Sechzehn Augen von AnnaBlume (Ein Schulprojekt) ================================================================================ Kapitel 8 --------- Er ist spät dran. Aber doch nicht etwa wegen…? Bestimmt nicht. Gleich ist er da. Die Stimmung im Klassenzimmer ist laut, alle hoffen, dass unser Lehrer krank ist, und die Stunde ausfällt. Da werden sie bestimmt enttäuscht sein, wenn sie ihn gleich kommen sehen. Ich wende mich vom Fenster ab und setze mich an meinen Platz. Im nächsten Augenblick platzt Herr Nussbaum herein, das Hemd aus der Hose hängend und mit völlig verstrubbeltem Haar. Was für ein Anblick! Also wohl doch nicht deswegen. Alle sind bereits gegangen, auch Herr Nussbaum. Was Dennis wohl gerade macht? Als hätte ich damit zum Schicksal selbst gesprochen, sehe ich ihn. Was er bloss vorhat? Ich gehe ihm besser gleich nach. Da vorne sind Mira und Flavia. Die sollten mich lieber nicht sehen, wenn ich mich hier so geheimnistuerisch verstecke. Während die beiden beim Würstchenverkäufer ihr Mittagessen kaufen, kann ich Dennis gut beobachten. Er scheint auch zu schleichen, gleich hinter dem Baum in der Nähe der Kirche. Auch er sollte mich besser nicht sehen. Wovor versteckt er sich? Dann kommt eine Frau mit einem Dachshund und einer auffällig roten Tasche vorbei – auch sie geht zum Würstchenstand. Doch - was ist das? Dennis scheint sie zu verfolgen! Aber weswegen? Ich habe sie noch nie gesehen! Was ist nur los mit ihm? Ich sehe zu, wie die Frau weitergeht und er nun zum Würstchenverkäufer huscht. Er scheint etwas zu wollen. Ich verstehe das alles nicht! Ich kann mir gar keine Gedanken mehr dazu machen, denn plötzlich brennt der ganze Stand! Was ist da los?? Dennis rennt davon, der Verkäufer versucht offensichtlich, das Feuer mit der Plache zu löschen, aber es klappt nicht. Ich muss handeln. So schnell, wie ich kann, eile ich zum Feuer, nehme dem Mann das Tuch aus der Hand und lege es über die Flammen. Ohne Schmerzen geht es aber leider nicht, mein linker Arm scheint ordentlich was abbekommen zu haben. So ein Mist. Und das nur wegen dieses Dennis‘! Ich entschuldige mich hastig beim Verkäufer, der nicht versteht und mich nur dumm anglotzt – aber Zeit für Erklärungen habe ich keine. Ich muss Dennis wiederfinden! Ich blicke über den Platz und sehe die Frau von vorhin – ohne Hund und ohne Tasche. Oh, nein. Dummerweise stehen da auch noch die beiden Mädchen aus meiner Klasse, und in dem Moment schaut Flavia zu mir rüber. Schnell verschwinde ich mich hinter dem nächsten Baum. Das war ziemlich auffällig. Aber schon denkt es in meinem Kopf weiter. Wo könnte Dennis hingehen, wenn es brenzlig für ihn wird? Wenn er wirklich schon alles aufgegeben hat? Da fällt mir ein Ort ein, der sogar ziemlich in der Nähe liegt. Dennis hat mir einst davon erzählt, dass er sehr nützlich gewesen sei, als er sich nach einem kleinen Ladendiebstahl habe verstecken müssen. Man könne dort etwas ausschnaufen, weil sonst niemand dorthin kommt. Dort muss er sein. Ohne nochmals zu den Mädchen zu schauen, gehe ich in eine der kleinen Gassen am Rande des Platzes und suche mir einen Weg, der am schnellsten zum Museum führt. Ich jage meine Beine durch die dunklen Wege, mein Atem bleibt mir weg, ich keuche – aber ich muss ihn noch erwischen!! Hier ist der Platz. Aber Dennis ist nicht da. Ob er noch kommt? Wenn nicht, muss ich ihn unbedingt finden – er darf die Tasche nicht stehlen! Da höre ich plötzlich eilige Schritte und verstecke mich schnell hinter den Kisten, die hier zu Hauf rumstehen. Vermutlich alte Fossilien, die wegen Platzmangels gerade nicht ausgestellt werden können. Ob er es ist? Ich spähe zwischen den Kisten hindurch und, tatsächlich, da steht Dennis. Mit der roten Tasche in der Hand. Er sieht wirklich erschöpft aus und sein Bein…blutet! Doch ich muss einen klaren Kopf bewahren! Schnell springe ich über die Kisten und lande direkt vor ihm. „Gib die Tasche zurück!“ „Leon??“ Dennis schaut mich fassungslos an. Er scheint etwas sagen zu wollen, aber ihm fehlen die Worte. Ich ergreife die Gelegenheit beim Schopf und schnappe ihm die Tasche weg. „Weswegen hast du das gemacht, Bruder?!“ Bevor er etwas tun kann, werfe ich die Tasche um die Ecke. Mein Bruder ist stärker als ich – mir bleibt also nur die Möglichkeit, ihn zur Wahrheit zu stellen. Zuerst verwirrt, steht er nun doch schnell und entschlossen auf und meint wütend: „Du hast ja keine Ahnung! Weil du immer gut in der Schule bist und keine Verlobte hast, um die du dich einmal kümmern musst, weisst du nicht, wie schwer das für mich ist! Ist dir eigentlich klar, dass ich das alles für Mira mache?? Ist dir überhaupt klar, dass das Mädchen auf dich und nicht auf mich steht? So etwas zu verkraften ist echt hart. Immer muss ich zusehen, wie sie dich anlächelt! Da habe ich gedacht, ich muss etwas dagegen tun, damit ich ihr auch gefallen kann! Und dann ist mir die Idee für einen Ring gekommen…“ „Einen Ring?!“ „Jaaa, wir sind doch verlobt und so…und ein Mädchen freut sich doch über so etwas, oder nicht? Aber ich habe ja kein Geld, seit meine Noten in der Schule so schlecht sind, bekomme ich auch kein Taschengeld mehr und überhaupt…ich sah nur noch die eine Lösung…“ „Diebstahl ist keine Lös-“ „DENNIS!!!!“ Mein Bruder und ich zuckten gleichzeitig zusammen. Schnell sehe ich mich nach der bekannten Stimme um und blicke direkt in die Augen von Flavia, der besten Freundin der Verlobten meines Bruders. Völlig baff standen wir drei da, hinter dem städtischen Museum neben ein paar Kisten und Gerümpel. Gerade will ich das Thema erneut aufgreifen und dann endlich mal die Tasche holen, da kommt mir Flavia zuvor: „Dennis, du bist der Dieb?? Und du hast all das nur für Mira getan?“ Sie scheint wirklich gerührt zu sein! Mein Bruder versteht nicht ganz – ich ebenso wenig, also starren wir sie weiterhin an. Sie setzt erneut an, dieses Mal klarer: „Wenn sie das wüsste, die würde dir um den Hals fallen, das kann ich dir sagen! Ein Mädchen wie Mira macht sich unglaublich viel um sowas!“ Verwirrt blicke ich zu Dennis. Aber der scheint einfach glücklich zu sein: Sein Gesicht wirkt sichtlich gesünder als zuvor und er strahlt von einem Mundwinkel zum anderen. Jetzt gibt es da nur noch ein Problem. „Das Geld hast du ja aber noch immer nicht!“, werfe ich enttäuschend ein. Doch Flavia ist nicht zu halten: „Mach dir darüber keinen Kopf! Wenn ich Mira erzähle, was hier los war, dann wird die Leon schon längst vergessen haben! Dennis wird für sie ein Held sein, da bin ich mir sicher! Dann braucht es auch keinen Ring mehr!“ Dennis schien es nie besser gegangen zu sein. Obwohl sein Plan ja offensichtlich völlig missglückt war, würde er nun bekommen, was er so ersehnte! Ich freute mich für meinen Bruder. Und das, obwohl er tatsächlich einer Frau die Tasche gestohlen hat! Apropos… Ich gehe schnell um die Ecke – die Tasche liegt nicht mehr da. Oh, nein, nicht das noch! Doch bevor ich mich richtig aufregen kann, sehe ich in der Ferne den Nussbaum mit einer Frau am Arm geradewegs in den Park laufen – mit einer roten Tasche. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Ich drehe mich um und sehe meinen Bruder an. Dieser ist erschöpft zu Boden gesunken und grinst nur dumm vor sich hin – vermutlich hat er seinen Fehler schon längst vergessen. Da greift Flavia nach seinem Arm und zieht ihn hoch: „Komm, lass uns gleich zu deiner Verlobten gehen, sie wartet drüben im Park!“ Etwas überrumpelt lässt sich Dennis von dem Mädchen in Richtung Park ziehen. Ich bleibe stehen und blicke nur hinterher. Da hat er doch nochmals die Kurve gekriegt. Etwas beruhigt schlendere ich ins Museum hinein. Der perfekte Ort, wenn man etwas Entspannung sucht! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)