Ragnarök von Rhyo (Captivated Light) ================================================================================ Kapitel 4: Der Zwiespalt der Gefährten -------------------------------------- Nach dem nächtlichen Abenteuer in der Höhle sind die drei sofort im Gasthaus von Payon schlafen gegangen. Als Kirai am nächsten Tag die Dusche verlässt, ist es schon Mittag. Das zeigt, wie müde er gestern war. Verschiedene Bereiche seines Körpers tun immer noch ein bisschen weh, aber damit hätte man rechnen müssen. In Kürze wird sich das auch wieder gelegt haben. Er macht sich fertig und geht mit knurrendem Magen nach unten, doch er kann seine Gefährten weder im Speisesaal noch in den Vorräumen finden. Sie sind doch nicht schon ohne ihn gegangen? Nein, eher schlafen sie noch. Also läuft er die Treppe heiter wieder hoch und sucht nach Zimmer vier, das ist nämlich das von Luca. Er klopft mehrmals an die Tür, aber niemand reagiert. Schläft sie so fest? Unter der Dusche steht sie jedenfalls nicht, das würde man hören. Kirai gibt es auf und geht zu der Tür von Zimmer 3, in welchem Troy schläft oder zumindest geschlafen hat. Zögerlich klopft er an, und nach ein paar Sekunden öffnet der Ritter sie auch, aber offensichtlich kam er gerade aus der Dusche, denn er ist am ganzen Körper nass und nur mit einem Handtuch bekleidet, das seine Intimzone verdeckt. Beim Anblick all seiner ausgeprägten Muskeln wendet Kirai verlegen seinen Blick ab und sagt schüchtern: „Tut mir leid, ich wollte nicht stören...“ „Macht nichts“, lächelt Troy; „Ich war sowieso gerade fertig. Komm rein.“ Er folgt ihm ins Zimmer, wo er überraschenderweise Luca trifft, die gerade dabei ist, ihre Wäsche zu sortieren. „Warum bist du hier?“, fragt Kirai leicht verwirrt. Troy übernimmt das Antworten an ihrer Stelle: „Ich habe sie heute Nacht in meinem Zimmer schlafen lassen. Sie sah nicht gut aus, als wir aus der Höhle zurückgekommen sind, und ich habe mir Sorgen gemacht.“ Die Acolyte stimmt nickend zu. Kirai würde nicht so weit gehen, dem edlen Ritter Hintergedanken zu unterstellen, wenn er ein hübsches, junges Mädchen wie Luca mit auf sein Zimmer nimmt, aber trotzdem ist er etwas beleidigt, denn dadurch, dass die beiden in einem Raum geschlafen haben, haben sie ihn sozusagen ausgeschlossen. Zumindest fühlt es sich für Kirai so an. Er will das jetzt aber auch nicht ansprechen. „Wie geht es euch?“, fragt er stattdessen; „Mir tun immer noch meine Knochen weh, von gestern, aber euch hat es ja viel schlimmer erwischt.“ Während Troy wieder ins Bad verschwindet, um sich weiter abzutrocknen, ruft er ihm zu: „Gar kein Problem, dank einer großen Mütze Schlaf und Lucas Heilkräften.“ „Ah, also hat sich deine Spiritualenergie über Nacht regeneriert“, schlussfolgert Kirai und Luca hebt als Antwort ihre Hände und streckt sie ihm entgegen: „HEAL!“ Zeitgleich mit einem einhüllenden grünen Licht stellt sich ein angenehmes, wohltuendes Gefühl bei ihm ein, welches nach kürzester Zeit jeden Schmerz verschwinden lässt. „Oh... Danke, dich schickt der Himmel“, lobt der Thief sie. „Ich weiß“, entgegnet sie selbstzufrieden. Nach einer Viertelstunde sitzen sie bereits unten bei einem kalten Mittagessen. Da sie den kompletten Morgen geschlafen haben, fällt das Frühstück einfach weg. Luca und Kirai verdrücken ein Kuchenstück nach dem anderen. „Wie kann man nur jetzt schon so was süßes zu sich nehmen?“, seufzt er kopfschüttelnd und isst weiter seinen langweiligen Reis. „Haben wir uns nach der Sache gestern ja wohl verdient“, sagt Luca und Kirai nickt. Dies war ihr erstes richtiges Abenteuer, und so wie es in der Höhle zuging, ist schon die Tatsache, dass sie allesamt noch am Leben sind, ein Grund zum feiern. Der Ritter schweigt eine Weile, dann legt er seine Stäbchen hin und wendet sich an Kirai: „Luca hat mir erzählt, dass der Moonlight Dagger von einer Assassine gestohlen wurde, und du sie hast machen lassen. Kannst du mir das erklären?“ Zuerst lässt der Thief sich Zeit mit seiner Antwort, kaut erst zu Ende und schluckt ruhig runter. Als er dann jedoch den ernsten und auch irgendwie wütenden Blick von Troy sieht, wird er schnell nervös und sagt: „Sie hat doch Moonlight Flower bezwungen. Ich dachte, sie hat ihn sich verdient.“ Luca schaut grübelnd auf ihr Kuchenstück: „Nein... Du kanntest sie... Gib es doch zu...“ „Hör mir mal gut zu, Kirai“, sagt Troy scharf; „Wir haben uns nur wegen diesem verdammten Messer gestern mehrmals in Lebensgefahr begeben. Dass wir jetzt hier sitzen und essen können, das hat mehr mit Glück als mit irgendetwas anderem zu tun. Verschweig mir nichts!“ Er meint es ernst. Kirai hat keine Wahl, dann wird er ihnen eben davon erzählen. Auch wenn er es eigentlich für sich behalten wollte. „Diese Assassine... Sie heißt Shade. Sie hat mir ihren Namen erst gestern verraten. Aber ja, ich habe sie vorher schon einmal getroffen.“ „Wann?“, fragt Luca neugierig. „Da war ich noch ein junger Novize“, lächelt Kirai; „Es ist schon ein paar Monate her...“ „Wir kennen uns doch schon ungefähr so lange!“, wirft sie ein; „Aber vorher habe ich die Frau noch nie in meinem ganzen Leben gesehen.“ „Naja...“, flüstert er und spielt mit seinem Kuchen; „Wir haben uns erst ein paar Tage danach kennengelernt.“ „Wonach?“, will Troy wissen. „Damals... habe ich eine Nacht in Morroc, der Stadt des heißen Wüstensands, verbracht...“, erzählt er zögerlich; „Ich konnte in dem Gasthaus aber nicht gut schlafen, also bin ich auf einen kleinen Spaziergang in Mondschein raus gegangen...“ „Bist du verrückt, nachts alleine durch Morroc zu streifen?“, unterbricht der Knight ihn. „In meiner Heimatstadt Al de Baran habe ich das auch immer gemacht“, erwidert er sauer. Sie sollen jetzt einfach mal zuhören und nichts sagen. „Jedenfalls... Ich war wirklich überrascht, wie kalt es nachts in Morroc ist. Tagsüber herrscht immer diese Hitze und... Naja, egal... Mir sind dann zwei Personen in schwarzen Mänteln aufgefallen, die gerade in eine Seitengasse gehuscht sind. Und ich dachte... So verdächtig wie die schon aussahen, mit ihren Kapuzen, dass die halt nichts gutes im Schilde führen, also bin ich hinter her geschlichen.“ Troy schlägt sich mit der Hand an die Stirn und Luca, die wohl keinen Hunger mehr hat, stellt den Rest ihres Kuchens beiseite. „Ich habe sie belauscht, ohne dass sie mich bemerkt haben“, sagt Kirai stolz und der Ritter schaut ihn erwartungsvoll an: „Und? Worüber haben sie gesprochen?“ „Darüber... wie sie jemanden ermorden wollen...“ Luca fällt vor Schreck der Mund auf, aber Troy bleibt ruhig: „Erzähl weiter...“ „Ich... konnte nicht viel verstehen, und habe dann gemerkt, dass sie weitergegangen sind... Ich habe sie dann bis zu einem Haus verfolgt, in dass sie ohne anzuklopfen oder so rein gegangen sind...“ Kirai läuft rot an: „Ich habe gedacht, da würde die Person wohnen, die getötet werden soll, also bin ich auch rein gegangen, hinter ihnen... Die Tür war nicht abgeschlossen.“ „Was hast du? Sag mal, bist du eigentlich lebensmüde?“, knurrt Troy. Hätte er denn anders gehandelt? Was hätte Kirai sonst tun sollen? Jemanden zur Hilfe holen? Die Wachen benachrichtigen? Bis dahin hätte die Zielperson der beiden Gestalten schon längst tot sein können, das kam einfach nicht in Frage. Er reißt sich zusammen, dass er dem Ritter das nicht alles an den Kopf wirft, und spricht weiter: „Dieses Haus war so eine Art Absteige. Kaum ist man drin, geht man eine Treppe runter. Und es ging wirklich total tief runter, es waren bestimmt zehn Treppen oder so... Man hat kaum etwas gesehen.“ Kirai hört kurz auf, zu erzählen, als er sieht, dass Luca sich zusammengekauert hat und ihre Hände ganz nah an sich presste. Man merkt, die Spannung steigt, aber Kirai sitzt doch gerade neben ihr, also muss sie eigentlich vor nichts, was er jetzt erzählt, Angst haben. Lächelnd fährt er fort: „Ich hatte mich auf jeden Fall geirrt. Unten angekommen war ich nämlich nicht in der Wohnung des baldigen Opfers, sondern in einer unterirdischen Bar.“ „Sag bitte, dass du sofort wieder gegangen bist“, stammelt Luca hoffnungsvoll. „Tut mir leid“, grinst er; Mir war klar, sobald ich durch die Tür im Keller gehe, würde ich von allen in der Bar bemerkt werden, also habe ich mich davor gehockt und weiter gelauscht. Es waren nur fünf Personen dort. Der Barkeeper hinter dem Tresen, ein Türsteher, der die hinteren Räume bewacht hat, die beiden Männer, die übrigens ihre Kapuzen runter nahmen, als sie die Bar betreten haben, und... Shade...“ „Sie war also da?“, wiederholt Troy. Er hat inzwischen aufgegessen und seinen Teller an den Rand des Tisches gestellt. Kirai nickt: „Die beiden Kerle sind direkt zu ihr und haben sie in ein Gespräch verwickelt. Diesmal konnte ich mehr verstehen, denn sie haben ziemlich laut geredet und sonst war in der Bar ja auch nichts los.“ Bevor er wiedergeben kann, was sie gesagt haben, muss er sich erst einmal kurz zurückerinnern. Wie war das nochmal...? Hoffend, dass es so korrekt ist, versucht er es: „Es ging um einen korrupten Firmendirektor aus Lighthalzen, der seine Angestellten nach Strich und Faden ausnahm. Jemand hatte der Assassinengilde viel Geld bezahlt, wenn sie ihn beseitigen, daher...“ „Moment mal“, unterbricht Luca; „Wenn in Lighthalzen jemand korrupt ist, warum hat man nicht einfach die Polizei benachrichtigt?“ „Ist doch klar“, seufzt Troy; „In der Schwaltzwalt-Republik hat die Rekenber Corporation das Sagen. Sie kontrollieren alles, und jeder weiß davon. Wenn dieser Mann Rekenber bestochen hat, dann wird nicht einmal die Polizei etwas dagegen unternehmen können.“ Und demzufolge wäre die einzige Lösung des Problems den Kerl umbringen zu lassen. Naja, man hätte ihn auch erpressen können, aber anscheinend wollte jemand, dass keine halben Sachen gemacht werden. „Was hat diese Shade denn jetzt mit alldem zu tun?“, fragt Luca gespannt. „Shade war die dritte im Bunde. Sie hat auf die beiden Männer, die wohl Informationen gesammelt haben, gewartet, um dann mit ihnen den Plan zu schmieden. Zum Beispiel... hat einer der Typen vorgeschlagen, eine Bombe in seinem Büro zu installieren, damit der Verdacht nicht auf die Assassinengilde fällt.“ „Stimmt“, leuchtet Troy ein; „So gehen Assassines normalerweise nicht vor...“ Kirai nickt: „Ich weiß nicht, für was sie sich schlussendlich entschieden haben, denn ich habe den komischen Kerl hinter mir nicht bemerkt. Er hatte so starke Arme! Er hat mich gepackt und rein gebracht, dann hat er mich angeschrien und die Männer wollten natürlich wissen, ob ich was gehört habe.“ „Du hast ja wohl gesagt, dass du nichts gehört hättest“, sagt Troy mit strengem Unterton. Dafür erntet er von Kirai ein entgeisterten Blick: „Für wie dumm hältst du mich eigentlich? Natürlich habe ich das gesagt... Aber sie haben mir nicht geglaubt. Sie wollten mich nicht gehen lassen.“ „Oh mein Gott“, keucht Luca; „Haben sie dich umgebracht?“ „Ich sitze doch hier, du Spinnerin“, belehrt er sie und sie lächelt erleichtert: „Stimmt. Wie konnte ich das vergessen... Aber sag schon, was haben sie denn gemacht? Du lebst ja noch.“ „Ich weiß nicht was sie versucht haben, aber zumindest haben sie alle ihre Waffen rausgeholt. Und ich war damals noch vollkommen unerfahren, wie hätte ich es mit den ganzen Typen aufnehmen sollen? Ich hatte solche Angst, ich dachte wirklich, es wäre das Ende...“ Und nun kommt der Teil, an den er sich gerne erinnert. Auch wenn er sich dabei eklig vorkommt. „Shade saß plötzlich nicht mehr da. Und nach zwei Sekunden fielen sie alle tot um.“ „Was?!“, ruft Troy ungläubig und Luca wiederholt: „Alle?!“ „Naja, alle bis auf der Barkeeper und der Türsteher“, korrigiert er sich; „Nacheinander brachen sie zusammen, und ich weiß es zwar nicht genau, aber ich glaube, sie waren sehr schnell tot... Shade stand dann vor mir, mit ihren blutigen Kataren in den Händen und hat gesagt, ich soll verschwinden und nie wieder herkommen. Dabei hat sie mir direkt in die Augen gesehen...“ Diesen Moment wird er nie vergessen. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt keine Maske oder sonst etwas auf, was ihr Gesicht verdecken könnte, nur das rechte Auge konnte man wegen ihren Haaren nicht sehen. Kirai wusste, in dem Moment, in dem sie das sagte, musste er ihrer Aufforderung nachkommen, aber irgendwie konnte er nicht. Seine Füße wollten sich nicht bewegen. „Sie hat mir... Dann eines ihrer Katare, das noch voller Blut war, unter die Kehle gehalten und gesagt, wenn ich nicht sterben will, dann gehe ich jetzt. Und... naja...“ Es hatte ihm Angst gemacht. Das Blut eines der Männer tropfte von der Klinge direkt unter seine Kleidung, sodass er es seine Brust herunterlaufen gespürt hatte. Er konnte keinen Ton sagen. Er konnte nur gehen. „Deshalb also. Sie hat dich gerettet, und als Dank hast du ihr den Moonlight Dagger überlassen“, sagt Luca abschließend. „Ähm, ja...“, murmelt Kirai, aber eigentlich dachte er nicht daran, als er ihr ohne weiteres gestattete, den Dolch mitzunehmen. „Also ich weiß nicht...“, überlegt die Acolyte laut; „Ich bin froh, dass sie dich gerettet hat, aber dabei hat sie... drei Menschen getötet. Die auch noch ihre Kameraden oder zumindest Kollegen waren...“ „Aber das ist doch der Grund, warum... warum ich sie so bewundere... Sie hat ohne zu zögern, ohne ein Gespräch zu erwägen, jeden getötet, obwohl sie mich nicht kannte. Noch nie in meinem ganzen Leben hat sich jemand so für mich eingesetzt!“ Luca schaut unsicher zu Troy. Natürlich weiß sie nicht, was sie sagen soll, denn mit Sicherheit versteht sie Kirai, kann jedoch nicht gutheißen, dass Menschen getötet werden. „Wegen dieser Frau bin ich Thief geworden...“, lächelt Kirai verträumt; „Irgendwann, wenn ich erfahrener bin und mehr Stärke gesammelt habe, will ich auch Assassine werden...“ Die letzten Worte spricht er um einiges leiser, denn das muss ja nicht jeder wissen. Seine beiden Gefährten schauen ihn entsetzt an. „Ist das dein Ernst?“, kommt aus Troys Richtung, während Luca: „Doch nicht wirklich?“, ruft. Aber so ist es nun mal, und wer das nicht akzeptieren kann, der hat Pech gehabt. Shade hat ihn einfach so beeindruckt... Er hat sie erst zweimal getroffen, und trotzdem scheint sie in allen zu glänzen, was sie tut. Sie ist elegant, wunderschön und hat so einen starken Charakter... „Sag mal Kirai, was sagen eigentlich deine Eltern dazu?“, fragt Troy mit einem überlegenen Grinsen; „Noch bist du nicht volljährig, oder?“ Kirai spürt, dass er rot wird: „Nun, das... Meine Eltern... Die wissen nicht einmal, dass ich Dieb bin...“ „Deswegen!“, fährt Luca ihn an; „Deswegen wolltest du seit du Thief bist, nicht nach Hause gehen! Irgendwann erfahren sie es bestimmt.“ „Irgendwann“ lässt hoffentlich noch lange auf sich warten. „Die denken immer noch, ich wäre Schwertkämpfer geworden, wie ich es zuerst geplant habe...“ Er will gar nicht erst darüber nachdenken, wie seine Mutter reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass er ein Kleinkrimineller geworden ist, statt ein mutiger Krieger. „Du wolltest Schwertkämpfer werden?“, fragt Troy interessiert. Kirai nickt: „Ja... Aber die Dinge sind eben anders gekommen...“ Alle schweigen eine Weile. Luca isst endlich ihr Kuchenstück auf und sieht den rothaarigen Thief neben ihr, der die ganze Zeit ins Leere zu starren scheint, an. „Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragt sie besorgt. „Hm? Ja... Wisst ihr, ich würde sie gerne wiedersehen...“, antwortet er leise. Er ist sich selbst nicht ganz klar, warum. Aber definitiv ist da dieser Drang, Shade noch einmal zu begegnen. „Echt?“ Troy hebt die Augenbrauen; „Kann es sein, dass du...“ Plötzlich hebt Luca die Hand und lässt ihn so nicht zu Ende sprechen. „Wo willst du denn nach ihr suchen? Sie könnte doch überall sein. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass man uns in der Assassinengilde irgendwelche Infos herausgibt...“ „Das ist richtig, aber... wie wäre es mit der Bar? Die in Morroc?“, fragt er hoffnungsvoll. „Ach, die mit den dunklen Gestalten drin? Die Waffen zücken?“, spottet der Ritter und schüttelt den Kopf: „Außerdem ist nicht sicher, dass sie dort jemand kennt.“ Kirai steht auf: „Ich werde trotzdem hingehen. Ich kenne immerhin ihren Namen und weiß, dass sie rote Augen hat. Das gibt es ja auch nicht so oft.“ Als er die roten Augen erwähnt, erstarrt Troy kurz zu einer Salzsäule. „Ich gehe oben schon mal meine Sachen einpacken... Bitte kommt mit, ich würde da wirklich ungern alleine hingehen“, sagt Kirai und schaut Luca flehend an. „Ist ja gut“, entgegnet diese seufzend; „Aber ich bestell mir noch was zu trinken.“ „Okay“, sagt der Thief und hastet in sein Zimmer. Troy sitzt immer noch da wie angewurzelt, doch als Luca aufstehen will, um an den Tresen zu gehen, hält er leicht ihren Ärmel fest und flüstert: „Warte...“ „Hm? Was ist?“ Sie geht in die Hocke. „Du hast diese Shade doch gesehen? Gestern, in der Höhle?“ Sie nickt. „Kannst du sie mir mal beschreiben? Also, wie sie aussieht?“ „Ähm, wenn es sonst nichts ist“, lächelt Luca verwirrt. Obwohl Kirai weiß, dass er noch auf seine Gefährten, die auch ihre Sachen zusammenpacken müssen, warten muss, beeilt er sich damit, alles in seinen Rucksack zu stopfen. Vielleicht würde er schon bald Shade wiedersehen! Bei dem Gedanken daran wird ihm warm ums Herz, was komisch sein mag, wenn man bedenkt, dass diese Frau anscheinend eine kaltblütige Mörderin ist. Aber das ist ihm ganz egal, sie hat ihn nicht getötet, obwohl sie schon mehrmals die Gelegenheit dazu hatte. Er hat keine Angst vor ihr. Gerade ist er mit dem Packen fertig, da hört er Schritte, die von hinten auf ihn zukommen. Wer schleicht sich denn da ohne zu klopfen in sein Zimmer? Misstrauisch dreht er sich um, doch es ist nur Troy, der in der linken Hand einen Bleistift und in der rechten Hand ein weißes Blatt Papier hält. „Du kannst doch gut zeichnen, oder?“, fragt er lächelnd. Luca muss ihm das erzählt haben. „Ähm, es geht“, sagt er bescheiden. Wie Meisterwerke sehen seine Zeichnungen ja nun wirklich nicht aus, aber trotzdem sind sie ganz anständig. Der Ritter drückt ihm die Sachen in die Hand und bittet: „Wie wäre es, wenn du mir einen Gefallen tust, und diese Shade mal für mich zeichnest?“ Was soll denn jetzt diese komische Bitte? „Wenn du mir sagst, warum...“, antwortet er zögerlich. „Ich sage es dir, wenn du sie gezeichnet hast“, erwidert er. Er lächelt zwar, doch etwas in seiner Stimme verrät Kirai, dass es nicht echt ist. „Nicht jetzt“, sagt er leise, aber Troy herrscht ihn sofort an: „Machs doch einfach! Dann kann ich sie mir besser vorstellen. Wenn du es nicht tust, werde ich nicht mit euch nach Morroc gehen...“ „Ist ja gut, ich mache es!“, ruft Kirai genervt. Jetzt ist aber mal gut, es scheint ihm ja wirklich wichtig zu sein. Er setzt sich an den kleinen Tisch und fängt nach kurzem Überlegen an, zu zeichnen. Das Bild würde er aber behalten, nicht, dass Troy es noch über sein Bett hängen will oder für andere komische Zwecke missbrauchen möchte. Kirai entscheidet, sie mitsamt dem Halstuch zu zeichnen, dass sie gestern trug, denn so erspart er sich Arbeit, wenn er nicht die gesamte Kinn-Mund-Nasen-Partie zeichnen muss. Troy sitzt währenddessen auf dem Bett und poliert sein Schwert. Wie komisch, dass er es mit hier rein gebracht hat... Nach zwanzig Minuten ist Kirai fertig. Er findet, dafür, dass es pur aus der Erinnerung gemalt ist, sieht es ganz gut aus, und man erkennt auch, dass es Shade ist. Als er dem Ritter zunickt, steht dieser auf und nimmt das Blatt in die Hand. „Und?“, fragt Kirai gespannt. Bestimmt ist es nicht so gut geworden, wie der Mann erwartet hat, aber er ist selbst schuld, wenn er meint, ihn quasi zum Zeichnen zu zwingen. Troy starrt wie gebannt auf die Skizze. Seine Hände zittern, so stark, dass er das Blatt fallen lässt und es langsam zu Boden gleitet. „Hey!“, ruft Kirai, empört darüber, dass er nicht vorsichtiger ist, und will sich bücken um es aufzuheben, doch ehe es dazu kommt, hat Troy schon sein Handgelenk gepackt und zieht ihn daran nach oben. Kirai erschreckt sich, denn er packt unangenehm fest zu. Dann drückt er ihn mit seiner anderen Hand kräftig bis an die Wand des Zimmers. Er geht nicht zimperlich mit dem jungen Thief um, Kirai tritt dabei auf die am Boden liegenden Rucksäcke und tut sich an den Füßen weh, und als er an die harte Wand gepresst wird, schmerzt sein Rücken und sein Nacken: „Ahh...! Was... warum...?“ Ängstlich sieht er zu Troy hoch, der ihn mit einem hasserfüllten Blick ansieht. Das verunsichert Kirai nur noch mehr. „Sie... sie ist es wirklich“, knurrt der Ritter und sein ganzer Körper bebt vor Wut. Kirais Körper zittert vor Angst, gleich zusammengeschlagen zu werden, wofür auch immer. „Alles... kein Zweifel, alles... Die roten Augen, Lucas Beschreibung, deine Zeichnung... Sie ist es!“ Sein Griff wird immer fester, aber Kirai traut sich nicht, irgendetwas zu sagen. Was hat er denn falsch gemacht? Und wovon spricht Troy eigentlich? „Dass du diese Frau, ausgerechnet diese Frau...!“, blafft er ihn wutentbrannt an und schon im nächsten Moment holt er aus und schlägt Kirai seitlich ins Gesicht. Dieser stöhnt vor Schmerzen auf; sein gesamter Kopf wird durch die Wucht des Schlags auf die andere Seite gerissen. „Oh mein Gott! Was machst du da?!“, kreischt eine Stimme aus dem Hintergrund. Luca, die gerade herein gekommen ist, rennt fassungslos auf die beiden zu, und als sie sieht, dass Tränen aus Kirais Augen und Blut aus seinem Mund läuft, packt sie Troy am Arm und schreit: „Hör auf damit!!“ Er stößt sie problemlos mit dem Arm weg und sie taumelt etwas zurück. Schon wieder holt er aus, um Kirai zu schlagen, dieser kann sich nicht ducken oder ausweichen, daher kneift er einfach nur die Augen zusammen, hoffend, dass es schnell vorbei ist. „HOLY LIGHT!“, schallt es hinter Troy, und Kirai spürt nach dessen Keuchen, dass er nicht länger gegen die Wand gedrückt wird, also nutzt er die Gelegenheit um sich schnell zu ducken und seitlich aus der Reichweite zu fliehen. Dann sieht er, dass Troy schwer atmend zwei Meter vor Luca steht, deren Hände immer noch auf ihn gerichtet sind. Obwohl der Ritter keine körperlichen Verletzungen hat, scheint ihn ihr Zauberspruch nicht kalt gelassen zu haben: „Was soll das?!“ „Dasselbe könnte ich dich fragen!“, schreit Luca ihn an. Ihre Hände zittern. Kirai wischt sich geschockt das Blut vom Mund. Bei Troys Schlag haben seine Zähne wohl seine Lippen von innen geschnitten. Aber auch die gesamte rechte Seite seines Gesichts pocht vor Schmerzen. „Diese Frau! Shade!“, bellt Troy und zeigt Luca das Bild, kurz bevor er es zerreißt und wegwirft: „Diese verdammte Hure hat alle meine Freunde auf dem Gewissen!!!“ Was? Das kann nicht sein! „Du verwechselst sie!“, versucht Kirai, ihn zu beruhigen, aber er brüllt: „Auf keinen Fall!! Es hätte mir schon in dem Moment klar sein sollen, in dem du ihre roten Augen erwähntest, aber ich wollte es nicht glauben, daher habe ich Luca nach ihrem Aussehen gefragt und dich das Bild zeichnen lassen! Es passt alles!! Haargenau!“ „Selbst wenn, das ist doch nicht Kirais Schuld!“, wirft die Acolyte ein. „Na und?“ Troy wirft auch ihr einen verachtenden Blick zu. Obgleich er sich Luca gegenüber stets wie ein Gentleman verhalten hat, kann man nun seinen Zorn gegen sie spüren: „Was verstehst du schon davon? Ist dir nicht aufgefallen, wie er über sie schwärmt, als ob sie eine ganz tolle und großartige Person wäre?! Sie ist nicht mehr als eine Massenmörderin!“ „Aber das konnte er doch nicht wissen“, verteidigt Luca ihn, aber der Ritter hat wohl genug. Er nimmt sein Schwert und verlässt den Raum: „Mit euch will ich nichts mehr zu tun haben. Geht ohne mich nach Morroc, es ist besser wenn ich Shade nie mehr treffe. Sonst vergesse ich mich und meine Ehre!“ Und weg ist er. Geschockt lässt Kirai sich auf das Bett fallen. Was hat all das zu bedeuten...? Warum musste Troy so ausrasten? Luca setzt sich neben ihn und seufzt: „Setz dich mal bitte aufrecht hin...“ Eigentlich will er nicht, aber er will sie nicht auch noch verärgern, also tut er es. Sie hebt ihre Arme und sagt in normaler Lautstärke: „HEAL!“ Sofort verschwindet der Schmerz von Kirais Wange, und er spürt auch, wie die Wunde im Mund sich langsam schließt. Kaum ist das grüne Licht verschwunden, geht es seinem Körper so gut wie vorher, mit Ausnahme von einem unangenehmen flauen Gefühl in der Magengegend. Es ist wie Luca sagt: Er kann nichts dafür was Shade getan oder nicht getan hat. Dennoch fühlt er sich aus irgendeinem Grund schuldig, aber sein Mitgefühl für Troy hält sich momentan in Grenzen. „Kirai... Eine Person, die ihre Konflikte bewältigt, dadurch, dass sie andere Menschen tötet...“ „Sie wird Gründe dafür gehabt haben!“, unterbricht er sie. „Das... kannst du doch gar nicht wissen“, sagt sie unsicher. „Und du auch nicht! Warum verurteilst du sie, ohne, dass du sie kennst?“ Luca steht die Empörung ins Gesicht geschrieben: „Du hältst doch nicht wirklich immer noch zu dieser Frau, oder? Sie hat haufenweise Menschen umgebracht und dir deinen lang ersehnten Moonlight Dagger gestohlen!“ Kirai wird langsam auch richtig sauer. Alle sehen immer nur Shades negative Eigenschaften! „Hat sie uns nicht das Leben gerettet? Ohne ihren Blue Gemstone lägen wir jetzt alle im eingestürzten Payon Cave begraben!“ Sie schweigt eine Weile. „Ja... das stimmt“, flüstert sie schließlich kaum hörbar. Das ist doch der Beweis, dass sie nicht böse ist. Warum hätte sie ihnen sonst helfen sollen? „Danke für die Heilung“, sagt Kirai und versucht, zu lächeln. Etwas abwesend nickt Luca und steht dann auf: „Was machen wir jetzt?“ „Ich will in diese Bar! Ich will alles über Shade herausfinden. Kommst du mit...?“ Mit ernstem Blick beugt sie sich runter zu ihm: „Bist du irre? Warum stellst du nur so eine Frage? Natürlich komme ich mit!“ Dankend schaut er sie an. Sie würde ihn nicht alleine zu so einem gefährlichen Ort gehen lassen. Und dass sie sich selbst in Schwierigkeiten bringen könnte, lässt sie ganz außer Acht. Ja, so ist Luca. In diesem Moment sitzt sie neben ihm und lächelt ihn an. Kirai ist immer froh gewesen, sie bei sich zu haben. Nicht nur wegen ihren nützlichen Heilkräften, sondern auch, weil sie eine so nette, aufgeschlossene Person ist, auf die man sich einfach verlassen kann. Sie würde ihn nicht im Stich lassen, wahrscheinlich würde sie eher ihr eigenes Leben opfern, an dem sie eigentlich sehr hängt. Ihr Herz ist unglaublich rein, Kirai beneidet sie schon fast. „Ich muss auch noch ein paar Sachen einpacken“, sagt sie ruhig und steht auf. „Soll ich dir helfen?“, fragt er höflich. Eigentlich hat er keine Lust. Aber verdient hätte sie es. Dankend lehnt sie das Angebot ab, wie er es irgendwo schon erwartet hat. „Lass mich nur machen, geht schneller. Außerdem habe ich dir eben auch nicht dabei geholfen, oder? So ist es nur fair.“ Ohne ihn noch einmal zu Wort kommen zu lassen, verlässt sie den Raum. Fair? Sie hat Kirai ja nur das Leben gerettet. Oh ja, da wäre es echt unfair von ihr, ihn beim Packen ihrer Sachen helfen zu lassen. Wie kann ein Mensch nur so gutherzig sein? Trotz der Auseinandersetzung eben fühlt Kirai sich leicht und zufrieden. Sanft legt er seinen Rücken auf das Bett und schaut verträumt an die Decke. Luca ist bei ihm. Und bald wird er Shade wieder sehen. Es ist ihm egal, was sie in der Vergangenheit getan hat. Sie hat sein Leben gerettet, und nur das ist wichtig. Auch ihr muss er... danken... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)