noch von einem Mädchen?! Musste ich mir das wirklich gefallen lassen? „Niedlich?“, fragte ich irritiert, „aber ja, da hast du zumindest recht. Also mit dem Aufmuntern, nicht in Sachen Niedlichkeit! - ..sollte ich dich nicht eigentlich eher siezen? Immerhin kennen wir uns ja nicht…“ Irgendwie wirkte ich doch ein klein wenig hilflos, oder? Ich war nur mit der Situation ein wenig überfordert, nichts weiter! Kein Grund schüchtern zu wirken, schon gar nicht vor einem Mädchen! Herrgott nochmal, ich war zwar wirklich schwul, aber es musste mir doch nicht mitten auf die Stirn geschrieben stehen… „Bitte nicht, ich bin keine hohe Persönlichkeit!“, sagte sie und lachte, „So ist es mir viel lieber. Ich heiße übrigens Chieco, und deinen Namen kenne ich ja, Manabu.“ Sie hatte sich sogar meinen Namen gemerkt? Cool. Ich dachte, jeder würde nur auf Byou und Yuuto achten… Eine ganze Weile noch saßen wir einfach nur da und redeten, hauptsächlich über unser Live damals und die Band an sich. Ich erzählte ihr ein bisschen was – nichts allzu privates natürlich – über die anderen Member, ließ jedoch Kazuki weit außen vor. Ich erwähnte nur kurz, dass wir seit kurzem einen neuen Gitarristen haben, und nachdem sie so neugierig war fügte ich zumindest noch seinen Namen hinzu. Damit hatte sich Kazuki allerdings schon erledigt, hatte ich doch so gar keine Lust jetzt ausgerechnet über ihn zu reden. Ich meine, was sollte das hier auch werden? Ein Kaffeekränzchen mit bester Freundin und Geläster über Ex-Freunde? Das kratzte dann doch an meiner verbliebenen Männlichkeit! Chiecos Handy klingelte, was unser Gespräch unterbrach, doch nach einem kurzen Blick aufs Display drückte sie den Anrufer einfach weg. Ach komm, so wichtig war ich nun auch wieder nicht. „Du musst nicht mit mir reden, du kannst ruhig telefoni-“ „Ach was, der kann warten.“ Er? Aha? „Er? Also bist du vergeben?“, fragte ich und grinste sie dabei neugierig an, immerhin war es bis jetzt nur um mich gegangen, da könnte ich das Thema auch ruhig auf meine Gesprächspartnerin lenken. Sie sah mich etwas irritiert an. „Äh… - also, ja, eigentlich schon.“, - Es sah fast so aus, als müsste sie für diese Antwort einen Moment überlegen. Süße Verpeiltheit. „Wieso, hast du dir Hoffnungen gemacht?“, fragte sie frech und kicherte dabei leise, woraufhin ich abwehrend die Hände hob. „Nein, nein…! Ich meine… du bist schon sehr hübsch, aber ich war bloß neugierig. Bin ja selber vergeben…“ Die letzten Worte nuschelte ich eher vor mich hin, aber verstanden hat sie mich wohl trotzdem, denn sie strahlte mich nahezu an. „Awww. Wie niedlich!“ „Für dich ist auch alles niedlich, hm?“ Ein lebendiges Anime-Girl, schoss es mir durch den Kopf. Vermutlich schleppte sie sonst ein fettes KAWAII DESU NEE-Schild für solche Zwecke herum. „So schlimm bin ich auch nicht~“, sagte Chieco und zog einen Schmollmund. Und von der sollte ich mir sagen lassen, ich sei süß? Die war doch selber wie aus Zucker. Einen Moment fragte ich mich, was für eine Art von Mann Chieco zum Freund hatte. Musste der sich dann auch jeden Tag von ihr anhören, wie süß er war? Als ich mir diese Szene nun auch noch mit Byou vorstellte, konnte ich nicht mehr anders als wegen meinen eigenen dummen Gedanken zu lachen. „Sag, Chieco, hast du noch Lust was trinken zu gehen? Ich meine… wär gemütlicher als hier auf der Parkbank, und mir ist eigentlich relativ langweilig.“ „Langweilig? Keine Bandprobe oder so?“, fragt sie und grinst mich an, nickt dann jedoch und lässt ihr schon wieder vibrierendes Handy in der Tasche verschwinden. Ihr Freund schien ganz schön hartnäckig zu sein, wenn er so oft hintereinander anrief. Mich würde das nerven, wie hielt sie das bloß aus? „Sollte ich, aber ich schwänze momentan.“, gab ich meine Antwort bezüglich Bandprobe. „Wieso das?“ „Naja… mir geht’s nicht sonderlich gut, zumindest war das in den letzten Tagen so.“ „Wegen demjenigen, der dir, wie du vorher so schön gesagt hast, dein Leben zerstören will?“ Wow, sie schlussfolgerte schnell und richtig. Gott sei Dank kenne ich sie sowieso nicht so richtig, sonst wäre ich jetzt wohl eher weggelaufen, anstatt weiter zu sprechen. „Äh, ja. Eigentlich schon.“ „Erzähl doch!“, schlug sie vor und sah mich schon wieder so süß an, dass ich mich langsam fragte, was genau sie mit der Masche eigentlich bezweckte. So sympathisch Chieco auch war, ein bisschen seltsam war sie schon, oder? „Naja, das ist lang und kompliziert“, sagte ich, während wir gemütlich den Gehsteig entlang schlenderten. Sollte ich wirklich…? Naja, ich musste ja keine Namen nennen. Und ich brauchte jemanden zum Reden. Jemanden, der mich nicht wirklich kannte. Jemand wie Chieco war also vollkommen in Ordnung, oder? „Ich hab Zeit“, sagte Sie und deutete auf ein Café, das ich gut kannte, ich war oft und gerne hier, „Und ein geduldiger Zuhörer bin ich auch!“ Ehrlich, den Eindruck machte sie ganz und gar nicht, sie schien mir zu aufgedreht um wirklich ein guter Zuhörer zu sein. Aber wenn sie das sagte, würde es wohl auch stimmen. Sie tippte erneut auf ihrem Handy herum, ehe wir eintraten und uns einen Tisch suchten. Oder eher, sie suchte den Tisch, es schien nicht so, als hätte ich in der Hinsicht sonderlich viel mitzureden. Man sollte Frauen ihre kleinen Freuden im Alltag ja auch lassen, oder? „Also, schieß los“, sagte sie zu mir, ehe sie sich für zwei Sekunden der Kellnerin zuwandte, die sofort zur Stelle gewesen war, und eine heiße Schokolade bestellte. Ich wählte einen Eiskaffee. Den brauchte ich jetzt dringend. „Tja… Viel sagen kann ich dir zu der Sache jetzt trotzdem nicht. Es geht einfach um einen alten Kumpel von mir, zu dem ich jahrelang keinen Kontakt mehr hatte, und der jetzt mit allen Mitteln versucht, sich in mein Leben einzumischen.“, fing ich einfach mal vorsichtig an, bedacht darauf, keine falschen Details preiszugeben. Also wurde das Wort „Ex-Freund“ schon einmal doppelt gestrichen. Sie nickt verstehend. Und was genau hatte sie verstanden? „Und ist das so schlimm? Wenn er mal dein Kumpel war, mein ich. Oder kannst du ihn jetzt einfach nicht mehr ausstehen?“ Oh, sie hatte ja doch recht gut verstanden. In der Zwischenzeit wurden unsere Getränke gebracht, und ich nutzte die daraus entstehende Pause zum nachdenken. Ob es schlimm war? Natürlich war es schlimm, immerhin stürzte meine Beziehung gerade ins Chaos… Aber das konnte ich Chieco nicht erzählen. „Hmm… Nein, aber - keine Ahnung, wie ich das genau erklären soll, aber ich hatte nun mal Probleme mit ihm und wollte ihn eigentlich nie wieder sehen.“, sagte ich also wahrheitsgemäß. „Aber er dich?“ „Anscheinend…“ Sie blinzelte und schien fieberhaft nachzudenken. Zumindest sah es so aus. Mich hätte ja interessiert, worüber genau sie nachdachte. „Dann gib ihm doch die Chance. Vielleicht hat er sich gebessert?“ Haha. Nicht. Er war genau derselbe Idiot wie damals. „Ich weiß nicht ob das funktioniert. Ich meine, wenn ich ehrlich bin, dann hab ich sogar fast schon Angst davor ihm über den Weg zu laufen, geschweigedenn mit ihm zu reden…“, nuschelte ich vor mich hin und versteckte mein Gesicht dezent hinter dem Eiskaffeeglas. Fuck, das hätte ich nicht sagen sollen. Das war jetzt wirklich peinlich. Ich verhielt mich wie ein Mädchen, wenn nicht noch schlimmer…! Und wie erwartet entkam ihr ein zurückhaltendes Kichern. „Du bist ja wirklich niedlich“, schlussfolgerte Chieco, „Aber hör mal… Probleme lassen sich niemals lösen, wenn man nicht darüber redet. Jemandem einfach aus dem Weg zu gehen hilft dir kein bisschen weiter. Jeder Mensch hat seine Gründe für das, was er tut und sagt, und genau deswegen sollte man sich in einem Konflikt doch auch immer beide Seiten anhören, oder nicht?“ Oha. Die Aussage war ganz schön erwachsen, dafür, dass ich sie nach wie vor für eine lebendige Anime-Figur halte. „Vielleicht würde es deinem Kumpel ja schon reichen, wenn du ihm wenigstens mal zuhörst. Dann lässt sich ja immer noch besprechen, wie es weitergehen soll, und wenn du es so willst, vielleicht lässt er dich dann ja auch in Ruhe.“ Nein, das würde er nicht tun… Zumindest glaubte ich das. Aber ihm zuhören? „Sag mal… du hast mit deinen Antworten so sehr recht, dass es mir Angst macht, bist du sicher dass das normal ist?“, fragte ich etwas irritiert. „Weibliche Intuition. Das, wovon ihr Männer keine Ahnung habt!“, sagte sie und grinste breit, „Ich kann mich eben gut in andere hineinversetzen. Deine Situation ist nichts allzu Neues für mich~“ Okay, das konnte ich nachvollziehen. Dass Frauen auf jeden Fall ein kleines bisschen mehr Ahnung von Gefühlen haben als Männer, das glaubte ich ihr aufs Wort. Und von weiblicher Intuition verstand kein Mann dieser Welt etwas, also ließ ich ihr ihre Freude. „Aber vielleicht hast du recht…“, sagte ich leise, nachdem ich eine Weile nachgedacht hatte. Nein, nicht nur vielleicht, sie hatte sogar mehr als nur recht. Ich verhielt mich wirklich kindisch, wenn ich ihm so aus dem Weg ging. Ich musste ihm zumindest einmal zuhören, auch, wenn ich gewissermaßen Angst vor der Vergangenheit hatte… „Nur vielleicht?“, fragte sie und schaute gespielt beleidigt. Ha, süß. „Nein, wirklich. Ich sollte ihm wirklich mal zuhören, da hast du absolut recht.“, gab ich ihr also die gewünschte Bestätigung. „Und wirst du´s auch wirklich tun?“, fragte sie gleich und lächelte mich an. Süß. „Ich denke schon… auch wenn ich nicht wirklich weiß, wann. Aber hey, danke, dass du mit mir geredet hast. Man sieht es dir kein bisschen an, aber du bist wirklich eine gute Zuhörerin~“ – ich grinste sie an, während sie empört ihre Backen aufblies und sich wegen meines Kommentars gespielt aufregte. Ich hatte nicht wirklich eine Ahnung, wieso genau ich mit diesem Mädchen namens Chieco – naja, ich konnte nun doch nicht wirklich Mädchen sagen, denn jetzt wusste ich, dass sie nur ein Jahr jünger war als ich – geredet hatte, aber irgendwie hatte es mir wirklich gut getan, so seltsam dieses Gespräch auch gewesen war. Als ich an diesem Abend nachhause kam, wusste ich, dass ich Kazuki kontaktieren musste. Ich verschob es zwar auf den nächsten Tag, aber ich würde es tun. Er war kein schlechter Mensch, das wusste ich, und ich musste ihm wirklich die Chance geben, die Sache auch mal von seiner Sicht zu erzählen. Das bedeutete ja immerhin nur Aufklärung, aber nicht Veränderung. Und vielleicht würde ich dann sowohl mit ihm als auch mit Jin endlich wieder alles auf die Reihe kriegen… oder war ich gerade etwas zu optimistisch? Kapitel 9: But reality is a bitch --------------------------------- Und weiter gehts, diesmal ein klein wenig zügiger :3 Ich muss persönlich als Autor sagen, dass ich dieses Kapitel mag o__o Und es ist einmal eins mit etwas mehr Inhalt. Da es dezente Beschwerde gab ist es diesmal sogar etwas länger ;] Leider bin ich mir über das Ende der Geschichte immer noch nicht wirklich sicher. Ein super Happy Friede-Freude-Eierkuchen Ende wirds auf jeden Fall nicht. Zumindest erwähne ich an dieser Stelle mal kurz, dass diese FF sich dem Ende neigt! Allzu lange werde ich daran nicht mehr schreiben. Und jetzt viel Spaß mit dem neuen Kapitel ~^ ************************************************************************************************ Okay. Ganz ruhig, Manabu. Drück einfach auf den grünen Hörer. TU ES! Seufzend starrte ich mein Handy an und somit Kazuki´s Nummer. Ich hatte ihn unter „bloß nicht abheben“ eingespeichert. Aber jetzt lag es ja auch an mir, ihn anzurufen… Fuck. Wärs nicht schlauer, einfach eine SMS zu schreiben? – Nein, das wäre zu unpersönlich… Immerhin war es nicht dermaßen unwichtig, um was es hier ging. Es war überhaupt nicht unwichtig, mir persönlich ging es hier immerhin um mein verfluchtes Leben! Oh. Ich hatte aus Versehen auf den grünen Hörer gedrückt. Shit. „Hallo? Manabu?“ Kreidebleich und wissend, dass ich mich gerade schlimmer als jedes Teenie-Girl verhielt, wusste ich erstmal natürlich nicht, was ich sagen sollte. Mir blieb ein fetter Kloß im Hals stecken. Moah, komm runter Manabu, es nicht bloß Kazuki, bloß Kazuki…! Haha. bloß Kazuki. Der war gut. „Bist du noch dran? Manabuuuu~“ „Ja, bin ich“, antwortete ich leise und schluckte schwer. Was sollte ich sagen, was sollte ich bloß sagen?! Ich hatte mir das doch viel einfacher vorgestellt, aber irgendwie war es am Telefon sogar noch viel schwerer mit ihm zu reden, als in real. Das konnte nicht gut gehen. „Du… rufst mich an? Das war jetzt ungefähr das letzte, was ich erwartet habe.“ „Ich will mit dir reden!“, platzte es augenblicklich aus mir heraus. Im nächsten Moment fragte ich mich, wer das gesagt hatte, denn das konnte doch irgendwie nicht ich gewesen sein, oder? Er schwieg. Hatte er jetzt selbst aufgelegt? „Äh… ja?“, kam es dann allerdings, nach fast einer Minute sinnloser Schweigerei, irritiert zurück. Oh Mann. Vollidiot. „Nicht am Telefon!“, fügte ich daher, ungewollt etwas gereizt, hinzu, „Ich... will dir zuhören. Das wolltest du doch die ganze Zeit, oder?“ Und wer hätte das gedacht – er schwieg schon wieder. Das war mir nun wirklich unangenehm. Und peinlich… „Okay, ich korrigiere mich“, hörte ich ihn wieder, seine Stimmlage hatte sich nicht sonderlich verändert, „DAS war das letzte, was ich von dir erwartet hätte. Aber bevor ichs vermassle… Kommst du zu mir? Du weißt doch, wohin?“ Bevor er es vermasselte? Das würde er doch sowieso tun. Ich kannte Kazuki, ich wusste, dass er immer die falschen Worte zum falschen Zeitpunkt sagte, die mich dann automatisch wütend machten. Das war auch früher immer schon so gewesen, und obwohl ich ihn dafür hätte hassen müssen, dafür, dass er so ein gottverdammter, aufgeblasener, arroganter Vollidiot war, trotz all dem… „Ja… Ich komm in zwei Stunden oder so.“ Aufgelegt. Dieses Gespräch war mir gerade etwas zu viel geworden. So viel, wie ich momentan eindeutig noch nicht verkraften konnte, ich musste mich erst einmal ein wenig beruhigen. Es war Samstagvormittag, und ich würde heute also zu Kazuki´s Wohnung rüber rennen, um mit ihm über früher zu reden. Und abgesehen davon, dass ich wahnsinnige Angst davor hatte, was sein würde, dass ich Angst vor diesem früher hatte und vor allem davor, dass er mir vielleicht wieder irgendwie näher kommen würde - war ich mir noch nicht sicher, ob ich nicht doch im letzten Moment einen Rückzieher machen sollte. Ich schüttelte für mich selbst den Kopf, ignorierend, dass diese Geste doch niemand sehen konnte. Ich musste endlich damit aufhören, dermaßen kindisch zu sein. Aber ich war früher auch so gewesen… Schüchtern, zurückhaltend und absolut nicht in der Lage zur Selbstverteidigung, wie ein Mädchen. Nein, das war eigentlich eine Beleidigung für die Mädchen meiner damaligen Klasse… Total erbärmlich und nutzlos noch dazu, so war ich gewesen und hatte nicht viel daran ändern können. Ein Looser sondergleichen. Ich war mir selber peinlich. Oft genug war ich wegen meiner Art von anderen aufgezogen worden, aber solange Kazuki da war, war alles in Ordnung gewesen. Solange er an meiner Seite war, auch wenn er es in der Schule nur als mein bester Freund gewesen war und nicht mehr als das, hatte niemand sich getraut etwas gegen mich zu sagen. Zu dieser Zeit hörte ich die Dinge über mich nur hinter vorgehaltener Hand. Dass sich das wortwörtlich schlagartig ändern würde, sobald er verschwand, das hätte ich damals eigentlich vorhersehen müssen… Ich schluckte schwer. Daran durfte ich erst recht nicht zurückdenken. Mobbing konnte wahnsinnig schlimme Ausmaße annehmen, dessen war ich mir seit dieser Zeit bewusst. Ich schüttelte erneut den Kopf. Das waren Dinge, die ich eigentlich wirklich in den Abfalleimer meines Gehirns werfen sollte. Das war einmal und würde nie wieder sein. Die zwei Stunden, die ich noch Zeit hatte verbrachte ich im Badezimmer und vor meinen „Hausaufgaben“. Ich hatte immerhin einige Tage in der Schule gefehlt und hatte nun einiges an Arbeit nachzuholen. Auch wenn ich mit dieser Meinung vermutlich alleine dastand, meine Arbeit war für mich – meistens, nicht immer – etwas Schönes. Natürlich nicht so toll wie die Bandprobe, aber doch genau die Art von Auszeit, die ich zwischendurch von den anderen brauchte. Denn, ganz ehrlich, wer würde die Chaoten einen vollständigen Tag lang aushalten? Ich sicher nicht, zumindest nicht alle auf einem Haufen. Das würde an meinen Nerven zerren, immerhin war ich derjenige, der immer aufpassen musste dass die andern drei… mittlerweile vier, keinen Blödsinn anstellten, und auch derjenige, der deren Saustall täglich beseitigen musste, um es nicht ganz so aussehen zu lassen als hätte in der Garage ein Hurrikane gewütet. Gestern hätte ich mit den Schülern einen Vokabeltest schreiben sollen, aber die freuten sich sicherlich, dass ich gerade da mal nicht anwesend war. Wobei… Ich musste leicht lächeln. Das letzte Mal, als ich in der Schule gefehlt hatte, hatten sich zwei meiner Schüler am nächsten Tag besorgt bei mir erkundigt, ob ich krank gewesen war. Der Großteil meiner Schüler hatte mich immerhin richtig gern, und das fand ich ehrlich gesagt ausgesprochen niedlich. Die Arbeit brachte mir wieder einen klaren Kopf ein, ich hatte mich also doch nicht geirrt in dem Glauben, dass ein paar Korrekturen und Gedanken an die Schule mich beruhigen würden. Ich war tatsächlich die Ruhe selbst, solange ich ungestört an etwas arbeiten konnte. Leider wurde meine Ruhe gestört, noch ehe ich meine Wohnung verlassen konnte. Es klingelte, und mein erster Gedanke war Kazuki, doch den verwarf ich wieder. Ich würde doch ohnehin zu ihm kommen, also warum sollte er… Ein Blick auf mein Handy verriet mir allerdings, wer sich durch eine von mir unbemerkte SMS vor einer halben Stunde angekündigt hatte. Jin! Ich sprang auf und raste zur Wohnungstür, fieberhaft überlegend was ich zu ihm sagen sollte. Im Vorbeigehen warf ich einen panischen, flüchtigen Blick in den Spiegel an der Wand und stellte erleichtert fest, dass man die Knutschflecken kaum noch sah. Ich hatte sie ja auch noch zusätzlich überschminkt, das würde niemand bemerken. Aber irgendwie tat diese Geheimnistuerei Jin gegenüber weh. Schrecklich weh sogar. Wann war es bitte so weit gekommen, dass ich solche Dinge vor ihm zu verheimlichen hatte…? Ich fand mich selbst in diesem Moment absolut verabscheuungswürdig, und nicht mehr als das. Meinen selbstzerstörerischen Gedanken zum Trotz öffnete ich dennoch die Tür, hinter der mich ein Gesichtsausdruck zwischen Traurigkeit, Besorgtheit und dezenter Enttäuschung erwartete. Zwar war es nicht so extrem, nein, Jin gab sich sichtbar alle Mühe, um diese Emotionen zu verdecken – aber ich kannte ihn gut und konnte es deutlich sehen. „Du wirkst überrascht. Hast du die SMS nicht bekommen?“, fragte er, während ich mal eben einen Schritt zur Seite ging, um ihn hereinzulassen. „Tut mir leid, bei SMS hab ich mein Handy ja immer auf lautlos… Wieso hast du nicht einfach angerufen?“ „Wieso hast du nicht angerufen?“ Aua. Das saß, ein Schlag mitten ins Gesicht hätte mich noch minder getroffen. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, während Jin etwas betroffen zu Boden sah und an mir vorbei in Richtung meiner Küche ging. Ich folgte ihm. „Tut mir leid. Du warst krank, ich… Ich hätte dich auch mal anrufen können, keine Ahnung warum ich´s nicht getan hab.“, entschuldigte er sich schließlich leise und setzte sich an meinen Küchentisch. Ich schluckte schwer. Das war Jin, durch und durch. Egal was passierte, er sah dennoch immer eine Schuld bei sich selbst, und das, obwohl er wirklich NIE an irgendetwas Schuld war. Jin war ein Engel sondergleichen, den Eindruck hatte ich schon immer gehabt, aber jetzt, wo ich auf meinen Schultern eine doch recht schwere Schuldenlast zu tragen hatte, besonders ihm gegenüber, jetzt wurde dieser Eindruck noch um einiges schlimmer. Was sollte ich nur sagen? Ich war doch selbst an allem schuld! ICH hatte ihn vernachlässigt, ICH hatte mich idiotisch gegenüber den anderen benommen, ICH hatte mich wie ein kleines Kind aufgeführt und ICH war schuld, dass er traurig war! Wie um alles in der Welt kam er auch nur im Geringsten auf die Idee, sich für irgendetwas, und sei es ein Kommentar der wirklich nur der Wahrheit entsprach, zu entschuldigen…? „Möchtest du was trinken?“, fragte ich erstmal vorsichtig, sah, wie er leicht nickte, und machte ihm ohne zu fragen gleich mal seinen Lieblingstee in seiner bevorzugten Tasse, so wie er es gern hatte, wenn er bei mir war. Ich stellte die heiße Tasse vor ihm ab und setzte mich gleich neben ihn. Man konnte sich zwar besser unterhalten, wenn man sich gegenüber saß, aber ich wollte gerade lieber in seiner Nähe sein. Ich war mir nur nicht mehr sonderlich sicher, ob er das auch wollte, und ich war mir auch nicht mehr sicher, ob die Gefühle, die diese Reaktion bei mir auslösten, dieselben waren wie früher. „Du siehst nicht mehr sonderlich krank aus. Nur bisschen blass.“, stellte mein Freund fest und sah mich von der Seite an, den Kopf auf die Tischplatte gelegt. Ich hielt meinen mit einer Hand abgestützt und traute mich noch nicht so recht, ihn direkt anzusehen, also fixierte ich lieber seine Teetasse. „Mir geht’s schon besser, seit gestern… Ich werd mich morgen um die neuen Flyer kümmern, okay? Das muss nicht Byou machen, ist ja sonst auch immer mein Job gewesen.“ „Kay, sag ich ihm.“ Ich seufzte leise und gab mir eine innerliche Ohrfeige, ehe ich weiter sprach. „Jin… Es tut mir leid dass ich nie angerufen habe. Und dir braucht gar nichts leid zu tun. Es ist nur…“, ich entschied mich mal eben für die Wahrheit, anstatt ihn schon wieder anzulügen, denn mittlerweile wollte ich es wirklich nicht mehr schlimmer machen, „Ich habe mich ehrlich gesagt einfach nicht getraut. Ich… glaube, ich habe dich enttäuscht, und ich weiß immer noch nicht so recht, wie ich mit der Situation momentan umgehen soll.“ Wow. Ich hatte es tatsächlich über mich gebracht, diese Worte von mir zu geben, ohne dabei zu heulen. Vielleicht schaffte ich es ja doch noch, meine verweichlichte Seite ein wenig einzusperren. „Ich versteh nur nicht warum…“, murmelte Jin leise, „Ich meine, hab ich irgendetwas falsch gemacht? Oder klappt irgendetwas zwischen uns einfach nicht mehr?“ Jetzt stiegen mir doch ein paar kleine Tränen hoch. Schnell blinzelte ich sie weg. Warum, ja warum?! Weil ich Vollidiot meine erste Liebe einfach nicht vergessen kann, darum! Und weil ich Vollidiot dir das einfach nicht sagen kann, weil es dir noch mehr das Herz brechen würde als ohnehin schon, darum…! „Ich weiß es selbst nicht ganz…“, sagte ich, legte dabei allerdings einen Arm um ihn und zog ihn etwas näher zu mir. Er schmiegte sich an mich, und dieses Gefühl ließ mich für einen Moment glauben, es wäre nichts passiert – es wäre einfach nur genauso wie früher Jin für einen Nachmittag bei mir, wir würden gemeinsam fernsehen und er würde von seinem tollen Tee in seiner Lieblingstasse schwärmen, um mir anschließend als Dankeschön dafür einen kleinen Kuss auf den Mund zu hauchen. Für einen kleinen Moment war die Illusion perfekt, aber die Realität war etwas hartnäckiges, was man nicht so leicht loswurde. „Vielleicht brauche ich ja einfach nur eine kleine Auszeit? Die paar Tage allein zuhause haben mir gerade gut getan… Ich hab endlich wieder einen halbwegs klaren Kopf.“, sagte ich und lächelte dabei leicht, denn ich war wirklich wieder ruhiger geworden, das merkte ich deutlich, wenn ich mich jetzt mit der Woche davor verglich. Ich war nicht mehr so dermaßen überreizt. Aber war das nun gut oder schlecht? Immerhin war ich zwar wieder ruhiger, nur leider hatte ich auch viel von meinem Selbstbewusstsein verloren, zumindest kam es mir so vor. Jin neben mir drückte sich ein bisschen näher an mich, nebenbei leerte er mit wenigen Schlucken seine Tasse. „Nimm dir so viel Zeit wie du willst, aber - …wenn es dann immer noch nicht so wird wie früher, dann…“, er schien ebenfalls nicht so recht zu wissen, was er sagen sollte. Aber ich wusste, was er sagen wollte. Vermutlich meinte er, dass es dann besser wäre, wenn wir uns trennen… Aber das wollte ich doch nicht…! Er löste sich aus meiner halbherzigen Umarmung, um Aufstehen zu können. Wollte er jetzt etwa schon gehen? So schnell?! Irgendwie wurde ich gerade etwas panisch. Wieso war es so weit zwischen uns gekommen? Jin verhielt sich kalt mir gegenüber – anscheinend die Retourkutsche für mein Verhalten, aber dennoch, es war… Verdammt, diese Situation war einfach nicht richtig! „Willst du schon gehen?“, fragte ich unsicher, aber eigentlich hätte ich es mir sparen können, sah ich doch, dass er bereits wieder auf dem Weg zur Tür war. Ohne einen Kuss oder wenigstens eine Umarmung zum Abschied. Langsam fragte ich mich doch, ob er mich überhaupt noch leiden konnte. „Ich wollte nur sehen wie es dir geht, nachdem du mich darüber ja nicht informieren konntest.“ Nur sehen wie es mir ging? Ich war zwar irgendwie froh darüber, aber wenn man bedachte, dass es Jin war, Jin, der nur vorbei kam um zu sehen wie es um meinen Gesundheitszustand bestellt war… wenn man das bedachte, dann zog sich einem schon das Herz zusammen. Im Normalfall wäre er einfach hier geblieben. Im Normalfall hätten wir uns in spätestens einer halben Stunde was zu essen bestellt. Im Normalfall hätten wir irgendwann angefangen MarioKart zu zocken, bis wir uns vor lauter roten Panzern und Supersternen in den Haaren gelegen wären, um schließlich aufeinander am Boden herum zu kugeln und uns irgendwann zu küssen, um die verunstalteten Frisuren zu entschuldigen. Und im Normalfall würde ich ihn jetzt doch niemals gehen lassen…! Zwei nicht besonders kräftige Arme schlossen sich im nächsten Moment um Jin, der bereits die Hand auf die Türklinke legen hatte wollen, und ich drückte ihn fest an mich. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wusste nicht, was ich mir von dieser Aktion gerade versprach. Ich war einfach nur verzweifelt. Und genau aus dieser Verzweiflung heraus drehte ich ihn kurzerhand zu mir, um meine Lippen auf seine zu pressen und ihn zu küssen, ließ damit alles heraus, was ich in diesem Moment fühlte. Und dennoch war es nicht richtig. Er erwiderte meinen Kuss, seufzte leise in diesen, aber es war kein genießendes Seufzen, sondern eher ein trauriges, als würde er mich fragen wollen – was machst du da überhaupt? Und ja, was tat ich? Küsste ich hier meinen Freund, den ich liebte, oder küsste ich jemanden, der bereits nicht mehr als ein guter Freund für mich war…? Als ich den Kuss eher noch verzweifelter als vorher löste, es immer noch nicht wagte ihm direkt in die Augen zu sehen, stattdessen einfach mit leicht gesenktem Kopf seinen Hals anstarrte, wusste ich endgültig nicht mehr weiter. „Ich hoffe du weißt, was du tust…“, kommentierte Jin das eben Geschehene, ehe er mich zurückließ und die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. So verloren ich mich auch fühlte und so sehr ich auch Angst davor hatte, Jin endgültig zu verlieren, machte ich mich dennoch wenig später auf den Weg zu Kazuki. Mir war nach Heulen zumute, doch hatte ich das in letzter Zeit so oft getan, dass es einfach nur noch fehl am Platze war und mich immerhin auch kein Stück weiter brachte. Ich hatte mir vorgenommen, mit Kazuki zu sprechen, ihm zuzuhören, um zu erfahren, warum er damals den Kontakt zu mir von einem Tag auf den nächsten abgebrochen und plötzlich einfach weg gewesen war. Ich wusste nicht, ob es mich brennend interessierte, oder ob ich es lieber erst gar nicht wissen wollte. Denn Kazuki war ein ehrlicher Mensch, kein Lügner, nie gewesen. Und ich hatte Angst davor, ihm einfach alles zu verzeihen. Ich würde wieder weich werden, das wusste ich genau. Ausgesprochen unschlüssig war ich daher auf dem Weg zu seiner Wohnung, von der ich nur wusste wie das mehrstöckige Haus von außen aussah, ob ich nicht doch einfach wieder zurückgehen, mich in mein Bett kuscheln und bis ans Ende meines Lebens schlafen sollte. Was sollte es denn bringen, so ein Gespräch…? Ich wusste, dass Kazuki mich anscheinend um jeden Preis zurück wollte, das hatte er mir immerhin klar und deutlich vermittelt. Was ein einfaches Gespräch an dieser Tatsache ändern sollte, das wusste ich allerdings nicht. Eher war ich der Meinung, dass es rein gar nichts ändern würde. Und ich? Wie würde ich reagieren? Was würde ich tun, wenn er mir wieder nahe kommen würde? Würde ich überhaupt etwas tun? Oder würde ich ihm wieder verfallen sein, vollkommen machtlos sein gegen seinen Blick, seine Art mich zu berühren, zu verführen, mich mit Leichtigkeit so weit zu bekommen, dass er genau das bekam was er wollte. Ich hatte keine Ahnung, ob es so sein würde, oder anders. Vielleicht würde er mich auch einfach nicht anrühren. Das wäre sicherlich die vernünftigste Lösung… Nach einer Weile Fußmarsch und einem anstrengenden Aufstieg in den 4. Stock kam ich endlich an mein momentanes Ziel, wobei ich leider erst oben entdeckte, dass es ja auch einen Lift gegeben hätte. Die Dummheit sei gelobt, und meine Blindheit auch. Ein letztes Mal holte ich tief Luft. Es gab keinen Grund, mir ernsthafte Sorgen zu machen, also los…! Nachdem ich schweren Herzens auf den Klingelknopf gedrückt hatte, hörte ich undeutlich, wie im inneren der Wohnung geredet wurde. Moment, geredet? War Kazuki denn nicht alleine? Von einem Mitbewohner hatte er jedenfalls nie etwas erzählt, oder? „Es ist offen~“, kam es plötzlich gut gelaunt gerufen von einer… Frauenstimme? „Ich hab gesagt du sollst verschwinden BEVOR er hier auftaucht verdammt!“, hörte ich jemanden, den ich eindeutig als Kazuki identifizierte. Dem Dialog zufolge schwante mir irgendwie Übles. Aber SO dreist konnte doch nicht einmal Kazuki sein…?! Zaghaft drückte ich die Türklinke herunter und was ich sah, schien meine Befürchtungen nur noch doppelt zu bestätigen. Zumindest im ersten Moment. Denn im ersten Moment sah ich nur einen leicht erschrockenen Kazuki mit eindeutigem Es-ist-nicht-so-wie-es-aussieht – Blick, und eine junge, hübsche Frau mit nicht mehr als einem Handtuch bekleidet, die in seiner Badezimmertür stand und anscheinend gerade aus der Dusche gekommen war. Im nächsten Moment jedoch erkannte ich etwas, was überhaupt nicht in mein momentanes Hirnpuzzle passte. Die halbnackte Frau, die dort drüben stand und mir zur Begrüßung fröhlich zuwinkte, war Chieco. „W-was…“, mehr brachte ich momentan nicht hervor, zu perplex war ich aufgrund dieses absurden Schauspiels vor mir. „Ich weiß was du denkst, Manabu, aber ich kann alles erklären!“, rief mir Kazuki aufgeregt und sichtbar verzweifelt zu, während Chieco neben ihm einfach nur amüsiert auflachte. „Ich geh mich mal eben umziehen, ja? Und mach dir keine Sorgen, Kazunyan~ Manabu und ich kennen uns doch schon!“, sagte sie und verschwand in einem anderen Zimmer. Ich blinzelte verwirrt. Legte meinen Kopf schief und schenkte Kazuki den ungläubigsten Blick, den ich nur draufhatte, um schließlich noch einmal zu hinterfragen, was ich soeben gehört hatte – „Kazunyan?“ Kazuki´s rechte Hand klatschte nicht sonderlich sanft mitten auf seine Stirn, bevor er Chieco noch ein „Hör endlich auf mich so zu nennen!!“ – hinterherschrie, woraufhin nur ein helles Lachen als Antwort ertönte. Etwas hilflos wandte er sich nun wieder mir zu. Ich allerdings wurde langsam mehr als nur wütend. Er konnte es erklären, na klar. Lass uns doch einmal die Teile zusammenfügen, die ich bis jetzt gesammelt hatte! 1. Chieco hatte einen Freund, unserem gestrigen Gespräch entnommen. 2. Sie stand nackt und nur mit einem Handtuch rum in Kazuki´s Bad. 3. Kazuki versuchte mir zu sagen, er würde mir das alles erklären können. „Sag mal HAST DU SIE EIGENTLICH NOCH ALLE?!“, schrie ich ihn ungehalten an, als er auf mich zukam, und ohne weiter nachzudenken verpasste ich ihm in meinem Wutanfall eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte. „AUA!! Scheiße, Manabu, hör mir doch mal zu!!“, schrie er zurück und hielt meine Hand auf, aber ich wollte jetzt alles, nur mich nicht beruhigen! „Was sollte ich mir jetzt noch anhören?! Oh, du willst mich also zurück und liebst mich über alles, aber ganz nebenbei hast du eine gottverdammte FREUNDIN?! Von der du nicht das Geringste erzählst? Wolltest du mich herumkriegen und nebenher deine Beziehung weiterführen? Was bist du eigentlich für ein abartiges Drecksschwein, Kazuki?!“ „Sie ist nicht meine…!“, versuchte er etwas zu sagen, musste dann allerdings meine Hand festhalten, ehe ich noch einmal zuschlagen konnte. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Was für ein Arschloch musste man sein, um so eine Nummer abzuziehen?! Und vor allem, war Chieco das alles egal, oder wusste sie überhaupt nichts von der Sache? Na die würde sich freuen, wenn ich ihr erstmal erzählte wie schwul ihr toller Freund war!! „MANABU!! Beruhige dich endlich!“, fuhr Kazuki mich an, und nachdem es keine Wirkung zeigte und ich immer noch versuchte, ihn zu schlagen, wirbelte er mich kurzerhand herum und verdrehte mir die Hände auf dem Rücken, was dezent schmerzte, aber so hatte er mich fest im Griff. „Lass mich los!“, zischte ich und ruckelte an seinem Griff herum. Mittlerweile war ich wieder mindestens so verzweifelt, wie ich es vorher bei Jin gewesen war, nur dass diese Situation um einiges unerwarteter und vor allem dümmer war. Aus Hilflosigkeit und Verzweiflung stiegen mir bereits erste Tränen hoch, dabei war ich mir doch sicher gewesen, dass diese zurückbleiben würden, bis ich erst einmal alles von früher erfahren hatte. „Hör mir zu verdammt! Sie ist nicht meine Freundin, sie ist nur meine Mitbewohnerin, nichts weiter als das!“, sagte Kazuki und klang ebenso ein wenig verzweifelt, aber wenigstens heulte er nicht, dazu war nur ich wiedermal Weichei genug. Aber eigentlich hatte ich jedes Recht dazu. Kazuki erzählte mir von wegen er wollte mich, meine Nähe, würde mich immer noch lieben, warf mein Leben durcheinander und stellte mich vollkommen auf den Kopf, nur damit ich schließlich erfahren konnte, dass er eine Freundin hatte?! Noch dazu Chieco! Sie war es doch gewesen, die mich zu diesem Gespräch ermuntert hatte, auch wenn sie irgendwie nichts dafür konnte, immerhin hatte ich keinen Namen genannt und auch nicht erwähnt, dass es sich um meinen Ex-Freund handelte… oder…? „Das kannst du wirklich deiner Großmutter erzählen!“, sagte ich und blinzelte meine Tränen weg, ehe sie den Weg über mein Gesicht finden konnten. „Kazunyan, du machst es wiedermal völlig falsch…“, hörte ich plötzlich wieder Chiecos Stimme, die nun endlich vollständig bekleidet aus dem Zimmer kam und uns kopfschüttelnd ansah. Kazuki knurrte kaum hörbar ob seines Spitznamens, ehe er mich erst einmal losließ. „Was genau mache ich gerade falsch? Das eben war deine Schuld, Chieco!“, sagte er und vergrub sein Gesicht in seinen Händen, deutlich machend, wie peinlich ihm diese ganze Situation war. „Meine Schuld? Ohne mich wäre er gar nicht hergekommen. Du solltest mir dankbar sein~“, sagte sie und kicherte leise, warf mir dabei einen verschwörerischen Blick zu. Und einmal mehr verstand ich die Welt nicht mehr. „Du hättest gestern einfach abheben sollen, anstatt mit ihm ein Kaffeekränzchen zu veranstalten…“, murrte Kazuki, „Und jetzt sag ihm endlich was Sache ist, weil MIR glaubt ja keiner mehr!“ Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, doch Chieco nahm es mir ohnehin ab. „Also, Manabu. Kazunyan-“, ein lautes Räuspern seitens Kazuki war zu hören, „-…gut, Kazu hat dir nichts Falsches erzählt. Ich bin wirklich nur seine Mitbewohnerin, und seit einigen Jahren so was wie seine beste Freundin, wenn man´s so nennen will. Wir führen keine Beziehung, noch haben wir jemals miteinander geschlafen, okay?“ Misstrauisch sah ich sie an. Das konnte doch nicht ihr ernst sein, oder? Welche normal denkende Frau lebte mit einem Kerl zusammen, mit dem sie keine Beziehung führte? Es mochte Fälle geben, in denen das funktionierte, aber doch nicht mit KAZUKI!! „Du sagtest gestern aber, dass du einen Freund hast! Und Kazuki war es doch auch, der dauernd versucht hat dich anzurufen, oder?“, warf ich meine Einwände in den Raum, woraufhin Chieco allerdings einfach anfing zu lachen. So langsam kam ich mir richtig, richtig verarscht vor. „Von einem Freund war nie die Rede“, fuhr sie schließlich gut gelaunt fort, und durch den Satz wurden meine Augen gleich mal einen Tick größer, „Ich sagte, ich bin vergeben. Und ich stehe ungefähr so viel auf Männer, wie du auf Frauen stehst.“ Meine Wangen leuchteten nach ihren Worten in einem gesunden Rot. Sie hatte also die ganze Zeit gewusst, dass ich… und überhaupt… sie war lesbisch? „Das wird mir gerade ein bisschen zu viel…“, murmelte ich überfordert. „Kein Problem, Kazunyan wird dir alles erklären, während ich mein Date genieße. Also viel Spaß euch beiden noch! Man sieht sich, Mana-chan~“ MANA-CHAN?! Hallo, ging´s eigentlich noch mit der?? Perplex sah ich ihr hinterher, wie sie fröhlich ein Anime Opening vor sich hin sang, das ich sogar kannte, und sich dabei ihre Schuhe anzog. Unheimlicherweise klang das, was sie da sang, so ähnlich dem Original, dass ich beinahe hätte glauben können… - Ach nein, so weit kam´s noch. Chieco verschwand schließlich durch die Tür und ließ mich mit meinem Ex-Freund alleine. So langsam wurde mein Kopf ein bisschen klarer. Natürlich, warum sonst hätte Chieco mich so sehr angespornt, mit ihm zu reden und ihm zuzuhören, wenn sie nicht die ganze Zeit über gewusst hätte, dass in unserem Gespräch von Kazuki die Rede war? Vermutlich war es auch gerade deswegen so amüsant für sie gewesen. Das war aber doch irgendwie gemein von ihr, so sympathisch sie mir auch war. Kazuki neben mir räusperte sich verlegen. „Glaubst du mir jetzt, dass da wirklich nichts zwischen mir und Chieco ist? Es- es tut mir ja leid, ich hätte früher mal erwähnen müssen, dass ich nicht alleine wohne, und…“ – ich winkte ab, woraufhin er seinen Redefluss unterbrach. Innerlich brachte mich das sogar zum Lächeln. Ich glaubte, ihn noch nie zuvor so verlegen und von seinem Wortschatz verlassen erlebt zu haben. „Ich glaube, wir haben genug andere Dinge, über die wir reden sollten.“, sagte ich also, und bewunderte mich in diesem Moment selbst für meinen Mut, das auch auszusprechen. Kazuki nickte nur kurz und deutete mir an, ihm in ein anderes Zimmer zu folgen, welches stark nach einem gemütlichen Mini-Wohnzimmer aussah. „Hübsch hast du´s hier.“, murmelte ich und sah mich um. Mein Blick fiel auf ein paar kleine Fotos, die auf einem Schrank neben den Fernseher standen. Ein paar mit Chieco, vereinzelt welche mit Leuten die ich nicht kannte, und zwei, auf denen ich zusammen mit Kazuki zu sehen war. Ziemlich alte Fotos also. Ich erkannte die Bilder auch von weitem deutlich, biss mir jedoch fest auf die Unterlippe, um den Drang zu unterdrücken sie mir näher anzusehen. „Machs dir bequem~ Was zu trinken?“, fragte Kazuki und warf ein paar Kissen unachtsam hinter das Sofa, damit ich Platz darauf hatte. Was mich den Kopf schütteln ließ. Dieser Chaot. „Danke, nein“, antwortete ich und setzte mich einfach mal, schielte immer wieder kurz zu den Fotos, starrte dann allerdings doch lieber auf den Boden. Langsam, aber sicher stieg die Nervosität in mir hoch. Immerhin war ich mit Kazuki alleine, und die letzten Male, in denen das der Fall gewesen war, hatten nichts Gutes für mich bedeutet… „Also… ich weiß nicht so recht, wo ich mit erzählen anfangen soll“, sagte Kazuki etwas hilflos, aber lächelnd, und setzte sich neben mich. Unbewusst rutschte ich ein kleines Stück von ihm weg. Er bemerkte es nicht. „Vielleicht fängst du mal mit einer Entschuldigung an, was du mir in den letzten Wochen alles angetan hast, bevor wir von früher reden!“, sagte ich möglichst kalt und hoffte, er würde wenigstens einsehen, dass er alles getan hatte, aber nicht das Richtige. Ich wusste, dass er nicht alleine Schuld an meinem momentanen Beziehungsdesaster war, dass ich genauso viel oder sogar mehr Schuld daran hatte als er, und dennoch, es wäre alles nicht passiert, wenn er einfach nicht aufgetaucht wäre. „Ich will mich nicht entschuldigen“, sagte Kazuki allerdings und versuchte mir dabei in die Augen zu schauen, jedoch vermied ich jeglichen Blickkontakt, also ließ er es bleiben, „es tut mir leid für Jin, und ich werde sicherlich ihn noch tausendmal um Verzeihung bitten, aber nicht dich. Nicht dafür.“ Meine Hände zitterten leicht, ich vergrub sie wütend im Stoff meiner Hose, sagte jedoch nichts. Denn irgendwie hatte er schon wieder recht. Ich hätte mich ja nicht auf ihn einlassen müssen… „Du bist ein Arschloch.“ „Ich weiß.“ Gegenseitiges Schweigen. Ich fühlte mich vollkommen hilflos, immerhin saß er direkt neben mir, wir waren alleine und ich wagte es nicht einmal, ihm ins Gesicht zu sehen. Und je länger wir beide schwiegen, desto mehr hoffte ich, er würde endlich weiterreden, egal was, aber ich ertrug diese schreckliche Stille nicht! „Sag es doch endlich!“, platzte es aus mir heraus, „Sag mir, warum du mich damals einfach allein gelassen hast! Sag mir, warum du dich nicht gemeldet hast, warum ich dir plötzlich scheißegal war, sag mir, ob du mich überhaupt geliebt hast und wie um alles in der Welt du auf die gottverdammte Idee kommst, es JETZT zu tun!“ Ich erlebte auf meine harten Vorwürfe hin etwas, was ich schon lange nicht mehr gesehen hatte – nämlich ehrliche Unsicherheit und Betroffenheit in Kazuki´s Gesicht. Er war sonst nicht der Typ dafür, überhaupt irgendwelche Emotionen zu zeigen. Und ich hatte ihn dafür immer schon bewundert. Ich wäre früher gerne so gewesen wie er, sorgenlos, ein Mensch, dem einfach alles am Arsch vorbei geht und der sich von nichts und niemandem fertig machen lässt. Er hatte einen Vorbildcharakter für mich gehabt. Und eigentlich hätte es dabei auch bleiben sollen. Wieso hatte ich mich nur in ihn verliebt? Nein, besser, wieso verdammt hatte er mich damals verführt? „Manabu… Ich wollte niemals von dir weg. Niemals. Du kannst von mir wirklich denken was du willst, aber nicht, dass ich dich nicht geliebt hätte. Das habe ich und das tue ich immer noch...“, sagte er und klang dabei ungewöhnlich leise. Ungewöhnlich für jemanden wie ihn eben. Aber seine Worte taten einfach nur weh. „Du wolltest mich nie verlassen, ja?“, sagte ich leise und konnte nicht mehr verhindern, dass mir eine Träne über die Wangen rann, auch wenn ich hoffte, dass Kazuki sie übersehen würde, „und warum hast du es dann trotzdem getan?“ „Lässt du mich nun ausreden oder nicht?“, fragte er. Meine brüchige Stimme blieb nicht unbemerkt, genauso wenig meine unterdrückten Schluchzer, ich hielt es einfach nicht aus. Es war schrecklich, über das Gefühl nachzudenken, dass ich damals empfunden hatte, als ich realisiert hatte dass er verschwunden war. Kazuki merkte, wie schwer es mir bereits jetzt fiel. Er griff, wenn auch sehr zögerlich, nach meiner Hand. „Wie gesagt, ich wollte es nicht… Wie viel dir die Sache ausgemacht hat, das weiß ich nicht, aber ich kann dir auf jeden Fall sagen, dass ich niemals wirklich depressiv war, außer in dieser Zeit, als ich von dir weg musste. Ich wollte nicht, ich musste. Meine Eltern wollten damals umziehen. Ich habe dagegen geredet, habe versucht einfach zu sagen dass ich mich weigere, dass ich nicht von meiner Heimat weg wollte. Aber es half einfach nichts. Ich habe angefangen sie anzubetteln, ob ich nicht einfach eine eigene Wohnung haben könnte und so weiter hier zur Schule gehen könnte… Aber der Vorschlag wurde schlagkräftig abgewandt, wenn ich´s mal so sagen darf…“ Ich spürte, wie es auch Kazuki immer schwerer fiel, von früheren Zeiten zu reden. Aber jetzt war er endlich soweit, jetzt erfuhr ich endlich Stück für Stück genaueres, und ich spürte, dass wir dieses Gespräch beide brauchten, dass wir beide Trost brauchten. Ich hatte ihm vorhin den Rücken zugedreht, hörte ihn nur reden, da ich ihn nicht ansehen wollte. Dennoch drückte ich seine Hand etwas fester. Diese Geste sollte genügen. „Und schließlich hab ich in meiner Verzweiflung meiner Mutter vorgeworfen, dass ich eine Beziehung habe und sie um keinen Preis aufgeben wolle… Du weißt, dass ich dich ihnen gegenüber nie erwähnt habe. Ich war auch nicht umsonst immer nur bei dir, und selten zuhause… Meine Mutter hat die Sache meinem Vater erzählt, der wiederum nicht lange brauchte, um herauszufinden, mit wem ich da zusammen war.“, er seufzte kurz, lächelte dabei sarkastisch, was ich jedoch nicht sehen konnte, „…und scheiße, ich habe mein Leben lang niemals so viele Schläge eingesteckt wie an diesem Tag.“ Ich schluckte schwer bei diesen Worten, wusste nicht, was ich sagen sollte. Aber er bestätigte mir soeben eine Vermutung, die ich schon früher immer gehabt hatte, was Kazuki´s Vater betraf. „Er war ein homophobes Drecksschwein und ist es auch heute noch…“, fuhr er fort, „Aber weißt du, was ich gesagt habe, als er mich in seinem Anfall gefragt hat warum ich meinen Eltern so etwas antue, warum ich mich nicht eigentlich gleich vor Scham erschieße, warum so eine scheiß Schwuchtel aus mir geworden ist? Ich habe ihm gesagt, dass du es mir wert bist.“ Meine Hand zitterte. Er hielt sie fest. Meine alten Gefühle überschwemmten mich, als wären sie niemals verschwunden gewesen, und ich konnte nur mit Mühe meine Tränen unterdrücken, sagte nichts, da ich mir nicht die Blöße vor ihm geben wollte, keine Schwäche zeigen wollte. Ich wünschte mir so sehr, von Herzen, dass das alles nie passiert wäre. Dass wir damals einfach weiter hätten glücklich miteinander sein können. Auch, wenn wir es geheim hatten halten müssen, auch, wenn es oft genug schwierig gewesen war, trotz jedem verfluchten Widerspruch – er war es mir auch wert gewesen. „Tja…“, fing er nun wieder an, versuchte so gut es geht, bei seiner Erzählung nicht allzu niedergeschlagen zu klingen, „Auf die Aussage hin bekam ich gleich noch mehr Prügel, und… so sehr ich auch weiter dafür kämpfen wollte bleiben zu können, mindestens so sehr war ich traumatisiert davon. Ich hatte von da an ständig nichts als Angst, wieder geschlagen zu werden. Eine Zeitlang hatte ich immerhin wirklich gedacht, ich sei stark genug, um das alles einfach wegzustecken, aber… ich war damals an meiner Grenze, ich konnte nicht mehr. Und mit einem Mal war der Rebell in mir verschwunden, ich gab nach, tat brav alles, was meine Eltern von mir verlangten. Und das war in erster Linie, dass ich den Kontakt zu dir auf der Stelle abbrechen sollte. Das habe ich getan… Ich hatte kaum eine Wahl, mein Vater war gestört genug, um mir Handy und Laptop wegzunehmen, sodass ich dich auch auf gar keinen Fall kontaktieren konnte. Was mich noch einmal mehr zerriss. Ich durfte mein Zimmer räumen und meine Sachen packen, ohne mich auch nur von irgendjemandem zu verabschieden, wobei ich sowieso nur dich hätte noch einmal sehen wollen…“ Ein leises Schluchzen war von mir zu hören, was Kazuki innehalten ließ. Er seufzte selbst leise, streichelte über meinen Handrücken, doch ich nahm es gar nicht richtig wahr. Ich war zu beschäftigt damit, meine Augenlider fest aufeinander zu pressen und weitere Hinweise darauf, dass ich gerade gerne heulen würde wie ein Schlosshund, zu verbergen. „Nur wegen dem egoistischen und ziemlich asozialen Verhalten meines Vaters, und meiner Mutter, der das anscheinend egal gewesen war, wurde mir damals also praktisch alles was ich hatte mit einem Schlag genommen. Meine Freunde, meine Schule, meine Heimat – und du. Ich hatte keine Erlaubnis, dich zu kontaktieren, und darum tat ich es nicht. Ich hätte es später tun können, viel später… Aber das waren dann bereits Zeiten, in denen ich es einfach nicht mehr gewagt hatte. Ich hatte solche Angst vor deiner Reaktion, war damals längst der festen Überzeugung, dass du mich nicht mehr lieben können würdest. Nur leider gingst du mir genauso wenig aus dem Kopf. Irgendwann, etwa ein halbes Jahr nachdem wir umgezogen waren, lernte ich dann Chieco kennen. Sie war für mich eindeutig die Rettung in der Not.“ Ich brachte ein leichtes Lächeln über mich. Das klang so sehr nach mir, wie ich Yuuto kennengelernt hatte. Innerlich war ich Chieco sehr dankbar dafür, dass sie für Kazuki da gewesen war, so, wie es Yuuto für mich getan hatte. Und plötzlich war mir noch viel klarer als ohnehin schon, dass nicht nur ich viel durchgemacht hatte, sondern dass es Kazuki sogar ziemlich gleich ergangen war wie mir. „Wie genau wir uns kennengelernt hatten oder wo, das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht mehr so genau… Auf jeden Fall erfuhr ich in einem unserer Gespräche, dass sie dasselbe Problem hat wie ich. Sie steht auf Frauen und ihre Eltern halten davon genauso viel wie meine. Und in dem Moment hatten wir beide dieselbe Idee – wir spielten von da an vor unseren Eltern das perfekte Pärchen, um sie im Glauben zu lassen, sie müssten sich absolut keine Sorgen mehr um die sexuellen Orientierungen ihrer Kinder machen. Ich hätte das mit absolut keinem anderen Mädchen durchziehen können, eine treue Freundin wie Chieco hat mir damals wohl wirklich der Himmel geschickt. Aber nachdem sie meine Geschichte erfahren hat und über die lange Zeit, in der wir uns kannten gemerkt hat, dass ich nicht imstande war mit irgendjemandem eine Beziehung zu führen – schon allein, weil ich im Suff immer laut genug von dir geschwärmt habe – kam auch der Vorschlag von ihr, eine gemeinsame Wohnung in meiner alten Gegend in Tokyo zu suchen. Wir waren immerhin alt genug und unsere Eltern sichtbar glücklich über unsere Beziehung, sodass sie es uns auch ohne Weiteres erlaubten. Und ich kam zurück, um dich wieder zu sehen… Auch wenn ich nicht wirklich eine Ahnung hatte, was ich mir von der Sache zu erwarten hatte.“ Jetzt schwieg er. Natürlich, immerhin waren wir jetzt an einem Punkt der Geschichte angelangt, den ich bereits kannte… Ab hier war ich selbst mittendrin im Geschehen gewesen. Und dennoch, ich wusste immer noch nicht, was ich sagen sollte. Meine Sicht war verschwommen, meine Hand krallte sich in Kazuki´s. Mein Zittern wollte nicht aufhören, und mein Körper, meine Seele, alles in mir sehnte sich gerade nach nichts als seiner Nähe, seinen Berührungen. Nach früher. Erneut schluchzte ich leise. Und dann schlang er vorsichtig seine Arme um mich, gab mir den Halt, den ich brauchte, den Anstoß, der meine inneren Mauern zerstörte und mich dazu brachte, mich einfach stumm in seine Arme zu werfen, mich an sein Hemd zu krallen und seinen Körper gegen den Schmerz in meiner Brust zu drücken, um diesen zu lindern. Kapitel 10: Regardless of Warnings ---------------------------------- Die Zeit schien in meinem Kopf nicht mehr richtig weiterzugehen. Stattdessen legte sich die Selbstlosigkeit wie ein Schleier um mich, es war, als würde ich die Welt um mich herum nur noch verschwommen wahrnehmen. Ein sehr schönes Gefühl, um ehrlich zu sein – ja, es war schön sich zu fühlen, als wäre alles in Ordnung. Gerade in Zeiten wo man weiß, dass absolut gar nichts in Ordnung ist, weiß man dieses Gefühl umso mehr zu schätzen. Niemand konnte mich in diesem Moment fragen warum, wie, weshalb ich irgendetwas tat, denn das Gefühl, nichts Falsches zu tun, legte sich um mich wie eine sanfte Umarmung. Wie eine Umarmung von Kazuki. Vollkommen entspannt, beruhigt, nachdem ich weiß Gott wie lange mit meinen Tränen gekämpft hatte, lag ich, den Kopf und einen Arm auf Kazuki’s Schoß gebettet, da und dachte für diesen einen Moment einfach mal über absolut nichts nach. Ich fragte mich nicht, warum um alles in der Welt ich am Schoß meines Ex-Freunds lag und mir von ihm den Nacken kraulen ließ. Ich fragte mich nicht, wie es Jin im Moment ging, was er wohl machte. Ich fragte mich nicht, ob zuhause Arbeit auf mich wartete, die ich in meinem momentanen mentalen Zustand sowieso nicht bewältigen würde. Und ich fragte mich erst recht nicht, was die Zukunft mir nun auf dem nächsten Silbertablett vorbeitragen würde. Es war egal, ich würde sowieso nichts daran ändern können. Wir hatten unser Gespräch fortgeführt, all das gesagt, was schon vor langer Zeit hätte gesagt werden sollen. All das gesagt, was uns beiden das Leben schwer gemacht hatte. Endlich alles losgeworden. Ich fühlte mich so verdammt erleichtert, als wäre eine Wagenladung schwerer Steine endlich von meinen Schultern gefallen, und ich sah Kazuki an, dass es ihm kein bisschen anders ging. Kazuki. Meine erste Liebe, die stark genug gewesen war, dass ich überhaupt nichts dagegen tun hätte können. Weil Liebe blind, hirnlos, abhängig – aber leider auch oft genug glücklich machte. Ich hatte es immer gewusst, tief in meinem Inneren hatte ich mir stets ausgemalt, was passieren würde, wenn ich ihn irgendwann wiedersehen würde. Und eigentlich war ich immer wieder zu demselben Entschluss gekommen: Dass ich ihm erneut verfallen würde. Weil ich einfach nicht anders konnte. Weil meine Gefühle für diese Person viel stärker waren, als alles andere, stärker als mein Körper und Verstand. „Mach keinen Scheiß, Manabu, okay?“ Yuuto’s Worte flogen mir durch den Kopf. Doch ich ignorierte es. Ich wollte keine Warnungen hören, denn sie waren mir egal. Ich hatte Kazuki nun eine ganze Weile nicht angesehen. Wir hatten beide nur geschwiegen. Er hatte vielleicht viel nachgedacht, ich allerdings nicht. Ich hatte meinen Kopf einfach nur für einen kurzen Zeitraum komplett abschalten wollen. Eine Pause, die ich schon seit langem wirklich nötig hatte. „Manabu?“ Ich antwortete nicht, stattdessen sah ich einfach zu ihm hinauf, um ihm zu zeigen, dass er meine Aufmerksamkeit hatte. „Wie... geht es jetzt weiter...?“ Haha. Die Frage kam gerade eindeutig von der falschen Person. Sollte nicht eher ich derjenige sein, der genau diese Frage hätte stellen müssen? Denn wenn ich wüsste, wie es jetzt verdammt noch mal weitergehen sollte, dann hätte ich keinen Grund mehr, ständig schlaflose Nächte voller seelischer Verzweiflung zu führen, aus Angst vor dem, was vor mir lag! „Das fragst du mich?“ Er fixierte betreten einen imaginären Punkt am Fußboden. „Ich... ich lasse dich nicht mehr gehen, Manabu. Das ist dir klar.“, so selbstbewusst Kazuki’s Stimme für gewöhnlich klang, wenn er solche Sätze von sich gab, so brüchig und unsicher wirkte er in diesem Moment. Verletzlich. Er schien zu spüren, dass er mich an eine gefährliche Grenze trieb, an der ich sehr leicht auszucken und einfach verschwinden könnte. Damit lag er gar nicht so falsch, doch ich tat einfach nichts. „Du kannst mich nicht als deinen Besitz beanspruchen,“, brachte ich schließlich doch hervor, und richtete mich wieder in eine sitzende Position auf, „...Ich habe einen festen Freund....“ Diese Worte fielen mir so schwer. So verdammt schwer. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie er sich fest auf die Unterlippe biss, konnte daraus deutlich merken, dass er gerade sein Temperament zügelte, so gut er es noch beherrschte. „Sag mal, was ist das alles für dich? Pflicht? Gehst du deiner Pflicht nach, anstatt das zu tun, was du selbst willst?“, sagte er und sah mich dabei direkt an. Ich wandte mein Gesicht ab. „Du bist egoistisch, Kazuki...“, flüsterte ich. „Jeder Mensch ist bis zu einem gewissen Grad egoistisch! Jeder Mensch muss einmal etwas Schlechtes tun, damit es ihm danach wieder besser geht!“ „Pech für dich, ich bin kein egozentrisches Arschloch!“ – meine Stimme wurde lauter. Ich wollte einfach nicht glauben, was er mir sagte. Es ging wirklich nur ums wollen. Dass er Recht hatte, dass das Leben nun einmal so war, das wusste ich. „Manabu, hör mir zu... Ich habe so viel über derartige Dinge nachgedacht, die letzten Jahre. Nachdem ich dich gezwungenermaßen verlassen hatte, kam ich mir vor wie das größte Arschloch der Nation. Aber von da an... habe ich verstanden. Ich habe plötzlich verstanden, was in den Köpfen jener Menschen vor sich geht, die andere verlassen, die Beziehungen beenden und vielleicht den Grund nicht nennen können...“, er macht eine kurze Pause, schien zu überlegen, wie er formulieren sollte, was er mir sagen will, „Nicht jeder... Natürlich gibt es solche, die wirklich keine guten Absichten in solchen Dingen haben. Aber ich habe so viel beobachtet, Leute, die sich zerstritten haben, und deren Gründe aber von beiden Seiten erklärbar waren. Das Problem ist doch nur immer, dass niemand dem jeweils anderen verdammt noch mal zuhören will!“ Ich hörte ihm aufmerksam zu. Was er sagte, klang irgendwie nicht nach dem, was andere Menschen hören wollen würden. Und dennoch klang es nicht falsch, sondern eher logisch. „Verstehst du mich, Manabu? Jeder Mensch hat seine Gründe für das, was er tut. Eine Person ist nicht zwingend ein Arschloch, wenn sie jemanden im Stich lässt. Man muss solchen Personen nur zuhören... Anstatt sie mit ihren Schuldgefühlen alleine zu lassen und überall laut hinauszuschreien, was für ein schlechter Mensch diese Person ist. Die meisten, die auf diese Art etwas... etwas Falsch machen, die wollen sich nur selbst damit helfen. Ich habe mir auch damit geholfen. Ich habe mir weitere Grausamkeiten von meinem Vater erspart...“ Ich spürte, wie mir bei den Worten wieder die Tränen kamen. Wieso sagte er mir das alles überhaupt? „Du tust gerade so, als wären Arschlöcher jetzt plötzlich die besseren Menschen! Was geht eigentlich in deinem Hirn ab?! Du kannst nicht von mir verlangen, dass ich einfach... dass ich mit Jin...“ – ich konnte es nicht einmal aussprechen. Ich wollte das doch nicht. Ich wollte Jin nicht wehtun, aber... „Bist du glücklich?“ Ich stockte. Senkte meinen Blick. „Nein...“, hauchte ich schwach, denn es war an der Zeit, auch mal wieder die Wahrheit ans Tageslicht zu lassen, „...nicht mehr.“ Er sah mich durchdringend an, legte schließlich sanft eine Hand in meinen Nacken. Mein Blick war leer, ich spürte in diesem Moment nur eine tiefe Verzweiflung, die Verzweiflung vor einer absolut unmöglichen Entscheidung zu stehen. Es gab weder Richtig noch Falsch! Egal welchen Weg ich wählen würde, beide wären gleich gut wie schlecht! Würde ich Kazuki abweisen, würde ich selbst unglücklich sein. Würde ich Jin verlassen, könnte ich diesem nie mehr in die Augen sehen, ohne vor Schuldgefühlen zu ersticken. Wie, wie um alles in der Welt, konnte man in so einer Situation noch das Richtige tun?! Ich kam ihm näher, vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge, versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass schon wieder vereinzelte Tränen über mein Gesicht liefen. Ich legte meine Arme um ihn. So sehr. Ich hatte ihn so sehr vermisst... Dieses Gefühl, ihn fest an mich zu drücken und zu wissen, dass er bei mir bleiben würde, solange ich es wollte. Diese Sehnsucht, der ich mich einfach nicht entziehen konnte. Dieses Verlangen, ihn zu küssen und einfach alles zu vergessen, was die letzten Jahre gewesen war. Ich wollte es so sehr. Wenn es doch nur so einfach wäre. „Wenn du glücklich bist bei Jin... dann bleib bei ihm. Ich werde mich dir nicht mehr nähern, in keinster Weise. Aber wenn du es nicht bist... Bitte triff die richtige Entscheidung für dich selbst, Manabu, nicht für jemand anders.“ „Ich kann das nicht einfach so... Wieso verstehst du das nicht?“, fragte ich leise und entfernte mich wieder etwas. Er gab diese Dinge von sich, als ob es das absolut einfachste auf der Welt wäre. Aber das war es nicht. Ich hatte Angst, furchtbare Angst vor meiner Konfrontation mit den anderen. Egal wie ich mich entscheiden würde, ich würde entweder mich selbst und Kazuki, oder die anderen drei enttäuschen. „Glaubst du, es ist für mich damals so einfach gewesen? Reiß dich doch endlich mal zusammen, Manabu. Wie willst du jemals mit deinen Problemen zurechtkommen, wenn du mit den Betroffenen Personen nicht redest?“ Reden... Ja. Das klang doch tatsächlich einmal nach einer guten Idee. Ich wusste, dass dieser Tag, vielleicht auch die darauffolgenden, nicht sonderlich angenehm für mich sein würden. Aber da musste ich wohl irgendwie durch. Eine ungefähre Entscheidung hatte ich getroffen, aber ich konnte das nicht tun, ohne vorher mit jemandem über die ganze Sache zu reden, der mich auch wirklich voll und ganz verstand – Yuuto! Mein bester Freund, den ich sowieso schon eine Weile vernachlässigt hatte, hatte ein deutliches Recht die Sache als erster zu erfahren. An der Stelle muss ich erwähnen, ja, Freundschaften stehen in der Wichtigkeit für mich über einer Beziehung. Aber nur wahre Freundschaften. Und da gab es niemanden außer Yuuto. Ich tippte auf meinem Handy herum, suchte seinen Namen in meinem Telefonbuch. Kazuki’s Wohnung hatte ich verlassen, nachdem Chieco zurückgekommen war. Die übrigens stolz erzählte, dass „Ihr neuer Song fertig ist“ – mit weit geöffnetem Mund musste ich vor einer Viertelstunde also feststellen, dass sie tatsächlich DIE Chieco Kawabe war, und somit musikalisch erfolgreicher als unsere eigene Band... Ein Genickbruch der besonderen Art für mich als Musiker, aber ich hatte mich für sie gefreut. Den neuen Song hat sie uns auch gleich freudig vorgespielt. Er passte irrsinnig gut zu... mir. „Kizuna iro“, murmelte ich kurz gedankenverloren vor mich hin, der Name ihres Songs. Sie sang darin über einen Freund, der sie verlassen hatte, und es nach langer Zeit anscheinend nicht mehr wagte, sie anzusehen. Ich fragte mich in diesem Moment, ob sie den Text auf Kazuki und mich bezogen hatte. Vor allem aber auch wurde mir beim Hören klar, dass dieses Mädchen kindisch, aufgedreht und immer fröhlich wirkte, aber anscheinend auch eine sehr ernste Seite und gute Menschenkenntnis besaß. Wie man sich im Äußeren eines Menschen täuschen konnte. „Manabu?“, ertönte Yuuto’s Stimme am anderen Ende. Ich presste mir mein Handy gegen das rechte Ohr. Meine Schritte durch die Straßen wurden langsamer. Ein hartnäckiger, kalter Wind blies mir um die Ohren, und ich wünschte mir, ich hätte wenigstens einen Schal mitgenommen. „Hey, Yuuto. Bist du zuhause, kann ich vorbeikommen?“, fragte ich. Meine Unsicherheit war in diesem Moment verschwunden, aus dem einfachen Grund, dass ich Sicherheit verspürte, wenn ich mit ihm sprach. Vielleicht eine Art Sicherheit, dass er mich nicht hängen lassen würde. Das war es doch immerhin auch, was man von einem echten Freund erwartete. „Klar. Hab nix mehr vor heute. Soll ich schon mal Kaffee machen?“, antwortete er, und ich konnte sein Grinsen nahezu heraushören. Es ließ mich leise aufseufzen. Yuuto blieb einfach Yuuto, und das zu wissen beruhigte mich sehr. Er würde mich nicht verurteilen. „Solang ich dafür nicht zahlen muss! Bin in 10 Minuten bei dir.“ „Bis gleich~“, sagte er, legte auf. Ich ließ das Handy gedankenverloren wieder in meiner Jackentasche verschwinden, spazierte gemütlich durch die, seltsamerweise, recht menschenleere Straße. Um diese Uhrzeit war sonst eigentlich mehr los. Aber ich konnte nur vereinzelt andere Leute sehen, die bei Geschäften oder Cafes ein- und ausspazierten. Ich vergrub meine leicht frierenden Hände ebenfalls tief in den Taschen meiner Jacke und beschleunigte meinen Schritt wieder, Yuuto sollte nicht zu lange auf mich warten. Die Ruhe dieses kleinen Spaziergangs genoss ich, immerhin hatte ich das deutliche Gefühl, dass es für mich die Ruhe vor dem Sturm war. Yuuto empfing mich mit einem Grinsen und duftendem Kaffee in seiner Küche. Hervorragend, genau das brauchten meine Nerven jetzt! Noch einigermaßen guter Laune, setzte ich mich ungefragt an seinen Küchentisch und schnappte mir die Tasse mit dem Digimon-Aufdruck, die in diesem Haus schon immer ‚meine’ gewesen war. Ein Hoch auf meine immerwährende Autorität in diesen heiligen 4 Wänden! „Na, was führt das Schäfchen nun letztendlich doch zu mir zurück?“, fragte mein bester Freund mit einem wissenden Lächeln – als ob ich ihm irgendetwas lang und breit erklären müsste. „Die Angst vorm Wolf, der mir den Kopf abbeißen will, auch bekannt als Byou“, antwortete ich seufzend, stellte die Tasse wieder ab, nachdem ich murrend festgestellt hatte dass mein Kaffee noch zu heiß war. „Das heißt, du hast dich entschieden?“ Ja, ich musste ihm wirklich nicht viel erklären. Dennoch wollte ich, dass dies ein klärendes Gespräch wurde, und keine abgehackte Nummer. „Eigentlich schon...“, murmelte ich, wieder deutlich leiser geworden, „aber... wie um alles in der Welt soll ich das Jin beibringen? Er wird mich hassen.“ Yuuto zog eine Augenbraue hoch und musterte mich, mit einem halb ungläubigen, halb amüsierten Blick. „Schätzchen, That’s life. Natürlich wird er dich hassen. Zumindest für eine Weile. Nach einer Zeit wird er’s verkraften, schätze ich. Du kennst doch Jin, er ist nicht ein Leben lang nachtragend.“ Die selbstlose Art und Weise, wie er das sagte, ließ mich laut aufseufzen. „Glaubst du nicht, es gäbe irgendeinen... irgendeinen Weg, der für alle gut ist?“, fragte ich kleinlaut. Ich nippte mit den Lippen an meiner Digimon-Tasse, und musste für ihn in diesem Moment wohl wie ein völlig verstörtes Kleinkind wirken. War ja auch gar nicht mal so weit daneben. „Doch, den gibt es“, setzte Yuuto plötzlich wieder dran, allerdings beobachtete ich mit Unruhe, wie sich seine Stirn in Falten legte, „Denselben Weg, den du soeben zu mir gefunden hast. Wenn du Byou und Jin nicht gleichberechtigt behandelst, nämlich dass sie ein sehr gutes Recht darauf haben die GANZE Geschichte – und wirklich die ganze – zu erfahren... dann wirst du vermutlich nicht ohne blaue Flecken von Byou und tiefe seelische Wunden, die dir Jin’s Enttäuschung darbieten wird, davonkommen. Im Klartext, alle, die an der Sache irgendwie beteiligt sind, müssten miteinander darüber reden.“ Er stoppte seinen Redefluss und schüttelte kurz den Kopf, ehe er sich umdrehte und begann, in einer Schublade seiner Küche herumzuwühlen. Er zauberte eine Packung Marlboro hervor, aus der er sich schließlich eine nahm und mir einen Blick zuwarf, der wohl in etwa ‚Hast du Feuer?’ aussagen sollte. „Seit wann rauchst du wieder?“, fragte ich erstaunt. Er zuckte mit den Schultern. „Ich tu’s nur, wenn ich sehr gestresst bin.“ Yuuto war gestresst? DAS war sein gestresster Zustand?! Himmel, wie ruhig er blieb! Wenn ich so richtig gestresst war, dann würde ich stets am liebsten alles um mich herum kurz und klein schlagen, oder einfach mal so richtig laut schreien. Aber da schien mein Bester auf einem völlig anderen Level zu sein. „T-tut mir leid, Yuuto...“, entkam es mir plötzlich. Richtig, immerhin war diese Situation eigentlich einzig und allein meine Schuld, und das von Anfang an... Weil ich immer so dermaßen überreagierte. Ich konnte es nicht steuern, aber das zählte eigentlich nicht als Ausrede. Ich war einfach nur ein Looser, und meinetwegen machte Yuuto sich hier die Mühe? Er grinste allerdings nur und zündete sich scheinbar seelenruhig die Zigarette an, nachdem er doch noch ein Feuerzeug in seiner Schublade gefunden hatte. „Halt die Klappe Manabu. Du brauchst dich bei mir für gar nichts zu entschuldigen. Denk lieber über eine Entschuldigung für Jin nach.“ Keine Sorge Yuuto, das tat ich, und wie ich das tat... Ich blieb lange bei ihm, erzählte ihm alles – und zwar wirklich alles, bis ins kleinste Detail – was es zu erzählen gab, was passiert war, über Kazuki und Chieco, und über den Entschluss meine Entscheidung zu treffen. Alles was er brauchte, um mich zu verstehen und dementsprechend handeln zu können. Und schließlich war ich derjenige, der Kazuki anrief, und Yuuto kümmerte sich darum Byou und Jin zu erreichen. Yuuto war der Meinung, dass Chieco auch mitkommen sollte, denn ohne sie wirkte Kazuki recht haltlos. Ungefähr so, wie ich nun mal ohne meinen besten Freund wirkte. Abgesehen davon hing sie auch in der Geschichte mit drin, und wir hatten klar und deutlich abgesprochen, dass wir alle Dinge zu diskutieren hatten. Wir würden uns gleich morgen in unserem Garagenraum für Bandproben treffen und die Sache hinter uns bringen. Aber, Gott, ich war schrecklich nervös. Yuuto meinte, es würde alles gut gehen, oder zumindest würden wir auf diese Art das Schlimmste vermeiden. Schlimm werden würde es dennoch. „Hey, Manabu. Was hältst du davon, wenn wir heute einfach feiern gehen, damit du dich ein bisschen beruhigst?“, schlug Yuuto plötzlich vor. Was folgte, war ein ungläubiger Blick meinerseits. Also, mir war ja nach allem zumute – Selbstmord, Heulen, meinen Koffer packen und Japan verlassen um in Amerika ein neues Leben anzufangen – aber nach feiern war mir jetzt nicht unbedingt. „Ist das dein Ernst?“, fragte ich daher mit hochgezogener Augenbraue noch einmal nach. Er nickte lächelnd. Mit prüfendem Blick wog ich ab, ob das nun gut oder schlecht war. „Klar. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein bisschen Alkohol dir jetzt helfen könnte, mal deinen Kopf durchzuwaschen. So viel Mindfuck wie du in den letzten Tagen wahrscheinlich hattest, würd ichs auch nicht anders machen, das gehört alles mal rausgespült, und danach kannst du wieder klar denken...“ Und dieser Vorschlag kam von IHM. Von der Person, die mich meinem Dasein als Alkoholiker vor einigen Jahren entzogen hat. Soviel also zum guten Vorbild! „Wenn... wenn du meinst?“, fragte ich, nach wie vor unsicher, und mein bester Freund grinste mich übers ganze Gesicht an. „Komm schon. Das wird lustig, und Spaß hast du grade dringend nötig!“ „Ohne Jin und Byou? Du weißt, dass ich armseliges Etwas sonst keine Freunde habe“, entgegnete ich ihm mit einem sarkastischen Grinsen, weil es zwar die Wahrheit war, aber die genauso traurig wie lustig für mich war. „Na und? Wir haben früher auch immer zu zweit scheiße gebaut.“ Argument. „Okay, was hältst du davon – ich geh noch kurz nach Hause um mich weniger wie eine Leiche aussehen zu lassen, komm zurück zu dir und wir leeren die erste Flasche bei einer Runde MarioParty. Dann gehen wir in die Stadt.“ „Klingt nach nem Plan.“ Gesagt, getan – oder zumindest fast so, wie es geplant war. Aus der einen Flasche bei MarioParty wurden schnell zwei – oder drei...?-, nachdem wir beschlossen hatten dass jeder trinken musste wenn er ein Minispiel verliert. Von daher waren wir beide bereits ein bisschen angeheitert, als wir Yuuto’s Wohnung verließen um noch auszugehen, und nahmen uns vor den restlichen Abend nicht mehr allzu viel alkoholisches zu uns zu nehmen. Wir waren zu Fuß unterwegs, da der nächstbeste Club, in dem wir sowieso immer landeten, nicht weit entfernt war. Ein großes, dunkel wirkendes Gebäude, auf den ersten Blick nicht sonderlich einladend, aber dennoch der beste Platz zum Feiern in dieser Gegend. Nicht sehr groß, nicht das, was man von Tokyo’s Nachtleben gewohnt war, aber groß genug für kleine Runden und gemütliches Beisammensein. Und außerdem, die hatten wenigstens gute Musik. Wir betraten dass Gebäude und suchten uns direkt einen Weg zur Theke, um uns dort auf den schwarzen Hockern niederzulassen. Bevor ich etwas sagen konnte, hatte Yuuto auch schon für mit mitbestellt, und ließ danach prüfend seinen Blick durch den Raum schweifen – um, wie er mir dann scherzhaft mitteilte, ‚ein potentielles Vergewaltigungsopfer ausfindig zu machen’. Wenigstens einer von uns hatte hier noch Humor! Aber hey, vom Nintendospielen bis hierher hatte ich bereits mächtig Spaß gehabt, und auch hier fühlte ich mich nach all den nervenzerreißenden Tagen mehr als nur wohl. Einfach nur mit meinem besten Freund abhängen, so wie früher, noch bevor ich Jin und Byou kennengelernt hatte, zu Zeiten, als Yuuto-sama noch damit beschäftigt war, mich aus meiner Lebenskrise herauszuziehen. Ich wippte mit dem Fuß im Takt zur Musik und summte die Melodie, die der DJ vorgab, leise mit. Meine Augen schweiften über die Tanzfläche und irgendwie hätte ich ja gute Lust, mich dort ein wenig zu verausgaben. Hatte ich lange schon nicht mehr getan! Dennoch verschob ich diesen Wunsch auf später und stieß stattdessen zum erneuten Mal an diesem Abend mit Yuuto an, mehr oder weniger auf unsere Freundschaft. In Gewissem Sinne hatte er recht gehabt. Es fiel mir zwar verdammt schwer, einfach mit ihm Spaß zu haben und so zu tun als wäre absolut nichts passiert, aber es tat dennoch gut. Einfach mal abzuschalten. Aber ob das wirklich eine gute Idee war? Ich fühlte mich momentan gut, keine Frage, aber ich hatte dennoch ein ungutes Gefühl in der Magengegend, das mir anscheinend sagen wollte, es würde noch irgendetwas schief laufen. Aber hey, was konnte schon groß passieren, außer dass ich in eine Schlägerei geraten könnte, mir was brechen könnte, von einem Auto überfahren werden könnte, in einer Mülltonne übernachten könnte... Egal, was passieren würde, solang ich nicht starb, hätte ich am nächsten Morgen was zu lachen. Es war, anmerkend, der Alkohol, der mich so selbstlos denken ließ. Vielleicht hätten wir einfach die Mario Party Runde weglassen sollen, ich hatte eindeutig zu oft verloren. „Manabu? Wo starrst du bitte hin?“, riss mich auf einmal eine Stimme aus meinen wirren, unsortierten Gedanken, die sich mit jedem weiteren Glas langsam in Luft auflösten. „Häh?“, gab ich äußerst intelligent zurück. Erst dann bemerkte ich, dass ich schon eine ganze Weile, seit wir hier an der Theke Platz genommen hatten, zu einem bestimmten Tisch hinüberstarrte. Irgendetwas schien meinen Blick dort festgehalten zu haben. „Stehst du neuerdings auf Brüste?“, Yuuto lachte und klopfte mir auf den Kopf, als würde er feststellen wollen, ob es vielleicht verdächtig hohl klang. Und noch einmal brauchte es einen Augenblick, ehe ich erkannte, dass an dem Tisch den ich angestarrt hatte zwei sehr hübsche Mädchen saßen, die sich küssten. Beschämt sah ich zur Seite und griff zu meinem Glas, um dieses Bild- Moment. Nein, warte. Ich hatte nicht ohne Grund dorthin gestarrt! „Umm... das... das ist Chieco. Also... die mit den langen, braunen Haaren“, stammelte ich und Yuuto’s Augen wurden noch im selben Moment tellergroß. „DAS ist Kazuki’s beste Freundin?! Und mit der wohnt er zusammen? Da hoff ich aber mal für dich, dass er ausschließlich auf Kerle steht!“, platzte er ungehalten heraus und warf noch mal einen unsicheren Blick zu den beiden Mädels hinüber, „...also ich jedenfalls würde ihn beneiden...!“ Diese Aussage fand ich dermaßen lustig, dass ich mich erstmal gründlich an meinem Getränk verschluckte, ehe ich in schallendes Gelächter ausbrach. „So witzig find ich das jetzt nicht!“, schmollte er und stützte sich mit einem Arm an der Theke ab, „Ich mein okay, du bist schwul, aber sieh dir das Mädchen doch mal an! Die macht schon einiges her.“ Das sein Hauptaugenmerk anscheinend auf ihrer Oberweite lag war so offensichtlich, dass es mich noch mehr amüsierte als ich es sowieso schon war. „Sie ist ja auch Model nebenberuflich, soweit ich weiß...“, gab ich wenig beeindruckt zurück, „...und sie ist musikalisch übrigens schon erfolgreicher als wir.“ „Bitte was? Gib mir ihre Nummer!“, forderte er, diesmal allerdings mit einem Lachen, um mir zu verstehen zu geben dass er es nicht ernst meinte. Ich überlegte, wieso genau ich eigentlich nicht aufstand um Chieco zu begrüßen, die mich noch nicht gesehen hatte, weil sie uns beiden den Rücken zugewandt hatte.Vielleicht wollte ich sie einfach nur nicht mit ihrer Freundin stören. Die war aber auch ganz schön hübsch. Glattes, schwarzes Haar, ungefähr mittellang, typisch japanisch eben. Und ein hübsches, niedliches Gesicht. Sie trug auffällige Kleidung, die mich stark an diverse Oshare Kei Bands erinnerten. Um ihren Hals baumelte eine große Kette, aber ich konnte nicht ganz erkennen, was darauf geschrieben stand. Ihre Freundin sah für mich sehr jung aus, aber da hatte ich mich ja auch in Chieco bereits getäuscht. Man könnte die beiden für 16 halten. Kein schlechter Geschmack, Chieco. Wer von den beiden wohl die Dominante in der Beziehung war...? „Aber hey, heißt das nicht Kazuki könnte hier auch irgendwo sein?“ Genau im selben Moment durchfuhr mich ein ziemlicher Schrecken, und Yuuto’s Worte verdoppelten die Wirkung. Jin war hier. Und zwar nicht irgendwo im Raum, sondern schon auf direktem Weg zu uns beiden. „Jin, du auch hier?“, entkam es Yuuto überrascht. Anscheinend dachte er sich gerade dasselbe, was ich mir gedacht hatte – nämlich ‚oh Shit’ oder Ähnliches. Der blonde Drummer hob die Hand zur Begrüßung und zwang sich zu einem Lächeln. Dass es gezwungen war, konnte ich deutlich erkennen, waren wir doch eine ganze Weile zusammen gewesen... Verdammte scheiße. Das hier hätte ein Abend werden sollen, der mich von meinen Sorgen und schlechten Gedanken abbrachte, und jetzt war Jin hier und im allerschlimmsten Fall trieb sich auch Kazuki hier irgendwo herum! Hätte es denn noch irgendwie schlimmer kommen können?! Aber, wie so oft, hätte ich genau diese Frage erst gar nicht stellen müssen. Eigentlich müsste ich es mittlerweile gewohnt sein, dass Gott einem jedes Mal ein ‚Challenge accepted’ zurückbrüllte, wenn man ihn fragte ob es denn noch schlimmer ginge. „Hey, Manabu.“, sagte Jin, ohne mich dabei überhaupt richtig anzusehen, und ich wäre in dem Moment am liebsten gestorben. „Jin... Y-Yuuto hat dich doch angerufen oder?“, ich warf einen unsicheren Blick zu meinem besten Freund, dachte mir aber noch im selben Moment, wie dumm das eigentlich von mir war. Ich tat grade so, als könnte ich Yuuto nicht vertrauen. Wenn nicht ihm, wem denn sonst?! „Ja, hat er. Und warum nicht du selber?“, Jin sagte diese Worte recht nahe bei mir, sodass Yuuto ihn wegen der lauten Musik nicht ganz verstehen konnte. Ich jedoch schon. Mir steckte ein fetter Kloß im Hals. In einer verzweifelten Geste fuhr ich mich mit meiner rechten Hand durch die Haare und biss mir fest auf die Unterlippe. „Hey... wir wollten doch... morgen darüber reden. So haben wir das ausgemacht, oder nicht...?“, fragte ich ihn unsicher. Ich bemerkte Yuuto’s sorgenvollen Blick. Er schien bereit, sofort einzuschreiten, sollte die Sache jetzt irgendwie eskalieren, bevor mit anständig miteinander reden könnten. „Ja, Yuuto hat das so mit mir ausgemacht. Mit dir würd ich gern jetzt noch kurz reden, wenns dir in den Kram passt.“ Diese Ausdrucksweise. Ich war vieles von Jin gewohnt, aber das passte absolut nicht zu ihm, schon gar nicht der sarkastische Unterton, der in seiner Stimme mitschwang. Aber ich konnte es durchaus verstehen. Ich hatte mir längst zu viel erlaubt. Viel zu viel. Zögernd gab ich mir schließlich einen Ruck und erhob mich von dem Barhocker. Yuuto warf mir einen warnenden Blick zu. Ich konnte ihm ansehen, dass er mir sagen wollte, ich sollte einfach Nein sagen und jetzt nicht mit Jin über irgendetwas reden. Aber ich wollte ihm nicht noch mehr antun... Ich war mir sicher, wenn er sich jetzt bereits in einem so gereizten Zustand befand, würde es morgen doch nur noch schlimmer werden. Vielleicht konnte ich ihn irgendwie milder stimmen, ehe es zum gemeinsamen Gespräch kam. Vielleicht... Nervös folgte ich Jin in einen etwas abgelegeneren Teil des Clubs, wo Yuuto uns nicht sehen konnte und es zumindest ein bisschen ruhiger war, sodass wir uns auch ungestört unterhalten konnten. Noch während ich mich mit ihm durch die Menge drängte, spürte ich beinahe einen Blick auf mir, und die Bestätigung erhielt ich als ich mich unruhig umsah. Chieco hatte mich nun auch entdeckt. Sie wirkte überrascht. Ich ignorierte sie und folgte weiter meinem... nun, was war er für mich? Noch-Freund? Oder bereits Ex-Freund? Offiziell war ja noch überhaupt nichts beendet, aber ich sah es bereits kommen. „Was soll das alles?“, fragte er schließlich unverblümt. Er war stehen geblieben, lehnte sich gegen eine Wand und sah mich durchdringend an, während ich selber zu überrascht war, um etwas sagen zu können, „Warum erzählt mir Yuuto, wir müssten morgen alle miteinander über etwas reden? Warum hast du mich nicht selber angerufen? Und über was sollen wir reden?“ Viel zu direkt. Wieso stellte er mir diese Fragen JETZT?! Das alles waren Dinge, die ich ihm am nächsten Tag sagen hatte wollen! Nicht jetzt, nicht hier! Mein Kopf machte mich kurz darauf aufmerksam, dass der Jin, den er kannte, die Sache ohne weiteres verstanden hätte und garantiert bis zum nächsten Tag keine Fragen gestellt hätte, es sei denn – Natürlich. Er war betrunken. Das merkte man ihm nie wirklich an, außer durch die Tatsache, dass er plötzlich Dinge von sich gab, die er sonst niemals aussprach. Das hätte mir früher auffallen sollen. „Du hast schon recht viel erwischt, oder, Jin...?“, fragte ich vorsichtig nach, und seine Reaktion bestätigte es mir. Er ging mir sofort an den Kragen, mit einem wütend-verzweifelten Ausdruck in den Augen. „Halt die Klappe!“, zischte er, ließ mich dann allerdings sofort los, ein wenig verwirrt über sich selbst. Immerhin hatte er gerade gewirkt, als hätte er mich schlagen wollen. Nach dem, was ich mir geleistet hatte, konnte er mich aber auch ruhig schlagen, so viel er wollte, ich hatte momentan wirklich nichts anderes verdient. „Beruhige dich, bitte... Wir haben nicht ohne Grund beschlossen, morgen alle miteinander zu reden. Ich werde dir alles sagen, was du wissen willst. Ich werde dich nicht mehr anlügen oder versuchen, dir irgendwie aus dem Weg zu gehen... Aber ich kann dir in deinem jetzigen Zustand sicher nichts sagen!“, sagte ich und hoffte, er würde mich verstehen. Meine Hand begann leicht zu zittern, als ich merkte, wie er vor mir mit den Tränen kämpfte. Mein ganz persönlicher Albtraum nahm erneut seinen Lauf. „Also hast du mich belogen. Du bist mir aus dem Weg gegangen.“, stellte er fest und biss sich dabei beinahe seine Unterlippe blutig. Ich konnte es nicht mit ansehen, aber genauso wenig hatte ich eine Chance, ihm irgendwie aus dem Weg zu gehen. Jetzt nicht mehr. „Und es tut mir leid. Ich glaube, mir hat noch nie in meinem Leben etwas so leid getan... aber bitte versteh, dass ich dir das alles nicht jetzt-“ „Halt’s Maul...“ Die Worte waren nur leise, allerdings packte er mich im nächsten Moment erneut am Kragen und riss daran, um mich herumzudrehen. Mittlerweile waren zwei kleine Tränen über sein Gesicht gerollt. Er drückte mich gegen die Wand, doch es wirkte nicht bedrohlich – im Gegenteil, es wirkte viel mehr, als wollte er mich einfach nur festhalten und nicht mehr gehen lassen. Mehr verzweifelt als wütend. „I-ich liebe dich...“, entkam es ihm stockend. Es fehlte nicht viel, um mein Herz zum Zerreißen zu bringen. „Jin... bitte... bitte beruhige dich!“, versuchte ich es noch einmal vorsichtig, drehte meinen Kopf weg und schloss dabei die Augen, als könnte ich dadurch ausblenden, welche Schuld gerade auf meinen schwachen Schultern lastete. Jin’s Hand wanderte in meinen Nacken, er riss meinen Kopf grob nach vorne und presste seine weichen Lippen auf meine. ‚Nicht...!’, dachte ich nur, blieb jedoch im ersten Moment einfach nur geschockt stehen, unfähig, irgendetwas zu tun. Jin’s linke Hand umklammerte meinen Arm, so fest, dass es bereits weh tat. Sein Kuss wirkte verzweifelt. Mein Mitleid verhinderte, dass ich reagierte. Aber ich musste irgendwie reagieren! Ich krallte mich in sein Hemd und drückte ihn schnell von mir weg, um den Kuss zu lösen. Er keuchte leise, sah zu Boden, ließ jedoch meinen Arm nicht los. Ich sah, dass er weinte. „Warum? Was mache ich falsch?“, fragte er leise. Gar nichts. Überhaupt nichts machte er falsch. Ich war derjenige, der alles falsch machte. Zögernd zog ich ihn in eine Umarmung, die für mich bereits eher freundschaftlich wirkte, als dass irgendjemand uns für ein Paar hätte halten können. „Du machst nichts falsch. Es ist meine Schuld, Jin... Du kannst überhaupt nichts dafür, für gar nichts.“ Ich wusste, wie lächerlich meine Worte klangen. Ich gab ein erbärmliches, klischeehaftes Bild von jemandem ab, der seinen Freund betrogen hatte. Das Niveau hatte sich in meinem Keller verkrochen und heulte dort. Aus den Augenwinkeln entdeckte ich erneut Chieco, und dieses Mal mit genau demjenigen, den ich noch befürchtet hatte. Kazuki war hier, und er starrte geradewegs zu mir und Jin herüber. Sein scharfer Blick war für mich nicht zu deuten. Wunderbar, konnte jetzt bitte auch noch Byou irgendwo auftauchen, um der Sache die Krone aufzusetzen? Wie viel Pech konnte man an einem einzelnen Abend haben?! Mit glasigem Blick sah Jin zu mir auf. Sein Blick schien erneut darauf aus zu sein, mein Herz zu vernichten. „Und was wirst du mir dann morgen sagen? Dass es vorbei ist? Das weiß ich jetzt auch schon...“, sagte er, rammte mir damit einen weiteren imaginären Dolch in die Seele. „Das... Verdammt Jin, ich wollte...“, - nein, ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Ich sollte lieber meine vorlaute Klappe halten. Es half nichts. Ich hatte Jin verletzt, und das mit vollem Bewusstsein. Und als hätte er mir nicht schon genug ins Gewissen geredet, setzte er noch eins drauf. „Ist Kazuki so viel besser als ich, hm? Was gibt er dir, was ich nicht kann?“, seinem dunklen Tonfall war anzumerken, dass es spätestens jetzt für mich gefährlich wurde, „Vögelt er dich? Wusste nicht, dass du auch drauf stehst unten zu liegen...“ Meine Augen wurden ein ganzes Stück größer, als Jin mich erneut zurückdrängte, diesmal allerdings tatsächlich auf eine sehr grobe Art und Weise. Er war wütend, verzweifelt und wirkte, als wäre er in seinem momentanen Zustand zu absolut allem fähig. Das war nicht der Jin, den ich kannte und gewohnt war. Bevor er jedoch irgendetwas tun konnte, sah ich Yuuto, der auf uns zukam und so schnell er konnte Jin von mir wegriss. Ich sollte ihn als meinen persönlichen Gott bezeichnen. Für ihn selbst ging die Sache allerdings weniger gut von dannen, denn Jin wehrte sich sofort gegen ihn, zappelte und machte es meinem besten Freund sehr schwer, ihn festzuhalten. „Jin, beruhig dich verdammt!“, sagte Yuuto. Im nächsten Moment gab er einen Schmerzenslaut von sich, ohne dabei jedoch den blonden Drummer loszulassen, der ihm grob seinen Ellbogen in den Magen gerammt hatte. „Fuck...“, entkam es Yuuto nur leise, und sein Griff wechselte nun ebenfalls zu einem weniger sanften, quasi als Rache für den Stoß. „Aua! Lass mich los, Arschloch!!“, schrie Jin sofort aus vollem Hals. „Erst wenn du dich beruhigst!“, kam es ebenso aggressiv zurückgeschrien, und daraufhin wurde der Blonde tatsächlich ruhiger. Einen prüfenden Blick später wurde er losgelassen. Er blieb ruhig stehen, zwischen Yuuto und mir. Seine Hände zitternden und er schien etwas mit aller Kraft zurückhalten zu wollen. „Ich hasse dich, Yuuto.“, platzte es schließlich doch heraus, und verschlug mir auf der Stelle den Atem, „Ich hasse dich dafür, dass du dich immer auf seine Seite stellst, völlig egal, ob es gerechtfertigt ist oder nicht. Verreck doch...“ Ich sah, wie Yuuto sich zusammenreißen musste, um seine Ruhe zu bewahren. Diese Worte von jemandem gehört zu bekommen, der eigentlich ein sehr guter Freund für einen war, war hart. Ich hatte das schon oft erlebt, wenn Jin betrunken war. Ständig hatte er in diesem Zustand völlig offen Dinge gesagt, die er im Normalfall niemals gesagt hätte. Und niemals war ich mir sicher gewesen, ob er einfach nur die Wahrheit sagte, die er sonst nicht über sich brachte, oder ob zu viel Alkohol einfach einen anderen Menschen aus dem sonst so liebenswürdigen Drummer machte. „Jin... du... wirst jetzt gehen. Und wir sehen uns morgen. Ist das klar?“, sagte Yuuto. Seine Stimme klang brüchig. Ich hatte ihn noch nie so erlebt, oder fast noch nie. Er sah richtig bestürzt aus. Jin schenkte ihm nur ein sarkastisches Grinsen. „Ist das ein Leader-Befehl?“, fragte er, nicht ganz ernst gemeint, woraufhin sein Gegenüber sich zu einem Lächeln zwang. „Ja“, sagte er einfach, und es schien Jin noch mehr zu reizen. Jedoch zeigte es die Wirkung, die Yuuto sich erhofft hatte, denn er verließ uns einen Moment später ohne ein weiteres Wort. Ich hatte in den letzten Wochen kaum etwas wirklich richtig gemacht, aber in diesem Moment wusste ich, dass mein bester Freund durchaus eine Umarmung nötig hatte. Ich zog ihn an mich und er ließ es stumm geschehen. Natürlich, er war keine Heulsuse, ein kurzer Moment würde genügen, und er hätte seine Fassung wieder erlangt. Er war nun einmal ein willenstarker Mensch. „Alles klar?“, fragte ich leise. Nur zu deutlich hatte ich gesehen, wie Jin’s Worte ihm wehgetan hatten. Ich kannte ihn nun lange genug, um das zu merken. „Ja Mann, geht schon...“, antwortete er nur, löste die Umarmung und ließ seinen Blick durch die Menge schweifen. Irgendwie hatten wir beide die Lautstärke hier schön völlig ausgeblendet, es war, als würden die ganzen Leute und die Musik erst jetzt zurückkehren, und wir wären für eine Weile ganz woanders gewesen. Ich hielt Ausschau nach Kazuki und Chieco. Was allerdings nicht nötig war, denn die beiden waren bereits auf dem Weg zu uns, nachdem sie festgestellt hatten, dass Jin sich verzogen hatte. „Was war das denn grade?“, fragte Kazuki, allerdings weniger forsch, da er im Prinzip wusste, dass er nicht fragen sollte. Yuuto winkte ab und schien damit beschäftigt zu sein, seine Gedanken wieder zu sammeln. Chieco legte mir besorgt eine Hand auf die Schulter. Ich hatte irgendwie das Gefühl, sie hätte absolut alles verstanden, was in diesem Moment in mir vorging. Ihre Freundin war auch im Schlepptau, hielt sich jedoch schüchtern hinter der Sängerin versteckt und sagte nichts. „Nichts... Wir werden uns wie geplant alle morgen treffen. Der Schwierigkeitsgrad des Gesprächs hat sich nur grade ein wenig erhöht“, sagte Yuuto schließlich. Schwierigkeitsgrad erhöht? Das traf es ganz schön gut, wenn man bedachte, dass Jin nun längst wusste was Sache war, mir das alles bereits an den Kopf geworfen hatte, Kazuki gesehen hatte wie Jin mich vorhin geküsst hatte, und zu guter letzt Yuuto offenbart wurde, dass Jin ihn anscheinend abgrundtief hasste. Nie wieder, das schwor ich mir, nie wieder würde ich mein kaum vorhandenes Glück so herausfordern. Kapitel 11: Wish you well ------------------------- Willkommen in meinem Leben. Ich war ein äußerlich erwachsener Vollidiot, der grade mal 4 Freunde hatte wenn überhaupt, von denen mich zwei nun hassten und in einen war ich verliebt, ohne den Vierten brachte ich überhaupt nichts auf die Reihe und wie ein kleines Kind rannte ich meiner Jugendliebe hinterher, für die ich meine eigentliche Beziehung über den Haufen warf. Vollidiot war überhaupt kein Ausdruck für jemanden wie mich. Der gestrige Abend hatte all meine Hoffnungen auf ein ruhiges Gespräch vernichtet, und zusätzliche Probleme eingebracht. Kazuki’s misstrauischer Blick hatte mir gezeigt, dass er wohl den Eindruck hatte, ich würde immer noch an Jin hängen. Gewissermaßen tat ich das auch – aber auf eine völlig andere Art und Weise... Jin wusste längst, dass es vorbei mit uns war, und auch, dass es Kazuki war, mit dem ich ihn betrog. Ich hatte keine Chance mehr, irgendetwas rückgängig zu machen. Meine Entscheidung war mir von Jin abgenommen worden. Von Byou wollte ich überhaupt nicht erst anfangen. Um ehrlich zu sein, ich hatte vollkommen ernsthaft Angst, dass er mir wehtun könnte. Und zwar so richtig. Ob diese Angst berechtigt war oder nicht, darüber war ich mir nicht so sicher. Und zu guter letzt das, was Jin unserem Bassisten an den Kopf geworfen hatte. Dass er ihn hassen würde. Wir waren Freunde verdammt, wie konnte Jin so etwas sagen? War es wirklich nur der Alkohol, der ihm dermaßen gemeine Worte entlockte? Vielleicht dachte er aber auch, es würde Yuuto nicht allzu viel ausmachen. Immerhin war mein bester Freund einer von der gefühlsmäßig verschlossenen Sorte. Das änderte die Tatsache nicht, dass er den ganzen Vormittag heute bereits kaum ein Wort gesprochen hatte. Ich sah ihn nur noch nachdenklich ins Leere starren. Ich konnte mir gut vorstellen, was in ihm vorging. Seine Stirn legte sich ständig in tiefe Sorgenfalten. Yuuto war unser Bandleader, auch, wenn wir diese Sache nie so richtig offiziell ausgesprochen hatten. Tatsache, er war der einzige, der für diesen Job geeignet war. Er machte sich nicht nur um mich Sorgen, sondern um uns alle. Er machte sich Sorgen um die Aktivität und Weiterführung der Band, darüber ob zwischen uns alles funktionierte, er war stets für einen da wenn Hilfe vonnöten war. Aber jetzt hatte Jin etwas ausgelöst, was für Yuuto absolut ungewöhnlich war – dieses Mal machte er sich Sorgen um sich selbst. Ich verstand ihn. Auch wenn ich immer gedacht hatte, ich könnte ihn nicht durchschauen, so sah ich doch sehr deutlich, was gerade in ihm vorging. Selbstzweifel. Ob vielleicht doch alles, was er tat, einfach nur falsch war. Ob er sich vielleicht weniger wichtig aufspielen sollte... ob er falsche Entscheidungen und Handlungen getroffen hatte. Ob er ein unfaires Arschloch war. Ich sah die etlichen Fragen, die ihn beschäftigten, als stünden sie ihm direkt auf die Stirn geschrieben. Irgendwann zuckte er erschrocken, da er unbewusst einen Blick auf die Uhr geworfen hatte, während wir in seiner Wohnung frühstückten. Ziemlich spätes Frühstück natürlich. „Wir müssen los...“, gab er schwach von sich. Es klang so gar nicht nach dem motivierten und selbstsicheren Klang, den Yuuto’s Stimme sonst hatte. Er tat mir verdammt leid, vor allem da er sich immer noch alle Mühe gab, sich nicht anmerken zu lassen, was ihn beschäftigte. Er hatte es sogar gewagt, Byou noch einmal anzurufen, um sicher zu gehen, dass er und Jin auch wirklich auftauchen würden. Kazuki und Chieco hatten es versprochen und würden es auch halten. „Was wird aus der Band?“, fragte Yuuto plötzlich, wissend, dass momentan überhaupt nichts weiter gehen würde. Ich war mir selbst nicht ganz im Klaren darüber. Aber zumindest eines konnte ich ihm sagen. „Denk jetzt nicht zu viel nach. Das tut dir nicht gut.“ Er nickte. Der Weg zu unserer Probegarage erschien mir heute doppelt so lang, als es sonst der Fall war. Vielleicht lag es an meiner Angst, Jin und Byou gegenüber zu stehen. Ich hatte eigentlich keine Angst davor, mit ihnen zu reden. Aber ich hatte Angst davor, dass sie mich nicht verstehen oder nicht richtig zuhören würden. Wobei, es gab sowieso nichts, was mein Verhalten gegenüber Jin entschuldigen könnte. „Sag mal...“, fing Yuuto plötzlich zögerlich an, während wir über den Gehsteig schlenderten. Es war ein eisig kalter Tag. Meine Wangen fühlten sich schon nach wenigen Minuten taub an. „Hm?“, antwortete ich knapp, um ihn zum Weitersprechen zu bewegen. „Hatte Jin schon immer etwas gegen mich?“ Mein Kopf senkte sich und ich überlegte. Versuchte mich an jegliche Dinge zu erinnern, die Jin jemals über meinen besten Freund gesagt hatte. „Ich glaube... ich glaube, er war insgeheim eifersüchtig auf dich. Er hatte sicher nichts gegen dich als Person, aber ich habe Freundschaft schon immer wichtiger als eine Beziehung empfunden. Allerdings hätte Jin so etwas im Normalfall niemals laut gesagt, schon gar nicht auf so direkte Art und Weise... Wenn er zu viel trinkt, wird er sehr angriffslustig.“ Das war nichts als die Wahrheit. Schon mehrere Male hatte ich bemerkt, dass Jin ein wenig verägert wirkte – Betonung auf ein wenig, denn wir sprachen hier von jemandem, der für gewöhnlich einem Engel glich – wenn ich mehr Zeit mit Yuuto verbrachte als mit ihm. Aber was er gestern gesagt hatte, schien mir eher eine andere Sache zu sein. Jin war anscheinend enttäuscht von Yuuto, dass dieser mich verteidigte, obwohl ich derjenige war, der seinen Freund betrogen hatte. „Spar dir die Gedanken jetzt, ich denke, wir werden sie gleich brauchen.“, seufzte ich, denn unser Ziel war nur noch wenige Schritte entfernt. Das war nicht einfach nur ein Gespräch, um unsere Beziehungsprobleme zu klären. Es war ein Gespräch, das über die Zukunft unserer Band entscheiden würde. Als wir den Raum betraten, wo wir es in letzter Zeit irgendwie vernachlässigt hatten aufzuräumen – Unzählige Notenblätter lagen am Boden verteilt herum, und selbst Jin’s Drumsticks lagen unbeachtet auf dem Sofa, abgesehen vom restlichen Chaos – war außer dem Drummer noch niemand anwesend. Ich schluckte schwer und hoffte, dass die anderen bald auftauchen würden. Niemals hätte ich gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber ich wünschte mir irgendwie, Kazuki und Chieco wären bereits hier. Byou hingegen wollte ich momentan lieber nicht begegnen. „...hey“, begrüßte Jin uns leise. Er wirkte vollkommen zurückhaltend und eingeschüchtert. Keine Spur war zu sehen von der Aggressivität, die er am vorigen Abend hingelegt hatte. Etwas Ähnliches hatte ich mir bereits gedacht. „Sieht so aus, als müssten wir noch ein bisschen warten“, gab ich eher feststellend von mir. Jin lehnte am Holztisch, Yuuto und ich hatten uns auf dem alten Sofa niedergelassen. Die Stimmung zwischen uns Anwesenden wirkte seltsam melancholisch. Es schien keiner so recht zu wissen, wo man anfangen sollte, oder ob man fürs erste überhaupt nichts sagen sollte. „Jin,“, fragte ich plötzlich, „Wie viel weißt du überhaupt noch von gestern?“ Die Frage war ihm sichtlich unangenehm. Er biss auf seiner Unterlippe herum. „...genug um zu wissen, dass ich mich unmöglich benommen habe...“, sagte er schließlich leise, und wäre die Situation nicht so dermaßen beschissen gewesen zwischen uns beiden, hätte ich gelächelt. Es tat ihm tatsächlich leid. Zwar bezog ich das nun auf Yuuto und nicht auf mich, aber es machte immerhin eine Sache einfacher. „Y-Yuuto... ich weiß, was ich zu dir gesagt habe gestern, aber bitte glaub mir, dass ich es nicht dermaßen ernst gemeint habe“, sagte er und starrte zu Boden. Er schien Yuuto nicht ansehen zu wollen. Dieser wandte ebenfalls seinen Blick ab. „Aber etwas Wahres war dran, hm?“, fragte er. Seine Stimme klang seltsam melancholisch. Ich überlegte, ob Jin nun überhaupt die Wahrheit sagen würde. Andererseits war ich mich sicher, dass er verstand, dass es keinen Sinn mehr hatte jetzt auch nur einen von uns anzulügen. Das heutige Treffen diente dem Gegenteil. „Teilweise, ja...“, brachte der Drummer schwer hervor. Ich konnte mir vorstellen, dass sein Ausbruch vom letzten Abend für sie beide einen tiefen, kaum überwindbaren Graben durch ihre Freundschaft gezogen hatte. „Ich hielt es einfach nicht für richtig, dass du ihn unterstützt. Selbst in dieser Situation stehst du auf seiner Seite... Vollkommen egal wer von uns beiden recht hätte, du würdest trotzdem Manabu unterstützen.“ „Das stimmt nicht“, widersprach Yuuto sofort, „Ich verteidige ihn deswegen, weil du seine Geschichte nicht kennst. Denk mal an Byou. Er kennt dich hundertmal besser als Manabu und ich. Er weiß vermutlich alles, was du jemals in deinem Leben durchmachen hast müssen. Und genau deswegen, weil er über Manabu nichts weiß, wird er immer auf deiner Seite sein und niemals auf seiner. Das ist dasselbe Prinzip...“ Jin schwieg. Er wirkte verunsichert und nachdenklich. Wahrscheinlich war ihm erst jetzt bewusst geworden, dass er mich, obwohl wir lange zusammen waren, nicht annähernd so gut kannte wie mein bester Freund es tat. Noch während die beiden sprachen, kam der Rest der Truppe an, Kazuki – gefolgt von Chieco – und Byou nur wenige Momente nach ihnen. „Was hast du mir dann alles verschwiegen, Manabu? Wieso konntest du mir nicht auch erzählen, was du Yuuto alles erzählt hast? Das hätte die Sache doch einfacher gemacht, oder?“ „Nein, nicht wirklich, Jin...“, antwortete ich ruhig, sah ihn dabei sogar an, aber er erwiderte meinen Blick nicht, „Ich konnte mich nie jemandem anvertrauen. Zu der Zeit, als ich Yuuto alles erzählt habe, war er noch fast ein Fremder für mich. Es tat gut, über diese Dinge zu reden, und es half mir auch – aber ich wollte es kein zweites Mal. Ich wollte das alles eigentlich hinter mir lassen...“ „Ich versteh das trotzdem nicht! Ich liebe dich, Manabu, kommt das in deinem Kopf an?! Ich habe keine Geheimnisse vor dir! Ich hätte dir alles erzählt! Warum ist das von deiner Seite aus so anders?“, tiefe Sorgenfalten legten sich auf meine Stirn, als ich bemerkte dass mein, nun wohl eher Ex-Freund, weinte. „Hast du mich überhaupt irgendwann mal auch so geliebt, wie ich dich? Oder bist du immer an Kazuki gehangen? Die ganze Zeit, die wir zusammen waren – warst du in Gedanken immer bei IHM?!“ Die letzten Worte entkamen ihm bereits sehr laut, um nicht zu sagen, dass er mich fast schon anschrie, und mir nun seinen verletzten Blick mit voller Wirkung entgegenschleuderte. Meine Hand zitterte leicht. Ich wollte ihn... umarmen, oder irgendetwas sagen, ihm irgendetwas Gutes tun. Aber was, und wie? Es schien mir unmöglich. Aber halt, irgendetwas stimmte doch nicht, hatte Jin gerade gesagt... „Jin? Du weißt, dass Kazuki und ich uns schon viel länger kennen, und was früher mit uns beiden war?“ Meine irritierte Frage war durchaus berechtigt. Woher wusste Jin davon? Hatte Yuuto es ihm etwa verraten...? Unsicher schielte ich zu meinem besten Freund, doch der wirkte genauso überrascht wie ich selbst. „Byou hat es mir erzählt... Dass du mit Kazuki zusammen warst, und dass er dich immer noch liebt. Spätestens da wusste ich, was... aber... Verdammt, ich dachte, ich wäre dir vielleicht irgendwie wichtiger! Ich dachte, du würdest ihm keine Chance geben und einfach...“ Ich senkte meinen Blick. Ja, der Manabu, den Jin kannte und liebte, der hätte das getan. Aber ich war nun einmal nicht der scheinbar willensstarke Typ, der jedes Problem mit einem Fingerschnippen löste – das war die Fassade, die ich aufrecht erhalten wollte, um ein erfolgreiches Leben zu führen und meine Liebe zu vergessen... „Jin, ich verstehe dich, und ich weiß, dass ich-“ „Manabu, es ist so was von scheißegal, was du für eine Aussage hast, NICHTS rechtfertigt, dass du Jin einfach für jemand anders wegwirfst!“ Die angriffslustigen Worte kamen natürlich direkt von Byou, nachdem dieser sich auf den Tisch gesetzt hatte, an dem Jin lehnte. „Und Kazuki, du bist kein bisschen besser. Du tauchst hier auf und mischst dich in anderer Leute Beziehungen ein, nur um das zu bekommen, was DU willst. Ihr seid beide verachtenswert. Und Yuuto, du verteidigst sie auch noch?!“ „Weil ich ihre Geschichte kenne, im Gegensatz zu dir. Ganz abgesehen davon, dass ich nur auf einer einzigen Seite bin – und zwar auf der Seite unserer Band“, sprach Yuuto. In diesem Moment klang er wieder genau wie der selbstbewusste Leader, der er sein sollte. Und die Worte lösten Betroffenheit im Raum aus, besonders bei Jin und Byou. Anscheinend war ihnen noch etwas zu spät bewusst geworden – wie würde diese Sache sich auf die Band auswirken, wenn sie sich alle zerstritten? War ein Streit dieser Art das wirklich wert? „Ich kenne sie auch! Woher weiß Jin wohl von der ganzen Sache? Ich habe Kazuki und Yuuto gehört, als sie hier in diesem Raum darüber geredet haben!“, gab Byou verbissen von sich. Fassungslos sah Kazuki den Sänger an. „Du hast uns belauscht?!“ „Und ich bin FROH, dass ich es getan habe!! Jin hatte ein gottverdammtes Recht, diese Sache zu erfahren! Ihr habt mehr als genug vor ihm geheim gehalten!!“, schrie er, woraufhin Kazuki erschrocken zusammenzuckte und beschloss, lieber seine Klappe zu halten. Ich konnte spüren, dass er sich unwohl fühlte, da Byou ihn hasste, obwohl sie sich gar nicht allzu gut kannten. „Findest du nicht, dass du gerade sehr unfair ausspielst, Byou? Du belauschst uns bei einem Gespräch, für das privat schon gar kein Ausdruck mehr ist, und findest es auch noch gerecht, selbiges sofort deinem besten Freund zu erzählen? Du solltest dich mal hören...“, sprach der Leader, jedoch im falschen Tonfall. Unser Sänger schien nicht so einfach zu beruhigen zu sein. „Unfair?! Ihr findet es also UNFAIR, wenn ich Jin unterstütze, weil sein Freund ihn betrügt?“ „Du unterstützt ihn NICHT deswegen, Byou!“, platzte es plötzlich aus mir selber heraus, „Du unterstützt ihn, weil er dein bester Freund ist! Du versuchst gar nicht, uns überhaupt zu verstehen! Und hör verdammt noch mal auf, Kazuki so anzuschreien, denn wenn das alles irgendjemandes Schuld ist, dann MEINE!“ Dass ich das nicht sagen hätte sollen, wurde mir einen kleinen Moment später schmerzlich bewusst. Byou war so schnell vor mir gewesen, dass weder Yuuto noch ich wirklich darauf reagieren konnten, packte mich und warf mich mit dem Rücken voran an die Wand. Ich spürte, wie meine Wirbelsäule vom Aufprall schmerzte, und biss mir auf die Unterlippe. Der Sänger hielt mich an meinen Haaren fest, was mir zusätzliche Schmerzen bescherte, und funkelte mich hasserfüllt an. Gefährlich. In diesem Moment hatte ich zum ersten Mal ehrliche Angst vor ihm. „Ja, Manabu, du hast recht!“, zischte er, „DU bist Schuld an allem. Ich sollte dir jetzt einfach alles brechen, was du hast, und damit hätten wir die Sache!!“ „Hör auf damit!“, hörte ich Chieco dazwischen rufen, „Das bringt überhaupt nichts! Du übertreibst maßlos!“ Als ob er auf sie hören würde! Vorher hätte er mich längst erwürgt! „Byou!! Hör auf, bitte!“ Überrascht sah ich, wie Jin auf uns zugerannt kam, und von hinten seine Arme um Byou schlang, der mich immer noch fest im Griff hatte. Der Drummer weinte immer noch. „Es ist... es wäre aufs selbe hinausgelaufen, früher oder später hätte Manabu mit mir Schluss machen müssen! Ich kann ihn nicht zwingen, mich zu lieben, und du auch, nicht also hör auf damit! Bitte...!“, flehte er noch einmal. Tatsächlich ließ der Sänger nun von mir ab. Erleichtert atmete ich auf, und Kazuki, der bereits eingreifen hatte wollen, zog mich in seine Arme. „Gott...“, flüsterte er, sichtlich erleichtert dass mir nicht ernsthaft wehgetan worden war. Ich wusste genau, dass er sich in diesem Moment an dasselbe erinnert fühlte wie ich – meine Hilflosigkeit während unserer gemeinsamen Schulzeit, in der er stets derjenige gewesen war, der mich beschützt hatte, wenn irgendetwas zu weit gegangen war. Byou schien zu zittern vor Anspannung, seine Wut war keinesfalls verflogen. Er konnte es nicht akzeptieren. Nicht so! „Habt ihr sie eigentlich noch alle? Vor allem du, Jin! Verdammt, wie lange willst du noch so tun, als würdest du alle Welt akzeptieren können, als würde dich überhaupt NICHTS stören und verletzen?! Wie lange willst du noch leugnen, wie du dich wirklich fühlst?! Du sagst NIE, was du wirklich denkst, es sei denn, du bist betrunken!“ „Halt die Klappe, Byou!!“ Stille. Hatte Jin gerade tatsächlich seinen besten Freund angeschrien? Die Tatsache überraschte alle Anwesenden. Besonders der Sänger schien überhaupt nicht glauben zu können, was sein Freund von sich gegeben hatte. „Was... Jin, du kannst nicht...“ „Ich kann sehr wohl!“, unterbrach der Blonde ihn erneut, und noch ehe Byou irgendetwas anderes sagen konnte, fuhr er bereits fort, „Byou, die Frage hier ist nicht, ob irgendjemand irgendetwas akzeptieren soll. Die Frage ist, warum wir streiten sollten, wenn wir es auch einfach lassen könnten! Du scheinst es ja drauf anlegen zu wollen! Was hast du für ein Problem damit, dass ich nun mal ein gottverdammter friedlicher Mensch bin, der solchen Situationen aus dem Weg gehen will?!“ Schon im nächsten Moment bereute er seine Wortwahl, denn sein bester Freund wirkte, als hätte er ihn soeben ziemlich verletzt. Unsicher zog er den Sänger in seine Arme, quasi als Entschuldigung. „Versteh mich bitte nicht falsch...“, der Drummer seufzte leise, „Aber... ich will die Band nicht aufgeben. Ich werde Manabu schon irgendwann vergessen können. Wenn ich ihn... eine Weile nicht sehen würde, könnte das vielleicht schon reichen... und- und Byou, ich weiß genau, dass dir die Band am Herzen liegt. Du warst derjenige, der immer davon geträumt hat, auf Bühnen zu stehen und zu singen. Und ich war derjenige, der versprochen hat, dich dabei mit allen Mitteln zu unterstützen. Und dieses Versprechen... will ich halten.“ Erneut überflutete eine unangenehme Stille den Raum, aber dem Sänger war mit einem Mal anzusehen, dass er verstand, und akzeptierte. Yuuto war fieberhaft am Nachdenken. „Du willst Manabu also für eine Weile nicht mehr sehen?“, fragte er noch einmal nach, wartete, bis Jin ihm ein zögerliches Nicken zur Antwort gab. „Dann werden wir die Band auf Eis setzen.“ „WAS?!“ Chieco, die als einzige verstanden hatte, wie Yuuto es richtig gemeint hatte, fing an zu lachen, als wir vier gleichzeitig wegen diesem einen Satz aufschrien. Ein gemeines Grinsen schlich sich auf die Züge des Bassisten. Die Reaktion zeigte ihm, dass uns allen die Band wichtig war, und dieser Vorfall keinesfalls etwas daran ändern würde. Auch, wenn es im Moment schwierig war. Sehr schwierig... „Ja, für eine Weile,“, grinste Yuuto, beobachtete unser aller Aufatmen und fuhr fort, „Für ein Jahr. Klar? Ein Jahr Zeit für euch, etwas vollkommen anderes zu tun, und um quasi neu anzufangen. Wie ein Videogame, bei dem ihr auf Pause drückt. In genau einem Jahr werden wir alle wieder hier sein, und genau da weiter machen, wo wir aufgehört haben.“ Ja, es war schwer. Und würde auch nur einer von ihnen nach dieser Auszeit nicht wieder auftauchen, dann würde es vorbei sein und sie alle würden getrennte Wege gehen. Doch das hinderte unseren Leader nicht daran, zu glauben. Er lächelte, und tatsächlich zeigten seine Worte eine Wirkung, die in uns allen wieder ein Gefühl von Gemeinsamkeit hervorrief – „Diese Band ist, wovon wir alle geträumt haben. Und das wird uns keiner nehmen.“ Ich liebte ihn, rein freundschaftlich zwar - aber dafür über alles. Es konnte keinen besseren Menschen auf dieser Welt geben als Yuuto! Es konnte keinen besseren Leader für SCREW geben! Er hatte wieder hervorgeholt, was sie alle tief vergraben hatten – die Wichtigkeit ihrer Band, und ihrer Freundschaft. Die Tatsache, dass diese Probleme sich lösen lassen, und sie deswegen nicht ihre Träume aufgeben mussten. Sie alle zusammen hatten die Kraft, um über Hürden wie diese hinweg zu kommen. Es würde weitergehen. Irgendwann. „War das ein Leader Befehl?“ „Absolut!“ Owari. --------------------------------------------------------------------- Sooo, hab ich es also tatsächlich noch geschafft, diese FF zu beenden :D Haaah. Ich wünschte, es wär wirklich so einfach, wie die 5 hier ihre Probleme gelöst haben! Zwar ist gelöst gar nicht der richtige Ausdruck für diesen Fall, aber dennoch, es ist besser, als zerstritten auseinander zu gehen und nie wieder mit dem anderen zu reden, oder nicht? Auch wenn man Probleme mit jemandem hat, man kann immer noch daran glauben, dass es nach ein paar Jahren wieder funktioniert. Whatever, ich hoffe sehr, dass diese FF allen Lesern bis zum Ende gefallen hat. Ich bin wieder ziemlich im Schreibfluss drin und werde daher gleich anfangen, am längst geplanten Chikashi High 2 zu arbeiten. Muss ich wieder in der Witzkiste graben, immerhin ist Chikashi High Geschichte voller Idioten XD Auf jeden Fall vielen Dank fürs lesen und tausend Dank an alle die mir stets Kommentare hinterlassen haben! Übrigens, der Titel dieses letzten Kapitels ist ein sehr schöner Song von Thousand Foot Krutch. Anhören kann ich nur empfehlen ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)