Captured von Queen_Of_Wands ================================================================================ Kapitel 1: --- -------------- Um sie herum ist es dunkel. Sie kann nichts sehen. Aber riechen. Sie riecht kalte, feuchte Kellerluft. Früher, als Kind, hat sie diesen Geruch geliebt. Jetzt macht er ihr einfach nur Angst. Sie hört ein fröhliches Pfeifen, gar nicht so weit von ihr entfernt. Das Klappern eines Topfes oder einer Pfanne dringt zu ihr herüber. Dann Schritte. Sie riecht den aufdringlichen Geruch irgendeines Männerduftes, der durch den Raum wabert. Der Duft scheint nach ihr zu greifen, wie lange Finger aus Nebel. Sie kann sich dieser intensiven Sinneswahrnehmung nicht entziehen. Aber er riecht nicht schlecht. Ein bisschen nach Macho, aber anziehend. Sie spürt die Nähe einer Person, die sich vor ihr hinkniet. Seine Knie knacken. Und dann weiß sie auch, warum sie nichts sehen kann. Ein Stück Stoff verdeckt ihre Augen. Es reibt über ihre Haut, als sie leicht den Kopf bewegt. Sie spürt eine Verhärtung in ihrem Nacken. Der Knoten. Sie glaubt zu wissen, dass sich an der Druckstelle schon längst ein Blauer Fleck gebildet hat. Wer weiß, wie lange sie hier schon so halb liegt, halb sitzt. Der Mann vor ihr greift mit der einen Hand an ihren Kopf und löst den Knoten in ihrem Nacken. Plötzlich Licht. Sie blinzelt. Es ist zu hell, sie kann nur den Umriss des Mannes sehen. Auch das nur verschwommen. „Hunger?“, fragt er mit tiefer, sonorer Stimme. Sie schüttelt den Kopf. „Nur Durst“, krächzt sie. Das Sprechen schmerzt sie. Sie will die Hände heben, doch sie kann nicht. Sie sind mit robustem Klebeband hinter ihrem Rücken zusammengebunden. „Schade, dabei habe ich mir so viel Mühe mit dem Essen gemacht. Du solltest dein vielleicht letztes Mahl wirklich genießen.“ Die Bedeutung seiner Worte dringt nicht zu ihr durch, denn jetzt riecht sie auch den Duft des Essens, der zu ihr herüber weht. Und jetzt merkt sie, dass sie doch verdammt hungrig ist. Es muss sich deutlich auf ihrem Gesicht abgezeichnet haben, denn der Mann vor ihr fragt: „Doch etwas zu essen?“ und sie nickt. Langsam gewöhnen sich ihre Augen an das Licht. Der Mann ist groß und breitschultrig. Ein wahrer Hüne. Wahrscheinlich an die zwei Meter groß. Er hat dunkelbraunes, schulterlanges Haar und gelbgrüne Augen. Eine gefährlich aussehende Mischung. Er wendet sich ab, geht zu einer kleinen Küchenzeile herüber und sie sieht sich um. Der Geruch nach feuchtem Gewölbe kommt aus einer geöffneten Kellertür, wie sie jetzt sehen kann. Eine schmale, lange Treppe führt hinab in schwarzes Dunkel. Sie blickt wieder zu der Küchenzeile. Er ist gerade dabei Nudelauflauf auf einen Teller zu schaufeln. Ein großes, volles Wasserglas steht neben dem Herd und sie leckt sich über die trockenen Lippen. Sie schmeckt Blut. Wie es aussieht, ist ihre Lippe aufgeplatzt. „Ich hätte es echt schade gefunden, wenn du mein Essen verschmäht hättest, Ana“ Sie zuckt zusammen. Er kennt ihren Spitznamen. Doch woher? Sie durchkämmt ihr Gedächtnis. Was ist das letzte, an das sie sich erinnern kann? Sie weiß es nicht. Er lacht. Amüsiert und beängstigend. „Ich heiße Kian, nur damit wir auf einer Ebene sind.“ Der Name spricht in ihr etwas an und jetzt erinnert sie sich doch. Sie war letzte Nacht auf einer Party, sie war etwas angetrunken. Sie hat gestern Nacht etwas getan, was sie normalerweise nicht tut: Sie hatte den erstbesten Typen angebaggert, der ihr über den Weg gelaufen war. Und dieser Typ steht gerade wieder vor ihr, in der einen Hand Teller und Gabel, in der anderen das Wasserglas. Erst jetzt spürt sie die kalte Wand in ihrem Rücken, und das sie auf dem Boden sitzt. Davor hatte sie das einfach nicht realisiert. Kian setzt sich neben sie und sie sieht ihn mit einem Blick an, der deutlich sagt, dass sie mit zusammengeklebten Händen schlecht essen und trinken kann. Er lacht wieder. „Denkst du wirklich, ich binde dich los? Wenn du was essen willst, wirst du dich von mir füttern lassen, oder es gibt nichts“ ein diabolisches Lächeln zuckt ihm übers Gesicht und Aliana nickt. Er stellt den Teller auf den Boden und hebt ihr das Glas an die Lippen. Sie trinkt gierig, verschluckt sich fast. Dann stoppt sie plötzlich, weil ihr schwindelig wird. Er muss das bemerkt haben, denn in einem entschuldigenden Tonfall sagt er: „Wenn du dich nicht gut fühlst…das muss an den K.O.-Tropfen liegen“ Ana spuckt den Schluck Wasser, den sie noch im Mund hat, augenblicklich aus. Kian schaut belustigt auf sein nun nasses Hemd. Bevor Ana die panische Frage stellen kann, die sich in ihrem Kopf bildet, kommt Kian ihr mit seiner Antwort zuvor. „Mal ganz ehrlich? Hältst du mich wirklich für so einen Typen? Ich muss dich nicht vergewaltigen, glaub mir. Außerdem…wo bliebe denn der Spaß, wenn du bewusstlos bist? Nein, ich habe sie dir nur gegeben, weil sie schnell wirken und du dich dadurch nicht wehren konntest, als ich dich mitgeschleppt hab. Ich hab einfach behauptet, du hättest zu viel getrunken. Mit deinem Verhalten, das du davor an den Tag gelegt hast, hast du mir echt in die Hände gespielt. Also was ist jetzt, Essen?“ Fast hat er ihr verraten, warum er ausgerechnet sie ausgewählt hat. Er gibt sich innerlich eine Ohrfeige. Er muss der Versuchung widerstehen, ihr jetzt schon die Wahrheit zu erzählen. Das würde den Spaß nur unnötig verkürzen. Es macht ihn viel mehr an, seine Opfer lange in dieser für ihn so süßen Unsicherheit zu lassen. Die großen Augen, mit denen Ana ihn ansieht, belohnen Kian für seine Geduld. Zum Glück hängt der Blick seines Opfers wie festgeklebt an seinem Gesicht. Denn so sieht sie nicht, dass sich da in seiner Hose etwas bemerkbar gemacht hat, was er gerade niederzukämpfen versucht. Als sie auf seine Frage hin nickt, pikst er die Gabel in den Auflauf, wartet, bis sie den Mund öffnet und schiebt ihr das Essen hinein. Aliana kaut langsam, bedächtig. Sie traut sich kaum, ihn anzusehen. Zumindest sieht sie so aus. Sie ist wunderschön, auf ihre eigene Art und Weise. Nicht perfekt, doch ihr Gesicht hat etwas interessantes, an dem Mann hängen bleibt. Zart geschwungene Augenbrauen-aber nicht gezupft. Dünne Wimpern, doch diese passen zu ihren Augen. Eine feine Narbe unter ihrem rechten Ohr. Kian fragt sich, woher sie sie hat. Doch er wird nicht fragen. Als er sie zum ersten Mal gesehen hat, da war sie geschminkt gewesen und ihre Augen haben seine gesamte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Jetzt beobachtet er ihre Lippen, die leicht zittern. Sie haben eine gesunde, rote Farbe. Als er genauer hinsieht, erkennt er einen nur noch schwach zu sehenden Einstich links kurz unter ihrer Unterlippe. Sie hat früher Mal einen Piercing getragen. Sie hat Angst, furchtbare Angst. Am liebsten würde sie den Blick abwenden, fürchtet sich vor seinem Anblick. Aber noch mehr fürchtet sie sich davor, wegzuschauen. Sie will ihn nicht verärgern. Er sieht aus, als würde er ihr ohne zu zögern wehtun. Die Nudeln, die er ihr in den Mund schiebt, sind unglaublich lecker und sie kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Das ist gut“ bringt sie zaghaft über die Lippen. Sie sieht, wie Kian lächelt. „Danke“, sagt er. Leise. Als wolle er sich nicht eingestehen, dass ihn das Kompliment erfreut. Aber das Funkeln in seinen Augen ist echt. Das kann Aliana sehen. Nicht unbedingt etwas, das sie beruhigt. Es wäre doch viel einfacher, wenn Kian eine Person wäre, die keine Emotionen an sich ranlässt. Doch seine Reaktion zeigt ihr mit einer Gewissheit, die ihr Angst einjagt, dass die Person vor ihr immer noch ein Mensch ist. Egal wie grausam er sein mag. Aber was weiß Aliana schon über Grausamkeit. Bis jetzt hat er sie ja noch nicht angefasst. Er hat ihr noch nichts getan. Von der Tatsache, dass er sie hierher verschleppt hat mal abgesehen. Kian würde seiner Umwelt sicher als zivilisierter, gutaussehender und höflicher Typ erscheinen. Doch Aliana weiß schließlich auch nicht viel über ihre Umwelt. Sie ist eine Person, die sich auf die Füße sieht, weil sie mit niemandem reden möchte, niemandem ins Gesicht sehen möchte und am liebsten jeden ignorieren würde, der nicht ihr Freund oder ihre Freundin ist. Bis gestern war Aliana auszubildende Einzelhandelskauffrau, jetzt ist sie sich nicht einmal mehr sicher, ob sie hier je wieder lebend raus kommt. Der große Mann vor ihr räuspert sich und als die Blonde aufblickt, sieht sie in ein ungeduldiges Gesicht. Kian hat wieder etwas von dem Auflauf auf der Gabel, die er ihr vors Gesicht hält und sie beugt sich nach vorne, um sich auch diesen Bissen zu holen. Er füttert sie weiter, bis sie satt ist, hält ihr zwischendurch das Glas an die Lippen, damit sie trinken kann. Als er sich erhebt und sich umdreht, sieht sie ihm hinterher, wie er zur Spüle geht und das Geschirr dort abstellt. XXX Wie lange ist sie schon hier gefangen? Sie hat aufgehört, die Stunden, die Tage zu zählen. In ihrem Raum gibt es kein Fenster. Kians Tagesrhythmus bestimmt den ihren. Eben erst hat er sie wieder gefüttert, wie so oft in der letzten Zeit. Sie ist zwar ihre Fesseln losgeworden, aber alleine Essen lässt er sie trotzdem nicht. Sie hat den vagen Verdacht, dass er es einfach befriedigend findet, sie so von ihm abhängig zu machen. Er hält sie auch schon lange nicht mehr in seiner Küche gefangen, auch wenn er sie zum Essen wieder dorthin geführt hat. Sie „wohnt“ jetzt in einem Zimmer, in dem es ein Bett und eine kleine Nasszelle mit Toilette und Waschbecken gibt. Die einzige Lichtquelle ist eine nackte Glühbirne, die von der Decke hängt. Es ist besser als nichts, das weiß sie. Es ist hygienisch. Es ist sauber. Jeden Tag gibt Kian ihr die Möglichkeit, ihr Zimmer zu putzen, wenn sie es für nötig hält. Und einmal in der Woche wechselt er ihre Handtücher und Waschlappen aus. Sie braucht nur zu fragen, sie bekommt, was sie braucht. Solange Kian auch der Meinung ist, dass sie es benötigt. Jetzt hockt Ana in einer Ecke der doch recht gemütlich eingerichteten Küche. Auf den Stuhl hat Kian sie nicht gelassen. Damit hat er sie wieder daran erinnert, dass sie seine Gefangene ist und er mit ihr machen kann, was er will. In ihrem Kopf überschlagen sich die Gedanken, auch wenn sie noch immer nicht ganz realisiert, was hier eigentlich vorgeht. Es ist so unwirklich, hier zu sitzen. Sie weiß, dass sie hier gefangen ist, dass Kian sie festhält. Aber sie weiß nicht, was es bedeutet. Nicht wirklich. Sie hat Angst um ihr Leben, Angst, die sie von innen heraus zu zerfressen scheint. Doch hat sie Angst genug? Würdest du jetzt Kian fragen, dann würde er mit Nein antworten. Auch wenn ihr Atem schnell und flach geht, auch wenn sie kreidebleich im Gesicht wird, in dem Moment, in dem er ein großes Messer aus dem Messerblock zieht. Sie soll so viel Angst vor mir haben, dass sie sich lieber auf brutalste Art und Weise selbst umbringen würde, anstatt noch länger mit mir in einem Raum zu sein. Das ist es, was ich will. Diese Angst macht mich an. Diese Angst ist es, deren Geruch ich liebe. Oh ja, ich kann die Angst riechen. Die Angst riecht nach mehr, als nach Schweiß und Stress, das kannst du mir glauben. Angst riecht nach Tod, nach Verzweiflung, nach Unterwerfung. Hat Ana erst einmal genau diese Angst vor mir, dann wird sie leicht zu handhaben sein. Dann bin ich stark- Stärker, als ich es so schon bin. Dann bin ich ihr Meister, ihr Herr. Dann bin ich derjenige, der sie dominiert. Und dann erst wird sie ein vollkommenes Objekt meiner Begierde sein. Aber halt…ich will dir nicht zu viel verraten über das, was ich mit ihr vorhabe. Ich will dir nicht verraten, was mich an ihr so anmacht. Aber sei dir gewiss, dass es alles andere als ihr Körper ist, das ich an ihr begehre. Das Messer legt Kian neben sich auf das Küchenbord. Dann kramt er kurz in einer Schublade. Es klappert laut und er kann sich denken, dass sie sich gerade bildlich vorstellt, was darin sein könnte. Wenn sie wüsste, was für harmlose Gegenstände es sind. Bei dieser Vorstellung muss Kian ein Lachen unterdrücken. Schließlich zieht er den Schleifstein heraus, packt das Messer wieder nun mit der linken Hand und setzt sich an den Tisch. Kian lässt sich von dem Schluchzen der jungen Frau nicht aus der Ruhe bringen. Er weiß, was sie denkt, während er am Küchentisch sitzt und seelenruhig das große Küchenmesser schleift. Er findet es amüsant, in ihre vor Schreck geweiteten Augen zu schauen. Er macht weiter, bis das Messer so scharf ist, dass es wohl jeden Muskel und jede Sehne mühelos durchdringen kann. Als er aufsteht, blitzt der Stahl kurz im Licht der warmen Deckenbeleuchtung auf. Auch wenn er gerade nicht zu Ana hinübersieht, er hört ihr Aufkeuchen, hört, wie sie sich die Hände in einer hektisch-hastigen Bewegung vor den Mund schlägt, um nicht zu schreien. „Weißt du, Ana“ beginnt er mit einem sanften, fast schon milden Lächeln in seiner Stimme. „Eigentlich hätte ich nicht erwartet, dich jemals hier in meinem Heim zu haben. Nicht, als ich dich zum Ersten Mal gesehen habe. Aber du hättest mich echt nicht so anbaggern sollen, meine Liebe“ Er hat sich dazu entschlossen, ihr jetzt zu erzählen, warum es ausgerechnet sie getroffen hat. Wenn sie wüsste, wie viele Frauen er schon auf dem Gewissen hat, sie würde wahrscheinlich eine Panikattacke bekommen. Aber die Panik soll sie erst kriegen, wenn es dann so weit ist, dass auch ihr letztes Stündlein geschlagen hat. Kian weiß, dieser Tag wird kommen, doch er weiß selber noch nicht, wann genau das sein wird. Immerhin ist sie schon seit sechs Wochen hier und hat somit länger durchgehalten als manch andere dieser eingebildeten, rumhurenden Schnepfen. „Ich hasse es, wenn Frauen so mit Männern umgehen. Ich hasse es generell, wenn Menschen andere Menschen nur um des Sexes Willen ansprechen.“ „Ich hab nicht…“ „SCHNAUZE!“ Das ist das erste Mal, dass Kian laut geworden ist und Aliana zuckt heftig zusammen. Eine Träne löst sich aus ihren Augen. Sie weint. Lautlos. Aber sie weint. Kian schüttelt den Kopf. „Ich weiß, was du wolltest. Ich habe es in deinen Augen gesehen, glaube mir. Du kannst das wohl kaum beurteilen. So betrunken, wie du warst. Indem du dich an mich rangeschmissen hast, hast du dich bereit erklärt, dein Leben wegzuschmeißen. Naja. Das hättest du nicht tun sollen. Denn jetzt werde ich mir dieses weggeschmissene Leben nehmen und damit machen, was ich will.“ Sie versteht nicht, was er ihr sagen will. Seine Logik leuchtet ihr nicht ein. Ihr kommt etwas in den Sinn, was eine Freundin von ihr einmal zu ihr gesagt hatte. ‚Versuche nicht, die Logik eines Psychopathen zu verstehen. Seine Gedanken sind nur für ihn schlüssig. Meistens bastelt und zimmert er sich eine Erklärung für seine Taten zurecht, um sie vor sich selbst zu rechtfertigen. Ob das mit der Realität in irgendeiner Weise zu vereinbaren ist, spielt dann keine Rolle mehr‘ Ana weiß nicht, ob ihre Freundin damit komplett Recht hatte. Aber verstehen tut sie Kian tatsächlich nicht. Nicht einmal im Ansatz. Aber auch wenn er scheinbar Grausames mit ihr vorhat; bis jetzt hat er sie immer gut behandelt. Sie hat zwar den einen oder anderen Schlag abbekommen, wenn sie nicht das getan hat, was er wollte- an ihrem Hals prangt immer noch ein dunkler Fleck- aber er kümmert sich trotzdem um sie. Es ist ein bisschen so, als wäre sie ein unartiges, aber geliebtes Haustier. Eingesperrt, zurechtgewiesen. Und trotzdem wird sich um sie gekümmert. Ja. Mit einem Haustier kann man sie momentan wirklich gut vergleichen. Auch wenn sie jetzt weiß, dass sie sterben wird. Mit aller Gewissheit. Warum sie das nicht erschreckt? Warum sie nicht zu bitten und flehen anfängt? Sie wusste es schon vorher. Sie weiß auch jetzt, dass er sie noch nicht umbringen wird. Selbst, wenn er das Messer in der Hand hält. Sie hört in seiner Stimmlage, dass heute nicht der Tag ist, an dem sie draufgehen wird. Sie zittert. Ihre Zähne klappern „Kian…Kian…mir ist kalt“ „Wirklich? Warte, ich hole dir einen Pulli“ Kein Wunder, es ist ja auch schon Winter. Kian braucht es nicht sonderlich warm, er ist eisige Kälte gewohnt. Und so spart er auch noch zusätzlich enorm an Heizkosten. Ein wirklich angenehmer und sehr willkommener Nebeneffekt. Dass ihr kalt ist, war also nur zu erwarten. Er geht aus dem Raum in sein Schlafzimmer und lässt Ana einfach zurück. Er weiß, dass sie keine Dummheiten machen wird. Er ist sich sicher, dass ihr kurz der Gedanke kommen wird, das nun geschleifte Messer wieder aus dem Block zu ziehen. Doch genau so weiß er auch, dass sie diesen Gedanken schnell wieder verwerfen wird. Sie wird nicht früher sterben wollen, als sie muss. Das wird das Argument sein, warum sie sich nicht zur Wehr setzt. Ab einem gewissen Punkt sind doch alle Frauen gleich. Man muss sie nur erst einmal an diesem Punkt haben. Und Ana ist genau an diesem Punkt angekommen. Stockholm Syndrom- Ein psychologisches, für Außenstehende kaum nachzuvollziehendes Phänomen, bei dem das Opfer eine Abhängigkeit zum Täter entwickelt, die vom Opfer häufig als Liebe missgedeutet und verstanden wird. Umstände, in denen dieses Syndrom auftaucht, sind meistens Geiselnahmen oder Entführungen, bei denen der betroffenen Person abrupt die Kontrolle über das Geschehen entzogen wird und der Täter das Verhältnis zwischen sich und dem Opfer eindeutig dominiert. In so einer Situation werden bereits kleinste Zuwendungen wie das Zugestehen von Hygiene oder das Lockern von Fesseln als übergroß gesehen. Das Opfer bekommt das Gefühl, der Täter würde Sympathie für es empfinden und entwickelt im Gegenzug ebenfalls eine unverständliche Zuneigung. Ich habe schon viel über dieses Phänomen gelesen. Es ist unglaublich interessant. Und es beweist, dass Psychologie nicht einfach nur vages und leeres Gerede ist. Ich habe dieses Phänomen selbst bei meinem ersten Opfer beobachten dürfen. Seitdem lege ich es darauf an, diese Illusion des „Verliebt Seins“ bei den Frauen, die ich in meiner Gewalt habe, hervorzurufen. Es ist so absehbar, was sie tun werden, dass es schon fast wieder lächerlich ist. Aber auf jeden Fall amüsant. Ich gebe Aliana noch eine Woche. Dann hat auch sie dieses Syndrom vollkommen eingenommen. Es ist viel lustiger, viel erregender und gleichzeitig befriedigender, wenn ich die Erwartungen und Hoffnungen der jungen Frau am Ende mit einem Schlag zerstören kann. Dann wird sie nicht nur Angst haben. Dann wird sie verzweifelt sein. Dann werde ich ihr Herz brechen. So, wie sie damals auf der Party riskiert hat, mein Herz zu brechen. Kian kommt mit einem warmen Pulli zurück, wirft in ihr mit einem sanften, verständnisvollen Lächeln zu. Er sieht so verdammt gut aus, wenn er lächelt. Ihr Herz klopft schneller und sie muss ebenfalls lächeln. Eigentlich ist Kian doch ganz nett. Wenn man von seinem psychopathischen Tick einmal absieht. Sie streift sich den Pullover über und beobachtet Kian. Seine geschmeidigen Bewegungen, seinen kräftigen Körperbau. Sein Haar wippt bei jeder Bewegung auf seinen Schultern. Dass es ihr auffällt, verwundert Ana selber. Aber sie weiß, dass er nicht beim Friseur war, seit sie hier festsitzt. Seine Haare sind eindeutig länger geworden. Er füllt Wasser in den Wasserkocher und macht ihn an. Dann holt er zwei Tassen aus dem Schrank und dreht sich wieder zu ihr um. Als er sie genau anblickt, fällt Ana auf, dass er sich mindestens die letzten beiden Tage nicht rasiert hat. Um seine Mundpartie sind schwarze Stoppeln zu sehen. Gepaart mit seinem halb süffisanten, halb mitfühlenden Lächeln steht ihm das unglaublich gut. „Was für einen Tee möchtest du? Ich hab Earl Grey, Rotbusch, Pfefferminze, Kamille…“ „Ich nehme Rotbusch“ Sie hat ihn unterbrochen, aber er wird es ihr verzeihen. Nur wenige Minuten später sitzen sie gemeinsam am Tisch. Es ist das erste Mal für sie, dass sie auf einem seiner Stühle sitzt. Sie sieht aus, als fände sie es gemütlich, aber als wäre ihr auch gleichzeitig unbehaglich bei der ganzen Sache. Außerdem entgeht ihm nicht, dass sie immer wieder von ihrem dampfenden Tee aufblickt, um ihn anzulinsen. Kian verbessert seine Rechnung. Die Woche muss er ihr gar nicht mehr Zeit geben. Das Stockholm-Syndrom hat sie jetzt schon in seinen Händen. XXX Das Zimmer ist dunkel. Kian hat sie wieder eingesperrt. Sie hat versucht, die Tür zu öffnen, doch es geht nicht. Die Birne ist letzte Nacht durchgebrannt, doch als sie ihn gefragt hat, ob er eine Neue hat, hat er nur gesagt „Jetzt wirst du eh keine mehr brauchen“. Jetzt sitzt Aliana auf dem Boden, den Kopf in den Händen vergraben, verzweifelt, enttäuscht. Sie hatte sich ernsthaft eingebildet, Kian würde etwas für sie empfinden, weil er immer so nett zu ihr war. Sie hatte sich sogar Hoffnungen gemacht. Wie dumm hatte sie eigentlich sein können? Sie war so alleine, wie noch nie in ihrem Leben. Eingesperrt wie eine Versuchsratte in einem abgedunkelten Käfig. Sie hört nur, sieht nichts, auch wenn sich ihre Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnen. Was sie hören kann, sind durchdringende Bässe, die durch das ganze Haus donnern. Es ist nicht ihr Musikgeschmack und die Texte sagen ihr schon gar nicht zu. Sie machen ihr nur noch mehr Angst. Es ist, als würde ihr Kian jetzt sein wahres Wesen offenbaren, seine heimlichen Gedanken. Aber wie viel sagt der Musikgeschmack über einen Menschen aus? Kann man auf den Charakter schließen, nur weil er brutale und düstere Texte vorzieht? Vielleicht. Sie weiß es nicht. Jetzt wünscht sie sich, Psychologin zu sein. Dann würde sie Kian verstehen, zumindest redet sie sich das ein. Dann wüsste sie, wie sie sich zu verhalten hat. Sie zieht die Knie an ihr Kinn, schlingt die Arme darum und legt ihre Stirn auf die Knie. Dann beginnt sie zu schluchzen, zuerst leise, doch dann immer ungehemmter. Die Tränen fließen ihr unaufhörlich über die Wangen und tränken den Stoff der Hose, die sie trägt. Es ist eine von Kians Sporthosen. Sie riecht nach ihm. Aber jetzt beruhigt sein Geruch sie nicht mehr. Jetzt macht er ihr wieder Angst. Kian geht an Anas Tür vorbei und auch, wenn er vorrangig seine voll aufgedrehte Musik hört, hört er auch ihr Schluchzen. Er bleibt stehen und horcht ihren Geräuschen, er legt sogar das Ohr an das massive Holz. Er grinst. Ja, genau so soll es sein. Sie soll Angst haben und verzweifeln. Sie ist abhängig von ihm und das bricht ihr nun das Herz. Würde sie das hier überleben, würde es ihr eine Lehre sein, so mit Männern umzugehen, wie sie es getan hat. Aber wenn ihre Seele weiterlebt- auf welche Weise auch immer- dann wird sie wissen, dass sie einen großen Fehler gemacht hat. Einen Fehler, den sie bitter zu bereuen hat. Kian wird sie auch über ihren Tod hinaus verfolgen. Er hat die Macht. Die Macht über Leben und Tod. Die Entscheidung liegt allein bei ihm, in seinen Händen. Niemand kann ihn daran hindern, denn niemand ist ihm bisher auf die Schliche gekommen. Niemand weiß, wie er hinter seiner netten Fassade ist, die er der Gesellschaft präsentiert. Er ist der Gott in Anas kleiner Welt. Sie wollte ihn für seine Lust benutzen, nun benutzt er sie für die seine. Er ist das Einzige, was für sie noch existiert. Kian würde sich wundern, dächte Ana nur für den Bruchteil einer Sekunde an ihr früheres Leben. Er füllt ihr gesamtes Denken, ihr gesamtes, lächerliches Bewusstsein aus. Panik (im Sinne einer Panikattacke) ist ein individualpsychologisches Phänomen. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass selbst bei Lebensgefahr nur ein geringer Anteil der betroffenen Menschen in diesem Sinne panisch reagiert. Paniken müssen aber nicht nach außen wirken, sondern können sich auch allein in starken vegetativen Reaktionen (Hyperventilation, Angstschweiß) ausdrücken, wobei sich die Menschen dabei wie gelähmt und komplett hilflos fühlen können (die Reaktion „Starre“ bei Furcht). Zumindest steht es so bei Wikipedia. Aber was weiß Wikipedia schon. Natürlich, dort steht eine wissenschaftliche Definition, eine psychologische Erläuterung. Aber das heißt noch lange nicht, dass diese paar Worte, die über den PC-Bildschirm flackern wirklich beschreiben können, was Angst, was Panik bedeutet. Forscht man nur ein wenig weiter, so kann man in den Weiten des Internets auch noch so nette Erklärungen wie diese hier finden: Angst ist evolutionsgeschichtlich betrachtet ein sinnvoller und hilfreicher Affekt, der uns vor Gefahren warnt und bei angemessener Reaktion darauf (z.B. Flucht) vor deren Folgen schützt. Angst kann bewusst erlebt werden, aber auch unbewusst wirken, sie kann verständliche sein aber auch als unverständliches Symptom auftreten (z.B. Angst vor Hunden ist nachvollziehbar, doch die Angst vor Strahlen, die der Wohnungsnachbar aussendet entsprechen keiner realen und nachvollziehbaren Bedrohung). Die meisten Angstzustände, die wir oft als "unbegründet" oder "übersteigert" empfinden (Prüfungsängste, Lampenfieber, "weiche Knie") sind noch "angemessen", solange sie uns gleichsam auf "Hochtouren" bringen, um die angsterzeugende Situation zu meistern. Wobei das Beispiel zu unverständlichen Symptomen vollkommener Humbug ist. Die Angst vor Hunden mag zwar realer sein als die Furcht vor besagter Bestrahlung. Doch Letzteres ist Folge einer shizophrenen Erkrankung. Und niemand könnte behaupten, dass eine psychische Krankheit noch mit Logik einhergeht. Ich schweife ab. Aber das mit der Shizophrenie hat mich wieder darauf gebracht, wie sehr ich die Oberflächlichkeit der Menschen hasse. Nicht nur bezogen auf Geisteskrankheiten- was anders ist, ist falsch und muss verachtet werden. Sondern auch im generellen Sinne. Im Umgang mit anderen. Mit seinen Mitmenschen. Hier kommt Ana ins Spiel wo wir wieder bei meinem eigentlichen Gedankengang wären, den ich schon seit dem ersten Tag fort und fort spinne, an dem Aliana hier ist. Aber den werde ich euch nicht verraten. Aliana hockt immer noch in ihrer Ecke. Sie hört auf einmal alle Geräusche viel intensiver, als sie erst einmal die laute Musik ausgeblendet hat. Sie hört das Knarzen der Decke. Über ihr befindet sich direkt der Dachstuhl, dass weiß sie. Irgendwo fährt ein Auto entlang. Sind die Wände hier so dünn? Oder bildet sie sich das alles nur ein? Sind das alles Hirngespinste ihres überforderten Gehirns? Doch dann vernehmen ihre Ohren etwas, das sie sich sicher nicht eingebildet hat. Kian steht vor ihrer Tür. Sie hat gehört, wie er auf Socken näher gekommen ist, wie er sich gegen ihre Tür gelehnt hat. Die junge Frau schluckt. Ihr Hals ist trocken. Wie lange hat sie nichts mehr getrunken? Seit zwei Tagen? Noch eine Frage, die sie nicht beantworten kann. Erst jetzt merkt sie, was für einen Durst sie eigentlich hat. Sie stemmt sich in die Höhe, stützt sich an der rauen Wand ab, um nicht zu taumeln und zu fallen. Sie tastet sich vorsichtig durch das Dunkel, das an ihren Zimmerwänden und den wenigen Gegenständen im Raum abperlt wie Wasser von imprägnierter Kleidung. „Kian?“ Ihre Stimme ist rau, dünn. „KIAN“ Er hört sie, sie weiß es. Auch wenn er nicht antwortet. Aliana kann spüren, wie er sich vor der Tür bewegt. „Kian, ich hab Durst. Bitte…Ich will doch nicht einmal hier raus. Ich möchte nur, dass du mir etwas zu trinken bringst. Ich brauche nur eine Flasche Wasser. Wenn du mir die nicht bringst dann…dann sterbe ich“ „Red keinen Schwachsinn“ Seine Stimme ist leise, aber kalt und hart. „Ein Mensch kann 3-5 Tage ohne etwas zu Trinken auskommen. Außerdem… du hast ein Waschbecken. Schon vergessen? Also, wenn du nicht drauf gekommen bist, dann bist du noch nicht durstig genug“ Ana zuckt von der Tür zurück. Er hat Recht. Daran hat sie tatsächlich nicht gedacht. Ihre Angst hat jeden Gedanken an ihre Umwelt ausgelöscht, als wäre ihr Gedächtnis nicht mehr als eine Festplatte. Kian geht weg. Sie will das nicht. Aber sie kann nichts dagegen machen. Sie steht bewegungslos vor der massiven Tür aus Holz. Sie hebt nicht einmal die Arme. Sie ist regungslos, steif, erstarrt. Mit einem Mal bricht alles, was in den letzten Wochen geschehen ist über sie herein. Sie fällt auf die Knie, als Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und endgültige Resignation sie übermannen und in einen schwarzes Loch des Nichts ziehen. Heute ist der Tag. Ich weiß nicht, was ihn so besonders macht, ich weiß nicht, warum es mich gerade jetzt dazu treibt. Aber ich weiß, dass es am schönsten ist, wenn ich genau das jetzige Gefühl habe. Um das herauszufinden hat es zwar gedauert, aber ich habe schon genug Frauen umgebracht, um das zu genau wissen. Der Grad meiner Anspannung. Die Art, das Ausmaß meiner Aggression. Ab jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich laufe in meinem Haus auf und ab. Dann bleibe ich wie elektrisiert stehen. Der Schlüssel. Ich werde ihn holen. Genau jetzt. Und dann werde ich zu Ende führen, was ich vor so vielen Wochen begonnen habe. Erst als Ana hört, wie der Schlüssel im Schloss umgedreht wird und die Tür mit einem Knarren aufschwingt, sieht sie auf. Sie kniet noch immer am Boden, die Augen tränenüberströmt. Jetzt hat sie aufgegeben, das sieht Kian. Erst jetzt ist es wirklich spannend. Er kann spüren, wie sich angesichts ihrer Hilflosigkeit die Lust zwischen seinen Beinen zusammenzieht. Er wird es vollenden. Und dann hat er wieder das, was er sich so sehr wünscht: Gerechtigkeit. Und Befriedigung. Kian reißt Ana in die Höhe, zerrt ihren Kopf so, dass sie ihm in die Augen gucken muss. Ihre Pupillen erweitern sich panikartig, sie gibt ein ersticktes, würgendes Keuchen von sich. Ein schöner, anregender Laut. Kian verzieht sein Gesicht zu einem bösen, diabolischen Lächeln. Dann schiebt er sie vor sich her und drückt sie mit dem Rücken zur Wand. Er hört Knochen brechen, als er ihr mit der Faust ins Gesicht schlägt. Ohne Vorwarnung, ansatzlos. Er wird wieder morden. Das Fest hat begonnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)