Civil War von rose-chan (Teil 1: Blackstar) ================================================================================ Prolog: -------- Es war kalt heute. Kalt, mitten im Sommer. Denn es war ein ungemütlicher Abend, der zu beginnen drohte, als die letzten, roten Sonnenstrahlen im Westen verklungen. Noch war es still. Zu still vielleicht. Und der Transport, auf den sie warteten, verspätete sich. „Was ist denn nun?“, wurden die ersten Stimmen laut und langsam brach Unruhe in der kleinen Gruppe junger Männer aus, die im verdeckt liegenden Straßengraben hinter einer Baumreihe ausharrten. „Sie werden jeden Moment hier durch kommen“, murmelte ein anderer leise. Die Stille wurde durchbrochen von einem fernen Donnergrollen, als allmählich schwere Gewitterwolken näher zogen. Es dauerte nicht lange, ehe die ersten, schweren Tropfen aus dem immer mehr von Grau erfüllten Himmel fielen. Durch die zunehmend dichter werdende Wolkendecke brach die Nacht schneller herein, als es geplant war. „Jetzt regnet es auch noch“, klang eine Stimme auf, ein anderer versuchte, mit guten Argumenten zu erklären, dass gerade diese Dunkelheit ihr Vorteil wäre. Selbst die Natur wäre auf ihrer Seite. Alles liefe so, wie es geplant war. Aber war es wirklich so? Lief wirklich alles gerade? Oder waren nicht doch zu viele Ungereimtheiten jetzt schon klar? Der Transport hatte sich um mehr als eine Stunde verspätet. Zufall oder Taktik? Hatten die anderen etwas bemerkt? War der ganze Plan gefährdet? Der Regen würde stärker und außer ein paar einzelnen Blitzen, die die Nacht erhellten, herrschte inzwischen fast vollkommene Dunkelheit. Mit durchnässten Sachen und halb im Matsch kauerte die Gruppe noch weiter im Straßengraben, als wieder eine ihrer Stimmen durch den Regen klang. „Da kommt was! Ich höre einen Motor!“ Und tatsächlich. Es war leise, aber doch klar das Geräusch eines Motors. „Das muss der Transport sein“, murmelte ein Anderer. Eine weitere Stimme fragte, ob die anderen bereit seien. Seine Frage wurde nur benickt. „Sie müssen jeden Moment um die Ecke kommen. Sie fahren ohne Licht.“ Tatsächlich blieb die Straße dunkel, aber das Motorengeräusch näherte sich weiter. „Natürlich. Sie wollen nicht entdeckt werden. Aber mit uns haben sie nicht gerechnet.“ Das leise Lachen von einem von ihnen wurde gleich von einem anderen ermahnt. „Wir haben jetzt keine Zeit für Späßchen, es geht los, Jungs...“ „Schießt auf die Reifen. Wie besprochen. Wenn sie nicht mehr weiter fahren können, haben wir sie!“ Die Ansagen kamen leise, aber bestimmt von einem der Männer, der sich inzwischen aufgestellt hatte, um die Lage besser überblicken zu können. Seine Silhouette wurde nur in den ab und zu aufleuchtenden Blitzen als schwarze Gestalt zwischen den hohen Bäumen sichtbar. „Wenn uns das hier gelingt, dann haben wir endlich den Schritt getan, den die Regierung zum Handeln zwingt. Dann können sie uns nicht mehr klein reden, weder vor sich selber noch vor der Bevölkerung. Dann haben wir den Beweis, den wir brauchen.“ Statt mit Applaus wurde die kleine Ansprache des Mannes mit dem klackenden Geräusch der Gewehre gewürdigt, als diese von ihren Schützen geladen und entsichert wurden. Es waren keine besonders guten Gewehre, die Meisten waren einfache Jagdwaffen oder Erbstücke, die ihre besten Zeiten schon gesehen hatten. Es stimmte schon, sie waren nicht gut ausgerüstet, aber sie hatten den Willen. Einen ungebrochenen Willen, endlich etwas zu bewegen, für sie selber und für das ganze Land. Und dann durchbrach endlich die Nase des ersten, schwarzen LKW die Regenwand. „Jetzt!“, rief einer der Männer, aber in dem Moment, wo die Meisten gerade begannen, zu zielen, hallten die ersten Schüsse neben dem Donnergrollen durch die Nacht. Schüsse, die auf sie gerichtet waren. Schüsse direkt aus der inzwischen aufgedeckten Ladefläche der LKW. „Scheiße, das ist eine Falle!“, brüllte der erste völlig entgeistert und hatte sich sogleich wieder in die Tiefen des Graben gekauert, einige hatten alles zu spät bemerkt und waren dem Kugelhagel nun fast schutzlos ausgeliefert. „Rückzug, Leute!“, wurde gerufen, „Verschwindet, solange ihr noch weg kommt!“ Genau in diesem Moment wurden Flutlicht-Strahler auf einem der LKW eingeschaltet, die sogleich die ganze Umgebung mit ihrem grellen Schein erleuchteten und so gut wie jedes Versteck unbrauchbar machten. „Wir laufen nicht weg! Wenn, dann müsst ihr jeden Einzelnen von uns töten!“ Der Lärm war gewaltig, immer mehr Schüsse hallten durch die Nacht, durch das Gewitter, das mit seinen Blitzen und dem dumpfen Donnergrollen die Stimmung nur noch auspeitschte. Blut vermischte sich mit dem schlammigen Untergrund, wurde vom Regen von der Straße gewaschen. Spätestens jetzt konnte keiner mehr behaupten, dass sie nicht im Krieg waren. Es war Krieg, was sollte es anderes sein? Glücklich waren die, deren Schatten in der Nacht verschwanden. Die, die entkommen waren, konnten weiter machen. Und die Meisten von ihnen waren sich sicher. Sie würden weiter kämpfen, bis der Letzte von ihnen gefallen war. Und sie waren zuversichtlich, dass andere nachkommen würden. Ihren Traum erfüllten. Den Traum, wieder ohne Angst und frei in diesem, ihrem Land leben zu können. Träge schleppte er sich weiter nach Osten. Die Schüsse, die Schreie und das Aufheulen der Motoren waren schon lange verklungen. Wie weit er schon gegangen war, wusste er nicht mehr. Es musste weit gewesen sein, die Gegend hier kannte er nicht. War er schon über die Grenze? Oder wie weit musste er noch gehen? Seine Füße wurden schwerer und er kam kaum noch einen Schritt weiter. Die Wunde an seiner linken Seite blutete einfach zu stark. Hatte zu sehr an seinen Kräften gezehrt. Jeder Schritt war eine unerträgliche Qual, aber er musste weiter. Auch wenn der Regen nachgelassen hatte und nur noch wenige Tropfen wie Fäden aus den Wolken fielen, grollte in der Ferne noch immer der schwere Donner. Erst als er die Umrisse eines Hauses erahnte, wurde wieder ein Funken Hoffnung in ihm wach. War das seine Rettung? Konnte er auf die Hilfe dieser Leute hoffen? Konnte er ihnen überhaupt vertrauen? Er schleppte sich die letzten Meter bis vor das große, gusseiserne Tor und schaffte es gerade noch, mühsam seine Hand gegen die Türklingel zu stützen, ehe ihn auch die letzten Kräfte verließen und er auf dem durchnässten Boden zusammen brach. Kapitel 1: Sofie ---------------- Ein Vogel zwitscherte, als die ersten Sonnenstrahlen durch die hellen Vorhänge fielen. Das Fenster war gekippt und eine leichte Windbö lies den dünnen Stoff ins Zimmer wehen. Es war warm, schon zu dieser frühen Stunde, aber es war eine angenehme Wärme, die Wärme eines wunderschönen, frühen Sommertages. Aber es war nicht die Sonne gewesen, die ihn geweckt hatte, auch nicht das Zwitschern der Vögel im Garten. Der Schmerz in seiner Seite, stechend und kaum zu ertragen war es, der ihn unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte. Phil kniff die Augen zusammen und bereute schnell, dass er sich im Schlaf wohl auf die Seite hatte drehen wollen. Jetzt war er wach, jetzt hatte er den Schlamassel. „Verdammt nochmal“, murmelte er, als er vorsichtig die schmerzende Stelle an seiner linken Seite betastete. Aber er fühlte nur einen dicken Verband und darunter eben diesen stechenden Schmerz, als hätte jemand ihm gerade in diesem Moment ein Messer in die Seite gerammt. Es war schwer, wieder eine Position zu finden, wo er mit möglichst wenig Schmerzen liegen konnte. Sowieso war es schwer, sich überhaupt zu bewegen, denn sein ganzer Körper war dumpf, alles fühlte sich schwer und schwach an. Was war nur geschehen? Allmählich schaffte Phil es, sich in dem kleinen Zimmer umzusehen, in dem er lag. Es schien wirklich nicht groß zu sein, das Bett stand an der einen Wand, direkt unter dem Fenster. Die Wände und auch die Decke waren weiß gestrichen, die Farbe des Bodens konnte er von seiner Position aus nicht erkennen, aber er erwartete einen hellen Holzboden. Keine 2 Meter von ihm entfernt war ein kleiner Schreibtisch aus hell gestrichenem Holz, vor dem ein einfacher, brauner Stuhl stand. Die Tür war neben dem Tisch. Und irgendwie lag ein seltsamer Geruch in der Luft. Schnuppernd versuchte Phil, sich aufzusetzen, stellte aber schnell fest, dass es keine gute Idee war, sich mehr als unnötig zu bewegen. Vorsichtig strich er sich mit der einen Hand durch das kastanienbraune Haar und versuchte, sich an den Geruch zu erinnern. Lavendel? Nein, Lavendel war es nicht. Aber es war auch nicht der Geruch nach Rosen, da war er sich sicher. Irgendwo her kannte er diesen Geruch, aber er kam um alles in der Welt nicht darauf, woher er ihn kannte. Phil lies seine Augen weiter durch den Raum schweifen, er entdeckte ein paar Bücher, die in den unteren Regalen des Schreibtisches aufgestellt waren, allen Anschein nach Bücher über Medizin oder andere Wissenschaften. Außerdem entdeckte er ein Fläschchen, dessen Aufschrift er nicht lesen konnte, das aber verdächtig nach einem Schmerzmittel aussah. Und je mehr er darüber nachdachte, desto schneller kamen die Erinnerungen zurück, was eigentlich geschehen war. Es war der Angriff. Oder besser gesagt der geplante Angriff gewesen, Phil hatte mit den Andern in einem der Straßengräben gekauert, aber es war alles eine Falle gewesen. Irgendwer musste geplaudert haben, denn ihr Plan war lupenrein gewesen. Immerhin stammte er... Die Tür ging langsam auf und eine hoch gewachsene, schlanke Frau trat ein. Sie war vielleicht Ende dreißig, wenn er richtig schätzte und hatte die dunklen Haare nach oben gesteckt. Außerdem trug sie einen weißen Kittel, der sie eindeutig wie eine Ärztin aussehen lies. Phil hatte seinen Blick in ihre Richtung gewandt, als sie sich umdrehte und leise die Tür schloss, aber erst als sie Phil nicht mehr den Rücken zukehrte, bemerkte sie, dass er sie ansah. „Oh, Sie sind ja wach, junger Herr...“ Phil nickte nur leicht, das war keine große Anstrengung. Aber junger Herr? Er kam sich mit dieser Betitelung etwas seltsam vor. Er war kein junger Herr, er war glücklich, wenn man einfach nur Phil zu ihm sagte. Nichts weiter, einfach nur Phil. Die Ärztin kam auf ihn zu, beugte sich über ihn und musterte ihn skeptisch. „Wie geht es Ihnen? Haben Sie noch Schmerzen? Natürlich, ich glaube kaum, dass Sie keine mehr hätten. Das wäre ein wahres Wunder der Medizin. Also, wie geht es Ihnen?“ Dass diese Frau gleich mit so einem Wortschwall auf ihn losgehen würde, hatte Phil nun wirklich nicht erwartet. Und er antwortete auch nur mit einem kurzen „Geht so“, ehe seine Stimme in ein Husten überging. „Sie sollten etwas trinken. Hier, trinken Sie einen Schluck.“ Die Ärztin hielt ihm ein Glas Wasser hin und nun kam Phil nicht umher, sich leicht aufzusetzen, was seiner Seite gleich wieder einen äußerst unangenehmen Stich versetzte. Aber er biss die Zähne aufeinander und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als er mit doch recht zittrigen Händen das Glas Wasser in Empfang nahm. Das Nass in seiner Kehle tat mehr als gut. Phil leerte Das Glas in einem Zug, ihm kam es vor, als hätte er seit Wochen nichts mehr getrunken. „Sie müssen sicher großen Durst haben, Junger Herr“, sagte die Ärztin nur und füllte das Glas erneut. Jetzt erst entdeckte Phil die Glaskaraffe, die neben seinem Bett stand, bis zum Rand gefüllt mit Wasser. Daneben eine Dose mit Keksen. Liebevoll verziert. Phil leerte auch die nächsten beiden Gläser in einem Zug. Der Dunkelhaarigen setzte sich dadurch ein Lächeln aufs Gesicht: „Also wenn Sie so einen großem Durst haben, bin ich mir fast sicher, dass Sie über den Berg sind.“ „Über den Berg?“, fragte Phil verwundert nach, auch wenn noch immer ein leichtes Kratzen in seiner Stimme lag. „Können... Sie mir sagen, was passiert ist?“ „Sie können sich also nicht erinnern?“ Phil nickte nur. Er wusste nicht mehr viel, aber ein paar Details hatte er noch im Kopf. Und die würde er besser wohl auch erstmal für sich behalten, man konnte nie wissen, auf welcher Seite diese Leute standen. Die Ärztin sprach langsam weiter, so, als wolle sie sicher gehen, dass Phil auch alles verstand. „Ich weiß nur, dass sie schwer verletzt vor diesem Anwesen zusammen gebrochen sind. Sie können froh sein, dass die Lady sich sofort dafür eingesetzt hat, dass ich Sie behandle. In diesen Zeiten ist es nicht selbstverständlich, fremde Leute von der Straße aufzunehmen. Aber ich bin mir sicher, sie hat Ihnen dadurch das Leben gerettet.“ Wieder nickte Phil nur. Die Lady hatte sich für ihn eingesetzt? Das musste ja eine gütige, alte Dame sein. Und sie war sicher reich, denn das, an das Phil sich noch erinnern konnte, war das große Anwesen, vor dem er dann wohl zusammen gebrochen war. „Können Sie mir sagen, wo genau ich hier bin?“ Das war wichtig. Hatte er das Land schon verlassen oder war er nicht weit genug nach Osten gelaufen? „Dies ist das Anwesen der Familie Maincrow. Und wir liegen eine knappe Meile von der Küste entfernt.“ Phil zuckte leicht zusammen. Nicht wegen dem Schmerz, sondern wegen dem, was die Frau gesagt hatte. Eine gute Meile von der Küste? Das konnte nicht sein. Oder war er doch so weit nach Süden abgedriftet auf seiner Flucht? Aber es hatte eine gute Sache, wenn er so nahe an der Küste war, musste er die Grenze wohl oder übel überschritten haben. Und hier war er vorerst sicher. „Was haben Sie?“, fragte die Ärztin besorgt, als sie Phil zusammen zucken sah. Aber er antwortete nur mit einem kurzen „Nichts...“. Seufzend stand die Frau wieder auf und öffnete leise das Fenster. Noch immer waren die leichten, warmen Windböen zu spüren und wenn man ganz genau hin roch, konnte man tatsächlich den leichten Salzgeruch erahnen, der in der Luft lag. Das Meer war wunderschön an dieser Küste, Phil erinnerte sich daran, in Kindertagen das ein oder andere Mal hier gewesen zu sein. Zusammen mit seiner Familie. Aber das war schon viele Jahre her und seine Erinnerungen waren schwach und neblig. Es mussten über fünfzehn Jahre her sein, seit er das letzte Mal am Meer gewesen war. Er konnte damals noch keine zehn gewesen sein und jetzt war er zweiundzwanzig. Noch immer stand die Ärztin am Fenster und sah hinaus. Der Himmel war wolkenlos und strahlte in einem wunderschönen, hellen Blau. „Ich bin mir sicher, die Lady wird sich freuen, zu hören, dass es Ihnen besser geht“, sagte sie leise und Phil hörte auf, über die Vergangenheit nachzudenken. „Ich glaube, sie würde sich freuen, Ihnen demnächst einen Besuch abstatten zu können. Sie hat sich bis jetzt jeden Tag über Ihren Zustand kundig gemacht.“ „Jeden Tag?“, fragte Phil verwundert. Wie viel Zeit war vergangen? Es konnte doch nicht sein, dass er so viel Zeit vertrödelt hatte. „Sie waren drei Tage ohne Bewusstsein“, war die Antwort der Ärztin, die Phil nur mit einem kurzen „Oh“ kommentierte. Mit einer so langen Zeit hatte er nicht gerechnet. War seine Verletzung doch so schlimm gewesen? Im ersten Moment hatte er sie nur als einen Kratzer empfunden, war sogar noch die ganze Strecke bis hierher gelaufen. Wieder unterbrach die Ärztin seine Gedanken: „Wenn Sie erlauben, würde ich der Lady gerne Bescheid geben, dass Sie wieder bei Bewusstsein sind. Ich denke, sie würde sich sicher freuen, wenn sie ihr erlauben, Ihnen einen kurzen Besuch abzustatten.“ „Klar“, meinte Phil, so schlimm konnte es nicht sein, von dieser Lady besucht zu werden. Aber dass sie sich solche Sorgen machte wie diese Ärztin tat? Phil hatte immer noch das Bild einer alten, reichen Frau im Kopf, die mit ihren silbern glänzenden Haaren durch das Anwesen stolzierte. „Dann werde ich ihr umgehend Bescheid geben...“ Mit diesen Worten war die Ärztin auch schon aus dem Zimmer verschwunden, das Fenster war noch immer geöffnet. Phil seufzte. Wenn er wirklich schon seit drei Tagen hier war, dann hatte er viel zu viel Zeit verloren und die anderen würden sicher davon ausgehen, dass ihm etwas zugestoßen sei. Er musste einfach so schnell wie möglich wieder zurück. Es dauerte eine ganze Weile, bis Phil ein leises Klopfen an der Tür hörte. Er musste zwar schrecklich aussehen mit seinem Dreitagebart und sonderlich wohl fühlte er sich auch noch nicht, aber er wollte ja nicht unhöflich sein. Einen Moment wartete er, als sich dann nichts tat, sagte er freundlich „Ja?“ Es war nicht mehr als vielleicht zwei Zentimeter, die sich die Tür öffneten, ehe sich eine zaghafte Stimme zu Wort meldete. „Darf ich... rein kommen?“ Phil war verwundert. Die Stimme hörte sich so gar nicht nach einer alten Frau an. Wenn das wirklich die Lady sein sollte, dann konnte es nicht diese durch das Anwesen stolzierende Oma sein, die er sich vorgestellt hatte. „Natürlich“, antwortete er nur knapp und sah neugierig zur Tür. Nur langsam öffnete sich die Tür weiter und das Erste, was Phil sah, war eine zierliche Hand, die nun überhaupt nicht nach einer alten Lady aussah. „Ich hoffe, ich störe euch nicht“, sagte die Stimme weiter, sie klang immer noch viel zu jung für das, was Phil erwartet hatte. „Tust du nicht. Komm ruhig rein.“ Und dann sah er sie das erste Mal. Und sie war das Wunderschönste, was Phil je gesehen hatte. Er schätzte sie auf einen knappen Meter siebzig. Die blonden, leicht gewellten Haare fielen sanft über ihre Schultern und umrahmten ihr Gesicht mit den strahlenden, grünen Augen. Sie trug ein leichtes Kleid, das sanft über ihren Körper fiel und minimal vom herein wehenden Sommerwind aufflatterte. Das Mädchen konnte nicht viel jünger sein als er selber. Vielleicht zwanzig? Phil war noch nie gut gewesen, das Alter seines Gegenübers zu schätzen. Aber bei ihr konnte es ungefähr hinkommen. „Hey...“, murmelte sie weiter verlegen und ihre Wangen wurden ein wenig rosig. Phil sah sie wirklich einen Moment einfach nur schweigend an, er brachte kein Wort heraus. „Hey“, grüßte er dann zurück und versuchte, sie nicht allzu auffällig anzustarren. Aus Höflichkeit natürlich, denn ihm hätte es nichts ausgemacht, sie den ganzen Tag über anzusehen. Das sollte also die Lady sein? Konnte das überhaupt die Lady sein? Phil war immer noch der Meinung, eine Lady müsse eine alte Frau sein, aber dass die Lady so süß sein würde, hatte er um alles in der Welt nicht erwartet. Aber sie schien sich in der Situation nicht wohl zu fühlen, denn sie sah sich immer noch verlegen im Raum um, darauf bedacht, Phils Blicke nicht zu kreuzen. „Setz dich ruhig“, meinte er leise. Auch wenn es ein wenig seltsam war, immerhin war er das Gast und sie hier zu Hause, oder? Warum musste er ihr also einen Platz anbieten? Aber Phil kam es so vor, als wäre es in dieser Situation angebracht. „Ihnen... geht es besser?“ Die Stimme des Mädchens zitterte immer noch leicht vor Nervosität, als sie auf dem Stuhl neben dem Schreibtisch Platz genommen hatte. Ihr Blick war jetzt auf den Boden gerichtet. Es machte sie fast noch süßer, dass sie so verlegen war. „Ja... Danke. Aber sag ruhig Phil zu mir.“ Phil war es bei der Ärztin schon unangenehm gewesen, gesiezt zu werden. Da, wo er herkam, duzten sich alle. Ausnahmslos. Außer es kam jemand externes dazu. „Okay... äh, Phil...“ War sie gerade noch ein wenig roter geworden oder hatte Phil sich das jetzt nur eingebildet? Er sah noch immer zu ihr, wie sie verlegen den Boden musterte. „Mein... Name ist Sofie.“ „Sofie“, wiederholte Phil mit einem Lächeln auf den Lippen. „Ein schöner Name.“ „Danke“, erwiderte sie und musterte weiter den Boden. Irgendwie musste es doch zu schaffen sein, dass sie nicht mehr so verlegen war. Da hatte Phil die Idee. Er schnupperte noch einmal durch den Raum. Ja, der Geruch war noch immer da. Das war also schon einmal geklärt. Und belanglose Fragen sollten ja angeblich die beste Möglichkeit sein, um ein Gespräch zu beginnen. „Sag mal, weißt du zufällig, was hier so schön riecht?“ Und tatsächlich schien Sofie glücklich zu sein, dass er ein belangloses Thema ansprach, denn sie sah leicht auf und schnupperte auch. „Flieder“, meinte sie nur kurz. Natürlich. Dass er da nicht selber drauf gekommen war. Phil kannte ja wohl den Geruch von Flieder und jetzt, wo sie es gesagt hatte, kam auch nichts anderes mehr in Frage. „Stimmt. Jetzt frage ich mich nur, warum ich da nicht selber drauf gekommen bin.“ Er versuchte, möglichst frei zu lachen. „Manchmal sitzt man eben einfach auf dem Schlauch, oder?“ „Ja“, fügte Sofie mit einem leichten Lächeln an und einen kurzen Augenblick trafen sich die Blicke der beiden, worauf Sofie sofort wieder den Boden anstarren musste. Eine ganze Weile schwiegen sich die beiden einfach nur an. Denn auch Phil hatte keine Ahnung, was er jetzt sagen sollte. Also sah er einfach aus dem Fenster und hoffte, ihm würde etwas Brauchbares einfallen. Plötzlich jedoch ergriff Sofie wieder das Wort. „Ich hoffe, dir macht es nichts aus, wenn ich frage. Aber... was ist passiert dass du... verwundet wurdest?“ Phil sah wieder sofort zu ihr. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie die nächste Frage stellte und vor Allem hatte er nicht mit dieser Frage gerechnet. Unsicher, ob er ihr erzählen sollte, was los war oder ob es angebrachter war, zu schweigen, schwieg er tatsächlich einen Moment. „Entschuldige bitte“, meinte Sofie sofort und senkte verlegen den Blick noch tiefer zu Boden. „Schon okay.“ Aber sollte er es wirklich sagen? Und damit alles riskieren? Nein, bevor er nicht wusste, mit wem er es hier genau zu tun hatte, war es sicher besser, zu schweigen. Oder noch besser, ein wenig zu schummeln. „Es ist nur so... naja, dass ich mich nicht mehr genau erinnern kann, was passiert ist.“ „Achso“, sagte Sofie kurz und klang ein wenig glücklicher, ihn nicht verletzt zu haben. „Aber du kommst aus dem westlichen Nachbarland, oder?“ Wieder war Phil ein wenig überrumpelt. Wenn sie das wusste, was wusste sie noch alles? Und woher wusste sie es? Natürlich bemerkte sie sofort seinen überraschten Gesichtsausdruck und das zauberte ein weiteres, leichtes Lächeln auf Sofies Lippen. „Ich hab mir nur ein paar Gedanken gemacht. In der Nacht, in der wir dich gefunden haben war ein gewaltiges Gewitter. Und Boten haben am nächsten Tag berichtet, dass es wohl einen Angriff der Rebellen gab. Da dachte ich nur...“ „Ja, bin ich“, unterbrach Phil sie forsch. Der Angriff war bekannt geworden und die Nachricht darüber war schon am kommenden Tag bis hierher gelangt? Irgendwas konnte da nicht stimmen. „Hab ich... was Falsches gesagt?“ Sofie klang schon wieder so unsicher und Phil realisierte, dass er vielleicht ein wenig zu forsch reagiert hatte. Sie hatte nur von dem Angriff gehört und vermutet, dass er beteiligt war, oder? Das hieß noch gar nichts. Sie konnte ihn auf der einen, aber auch auf der anderen Seite vermuten. „Nein, alles okay“, versuchte er, sie zu beruhigen. „Ich... nur... ach, vergiss es einfach.“ Immerhin war es ein empfindliches Thema und ehe Phil nicht klar wusste, welche Seite Sofie befürworten würde, wenn sie denn überhaupt Stellung dazu beziehen wollte, lies er dieses Thema besser auf sich beruhen. Und auch Sofie schien zu merken, dass er darüber nicht reden wollte und nahm ein anderes Thema auf. „Und woher kommst du genau? Also aus dem westlichen Nachbarland ist klar. Aber woher da genau?“ Ihrer Zaghaften Frage war anzumerken, dass sie nicht unbedingt eine Antwort erwartete. Aber die Frage war relativ belanglos, dass Phil auch kein Problem darin sah, sie zu beantworten. „Ich lebe in Katara.“ „In der Hauptstadt? Aber das ist ja ein ganzes Stück weg von hier.“ „Ja“, grinste Phil leicht. Es war wirklich ein ganzes Stück weg, zu Fuß brauchte man bestimmt drei Tage. Und Autos gab es nicht viele. Sofies nächste Frage war etwas direkter, aber sie stellte sie wieder genauso vorsichtig wie die vorherige: „Lebst du dort mit deiner Familie zusammen? Oder mit Freunden?“ Als sie die Familie ansprach, wandte Phil den Blick leicht seufzend wieder zum Fenster. „Nein, ich wohne da alleine. Schon seit ein paar Jahren.“ „Oh...“, meinte Sofie wieder und fühlte sich ein wenig ertappt. „“Tut mir Leid, wenn dich das an irgendwas erinnert...“ „Schon gut.“ Phil sah wieder mit einem leichten Lächeln zu ihr herüber. „Und du? Lebst sicher nicht alleine hier, oder?“ „Nein. Mein Vater lebt noch hier. Aber er ist oft in der Stadt. Und meine Mutter“ Jetzt legte sie eine kleine Pause ein und sah wieder zu Boden, „meine Mutter ist gestorben, kurz nachdem ich geboren wurde.“ „Das tut mir Leid“, sagte Phil und versuchte, ihr einen tröstenden Blick zu schenken. „Schon okay. Ich kann's ja auch nicht ändern. Und ich bin mir sicher, dass es ihr im Himmel gut geht.“ Im Himmel. Das rief auch bei Phil Erinnerungen hoch. Aber er wehrte sich beständig, daran zu denken. Die Beiden redeten noch ein paar Stunden, ohne wirklich zu bemerken, wie schnell die Zeit verging. Aber Phil merkte bald, dass er bei Weitem noch nicht fit war, denn die Wunde an seiner Seite zehrte an seinen Kräften. Sofie verabschiedete sich dann auch, versprach aber, am nächsten Tag wieder vorbei zu kommen. Phil war schon eingeschlafen, als die Ärztin ihn wecken musste, um den Verband zu wechseln. Er sah das erste Mal das ganze Ausmaß seiner Verletzung. Hatte er doch nur mit einem einfachen Streifschuss gerechnet, wurde ihm erst jetzt klar, dass es ihn schlimmer erwischt hatte. Es würde sicher einige Wochen dauern, so die Ärztin, bis das einigermaßen verheilt war. Aber Phil war schon jetzt klar, dass er diese Zeit nicht hatte. Auch wenn er es jetzt noch nicht sagen würde, viel länger als es unbedingt notwendig war, würde und konnte er nicht hier bleiben. Kapitel 2: Küstenbekanntschaft ------------------------------ Nach ein paar Tagen war Phil das erste Mal aufgestanden. Es fiel ihm zwar am Anfang schwer, aber irgendwie würde es schon gehen. Immerhin hatte er ja auch den nötigen Ehrgeiz, so schnell wie möglich wieder fit zu sein. Sofie kam wie versprochen jeden Tag vorbei und blieb ein paar Stunden. Die beiden verstanden sich wirklich gut und hatten sich in den ersten paar Tagen schon angefreundet, auch wenn Phil noch immer kein einziges Wort darüber verloren hatte, weswegen er tatsächlich verwundet worden war. Dass es etwas mit dem Angriff der Rebellen zu tun hatte, hatte er inzwischen wohl oder übel zugeben müssen, denn es war nicht nur für Sofie offensichtlich gewesen, dass er genau zum passenden Zeitpunkt bei ihnen aufgetaucht war. Sofie glitt sofort ein Lächeln über die Lippen, als Phil das erste mal vor ihr stand. Es war irgendwie ein ganz anderes Gefühl, hatte sie ihn doch bis jetzt immer nur liegend und unter der Decke gesehen. Dass er sie jetzt um gut zehn Zentimeter überragte mochte sich seltsam anfühlen, aber es änderte nichts an ihrer immer besser werdenden Beziehung zueinander. Es war ebenso klar, dass sich Phil jetzt so viel bewegen wollte, wie nur möglich. Die Ärztin musste ihn immer wieder ausbremsen, aber sie einigten sich schließlich darauf, dass er sich auf dem Anwesen frei bewegen durfte, solange er sich nicht überanstrengte. So kam es, dass die beiden fast jeden Tag einen ausgewogenen Spaziergang durch den Garten machten, sofern es das Wetter zuließ. Und das schien es wirklich gut mit ihnen zu meinen, denn die meisten Tage waren klar und warm, nur ab und an bedeckten kleine, harmlose Wolken den blauen Himmel. Auch Sofies Vater lernte Phil schnell kennen. Auch wenn man das nicht wirklich als Kennenlernen bezeichnen konnte, denn der inzwischen ergraute Mann war so gut wie nie da. Geschäftstermine, erklärte Sofie es ihm, ihr Vater würde fast jeden Tag in die Stadt fahren und erst abends spät wieder zurück kommen. Aber sie hätte damit kein Problem, ab und an würde sie sogar mitfahren und einkaufen gehen. Aber jetzt, wo Phil da war, wollte sie lieber hier bleiben. Es war der dritte Sonnentag in Folge, Phil und Sofie saßen mal wieder zusammen in dem kleinen, rosenbewachsenen Pavillon auf dem Anwesen. Sofie strich gedankenverloren das gestrichene Holz einer Seitenstrebe entlang. „ich bin mir sicher, das Meer ist heute wunderschön. Wenn die Sonne so darauf scheint. Ich war einfach viel zu lange schon nicht mehr da.“ „Lange?“, grinste Phil zu ihr herüber, „ich war schon seit über zehn Jahren nicht mehr dort.“ Erstaunt sah sie jetzt zu ihm herüber und ihre Blicke begegneten sich. „So lange?“ „Ja, so lange“, bestätigte Phil ihre Frage, „Immerhin ist Katara ein ganzes Stück vom Meer entfernt.“ „Ja, das ist es...“ Aber Sofies Lächeln sagte mehr, als ihre Worte es taten. Als Phil sie jetzt fragend musterte, rückte sie mit ihrer Idee heraus: „Meinst du... wir sollten mal zusammen dorthin? Vater will nicht, dass ich in so gefährlichen Zeiten alleine unterwegs bin. Aber ich bin mir sicher, wenn du dabei bist, wird er ein Auge zudrücken.“ „Na solange meine persönliche Ärztin nichts dagegen hat.“ Mit Sofie zusammen am Meer. Die Vorstellung alleine war schon atemberaubend, nur ihr Vater und die Ärztin waren ein wirkliches Problem. Es würde sie beide sicher einige Überredungsarbeit kosten, sie davon zu überzeugen. „Dann reden wir mit ihr. Und mit Vater. Er sagt bestimmt ja!“ Manchmal wünschte Phil sich ein bisschen was von Sofies Optimismus. Sie sah in so vielen Sachen kein Problem, in denen er gewaltige Schwierigkeiten sah. „Also!“, rief sie plötzlich, stand auf und stellte sich mit hinterm Rücken verschränkten Armen genau vor ihn. Ihre Lippen zeigten ein unwiderrufliches und ehrliches Lächeln, sie beugte sich leicht zu ihm vor und grinste jetzt breit. „Oder hast du Angst?“ „Ich und Angst?“, grinste Phil zurück und beugte sich auch ein Stück zu ihr nach vorne. Es waren nur noch ein paar Zentimeter zwischen ihnen und er sah ihr direkt in die Augen. Wen die Zeit jetzt einfach nur stillstehen würde. Aber wie immer schaffte Sofie es, ihn so dermaßen zu überraschen, dass er einen Moment sprachlos war. Denn sie löste die Situation so schnell, wie sie entstanden war, indem sie einen kurzen Sprung zurück machte und dann in Richtung Haus weiter lief. „Fang mich doch! Sonst musst du Vater überreden!“ Phil stand langsam auf. Noch immer spürte er bei fast jeder Bewegung, dass seine Seite nicht völlig in Ordnung war, aber zumindest die Schmerzen bleiben ihm inzwischen erspart. Die Wunde war schon gut verheilt, konnte aber jederzeit wieder aufbrechen, wenn er es übertrieb. Das hatte zumindest die Ärztin gesagt und Phil war der festen Überzeugung, dass sie auch ein kleines bisschen übertrieb. Langsam, aber mit großen Schritten setzte er Sofie nach, die wie ein kleines Mädchen hin und her über die Wiese in Richtung Haus lief und immer wieder zu ihm zurück blickte. „Na so kriegst du mich bestimmt nicht!“ „Nein, du bist einfach zu schnell, Sofie. Dann muss ich wohl oder übel doch mit deinem Vater sprechen.“ Manchmal fragte er sich wirklich wie eine junge Frau mit 19 noch so kindlich sein konnte. Aber es war auch irgendwie das, was sie ausmachte und was Sofie so unverwechselbar machte. Phil folgte ihr zum Zimmer ihres Vaters. Sofie lachte immer noch, den ganzen Weg über und sah immer wieder lächelnd zu ihm. „Ich bin mir sicher, dass er ja sagt!“ Sie wirkte wirklich glücklich, als sie dann auch schon anklopfte und langsam die Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters öffnete. Der Mann saß hinter einen großen Schreibtisch vor dem Fenster, vor ihm ausgebreitet einige Papiere, auf denen er las und schrieb. Jetzt hatten sie ihn auch noch bei der Arbeit gestört. „Vater?“, fragte Sofie mit ihrer glockenklaren Stimme und der Grauhaarige sah zu ihr. „Sofie, meine Liebe, was gibt es?“ Ihr Vater hatte sogleich die Sachen beiseite gelegt und sah nun freundlich lächelnd zu seiner Tochter herüber, Phil schien er gar nicht zu beachten, selbst als er hinter sich selber die Tür schloss und nur knapp hinter Sofie stehen blieb. „Ich wollte dich etwas fragen.“ Sofie fiel wirklich fast mit der Tür ins Haus. „Ich würde gerne an die Küste heute. Und Phil würde mich begleiten. Du hast doch bestimmt nichts dagegen, oder?“ Der Gesichtsausdruck von Sofies Vater wurde ein klein bisschen ernster, als seine Tochter die Küste ansprach. „Du weißt, dass ich kein Risiko eingehen will, dass dir etwas passiert, Sofie.“ „Ja deswegen kommt Phil ja mit!“ Sofie konnte stur sein wie ein kleines Mädchen, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, schien man sie nicht mehr davon abbringen zu können. Sie ging noch ein paar Schritte auf ihren Vater zu. „Und ich war so lange nicht mehr dort. Bitte. Wenn er dabei ist, passiert auch bestimmt nichts.“ Erst jetzt wandte der Grauhaarige den Blick zu Phil und musterte ihn genau. Ein kurzes „Hmm“ folgte, ehe er sich wieder seiner Tochter zu wandte, nur um gleich wieder einen prüfenden Blick auf Phil zu werfen. „Vater...“, bettelte Sofie jetzt schon fast, als ihr Vater dann endlich nachzugeben schien. „Na gut, aber wirklich nur heute. Ich möchte, dass du wieder hier bist, bevor es dunkel wird. Du weißt, dass gefährliche Zeiten herrschen und ich will einfach nicht, dass dir etwas passiert. Du bist doch mein Ein und Alles. Und du...“ jetzt sah er wieder zu Phil und er meinte, dass der Blick von Sofies Vater noch ein klein wenig ernster geworden war, „Ich bitte dich, gut auf meine Sofie Acht zu geben, ja?“ „Natürlich. Ich werde mein Bestes geben“, antwortete Phil leicht grinsend. Und das würde er auch, immerhin könnte auch er es nicht verantworten, wenn Sofie etwas zustoßen würde. Mit einem überschwänglichen „Danke!“, umarmte Sofie kurz ihren Vater, ehe sie mit Phil wieder den Raum verließ. „Ich hab doch gesagt, dass er es erlaubt“, setzte sie noch einmal nach, als sie sich auf den Weg zum Zimmer der Ärztin machten. „Ja, hast du. Aber ob sie ja sagt, wissen wir noch nicht.“ „Sie muss!“, protestierte Sofie. „Sonst überrede ich sie so lange, bis sie ja sagen muss!“ Und eigentlich hatte Phil es sich wirklich schwieriger vorgestellt. Die Ärztin lies ihn nämlich ohne jede größere Diskussion diesen Ausflug mit Sofie unternehmen, er solle sich nur schonen und es nicht übertreiben und die ganze Leier, die sie ihm fast jeden Tag vorhielt, wiederholte sich ein weiteres Mal. Gleich darauf machten die beiden sich auf den Weg. Es war eine knappe Meile zu laufen. Und wenn sie vor Sonnenuntergang wieder zurück sein wollten, mussten sie sich langsam sputen. Den Weg über schwiegen sie beide, aber als der Strand in Sicht kam, merkte man sofort, wie sehr Sofie sich doch gefreut hatte, endlich wieder am Meer zu sein. „Kannst du das Wasser schon sehen? Da! Da oben ist sogar eine Möwe!“ „Ja“, grinste Phil, die Hände in den Hosentaschen. Er trug in letzter Zeit nur noch Sachen, die Sofie und ihr Vater ihm ausgeliehen hatten. Seine eigenen Sachen waren kaputt und voller Blut und sonst hatte er nichts weiter dabei gehabt. Er hatte wirklich Glück gehabt, genau vor dem Anwesen einer so netten und großzügigen Familie zusammengebrochen zu sein. Und vor Allem war er ein absoluter Glückspilz, Sofie kennen gelernt zu haben. Sofie schlüpfte aus ihren Schuhen und rannte die letzten Meter über den Sand barfuß, bis ihre Füße von der Brandung umspült wurden. „Hui, ist das kalt!“ Der Wind, der von der See aus wehte, lies ihre langen Haare kreuz und quer durch die Luft wirbeln, als sie, den Saum ihres Rockes in beiden Händen, noch ein paar Schritte weiter ins Wasser ging. „Aber toll! So toll!“ Als sie sich wieder umdrehte und zu Phil sah, war dieser auch schon ein paar Meter über den Sand in Richtung Meer gelaufen. Salz lag in der Luft und auf dem blauen Himmel reihten sich ein paar Möwen mit einzelnen Wölkchen. „Ich sehe es“, gab Phil mit einem Lächeln zurück. Er sah Sofie eine Weile einfach nur zu, wie sie mit ihren nackten Füßen durchs Wasser lief und in fast tanzenden Bewegungen den Strand entlang. Sie hatten wirklich Spaß, die Freude war ihr anzusehen. Er lief neben ihr her im trockenen Sand. Auch er war beeindruckt, ja geradezu begeistert vom Anblick, der sich ihm bot. Er war einfach viel zu lange nicht mehr an der Küste gewesen. An das letzte Mal konnte er sich kaum noch erinnern. Als Sofie auf einmal stehen blieb, war die Sonne schon weit nach unten gewandert und lies das Meer in einem sanften Lachston erstrahlen. Sie hatten beide völlig die Zeit vergessen und würden es nur sehr knapp schaffen, wieder zu Hause zu sein, bevor es stockdunkel wurde. „Ich glaube, wir müssen zurück“, meinte sie ein wenig wehmütig und ging aus dem seichten Wasser auf Phil zu. „Aber es war ein toller Tag. Danke, dass du mitgekommen bist.“ Phil lächelte. „Kein Problem. Außerdem war der Tag ja für mich mindestens genauso schön.“ „Na dann...“ Sofie war bis auf ein paar Meter an ihn heran gekommen und war dann wieder los gelaufen, bis sie einige Meter Abstand von ihm hatte. Ihre Haare flatterten noch immer im Wind und ihre Schuhe trug sie in der Hand. „Wir können ja sehen, wer als Erstes wieder an der Straße ist!“ „Du bestimmt“, sagte Phil, lief ihr dann aber hinterher, „aber ich werde es dir sicher nicht allzu einfach machen. Du musst schon rennen!“ Sofie hielt sich vor Lachen eine Hand vor den Mund und lief weiter. „ich glaube wirklich kaum, dass du mich fängst!“ Sie tollten ein ganzes Stück des Weges entlang, bis Sofie langsam langsamer wurde und Phil aufholen lies. „Schon genug?“, grinste er, als er zu ihr aufgeschlossen hatte. „Ich glaube...“sagte sie ein wenig außer Atem und sah zu Phil herüber. „Außerdem schaffen wir es sowieso nicht mehr, bevor es dunkel ist,selbst wenn wir rennen. Wir können uns also auch ein bisschen mehr Zeit lassen.“ Tatsächlich war die Sonne schon fast völlig hinterm Horizont verschwunden und die ersten Sterne spickten den Abendhimmel. Inzwischen waren selbst die wenigen Wolken verschwunden und der Mond schien hell in seiner Sichelform auf die Erde herab. „Und du meinst, dein Vater wird auch bestimmt nicht böse?“ „Ein bisschen vielleicht. Aber mach dir keine Sorgen, ich erkläre es ihm eben.“ Phil grinste immer noch, „Was willst du ihm denn erklären?“ „Na... dass wir die Zeit vergessen haben.. weil der Strand so schön war.“ Die Ernsthaftigkeit, die in Sofies Stimme lag, war wirklich erstaunlich. Der Strand war so schön. Tolles Argument. Aber wenn ihr Vater das glaubte, wollte Phil es darauf beruhen lassen. Er lächelte zur Antwort einfach leicht. Sie schwiegen sich einen Moment einfach nur an. Immer mehr Sterne blitzen am Abendhimmel auf und langsam wehte kühle Luft vom Meer her auf das Land zu. Sofie öffnete gerade ihren Mund ein Stück, um etwas zu sagen, als Phil aufhorchte. Als Zeichen, dass sie schweigen sollte, legte er einen Finger auf seine Lippen und lauschte weiter. Es war still. Zu still eigentlich. Von Fern hörte man noch das Rauschen der Wellen, aber es war nicht eine einzige Möwe zu hören die noch schrie. Es war fast totenstill. Dann durchbrach das Knacken eines Astes ganz in ihrer Nähe die Ruhe. Phil zuckte abermals leicht und sah sofort in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Kurz darauf hörte man eine Männerstimme lachen, zwei weitere Stimmen stimmten ein. Und aus dem Schatten hinter einer kleinen Hütte traten drei Silhouetten, genau auf Phil und Sofie zu. „So spät noch so alleine unterwegs?“, scherzte einer der Männer, er ging ein Stück vor den anderen beiden, anscheinend war er ihr Anführer oder etwas Ähnliches. Noch immer konnte man nicht viel erkennen, aber er hatte irgendetwas Langes, dünnes in der Hand, die anderen beiden ebenso. „Das ist aber unvorsichtig. Man weiß nie, wem man zu so später Stunde noch begegnen könnte...“ Phil stellte sich automatisch zwischen Sofie und die Männer. „Und wem könnte man begegnen?“ Verwunderlicher Weise lag kaum ein Zögern in seiner Stimme, eher sogar etwas Scherzhaftes. Seine Stimme wurde zu einem Flüstern, als er ein paar Worte an Sofie richtete: „Du verschwindest sofort von hier, wenn's gefährlich wird. Ich komm dann nach, aber du versuchst, so schnell wie Möglich nach Hause zu kommen, verstanden?“ Sofie stutzte. Meinte er das jetzt tatsächlich Ernst? Natürlich, die Kerle kamen ihr auch nicht sympathisch vor, aber sie würde sicher nicht einfach weg laufen, erst recht nicht ohne Phil. „Ich will aber dass du mitkommst“, protestierte sie ebenfalls flüsternd und trat einen Schritt hinter ihm hervor, um die drei Fremden besser sehen zu können. „Fremde, die es mögen, mit kleinen, hübschen Mädchen und ihren Bewachern zu spielen!“ Der Anführer der Männer trat noch ein paar Schritte nach vorne, er hatte kurz geschorene Haare und das, was er in der Hand hielt, sah nun aus wie eine einfache Eisenstange. „Verschwinde, Sofie! Ich bitte dich!“, sagte Phil jetzt schon etwas lauter, anscheinend zu laut, denn der Anführer hatte es gehört. „Ach, bleib doch, Sofie... Ohne dich wäre es langweilig. Meint ihr nicht auch?“ Die Geste war an seine beiden Kollegen gerichtet, die nun in simples Gelächter verfielen. „Schließlich bist du doch die Hauptdarstellerin, Prinzesschen!“ „Lass die Finger von ihr!“, schnauzte Phil den Fremden an, der doch etwas überrascht über diese so heftige Reaktion schien. „Hast du Angst, dass wir deiner Kleinen was antun? Ich bin mir sicher, wir werden sie gut behandeln!“ Wieder folgte Gelächter der beiden anderen. Und Sofie blieb stur hinter Phil stehen. „Jetzt hau schon ab!“, zischte Phil nochmals in ihre Richtung, „Ich hab's deinem Vater schließlich versprochen, dass dir nichts passiert. Also verschwinde!“ „Und wenn mir auf dem Weg was passiert? Ich will nicht alleine gehen. Basta!“ Dass dieses Mädchen auch so stur sein musste. Was konnte Phil denn noch tun, dass sie ihm endlich glaubte und sich so schnell wie möglich aus dem Staub machte? Aber die Kerle ließen ihm nicht viel Zeit, nachzudenken, denn ihr Anführer pfiff nur einmal kurz, worauf die beiden Kerle, die hinter ihm standen, mit ihren Eisenstangen auf Phil los stürmten. Phil stieß Sofie ein Stück zurück und duckte sich unter dem ersten Angriff weg. „Jetzt hau endlich ab!“; rief er noch einmal Sofie entgegen, aber sie machte keine Anstalten, sich von der Stelle zu bewegen.Auch, weil sie gerade so gebannt von dem war, was dort passierte. Die beiden Kerle, die Phil attackierten, waren nicht sehr präzise. Vielleicht lag es auch an der Dunkelheit, oder aber daran, dass sie nicht halb so viel Hirn wie Muskeln zu haben schienen. Phil schaffte es nämlich tatsächlich, den ersten paar Angriffen ohne Probleme auszuweichen, auch wenn er sich dadurch immer mehr von Sofie weg drängen ließ. Zu spät erst merkte er, dass das alles eine bestimmte Taktik verfolgte. Denn der Anführer der Truppe machte sich wenig später langsamen Schrittes zu Sofie auf. „Na, Süße?“, grinste er, noch immer die Eisenstange in der Hand, „Du hast ja gerade gar nichts zu tun... Und so alleine in so einer dunklen Nacht...“ „Lass sie in Ruhe, oder du bereust es!“, rief Phil ihm zu. Aber diesen Moment der Unaufmerksamkeit musste er teuer bezahlen, denn einer der beiden Kerle hatte ihn getroffen. Zum Glück nur leicht, aber Phil merkte den Schlag und taumelte ein paar Schritte zur Seite. Ehe er sich wieder gefangen hatte, kam auch schon die nächste Attacke, der er nur mit Mühe ausweichen konnte. Verdammt, dachte er. So hatte er gegen die beiden keine Chance. Aber er musste etwas unternehmen, ihr Anführer war bei Sofie und das, was er vorhatte, war offensichtlich. „Warum tut ihr sowas? Was haben wir euch getan?“, fragte Sofie, als der Mann ihr immer näher kam. Sie trat einige Schritte zurück, aber er folgte ihr auf Schritt und Tritt. „Was wollt ihr von uns?“ „Unseren Spaß!“, antwortete der Mann und lachte. „Unseren Spaß und nichts Anderes!“ Sofie wich weiter zurück. „Verschwindet einfach! Wir haben euch nichts getan!“ „Süße, du willst uns doch wohl nicht den Spaß verderben, oder?“ Ängstlich war Sofies Blick auf das Gesicht des Mannes gerichtet, sie war sich sicher, dass sie dieses Gesicht nicht wieder vergessen könnte. Jetzt schon leicht zitternd wich sie weiter nach hinten, als sie plötzlich eine Wand in ihrem Rücken spürte. „Direkt in eine Sackgasse, das ist aber schade, oder etwa Nicht?“ „Lass mich in Ruhe“, murmelte sie mit zittriger Stimme, als sie dann dem Mann direkt in die Augen sah, lief es ihr regelrecht kalt den Rücken runter. „Phil...“, murmelte sie weiter, tastete die Wanf in ihrem Rücken ab. Die Rückseite einer kleinen Hütte, keine Chance also, ui entkommen. Irgendwas musste doch passieren. Sie hatte Angst. Ziemliche Angst. Und das alles passierte nur, weil sie einen Tag am Strand verbringen wollte. Phil war mit den beiden Männern zu beschäftigt, um darauf zu achten, was bei Sofie passierte. Aber langsam bekam er die Lage wieder in den Griff, die beiden waren zu unkoordiniert und arbeiteten zu wenig zusammen, um eine richtige Gefahr darzustellen. „So wird das nichts, Jungs“, provozierte er sie ein wenig, immerhin hatte er eine gute Idee und er war sich recht sicher, dass sein Plan bei den beiden aufgehen würde. Er duckte sich unter dem Schlag des einen weg, wich relativ leichtfüßig einige Schritte zurück und redete weiter: „Ein kleiner Tipp, damit es interessanter wird. Ihr solltet zusammen angreifen. Und mir den Fluchtweg versperren oder etwas Ähnliches, wäre das einen Versuch Wert?“ Der eine sah den anderen fragend an, dieser nickte nur. Idioten, dachte sich Phil, ihm war wirklich selten jemand begegnet, der so naiv war. „Kommt schon, kommt schon! Oder habt ihr die Hose voll?“ Auch wenn Phil wusste, dass sein Plan ein gewisses Risiko barg, die Chancen, dass es klappte, standen gut, wenn er seine volle Konzentration in die Auseinandersetzung legte. Und schließlich geschah genau das, was Phil sich erhofft hatte. Die beiden Kerle sprachen sich ohne große Worte ab und gingen gleichzeitig auf ihn los. Einer von links und einer von rechts. Super, dachte sich Phil, besser konnten sie gar nicht mitspielen. Er wartete den Angriff ab, die beiden Männer, die versuchten, mit den Eisenstangen auf ihn einzuschlagen, waren wahrscheinlich so dämlich, dass ihnen das, was folgte, nicht einmal groß was ausmachen würde. Denn kurz bevor sie ihn treffen konnten, duckte Phil sich weg und rollte sich über den Boden ab, sodass der Schlag den jeweils anderen traf. „Tut mir Leid, Jungs. Aber keine Sorge, wo nichts ist, kann man auch kein Gehirn erschüttern.“ Die beiden waren KO. Aber wo steckte ihr Anführer? Und – vor Allem – wo steckte Sofie? Phil richtete sich wieder auf und sah sich um. Es war inzwischen zu dunkel, um mehr als zehn Meter zu sehen. Immerhin waren sie hier irgendwo im Nirgendwo nahe der Küste. Nicht einmal Laternen gab es, geschweige denn irgendwelche Häuser oder Menschen, die man um Hilfe bitten konnte. „Verdammt, was hat er mit ihr gemacht?“, fluchte Phil leise vor sich hin und lauschte in die Nacht. Es dauerte eine Weile, bis er das leise Lachen des Mannes hörte und sogleich rannte er in die betreffende Richtung. Kapitel 3: Eine andere Liga --------------------------- Sofie sagte kein Wort mehr. Sie zitterte am ganzen Körper und starrte noch immer in die bedrohlich funkelnden Augen des Mannes ihr gegenüber. „Lass mich endlich in Frieden“, murmelte sie erneut, aber er schien sich nicht davon beeindrucken zu lassen. „Wieso sollte ich? Wir haben doch nicht einmal angefangen.“ Er lachte wieder leise und stand inzwischen direkt vor Sofie, die noch immer eng an die Wand gedrückt da stand. „Dein Freund wird dir sicher auch nicht helfen, oder was meinst du? Schade eigentlich um ihn, nicht?“ Sofie standen die Tränen in den Augen. Was hatte er mit Phil gemacht? Was hatten die anderen beiden Männer mit ihm gemacht? Ihm... Ihm durfte einfach nichts passiert sein. Sonst war das ja alles ihre Schuld. Nur weil sie zum Strand wollte. Nur weil sie die Zeit vergessen hatte. Nur weil sie Phil erst zu allem überredet hatte. „Sagte ich nicht, du wirst es bereuen, wenn du sie nicht in Ruhe lässt?“ Endlich hatte er sie gefunden, Phil war vom Gespräch der beiden hierher geführt worden und stand jetzt nur wenige Meter von ihnen entfernt, halb im Dunkeln. Verwundert drehte der Mann sich von Sofie weg und sah in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. „Was hast du mit den beiden gemacht?“ Phil lachte nur leise. „Wenn du das nächste Mal sowas vor hast... Suche dir besser ein paar Freunde, die mehr in der Birne haben und nicht so einfache Gegner sind.“ Kurz schluckte der Mann, ging dann aber, die Eisenstange noch immer in der Hand, langsamen Schrittes auf Phil zu. „Für die meisten Fälle reichen sie. Aber um dich scheine ich mich ja persönlich kümmern zu müssen.“ „Phil... pass auf“, murmelte Sofie nur leise schluchzend. „Verschwinde lieber so schnell wie möglich von hier“, meinte er ruhig zu ihr. Aber Sofie wusste, dass sie nicht gehen würde. Zum einen würde sie jetzt sowieso nicht weit kommen, dafür hatte sie zu viel Angst. Ihre Beine würden sie keine hundert Meter tragen, dafür fühlten sich ihre Knie viel zu weich an. Und zum Anderen wollte und konnte sie Phil hier nicht zurück lassen. Das ging einfach nicht und das wollte sie in keinem Fall verantworten. „Meinst du denn, du hättest überhaupt eine Chance gegen MICH?“; prahlte der Mann und ging weiter auf Phil zu, „Ich bin vielleicht doch eine Liga zu hoch für dich.“ „Werden wir sehen...“ In Phils Stimme lag nicht die geringste Unsicherheit. Er stand lässig da und langsam war durch die Dunkelheit zu erkennen, dass er sich halb auf eine der Eisenstangen stützte, die er einem der beiden bewusstlosen Männer abgenommen hatte. „Werden wir wohl.“ Kaum hatte er sich versehen, startete der Mann einen ersten Angriff. Phil wich zur Seite, als er mit der Stange auf ihn zu rannte. Er schwang die schwere, improvisierte Waffe durch die Luft, als würde sie nicht das Geringste wiegen. Der Mann schlug ins Leere, aber nur wenige Zentimeter an Phil vorbei. „Treffen wäre gut“, murmelte Phil locker, aber ihm war die Unsicherheit jetzt schon ein wenig mehr anzumerken, immerhin war er dem Angriff nur knapp entgangen und hätte es ihn getroffen, wäre das sicher böse ausgegangen. „Ich mach' mich ja erst warm“, gab der Mann mit einem hämischen Grinsen zur Antwort und lies die Eisenstange schon wieder mit einer verwunderlichen Leichtigkeit durch die Luft gleiten. Es war klar. Mit reiner Verteidigung würde Phil nicht lange durchhalten. Er sah seine einzige Chance in einem schnellen und präzisen Angriff, auch Sofie zuliebe. Sie sollte nicht länger als nötig hier bleiben müssen. Aber das alles war einfacher gesagt als getan. Der Mann lies ihm kaum ein paar Sekunden Verschnaufpause zwischen seinen Angriffen und Phil hatte immer mehr Mühe, den Attacken zu entgehen. „Was gibt das? Willst du weg rennen wie ein Mädchen? So ist das langweilig, mein Freund. Viel zu langweilig...“ Der nächste Angriff des Mannes war zu schnell. Phil schaffte es nicht, komplett auszuweichen und wurde von einem schnellen, aber wieder erwartend leichten Schlag mit der Eisenstange getroffen. Trotzdem setzte der Treffer ihm zu. Es war sein linker Arm gewesen, zum Glück. Und das war jetzt vielleicht seine einzige und beste Chance. Der Mann war noch leicht abgelenkt davon, wie die Stange vom Aufprall nachfederte, als Phil den ersten Angriff startete. Er war bei Weitem nicht so leichtfüßig im Umgang mit dieser doch recht seltsamen Waffe, aber behelfsmäßig war es besser, als mit bloßen Händen anzutreten. Ähnlich einem Dolch oder einem Speer versuchte er es zuerst, seinen Gegner mit ein paar gezielten Stößen zu treffen, aber dieser hatte keine Probleme, auszuweichen. „So wird das nichts. Nein, nein und nochmal nein. Wie hast du's nur geschafft, die Jungs auszuschalten. Bei dem, was du jetzt zu Tage legst...“ „Halt die Klappe!“, rief Phil, immer aufgebrachter. Jetzt nahm er die Stange auch in beide Hände und hielt sie so vor sich, dass er die Hiebe des Mannes damit abwehren konnte. „Ich sagte bereits, so kommst du nicht weiter...“ Noch immer lag ein Grinsen auf den Lippen des Fremden, er lies sich von dem, was Phil unternahm, in keinster Weise verunsichern. Dieser hingegen wich nun doch in seinem ganzen Kampfstil immer weiter in die Defensive. Schließlich gelang dem Mann eine wahre Meisterleistung. Phil wusste nicht, ob er es an seinen Bewegungen gelesen hatte oder ob es einfach Zufall war, dass er ihn genau dort getroffen hatte. Jedenfalls besiegelte dieser Treffer fast schon den Sieg des Fremden. Mit einem vorgetäuschten Angriff und einem anschließenden Ausfallschritt umging er Phils Deckung. Und dann schlug er ganz gezielt und heftig zu. Und er traf genau die Wunde an Phils linker Seite. Der Braunhaarige schrie auf vor Schmerzen, sackte in die Knie und die Eisenstange in seinen Händen fiel scheppernd auf den Boden und rollte in Sofies Richtung. „Phil!“, schrie sie auf, als sie ihn auf den Boden sacken sah. Sie hatte nicht zu hundert Prozent mitbekommen, was genau passiert war, dazu waren die beiden Männer zu weit entfernt von ihr und die Nacht viel zu dunkel. Trotzdem spürte sie dadurch, dass Phil zu Boden gegangen war, eine seltsame Kraft in sich. Was genau es war, konnte sie nicht sagen, aber der Pudding war aus ihren Knien verschwunden und sie machte reflexartig ein paar Schritte auf das Kampfgeschehen zu, bis sie bei der auf dem Boden liegenden Stange stehen blieb. „Phil...“, rief sie noch einmal, jetzt fast schon mit erstickter Stimme, als sie erkannte, dass er auf dem Boden kauerte und sich mit beiden Händen seine verletzte Seite hielt. Denn eins und eins zusammen zählen konnte sie. Irgendwas musste... „Deine Wunde...“, keuchte sie weiter, sah dann zu dem Mann und bückte sich, ohne groß darüber nachzudenken, um die Stange zu ihren Füßen aufzuheben. „Das lass ich dir nicht durchgehen... Nie im Leben!“ Sofie merkte schnell, dass die Stange schwerer war, als sie erwartet hatte. Warum konnten die Männer sie so leicht durch die Luft schwingen, wo Sofie schon Probleme damit hatte, sie überhaupt vom Boden aufzuheben? Phil war es natürlich nicht entgangen, dass Sofie versuchte, sich einzumischen. Er hatte höllische Schmerzen und meinte, wieder Blut an seiner Seite spüren zu können. Aber immerhin war er doch dafür da, auf Sofie Acht zu geben. Und da war es nicht möglich, nur ein bisschen Schwäche zu zeigen. Er biss die Zähne aufeinander, das Adrenalin, das durch seine Adern floss, erledigten den Rest. Er stand wieder auf, der Mann ihm immer noch gegenüber, sein Grinsen war breiter geworden. „Misch dich nicht ein... Sofie...“ Phils Stimme war anzumerken, dass nichts in Ordnung war, aber er meinte es ernst, was er sagte. Er lies den Mann nicht einen Sekundenbruchteil aus den Augen und dieser schien tatsächlich zu warten, bis Phil wieder kampfbereit war. „Gib mir die Stange. Und dann verschwinde von hier. Sofie.“ Diese sah überrascht auf, Phils Stimme war sicherer, als sie erwartet hatte, sie nickte nur leicht. Hoffentlich übertrieb er es nicht. Sie wollte nicht, dass ihm was passierte. Das hatte sie nie gewollt und jetzt war es schon viel zu weit gekommen. Trotzdem hob sie die Stange leicht an, mehr schaffte sie nicht, und rollte sie über den Boden zu Phil zurück. Mit Mühe schaffte er es, die schwere Waffe wieder aufzuheben und stellte sich jetzt im Ausfallschritt dem Mann gegenüber. „Machen wir weiter?“ „Wenn du nicht aufgeben willst, natürlich. Auch wenn ich es dir raten würde. Jetzt hast du noch die Chance dazu. Überlass mir die Kleine und ich lass dich am Leben!“ „Vergiss es“, brummte Phil nur und spuckte in die Richtung des Mannes. Auch wenn er ihn nicht erreichte, seine Geste war unmissverständlich. Schließlich griff er an. Noch immer leicht am Boden hockend sah Sofie wieder zu den Männern. Wenn Phil wirklich verletzt war, dann würde er bestimmt verlieren. Und sie war sich sicher, eben gesehen zu haben, wie er sich genau die Stelle hielt, wo seine Wunde war. „Phil.. bitte...“, flüsterte sie leise und sah weiter zu, was die beiden Männer veranstalteten. Und es war deutlich zu erkennen, dass Phil nicht mehr ganz auf der Höhe war. Zwar ging er mit der Eisenstange auf den Fremden los, traf ihn aber nicht im Entferntesten. Jeder Schlag ging ins Leere, Phil hatte immer wieder Probleme, die Stange wieder hoch zu halten, um einen eventuellen Angriff seines Gegners abwehren zu können. Verdammt, dachte er sich, sein Atem wurde von Mal zu Mal schwerer und seine Seite brannte wie Feuer, schlimmer noch als in der Nacht, als er durch das gewitter gelaufen war. „Soll ich dich erlösen?“ fragte der Mann, dem anscheinend ziemlich langweilig ist. Er hatte keine Probleme, jedem von Phils Möchtegern-Attacken auszuweichen und lachte jedes Mal leise, wenn die Eisenstange mit einem dumpfen Schlag den Boden berührte. „Du hättest früher erkennen sollen, dass du gegen mich keine Chance hast.“ „Ich... geb Sofie aber nicht auf...“, murmelte Phil und verschnaufte einen Moment, schon ziemlich stark auf die Eisenstange gestützt. Es war schon das reinste Wunder, dass der Kerl jetzt nicht auf ihn los ging, ihn sogar einen Moment ausruhen ließ. War das Taktik? Weil dass dieses Schwein die geringste Ahnung von Fair Play hatte, konnte Phil nicht glauben. „Worauf... wartest du?“, fragte Phil dann einfach, richtete sich langsam wieder auf. Er konnte, durfte Sofie nicht im Stich lassen, und wenn es ihn sein Leben kostete. „Du armseliger Wurm“, entgegnete der Fremde, „Meinst du, ich mach es mir so einfach? Dich zu töten, wenn du eh nicht mehr kannst, ist langweilig. Ich will lieber meinen Spaß haben. Auch wenn ich den später auf jeden Fall bekomme...“ Grinsend sah der Mann zu Sofie rüber, die immer noch halb auf dem Boden kauerte, wieder zitterte. Sie machte sich Vorwürfe, Phil hierher gebracht zu haben und gab sich die Schuld an alledem. „Lass... Phil in Frieden...“, schluchzte sie. Phil tat es im Herzen weh, sie so zu sehen, denn auch er hatte für einen Moment zu der Blonden herüber gesehen. „Lass ihn in Frieden!“, schrie Sofie dann plötzlich auf und beide Männer zuckten zusammen, als sie auf sprang und auf den Fremden zu lief, ihm eine Hand voll Sand und kleiner Steine entgegn warf. Damit hatte der Mann nicht gerechnet, ihn traf dieser Angriff zu plötzlich, dass er für einen Moment unbedacht war. Phil hingegen nutze diese eine Chance und legte seine komplette, restliche Kraft in diesen Angriff. Dann ging alles ganz schnell. Während der seltsame Mann noch damit beschäftigt war, sich den Sand aus den brennenden Augen zu wischen, um wieder etwas zu sehen, startete Phil seinen Gegenangriff. Mit einem gezielten Schlag mit der Eisenstange, dem der andere nicht ausweichen konnte. Der Schlag war ein Treffer und nach ein paar Sekundenbruchteilen sackte der Fremde ohne Bewusstsein zu Boden, die Eisenstange klackerte noch einen Moment auf und ab, ehe sie ebenso still liegen blieb. Phil atmete schwer, er spürte gar keinen Schmerz mehr, das Adrenalin verdrängte alle anderen Gedanken aus seinem Kopf. Er brauchte fast eine Minute, ehe er selber die Waffe fallen ließ und wieder zu Sofie sah, die nur wenige Meter von ihm und dem auf dem Boden liegenden Mann entfernt da stand. „Sofie...“, murmelte er und ging langsam auf sie zu. Das Mädchen schluchzte, hatte noch immer einen Rest Sand an ihren Händen kleben. „Ist jetzt alles wieder gut, hörst du? Alles gut...“ Mit Tränen in den Augen sah Sofie den Braunhaarigen an, lief im nächsten Moment auf ihn zu und fiel ihm schluchzend um den Hals. Im ersten Moment etwas perplex wollte Phil die Blonde dann in den Arm nehmen, merkte aber in dem Moment wieder das Brennen an seiner Seite. Er zuckte merklich zusammen und als er mit einer Hand vorsichtig über die Stelle fühlte, merkte er eindeutig Blut. „“Wir sollten schnellstmöglich nach Hause...“, murmelte er und löste vorsichtig Sofies Griff, sah sie ernst an. Das Mädchen nickte nur leicht, wischte sich dann mit dem Handrücken ein paar Tränen aus den Augen und ging langsam los. Es dauerte nicht lange, sie hatten gerade die Strandppromenade hinter sich gelassen, als Phil für einen Moment schwarz vor den Augen wurde. Die ganze Zeit hatte er schon mit dem stechenden Schmerz in seiner Seite zu kämpfen, Schweißperlen rannen ihm über die Stirn. Ein Glück war es zu dunkel, als dass Sofie es hätte sehen können, aber zumindest seine schweren und ungleichmäßigen Atemzüge musste sie bemerkt haben. „So...fie“, murmelte er und blieb stehen, versuchte sich wieder zu fangen, aber alles um ihn herum drehte sich. Phils Lippen waren trocken, das Sprechen fiel ihm schwer, aber er wollte durch halten, keine Schwäche zeigen. Und vor Allem Sofie nicht alleine lassen, solange er sie noch nicht sicher nach Hause gebracht hatte. Erst als er stehen bieb, fiel Sofie wieder ein, wie schwer verletzt Phil doch sein musste. Aber er hatte auch nichts gesagt. „Phil, was hast du?“; fragte sie besorgt, aber er antwortete nicht. „Phil, Phil, bitte!“ Er hörte noch leise seinen Namen von irgendwo her klingen, weder Sofie noch ihre Stimme konnte er bewusst wahrnehmen. Dann verlor Phil endgültig das Bewusstsein und brach zusammen. „Phil!“, schrie Sofie jetzt auf, ließ sich sofort neben ihm auf den Boden fallen. Wieder rannen ihr Tränen über beide Wangen, sie wusste einfach nicht, was sie jetzt machen sollte. Völlig verzweifelt schrie sie einfach um Hilfe. Kapitel 4: Abschied ------------------- Er war tot, eindeutig war er das. Es gab keinen Zweifel an dieser Tatsache, das, was passiert war, konnte er beim besten Willen nicht überlebt haben. Phil hatte sein Versprechen gebrochen, Sofie wieder sicher nach Hause zu bringen, stattdessen hatte es nur Ärger gegeben und jetzt war er tot. Zumindest dann, wenn man als Toter noch denken konnte. Aber die Schmerzen in seiner Seite waren weg, ganz und gar spürte er gar keine Schmerzen mehr. Also musste er logischerweise tot sein. Noch immer lag Phil da, vollkommen regungslos, wenn sich nicht ab und an ganz leicht sein Brustkorb heben und senken würde. Er lag wieder in dem kleinen, hellen Zimmer im Anwesen von Sofies Familie. Nur dass er hier war und keinesfalls tot, hatte Phil noch nicht realisiert. Ein leises Klacken war zu hören, als Sofies Vater die Zimmertür öffnete und dann hinein trat. Seine Tochter saß auf einem Stuhl neben Phils Bett, halb auf der Matratze liegend, und schlief. Das Mädchen war nicht mehr freiwillig von Phils Seite gewichen seit jenem Abend am Strand. Und dabei hatten sie doch so großes Glück gehabt. Verwundert darüber, dass die beiden immer noch nicht zu Hause waren, hatte Sofies Vater einen Bediensteten des Anwesens los geschickt, um nach den beiden zu sehen. Er fand sie ein Stück vom Strand entfernt, Sofie hatte die ganze Zeit schon nach Hilfe gerufen und er war der Erste, der sie hörte. So schnell und so vorsichtig es ging hatte er das völlig aufgelöste Mädchen und den Bewusstlosen nach Hause gebracht, wo sie sich gleich um beide kümmerten. Seitdem waren drei Tage vergangen, in denen Sofie wirklich nur für kurze Zeit von Phils Seite gewichen war. Selbst zum Essen war sie hier geblieben. Besorgt blieb ihr Vater hinter Sofie stehen und betrachtete seine Tochter einen Moment, Ihre Haare verdeckten ihr Gesicht, aber man sah ihr an, dass sie trotzdem friedlich schlief. Oder zumindest lang genug auf geblieben war, dass sie jetzt kaum etwas wecken würde. „Ach, Sofie...“, murmelte er leise und sah dann zum scheinbar immer noch bewusstlosen Phil. Dieser Junge... dass er hierher gekommen war, würde noch vieles verändern. Seufzend verließ der Mann nach einer Weile wieder das Zimmer. Phil hatte etwas gehört. Ganz weit weg, aber es war da. Ein Klacken, eine verzerrte Stimme, deren Worte nicht zu entziffern waren für ihn. Tot zu sein war wirklich etwas seltsames. Er hatte es sich anders vorgestellt. Obwohl, eigentlich hatte er sich darüber noch nie wirkliche Gedanken gemacht. Trotzdem fühlte sich sein gesamter Körper so schrecklich schwer an. Auch wenn er keinen Schmerz spürte, zumindest nicht bewusst, wünschte er sich doch, dass der Tod eine gewisse Leichtigkeit mit sich gebracht hätte und nicht so etwas schrecklich träges, müdes. Außerdem war alles schwarz. Nirgendwo ein Licht. Von Wegen Licht am Ende des Tunnels, Himmel oder sonst was, was man immer hörte. Das hier war irgendwie anders. Er brauchte eine ganze Weile, bis er bemerkte, dass seine Augen geschlossen waren. Lag es daran? Sah er deswegen nichts außer schwarz? War vor ihm jetzt irgendwas wie Himmel oder Hölle oder auch Nichts? Aber als Phil langsam die Augen öffnete und sich an das Licht gewöhnt hatte, erkannte er schnell, dass er immer noch am Leben sein musste. Oder sich zumindest noch in der Welt der Lebenden befand. Denn das war eindeutig sein kleines Gästezimmer im Anwesen von Sofie. Vorsichtig und ganz langsam hob er seinen Arm und tastete seine Seite ab. Ein frischer Verband, wenn er das richtig spürte. Aber trotzdem kein Schmerz. Was war nur passiert? Er konnte sich nur noch an Bruchstücke des Abends erinnern, an den Kampf, an die Tränen in Sofies Augen. Der Rest war fast komplett verschwommen oder schwarz. Phil tastete weiter, wohl etwas zu neugierig, denn schlussendlich spürte er doch einen leichten Stich in der Seite, kein richtiger Schmerz, aber eben das Gefühl, dass seine Verletzung noch nicht wieder ganz verheilt war. Neben sich hörte er ein leises Murmeln, zuerst dachte Phil, er hätte sich das Geräusch nur eingebildet, aber als er zur Seite sah, erkannte er Sofie, die halb auf seinem Bett liegend schlief. „So...fie“, murmelte er ganz leise, betrachtete sie einen Moment und senkte dann den Blick. Was für einen Schrecken musste er ihr eingejagt haben? Aber ein Glück schien ihr nichts passiert zu sein, ein Glück ging es ihr gut. Ganz vorsichtig strich Phil ihr ein paar Haare aus dem Gesicht, sie sah so friedlich aus, wie sie schlief. Wie ein Engel. Phil lächelte sanft, ehe sich das Mädchen neben ihm regte und er seine Hand zurück zog. Nochmal murmelte Sofie, setzte sich dann langsam und schlaftrunken auf, gähnte einmal herzhaft. Sie sah noch immer müde aus, schien aber nicht weiter schlafen zu wollen. Blinzelnd sah sie zu Phil, der sie inzwischen angrinste. „Morgen, Fräulein Schlafmütze“, sagte er scherzhaft. Mit einem Schlag war Sofie hellwach und sah Phil mit großen Augen an. Überrascht und doch überglücklich stotterte sie seinen Namen. Das Mädchen wollte selber nicht fassen, dass Phil wieder wach zu sein schien. Oder sie träumte einfach noch, aber das glaubte sie nicht. Nach dem ersten Schock und als Phil sie dann immernoch angrinste, fiel sie ihm einfach um den Hals, so gut das eben ging, während er lag. „Ach Phil, ich hab mir solche Sorgen gemacht... du... du...“ „Sofie...“, murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen, so sehr sich Phil auch über ihre Erleichterung freute, Sofies Stürmischkeit war jetzt für ihn doch eher schmerzhaft als alles andere. Sofort schreckte das Mädchen zurück. „Hab... ich dir weh getan? Ist irgendwas? Soll ich die Ärztin holen?“ Er aber schüttelte nur leicht den Kopf, kniff für einen Moment die Augen zusammen, bis sich der Schmerz gelegt hatte. Naja, eigentlich waren es immer noch keine richtigen Schmerzen, eher ein Ziehen, eben ein unangenehmes Gefühl. Schmerzmittel, erklärte ihm Sofie später. Die Ärztin hatte ihm einige Schmerzmittel gegeben, dass er sich auskurieren konnte. Der Schlaf hatte ihm geholfen, wieder etwas fitter zu werden, aber dank der kleinen Aktion am Strand, bei der seine Wunde wieder komplett aufgerissen war, verzögerte sich Phils Genesung noch um eine ganze Weile. Eigentlich hatte er wieder ganz von vorne anfangen können,mit im Bett liegen bleiben, bis ihm die Ärztin endlich kleine Spaziergänge durch das Haus und über das Anwesen erlaubte. Und natürlich hatte er eine ganz schöne Moralpredigt von Sofies Vater zu hören bekommen, allerdings muss es das Mädchen da noch schlimmer erwischt haben, aber Sofie verlor kein Wort darüber. Stattdessen hatte sie sich einige Male bei Phil entschuldigt, dass sie diese dämliche Idee mit dem Strand hatte und sie beide nur dadurch in Gefahr gebracht hatte. „Hör auf, dir so etwas einzureden“, sagte Phil jedes Mal, aber die Blonde war schrecklich stur und hörte einfach nicht auf ihn. Zwei Wochen waren vergangen und Phil war endlich wieder einigermaßen auf den Beinen. Er ging fast jeden Tag durch den Garten spazieren, außer es regnete, meistens begleitete Sofie ihn, manchmal hatte ihr Vater auch Aufgaben für das Mädchen. Phil hatte beinahe das Gefühl, dass der Hausherr versuchte, seine Tochter mehr und mehr von ihm fern zu halten. Warum stand wohl außer Frage. Phil war nicht das, was ihm so recht in den Kram passen wollte. Ein Fremder aus dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Nachbarland, der kaum ein Wort über sich selber verlor. Da konnte man als Vater ja nur misstrauisch werden. Phil spielte schon seit einigen Tagen mit dem Gedanken, einfach von hier zu verschwinden, in seine Heimat zurück zu kehren. Vielleicht war es wirklich das beste so, für Sofie und auch für die, die ihn vielleicht brauchten dort. Aber seine Entscheidung stand erst wirklich fest, als er durch Zufall zwei Angestellte aus dem Haus belauschte. Wieder einmal war Phil im Garten spazieren, ohne Sofie. Die Sonne schien warm vom Himmel, nur ein paar Schleierwolken trübten den ansonsten blauen Himmel. Gerade ging Phil über die Wiese, an einem der Hintereingänge vorbei, als er zwei Stimmen hörte und kurz darauf die beiden Männer sah, die sich angeregt über irgendwas zu unterhalten schienen. Leise und darauf bedacht, nicht aufzufallen, ging Phil näher zu den Männern, lauschte. „Ich finde es ja eine Unverschämtheit, was sie sich erlauben. Einfach so und ohne irgend einen sinnvollen Hintergrund. Geschieht diesen Rebellen ganz recht, dass sie ihnen endlich auf die Füße treten“, meinte der eine, der zweite Mann schüttelte nur den Kopf. „Trotzdem, das Recht da regelhaft irgendwelche Menschen hinzurichten, kannst du der Regierung auch nicht einräumen.“ Phil wurde schnell hellhörig. Die beiden redeten eindeutig über die Situation im Nachbarland, in seiner Heimat. „Ja, aber dieser Anführer-Typ hat es wirklich verdient. Der ist doch erst Schuld an der ganzen Hetzerei...“ „Aber ihn gleich hinrichten zu lassen? Soll er doch lieber seine Strafe im Gefängnis absitzen“ Anführer? Sie hatten doch wohl nicht... Phil wollte darüber erst gar nicht nachdenken. Wenn sie wirklich ihren Anführer gefasst hatten, dann war sowieso fast alles verloren. Auf sich selber sauer ballte er eine Hand zur Faust. Wieso war er nicht da gewesen? Vielleicht hätte er dann etwas bewegen können. Aber die Männer redeten schon weiter. „Wie hieß der nochmal? Ben oder so... Soweit ich weiß ist der ja selber noch ein halbes Kind.“ Ben? Phil wollte seinen Ohren nicht trauen. Die beiden redeten von Ben? Schon die ganze Zeit? Ben war einer von Phils besten Freunden. Sie hatten sich im Laufe der Rebellion kennen gelernt und von Anfang an gut verstanden. Aber trotzdem hatte Ben nie die Position des Anführers beansprucht. Okay, er war Kontaktperson von demjenigen, der die Rebellen führte, aber als einen Anführer hatte Ben sich nie gesehen. Erschrocken stolperte Phil ein paar Schritt zurück, als ihm bewusst wurde, was er gerade erfahren hatte. Ben sollte hingerichtet werden! Und wie die Männer kurz darauf sagte, das schon in wenigen Tagen. Ihr Vater hatte sie heute ausnahmsweise mit in die nächste Stadt genommen, Phil hatte sie nicht begleiten dürfen, also war Sofie alleine gefahren. Sie hatte einige Einkäufe erledigt, sogar eine Kleinigkeit für Phil mit gebracht, bestimmt freute er sich über das Geschenk. Es dämmerte schon, als Sofie mit ihrem Vater wieder am Anwesen angekommen waren. Bepackt mit einigen Tüten, in denen hauptsächlich Kleider waren, lief die Blonde fast schon die Treppen zum Anwesen nach oben, hoch auf ihr Zimmer und wollte dann nach Phil sehen. Sie klopfte, bekam aber keine Antwort. Wo war Phil nur? Als sie nach einem weiteren Klopfen und Rufen noch keine Antwort bekommen hatte, öffnete sie langsam die Tür und sah in sein Zimmer. Es war leer, das Bett frisch gemacht und auf der zusammen gelegten Decke war nur eine einzelne Blume aus dem Garten, sowie ein Zettel zu finden. Vorsichtig nahm Sofie das Stück Papier in die Hand und las, was darauf geschrieben stand. Sofie, es tut mir Leid, dass ich dir nicht persönlich Leb Wohl sagen konnte. Aber vielleicht ist es auf diesem Weg wirklich das beste. So kannst du zumindest nicht versuchen, mich von meinem Entschluss abzubringen. Ich werde in meine Heimatstadt, Katara, zurück kehren. Sich er weißt du, dass dort noch immer Krieg herrscht und ich kann meine Freunde einfach nicht im Stich lassen. Meine Heimat nicht verraten. Trotzdem bin ich unheimlich froh, dich kennen gelernt zu haben. Und dir natürlich unendlich dankbar, dass du mir das Leben gerettet hast, nicht nur einmal. Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen kennen lernen können. Jedenfalls hoffe ich, dass du glücklich wirst hier. Ich werde dich sicher nie vergessen! Phil Die ersten paar Minuten stand Sofie einfach nur da und starrte den Brief in ihren Händen fassungslos an. Sie las die wenigen Zeilen wieder und wieder, wollte nicht glauben, was sie immer wieder las. Das konnte nicht sein Ernst sein. Nach all dem, nach all der Zeit und er lies ihr nicht mehr als diese paar Worte und eine Blume da? Sofie standen Tränen in den Augen, die langsam auf das Papier herunter tropften und die Tinte verwischten. Der Brief war fein säuberlich geschrieben, so, als hätte Phil sich Zeit gelassen dabei, als hätte er sich wirklich Mühe gegeben. Und trotzdem hatte er nicht mehr als das kleine Bisschen zustande bekommen? Wütend zerknüllte sie das Blatt in ihren Händen, faltete es dann wieder vorsichtig auseinander und strich es glatt. Dann zerriss sie es. Ein Rucksack, mehr würde nicht nötig sein. Ein paar Kleider zum Wechseln, Waschzeug, etwas zu Essen und zu trinken. Etwas Geld und selbst an eine alte Decke hatte sie gedacht, falls sie draußen übernachten musste. Für den großen Regenschirm war kein Platz mehr, aber dieser ließ sich bestimmt als Wanderstock umfunktionieren. Immerhin war es ein ganzes Stück bis zur nächsten Stadt in dieser Richtung. Ein paar Stunden würde sie laufen müssen, bis sie dort ankam. Und bis nach Katara, der Hauptstadt des Nachbarlandes im Westen. Und sie würde allerfrühstens übermorgen dort ankommen. Warum Sofie diesem Idioten jetzt eigentlich noch nach lief, wollte sie sich nicht eingestehen. Stattdessen redete sie sich ein, dass sie ihn einfach nur anschreien würde, was ihm einfiel, sie einfach mit so ein paar mickrigen Worten abzuservieren. Dass das mies und fies und schrecklich und außerdem ganz und gar unfair war. Und dass sie deswegen kein Wort mehr mit ihm reden würde. Sofie war klar, dass diese Argumentation unlogisch war. Den zerrissenen Brief hatte sie wieder notdürftig zusammen geklebt und in einem Briefumschlag verstaut, dass ihm auch ja nichts passieren würde. Die Blume stand in einer Vase auf ihrem Schreibtisch. Sie seufzte. In der Dunkelheit – und inzwischen war es schon tiefe Nacht – wollte sie nicht aufbrechen. Aber wenn sie bis morgen wartete, würde sie ihr Vater vielleicht erwischen. Und der würde ihr nie im Leben erlauben, Phil hinterher zu laufen. Vor Allem nicht alleine. Und nicht ins westliche Nachbarland, wo Bürgerkrieg herrschte. Aber Sofies Entschluss stand fest. Also durfte sie sich nur nicht erwischen lassen und würde deswegen mit den ersten Sonnenstrahlen des nächsten Tages aufbrechen. Noch bevor einer der Hausangestellten durch die Gegend lief, noch vor dem Frühstück und vor Allem bevor ihr Vater aufgestanden war. Kapitel 5: Derri ---------------- Noch bevor Sofie aufgebrochen war, hatte Phil die nächste Stadt erreicht. Derri war vor allem dafür bekannt, dass sie einen der wichtigsten Handels-Knotenpunkte des Landes darstellte. Eigentlich alle Waren, die aus dem östlichen Nachbarland oder dorthin transportiert wurden, mussten durch Derri. Und schon früh hatten es sich die Bewohner dieser Stadt leicht gemacht, indem sie Abgaben für alle möglichen Güter verlangten und dadurch ihr Überleben sicherten. Es war tiefe Nacht und so war es ein leichtes für Phil, unbemerkt in die Stadt zu kommen und sich dort ein wenig umzusehen. Von hier aus hatten sie den letzten Angriff geplant, der Angriff, bei dem er verwundet worden war und so Sofie hatte kennen lernen dürfen. Verdammt, wieso dachte er jetzt schon wieder an sie? Dieses Mädchen war etwas aus der Vergangenheit, etwas, was Phil nicht weiter beschäftigen sollte. Oder besser gesagt etwas, was er nicht wollte, dass es ihn weiter beschäftigte. Aber trotzdem war ihr Bild immer wieder vor seinem geistigen Auge erschienen, während dem ganzen Weg. Immer wieder hatte er an sie denken müssen, sich gefragt, was sie wohl gerade tun würde und wie sie auf seinen Brief reagieren würde. Wahrscheinlich würde er dieses Mädchen doch nicht so schnell vergessen können, wie es ihm lieb gewesen wäre. Zielsicher hatte Phil eine Straße angesteuert, vorbei an den Nobelvierteln der Kleinstadt, aber auch nicht in den herunter gekommenen Armenvierteln, die schon bei seinem letzten Besuch hier mehr als überfüllt gewesen waren. Derri war immerhin noch einer der wenigen Städte in diesem Land, in dem es sich einigermaßen gut leben ließ. Und viele zog es hierher. Vor einem Haus blieb Phil stehen, es war eines der wenigen in dieser Straße, das noch von schwachem Kerzenlicht erleuchtet wurde. Es war eigentlich nur ein Flackern, dass hinter den Vorhängen in einem Zimmer im Erdgeschoss zu erkennen war. Kurz atmete er tief durch und klopfte dann an die Tür. Allerdings nicht irgendwie, sondern in einem bestimmten Rhythmus, der nicht unbedingt einfach war. Es dauerte eine ganze Weile, als hinter der Tür Geräusche zu hören waren, zuerst leise Schritte, dann ein Rasseln, als ob jemand Glieder einer Eisenkette oder etwas Ähnlichem aneinander schlagen ließ. Dann öffnete sich die Tür einen Spalt breit und durch das Licht, das nach draußen fiel, war nichts mehr als eine schwarze Silhouette zu erkennen, die nach draußen lugte und sich Phils vom Licht beschienenes Gesicht ansah. „Was willst du?“, brummte eine tiefe Männerstimme Phil entgegen, dieser nickte seinem Gegenüber nur leicht zu. „Unterschlupf für eine Nacht, um morgen in die Hauptstadt aufbrechen zu können. Die Friedensfeder muss vor dem Raubtier bewahrt werden.“ Es war einer der Codesprüche, den Phil genannt hatte, sie schützten sich selber dadurch, dass keine fremden Spione in die Pläne der Rebellen eingeweiht werden konnten. Als Phil fertig gesprochen hatte, sah der Mann ihn immer noch regungslos an. „Das Raubtier hat die Feder schon gefunden und wartet nur darauf, sie zu zerreißen. Du warst wohl länger nicht in der Nähe...“ Schlussendlich drehte der Mann sich einfach um und ließ Phil hinter sich eintreten. Er führte den anderen durch einen kleinen Flur in eine Art Wohnzimmer. Der Raum war nicht groß, zumal an fast jeder Wand Stühle oder Sofas standen, auf einigen lagen Personen und schliefen, andere lagen auf dem Boden, wieder andere unterhielten sich leise und sahen auf, als Phil und der andere Mann den Raum betraten. „Ja, ich war eine Weile nicht im Land“, meinte Phil dann leise, begrüßte die anderen mit einem kurzen Kopfnicken, er kannte keinen der Anwesenden gut genug, als dass er ihn hätte beim Namen nennen können. „Seit dem missglückten Plan auf den Waffentransport.“ Damals hatten sie Informationen über einen illegalen Waffentransport bekommen, der die Regierung mit neuen Waffen und neuer Munition hatte versorgen sollen. Eine Gruppe Rebellen – darunter auch Phil – hatten sich auf den Weg nach Derri gemacht und versucht, den Transport kurz nach der Grenze abzufangen, bevor dieser die Stadt erreicht hatte. Nur dass es eine Falle gewesen war und die Regierung so die Moral der Rebellen hatte deutlich schwächen können. „Der Waffentransport, das ist ja schon eine Ewigkeit her...“, meinte eine Stimme irgendwo schräg hinter Phil und er drehte sich sofort zu der Person um, die von einem der Sofas aufgestanden war und sich nun streckte. Phil betrachtete den Mann einen Moment. Irgendwoher kannte er das Gesicht, konnte es aber nicht wirklich zuordnen. „Ein dummer Zufall, dass die Regierung so genau wusste, was wir vor hatten. Findest du nicht auch?“ Die Ironie in der Stimme des Mannes war nicht zu verkennen. Immer noch ein wenig unschlüssig, was Phil von dem Mann halten sollte, musterte er ihn. Der Kerl war ein ganzes Stück größer als Phil und hatte kurz geschnittene, blonde Haare. Aber er konnte das Gesicht einfach nicht einordnen, so sehr er sich auch anstrengte. „Ja, irgendwer muss geplaudert haben“, meinte Phil dann trocken, sah sich weiter um, von den anderen Männern schien er niemanden zu kennen. „Scheint so, sonst wäre es bestimmt nicht so schief gegangen. Viele konnten sich gar nicht mehr retten...“ Inzwischen stand der Blonde direkt vor Phil, sah ihn an. „Simon“, meinte er kurz, hielt dem anderen eine Hand hin, Phil zögerte nicht lange und ergriff diese. „Phil. Warst du damals auch dabei?“ Der Blonde nickte nur. „Ja, ich hab mit zugesehen, wie sie ein paar der Jungs regelrecht abgeschlachtet haben, die, die nicht mehr fliehen konnten...“ Ein wenig betroffen nickte Phil und senkte den Blick. „Bin auch gerade noch so entkommen“, murmelte er, ehe Simon ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Sei froh, dass du noch lebst. Tot hilft uns keiner weiter. Aber was willst du jetzt in der Hauptstadt?“ Wieder nickte Phil, der andere hatte Recht. Tot konnte ihnen keiner mehr helfen. Auf seine nächste Frage hin sah er den Blonden wieder an. „Ich hab was zu erledigen. Ganz einfach. War eh schon viel zu lange weg, da muss ich langsam doch wieder nach Hause zurück.“ „Und das ausgerechnet jetzt...“, meinte Simon skeptisch, ging dann vor und führte Phil in einen Nachbarraum, in dem einige Vorräte lagerten. Jetzt waren sie auch alleine. „Ausgerechnet pünktlich zur Exekution unseres Anführers...“ „Hmm“, brummte Phil nur, ehe er erst einmal etwa aß, er hatte wirklich großen Hunger, war er doch die ganze Zeit gelaufen, bis er die Stadt erreicht hatte. Simon lehnte sich währenddessen gegen eine Wand. „Zufälle, überall, alles voller Zufälle...“, murmelte der Blonde nur, Phil sah sofort wieder zu ihm herüber. „Vielleicht... passiert vieles auch viel weniger zufällig, als wir es denken“, meinte er nur, dann ließ er sich eine Schlafmöglichkeit zeigen, immerhin musste er morgen noch weiter. Tatsächlich war Sofie noch vor Sonnenaufgang aufgebrochen, die Nacht war kalt gewesen und im Gras glänzten Millionen von Tautropfen, die die ersten, schwachen Sonnenstrahlen auffingen und in sich spiegelten. Sofie trug einen dunklen Mantel, die Haare hatte sie sich hoch gebunden, dass sie ihr nicht allzu sehr im Weg waren. Außerdem hatte sie sich von einer der Dienerinnen ein paar festere Schuhe „geliehen“, ihre waren wirklich nicht für so lange Wanderungen ausgelegt. Tatsächlich hatte die junge Frau den großen Regenschirm als eine Art Wanderstock umfunktioniert und ging nun am Straßenrand entlang immer weiter nach Westen. Es war noch nicht acht Uhr, als Sofie beschloss, eine kurze Rast zu machen. Sie trank einen Schluck Wasser aus der Flasche, die sie sich mit genommen hatte und aß eine Scheibe Brot, als Stärkung. Als sie jedoch plötzlich das Brummen eines Motors hinter sich hörte, fiel ihr der Rest ihres Frühstücks aus der Hand und landete in der lockeren Erde am Straßenrand. „Mist“, fluchte sie, sah sich um, ob sie sich irgendwo verstecken konnte, aber nichts bot ihr hier Deckung und der LKW näherte sich ihr immer mehr, er fuhr ebenfalls in Richtung Westen. //Einfach unauffällig verhalten, ganz unauffällig//, dachte sie sich, packte ihre Sachen wieder ein und wollte ganz ruhig und unauffällig weiter laufen, als der LKW an ihr vorbei fuhr. Aber dieser fuhr nicht vorbei, sondern blieb ein paar Meter weiter einfach stehen und aus der Fahrertür sprang ein junger Mann heraus, etwa in Sofies Alter und sah zu ihr. „Willst du nach Derri? Soll ich dich ein Stück mit nehmen?“, fragte der Bursche einfach, rückte seine Mütze zurecht und sah das Mädchen an. „Muss eh in die Richtung und du willst doch auch dahin...“ Sofie war stehen geblieben, sah perplex zu dem Mann herüber. Im ersten Moment wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Einfach weiter gehen? Immerhin sollte man ja nicht zu fremden Leuten einsteigen, egal ob Kutsche oder Auto. Aber – wenn sie es sich recht überlegte – so würde sie bedeutend schneller nach Derri kommen und hatte vielleicht noch die Chance, Phil einzuholen. „Was jetzt? Kommst du mit oder nicht?“, fragte der Mann nochmal, sah Sofie freundlich lächelnd an. Unter der Mütze sah man ein paar schwarze Locken, seine Augen hatten ein freundliches braun. „Weil ich muss weiter, meine Lieferung muss pünktlich sein...“ „Ehm... gerne doch“, meinte Sofie dann einfach, legte den Kopf leicht schief und lächelte den Fremden an. „ich.. muss zufällig in Richtung Derri. Und dann weiter nach Katara. Wäre toll, wenn sie mich ein Stück mit nehmen könnten...“ Einfach mal hoffen, dachte sie sich, ging dann langsam auf den Mann zu, er war nur ein Stück größer als sie selber und konnte nicht unwesentlich älter sein als sie. „Na dann steig ein, ich bin außerdem Jacob, aber sag einfach Jay zu mir“, meinte er, stieg wieder ein und wartete, dass sich Sofie auf die Beifahrerseite setzte. Sofie jedoch zögerte noch einen Moment. War das wirklich richtig? Ihr Vater würde ihr für so eine leichtsinnige Aktion sicher den Kopf abreißen, aber der war nicht hier. Und wenn sie Phil einholen wollte, blieb ihr wohl gar keine andere Möglichkeit, als das Angebot anzunehmen. Sie ging also einmal um den LKW herum und kletterte auf die Beifahrerseite. Ihren Rucksack und den Schirm stellte sie neben ihre Füße, ehe sie kurz zu Jay sah, der schon wieder den Motor anließ. „Ich bin außerdem... Sofie“, murmelte sie leise, lächelte etwas verlegen. „Ah okay. Und du musst bis nach Katara?“ Er sprach jetzt etwas lauter, um das Motorengeräusch zu übertönen, vor Allem beim Anfahren war dieser LKW sehr laut. „Wenn du magst kann ich dich auch bis dahin mit nehmen.“ Sofie nickte und schon fuhren sie los. Ein ganzes Stück waren sie schon gefahren, Sofie kannte die Landschaft hier gar nicht mehr, hier war sie noch nie gewesen. Ob sie schon über die grenze waren? Genau wusste sie es nicht, es konnte aber gut möglich sein. Hier war die Grenze nicht sonderlich befestigt, es war eher ein karger Landstrich, der die beiden Länder trennte, die Handelsbeziehungen zwischen ihnen waren so gut, dass sie keine Grenzkontrollen brauchten. Und durch Derri musste jeder Transport, jede Lieferung und jeder Reisende. Sofie starrte die ganze Zeit auf die Straße, sah, wie sie an den mageren Wiesen und den vereinzelt stehenden Bäumen vorbei fuhren. Keiner von ihnen hatte ein Wort gesagt, trotzdem hatte Sofie feuchte Hände. Sie war sich immer noch unsicher, ob das jetzt richtig gewesen war, vielleicht stieg sie in Derri besser aus und lief den Rest bis Katara. In der Hoffnung, Phil trotzdem noch einholen zu können. „Was... willst du eigentlich in Katara? So ganz alleine?“, fragte Jay irgendwann, Sofie zuckte richtig zusammen, als er sie auf einmal ansprach. „Ich... ich...“, stotterte sie vor sich hin, sah auf ihre Knie und wurde rot. „Ich suche jemanden...“ „Achso.“, murmelte der Schwarzhaarige nur, sah kurz zu Sofie rüber, dann wieder auf die Straße. Er hatte gemerkt, dass ihr das Thema anscheinend nicht so lieb war, also ließ er das Ausfragen. Sie würde schon ihre Gründe haben, nicht darüber reden zu wollen. Sie schwiegen weiter, bis die ersten Häuser in Sicht kamen. Die Straße hier war Schlagloch an Schlagloch, gerade so einigermaßen befestigt, sodass der LKW ganz schön hin und her schwankte. „So, mal hoffen, dass wir gut durch kommen...“, murmelte Jay und sah ganz kurz zu Sofie, die ihn fragend ansah. Er lächelte darauf leicht. „Keine Sorge, ich pass schon auf, dass dir nichts passiert...“ Okay? Wo war sie hier nur rein geraten? Sofie dachte gerade das erste Mal wirklich darüber nach, dass sie auf dem Weg ins Zentrum eines Bürgerkrieges war, eines richtigen Krieges, in dem Menschen starben. Daran hatte sie vorher ja noch gar nicht gedacht. Und sie war auf dem besten Weg, sich mitten ins Getümmel zu stürzen, nur weil sie einen Idioten zusammen schreien wollte für sein idiotisches Verhalten? Was hatte sie sich dabei nur gedacht... Noch in Gedanken achtete Sofie gar nicht darauf, wie sie in die Stadt fuhren, die ersten Häuser passierten. Nur als Jay ganz plötzlich bremste und ein etwas genervtes „Na klasse“ von sich gab, sah sie wieder auf. „Was ist?“, fragte sie, sah nach vorne und das Erste, was sie erkannte, war der Lauf eines Gewehres, der genau auf sie gerichtet war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)