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Carpe Mortem - Vom Glück, tot zu sein

Sommer-Wichtel 2010 für -Pan
von

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Siebzehn Stufen

Den Vampir nicht aus den Augenwinkel lassend ging Albert durch den Flur. Die Leuchter an den Wänden warfen schummrige Kegel aus Licht auf Flur und Wand.

Albert, der mit seinem Leben fast schon abgeschlossen hatte, stieg die Treppe in den Keller hinab. Unten angekommen, öffnete er die Holztür, die in den Raum führte, in dem sein Chef die Leichen vorbereitete, sie wusch, Wunden und andere nicht gerne gesehenen Verunstaltungen kaschierte, sie ankleidete und schließlich in ihre Särge bettete.

Albert hasste diesen Raum. Es fasste alles, was sein Beruf beinhaltete und wovor er sich wirklich fürchtete, in einem einzigen Zimmer zusammen.
 

Das grell-weiße Licht an der Decke flammte auf. Kalt erleuchtete es den karg möblierten Raum, in dessen Mitte eine Reihe mit Särgen aufgebaut war.

Gemächlich schlenderte Cornelius zu den Särgen hin, während Albert im Türrahmen stehen blieb und dem Mann atemlos zusah. Dass er sich dazu hatte überreden lassen...

Behutsam strichen Cornelius' Finger über den gewölbten Deckel. Er entdeckte die Schrauben an den Seiten und machte sich daran, eine zu öffnen.

Trotz aller Bedenken verließ Albert nun seinen Platz an der Tür. Er trat an Cornelius heran und legte eine Hand auf den Sarg. "Das Öffnen und Schließen der Särge ist ausschließlich den Mitarbeitern unseres Instituts erlaubt."

In Cornelius' Augen blitzte es belustigt auf. "So gesehen bin ich doch auch ein Mitarbeiter."

Alberts Wangen verloren etwas von ihrer Blässe. "Ich finde, da gibt es einen kleinen Unterschied zu dem, was du tust und was wir tun", empörte er sich. "Du tötest die Leute."

"Und sorge so für eure Arbeit. Aber bitte", Cornelius trat höflich beiseite. "Ich lasse dir gerne den Vortritt..."

Erschrocken schnappte Albert nach Luft. "N-n-nein, danke", stammelte er und verzog sich wieder in Richtung Tür.

"Na siehst du", triumphierte Cornelius. Geschwind öffnete er alle übrigen Schrauben und stemmte den Sargdeckel in die Höhe.
 

Aus sicherer Entfernung beobachtete Albert unterdessen, wie Cornelius eine Weile stumm in den Sarg sah. Seine Mundwinkel bogen sich hinab.

"Was - was ist denn damit?" Alberts Kehle war wie zugeschnürt.

"Die ist nicht gut, um damit zu beginnen", murmelte Cornelius nur und ließ den Deckel wieder auf den Sarg sinken. Er wandte sich dem nächststehenden Sarg zu und begann das Prozedere von vorne. Flügelschrauben aufdrehen, Deckel hochklappen, reinschauen.

Albert musste sich zwingen, ruhig zu atmen, während Cornelius wieder stumm da stand und abzuwägen schien, ob er den Anblick dem blassen Sekretär zutrauen konnte. Schließlich kam er zu einem Ergebnis.
 

"Der hier ist in Ordnung. Du kannst gerne herkommen."

"Oh, gütiger Gott", hauchte Albert kaum hörbar. "Ich weiß nicht, ob ich das will..."

"Unfug!" Cornelius wedelte mit seiner freien Hand, als wolle er so Alberts Bedenken fortwischen, der darüber nachdachte, vor was er sich jetzt mehr fürchtete. Vor dem Toten oder vor dem Vampir. Vermutlich vor Beidem gleichermaßen.

"Er tut dir nichts", witzelte Cornelius auf Alberts Kosten, der noch immer wie ein verschrecktes Reh am Türrahmen lehnte und sich nicht rührte. "Er ist anschaubar. Ganz und gar nicht schlimm zugerichtet", lockte Cornelius nun etwas ernster, als er merkte, dass er mit den zweideutigen Anspielungen keinen Erfolg hatte. Und dieses Mal wirkte es.

Die Blicke gesenkt setzte sich Albert langsam in Bewegung und näherte sich mit staksigen Schritten dem geöffneten Sarg. Dass er überhaupt noch gehen konnte, war ein Wunder.
 

Alberts Atem schien in seiner Brust festzustecken, die unter der Anspannung schmerzte. Wie gut, dass er mit seinen ängstlich verschwitzten und zittrigen Händen den Deckel nicht selbst halten musste.

Cornelius hatte seine Blicke der Leiche der zugewandt und erzählte gerade etwas über diese.

Doch Albert hörte ihm nicht zu. Er stand nun so nah am Sarg, dass er meinte, den unverkennbaren Geruch des Toten riechen zu können. Er wartete darauf, dass ihm wieder übel wurde, aber nichts dergleichen geschah. Cornelius' Anwesenheit war in der Tat beruhigend.
 

Den Blick noch gesenkt, zählte Albert stumm in Gedanken. Bei Fünf würde er die Augen ganz öffnen und in den Sarg schauen.

Eins - Von weit entfernt hörte er die Stimme des Vampirs, der den Toten wohl gekannt hatte, doch die Bedeutung seiner Worte versickerte in Alberts Gehörgang, bevor sie seine Gedanken erreichten. Wie Regen in lockerer Erde. Zwei - Albert hätte ihn gerne gefragt, ob er auch zu einer seiner Mahlzeiten gehört hatte, aber da war er schon bei Drei angelangt. Bei Vier nahmen Alberts Hände endlich wieder ihre fast normale Temperatur an und er spürte, wie sich seine Schultern und sein Nacken entspannten.

Fünf.
 

Albert öffnete die Augen und blickte direkt in das Gesicht des Toten.

Cornelius hatte tatsächlich nicht gelogen. Hätte Albert es nicht besser gewusst, hätte man denken können, er schliefe. Einzig die bleiche, wie erhärtetes Kerzenwachs wirkende Haut und die seltsam gelöste Miene des Verstorbenen erinnerte daran, dass der Kreislauf seinen Dienst eingestellt hatte. Das Kinn des alten Mannes war ein wenig Richtung Brust gesunken. Das würde Herr Fröhlich wohl noch einmal korrigieren müssen. Bläuliche Flecken schimmerten unter der marmornen Haut und das erkaltete und erstarrte Blut war in die unteren Regionen abgesunken.

Nichts an dem Toten war so schrecklich, wie Albert es sich ausgemalt hatte. Er musste sich auch nicht übergeben, dachte er und freute sich winzigen Moment lang. Er wollte es gerade Cornelius sagen, der noch immer vor sich hin redete, aber aus irgendeinem Grund verweigerten seine Lippen ihren Dienst. Mehr als ein erstickter Laut kam nicht aus seiner Kehle.
 

"... schade, dass er starb", endete Cornelius seine Erzählung. Das leise Rascheln an seiner Seite ließ ihn das erste Mal aufblicken. Es kam von Albert, der ohnmächtig neben dem Vampir zu Boden sank.
 

Cornelius ließ den Sargdeckel hinab. Stumm stand er eine Weile neben Albert und blickte nachdenklich auf den still Daliegenden hinab. Schließlich ging er neben dem Sekretär in die Knie und rüttelte leicht am Arm des Ohnmächtigen. Keine Reaktion. Die dunklen Wimpern, die seine Lider säumten, ruhten reglos auf den bleichen, sommersprossigen Wangen. Er hatte ihm wohl doch zu viel zugemutet.
 

Cornelius schob einen Arm unter Alberts Nacken hindurch und hievte ihn in eine halb sitzende Position.

"Albert?" Vorsichtig strich Cornelius dem Angesprochenen ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und betastete dessen blasse Wange. Warm war sie, wie erwartet. Warm und weich, mit einem kleinen verschmierten Tintenfleck direkt unter dem Ohrläppchen. Neugierig beugte Cornelius seinen Kopf hinab. Natürlich nur um zu schauen, ob da noch einer war. Verdammt düster war es hier. Wie sollte er so etwas sehen können?! Er musste noch näher ran.
 

Als seine Lippen Alberts Hals berührten, erschauerte Cornelius kurz.

Trotz der Normalität, die diese Art seiner Nahrungsbeschaffung mit sich brachte, empfand er genau diesen Moment immer als etwas besonderes. Es war üblicherweise der Augenblick, kurz bevor er seine Zähne in das pochende Fleisch bohrte, um ihm so viel wie möglich von dem auszusaugen, was es am Leben hielt. Die winzige Schwelle zwischen Leben und Tod. Der Wimpernschlag, auf den das unwiderrufliche Ende folgte.

Nicht immer hielten die Menschen still. Was man ihnen auch nicht verdenken konnte; sie wussten oft, was auf sie zukam. Meistens war es ein regelrechter Kampf, den Cornelius ausfechten musste, um an das Begehrte zu kommen, doch am Ende war stets er derjenige, der ihn für sich entschied. Mal mehr und mal weniger brutal.

Doch Albert jetzt so still vor sich zu wissen, war auf eine Art reizvoll, die Cornelius sonst belächelte. Üblicherweise biss er keine Schlafenden oder Ohnmächtige. Das war etwas für Anfänger. Aber es war wert, wieder einmal darüber nachzudenken. Darüber, dass es jederzeit möglich war, dass er wieder zu sich kam.

Cornelius' Zunge fuhr sachte über Alberts Hals, dem leichten, regelmäßigen Klopfen folgend, das durch die zarte Haut zu ihm drang. Was für eine Verschwendung, wenn er diesen Albert heute gehen lassen würde.
 

Albert seufzte leise, als Cornelius seine Lippen öffneten und sich seine Zähne gegen seine Kehle drückten. Er hob die Hand, um das störende Objekt an seinem Hals wegzudrücken, doch seine Finger kamen nicht einmal in die Nähe davon, ehe sie gepackt und ihrerseits nun weggeschoben wurden.
 

Alarmiert schlug Albert die Augen auf. Über sich sah er die Decke. Also lag er noch auf dem Boden. Aber der Winkel stimmte nicht. Statt der Lampe, die in der Mitte der Zimmerdecke hing, sah er den Übergang zur Wand. Und direkt vor sich, im unteren Drittel seines Sichtfeldes, erkannte er einen Haarschopf.
 

Einen erschrockenen Laut von sich gebend, wand sich Albert in der Umarmung des Vampirs, der ihn eisern umklammert hielt. Panisch ruderte Albert mit den Armen, packte nach allem, was er gerade in die Finger kriegen konnte und riss daran.

Unvermittelt ließ Cornelius von dem wild zappelnden Albert ab, der prompt nach hinten zu Boden fiel. Alberts Kopf schlug so fest auf dem harten Steinboden auf, dass er reglos liegen blieb und sich Cornelius beinahe sicher war, dass Albert wieder die Besinnung verloren haben musste.

Doch Albert tat genau das Gegenteil. Er war schockiert, aber seine Sinne waren da. Jeder einzelne. Er konnte noch spüren, wo sich Cornelius' Zähne befunden haben mussten. Der leichte Druck hielt noch an. Zitternd betastete Albert die Stelle an seinem Hals, doch da war nichts als glatte Haut.
 

Mühsam setzte sich Albert auf. Cornelius befand sich noch an der gleichen Stelle, wo er neben Albert in die Knie gegangen war und beobachtete jede Regung des Sekretärs.

"Was hast du getan?", waren Alberts erste, entsetzte Worte.

"Deinen Puls gefühlt."

"Mit dem Mund?" Albert starrte den Mann vor sich an, der ihn möglichst unschuldig anblinzelte.

"Ja, natürlich mit dem Mund", Cornelius zuckte lächelnd mit den Schultern. "Der Mund gehört schließlich zu den sensibelsten Körperstellen."

Albert war zu verblüfft, um zu antworten. Er stand auf und ging zu einer Vitrine, um seinen Hals in der spiegelnden Glasscheibe zu begutachten. Er hatte sich nicht geirrt. Da waren tatsächlich keine Bissspuren zu sehen. Nichts. Nicht mal ein kleiner Kratzer.
 

"Ich habe dir doch von meinen Prinzipien erzählt." Cornelius war aufgestanden und strich sich den Staub von den Knien. Seelenruhig ging er zu Albert hin, der ihm misstrauisch entgegen blickte und wohl abwägte, ob er floh oder blieb. Er blieb.

Ein sanftes Lächeln bog Cornelius' Lippen nach oben. "Wenn du mich nicht belogen hast, Albert Seidler, dann hast du doch auch nichts zu befürchten, oder nicht?", erklärte er dem jungen Mann so ruhig, als hätte er mit diesem ein kleines Kind vor sich.

Albert schluckte schwer. Himmel, konnten Vampire eigentlich auch Gedanken lesen? Hoffentlich nicht.

"Richtig", log Albert.

"Gut", Cornelius' Lächeln wurde breiter. "Sollen wir weitermachen?"

Albert zuckte zusammen. Seine Hände bedeckten schützend seinen Hals. "Bloß nicht!"

"Mit der Leichenbeschau", entgegnete Cornelius schmunzelnd.

"Nein, danke. Davon bin ich vorerst auch kuriert." Albert schüttelte den Kopf, ohne dabei die Hände von seinem Hals zu nehmen. Jetzt stand er wieder vor dem gleichen Problem, wie zu Anfang, bei dem es nur eine Lösung gab. Cornelius loswerden. Oder zu Beginn: raus aus dem Keller.
 

"Ich habe noch was zu tun", nuschelte Albert und blickte Cornelius dabei starr an, als könne er ihn durch pures Anstieren von seinen Worten überzeugen und ihn gleichzeitig von dem Zittern in seiner Stimme ablenken.

"Wenn du nichts dagegen hast, komme ich mit", war die Antwort des Vampirs. Auf das 'wenn du nichts dagegen hast' erwartete er wohl keinen Widerspruch, denn er wandte sich in Richtung der Tür und machte ein paar Schritte darauf zu. Kurz bevor er den Raum verließ, blickte er sich nach Albert um, der noch immer vor der Vitrine stand.

Albert seufzte. Wie vermutet hatte seine vorgeschobene Arbeit Cornelius nicht dazu gebracht, sich zu verabschieden. Albert setzte sich in Bewegung und folgte Cornelius die Treppe hinauf.

Siebzehn Stufen hatte er Zeit, sich eine neue Taktik zurechtzulegen, um mit heiler Haut hier wegzukommen.
 


 


 

Ende des zweiten Teils


 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Pan
2011-01-04T22:30:57+00:00 04.01.2011 23:30
Hey,

oh mann..ich konnte mir ziemlich gut vostellen, wie Albert sich gefühlt haben muss. Er befindet sich nicht nur als einziger Lebender in diesem verhassten Raum, nein, als wenn die Toten nicht schlimm genug wären, wenn sie in ihren Särgen liegen, läuft auch noch ein nicht sehr zurückhaltender Toter herum und bedrängt ihn...shit happens.
Ich fand es klasse, dass Albert trotz der Lage Corneliua zunächst daran hindert, den Sarg zu öffnen. Entweder er immt er seinen Beruf sehr ernst oder er hat vor Angst den Verstand verloren. Wahrscheinlich beides :) Das trägt nochmal zur Charakterisierung bei...ein Leichenbestatter mit Leichenberührungsängsten, aber ein gewissenhafter.
Da sind sie ja schon zwei Männer mit Prinzipien.
Und wie Cornelius ihm eine Leiche aussucht, ist echt niedlich XD naja niedlich für jemanden wie ihn.

Einzig der Satz "Er hatte sich nicht geirrt", als Albert in den Spiegel blickt, hat mich irritiert, entweder habe ich das was nicht gecheckt, oder es müsste "Er hatte nicht gelogen" oder so heißen.

Das war's dann erstmal zu diesem Kapitel. Wenn ich nicht schon wüsste, wie es ausgeht, wäre ich sehr gespannt :)
...Moment...ich weiß ja gar nicht, wie's ausgeht. Damn XD




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