With fairytale through the year von sunny3291 ================================================================================ Kapitel 19: Herbstmagie: July part 2 ------------------------------------ Man kann keinen Eierkuchen backen, ohne ein paar Eier zu zerschlagen. Napoleon Bonaparte Sie versuchte, nicht länger daran zu denken. Ein brutal enger Terminkalender voller Sommerhochzeiten half ihr, nicht darüber nach zu grübeln, was sie getan hatte, zumindest während vier von fünf Minuten. Doch sie arbeitete so oft allein, dass sie entschieden zu viel Zeit zum Nachdenken hatte und dazu, sich zu fragen, wie sie nur so unglaublich dämlich sein konnte. Albus hatte das verdient, klar. Und es hatte schon lange in der Luft gelegen. Doch wenn sie es sich recht überlegte, wen hatte sie mit diesem Kuss eigentlich bestraft – außer sich selbst? Denn jetzt war das Ganze nicht länger reine Theorie oder Spekulation. Jetzt wusste sie, wie es sich anfühlte, wie sie sich dabei fühlte, wenn sie sich einfach gehen ließ – nur für einen Augenblick – und sich Albus hingab. Nie wieder würde sie sich einreden können, dass ihn zu küssen sich in Wirklichkeit längst nicht so grandios anfühlen würde wie in ihrer Fantasie. Sie hatte die Fahrkarte gelöst und das Zeichen zur Abfahrt gegeben. Um eine Erstattung zu bitten, kam für sie nicht in Frage. Wenn Albus sie nicht so auf die Palme gebracht hätte, dachte sie, als sie los eilte, um beim Umdekorieren in der knappen Zeit zwischen zwei Samstagsveranstaltungen zu helfen, wenn er sie nicht so wahnsinnig gemacht hätte mit seinem typischen Warum machst du das nicht so, warum isst du nichts Vernünftiges – um dann, dann auch noch zu seiner fetten Brieftasche zu greifen, als ob… Und das war nicht fair, dass musste sie zugeben. Sie hatte Albus provoziert, gereizt, bedrängt. Sie war auf einen Kampf aus gewesen. Sie setzte den Aufsatz auf die elegante dritte Etage der weiß-goldenen Torte, die sie vergoldete Träume nannte. In ihren Augen war das eine ihrer verspielteren Torten, mit dem seidigen, mehrschichtigen Überzug und den verschnörkelten Rosetten. Nicht ihr persönlicher Geschmack, dachte sie, während sie ein paar zusätzliche Rosetten am unteren Rand verteilte und über das schimmernde goldene Tischtuch verstreute. Wahrscheinlich, weil sie keine Traumtänzerin und alles andere als verspielt oder versponnen war. Sie war vielmehr pragmatisch. Durch und durch realistisch. Keine Romantikerin wie Dome, auch nicht so relaxt wie Roxy oder so optimistisch wie Rose. Im Grunde orientierte sie sich stets an Rezepten, oder? Sie konnte mit Mengen oder Zutaten experimentieren, doch letzten Endes musste sie akzeptieren, dass bestimmte Bestandteile einfach nicht gut zusammenpassten. Wenn sie versuchte, das Unvereinbare zusammen zu rühren, kam am Ende eine ungenießbare Pampe dabei heraus. Das konnte man dann lediglich als Fehlschlag abhaken und weitermachen. „Traumhaft.“ Dome stellte ihren Tragkorb ab, um einen kurzen, anerkennenden Blick auf die Torte zu werfen. „Ich hab die Kerzen und die Tischblumen.“ Sie drehte ihr Handgelenk, um auf ihre Uhr zu sehen, und stieß einen kurzen Freudenschrei aus. „Wir sind genau in der Zeit. Alles ist geschmückt, drinnen wie draußen, und Roxy ist so gut wie fertig mit den Aufnahmen vor der Zeremonie.“ Alice wandte sich vom Tortentisch ab, um den Ballsaal zu betrachten. Sie staunte, wie viel die anderen geschafft hatten, während sie in Grübeleien versunken war. Ein Blumenmeer, noch mehr Kerzen, die noch angezündet werden mussten, locker verstreute Tische, dekoriert in schimmerndem Gold und dem Sommerblau, das die Braut ausgewählt hatte. „Was ist mit dem großen Saal?“ „Der Partyservice legt gerade letzte Hand an, aber mein Team ist fertig.“ Mit ihren geschickten Floristinnenhänden arrangierte Dome die Leuchtkerzen, Teelichter und Blüten. „Fred hält das Gefolge des Bräutigams bei Laune. Es ist schön, dass er mit anfasst.“ „Ja. Kommt dir das nicht manchmal komisch vor?“ „Was?“ „Das mit dir und Fred. Findest du es nicht manchmal immer noch seltsam, dass ihr euch jahrelang gekannt habt und gut befreundet wart und plötzlich so eine Hundertachtzig-Grad-Wende vollführt habt?“ Dome trat einen Schritt zurück und wieder vor, um eine Rose um einen halben Zentimeter zu verschieben. „Manchmal staune ich darüber, aber öfter graust es mir bei der Vorstellung, was wäre, wenn wir einfach so weiter gemacht hätten, anstatt diese Kehrtwende zu machen.“ Dome schob ihre Haarklammer zurecht, um ihre Lockenpracht zu bändigen. „Dir kommt es nicht komisch vor, oder?“ „Nein. Ich frag mich höchstens, ob es komisch ist, dass ich es nicht komisch finde.“ Alice hielt inne und schüttelte den Kopf. „Hör nicht auf mich. Ich bin irgendwie durcheinander.“ Alice war erleichtert, dass sie in ihrem Ohrstöpsel Rose Signal hörte. „Die Zwei-Minuten-Vorwarnung. Wenn du hier alleine zurechtkommst, gehe ich runter und helfe, die Gäste aufzustellen.“ „Ich komme klar. Bin auch gleich unten.“ Alice legte die Schürze ab und nahm die Klammern aus dem Haar, als sie nach unten eilte und dreißig Sekunden vor der Zeit am vereinbarten Treffpunkt eintraf. Nicht ihr Geschmack, dachte sie erneut, doch sie musste zugeben, dass die Braut wusste, was sie tat. Ein halbes Dutzend Brautjungfern stellten sich nach Rose Anweisungen auf, mit golden glänzenden Glockenröckchen und den auffälligen Sträußen aus blauen Dahlien, in die Dome als Kontrast weiße Rosen gebunden hatte. Die Braut selbst, eine königliche Erscheinung in schimmernder Seide mit funkelnden Perlen und einer Schleppe voller glitzernder Pailletten, stand strahlend neben ihrem Vater – der in Frack und weißer Krawatte blendend aussah. „Mutter des Bräutigams steht bereit“, murmelte Rose ihr zu. „BM wird jetzt herein geleitet. Meine Damen! Lächeln nicht vergessen. Caroline, sie sehen fantastisch aus.“ „So fühle ich mich auch. Das ist es, Papa“, sagte die Braut. „Vorsicht, sonst heule ich gleich.“ Der Brautvater ergriff die Hand seiner Tochter und führte sie an die Lippen. Rose sprach einen wortlosen Zauber und gab somit das Zeichen für den Musikwechsel, so dass das Streichorchester, für das die Braut sich entschieden hatte, sich in die Eingangsmusik mischte. „Nummer eins, los. Kopf hoch! Lächeln! Ganz klasse. Und… Nummer zwei. Kopf hoch, die Damen.“ Alice strich Röcke glatt, rückte Diademe zurecht und stellte sich schließlich neben Rose, um zuzuschauen, wie die Braut den Blumen bestreuten Mittelgang hinunter schritt. „Spektakulär ist das richtige Wort dafür“, entschied sie. „Ich dachte, es wäre vielleicht des Guten zu viel, so dass alles ins Kitschige kippt. Aber es ist knapp davor und gerade noch elegant.“ „Ja. Trotzdem – ich kann dir sagen, ich bin froh, wenn ich einen Monat lang nichts Goldenes oder Vergoldetes mehr sehen muss. Wir haben jetzt zwanzig Minuten, bevor wir die Gäste in den großen Saal dirigieren müssen.“ „Davon klaue ich mir zehn und gehe ein bisschen spazieren. Ich brauche mal eine Pause.“ Augenblicklich drehte Rose sich um. „Alles in Ordnung?“ „Ja, ich brauche nur eine Pause.“ Um den Kopf klar zu kriegen, dachte Alice, als sie sich nach draußen begab. Ohne Leute um sich herum. Das Service-Team würde jetzt in der Küche sein, um etwas zu essen, bevor alle wieder an die Arbeit gingen. Also nahm sie den längeren Weg ums Haus, vorbei an den seitlichen Terrassen und Gärten, wo sie die Ruhe genießen und sich an den üppigen Sommerblumen erfreuen konnte. Um die Pracht noch zu vergrößern, hatte Dome hier und da Kübel und Töpfe mit leuchtend blauen Lobelien oder zartrosa Fleißigen Lieschen aufgestellt, die über den Rand quollen und im Wind tanzten. Das schöne alte viktorianische Gebäude war für die Hochzeit festlich herausgeputzt. Rings um den Säulenvorbau am Eingang rankten sich die von der Braut bevorzugten Blauen Dahlien und weißen Rosen, dazu Tüllschleier und Spitzen, um dem Ganzen einen romantischen Touch zu verleihen. Doch selbst ohne diesen Schmuck war das Haus romantisch, fand Alice. Das frische Vanille gelb mit den weißen Akzenten. Durch all die Giebel, Erker und Gauben hatte das Gebäude etwas von einem romantischen Hexenhäuschen und wirkte trotz des Prunks ein wenig verspielt. Solange sie denken konnte, war es ihr zweites Zuhause gewesen. Und heute natürlich ihr einziges. Ebendieses wunderschöne Haus stand nur einen Steinwurf von den Nebengebäuden, die im selben Gelbton gehalten wurden, entfernt, in denen heute ihre Freundinnen lebten und arbeiteten. Das Poolhaus wirkte durch seine großen weiten Fenster offen und groß. Ideal für Roxanne, die ihre Fotoshootings zuhause durchführte und dafür viel Licht brauchte. Und jetzt wo Frank mit eingezogen war, wirkte das kleine Häuschen auch noch altmodisch gemütlich. Alice konnte es noch immer nicht glauben, dass ihr altmodischer Bruder mit der flippigen Roxanne zusammen war und die beiden noch in diesem Jahr heiraten würden. Im Gästehaus hatte sich Dominique eingerichtet. Schon von weitem konnte man erkennen, dass Dome eine wahre Romantikerin war. Früher hatte das Haus frei auf dem Anwesen gestanden, doch Dome hatte es nun in den Garten integriert. Eine liebevoll angelegte Pergola zierte eine Seite des Hauses. Der zu einem Dach gezogenen Wein holte Italien und Frankreich nach Hause. Doch auch die Fassade des Hauses war von Blumen überseht – Efeu rankte neben der Haustür hinauf und im Herbst liebte Alice den Anblick von dem rotgrünen Gestrüpp im Gegensatz zu dem Vanille gelb des Hauses. Ja, Dome hatte sich ein kleines romantisches Häuschen gezaubert und nun war auch ihr Märchenprinz dort mit eingezogen. Alice wollte sich gar nicht vorstellen, wie ihr Leben ohne dieses Anwesen wäre. Denn ohne das Gebäude gäbe es nicht Farytale und sie könnte nicht zusammen mit ihren Freundinnen wohnen und arbeiten – dieses Gemeinschaftsgefühl nicht haben. Sie musste bedenken, gestand Alice sich ein, warum sie hatte, was sie hier hatte. Zum Teil hatte sie das ihrer eigenen harten Arbeit zu verdanken, sicher, und der Arbeit ihrer Freundinnen. Rose Vision. Der Scheck, den Fleur Weasley ihr damals ausgehändigt hatte, vor so vielen Jahren – und ihr Glaube an sie, der ebenso viel wert gewesen war wie das Geld, hatte diese Tür weiter aufgestoßen. Doch das was nicht alles. Der Tod ihrer Eltern kurz vor Ende ihres Abschlusses in Hogwarts hatte sie zum einen in Traurigkeit gestürzt, doch Franks Verschwinden hatte sie zunächst geschockt und dann gestärkt. Eigentlich waren Frank und Alice als Geschwister ein Traum gewesen. Natürlich hatten sie sich ab und zu gezankt – aber im Vergleich zu den Potters oder Weasleys waren sie zwei Lämmchen gewesen. Alice hatte sich immer sicher sein können, dass Frank hinter ihr stand und sie beschützte. Doch am Tag der Beerdigung war er kurz da gewesen und plötzlich war er verschwunden. Einfach weg. Und gerade da hatte Alice ihn gebraucht. Sie war also nach der Beerdigung zu ihrer Tante Pam gezogen – mit dem Wissen, dass sie nach ihrem Abschluss dort wieder ausziehen musste. Alice Mutter hatte ihre Schwester Pam immer als eine eiskalte, verbitterte alte Jungfer beschrieben und sich immer gewundert, warum diese Frau zwei Kinder bekommen hat. Diane und Shelly könnten aber auch nicht unterschiedlicher sein. Die eine voller Lebenslust, während die andere verbittert wie die Mutter war. Dadurch hatte Alice die Zeit mit Shelly genossen, aber war des Öfteren mit ihrer Tante und Cousine Diane aneinander geraten. Das dreiviertel Jahr hatte Alice überstanden, jedoch hatte sie sich immer allein und verlassen gefühlt. Auch ihre drei besten Freundinnen hatten sie nicht von dieser Leere befreien können. Danach hatte sie sich ein Ein-Zimmer-Apartment in London genommen – allein, denn sie wollte keinem zur Last fallen und zeigen, dass sie auch alleine zurechtkam. Jedoch hatte sie nie die Hoffnung aufgegeben, dass Frank wieder kam. Sie konnte noch nicht einmal sagen, wie viele Briefe sie ihm geschrieben hatte. Aber alle kamen sie ungeöffnet zurück. Und anders als bei der Muggelpost konnte sich Alice sicher sein, dass ihre Briefe per Eule angekommen waren. Jetzt, wo Alice darüber nachdachte, fasste sie den Entschluss, Frank zur Rede zu stellen, warum er sie allein gelassen hatte. Auch Albus hatte den vier Freundinnen enormes Vertrauen entgegengebracht, das ebenso entscheidend gewesen war wie das von Fleur, als sie diesen Scheck ausgestellt hatte. Er hatte Fred gebeten, dass komplette Anwesen an Roxanne abzugeben, und sich dann um alle rechtlichen Angelegenheiten gekümmert. Da waren rechtliche Besonderheiten, Geschäftsmodelle, Hochrechnungen, Festlegungen prozentualer Anteile, Verträge gewesen. Seine Lieblingscousine Rose, nein, alle vier Freundinnen, die Albus gerne sein Quartett nannte, hatten sich etwas gewünscht, hatten ihn gefragt, und er hatte es ihnen gegeben. Er hatte an sie geglaubt, und er hatte ihnen geholfen, aus ihrem Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Und das nicht mit Hochrechnungen oder prozentualen Anteilen im Hinterkopf. Er hatte das getan, weil er sie liebte. „Verdammt!“ Verärgert über sich selbst fuhr Alice sich mit der Hand durchs Haar. Sie hasste es, wenn sie erkennen musste, dass sie unfair, zickig und einfach dämlich gewesen war. Albus hatte nicht verdient, war sie ihm an den Kopf geworfen hatte – und sie hatte all diese Dinge nur gesagt, weil es einfacher war, sauer auf ihn zu sein, als sich zu ihm hingezogen zu fühlen. Und der Kuss? Dafür war dämlich nicht annähernd der richtige Ausdruck. Jetzt musste sie diese Scharte wieder aus wetzen, und zwar so, dass sie ihre Haut rettete und ihr Gesicht wahrte. Das würde nicht gerade ein Kinderspiel sein. Doch sie war diejenige gewesen, die eine Grenze überschritten hatte, und sie war diejenige mit den Gefühlen, die geklärt werden mussten. Also war sie es auch, die das Ganze wieder geradebiegen musste. Sie hörte, wie Rose das Zeichen zum Anzünden der Hochzeitskerze und anschließend zum Gesangssolo gab. Die Zeit ist um, sagte sie sich. Sie würde sich später überlegen, wie sie das mit dem Geradebiegen deichseln sollte. Da sie sich beim Schneiden der komplizierten Hochzeitstorte auf niemand anderes verlassen mochte, stellte Alice sich persönlich neben dem Tortentisch auf. Sie wartete, bis das Brautpaar mit dem Ritual des Anschneidens fertig war – so wie sie es den beiden erklärt hatte – und sie einander gefüttert hatten, während Roxy den Augenblick im Bild festhielt. Als Musik und Tanz fortgesetzt wurden, übernahm sie das Ruder. Mit einem großen Kochmesser brach sie die Dekoration am Rand ab. „Verdammt, irgendwie kommt mir das falsch vor.“ Alice warf Fred einen Blich zu, während sie die Torte in Stücke schnitt, die sie auf den Kuchentellern verteilte. „Sie ist dazu da, gegessen zu werden.“ „Bei einem solchen Anblick denke ich, hätte ich das gebaut, müsste ich ganz weit weg sein, wenn es wieder abgerissen würde. Und trotzdem müsste ich mir vielleicht ein paar Tränen abwischen.“ „Bei den ersten Malen tut es weh, aber dann ist es anders, als ein Haus zu bauen. Das machst du ja nicht mit dem Gedanken, dass eines Tages die Abrissbirne rein kracht. Willst du ein Stück?“ „Allerdings.“ „Warte nur, bis wir die ersten Tabletts voll haben.“ Wodurch sie Gelegenheit haben würde, Fred ein bisschen auszuquetschen. „Kommt Albus heute Abend nicht zum Spielen rüber?“ „Ich glaube, er hat irgendwas laufen.“ Irgendwas mit einer Frau, vermutete Alice. Doch das ging sie nichts an und gehöre hier nicht hierher. „Wahrscheinlich habt ihr beiden im Moment zu viel zu tun, um euch großartig zu treffen.“ „Am Donnerstag haben wir es wenigstens geschafft zusammen zu Abend zu essen.“ Nach dem Kuss, dachte Alice. „Und gibt´s was Neues, irgendwelchen Klatsch und Tratsch?“ Sie schenkte Fred ein schnelles Lächeln, bei dem sie versuchte, seine Miene zu ergründen. „Diesen Monat läuft es gut für die Chudley Cannons.“ Fred erwiderte ihr Lächeln. Keine Verlegenheit, stellte Alice fest, nichts Anzügliches. Sie wusste nicht, ob sie beleidigt oder erleichtert sein sollte, weil Albus seinem besten Freund offenbar nichts von dem Vorfall erzählt hatte. „Hier.“ Sie reichte ihm eine üppige Portion Torte. „Danke.“ Er kostete. „Du bist ein Genie.“ „Wie wahr.“ Zufrieden schnitt Alice fürs Erste genügend Stücke ab und schlängelte sich zwischen den Hochzeitsgästen hindurch, um den Desserttisch und die Bräutigamstorte zu kontrollieren. Die Musik stampfte, die Tanzfläche, die zwischen den Tisch vorbereitet war, füllte sich. Da die Terrassentüren an diesem lauen Abend weit offen standen, tanzten oder unterhielten sich die Gäste auch draußen. Rose glitt neben sie. „Nur zu deiner Information, die Torte kommt glänzend an.“ „Gut zu wissen.“ Alice musterte den ihr am nächsten stehenden Desserttisch und schätzte, dass der Vorrat bis zum Ende des letzten Tanzes reichen müsste. „He, ist das die BM?“ Sie nickte zur Tanzfläche hinüber. „Das Mädel bewegt sich nicht schlecht.“ „Sie war mal Profitänzerin. Hat am Broadway getanzt.“ „Das sieht man.“ „So haben sie und ihr Mann sich kennengelernt. Er war einer der Sponsoren, kam einmal, um bei einer Probe zuzuschauen – und hat sich, wie er sagt, sofort in sie verguckt. Bis nach der Geburt ihres zweiten Kindes hat sie getanzt, und ein paar Jahre später hat sie angefangen, Privatunterricht gegeben. „Süß. Aber ernsthaft, wie kannst du dir das nur alles merken?“ Rose Blicke schweiften weiter durch den Saal, mit Adleraugen hielt sie nach eventuellen Problemen Ausschau. „Genauso wie du dir die Zutaten in der Torte da drüben merkst. Das Brautpaar hat um eine Stunde Verlängerung gebeten.“ „Aua.“ „Ich weiß, aber alle amüsieren sich prächtig. Die Band hat nichts dagegen. Wir überreichen die Geschenk wie geplant, damit das erledigt ist. Und dann, o Merlin, lass sie tanzen.“ „Das wird eine lange Nacht.“ Alice schätzte erneut die Menge des Desserts ab. „Ich hole lieber noch Gebäck.“ „Brauchst du Hilfe?“ „Vermutlich.“ „Ich piepse Dome an. Sie und Frank müssten frei sein. Ich schicke sie runter.“ Um fast ein Uhr morgens, als die Putzkolonne im Ballsaal ausschwärmte, beendete Alice ihren Kontrollgang in der Suite der Braut. Sie sammelte vergessene Haarklammern ein, einen einzelnen Schuh, ein Schminktäschchen aus rosa Leder und einen Spitzen-BH. Der BH konnte ein Indiz für einen Quickie während des Empfangs sein oder für das Bedürfnis einer Brautjungfer, ihre Brüste zu befreien. Die Sachen würden in Rose Tonne mit den Fundsachen wandern, bis jemand sie zurückverlangte – ohne das Fragen gestellt wurden. Als sie damit hinausging, kam Rose gerade vorbei. „Sieht so aus, als wären wir fertig. Ich nehme das da. Kurze Teambesprechung.“ Jeder Muskel in Alice Körper schrie gequält auf. „Heute Nacht?“ „Ganz kurz – ich habe noch eine fast volle Flasche Feenwein gegen die Schmerzen.“ „Na gut.“ „In unserem Salon. In ein paar Minuten.“ Widerstand war zwecklos, dachte Alice und begab sich nach unten in den Salon, um wenigstens einen Platz auf dem Sofa zu ergattern. Dort streckte sie sich aufstöhnend aus. „Ich wusste, dass du vor mir da sein würdest.“ Da sie auf dem Sofa keinen Platz mehr fand, legte Roxy sich auf den Boden. „Der Trauzeuge des Bräutigams hat mich an gebaggert. Frank fand das witzig.“ „Das zeugt von gesundem Selbstbewusstsein. Glückwunsch, du tust meinem Bruder gut.“ „Wahrscheinlich. Aber komisch, bevor ich mit Frank zusammen war, bin ich bei Veranstaltungen fast nie ang ebaggert worden. Das ist doch unfair. Ich bin nicht mehr zu haben.“ „Daher ja die Anmache.“ Mehr seufzend als stöhnend wackelte Alice die Schuhe von den Zehen. „Ich glaube, dafür haben Männer einen Sensor eingebaut. Eine, die schon vergeben ist, finden sie sexier.“ „Weil sie Tiere sind.“ „Ja, klar.“ „Das habe ich gehört“, verkündete Dome, die gerade hereinkam. „Und ich finde, es ist zynisch und einfach nicht wahr. Du bist angemacht worden, weil du super aussiehst – und weil du, seit du Frank hast, eine glücklichere, offenere Ausstrahlung hast, die dich umso attraktiver macht.“ Dome sank in einen Sessel und zog die Beine unter sich. „Ich will ins Bett.“ „Willkommen im Club. Wir müssen uns morgen ohnehin treffen, um die Sonntagsfeier durchzusprechen. Warum kann das hier nicht warten, was immer es auch ist?“ „Weil.“ Rose kam herein und zeigte auf Alice. „Ich hab was, das uns alle einfach ein bisschen glücklicher schlafen gehen lässt.“ Sie zog einen Umschlag aus der Tasche. „Der BV hat uns einen Bonus gegeben. Obwohl ich selbstverständlich taktvoll und höflich abgelehnt habe, hat er darauf bestanden. Ahhh“, fügte sie hinzu, während sie die Schuhe abstreifte. „Wir haben seinem kleinen Mädchen ihre Traumhochzeit beschert, ihm und seiner Frau einen wundervollen Abend, und er wollte sich dafür einfach besonders erkenntlich zeigen.“ „Nett.“ Roxy gähnte. „Wirklich.“ „Es sind fünftausend Galleonen.“ Rose lächelte, als Alice vom Sofa hoch fuhr. „In bar“, ergänzte sie und schüttete ein paar der Geldstücke auf den Tisch vor sich aus. „Das ist aber wirklich eine nette Anerkennung. So ein Haufen Kohle“, bemerkte Alice. „Darf ich es mal anfassen, bevor du es wegschaffst?“, fragte Roxy. „Bevor du es ins Geschäft pumpst?“ „Mein Vorschlag lautet, nehmt das Geld. Vielleicht bin ich einfach echt müde, aber das ist mein Vorschlag. Tausend für jede für uns, und einer für Frank und Fred zusammen.“ Rose legte ein paar Galleonen zur Seite. „Liegt an euch.“ „Bin dafür.“ Domes Hand flog in die Luft. „Kommt in meine Hochzeitskasse!“ „Ich schließe mich an. Her damit“, verlangte Roxanne. „Keine Einwände meinerseits.“ Alice wackelte mit den Fingern. „`nen Tausender kann ich gut gebrauchen.“ „Also gut.“ Rose reichte Alice die offene Feenweinflasche. „Schenk ein, während ich abzähle.“ Sie kniete sich auf den Boden. „Das ist echt klasse. Wein und Kohle auf die Hand nach so einem wirklich langen Tag.“ Roxy nahm ein Glas und reichte es Dome. „Erinnert ihr euch noch an unsere erste offizielle Veranstaltung? Danach haben wir auch eine Flasche aufgemacht, übrig gebliebene Torte gefuttert und getanzt. Wir vier und Al.“ „Ich hab Albus geküsst.“ „Das haben wir alle“, erklärte Dome und stieß mit Roxy an. „Nein, ich meine gestern“, hörte Alice sich erst entsetzt, dann erleichtert sagen. „Ich bin so bescheuert.“ „Wieso? Das ist doch nur…“ Roxy blinzelte, dann fiel der Knut auch bei ihr. „Oh. Du hast ihn geküsst. Hm. Na ja.“ „Ich war sauer und irgendwie neben der Spur; dann kam er wegen der Torte. Und er war einfach so typisch Albus“, sagte Alice, und der Groll, den sie auf dem Spaziergang überwunden geglaubt hatte, brach wieder hervor. „Ich war auch schon sauer auf Albus“, bemerkte Dome. „Deshalb habe ich ihn aber noch lange nicht geküsst.“ „Es ist keine große Sache. Jedenfalls nicht für ihn. Er hat nicht mal Fred davon erzählt. Was bedeutet, dass es ihm nichts bedeutet hat. Aber kein Wort zu Fred“, wies Alice Dome an. „Das hätte er eigentlich tun müssen, hat er aber nicht. Also bedeutet es ihm nichts. Oder noch weniger.“ „Du hast uns bis gerade auch nichts davon erzählt.“ Alice sah Roxy Stirn runzelnd an. „Weil ich … erst darüber nachdenken musste.“ „Aber bedeutet hat es dir was“, murmelte Rose. „Ich weiß nicht. Es war eine spontane Eingebung, ein verrückter Einfall. Ich war genervt. Es ist nicht so, dass ich in Albus verknallt bin, echt. Ach, Drachenmist“, murmelte Alice und ließ den Kopf in die Hände sinken. „Hat er den Kuss erwidert? Na?“, hakte Roxy nach, als Dome ihr einen Tritt versetzte. „Ist doch nur eine Frage.“ „Irgendwie schon. Aber er war auch völlig überrumpelt. Genau wie ich. Es war nur eine Laune.“ „Was hat er denn gesagt? Tritt mich nicht noch einmal“, warnte Roxanne Dominique. „Nichts. Dazu habe ich ihm keine Gelegenheit gegeben. Ich mach das wieder gut“, versprach Alice Rose. „Es war mein Fehler, auch wenn Albus nervig und bevormundend war. Reg dich nicht auf.“ „Ich rege mich nicht auf, jedenfalls nicht darüber. Ich frage mich nur, wie ich so blind sein konnte. Ich kenne dich so gut wie kaum jemanden sonst, wie konnte es mir also entgehen, dass du was für Albus empfindest?“ „Tu ich ja gar nicht. Okay, tue ich doch, aber es ist nicht so, dass ich Tag und Nacht an nichts anderes denke. Es kommt und geht. Wie eine Allergie. Nur, dass ich davon nicht niesen muss, sondern mir vorkomme wie ein Idiot.“ Die Verzweiflung in Alices Innerem drängte sich in ihre Stimme. „Ich weiß, wie nahe ihr euch steht. Das ist auch toll, aber bitte, sag ihm nichts von alledem. Ich wollte es euch gar nicht erzählen, aber eben kam es einfach so raus. Offenbar habe ich ein Problem damit, mich zu beherrschen.“ „Ich verrate ihm kein Wort.“ „Gut. Gut. Es war auch wirklich nichts. Bloß mit den Lippen.“ „Keine Zungen?“ Roxy rutschte außerhalb von Dominiques Reichweite und kauerte sich zusammen, als sie vorwurfsvolle Blicke erntete. „Was denn? Ich zeige nur Interesse. Wir wollen das doch alle wissen, sonst würden wir nicht um ein Uhr nachts mit fünf Mille in bar auf dem Tisch hier sitzen und darüber reden.“ „Du hast Recht“, bestätigte Alice. „Wir sollten gar nicht darüber reden. Ich habe nur im Sinne der schonungslosen Offenheit davon angefangen. Jetzt können wir aber das alle abhaken, unser Bonusgeld nehmen und schlafen gehen. Nachdem ich mich offenbart habe, weiß ich, ehrlich gesagt, gar nicht, wieso mir das solches Kopfzerbrechen gemacht hat. Es war rein gar nichts.“ Sie machte eine ausladende Geste – zu ausladend, wie sie selbst merkte, und ließ die Hände wieder sinken. „Offensichtlich war es nichts, und Albus bereitet es sicherlich keine schlaflosen Nächte. Er hat weder Fred noch euch was davon erzählt. Oder?“, fragte sie Rose. „Ich habe seit Anfang der Woche nicht mehr mit ihm gesprochen, aber nein. Nein, er hat mir nichts erzählt.“ „Hört mich bloß an.“ Alice gelang ein lahmes Lachen. „Ich benehme mich wie in Hogwarts. Nur, dass ich mich nicht so benommen habe, als ich tatsächlich in Hogwarts war. Schluss jetzt. Ich nehme mein Geld und gehe schlafen.“ Sie sammelte Ihre Stapel ein, die Rose abgezählt hatte. „Also lasst uns nicht mehr daran denken, okay? Lasst uns einfach … normal sein. Alles ist normal. Also, gute Nacht.“ Nach Alice hastigem Rückzug sahen ihre drei Freundinnen einander an. „So normal ist das nicht“, stellte Roxy fest. „Aber auch nicht unnormal. Es ist einfach anders.“ Dome stellte ihr Glas ab und nahm ihr Geld. „Und es ist ihr peinlich. Wir sollten das Ganze auf sich beruhen lassen, damit sie sich nicht mehr geniert. Schaffen wir das?“ „Die Frage ist eher, ob sie es schafft“, sagte Rose. „Aber das werden wir bestimmt erfahren.“ Rose ließ die Sache auf sich beruhen – vorläufig. Während der Veranstaltung am Sonntag sagte sie nichts dazu und ließ ihre Freundin auch am Sonntagabend in Ruhe. Doch am Montag zwackte sie eine Stunde von ihrer Zeit ab, in der Alice, wie sie wusste, in der Küche stehen musste, um die Last-Minute-Verlobungsfeier am Dienstag vorzubereiten. Als sie im Hereinkommen sah, dass Alice Blätterteig ausrollte, wusste sie, dass sie das Ganze perfekt getimt hatte. „Ich bringe dir noch zwei helfende Hände.“ „Ich hab alles im Griff.“ „Der Löwenanteil dieser griechischen Extravaganzen lastet auf deinen Schultern. Zwei Hände.“ Sie hielt ihre in die Höhe. „Sie können zumindest hinter dir saubermachen.“ Sie kam näher, um leere Schüsseln einzusammeln. „Wir könnten eine Küchenhilfe für dich engagieren.“ „Ich will keine Küchenhilfe. Hilfskräften werden doch nur mit Füßen getreten. Genau deshalb hast du ja keine.“ „Ich spiele mit dem Gedanken.“ Rose begann, das Spülwasser einzulassen. „Vielleicht eine Auszubildende, die einen Teil der Lauferei übernehmen kann.“ „Den Tag möchte ich erleben.“ „Wir müssen entscheiden, ob wir weitermachen wollen wie bisher oder ob wir in Betracht ziehen, uns zu vergrößern. Letzteres würde bedeuten, dass wir Hilfskräfte brauchen. Wenn wir mehr Personal hätten, könnten wir mehr Veranstaltungen unter der Woche anbieten.“ Alice hielt inne. „Willst du das wirklich?“ „Ich weiß nicht. Ich denke nur hin und wieder darüber nach. Manchmal denke ich, auf gar keinen Fall. Dann wieder kann ich es mir vorstellen. Es wäre eine einschneidende Veränderung, eine Umstellung. Wir hätten Angestellte, nicht nur Aushilfen. Wir sind gut, so wie wir jetzt sind. Oder vielmehr, wir sind super. Aber manchmal eröffnet einem eine Veränderung ganz neue Wege.“ „Ich weiß nicht, ob wir … Moment mal.“ Mit zusammengekniffenen Augen starrte Alice auf Rose Rücken. „Du benutzt das als Metapher oder als Überleitung – oder beides – für die Sache mit Albus.“ Sie kannten einander einfach zu gut, dachte Rose. „Vielleicht. Ich brauchte Zeit, um darüber nachzudenken, dann um mir erst auszumalen, was sein würde, und anschließend, was sein würde, wenn nicht.“ „Und?“ „Ergebnislos.“ Rose drehte sich wieder um. „Ich liebe euch beide, und daran ändert sich auch nichts. Und so sehr ich mich auch als Nabel der Welt sehe, hierbei geht es nicht um mich –oder würde es nicht um mich gehen. Aber eine Veränderung wäre es schon.“ „Ich verändere mich nicht. Siehst du, ich stehe hier an Ort und Stelle. Unverrückbar, unverändert.“ „Schon passiert, Alice.“ „Aber ich hab mich wieder zurück verändert“, beharrte Alice. „Genau an meinen Ausgangspunkt. Bei Merlins Barte, Rose, es war nur ein Kuss.“ „Wenn es nur ein Kuss gewesen wäre, hättest du mir sofort davon erzählt und einen Witz darüber gemacht.“ Rose hielt inne, nur einen Moment, um Alice Gelegenheit zu geben, zu widersprechen. Wohl wissend, dass die Freundin nicht konnte. „Du hast dir Gedanken darüber gemacht, was bedeutet, dass mehr dahintersteckt. Oder dass du dich fragst, ob mehr dahintersteckt. Du magst Albus.“ „Natürlich mag ich ihn.“ Verwirrt fuchtelte Alice mit der Teigrolle. „Wir alle mögen ihn. Und, okay, das ist ein Teil des Problems. Oder der Sache. Es ist eher eine Sache als ein Problem.“ Alice fuhr fort, den Teig auszurollen, bis er dünn wie Papier war. Wir alle mögen Albus, und er mag uns alle. Manchmal übertreibt er es aber so, dass ich ihm am liebsten ein Auge aus schießen würde, vor allem, wenn er uns alle in einen Topf schmeißt. Als wären wir ein Körper mit vier Köpfen.“ „Manchmal…“ „Ja, ich weiß, manchmal sind wir das auch. Aber es ist frustrierend, nur Teil eines Ganzen zu sein und zu wissen, dass ich in seinen Augen jemand bin, auf den er aufpassen muss. Ich will nicht, dass jemand auf mich aufpasst.“ „Er kann nicht anders.“ „Das weiß ich auch.“ Alice begegnete Rose Blick. „Das macht es ja noch schlimmer. Wir sind alle so miteinander verkabelt, und das Problem – die Sache, ich nenne es lieber die Sache als das Problem.“ „Also die Sache.“ „Die Sache ist allein meine Angelegenheit. Und es muss seltsam für dich sein, mich so reden zu hören.“ „Ein bisschen. Ich arbeite dran.“ „Es ist nicht, dass ich liebeskrank oder total in ihn verknallt bin oder irgend so was voll Peinliches. Es ist nur eine…“ „Sache.“ „Ja, genau. Und da ich nun mal getan habe, was ich getan habe, beruhige ich mich auch schon wieder.“ „Küsst Albus so miserabel?“ Dafür hatte Alice nur einen ausdruckslosen Blick übrig. Sie griff zu ihrer Schüssel mit der Gebäckfüllung. „Die Initiative ging von mir aus, und jetzt, wo mir das Ganze so hochnotpeinlich ist, fühle ich mich schon besser. Es war einfach nur ein Teil unseres Streits, an dem ich schuld bin. Größtenteils. Aber Albus hätte nicht versuchen dürfen, mich für die Torte zu bezahlen. Das war ein rotes Tuch für mich, als ich ohnehin schon mit den Hufen scharrte. Du würdest nie versuchen, mich für eine dämliche Torte zu bezahlen.“ „Nein.“ Trotzdem hob Rose den Zeigefinger. „Also, mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe. Du willst nicht, dass er dich mit uns in einen Topf schmeißt, sozusagen, aber du willst auch nicht, dass er dir anbietet, dich für deine Arbeit zu bezahlen, weil das eine Beleidigung für dich ist.“ „Du hättest dabei sein müssen.“ „Können wir mal kurz vergessen, dass Albus mein Lieblingscousin und quasi mein Bruder ist?“ „Ich bin mir nicht sicher.“ „Versuchen wir´s mal.“ Um nicht oberlehrerhaft zu wirken, lehnte Rose sich an die Arbeitsplatte. „Du fühlst dich zu ihm hingezogen. Warum auch nicht? Schließlich seid ihr beide interessante Menschen, ungebunden und attraktiv.“ „Weil es Albus ist.“ „Was ist so falsch an Albus?“ „Nichts. Siehst du, das ist alles total komisch.“ Alice griff zu ihrer Wasserflasche und stellte sie wieder ab, ohne getrunken zu haben. „Es ist unlogisch, Rose, und du kannst dabei keine Lösung für uns finden. Wir raufen uns schon wieder zusammen – Albus und ich, meine ich. Für mich ist die Sache schon erledigt, und ich bezweifle, dass er danach noch einen Gedanken daran verschwendet hat. Und jetzt geh, damit ich mich auf dieses Baklava konzentrieren kann.“ „Okay.“ Aber wenn es was zu erzählen gibt, sagst du es mir.“ „Mache ich das nicht immer?“ Bis jetzt schon, dachte Rose, ließ es jedoch dabei bewenden. Da er in einem von Frauen dominierten Haushalt aufgewachsen war – trotz drei Männern im Haushalt hatten Ginny und Lily jedoch alles dominiert -, beherrschte Albus einige überlebenswichtige Grundsätze. Einer, der seiner Ansicht nach derzeit anzuwenden war, besagte: Wenn ein Mann nicht kapierte, was anging, und wenn dieses Unverständnis dazu führen konnte, dass er Ärger bekam, war es am besten, auf Distanz zu gehen. Die gleiche Regel ließ sich auch auf… persönlichere Beziehungen zwischen Mann und Frau anwenden – und war unter den gegebenen Umständen auch seltsam passend. Er war auf Distanz zu Alice gegangen, und da ihm das nicht gerade zum vollen Durchblick verholfen hatte, konnte er nur hoffen, dass der Abstand Alice ausreichend Zeit gelassen hatte, um sich wieder zu beruhigen. Er hatte kein Problem damit, wenn es mal zu einem Streit kam. Dadurch blieben die Dinge einerseits lebendig, andererseits reinigte ein Streit häufig die Luft. Doch er wusste gern, nach welchen Regeln gespielt wurde. In diesem Fall hatte er keine Ahnung. An Alice Temperament war er gewöhnt, an das, was er ihre quecksilbrigen Launen nannte. Und das sie – auch ihm gegenüber – austeilen konnte, was nichts Neues war. Doch dass sie ihn um den Verstand küsste. Das war neu, brandneu. Er konnte nicht aufhören, daran zu denken, auch wenn daran zu denken ihn einer Erklärung nicht näher gebracht hatte. Was ihn schier wahnsinnig machte. Schlussfolgerungen, Lösungen, Alternativen, Kompromisse – beruflich war das sein Handwerkszeug. Doch für dieses sehr persönliche Puzzle konnte er einfach die entscheidenden Teile nicht finden. Trotzdem konnte er es kaum unendlich lange vermeiden, Alice wiederzusehen. Nicht nur schaute er gern bei den Mädels vorbei, wenn er Zeit hatte, sondern zwischen ihm und Rose gab es auch häufig Geschäftliches zu besprechen, da er sich regelmäßig um ihren Betrieb kümmern musste. Eine Woche war genug, um Abstand zu gewinnen und sich zu beruhigen, entschied er. Sie würden einfach wieder miteinander klarkommen müssen. So oder so. Und das würden sie auch, natürlich. Es war keine große Sache. Überhaupt nicht, sage er sich, als er in die lange Zufahrt zum Weasley Anwesen einbog. Sie hatten sich einfach nur gestritten – auf etwas ungewöhnliche Art und Weise. Alice hatte versucht, ihm etwas zu beweisen. Er neigte dazu, sich für sie – für alle vier Mädels – verantwortlich zu fühlen, und das nervte sie. Sollte sie ruhig genervt sein, denn für sie verantwortlich war er nun einmal. Er war Rose Cousin – genauer gesagt auch Domes und Roxys –, aber bei Rose war es etwas anderes. Er war der Anwalt von ihnen allen. Und aufgrund vom Umständen, die niemand von ihnen beeinflussen oder verändern konnte, war er das Familienoberhaupt. Er konnte allerdings versuchen, das Sich-Verantwortlich-Fühlen nicht so raus hängen zu lassen. Obwohl es durchaus nicht so war, dass er die Nase ständig in ihre Angelegenheiten steckte. Trotzdem … Trotzdem, sagte er sich, konnte er versuchen, sich ein wenig zurückzuhalten. Er konnte nicht abstreiten, dass sie teilweise Recht hatte. Sie war nicht seine Schwester. Das bedeutete allerdings nicht, dass sie nicht zu seiner Familie gehörte, und verdammt, es war sein gutes Recht, zu… Stopp, befahl er sich. Es brachte sie nicht weiter, wenn er so zu ihr kam – dann war der nächste Streit vorprogrammiert. Am besten peilte er zunächst die Lage und überließ Alice die Führung. Dann konnte er sie wieder dorthin befördern, wohin sie beide gehörten. Aber sachte, ermahnte er sich. Bei Bertie Botts Bohne, wo kamen all diese Autos her, fragte er sich. Es war Dienstagabend, und er konnte sich nicht erinnern, dass bei Farytale etwas auf dem Plan gestanden hätte. Er bog ab, um vor Roxys Studio zu parken, stieg aus und betrachtete Stirn runzelnd das Haupthaus. Keine Frage, dort fand irgendeine Veranstaltung statt. In der üppigen Dekoration rings um den Säulenvorbau erkannte er Domes Handschrift, und selbst vom weitem konnte er die typischen Geräusche und das Stimmengewirr einer Party hören. Für einen Moment blieb er einfach stehen, wo er war, und schaute hinüber. Durch die hell erleuchteten Fenster sah das Haus einladend und festlich aus. Gastfreundschaft mit eleganter Note. So war es immer gewesen. Seine Eltern luden auch gerne Gäste ein – zu persönlichen Treffen in kleinem Kreis oder zu großen, rauschenden Festen. Rose war das vermutlich auch angeboren, denn Tante Hermine hatte diese Feste immer zusammen mit Ginny geplant. Er schlug den gewundenen Pfad nach Hause ein und entschied sich für den Seiteneingang mit dem direkten Zugang zur Familienküche. Er hoffte, dort Mrs Clarks anzutreffen, die am Herd werkelte, doch nur eine einsame Lampe brannte in der leeren Küche. Also spazierte er zum Fenster und beobachtete einige Gäste, die auf der Terrasse beieinanderstanden oder durch die Gärten schlendern. Locker, zwanglos wie zu Hause und doch beeindruckend, stellte er fest. Eine Feier mit diesen Attributen zu versehen war eine weitere Fähigkeit Roses, oder vielmehr des ganzen Quartetts. Er erspähte Dome und ein paar Mitarbeiter des Partyservice, die Tischwäsche, Blumen, Geschirr herumschleppten. Eine Last-Minute-Geschichte, vermutete er, und beobachtete, wie sie einen Tisch eindeckten. Schnell und effizient; dabei plauderte Dome mit einigen Gästen. Alles voller Wärme und mit einem Lächeln – typisch Dome. Niemand käme auf den Gedanken, dass sie im Geiste schon bei ihren nächsten Aufgaben war. Dome und Fred, sinnierte er. Auch das war eine Last-Minute-Geschichte für ihn. Sein bester Freund und Cousin und eins seiner Mädels. Noch während Albus daran dachte, kam Fred mit einem Tablett voller Teelichter heraus. Er packt mit an, dachte Albus, wie sie es alle hin und wieder taten. Trotzdem war es anders, denn ihm fiel auf, dass er die beiden, seit aus Dome und Fred Dome und Fred geworden war, zum ersten Mal beobachtete, ohne dass sie sich dessen bewusst waren. Der Blick, den sie wechselten, ja, der war anders. Wie Fred Dome über den Arm strich, beiläufig und vertraut, wie ein Mann es tat, wenn er einfach anfassen musste, was er liebte. Es war gut, was zwischen ihnen war, entschied Al. Und auch er würde sich daran gewöhnen – irgendwann. Vorerst war er hier, und dort lief eine Party. Also konnte er ebenso gut in den Ballsaal rüber gehen und anpacken. Sie hatte wie eine Wahnsinnige gebacken, dachte Alice, und es gab kaum etwas Befriedigenderes, als mit anzusehen, wie ihre Werke verschlungen wurden. Nun da die Torte angeschnitten und die Dessertteller angerichtet waren, überließ sie das Servieren dem Personal und nahm sich einen Augenblick Zeit zum Luftholen. Die Musik spielte, und viele, die nicht den Desserttisch stürmten, nutzten die Gelegenheit zu tanzen. Dutzende weitere Gäste saßen noch an den Tischen, und die meisten kippten immer noch Ouzo hinunter. Hoppla! Alle sind glücklich und zufrieden, dachte sie, alles unter Kontrolle. Der perfekte Zeitpunkt, um für fünf Minuten zu verschwinden und die Schuhe auszuziehen. Auf dem Weg zur Tür hielt sie nach eventuellen Problemen Ausschau. „Miss Longbottom?“ Knapp vorbei, dachte sie, setzte jedoch ihr professionelles Lächeln auf und drehte sich um. „Ja, was kann ich für Sie tun?“ „Nick Pelacinos.“ Ihr Gegenüber streckte ihr die Hand entgegen. „Ein Cousin der zukünftigen Braut.“ Und ziemlich gut aussehend, dachte Alice, als sie ihm die Hand schüttelte. Wie ein Sonnen gebräunter griechischer Gott mit braunen Samtaugen und Grübchen am Kinn. „Nett, Sie kennenzulernen. Ich hoffe, sie amüsieren sich gut.“ „Sonst wäre ich ja ein Idiot. Sie schmeißen hier eine Wahnsinnsparty. Ich weiß, dass Sie bestimmt viel zu tun haben, aber meine Großmutter würde gern kurz mit ihnen reden. Sie hält dort drüben Hof.“ Er deutete auf den Tisch mit dem Kopf, der voll besetzt war und auf dem Getränke, Essen, Blumen standen. Und an dem unzweifelhaft die Matriarchin mit dem strahlgrauen Haar und dem Laserblick das Regiment führte. Die Großmutter, dachte Alice. „Klar.“ Sie ging mit und überlegte, ob sie Rose zur Unterstützung holen sollte. „Sie und mein Großvater kommen normalerweise nur alle ein, zwei Jahre nach England“, erzählte Nick. „Für gewöhnlich erwarten sie, dass wir sie besuchen, diese Reise ist also für die ganze Familie eine große Sache.“ „Das ist mir klar.“ „Und mir ist klar, dass es Ihnen und Ihren Partnerinnen gelungen ist, all das hier in weniger als einer Woche auf die Beine zu stellen. Kudos, ernsthaft. Ich helfe, die Restaurants unserer Familie in New York zu managen, daher kann ich mir ganz gut vorstellen, was für ein Aufwand das war.“ Alice rief sich Rose kurzen Überblick über die Familie ins Gedächtnis. „Das Papa´s. In dem, in der West Side, habe ich mal gegessen.“ „Sie müssen noch mal kommen und mir vorher Bescheid sagen. Das Essen geht auf mich. Jaja, ich habe dir Miss Longbottom mitgebracht.“ Die Dame neigte kaum merklich den Kopf, geradezu königlich. „Aha.“ „Miss Longbottom, meine Großmutter, Maria Pelacinos.“ „Stephanos.“ Maria tätschelte dem Mann an ihrer Seite den Arm. „Lass die Junge Dame hier sitzen.“ „Bitte, machen Sie sich keine Umstände“, begann Alice. „Kscht, kscht.“ Die Großmutter scheuchte ihren Mann fort und deutete auf den Stuhl. „Hier, neben mir.“ Keine Diskussionen mit der Kundschaft, erinnerte sich Alice und setzte sich auf den frei gewordenen Platz. „Ouzo“, befahl die Frau, und fast im selben Augenblick wurde ihr ein Glas in die Hand gedrückt. Sie stellte es vor Alice ab. „Wir stoßen auf Ihr Baklava an.“ Sie hob ihr eigenes Glas und sah Alice mit gebieterisch hochgezogenen Augenbrauen an. Dieser blieb keine Wahl – sie griff zu ihrem Glas, riss sich zusammen und trank. Dann, wohl wissend, wie es Brauch war, knallte sie das Glas wieder auf den Tisch. „Hoppa.“ Sie bekam eine Runde Applaus und ein anerkennendes Nicken von Maria. „Sie haben eine besondere Begabung. Um exzellente Speisen herzustellen, braucht man mehr als zwei Hände und die Zutaten. Man braucht Köpfchen und ein offenes Herz. Stammt ihre Familie aus Griechenland?“ „Nein, Madam.“ Alice hatte einen Kloß im Hals. Wie immer, wenn sie an ihre Eltern denken musste. Doch dieses Mal kamen zum Glück keine Tränen. Sie hasste es zu weinen. „Ach.“ Die Großmutter machte eine wegwerfende Handbewegung. „Jede Familie ist irgendwie griechisch. Ich werde Ihnen mein eigenes Rezept für Ladopita geben, und die werden Sie zur Hochzeit meiner Enkelin machen.“ „Das Rezept hätte ich sehr gern, vielen Dank.“ „Ich glaube, Sie sind ein feines Mädchen. Also, tanzen Sie mit meinem Enkel. Nick, tanz mit dem Mädchen.“ „Aber ich muss eigentlich…“ „Das ist eine Party. Tanzt! Es ist ein guter Junge, sieht gut aus. Er hat einen guten Job und keine Frau.“ „Also, wenn das so ist“, sagte Alice und brachte Maria damit zum Lachen.“ „Tanzt, tanzt. Das Leben ist kürzer, als ihr denkt.“ „Ein Nein akzeptiert sie sowieso nicht.“ Wieder streckte Nick ihr die Hand entgegen. Ein Tanz, dachte Alice. Einen Tanz konnten ihre schmerzenden Füße schaffen. Und dieses Rezept wollte sie unbedingt haben. Sie ließ sich von Nick auf die Tanzfläche führen, gerade als die Band zu langsamer, sanfter Musik überging. „Es mag Ihnen nicht so vorkommen“, begann Nick, als er sie in den Arm nahm, „ aber meine Großmutter hat Ihnen ein riesiges Kompliment gemacht. Sie hat ein wenig von allem gekostet, das Sie gemacht haben, und sie ist überzeugt davon, dass Sie Griechin sind. Sonst hätten Sie die traditionellen griechischen Desserts nicht so gut hinbekommen. Und…“ Er wirbelte sie elegant herum. „Sie und Ihre Partnerinnen haben unserer Familie einen Mordskrach erspart. Ihre Zustimmung zu diesem Veranstaltungsort zu bekommen war nicht leicht.“ „Und wenn Jaja nicht zufrieden ist …“ „Ganz genau. Fahren sie oft nach London?“ „Hin und wieder …“ Dank ihrer hohen Absätze war sie fast auf einer Höhe mit ihm. Beim Tanzen war diese Ausgewogenheit ganz gut, dachte sie. „Unser Geschäft bindet uns ziemlich an unser Zuhause. Das muss bei Ihnen genauso sein. In meiner Studienzeit habe ich in Restaurant gejobbt und bevor unser Geschäft richtig in Gang kam. Eine anspruchsvolle Aufgabe.“ „Krisen gefolgt von Dramen gefolgt von Chaos. Aber Jaja hat Recht. Das Leben ist kürzer, als man denkt. Wenn ich Sie einmal anrufe, könnten wir uns vielleicht beide eine kleine Auszeit von Job nehmen.“ Abstinenz – keine Dates, erinnerte sich Alice. Aber …Vielleicht war es eine gute Idee, die Abstinenz zu beenden, damit sie aufhörte, nur noch an Al zu denken. „Das könnten wir vielleicht.“ Der Tanz war zu Ende, und unter Fanfaren und lautem Jubel ging die Band zum traditionellen griechischen Kreistanz über. Alice wollte sich zurückziehen, doch Nick hielt ihre Hand fest. „Das dürfen Sie nicht verpassen.“ „Ich sollte das wirklich lieber lassen. Außerdem habe ich es bisher nur bei Festen gesehen, aber noch nie mitgemacht.“ „Keine Angst, ich führe Sie.“ Bevor Alice noch eine Ausrede einfiel, ergriff jemand anders ihre freie Hand, und schon tanzte sie mit im Kreis. Was soll´s, dachte sie. Schließlich war das hier eine Party. Bei dem langsamen Tanz war Al hereingekommen und hatte automatisch nach Rose Ausschau gehalten. Das redete er sich zumindest ein. Fast auf den ersten Blick sah er Alice. Sie tanzte. Mit wem tanzte sie da? Sie konnte nicht einfach mit einem Typen tanzen, den er nicht kannte … Sie musste doch arbeiten. Hatte sie einen festen Freund, den sie zu der Party mitgebracht hatte? Die beiden sahen aus, als würden sie sich kennen. Wenn er sich anschaute, wie sie sich zusammen bewegten – und wie sie ihn anlächelte, wer auch immer er war. „Al, mit dir habe ich heute Abend gar nicht gerechnet.“ Rose kam mit großen Schritten auf ihn zu und küsste ihn auf die Wange. „Ich wollte nur kurz reinschauen, um … wer ist das?“ „Wer?“ „Bei Alice. Der mit ihr tanzt.“ Amüsiert schaute Rose zur Tanzfläche und machte Alice in der Menge aus. „Weiß ich nicht genau.“ „Sie hat ihn nicht mitgebracht?“ „Nein. Er gehört zu den Gästen. Wir geben eine Art Verlobungs-Nachfeier und Empfang vor der Hochzeit. Lange Geschichte.“ „Seit wann tanzt ihr auf euren Veranstaltungen mit?“ „Kommt auf die Umstände an.“ Rose warf Al einen Seitenblick und gab ein leises Hm von sich, das trotz der Musik und des Stimmengewirrs zu hören war. „Sie sehen gut zusammen aus.“ Albus zuckte nur die Achseln und schob die Hände in die Hosentaschen. „Nicht besonders schlau von euch, die Gäste zu ermuntern, euch an zubaggern.“ „Ermuntern, darüber kann man sich streiten. Jedenfalls kann Alice auf sich selbst aufpassen. Oh, ich liebe diesen traditionellen Tanz“, fügte Rose hinzu, als die Musik wechselte. „Er ist so fröhlich. Schau dir Alice an! Sie kann es.“ „Sie war schon immer sehr trittsicher“, brummelte Albus. Alice lachte und hatte offenbar keine Probleme mit der Beinarbeit oder dem Rhythmus. Sie sah anders aus, dachte Al. Warum, konnte er nicht genau sagen. Nein, das war es nicht – er sah sie nur mit anderen Augen. Er sah sie an durch diesen Kuss. Das veränderte alles – und die Veränderung verunsicherte ihn. „Ich sollte noch einen Rundgang machen.“ „Was?“ „Ich muss noch einen Rundgang machen“, wiederholte Rose und legte den Kopf schräg, um Albus prüfend anzusehen. Er kniff die Augenbrauen zusammen. „Was ist? Warum schaust du mich so an?“ „Nichts. Du kannst dich unter die Gäste mischen, wenn du willst. Das wird hier niemanden stören. Oder, wenn du was anderes essen willst als Dessert, kannst du runter in die Küche gehen.“ Beinahe hätte Albus gesagt, dass er nichts wollte, doch dann merkte er, dass das nicht stimmte. Er wusste es nicht, was er wollte. „Vielleicht. Ich wollte nur kurz reinschauen. Ich wusste nicht, dass ihr heute Abend alle im Dienst seid. Oder die meisten von euch“, verbesserte er sich, als Alice vorbei wirbelte. „Eine Last-Minute-Geschichte. Es dauert noch ungefähr eine Stunde. Du kannst auch ins Wohnzimmer gehen, wenn du willst, und auf mich warten.“ „Wahrscheinlich hau ich bald wieder ab.“ „Tschau, falls du es dir anders überlegst, bis später.“ Albus entschied, dass er ein Bier wollte, und wenn er eins wollte, ohne sich zur Mithilfe zu verpflichten, musste er sich eins aus der privaten Küche holen statt von einer der Bars auf der Party. Am besten fuhr er einfach heim und trank dort eins, sagte er sich, als er nach unten ging. Doch er wollte nicht nach Hause, nicht, wenn er die ganze Zeit an Alice dachte, die tanzte, als wäre sie auf Korfu geboren. Er würde sich einfach ein Bier holen, sich dann auf die Suche nach Fred machen und mit ihm ein Stündchen herumhängen. Frank musste auch irgendwo in der Nähe sein. Er würde sich ein Bier holen und beide finden, einfach ein bisschen Zeit mit Freunden verbringen. Unter Männern. Um sich die Gedanken an Frauen aus dem Kopf zu schlagen, gab es nichts Besseres, als mit Männern zusammen ein Bier zu trinken. Albus kehrte in die Familienküche zurück, wo er im Kühlschrank ein kaltes Bier fand. Genau, was der Heiler verschrieben hatte, entschied er. Nachdem er es geöffnet hatte, schaute er nochmals aus dem Fenster, um zu sehen, ob er einen seiner Freunde erspähen konnte. Doch auf der Terrasse, die nun von Kerzen und bunten Lichtern beleuchtet wurde, hatten sich nur Fremde versammelt. In kleinen Schlucken trank er das Bier und grübelte. Verdammt, warum war er so unruhig? Er konnte ein Dutzend anderer Dinge tun, als hier in der leeren Küche zu stehen, ein Bier zu trinken und aus dem Fenster auf fremde Leute zu starren. Er sollte nach Hause fahren und ein paar liegen gebliebene Sachen aufarbeiten. Oder auf die Arbeit pfeifen und ein bisschen Sportfernsehen gucken. Inzwischen war es zu spät, um noch ein Date oder eine Verabredung zum Abendessen oder auf einen Drink ausmachen – dummerweise war ihm nur nicht nach Alleinsein. Mit den Schuhen in der Hand schlich Alice auf müden Sohlen lautlos in die Küche. Endlich allein zu sein war ihr größter Wunsch. Stattdessen erblickte sie Albus, der am Fenster stand und in ihren Augen aussah wie der einsamste Mensch auf der Welt. Was nicht zusammenpasste, dachte sie. Mit Einsamkeit brachte sie Albus nie in Verbindung. Er kannte alle und jeden und begegnete in seinem Leben so vielen Leuten, dass sie sich oft fragte, warum er nicht zwischendurch die Flucht ergriff, um mal seine Ruhe zu haben. Doch jetzt schien er völlig allein zu sein, ganz für sich, und von stiller Traurigkeit erfüllt. Ein Teil von ihr wollte auf ihn zugehen, die Arme um ihn legen und ihn trösten, um zu verscheuchen, was auch immer der Grund für diesen Gesichtsausdruck war. Stattdessen schaltete sie auf den Überlebensmodus um und begann, rückwärts wieder hinauszugehen. Da drehte Albus sich um und sah sie. „Entschuldige. Ich wusste nicht, dass du hier bist. Brauchst du Rose?“ „Nein. Die habe ich oben getroffen.“ Stirn runzelnd sah Albus auf ihre bloßen Füße. „So viel zu tanzen ist wahrscheinlich eine Tortour für die Füße.“ „Hm? Oh … So viel habe ich gar nicht getanzt. Aber am Ende eines solchen Tages ist es irgendwann zu viel.“ Da sie nun einmal beide da waren, beschloss Alice, es hinter sich zu bringen und sich zu entschuldigen. „Ich habe nicht viel Zeit, aber da du schon mal hier bist, will ich dir sagen, dass ich an dem Abend neulich total von der Rolle war. Ich hätte nicht so über dich herfallen sollen.“ Keine gute Wortwahl, dachte sie. „Mist ist klar, dass du ein gewisses… Pflichtgefühl hast“, sagte sie, obwohl ihr das Wort beinahe im Hals stecken blieb. „Ich wünschte, das wäre nicht so, und ich kann ebenso wenig dafür, dass es mich aufregt, wie du dafür kannst, dass du so empfindest. Also ist es sinnlos, sich darüber zu streiten.“ „Hm-hm.“ „Wenn das alles ist, was du dazu zu sagen hast, betrachte ich die Sache einfach als erledigt.“ Albus hob den Zeigefinger, während er noch einen Schluck Bier trank. Und sie anschaute. „Nicht ganz. Ich frage mich, warum dein Ärger sich auf diese spezielle Art und Weise geäußert hat.“ „Sieh mal, du warst so, wie du bist, und das hat mich auf die Palme gebracht. Darum sind mir ein paar Sachen raus gerutscht, die ich besser nicht gesagt hätte. Das passiert eben, wenn man sauer ist.“ „Ich rede weniger von dem, was du gesagt hast, als von dem, was du getan hast.“ „Das ist alles eins. Ich war wütend, das tut mir leid. Wenn dir das nicht reicht, ist das dein Pech.“ Nun lächelte Albus, und Alice spürte, wie der Zorn in ihrem Bauch zu grollen begann. „Du warst schon vorher manchmal wütend auf mich. Aber du hast mich noch nie so geküsst.“ „Das ist wie mit meinen Füßen.“ „Bitte?“ „Irgendwann ist es einfach zu viel. Es nervt, wenn du den Albus weiß alles besser raus hängen lässt, und weil das schon seit Jahren so geht, hat sich mein Ärger aufgestaut, und deshalb… Ich wollte damit nur eins meiner Argumente verdeutlichen.“ „Was für ein Argument? Ich glaube, das habe ich verpasst.“ „Ich weiß nicht, warum du so einen Wirbel darum machst.“ Alice spürte den Groll aufsteigen, ebenso wie die verlegene Röte in ihrem Gesicht. „Wir sind erwachsen. Es war bloß ein Kuss, eine gewaltfreie Alternative dazu, dir eine reinzuhauen. Obwohl ich wünschte, das hätte ich stattdessen getan.“ „Okay, reden wir mal Klartext. Du warst genervt von mir. Dieses genervt sein hat sich im Laufe der Jahre aufgebaut. Und was du getan hast, war eine Alternative dazu, mir eine reinzuhauen. Kann man das so zusammenfassen?“ „Jawohl, Herr Anwalt, im Großen und Ganzen schon. Soll ich den Zauberkodex holen und darauf schwören? Merlin, Albus.“ Alice ging zum Kühlschrank und riss die Tür auf, um eine Flasche Wasser herauszuholen. Wahrscheinlich würde ihr noch ein Mann einfallen, der ihr mehr auf den Geist ging, aber im Moment stand Albus Severus Potter ganz oben auf der Liste. Mit einer wütenden Drehung des Handgelenks schraubte sie den Deckel von der Flasche, während sie sich wieder umwandte. Und stieß prompt mit Albus zusammen. „Lass das.“ Sie hätte es nicht gerade Panik genannt, doch ihre Stimmung kippte irgendwie. „Du hast die Tür aufgemacht. Im übertragenen Sinn wie auch…“ Er deutete auf den offenen Kühlschrank. „Ich wette, jetzt bist du auch genervt.“ „Ja, bin ich.“ „Gut. Da wir die gleiche Wellenlänge haben und ich jetzt weiß, wie das funktioniert…“ Er packte sie an den Schultern und riss sie auf die Zehenspitzen ihrer bloßen Füße. „Wehe, du…“ Weiter kam Alice nicht, bevor ihr Gehirn aussetzte. Die Glut seiner Lippen auf den ihren stand in krassen Gegensatz zu der Kälte, die ihr in den Rücken strömte. Sie fühlte sich wie eingeklemmt zwischen Feuer und Eis und konnte sich weder in die eine noch in die andere Richtung bewegen. Albus balancierte sie auf diesem schmalen Grat. Dann glitten seine Hände nach unten, fanden ihre Taille, und der Kuss schmolz zu genießerischem Begehren. Ihr Körper gab geschmeidig nach, und ihre Sinne wurden vernebelt, als er sie erst noch ein wenig enger an sich zog und dann hochhob um sie auf die Küchenanrichte zu setzen. Der Laut, den er vernahm, ein sanftes, tiefes Schnurren in ihrer Kehle, signalisierte keinen Ärger, sondern Ergebung. Überraschend öffnete sie sich ihm, wie ein Geschenk, das seit Jahren eingepackt gewesen war. Ganz behutsam und sorgfältig wollte er diese Umhüllungen entfernen und mehr entdecken. Da bewegte sie sich, streckte die Hand aus – und das eiskalte Wasser aus der Flasche spritzte über sie beide. Albus löste sich sanft von ihr, schaute auf sein nasses Hemd und ihre Bluse. „Oops.“ Ihre Augen, hell und benommen, blinzelten. In dem Moment, als Albus zu grinsen begann, wich sie hastig auf der Anrichte zurück. Sie fuchtelte so heftig mit der Flasche, dass noch mehr Wasser heraus spritzte. „Okay, okay. Also… jetzt sind wir quitt. Ich muss wieder zurück. Ich muss.“ Sie wischte über ihre nasse Bluse. „Mist.“ Damit rutschte sie von der Anrichte, drehte sich um und ergriff die Flucht. „He. Du hast deine Schuhe vergessen. Na schön.“ Albus schloss die Kühlschranktür und griff wieder zu der Bierflasche, die er auf der Arbeitsplatte abgestellt hatte. Komisch, dachte er, als er sich in der stillen Küche an die Arbeitsplatte lehnte. Er fühlte sich besser. Genauer gesagt, sogar verdammt gut. Er betrachtete die Schuhe, die Alice auf dem Boden zurückgelassen hatte. Sexy, dachte er, vor allem zu dem Business-Kostüm, das sie getragen hatte. Er fragte sich, ob sie diese Kombination wohlüberlegt oder spontan ausgewählt hatte. Und war es nicht etwas seltsam, dass er über ihre Schuhe nachdachte? Aber da er schon mal dabei war… Amüsiert über sich selbst öffnete er eine Schublade, um einen Notizblock herauszuholen. Sie waren also quitt, dachte er, während er eine Botschaft hin kritzelte. Ausgeglichen. Daran war er nun wirklich nicht interessiert. Am nächsten Morgen entschied sich Alice, statt eines Workouts lieber eine Runde zu schwimmen. Sie redete sich ein, sie tue das nur zur Abwechslung, musste jedoch zugeben, dass sie es dadurch vermeiden konnte, Rose zu begegnen, solange sie sich noch nicht überlegt hatte, was sie sagen wollte. Oder ob sie überhaupt etwas sagen sollte. Wahrscheinlich war es am besten, die Sache auf sich beruhen zu lassen, dachte sie, als sie sich für eine weitere Bahn vom Rand abstieß. Im Grunde gab es dazu gar nichts zu sagen. Albus sportlicher Ehrgeiz war eben grenzenlos. Sie hatte ihn geküsst, also hatte er sich revanchiert. Ihr Kontra gegeben. So war er nun einmal. Er war fest entschlossen, sie in ihre Schranken zu weisen – auch das war typisch für ihn. Und dieses Grinsen? Für die nächste Bahn stieß Alice sich noch fester ab. Dieses dämliche, selbstgefällige, überlegene Grinsen? Das war ebenfalls typisch. Vollidiot. Es war lächerlich, zu glauben, sie würde etwas für ihn empfinden. Ihr Verstand hatte lediglich für einen Moment ausgesetzt. Oder für ungefähr zehn Jahre. Aber was machte das schon für einen Unterschied? Sie war wieder klar im Kopf. Es ging ihr gut. Alles war ganz normal. Als sie das nächste Mal am Rand ankam, schloss sie die Augen und ließ sich in die Tiefe sinken. Nach den Strafrunden war dieses Gefühl der Schwerelosigkeit perfekt. Sich einfach treiben lassen, dachte sie, genau wie in ihrem Privatleben. Und das war schön, es war gut so, wirklich. Form, Funktion und Struktur mussten nicht jeden Bereich ihres Lebens bestimmen. Es war gut, dass sie nach einem Arbeitstag – oder, so wie jetzt, davor – tun konnte, was sie wollte. Sie war niemandem Rechenschaft schuldig, nur sich selbst. Und für sie musste nicht alles genau festgelegt sein. Das wollte sie gar nicht. Al – oder die Sache mit Al – war nur eine Bodenwelle auf der Straße. Die nun eingeebnet war, dachte sie. Umso besser. Sie strich sich das Haar zurück, bevor sie die Hände nach der Leiter ausstreckte – und quiekte erschrocken auf, als Rose mit einem Handtuch auf sie zukam. „Merlin, hast du mich erschreckt. Ich wusste nicht, dass du hier draußen bist.“ „Dann sind wir schon zwei, die erschrocken sind. Für einen Moment habe ich überlegt, ob ich rein springen und dich raus ziehen muss.“ Alice nahm das Handtuch. „Ich hab mich nur treiben lassen. Kleiner Tempowechsel nach der Hetze in den letzten Tagen. Wir lassen uns nicht genug treiben, finde ich.“ „Okay, ich schreibe es auf die Liste.“ Lachend wickelte sich Alice das Handtuch um die Taille. „Das bringst du fertig. Du bist schon angezogen. Wie spät ist es?“ „Ungefähr acht. Ich nehme an, du hast dich eine ganze Weile treiben lassen.“ „Wahrscheinlich. War ein arbeitsreicher Abend.“ „Das stimmt. Hast du Albus gesehen?“ „Warum? Ja, aber warum?“ „Weil er hier war, und zwischendurch warst du mal verschwunden, ohne Bescheid zu sagen.“ „Ich war nicht verschwunden, du Feldwebel. Ich habe nur eine Pause gemacht.“ „Und eine andere Bluse angezogen.“ So etwas wie ein schlechtes Gewissen kroch an Alice Wirbelsäule hoch. „Ich hab mich bekleckert. Was ist da?“ „Seltsam, seltsam.“ Rose hielt ihr einen Umschlag hin. „Der lag auf der Arbeitsplatte in der Küche. Mrs. Clarks hat gesagt, ich soll ihn dir geben.“ „Warum hat sie ihn mir nicht… Oh.“ Alice brach ab, als sie Albus Handschrift erkannte. „Willst du nicht wissen, was drinsteht? Ich schon.“ Mit strahlendem Lächeln stellte Rose sich ihr in den Weg. „Wenn ich höflich wäre, würde ich wieder ins Haus gehen und dich beim Lesen allein lassen. Aber dazu bin ich einfach zu unreif.“ „Es ist bestimmt nichts Besonderes. Also schön.“ Alice kam sich albern vor, als sie den Umschlag öffnete. Falls du glaubst, es wäre vorbei, irrst du dich. Ich habe deine Schuhe in meiner Gewalt. Kontaktiere mich binnen 48 Stunden, oder den Pradas ergeht es schlecht. Alice gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen einem Lachen und einem Fluch lag, als Rose ihr über die Schulter lag, um zu lesen. „Er hat deine Schuhe mitgenommen?“ „Offensichtlich. Was soll ich denn jetzt machen?“ Alice wedelte mit dem Blatt Papier. „Ich lasse mich treiben. Ich habe beschlossen, mich treiben zu lassen, und jetzt spielt er solche Spielchen. Die Schuhe habe ich gerade neu gekauft.“ „Wie ist er da dran gekommen?“ „Nicht, wie du denkst. Ich hatte sie ausgezogen, und er war da, und ich hab sie stehen lassen, nachdem … Ach nichts. Es war eine Art Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Rose nickte. „Eher dein Auge oder sein Zahn?“ „Weder noch, du Dumpfbacke. Ich habe mich dafür entschuldigt, dass ich so über ihn hergefallen bin, aber das reichte ihm natürlich nicht. Also fing er an, mich ins Kreuzverhör zu nehmen. So führte eins zum anderen, und dann kam noch das mit dem Kühlschrank. Es ist schwer zu erklären.“ „Offensichtlich.“ „Albus ist einfach ein Klugscheißer. Er kann die blöden Schuhe behalten.“ „Echt?“ Rose sah Alice seelenruhig an und lächelte. „Dann hätte ich – und er wahrscheinlich auch – aber den Eindruck, du hättest Angst vor einer Auseinandersetzung. Vor ihm. Vor beidem.“ „Ich habe keine Angst – und komm mir bloß nicht so.“ Alice riss sich das Handtuch herunter, um sich aufgebracht die Haare trocken zu rubbeln. „Ich will nur keinen neuen Streit vom Zaun brechen.“ „Weil es dann schwer ist, sich treiben zu lassen.“ „Ja. Außerdem habe ich noch andere Schuhe. Sogar bessere. Die Genugtuung gönne ich ihm nicht, dass es ihm gelingt, mich in seine albernen Spielchen reinzuziehen.“ Rose lächelte wieder. „Männer sind so hirnlos.“ Alice verdrehte die Augen. „Er ist dein Cousin.“, brummelte sie und eilte zurück zum Haus. „Ja, stimmt.“ Und Rose fragte sich, wie lange es dauern würde, bis ihre beste Freundin einknickte. „Mehr als vierundzwanzig Stunden“, entschied Rose, „aber weniger als achtundvierzig.“ Das Handy in ihrer Tasche klingelte. Rose warf einen Blick auf das Display, während sie über den Rasen schlenderte. „Guten Morgen, Sybil. Was kann ich für sie tun?“ Es gab immer einen Weg, um an Informationen zu gelangen. In Rose Augen bedeuteten Informationen nicht nur Macht, sondern waren auch der Wegbereiter für Effizienz – und in ihrer Welt stand Effizienz über allem anderen. Um irgendetwas gut und, ja, effizient zu erledigen, erstellte man zunächst eine Liste aller Fakten und Details. Und zwar möglichst in Form von Multi-Tasking. Die erste Aktion, etwa vierundzwanzig Stunden nach Beginn der Sache mit den gekidnappten Schuhen, war, Albus um eine Mitfahrgelegenheit zu bitten. Das ließ sich leicht arrangieren, zumal sie sich entschieden hatte, die regelmäßige Inspektion ihres Wagens von seinem Automechaniker durchführen zu lassen. Scorpius Hyperion Malfoy war zwar ein ziemlich ungehobelter, um nicht zu sagen rotzfrecher Kerl, doch seine Arbeit erledigte er ausgezeichnet – und das zählte. Außerdem konnte es nicht schaden, dass er ein Freund von Albus war. Da das kommende Wochenende mit Veranstaltungen zugepackt war, angefangen mit einer Generalprobe an diesem Abend, konnte sie Albus glaubhaft versichern, sie sei auf ihn angewiesen, da keine ihrer Freundinnen Zeit hatte. Es spielte keine Rolle, dass sie ein Dutzend anderer Leute – oder auch ein Taxiunternehmen – hätte anrufen können, dachte sie, während sie ihren Lippenstift auffrischte. Durch diesen kleinen Gefallen würde Al sich als großer Cousin fühlen – eine Rolle, die er liebte – und ihr Gelegenheit geben, ihn auszuhorchen, da Alice keinen Piep mehr gesagt hatte. Sie überprüfte den Inhalt ihrer Tasche, dann den Terminplan auf ihrem Handy. Mit Albus sprechen. Wagen abholen. Kunden zum Mittagessen treffen, Klamotten aus der Reinigung holen, auf den Markt gehen, um halb fünf zur Vorbereitung der Generalprobe zurück sein. Die Listen für das Kundengespräch, die Reinigung und der Markt waren unter dem jeweiligen Eintrag aufgeführt. Rose drehte sich kurz vor dem Spiegel. Die Kunden waren wichtig, und da sie einen Tisch in ihrem Country-Club reserviert hatte, kam es auf eine korrekte Erscheinung an. Das Sommerkleid in zart gelb war weder zu leger noch zu förmlich, fand sie. Unaufdringlicher Schmuck, doch die Adleraugen der Mutter würden den wahren Wert erkennen, der ziemlich beeindruckend war. Das Haar ließ sie zur Abwechslung offen, die rotbraunen Locken fielen sanft auf ihre Schultern. Das Mittagessen sollte in freundlicher Atmosphäre stattfinden. Nichts Überkandideltes, nichts zu Auffälliges. Die Hochzeitsplanerin durfte der Braut nie, nie die Schau stehlen. Zufrieden griff sie noch zu einem hauchdünnen weißen Pulli, um gegen die Klimaanlagen gewappnet zu sein, falls die Kunden beschlossen, drinnen zu essen. Volle zehn Minuten, bevor ihr Cousin sie abholen sollte, ging sie nach unten. Mitten am Vormittag wirkte ihr geliebtes Haus so still, so groß – keine Kunden, die beraten werden wollten, keine Veranstaltungen, die ihre Zeit und Aufmerksamkeit beanspruchten. Der Duft von Domes Blumen – wuchtigen Bodengestecken oder hübschen kleineren für den Tisch – lag in der Luft, und zwischen den Kunstwerken an der Wand hingen einige von Roxys Fotografien. Insgesamt hatten sie hier jedoch wenig verändert, nur die persönlichsten Dinge in ihre oder Alices Privaträume gebracht. So war das Haupthaus immer noch sehr ein Zuhause, ein positiver Ort, der mittlerweile Zeuge Hunderter von Feiern gewesen war. Oft auch von Streit, dachte sie, als sie eine Schale zurechtrückte. Von Gelächter, Tränen, Drama und Torheiten. Sie konnte sich nicht erinnern, in diesem Haus jemals einsam gewesen zu sein oder sich irgendwo anders hin gewünscht zu haben. Nach einem abschätzenden Blick auf die Uhr beschloss sie, noch kurz bei Alice reinzuschauen. Die Freundin stand an der Arbeitsplatte und knete eine Portion Fondant. Neben ihr ruhten sechs gebackene Tortenböden auf ihren Gittern. Da sie statt Musik eine Talkshow angestellt hatte, vermutete Rose, dass sie sich ablenken wollte. „Ich fahr gleich los“, verkündete sie. „Brauchst du irgendwas?“ Alice warf ihr einen Blick zu. „Die Farbe steht dir super.“ „Danke. Ich fühle mich darin so sonnig.“ „So siehst du auch aus. Ich könnte ungefähr fünf Pfund Erdbeeren gebrauchen“, fügte Alice hinzu. „Ganz frische. Sie sollen noch nicht alle ganz rot und reif sein. Gemischt. Dann muss ich heute Nachmittag nicht extra los.“ „Kein Problem.“ Rose holte ihr Handy heraus, um ihre Einkaufsliste zu ergänzen. „Ich gehe ohnehin auf den Markt, nach dem Mittagessen mit Kunden. Jessica Sykes und ihre Mutter.“ „Stimmt.“ Alice hörte auf zu kneten, um beide Daumen zu drücken. „Die BM will über die Speisefolge und die Musik sprechen. Ist die für morgen Abend?“, fragte Rose, als Alice ihre Arbeitsfläche mit Maisstärke bestreute. „Ja. Sechsstöckig, Fondant mit Plisseefalten, dazu Orchideen aus Blütenpaste, passend zu den Lieblingsblumen der Braut.“ Alice rollte die erste Fondantplatte aus. „Moment mal, ich dachte, dein Wagen wäre in der Werkstatt.“ „Ist er auch, und er ist fertig. Albus lässt mich bei der Werkstatt raus.“ „Oh.“ Stirn runzelnd – entweder wegen Albus Namen oder wegen der winzigen Luftbläschen, die sie entdeckt hatte – stach Alice die Bläschen mit einer Stecknadel ein. „Soll ich ihm – oder deinen Schuhen – irgendwas ausrichten?“ „Sehr witzig.“ Alice arbeite zügig weiter, hob die Fondantplatte mit beiden Händen hoch und legte sie auf den ersten Tortenboden. „Du könntest ihm sagen, er soll aufhören, sich so kindisch zu benehmen, und mir die Schuhe zurückgeben.“ „Okay.“ „Nein, sag nichts.“ Achselzuckend strich Alice den Fondant rundherum glatt und drückte dabei weitere Luftbläschen aus. „Ich brauche die Schuhe nicht. Ich hab sie schon vergessen.“ „Klar.“ Alice griff zu einem Pizzaschneider und drohte Rose damit. „Ich kenne deine Spielchen, Weasley. Du versuchst, mich anzustacheln, damit ich ihn anrufe. Das funktioniert aber nicht.“ „Okay.“ Rose lächelte unbekümmert, während Alice mit dem Pizzaschneider am unteren Rand der Torte das überstehende Fondant abschnitt. „Albus muss jeden Moment hier sein. Ich bringe dir Erdbeeren mit.“ „Verschiedene Größen, verschiedene Rottöne“, rief Alice ihr nach. „Verstanden.“ Rose schlenderte zurück in den Eingangsbereich, zufrieden damit, dass sie genau das erreicht hatte, was sie wollte. Alice würde den Rest des Tages mit Gedanken an Albus und ihre Schuhe verbringen. Sie trat vor das Haus, setzte ihre Sonnenbrille auf und ging gerade den Weg vom Haus hinunter, als Albus anhielt. „Pünktlich wie die Auroren.“, sagte er. „Du auch.“ „Wir sind Potters und Weasleys. Wir haben eben einen Pünktlichkeitsfimmel.“ „Ich halte das für eine Tugend, und für eine Gabe. Danke, dass du gekommen bist, Albus.“ „Ist kein großer Akt. Ich fahre gleich noch weiter, um einen Klienten zu treffen, dann bin ich mit Fred zum Mittagessen. Alles genau getimt.“ „Multi-Tasking. Der Schlüssel zu allem. Neue Schuhe?“, fragte Rose. „Nein.“ Er warf ihr einen Blick zu, als er aus der Einfahrt fuhr. „Warum?“ „Ach, ich hab gehört, du hättest dir kürzlich ganz tolle neue Schuhe zugelegt.“ „Stimmt.“ Um Albus Mund zuckte es belustigt. „Sie haben nur nicht die richtige Größe. Außerdem kriege ich immer einen Krampf in den Zehen, wenn ich hochhackige Schuhe trage.“ Rose piekte ihm mit dem Finger in den Arm. „Alice die Schuhe zu klauen. Wann hörst du auf, dich wie ein Zwölfjähriger zu benehmen?“ „Niemals.“ Wie zum Schwur legte Albus die Hand aufs Herz. „Ist sie sauer, oder findet sie es witzig?“ „Beides, oder weder noch. Ich würde sagen, sie ist durcheinander.“ „Dann habe ich ja mein Ziel erreicht.“ „Das ist so typisch. Warum willst du sie durcheinander bringen?“ „Sie hat angefangen.“ Rose rückte an ihrer Sonnenbrille, um Albus über den Rand hinweg anzuschauen. „Ich glaube, du fällst gerade auf den Stand eines Achtjährigen zurück. Womit hat sie angefangen?“ Albus warf ihr noch einen kurzen Blick zu. „Ich bin vielleicht acht Jahr alt, aber ich kenne dich und deine Bande. Du weißt ganz genau, womit sie angefangen hat, und jetzt versuchst du, mich auszuquetschen.“ „Dafür muss ich nicht quetschen, und du brauchst mir nichts zu erzählen. Entschuldige“, fügte Rose hinzu, als ihr Telefon klingelte. „Shawna, hallo! Ich komme gerade von Alice aus der Küche, wo sie ihre Torte fertig macht. Sie wird fantastisch. In Ordnung. Hm-hm. Nein, nein, keine Sorge. Ich rufe in meinem Reisebüro an und … Das war sehr geschickt. Haben Sie die Nummer des neuen Flugs? Ja.“ Während sie sprach, holte sie Notizblock und Stift heraus und wiederholte die Informationen, als sie alles aufschrieb. „Ich frage gleich nach, nur um sicherzugehen, dass der Flieger planmäßig landet, und ich sorge dafür, dass er abgeholt und zur Probe gefahren wird. Nein, das ist kein Problem. Überlassen Sie das nur mir, und wir sehen uns heute Abend. Bleiben Sie ganz locker, wir haben alles im Griff. Gehen Sie ruhig ins Nagelstudio, und machen Sie sich keine Gedanken. Ja, ich auch. Wiederhören.“ „Der Flug des TZ ist gestrichen worden. Er wurde umgeleitet und da er Muggel ist, kann er sich auch nicht einfach hierher apperieren“, erklärte Rose, während sie den Block wieder verstaute. „TZ ist der Trauzeuge des Bräutigams“, erinnerte Rose Al. „Er kommt heute Abend ein bisschen später.“ „Ganz kurz habe ich mir schon Sorgen gemacht.“ „Alice hat Recht. Du bist ein Klugscheißer.“ „Hat sie das gesagt?“ Mit einem gleichgültigen Achselzucken steckte Rose ihr Handy wieder ein. „Okay, okay, deine Foltermethoden sind wirkungsvoll und grausam. Sie hat das Spielfeld gewechselt, also überlege ich, ob ich mitziehen soll. Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, aber… na ja, es ist immerhin eine Idee. Kommentar?“ „Ich denke, ihr werdet beide versuchen, das Heft in der Hand zu behalten, also entweder geht ihr aufeinander los wie tollwütige Werwölfe, oder ihr verliebt euch hoffnungslos ineinander. Vielleicht auch beides, da ihr beide von Anfang an und schon seit vielen Jahren starke Gefühle füreinander habt. Diese Gefühle werden sich verändern, wenn du… mitziehst.“ „Ich habe weder vor, auf sie loszugehen, noch mich hoffnungslos zu verlieben. Ich lote nur eine potenzielle neue Dynamik zwischen uns aus. Ist das komisch für dich?“ Interessant, dachte Rose. Beide stellen ihr die gleiche Frage. „Weiß ich noch nicht. Wenn sie sich wegen der Schuhe bei dir gemeldet – was sie tun wird, auch wenn sie noch nicht daran glaubt –, dann, bitte, keine Schadenfreude.“ „Nur innerlich.“ Albus fuhr auf den Parkplatz der Werkstatt. „Du meinst, sie meldet sich?“ „Sie mag diese Schuhe sehr. Außerdem wird sie denken, wenn sie sich nicht meldet, lasse sie dich gewinnen.“ Rose beugte sich rüber und küsste Albus auf die Wange. „Danke fürs Mitnehmen.“ „Ich kann auf dich warten. Scorp muss irgendwo hier sein, also kann ich ein bisschen mit ihm quatschen, bis du fertig bist.“ „Nicht nötig.“ Wenn Albus mit Scorpius redete, würde der wissen, dass sie da war, und er würde ihr bestimmt was zu sagen haben. Dem – und ihm – wollte sie lieber aus dem Weg gehen. „Ich habe vorher angerufen; sie wissen, dass ich komme.“ „Natürlich hast du das. Na gut, dann sag Scorp, wir sehen uns beim Pokerabend.“ „Hm. Komm doch nächste Woche mal zum Abendessen.“ Rose stieg aus. „Wir machen ein großes Familienessen. Ich schaue bei allen in den Terminkalender und sage dir, welcher Abend am günstigsten wäre, falls du Zeit hast.“ „Die kann ich mir nehmen. He, Rose. Du siehst hübsch aus.“ Rose lächelte. „Wirf bloß kein Auge auf meine Schuhe.“ Als Albus laut lachte, schlug sie die Wagentür zu und ging in das Büro. Die erschöpft wirkende Frau mit dem schwarzen Haar und der grün gerahmten Brille saß hinter dem Empfangsschalter und bedeutete Rose, näher zu kommen, während sie telefonierte. Auf diskretes Nachfragen hatte Rose erfahren, dass sie Scorpius Mutter war – Astoria Malfoy. Nicht, dass das eine besondere Rolle spielte. Sie wusste nur gern, mit wem sie es zu tun hatte. „Genau, morgen Nachmittag. Nach zwei. Hören Sie, Freundchen, das Ersatzteil ist gerade erst gekommen, und der Junge hat nur zwei Hände und einen Zauberstab.“ Sie verdrehte die leuchtend grauen Augen – fast die gleichen, die auch ihr Sohn hatte – und trank einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. „Wollen Sie, dass es schnell geht oder dass es richtig gemacht wird? Er hat Ihnen gesagt, dass es einen Tag dauert, sobald das Teil da ist. Das habe ich selbst gehört. Vielleicht sollten Sie lieber englische Produkte kaufen. Wenn es früher fertig ist, rufe ich Sie an. Mehr kann ich nicht tun. Ja, einen wunderschönen Tag auch. Dickschädel“, fügte sie hinzu als sie auflegte. „Jeder denkt, die Welt drehe sich nur um ihn“, sagte sie zu Rose. „Alle halten sich für den Nabel der Welt, Merlin.“ Dann seufzte sie, dann lächelte sie – ein wirklich bezauberndes Lächeln. „Sie sehen sehr hübsch aus, wie aus dem Ei gepellt.“ „Danke, ich habe gleich eine Besprechung mit Kunden.“ „Ich habe Ihre Rechnung schon hier liegen. Hab sie fertig gemacht ausgedruckt, nachdem sie angerufen hatten. Allmählich komme ich mit diesem muggelblöden Computer klar.“ Rose erinnerte sich an die Begegnung, bei der Mrs Malfoy so frustriert gewesen war. „Man spart schon Zeit, wenn man erst weiß, wie es geht.“ „Na ja, ich brauche damit immer noch eine Ecke länger, als wenn ich alles einfach mit der Hand schreiben würde, aber nicht mehr dreimal so lange, so wie früher. Bitte sehr.“ „Super.“ Rose trat näher, um die Rechnung zu überfliegen. „Ich kenne ihre Mutter flüchtig.“ „Ach ja?“ „Sie sehen ihr ein bisschen ähnlich, wenn ich Sie genau anschaue. Sie ist eine echte Lady. Eine von der Art, die sich nicht hochnäsig aufführen muss, um eine zu sein.“ „Diese exakte Beschreibung würde ihr sehr gefallen.“ Zufrieden mit der Rechnung zückte Rose ihre Galleonenkarte. „Vermutlich kennen Sie dann auch Maureen Clarks. Sie kümmerte sich schon um unsere Familie solange ich denken kann.“ „Ja, ich kenne sie ein bisschen. Ich glaube, wenn man lang genug in Plymouth lebt, kennt man die meisten Leute. Mein Junge spielt Poker mit ihrem Cousin.“ „Stimmt“, bestätigte Rose und unterschrieb den Abbuchungsbeleg. „Albus hat mich sogar hergebracht. Er hat gesagt, ich soll Scorpius ausrichten, dass sie sich beim Pokerabend sehen.“ Na bitte, dachte sie. Auftrag erledigt. „Das können Sie ihm selbst sagen“, erwiderte jedoch die Mutter, als Scorpius durch die Seitentür aus der Werkstatt hereinkam und sich die Hände an einem roten Halstuch abwischte. „Mama, ich bräuchte dich mal, um…“ Er brach ab, und seine Lippen verzogen sich langsam zu einem Lächeln. „Hallo. Wie nett.“ „Miss Weasley holt nur ihren Wagen ab.“ Seine Mutter nahm die Schlüssel, und zu Rose Missfallen warf sie sie Scorpius zu, der sie mit einer Hand auffing. „Geh mit ihr hin.“ „Nicht nötig. Ich muss…“ „Gehört zum Service.“ Scorp ging zur Eingangstür des Büros und hielt sie auf. „Danke, Mrs Malfoy. War nett, Sie wiederzusehen.“ „Beehren Sie uns mal wieder.“ „Wirklich“, begann Rose, sobald sie draußen waren. „Ich bin etwas in Eile, also…“ „Haben Sie ein Date?“ „Eine geschäftliche Besprechung.“ „Eine Schande, so ein Kleid für Geschäftliches zu verschwenden, aber Sie kommen bestimmt noch rechtzeitig.“ Er roch nach seiner Arbeit, was bei weitem nicht so unangenehm war, wie sie gedacht hätte. Seine Jeans hatte ein Loch am Knie und Ölflecken am Bein. Sie fragte sich, ob er ein schwarzes T-Shirt trug, weil man darauf die Flecken nicht sah. Sein Haar war hingegen blond – mit dunkleren Strähnen – und fiel ihm wirr um das Gesicht mit den ausgeprägten Zügen. Ihr fiel auf, dass er sich nicht rasiert hatte, doch dadurch sah er eher gefährlich als ungepflegt aus. „Ich bin übrigens Scorpius. Oder Scorp. Lassen wir doch das steife Sie.“ Er streckte ihr die Hand hin. „Okay, Rose.“ „Eine feine Karre hast du.“ Er klimperte mit ihren Autoschlüsseln, als sie bei ihrem Wagen angekommen waren. „Und du kümmerst dich auch darum. Die Wagenpflege geht aufs Haus, weil es deine erste Inspektion bei uns ist, aber ich hätte dir ohnehin nichts dafür berechnen können. Du hälst dein Schätzchen sauber und blitzblank.“ „Maschinen funktionieren besser, wenn sie gepflegt werden.“ „Die Weisheit des Tages. Die meisten Leute halten sich bloß nicht dran. Und, was machst du nach der Besprechung?“ „Bitte? Oh… Besorgungen, und arbeiten.“ „Gibt es in deinem Leben auch noch was anderes als Besprechungen, Besorgungen und Arbeit?“ „Selten.“ Rose merkte, wenn ein Mann etwas von ihr wollte, doch sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das zum letzten Mal durcheinandergebracht hatte. „Jetzt brauche ich wirklich die Schlüssel. Ohne kann ich den Wagen nicht anlassen.“ Scorpius ließ sie in ihre offene Handfläche fallen. „Wenn noch mal eine dieser seltenen Gelegenheiten kommt, ruf mich an. Dann mache ich eine Spazierfahrt mit dir.“ Während sie noch an einer Antwort überlegte, deutete er mit dem Daumen auf etwas. Sie folgte der Richtung seiner Geste und erblickte ein fettes, glänzendes Motorrad. Und Rose vermutete, dass es sogar flugfähig war. „Das glaube ich kaum. Wirklich nicht.“ Scorpius lächelte nur. „Falls du es dir anders überlegst, weißt du ja, wie du mich erreichst.“ Er wartete einen Augenblick, bis sie eingestiegen war. „Heute sehe ich dich zum ersten Mal mit offenem Haar. Passt zu dem Kleid.“ „Ähm.“ Bei Merlins Barte, Rose, dachte sie. Woher kam plötzlich der Knoten in der Zunge? „Danke für die Arbeit.“ „Gleichfalls.“ Sie schloss die Tür, drehte den Schlüssel um und fuhr erleichtert davon. Der Mann brachte sie echt aus dem Gleichgewicht. Das Ganze war albern, sagte Alice sich, und sie musste irgendwas unternehmen. Anfangs hatte sie es für eine gute Idee gehalten, Albus und sein kindliches Spielchen zu ignorieren, doch je länger sie darüber nach grübelte, desto eher konnte er ihr das als Feigheit auslegen. Damit überließ sie ihm die Oberhand, und das kam nicht infrage. Sie behielt ihren – vorläufigen – Plan für sich. Da sie bei der Probe nicht gebraucht wurde, begegnete sie den Freundinnen seltener und kam daher nicht so sehr in Versuchung darüber zu reden. Sie blieb in ihrer Küche und stellte Cremefüllungen und Buttercremeüberzug der Sommererdbeeren-Torte für Samstagnachmittag her. Dann schaute sie in ihren Terminkalender und auf die Uhr und versuchte, kein schlechtes Gewissen zu haben, weil sie sich aus ihrem eigenen Zuhause davonstahl. Sie nahm die Schürze ab, dann fluchte sie. So verschwitzt und zerzaust würde sie nicht zu Albus fahren, um sich dieser Situation zu stellen. Und sich Frischzumachen hatte ja nichts mit übertriebenem Aufwand zu tun. Sie nahm die Hintertreppe und schlüpfte in ihren Wohntrakt, um sich unter der Dusche den Arbeitstag abzuspülen. Sich zu schminken war ebenfalls nicht übertrieben. Es gehörte zur normalen Körperpflege. Und Ohrringe trug sie auch gern. Es war ihr gutes Recht, Ohrringe und ein hübsches Oberteil zu tragen, oder? Es war kein Verbrechen, unter allen Umständen so gut wie möglich aussehen zu wollen. Schließlich weigerte sich Alice, sich noch länger vor sich selbst zu rechtfertigen, und sie nahm erneut die Hintertreppe, in der Hoffnung, ungesehen aus dem Haus zu gelangen. Sie würde wieder zuhause sein, versicherte sie sich, bevor überhaupt jemand merkte, dass sie weg gewesen war. „Wo willst du denn hin?“ Verdammt. „Ah.“ Als sie sich umwandte, entdeckte sie Mrs Clarks im Küchengarten. „Hab nur was zu erledigen. Nur eine Kleinigkeit.“ „Na, dann geh mal lieber. Das ist eine neue Bluse, oder?“ „Nein. Ja. Eigentlich schon.“ Sie hasste dieses schlechte Gewissen, das ihr heiß den Nacken hinaufkroch. „Was bringt es, neue Sachen zu kaufen, wenn man sie nicht trägt?“ „Überhaupt nichts.“, erwiderte Mrs Clarks gelassen. „Also, ab mit dir, und viel Spaß.“ „Den werde ich nicht… na, egal. Bin bald wieder da.“ Sie ging ums Haus herum zu ihrem Wagen. Eine Stunde maximal, dann würde sie… „Hallo. Fährst du weg?“ Oh, Bertie Botts Bohne. Es war, als hätte man hier eine ganze Horde Eltern. Sie brachte ein Lächeln für Frank zustande. „Ja. Muss kurz was erledigen. Bin gleich zurück.“ „Okay. Ich wollte nur einen Kochtopf von Mrs Clarks schnorren. Wir tauen später etwas zu essen auf, falls du Interesse hast.“ „Danke, aber ich hatte eben einen Salat gegessen. Guten Appetit.“ „Danke. Du siehst hübsch aus.“ „Na und?“ Sie schüttelte den Kopf. „Entschuldige. Ich war in Gedanken. Muss los.“ Sie sprang ins Auto, bevor ihr noch jemand über den Weg lief. Es war eigentlich schade, dass sie die Einladung ihres Bruders ablehnen musste. Alice war froh, dass sie sich langsam wieder ihrem Bruder annäherte. Es war eine Schande, dass sich die Geschwister nach dem Tod ihrer Eltern aus den Augen verloren hatten. Und ja, Alice gestand sich ein, dass das Verhältnis auch jetzt noch nicht perfekt war – was größtenteils an ihr lag. Aber wie sollte sie so schnell verzeihen, dass man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Na ja, sie musste auf jeden Fall die Einladung in nächster Zeit einfordern und ein weiteres Gespräch mit ihrem Bruder führen. Als sie davon flitzte, fiel ihr ein, dass sie vielleicht besser tagsüber zu Albus gefahren wäre, wenn er nicht da war. Sie wusste, wo er den Ersatzschlüssel versteckt hatte, und sie kannte den Code seiner Alarmanlage. Nur, dass er den vermutlich regelmäßig veränderte, wie es am sichersten war. Trotzdem hätte sie es versuchen können. Dann wäre sie einfach ins Haus marschiert und hätte ihre Schuhe gefunden. Und dann ihm einen Zettel geschrieben, dachte sie. Das wäre echt clever gewesen. Zu spät. Aber vielleicht war er ja nicht zu Hause. Er traf sich ständig mit Leuten – mit Freunden, Kunden, Frauen. Um halb acht an einem schönen Sommerabend? Ja, wahrscheinlich hatte er ein heißes Date – Aperitif, Abendessen, Ausschweifungen. Sie konnte reingehen, die Schuhe suchen und ihm eine witzige Nachricht hinterlassen. Lieber Schuh-Entführer, wir sind entkommen und haben Scotland Yards informiert. Ein Sondereinsatzkommando ist unterwegs. Die Pradas. Darüber würde er lachen. Er verlor nicht gern – wer tat das schon? –, doch er würde darüber lachen. Und damit wäre der Fall erledigt. Solange sie nicht den Alarm auslöste und Albus am Ende als ihren Prozessbevollmächtigten herbeirufen musste. Positiv denken, ermahnte sie sich und freundete sich auf der Fahrt immer mehr mit dem neuen Plan an. Der jedoch vor ihren geistigen Auge wie ein missratenes Soufflé in sich zusammenfiel, als sie Albus Wagen in der Einfahrt entdeckte. Na schön, dann eben zurück zu Plan A. Albus besaß ein tolles Haus, das sie schon immer bewundert hatte, seit er es hatte bauen lassen. Wahrscheinlich war es zu groß für eine Person, doch für sein Platzbedürfnis hatte sie Verständnis. Sie wusste, dass Fred das Haus nach genauen Anweisungen Albus entworfen hatte. Nicht nur traditionell, aber auch nicht zu modern, viel Licht, viel Platz und gleichzeitig Kleinigkeiten, die auch in seinem Zuhause vorhanden gewesen waren. Die Mauern aus Naturstein und das dreigiebelige Dach strahlten lässige Eleganz aus, die zum Bewohner des Hauses passten. Und sie musste zugeben, dass sie versuchte, Zeit zu schinden. Sie stieg aus, marschierte schnurstracks zur Haustür und klingelte. Sie trat von einem Fuß auf den anderen und klopfte sich mit der Hand aufs Knie. Die Nerven. Merlin, sie war nervös, weil sie gleich einen Mann begegnen würde, den sie schon ihr Leben lang kannte. Mit dem sie schon gekämpft und gespielt hatte. Sie waren sogar schon ein paarmal verheiratet gewesen – wenn Rose ihn überredet oder bestochen hatte, beim Heiraten spielen die Rolle des Bräutigams zu übernehmen, als sie noch Kinder waren. Und jetzt sank ihr das Herz in die Hose. Sie war eine Memme. Und sie hasste es, eine Memme zu sein. Sie drückte erneut auf die Klingel, noch energischer. „Entschuldige, du warst so schnell, und ich hab gerade…“ Albus, das Hemd offen über der Brust, auf der ein paar Wassertropfen glitzerten, das Haar dunkel vor Feuchtigkeit, brach ab und legte den Kopf schräg. „Und du bist nicht der Lieferservice vom China Rose Palace.“ „Nein. Ich bin hier wegen… Das China Rose Palace liefert doch gar nicht bis hier draußen.“ „O doch, wenn man den Sohn des Besitzer verteidigt hat, als er wegen Drogentränkebesitz angeklagt war, und man ihn in einem Hilfsprogramm untergebracht hat statt in Askaban.“ Lächelnd hakte Albus einen Daumen in die Tasche der Jeans, deren Reißverschluss er hochgezogen, die er jedoch noch nicht zugeknöpft hatte. „Hallo, Alice. Komm rein.“ „Ich bin nicht zu Besuch hier. Ich will nur meine Schuhe. Hol sie einfach, und ich bin wieder weg, bevor dein gebratenen Nudeln mit Hähnchen da ist.“ „Ich hab Schweinefleisch süß-sauer bestellt.“ „Gute Wahl. Meine Schuhe.“ „Komm doch rein. Dann reden wir über die Bedingungen.“ „Albus, das ist einfach absurd.“ „Ab und zu mag ich es absurd.“ Um die Diskussion zu beenden, nahm er sie bei der Hand und zog sie ins Haus. „Also, willst du ein Bier? Zu dem chinesischen Essen hab ich mir Tsingtao geholt.“ „Nein, ich will kein chinesisches Bier. Ich will meine Schuhe.“ „Tut mir leid, die befinden sich an einem geheimen Ort bis die Bedingungen für die Rückgabe erfüllt sind. Wusstest du, dass sie ganz hoch kreischen, wenn man die dünnen Absätze umdreht?“ Albus ballte die Hände zu Fäusten und verdrehte sie gegeneinander, um ihr zu zeigen, was er meinte. „Das ist ein bisschen unheimlich.“ „Ich weiß, du findest dich unheimlich witzig, und, okay, damit liegst du auch nicht ganz falsch. Aber ich hatte einen echt langen Tag. Ich will einfach nur meine Schuhe.“ „Nach einem langen Tag hast du ein Tsingtao verdient. Und sieh mal, da kommt das Abendessen. Warum gehst du nicht raus auf die Veranda? Es ist schön draußen. Ach, nimm doch auf dem Weg gleich zwei Bier aus dem Kühlschrank mit raus. Hallo, Danny, wie geht’s?“ Sie konnte mit ihm streiten, dachte Alice. Sie konnte ihm sogar eine Szene machen. Doch von beidem würde sie nicht ihre Schuhe zurückbekommen, wenn es Albus nicht passte. Cool bleiben, lautete die Devise. Also machte sie sich mit nur leisem Zähne knirschen auf den Weg in die Küche. Im Gehen hörte sie, wie Albus und der Botenjunge sich über Quidditch und Baseball unterhielten. Offenbar war am Vorabend irgendeinem Spieler irgendwo ein No-Hitter gelungen. Alice bog in Albus geräumige Küche ab, die in sanftes Abendlicht getaucht war. Sie wusste, dass er den Platz für mehr als Bier und Lieferservice des Chinarestaurants benutzte. Ein paar Spezialitäten hatte er perfekt drauf – raffinierte kleine Mahlzeiten, die dazu bestimmt waren, Frauen zu verführen –, und er hatte auch ein Händchen für Omelette am Morgen danach. Hatte sie gehört. Sie öffnete den Kühlschrank und holte ein Bier heraus, und da es nun einmal da war, nahm sie sich auch eins. Da sie sich hier beinahe ebenso gut auskannte wie in ihrer eigenen Küche, öffnete sie den Gefrierschrank und holte ein paar eisgekühlte Pils heraus. Und bemerkte, dass darin auch die verschiedensten Gerichte und Suppen von Mrs Clarks in sorgfältig etikettierten Dosen griffbereit lagen. Die Frau versorgte die ganze Welt. Sie war gerade dabei, das zweite Bier einzuschenken, als Albus mit den Tüten des Restaurants herauskam. „Siehst du, ich trinke ein Bier. Ich finde, damit habe ich die Bedingungen erfüllt. Wenn ich ausgetrunken habe, kriege ich meine Schuhe.“ Albus sah sie ein wenig mitleidig an. „Ich glaube, du schätzt deine Lage falsch ein. Ich habe etwas, das du willst, also lege ich die Bedingungen fest.“ Er stapelte ein paar Teller aufeinander, legte Servietten obendrauf und holte zwei Paar Stäbchen aus einer Schublade. „Ich hab gesagt, ich will nichts essen.“ „Jiaozi.“ Albus schwenkte eine Tüte. „Du weißt, dass du eine Schwäche dafür hast.“ Damit hatte er allerdings Recht. Außerdem regten ihre Nervosität und der Essensgeruch ihren Appetit an. „Also gut. Ein Bier und eine Teigtasche.“ Alice brachte das Bier hinaus auf die Veranda und stellte es auf den Tisch, von dem aus man auf den Rasen und den Garten blickte. Das Wasser in Albus Teich glitzerte. An dessen Rand stand ein Pavillon mit einem riesigen Grill. Albus war bekannt dafür, dass er von dort nicht zu vertreiben war, wenn er eine Sommerparty gab, bei der die Gäste sich heiße Boccia-Wettkämpfe auf dem Rasen lieferten und im Teich planschten. Er war ein guter Gastgeber, dachte Alice. Das musste an seinen Genen liegen. Jetzt kam er mit einem Tablett voller Schachteln und Teller heraus. Wenigstens hatte er sich das Hemd zugeknöpft. Sie wünschte, sie würde ihn rein äußerlich nicht ganz so attraktiv finden. Dann hätte sie eine Chance, ihre Gefühle ihm gegenüber in den Griff zu bekommen. Oder umgekehrt. „Ich hatte gedacht, ich würde beim Essen ein bisschen Sportradio hören und Papierkram erledigen. So ist es besser.“ Albus stellte einen Teller vor sie und öffnete die Schachteln. „Heute Abend hattet ihr eine Generalprobe, oder?“ Er setzte sich und begann, aus jeder Schachtel ein wenig herauszunehmen. „Wie ist es gelaufen?“ „Gut, glaube ich. Sie haben mich nicht gebraucht, daher habe ich ein paar Sachen fürs Wochenende vorbereitet.“ „Zu der Beziehungsfeier am Sonntag bin ich eingeladen“, berichtete Albus. „Ich bin mit Mitchell auf die Uni gegangen, und ich habe den Partnerschaftsvertrag der beiden aufgesetzt.“ Er aß, während Alice nur dasaß und an ihrem Bier nippte. „Was für eine Torte gibt es?“ „Schokoladenbuttercreme, gefüllt mit weißer Mousse au Chocolat und überzogen mit breiten Streifen aus Karamellglasur.“ „Eine dreifache Bedrohung.“ „Sie mögen Schokolade. Das Ganze wird in mehreren Etagen auf Tabletts aus Blumensteckschaum serviert, die mit roten Geranienblüten übersät sind. Als Aufsatz macht Dome ineinander verschlungene Herzen aus Geranien. Jetzt muss ich dich wohl auch fragen, wie dein Tag war.“ „Du brauchst gar nicht so zickig sein.“ Alice seufzte, denn Albus hatte Recht. „Du hast meine Schuhe geklaut“, erinnerte sie ihn und gab dem verlockenden Duft des Essens nach. „Geklaut ist ein starkes Wort.“ „Sie gehören mir, und du hast sie ohne Erlaubnis mitgenommen.“ Alice biss in eine Teigtasche. Merlin, dafür hatte sie wirklich eine Schwäche. „Wie viel sind sie dir wert?“ „Es sind nur Schuhe, Al.“ „Also bitte.“ Albus machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich habe eine Schwester und unzählige Cousinen. Ich weiß, wie wichtig euch Schuhe sind.“ „Okay, okay, was willst du? Geld, irgendwas Gebackenes, Mithilfe im Haushalt?“ „Alles sehr interessant. Aber das hier ist schon ganz gut für den Anfang. Du solltest doch das Schweinefleisch süß-sauer probieren.“ „Was, das hier ist ganz gut? Das hier?“ Alice verschluckte sich fast an ihrem Bier. „Als ob das hier eine Art Date wäre.“ „Zwei Personen, was zu essen und zu trinken, ein schöner Abend. Hat schon was von einem Date.“ „Ich schaue nur kurz vorbei. Ein kurzer Besuch, um meine Schuhe wiederzukriegen. Es ist…“ Alice brach ab, weil sie wieder nervös wurde. „Also gut, lass uns reinen Tisch machen. Ich hab da was angefangen. Etwas oder…“ „Oder?“, hakte Albus nach. „Okay, irgendwas. Weil ich schlechte Laune hatte und einer spontanen Eingebung gefolgt bin, was dich dazu bewogen hat, ebenso zu reagieren. Und mir ist jetzt sonnenklar – schließlich kenne ich dich –, dass deine Bemerkung, wir seien jetzt quitt, ein hingeworfener Fehdehandschuh war. Du konntest das nicht auf sich beruhen lassen, also hast du meine blöden Schuhe mitgenommen. Und jetzt kommst du mit chinesischem Essen und Bier und dieser ach so romantischen Abenddämmerung, obwohl wir beide ganz genau wissen, dass du nie so für mich empfunden hast.“ Albus überlegte kurz. „Das ist nicht ganz richtig. Die korrekte Formulierung würde lauten, ich habe versucht, nicht so für dich zu empfinden.“ Mehr als nur ein bisschen verdattert lehnte Alice sich zurück. „Und wie war das für dich?“ „Hm.“ Albus hob die Hand und drehte sie von einer Seite zur anderen. Alice starrte ihn an. „Zur Hölle mit dir, Albus.“ Ein Kläger ist meist ein ehemaliger Freund, dem man einen Gefallen erwiesen hat. Ambrose Bierce Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)