a september to remember
»Siehst du scheiße aus«, kicherte eine piepsige Stimme direkt in mein Ohr und ich fegte mit der Hand durch die Luft – entschlossen, mir einen gewissen Grad an Privatsphäre zu erhalten.
»Verpiss dich, Myrte«, rief ich wütend und sah gerade noch, wie der Geist schnell den Kopf einzog, als meine Finger suchend über die Fliesen krabbelten und sich um meinen Zauberstab schlossen.
»Bulimie ist keine Lösung«, frohlockte das Geistmädchen verhalten und mir wurde bewusst, wie sehr sie sich in meinem Unglück suhlte. Da war mir die maulende Eigenart an ihr lieber.
»Alkohol wohl eher«, erwiderte ich verdrossen und hörte ein missbilligendes Schnalzen von der anderen Seite der Kabinentür. »Den gab es zu meinen Schulzeiten definitiv noch nicht auf derart exzessive Weise; Bulimie hingegen war ein weit verbreitetes Accessoire, immerhin wollten wir alle Tom gefallen.« »O Merlin, doch nicht etwa Riddle?«, spie ich angeekelt und wischte mir mit einem Taschentuch über den Mund, bevor ich den Arm austreckte und die Spülung betätigte, die mein Abendessen in die Tiefen des Abwassersystems sog.
»Doch, genau der tadellose, talentierte Tom Riddle! Meine erste, große Liebe und – mit Verlaub - die einzige «, schwärmte Myrte ernst und ich konnte nicht umhin, in einem weiteren Anflug zermürbender Übelkeit, die Kloschlüssel wie einen Rettungsring zu umfassen.
»Er hat dich getötet!«, sagte ich unumwunden und schüttelte ungläubig den Kopf, als nur ein kleines Seufzen über ihre Lippen kam. »Nein, das war dieses Schlangenvieh, nicht er.«
»Hör mal, hätte Tom die Kammer des Schreckens nicht geöffnet, dann hätte dich dieser Basilisk nicht getötet! Es ist Voldemort, der dich auf dem Gewissen hat!«
Abends - halb elf - in Hogwarts, dachte ich sarkastisch und verdrehte ein weiteres Mal die Augen. Es stieg die erste Party des neuen Schuljahres und anstatt ihr beizuwohnen, wie es zunächst angedacht gewesen war, verbrachte ich meine Freizeit auf dem Klo und spielte Therapeut für einen Geist.
»Nenn ihn nicht so!«, maulte Myrte und ihr Kopf zuckte so schnell durch die geschlossene Tür, dass ich geradewegs einen Blick in ihre mit Tränen gefüllten Augen werfen konnte. O Merlin, selten war mir ein so melodramatischer Geist begegnet. Eigentlich noch nie, wenn man von den Phasen des Kopflosen Nick einmal absah. »Als ich mich in ihn verliebte, da war er noch nicht dieser Voldemort«, rechtfertigte sie sich leise und ich zuckte mit den Schultern.
»Er legte sich diesen Namen schon früh zu, Myrte. Nur niemand hat geahnt, was da heran keimte«, argumentierte ich und sah, wie sie ihre Lippen mit jedem Wort fester aufeinander presste.
»Er wurde erst zu Voldemort, als er sich öffentlich dazu bekannte«, sprach sie und war so von ihren Worten überzeugt, dass ich nicht imstande war, ein Gegenargument zu äußern. Myrte hatte ein Jahrhundert Zeit gehabt, sich die Dinge einzureden – ich würde kein weiteres damit verschwenden, die Perspektive gerade zu rücken.
»Deine Sache«, entschied ich achselzuckend und hievte mich beschwerlich auf die Beine. Als ich die Kabinentür öffnete und zu den Waschbecken ging, folgte sie mir friedfertig und betrachtete still, wie das kalte Wasser über meine Hände rann, bis ich ihr einen skeptischen Blick zuwarf und sie sich die Brille etwas höher auf die Nase schob. »Warum bist du mich eigentlich besuchen gekommen?«
»Bin ich gar nicht«, sagte ich ehrlich und verdrehte beim folgenden Schmollmund die Augen. »Ich konnte schlichtweg nicht riskieren, dass ich auf den Flur kotze. Das wäre sofort zum Tagesthema des ersten Schultages geworden und eigentlich«, ich hielt inne und Myrte zog fragend die Augenbrauen in die Höhe, »sollte das Jahr rundum perfekt werden.«
Dass dieser Plan vor die Peitschende Weide geflogen war, erkannte sie mit ziemlicher Sicherheit an den Tränen, die mir sofort in die Augen stiegen. Ja, ich war schlichtweg die Versagerin auf allen Gebieten.
»Hey, sei froh, dass du lebst«, sagte Myrte leichthin und musterte mich dann doch mit unverhohlener Neugier. »Erzähl mir von dir.«
Ich schniefte und blickte einige Momente lang in den Spiegel. Zugern würde ich beschreiben, wie umwerfend ich doch aussah, aber mein rotes, langes Haar begann sich zu locken, obwohl ich mal wieder eine ganze Tube Saubermanns Magischglatt hinein geschmiert hatte, meine dunkelblauen Augen waren verquollen, als käme ich geradewegs von einem Boxkampf, und auf meinem hellen Teint hatten sich widerliche, rote Stressflecken gebildet. Zudem hatte Louis mir ausversehen Butterbier über das Kleid geschüttet und die Idee, dünnen, fallenden Stoff zu tragen, hatte sich klebend an meinem Körper als rein katastrophal entpuppt. Ich trug den ehrenhaften Familiennamen Weasley und hieß Rose, ach ja - und mein Leben ließ sich trotzdessen nicht als besonders schön oder aufregend bezeichnen. Kompliziert und langweilig, auch wenn man meinen könne, beide Begriffe schlossen sich rigoros aus, waren da die treffenderen Bezeichnungen. Ich schluckte und sah dann wieder zu der wartenden Myrte hinüber.
»Mein … mein Freund hat mit mir Schluss gemacht«, begann ich leise und fühlte mich unweigerlich an einen dieser Muggelfilme erinnert; ich sollte mein Skript an Hollywood verkaufen - ich würde wohl einwandfrei ins Klischee passen. »Das ist gerade mal fünf Stunden her und jetzt knutscht er mit Hazel Dean rum, was mich zu einem dummen, naiven Mädchen degradiert, weil ich dachte, mir würde das nicht passieren.«
»Er hat dich verletzt, aber er hat dich nicht zerstört«, merkte Myrte klug an und erinnerte mich einen kurzen Augenblick an meine Cousine Lily – altkluge Bemerkungen dieser Art hatte sie von Tante Ginny mit der Muttermilch aufgesogen.
»Dann bin ich nicht Schulsprecherin geworden, obwohl das alles war, was ich jemals erreichen wollte, wenn ich schon nicht imstande bin, ähnlich große Dinge wie meine Eltern zu fabrizieren. Merlin, Mum und Dad haben zusammen mit Onkel Harry die verdammte Welt gerettet!«, fuhr ich verzweifelt fort und unterdrückte den Drang, mich im Waschbecken zu ertränken.
»Harry Potter«, kicherte Myrte und überprüfte gedankenverloren ihr Aussehen im Spiegel, »eine Schwärmerei, die ich nie mehr vergessen werde.«
»Es war alles, was ich je erreichen wollte«, wiederholte ich und schlagartig wurde mir bewusst, wie viel ich an diesem Traum verschwendet hatte, nur in blinder Hoffnung, meine Eltern stolz zu machen. Sie waren es sowieso, hatte Mum mir versichert, nur genügte es mir nicht. Ich wollte ins Bild dieser tollen Familie passen, die wir zelebrierten.
»Moment, ist nicht diese Longbottom neue Schulsprecherin geworden?«, fragte Myrte da abrupt und als ich mit säuerlicher Miene nickte, riss sie verblüfft den Mund auf. »Wenn das mal nicht nach Korruption riecht«, verkündete sie düster und ich schüttelte den Kopf, selbst wenn ich zunächst das Gleiche vermutet hatte.
Alice Longbottom gehörte zur Elite von Hogwarts und obgleich ich nie den Wunsch verspürt hatte, dazuzugehören, beneidete ich sie trotzdessen um Status, Aussehen und ihre Art, jeden um den Finger zu wickeln. Zufrieden zu sein mit dem, was sie hatte (aber eigentlich bekam sie auch alles, was sie wollte). In den Jahren seit Victoire hatten stets die Hufflepuff Mädchen den Titel der Schulsprecherin ergattern können, was wohl auch daran lag, dass das Haus unter meiner Cousine langsam dem alten Schatten entwachsen und zu voller Größe und neuem Ansehen erblüht war. Ich biss mir auf die Unterlippe und blinzelte zu Myrte, die sich immer noch lauthals entrüstete. Es gab Dinge, die ich keinem gesprächigen Geist anvertrauen konnte und welche mich beinahe noch mehr belasteten als eine unerwartete Trennung und ein gestorbener Traum.
Ich suchte im Spiegel nach der alten Rose Weasley, doch erkannte sie nicht mehr. Mein bester Freund Louis hatte den Artikel in der MagicSunday zunächst vor mir geheim halten wollen, doch gelang es ihm mir gegenüber nie besonders gut, zu schauspielern, sodass ich schnell erraten hatte, wohin der Hippogreif lief. Es hatte mir ein Loch ins Herz gebrannt, auf der Titelseite Bilder von meinem Dad zu sehen, der gerade mit seiner Exfreundin Lavender Brown ein Lokal in London verließ. Erst im Zug hatte ich es gesehen, sonst hätte ich mich wohl schlichtweg geweigert, meine Mum in Kings Cross alleine zu lassen. Dabei hatte nur eine sinnlose Kontroverse ihrer perfekten Ehe solche Kratzer zugefügt. Ein Geheimnis. Ich schloss die Augen und versuchte, mir einzureden, dass es für mich okay war, insgeheim in den Sohn des Exfreundes meiner Mutter verliebt zu sein, von welchem mein Vater zu allem Überfluss nichts geahnt hatte. Was splitterte meine Seele nun eigentlich mehr? Zu wissen, dass Mum nicht der keusche Bücherwurm in ihrem letzten Schuljahr gewesen war, sondern es ordentlich mit einem Malfoy hatte krachen lassen, dessen Verhandlungen wegen Todesser Anschuldigungen zu diesem Zeitpunkt in Gange gewesen waren? Dass sie meinen Vater hintergangen und betrogen hatte, der mit meinem Onkel seelenruhig das Ministerium in London neu aufgebaut hatte? Oder war es mein Vater, der vor über zwanzig Jahren geschehene Dinge ins Bodenlose interpretierte und sich nun wieder mit seiner Jugendfreundin traf?
Ohne ein weiteres Wort an die von Ungerechtigkeit faselnde Myrte zu richten, verließ ich wie in Trance die Mädchentoilette und ignorierte jeglichen Protest des Geistmädchens. Als mir jedoch die kühle Luft der Nacht um die unbedeckten Beine tanzte, ließ ich mich mechanisch an der Steinmauer hinunter sinken, lehnte meinen Kopf dagegen, schloss achtlos die Augen. Ich war nicht schwach, vielleicht ein wenig labil, was man mir keineswegs vorwerfen konnte, wenn man all das bedachte, was sich mir in jüngster Zukunft geoffenbart hatte.
»Dein Leben ist langweilig, Weaslette«, strich eine vertraute Stimme meine Sinne und mein Herz verkrampfte sich jäh. Zaghaft öffnete ich die Augen und blinzelte misstrauisch zu dem Gryffindor empor, in den ich seit dem ersten Tag, als mein Vater mir aufgetragen hatte, ihn in allen Prüfungen zu schlagen, verliebt war. Er hatte keine Ahnung. Wir führten gänzlich verschiedene Leben. Weswegen ich nicht verstand, was uns an diesem Abend zusammenführte.
»Du brauchst ein bisschen Spaß, jemanden wie mich«, sagte er abschätzig und sein Blick fiel musternd über meine Beine. »Kein Interesse«, murmelte ich und verfluchte mein klopfendes Herz.
»Ich denke doch«, erwiderte der Malfoy nonchalant und grinste mich an. »Du weißt, wo du mich findest.«
Der süffisante Unterton trieb mir die Röte ins Gesicht und ich konnte nicht umhin, ihn zu beobachten, als er lässig weiterging. Wahrscheinlich zu einer elitären Party, denen Normalsterbliche nicht befugt waren, beizuwohnen. Perplex schüttelte ich den Kopf. Das war ganz und gar seltsam, untypisch. Immerhin hatte Scorpius Malfoy mich gerade eben angesprochen! Unwillkürlich bedachte ich die Wahrscheinlichkeit, dass sich unsere Universen wohl für einen Moment gekreuzt hatten. Etwas, das nur alle hundert Jahre passierte.
»Sieht so aus, als hättest du eine Ablenkung gefunden«, kicherte Myrte in mein Ohr und ich zuckte vor ihrem in der Wand steckenden Kopf zurück. »Und deinen Tod.«
Zu meiner Verteidigung sei anzumerken, dass ich wohl kaum einem unmoralischen und veheißungsvollen Angebot eines gutaussehenden (wahlweise - heißen, temperamentvollen, aristokratischen und raffinierten) Malfoys gefolgt wäre, wenn mein Leben nicht aus dem Rahmen gefallen wäre und wenn ich mich nicht so dermaßen orientierungslos gefühlt hätte. Aber wenn das Herz ein Kompass war, dann eröffnete sich mir in dem Moment ein neuer Weg, in dem ich am wenigsten damit rechnete.
tbc.
- ich wusste lange nicht, ob ich mich an diese geschiche wagen sollte oder nicht, aber dann blühte die idee bis ins kleinste detail auf. in der hoffnung, man liest/hört/schreibt sich bald,
die Herzkirsche