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Alle meine Gesichter

Charaktere, ihre Psyche und ihre Lieder.
von

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Wolf I (ohne Text)

Name: Wolf (weiblich)

Clan: Malkavianer

Lied: Blitzkid - Lady In The Lake
 


 


 

Ich drehe das Holzkästchen hin und her, das leise Klappern in seinem Innern ist fast schon tröstend. Nein, keine Angst. Ich erinnere mich, ich werde mich immer erinnern und ich werde euch zurückholen, oder ich schicke euch die, die euch überhaupt erst da hin gebracht haben.

Ich weiß immer noch nicht, wie genau oder warum ich entkommen bin, oder warum er ausgerechnet mich ausgesucht hat. Der einzige in diesem Haufen, der einen Rest Freundlichkeit in seinen Augen hatte, ganz tief drinnen. Er sah kalt aus wie die andern, aber er kam nachts manchmal, und nicht, um mir wehzutun. Sagte, er müsse die Ergebnisse notieren, die Veränderungen, die Auswirkungen der Experimente - aber danach blieb er manchmal noch. Hatte Brot in seiner Tasche versteckt, Brot für mich, ein kleines Stück nur, aber ich wusste - hätten sie es herausgefunden, wäre Schreckliches geschehen. Gegen Die Vorschrift.

Ein Kanten Brot, zwei gekochte Kartoffeln. Ein paar Worte, ein wenig wirr, aber nicht so wie die der andern. Er trug ihr Weiß, ihre Uniform vielleicht auch, doch für ihn war ich kein Ding. Kein Tier. Kein Abschaum, wie jetzt immer noch für so viele Blinde.

Das war schon, als ich in den Krankentrakt verlegt worden war. Sanitätsstation. Was für eine Lüge, ich hasse Worte immer noch, was man mit ihnen alles anstellen und verstecken kann ...
 

Es kam kein Licht in diese Zelle, kein einziger Sonnenstrahl, an der Decke brannte Tag und Nacht eine nackte Glühbirne, das war alles. Und ich war allein, allein mit der Kälte, allein mit der Nässe und dem immer neuen Brennen in meinen Adern. Fieber, Schüttelfrost, Ausschlag, Durchfall, Erbrechen. Dann wurde ich wieder gesund, immer wieder, ich betete darum, es dieses Mal nicht zu überstehen, aber mein Körper gehorchte mir nicht. Dieses verfluchte Ding klammerte sich ans Leben.

"Denk an uns", hatte mir Manju gesagt, bevor sie mich von ihnen trennten und hierherbrachten, das war schon sehr früh gewesen. Ironie, verfluchte Ironie, zwei Jahre zuvor hatte ich sie verlassen, war allein weitergezogen, und hier fand man sich wieder.

"Vergiss uns nicht und vergiss die Geschichten nicht." Ich glaube, sie wusste, was passieren würde, sie hatte versucht, mir die Karten beizubringen, die Zweige, das Prisma, aber ich hatte mich nicht geschickt genug angestellt. Sie hat es gewusst, ich bin mir sicher, sie war nicht umsonst die gewesen, die man immer gefragt hatte, in welche Richtung wir weiterziehen sollten. Und sie hat nicht umsonst geweint, als sie das Tor sah, durch das wir gingen.

Nein, keine Träne, keine einzige Träne, das hat sie ihnen nicht gegönnt, aber sie hatte ein Gesicht, als wenn die Erde blutet. Und das kann mir keiner sagen, dass ich das nicht richtig verstanden hätte.
 

Sie haben sie einmal halb geflutet, meine Zelle, ich weiß nicht, wieso. Drei Tage stand ich im hüfttiefen kalten Wasser, meine Pritsche war nass und überschwemmt, nicht einmal schlafen konnte ich auf dem Trockenen. Es stank bestialisch, das Loch in der Ecke war ja auch voll Wasser, und sein Inhalt verteilte sich im ganzen Raum.

Natürlich wurde ich krank, natürlich, und diesmal kam der Grund aus keiner ihrer Spritzen. Ich hustete, würgte, schlief wie eine Tote, wurde mehr als einmal davon wach, dass ich im Schlaf wohl um mich geschlagen hatte und ins Wasser gefallen war. Warum bin ich nie ertrunken? Warum?

Irgendwann wurde ich wach und das Wasser war weg, und jemand mit polierten Stiefeln stand im Raum und rümpfte die Nase, weil es stank. Und ließ mich putzen, ich konnte kaum aufrecht sitzen, aber ich habe die Wände gescheuert, den Boden, alles. Die Scheuerseife hat mir die Hände zerfressen, aber ich habe es Zu Vollster Zufriedenheit Erledigt.

Verstehst du? Das kannst du nicht verstehen. Warum man sowas tut. Warum man sich nicht irgendwann auflehnt.

Das hab ich versucht, ganz am Anfang, als sie mich von den anderen weggenommen haben. Ich hab ein Gespräch belauscht, angeblich wäre ich was Besonderes gewesen oder zumindest ein interessantes Subjekt. Als Arierin unter Zigeunern lebend. Die wollten sehen, inwieweit mich das beeinflusst hätte. Vorzugsbehandlung, Vorzugsmaterial.

Ich hab es versucht, und wie, mein Rücken war mehr als einmal rohes Fleisch - bis zu dem Tag, als mir der Brotmann einen von Barvalis Armreifen gezeigt hat.

Das waren Familienstücke, die hatten Zauber auf sich.

Keine Roma legt diesen Schmuck ab, so lange sie lebt, so lange sie irgendwie kann. Keine.

Da wusste ich, ich kann mich nicht retten und ich werde sie nie wiedersehen.

Keinen von ihnen. Die einzige Familie, die ich je Familie nennen würde. Jetzt war ich heimatlos, mein Herz in alle Winde zerstreut.

Ich habe versucht zu trauern, auch, wenn vielleicht noch ein paar lebten. Um sie alle.

Ich habe geweint um sie, geweint, bis ich nicht mehr konnte, nach Luft schnappend und trocken schluchzend in einer Ecke saß und einfach keine Tränen mehr kamen, weil keine mehr da waren. Ich war nicht so stark oder so beherrscht wie Manju, ich habe geschrien und gewürgt und versucht, ihnen eine Totenklage zu singen, aber meine Kehle war wie mit Stahlwolle ausgescheuert und die Worte sind mir in Gedanken zerlaufen, bevor ich sie aussprechen konnte. Ich wollte nicht mehr denken, ich wollte mich nicht mehr erinnern, ich wollte nicht die Letzte sein, und tief in mir wusste ich, dass ich es sein würde.

Und da bin ich verzweifelt, ich bin gegen die Wände gelaufen, wieder und wieder, habe versucht, mir diese verfluchte Nummer aus der Haut zu kratzen, und sie blieb, sie blieb und blieb und blieb, mir lief das Blut über die Hände, und sie blieb.

Und dann kamen rasche Schritte den Gang entlang, und einer in Weiß, in diesem widerlichen Weiß, und dann ein Stich und dann Schwarz.

Ich wachte auf, aus einem tiefen triefenden Schlaf, und noch halb bewusstlos schlug der Schmerz wieder auf mich ein.

Aber da war der Mann mit dem Brot. Er hatte kein Brot, aber er wollte wissen, ob er irgendetwas für mich tun könne.

Ich hab ihm ins Gesicht gespuckt. Einer von denen. Was für mich tun können. Lasst uns gehen, lasst uns alle gehen, gebt mir meine Leute zurück, meine Sippe... meine Barvali, meine Schwester...

Er hat es nur abgewischt.

Kann ich dir irgendwas organisieren, hat er gefragt.

Eine Scherbe.

Was?

Eine Glasscherbe.

Ich hab ihn nicht mal um ein Messer gebeten, zu groß, zu offensichtlich, zu wenig Chancen, es vielleicht zu kriegen... Eine Scherbe würde reichen, scharf genug sein, zwei Schnitte und dann endlich Ruhe, und vielleicht durfte ich dann vergessen.

Er hat sie mir nicht gegeben. Mich nur lange angeschaut und ist gegangen. Und nennt mich verrückt, aber unter diesem Blick sind meine Schmerzen weniger geworden. Ich hab fast nichts mehr gespürt. Keine Trauer, keine Wut, das Bedürfnis, meinen Kopf gegen die Wand zu schlagen, verschwand ... Ich sank zurück in den Medikamentennebel.
 

Ich schüttle den Kopf, zu frisch all diese Erinnerungen. Ich will nicht daran denken, ich will will will nicht, aber ich kann nicht anders.

Ich gehe hinüber zu einer Schüssel, die auf dem Boden steht, klatsche mir Wasser ins Gesicht.
 

Zeit zu jagen, Zeit zu vergessen, die Bilder ein paar geklaute Augenblicke lang zu ertränken. Die Erinnerungen und das andere, das ich nicht einordnen kann, das manchmal real ist und manchmal nicht, die vielen verschiedenen Stimmenfetzen, die in letzter Zeit immer mehr werden, die Eindrücke, die nicht meine sind, das Wissen, dass etwas passieren wird, aber keine Erklärung für die wirren Metaphern, das Gefühl, dass mein Kopf platzt, weil etwas unendlich Großes sich darin ausdehnt, das kreischende Herz, wenn in dir tausend Tode gestorben werden, die nicht deine sind ...
 

Ich hasse Worte. Man kann sie nicht-verstehen, wenn man es will. Und sie wollen es alle, da ist keiner, dem ich mich mitteilen kann, keiner, dem ich erklären kann, keiner, der mir hilft. Nicht mit den Erinnerungen. Nicht mit den blankliegenden Nerven. Nicht mit dem Hass, der mich fast zerbricht, mit dem Hass auf alle blinden Kinder, für die ich eine Erheiterung bin, die nicht einmal versuchen zu verstehen. Ich bin amüsant, nicht wert, ernstgenommen zu werden, mein Leiden, mein Schreien, meine Verzweiflung einfach Nicht Echt. Ihr habt doch keine Ahnung, spielt aus Gewohnheit oder Angst vor der Wahrheit eure alten Spiele weiter, eure Welt ist wohlgeordnet und ach so klein, egal, für wie bewandert in den verschiedensten Wissenschaften ihr euch haltet. Ihr habt doch keine Ahnung, wie es ist, verzweifelt die Scherben zusammenzuhalten, die alles sind von dem Brennglas, mit dem ihr früher so mühelos sehen konntet.

Oder Abschaum, wie damals. Die Verrückte. Fass sie bloß nicht an. Sprich nicht mit ihr. Geh vorbei. Könnte ja ansteckend sein. Genau wie damals.
 

Jeden Abend reißt mich mein Schmerz aus dem Schlaf, jeden Abend versuche ich verzweifelt die tagsüber entstandenen Risse in meinem Geist zu finden und zu kitten. Manchmal sehe ich so viele Facetten einer kleinen Sache auf einmal, dass ich einfach nur dasitze und verzweifelt überlege, was davon real sein kann und was nicht. Ich weiß, noch kann ich Realität und Wirrnis unterscheiden, aber ich habe Angst. Ich habe einfach nur Angst, was geschieht, wenn ich das irgendwann nicht mehr kann, und jeder von euch ignoranten Kainiten stößt mich wieder mit der Nase darauf, wie weit es mit mir schon gekommen ist.

Ich hasse euch und eure Blindheit. Und ich zerre und ziehe an eurer kleinen Welt, um euch endlich die Illusion zu zerschlagen, die ihr lebt - vielleicht könnt ihr dann, wenn der Schmerz eure Täuschung zerreißt, einen Schatten meiner Welt, meiner Wahrnehmung erkennen. Vielleicht versteht ihr dann etwas, vielleicht bin ich dann endlich nicht mehr so allein, als einzige Hörende unter lauter Tauben.

Ich verlange ja nicht, dass jemand meinen Wahnsinn teilt, denn das scheint es wohl zu sein.

Ich will doch nur, dass endlich jemand die Wahrheit sieht und mir sagen kann: ja, du hast recht, das hab ich auch gesehen.

Ich weiß doch, was real ist, und es tut so unendlich weh, wenn etwas Reales von allen anderen als nichtexistent abgetan wird.

Ihr könnt mich nicht vergessen, auch wenn ihr meine Wahrheit wegerklären, wegspielen, ignorieren und widerlegen könnt. Ich werde immer am Rand eures Blickfeldes stehen und schreien, auch, wenn ihr davon wohl nur ein dünnes Singen hört.
 

Singen.

Ich summe, mit heiserer, ungeübter Stimme. Ma'oz tzur... irgendwas. Der Text fällt mir nicht mehr ein, aber ich weiß noch, wie Ruben das für mich gesungen hat. Ruben, der Student gewesen war, mit dem ich zusammen gearbeitet habe, vor den Experimenten.

Er hat mir leise Dinge erzählt, wenn es gerade ging. Kleine Dinge, aus seinem Leben, das so anders gewesen war als meines. Ich war so glücklich gewesen, ihn zu haben, zu kennen, diese Stückchen seiner Geschichte hören zu dürfen.

Er blieb nicht lange bei mir, zwei Wochen nach diesem Lied ist er in den Zaun gerannt, er konnte nicht mehr. Er hat so viel gewusst, so viele Bücher gekannt ... ich hab es nicht glauben können, dass ein einzelner Mensch so viel weiß. Und dabei war er kaum älter als ich.

"Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf", hat er einmal gesagt, als einer aus der Kolonne auf dem Heimweg zusammengebrochen ist und den Rest des Weges nicht mehr zu machen brauchte, weil er erschossen wurde. Er hat es gesagt und verzweifelt versucht, schneller zu gehen und sich die Tränen und die Erschöpfung nicht anmerken zu lassen.

So hat er mir meinen Namen geschenkt, auch, wenn er es nicht weiß. Ich bin der Wolf, der die Blinden jagt, damit sie aufwachen. Und ich werde denen ein Wolf sein, die schuld sind an unserem Leiden.
 

Ich wünschte nur, er könnte das noch einmal für mich singen und meine Schmerzen lindern. Das hier ist kein Leben, auch, wenn so viele unserer Art so tun. Ich habe zu viel Tod gesehen und er hat mich einmal zu oft berührt, ich hätte anders aufwachsen sollen und wir alle hätten unser Leben anders beschließen sollen.
 

Ich wünsche mir nur noch Ruhe. Ich bin tot. Und kann nicht vergessen, darf nicht vergessen, darf nicht einmal in der Erde liegen - jeden Abend quäle ich mich durch eine weitere Nacht.

Bitte, sing für mich.

Ich wünschte, der Halb-Mensch-halb-Tier-Mann mit dem Tuch im Gesicht wäre hier. Er könnte singen, und ich könnte endlich Ruhe finden vor den Gesichten, den Stimmen, den Erinnerungen. Er könnte mein wundgescheuertes Herz wiegen, bis es einschläft, ich weiß nicht, wie sie es machen, diese Tiermenschen von unserer Art, aber sie können mich am besten beruhigen. Streuner wie ich.
 

Ich werde gehen, mich aufraffen, meinen Körper hinter mir herschleifen und ihm besorgen, was er zum Überleben braucht. Es ist wie damals - ich kann nicht sterben. Trotz des Brennens in meinem Körper, trotz der Schmerzen und so sehr ich auch versuche, den Faden zu durchtrennen, der mich hier hält - ich kann es nicht, mein Leben - oder Unleben - ist zu zäh und hat seinen eigenen Willen.
 

Ich werde gehen und jagen, und das Blut wird für mich singen und mich vergessen machen. Manche Dinge berühren mich auf so vielen Ebenen, dass sie das Andere, alles andere, kurzzeitig ausblenden können.
 

Vielleicht werde ich heute Nacht jemanden finden, der mir helfen kann. Oder besser noch - einen Schuldigen.



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