Schneesturm von Eissee ================================================================================ Kapitel 4: Eis und Feuer ------------------------ Kein Geräusch war zu hören. Nicht das ohrenbetäubende Tosen des Sturmes draußen. Keine einzige Bewegung innerhalb des Hauses. Nicht einmal ein leises Atmen. Edward hörte rein gar nichts. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er seine Augen geschlossen hatte. Wären sie offen gewesen, hätten diese ihm, so dachte er, auch nur ein verschwommenes, unwirkliches Bild gezeigt. Das Gesicht seines Bruders, das seinem so nah war, dass sie sich berührten. Dies war etwas, was er am liebsten gar nicht sehen wollte und doch zur gleichen Zeit so sehr, dass es ihn innerlich fast zerriss. Denn das einzige, wozu sich Edward noch imstande sah, war fühlen. Er fühlte in diesem einen Moment viel zu viel, als das er überhaupt einen klaren Gedanken darüber fassen konnte. Er fühlte eine überwältigende Hitze, die sich in seinem gesamten Körper auszudehnen schien und ihn fast ohnmächtig werden ließ; unerbittliche Kälte, die mit eisigen Fingern nach ihm griff und sich seine Wirbelsäule hinab schlängelte; kribbelnde, wahnwitzige Freude, von der er nicht genau wusste woher sie rührte; zuletzt erdrückender Ekel vor sich selbst und dem, was er gerade tat. Vor allem aus welchen Motiven heraus es geschah. Auch wenn in Wirklichkeit gerade einmal ein paar Sekunden vergangen waren, kam es Edward vor, als wären es Minuten. Quälend lange Minuten, in denen er sich in seinen widersprüchlichen Empfindungen verlor. Minuten zwischen tiefster Verzweiflung und höchstem Wohlgefallen und langsam konnte Edward die Luft nicht länger anhalten und sein heißer Atem streifte leise zitternd Als Lippen. Unter ihm regte sich sein Bruder im Schlaf und als dieser lautlos seufzte, öffnete sich sein Mund einen fast unsichtbaren Spalt breit und sein Kopf fiel sanft ein klein wenig mehr in Eds Richtung. Komplett verängstigt darüber, dass Alphonse nun aufwachen und ihn mit seinem fragenden Blick durchbohren würde, riss der Ältere die Augen auf, brachte sein Gesicht in sicheren Abstand zu dem seines Bruders und hielt erneut seinen brennenden Atem in seinen Lungen gefangen. Edward starrte den immer noch Schlafenden unentwegt an, konnte seinen Blick einfach nicht abwenden. Nach wie vor war er nur Zentimeter von ihm entfernt. Oder waren es Millimeter? Ed hatte das leise Gefühl, dass ihn seine Sonne nicht mehr freilassen würde, auch wenn er jetzt am liebsten einfach davon rennen, sich in irgendeinem Zimmer einsperren und erst wieder rauskommen würde, wenn diese verdammt verwirrenden und falschen Gefühle endlich verschwunden wären. Doch die Sonne hatte ihn längst lichterloh angezündet und in Feuerketten gelegt. Es gab kein Entkommen mehr, auch wenn er es noch so sehr wollte. Dabei wusste er im Moment selbst nicht mehr, was er eigentlich wollte. Während Edwards Blick sich regelrecht in Als Gesichtszüge hineinbrannte und diese so sanft aussehenden, leicht geöffneten Lippen fast mit den Augen verschlang, wurde Ed sich plötzlich eines noch ganz anderen Gefühls bewusst. Etwas, was er gar nicht fühlen wollte. Ein Gefühl, dem er sich trotz all seiner Willensstärke, die er aufzubringen vermochte, nicht im Stande sah, zu widersetzen. Dazu fehlte ihm eindeutig die Kraft und all seine Gedanken kreisten nur noch um eines: Al. Al. Al. In seinem Kopf hallte nur noch dieser Name wieder und wie unter Hypnose hob Ed seine Hand, wollte diese blonden, weichen Haare, die das Gesicht seines Bruders umrahmten an seiner Haut fühlen und noch einmal diese Lippen an den seinen. Nein, er wollte noch mehr als das. Begierig näherte sich sein Mund wieder dem des Jüngeren, als sich seine Finger bebend in Als Haaren vergruben. Nur stoßweise ging Edwards Atem, sein Blick fiebrig und keinen Gedanken mehr an Zweifel verschwendend, überbrückte er die schmerzliche Distanz zwischen ihnen und… Das Telefon klingelte. Es riss die Stille auseinander wie ein ohrenbetäubender Donnerknall einen ruhigen Nachthimmel zerriss. Wie mit Eiswasser übergossen und mit rasendem Herzen, sprang Edward schlagartig auf und ging, ohne Alphonse auch nur noch eines Blickes zu würdigen, zum Telefon und nahm wie betäubt den Hörer ab und drehte sich mit dem Rücken zur Couch. Nur weg von ihm. Al erwachte nur langsam aus seinem tiefen Schlaf und blinzelte mehrmals, als er sich zu erinnern versuchte, wer oder was ihn eigentlich gerade aus seinem angenehmen Traum gerissen hatte. Den genauen Inhalt des Traumes konnte er nicht mehr heraufbeschwören, aber er wusste ganz sicher, dass es ein schöner war. Er war warm gewesen. Ja, eine willkommene Wärme hatte ihn umfangen und er hätte sie gerne festhalten, sich ihr entgegenwerfen wollen, doch dann war er aufgewacht. Noch immer etwas schläfrig setzte Al sich auf dem Sofa auf, wobei das Buch über dem er eingeschlafen war, welches noch immer auf seinem Bauch gelegen hatte, herunter rutschte und mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden landete. Im Moment kümmerte es Al nicht sonderlich, denn sein Blick blieb an seinem Bruder hängen, der gerade den Telefonhörer in die Hand nahm und diesen ohne ein Wort und ohne ihn anzusehen in seine Richtung hielt. Etwas, Edwards ganze Körperhaltung, kam ihm merkwürdig anders vor als sonst. Alphonse zog fragend eine Augenbraue nach oben. „Wer ist dran?“, fragte er Ed, der noch immer mit dem Rücken zu ihm stand und keinerlei Regung zeigte. Das kam Al zwar einerseits höchst seltsam vor, aber andererseits konnte er es Edward nicht verdenken, hatte er ihn doch heute Morgen mit ziemlich hohem Fieber wieder ins Bett gesteckt. Ins Bett! „Und warum bist du nicht im Bett? In deinem Zustand solltest du dich ehrlich gesagt nirgendwo anders aufhalten, Bruder! Sonst wird dein Fieber am Ende nur noch schlimmer.“, belehrte er seinen großen Bruder, als er nun aufstand um das Telefon entgegenzunehmen. Wohl darauf bedacht, dass sich ihre Hände nicht berührten, übergab Ed den Hörer und entfernte sich wieder einige Schritte von Al, um Distanz zwischen ihnen aufzubauen. Verwirrt sah Alphonse dem Anderen hinterher und meldet sich am Telefon. „Ja? Hallo?“, ein wenig überrascht über die Stimme am anderen Ende, ging ihm plötzlich ein Licht auf, wieso sein Bruder so merkwürdig reagiert haben könnte. „Ah, Winry! Was? Ihr seid also auch eingeschneit? Wir wollten heute eigentlich zu euch rüberkommen…“, vertieft in sein Gespräch mit dem blonden Mädchen, bemerkte Al nicht, dass Edwards merkwürdiges Verhalten keineswegs an Winry lag. Von seinem Bruder abgewandt stand Ed wie versteinert da. Eine Hand an seinen Mund, die andere an seine bebende Brust gepresst, hinter der sein Herz so sehr hämmerte, dass es schon physisch wehtat und er sich ziemlich sicher war, dass es augenblicklich seinen letzten Schlag tun würde. Doch es schlug weiter, pumpte weiterhin flüssiges Feuer durch Edwards Adern. Was war eben mit ihm geschehen? Seine Gedanken rasten, ebenso sein Atem. Er hatte die Kontrolle über sein eigenes Handeln verloren und seinen verwerflichen Gefühlen und Gedanken nachgegeben. Das durfte er nicht! Wie sollte es denn nur weitergehen, wenn er sich nicht einmal mehr beherrschen konnte, wenn er Al auch nur ansah? Über alle Maßen beunruhigt, versuchte Ed sich dennoch wieder zu fassen und ließ seine Hände langsam wieder sinken. Unruhig starrte er auf den hölzernen Boden. Als Stimme, die sich immer noch mit Winry am Telefon unterhielt, war für ihn nicht mehr als ein dumpfes Rauschen im Hintergrund und etwas begann hinter seinen Augen zu brennen. Fast schon fluchtartig setzte sich Edward auf einmal in Bewegung und stürzte regelrecht die Treppe nach oben und ins Bad, wo die Tür hinter ihm krachend ins Schloss fiel. Im unteren Stockwerk verabschiedete sich ein sehr irritierter Alphonse gerade von dem Nachbarsmädchen. „Ja. Ja, wir melden uns. Bis dann Winry und richte Pinako liebe Grüße aus!“, damit legte er seufzend auf. Was sie ihm gerade erzählt hatte, beunruhigte ihn auf gewisse Weise sehr. Doch worüber er sich im Moment noch mehr Sorgen machte, war das sonderbare Verhalten seines Bruders. Das konnte doch nicht alles nur vom Fieber herrühren, oder doch? Fürsorglich wie Al nun einmal war, wollte er sich vergewissern, dass es dem Älteren auch gut ging. Also stieg er nach oben zur Badezimmertür und klopfte vorsichtig an. „Bruder? Alles klar bei dir? Langsam mache ich mir nämlich wirklich Sorgen wegen deinem Fieber. Du verhältst dich irgendwie anders als sonst.“, das hatte Al ohne Zweifel bemerkt, kannte er seinen großen Bruder doch in und auswendig. Das Thema Winry riss er jetzt lieber nicht an, wusste er doch, dass sein Bruder darauf nicht gut zu sprechen war und das es in seiner jetzigen Situation sicher auch nicht wirklich hilfreich war, wenn er sich nur unnötig aufregte und Energie verbrauchte. Im inneren des Badezimmers stand Edward mit dem Rücken und mit aufgerissenen Augen an die Tür gelehnt da. Da war sie wieder, diese Stimme, die er bis eben noch versucht hatte auszublenden und die sich nun erneut in sein Innerstes fraß. Ed biss sich heftig auf seine zitternde Unterlippe. Nein, dachte er. Nicht nur der bloße Anblick des Jüngeren, schon allein seine Stimme löste chaotische Gefühle in ihm aus, sodass ihm davon regelrecht elend wurde. Er verstand die Welt nicht mehr. Er verstand sich nicht mehr. Ohne Al zu antworten trat Ed langsamen und nur schwachen Schrittes an das Waschbecken und klammerte sich geradezu verzweifelt daran, wie ein Ertrinkender an einen Rettungsreifen und starrte seinem eigenen Abbild im Spiegel über dem Becken finster entgegen. Wie sollte er Alphonse nun je wieder gegenübertreten? Hatte er gemerkt, was sein Bruder getan, was er gedacht hatte, als er friedlich schlafend auf dem Sofa lag? Nein, hoffte Ed. Er konnte es nicht bemerkt haben. Er durfte nicht! Was würde Al denn von ihm denken, wenn er wüsste, was sein Bruder mit ihm machen wollte? Bei diesem Gedanken überkam Edward eine erneute Welle der Übelkeit, der sich jedoch zugleich auch eine kribbelnde, züngelnde Woge aus reinem Feuer anschloss. Bei einem erneuten Klopfen von draußen, welches diesmal energischer klang, zuckte Ed heftig zusammen. „Hey! Wenn du mir nicht einmal mehr antwortest, habe ich tatsächlich das ungute Gefühl, dass du wirklich furchtbar krank bist, Bruder!“, kam es sehr besorgt von Al, der angestrengt an der Tür lauschte, um irgendein Lebenszeichen von seinem Bruder zu wahrzunehmen. Edward war ob dieser Worte wie erstarrt und das Brennen in seinen Augen, dass er vorhin schon gespürt hatte, kam nun mit doppelter Schärfe zurück und zerrte nun unnachgiebig heiß und kalt zugleich an ihm. Er konnte nicht mehr standhalten. Auf zittrigen Beinen und mit überwältigender Verzweiflung überkam es Edward, der sich so sehr an seinen einzigen Halt klammerte, dass seine Hände davon schmerzten, als er sein Spiegelbild betrachtete, dem leise aber unaufhörlich Tränen über das Gesicht rannen. Was sollte er nur tun? „Ja.“, nur ein Hauch kam über Eds Lippen als er Als Vermutung bestätigte. „Ich bin…wirklich sehr…krank.“, flüsterte er schwach zu sich selbst, Al konnte es unmöglich hören, und er fragte sich, wie ihm auf einmal nur so unsagbar kalt sein konnte, wo er doch vor nur wenigen Sekunden noch lodernd brannte? Es war, als absorbierte die Sonne vor der Tür, die ihm so nah war und doch so fern, sämtliche Energie seines Körpers. Entkräftet sank Edward vom Waschbecken langsam zu Boden. Nie würde er sich verzeihen können für das, was er empfand, denn es erschien ihm einfach nicht richtig, egal wie lange er darüber nachdachte. Er musste diese Gefühle beiseiteschieben. Nein, nicht nur wegschieben, sie würden ihn sicher irgendwann doch wieder einholen. Er musste die gierigen Flammen dieser Empfindungen gewaltsam ersticken; erbarmungslos und mit Eiseskälte ermorden. Er musste einfach! Denn ansonsten würde er nie mehr in der Lage sein, sich seinem Bruder gegenüber wie früher zu verhalten und das würde bedeuten, dass er sich von ihm fernhalten müsste. Doch ohne ihn konnte und wollte er nicht leben! Mittlerweile zitterte Edward am ganzen Körper. Die Kälte kroch seine Gliedmaßen hinauf bis in seine Wirbelsäule und beraubte ihn seiner letzten Kräfte. Sein Kopf dröhnte und noch einmal hörte er ein kräftiges Klopfen an der Zimmertür, ehe die Welt vor seinen Augen in Schwarz gehüllt wurde und jegliche Empfindungen für ihn ausschaltete. Alphonse war nun nicht mehr nur besorgt, sondern höchst alarmiert, da sein großer Bruder bis jetzt keinen einzigen Laut von sich gegeben hatte. Beklommen ergriff Al die Türklinke und öffnete das Badezimmer. Sofort erblickte er den Älteren, der reglos am Boden lag. Scharf zog Al die Luft ein, hastete zu ihm, griff Ed an den Schultern und versuchte ihn wach zu rütteln, was aber nicht von Erfolg gekrönt war. „Bruder, Bruder! Was ist denn los mit dir? Was hast du?“, beinahe panisch und mit flauem Gefühl im Magen untersuchte Alphonse, ob der Andere irgendwelche körperlichen Verletzungen hatte, aber dem war nicht so. Er fühlte hastig nach seinem Puls, der aber gleichmäßig schlug. Dann legte er ihm nervös eine Hand auf die Stirn. „Du brennst ja!“, rief er überrascht. „Ich wusste, du hättest im Bett bleiben sollen. Warum hörst du auch nie auf deinen kleinen Bruder, du Sturkopf?!“, Al schüttelt deprimiert den Kopf über Edward, als er an dessen Wangen etwas Feuchtes bemerkte. Vorsichtig hob er eine Hand an Eds Wange und befühlte die nassen Schlieren. Tränen, dachte Al. Warum hatte sein Bruder geweint? Ging es ihm schon so schlecht durch das Fieber, dass er Schmerzen hatte? Dann war es also mehr als nur eine normale Erkältung. Nachdenklich fuhren Als Finger über die feuchte Wange seines Bruders. Nasse Haut war auch etwas, was er so gut wie noch nie unter seinen Fingerspitzen gefühlt hatte, ausgenommen bei sich selbst natürlich. Aber das hier war etwas anderes. Es war nicht einfach nur das Gefühl Haut zu berühren, sondern die Haut eines anderen Menschen. Plötzlich riss sich Al los. Für so etwas hatte er nun wirklich keine Zeit! Er musste seinem Bruder schnell helfen das Fieber wieder zu senken! Energisch hievte er sich den Älteren, so gut es mit dessen schwerem Automail-Bein eben ging, auf den Rücken und trug ihn huckepack nach unten ins Wohnzimmer. Dort angekommen, legte er ihn behutsam auf der Couch ab und holte eine dicke Wolldecke, um den Kranken darin warm einzupacken. Dann machte sich Al auf den Weg in ihr Schlafzimmer und bemerkte den immer noch recht großen Schneehaufen auf Eds Bett. Bisher hatte er sich noch nicht darum gekümmert das Missgeschick zu beseitigen und daher war es nicht verwunderlich, dass es nun auch recht kalt im Raum war. Eine leichte Gänsehaut bildete sich auf Als Armen. Nicht nur durch die Zimmertemperatur, sondern auch schon beim bloßen Anblick der Schneemassen, die sich zum Fenster hereinschoben. Den Blick abwendend ging Al zielstrebig zu seinem eigenen Bett und schnappte sich den Wassereimer und das Handtuch, mit dem er zuvor schon Eds Fieber hatte senken wollen. Inzwischen war das Wasser jedoch nicht mehr ganz so kalt, wie es sein sollte. Also entschloss Alphonse sich kurzerhand etwas von dem eingedrungenen Schnee als Kühlung mitzunehmen. Doch als seine Finger das kalte Eis berührten, hielt er inne. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Seltsam vertraut, doch es war so lange her, dass er es fast schon vergessen hatte. Ein kleines Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als Erinnerungen aus ihrer Kindheit auf ihn einströmten. All die Schneeballschlachten. All das eiskalte Wasser, das seinen Rücken hinunterlief, wenn Ed ihm mal wieder eine volle Ladung Schnee in seinen Nacken warf. Auf einmal hatte Al das urkomische Bedürfnis, sich in den vor ihm auftürmenden Schneehaufen zu werfen und all diese Gefühle von damals noch einmal zu erleben. Die Kälte hätte ihn in diesem Moment nicht einmal sonderlich gestört. Doch wenn sie nicht im eigenen Haus erfrieren wollten, musste sich Al wohl oder übel alsbald darum kümmern, den Schnee zu beseitigen. Doch zuerst hatte sein Bruder Vorrang! Kopfschüttelnd beließ er es bei zwei Handvoll Schnee, die er in den Eimer warf und machte sich dann wieder auf den Weg zum Wohnzimmer. Edward lag noch immer so da, wie er ihn zurückgelassen hatte und jetzt bemerkte Al auch dessen deutlich vom Fieber geröteten Wangen, als er den Eimer mit Eiswasser vor dem Sofa abstellte. Sofort tauchte er das Tuch ins Wasser, wrang es sorgfältig aus und führte es an die erhitzen Wangen seines Bruders. Dabei kam er nicht umhin sich an heute Morgen erinnert zu fühlen. Sachte versuchte er den Kopf des anderen abzukühlen und strich mit seinen Fingern probeweise über Edwards Stirn. Der Kontrast zu dem eiskalten Handtuch war merkwürdig, wie Al bemerkte. Waren seine Finger eben fast taub gewesen von der Kälte, so fühlten sie sich jetzt an, als würden sie brennen. Ein Unterschied wie Eis und Feuer, schoss es ihm durch den Kopf. Al mochte das prickelnde Gefühl dieses Gegensatzes, das durch seine Fingerspitzen fuhr. Noch einmal befeuchtete er das Handtuch und ließ es dann auf Eds Stirn liegen. Mehr konnte Al für seinen Bruder im Moment nicht tun. „Werde schnell wieder gesund, Bruder.“, flüsterte er ihm noch zu, als er sich erhob und daran machte, die halbe Lawine auf Eds Bett zu beseitigen. Edward schwebte. Auf Lava und auf Eis. Ihm war heiß und ihm war kalt. Abwechselnd, zugleich. Er wusste es nicht genau. Alles um ihn herum erschien unwirklich. War er ohnmächtig geworden? Das letzte woran er sich erinnern konnte, war Winrys etwas genervte Stimme, nachdem er das Telefon abgehoben hatte. Nachdem sie sich getrennt hatten, wollte das Mädchen partout nicht mehr mit ihm reden, nicht einmal am Telefon. Daher verlangte sie immer sofort nach Alphonse, wenn Ed ans Telefon ging. Al. Damit kamen seine Erinnerungen schlagartig zurück und sein Kopf strafte ihn daraufhin mit einem heftigen Schmerz, der von einer heißen Fieberwelle begleitet wurde. Angestrengt versuchte Ed seine Augen leicht zu öffnen, doch alles war verschwommen und drehte sich, was einen leichten Brechreiz in ihm heraufbeschwor. Daraufhin schlug er die Augen gleich wieder nieder. Im gleichen Moment bemerkte Ed etwas Nasses auf seiner Stirn liegen, als sich kleine Wassertropfen ihren Weg sein Gesicht hinab bahnten. Er wollte danach greifen, doch stieß er in seiner Schwäche auf einen Widerstand. Jemand hatte ihn zugedeckt. Schwerfällig wand er einen Arm unter dem Stoff hervor und befühlte das Tuch auf seinem Kopf. Sicherlich war es einmal kalt gewesen, doch jetzt glich seine Temperatur eher der von Edwards Gesicht. Langsam und wie in Trance zog Ed es ungeschickt nach unten bis es kraftlos mitsamt seiner Hand auf seiner Brust landete. Immer wieder öffnete und schloss er seine Augen, doch die Welt um ihn schien nicht stillstehen zu wollen. Doch was er sehen konnte, verriet ihm, dass er alleine war. Al war nicht bei ihm. Normalerweise wäre er über diese Tatsache sehr verwundert gewesen, war es doch überhaupt nicht Als Art seinen Bruder in solch einer Situation auch nur eine Sekunde alleine zurück zu lassen. Doch so wie die Dinge momentan standen, war er doch eher froh darüber, dass der Jüngere jetzt nicht hier war. Edward versuchte seine Gefühlswelt, so gut es ihm möglich war, noch einmal zu ordnen. Kurz bevor er ohnmächtig wurde, hatte er sich entschlossen, all diese falschen Gefühle, die ihn in der Nähe seines Bruders überkamen, zu beseitigen und so mit sich selbst wieder ins Reine zu kommen. Doch wie sollte er das anstellen? Er wurde doch tagtäglich mit Alphonse konfrontiert, also war es so gut wie unmöglich, nicht an ihn zu denken oder mit ihm zu reden. Zudem fände dieser es sicher äußerst suspekt, warum sich der Ältere auf einmal so auffällig anders verhielt und Ed bis aufs Blut mit Fragen löchern. Nein, das hatte doch so alles keinen Sinn. Und wem wollte er damit eigentlich etwas vormachen? Gefühle, so wusste er, waren sie auch noch so schändlich und falsch, ließen sich nicht einfach abstellen. Es gab keinen Schalter, den man schlicht hätte umlegen können. Je mehr Edward sich dieser unumgänglichen Wahrheit bewusst wurde, desto schmutziger fühlte er sich. Und nur noch schlimmer als dieses Gefühl, war das wiederkehrende Gefühl des Feuers in seinem Herzen, welches rein gar nichts mit dem Fieber zu tun hatte, als das Gesicht seines Bruders wieder in seinem Kopf auftauchte. Müde und erdrückt von all der Schwere seiner unmoralischen Gedanken, fuhr er sich mit einer Hand übers Gesicht. „Al…“, murmelte er leise, begleitet von einem erschöpften Laut, hinter seiner Hand. „Ja, Bruder?“ Ed hätte fast gelacht oder vielmehr geweint. Nun hörte er in seinem Fieberwahn schon die Stimme des Jüngeren in seinem Kopf. Wie automatisch zwang sich ihm beim Klang dieser Stimme eine Erinnerung auf. Die sanfte Berührung ihrer Lippen, als Alphonse an Edwards Stelle lag. Er hatte den Augenblick, als sein kleiner Bruder geschlafen hatte, schamlos ausgenutzt. Doch musste er sich trotz seines Selbstekels und seiner Gewissensbisse eingestehen, dass es sich ausgesprochen betörend und befriedigend angefühlt hatte. Edward wusste nicht einmal, ob er überhaupt dazu fähig sein würde, nicht noch mehr von diesem einnehmenden, brennenden Gefühl spüren zu wollen, sobald er auch nur noch einmal in Als Augen sah. „Bruder?“, da war Als Stimme wieder, die in seinem Kopf wie Donner widerhallte, als gäbe es nichts anderes. Dies, die nagenden Bilder seines schlafenden, wehrlosen Bruders vor seinem inneren Auge sowie die fiebrige Hitze seines Körpers, ließen ihn erneut absurde Gedanken fassen, denen er sich nicht entziehen konnte und die wie von selbst durch seine erhitzten Lippen brachen. „Ich will dich…“, Ed holte tief Luft, doch war es nicht viel mehr als ein gebrochenes Flüstern, als er weitersprach. „…richtig küssen.“, wisperte er hinter seiner Hand, die noch immer auf seinem Gesicht lag, begleitet von einem leisen, gequälten Laut, zerrissen von seinen eigenen Gefühlen. Erneut spürte er, wie sich Tränen in seinen Augen bildeten. Doch er wusste nicht mehr, ob sie hervor brachen, weil er sich so sehr für diesen Wunsch schämte oder weil er es so sehr wollte und doch nicht durfte? „Hm? Was redest du denn da, Bruder? Das Fieber scheint dir ja wirklich zu Kopf gestiegen zu sein.“, nun hörte der Ältere Als Stimme schon so deutlich, als würde er direkt neben ihm stehen. Edward erschien der Gedanke, dass sein Bruder ihn eventuell gehört haben könnte, fast so irrwitzig, dass er beinahe laut los gelacht hätte. Etwas anderes ließ ihn aber stutzen. Ein Schatten, der sich vor seine geschlossenen Augen schob, der aber definitiv keine Einbildung sein konnte. Al! Entsetzt und von Panik ergriffen, hielt Edward augenblicklich den Atem an. Da war es wieder. Ihn überkam erneut das überwältigende Gefühl von unerbittlicher Kälte, die seinen gesamten Körper vor Furcht und Scham erstarren ließ und zugleich diese brennende Hitze des Verlangens, die jeden rationalen Gedanken zu Asche werden ließ. Zittrig atmete er aus und die Glut fegte das Eis hinfort, nahm seinen Platz ein, brannte es nieder. Ed riss verängstigt seine Augen auf und starrte zwischen seinen Fingern hindurch unmittelbar in ein goldenes Augenpaar, welches ihn anstarrte. Nein. Niemals würde er sich gegen dieses Höllenfeuer seiner Sonne wehren können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)