Despair von Noveen (Abgründe einer Seele) ================================================================================ Kapitel 4: Umgangsängste ------------------------ Er genoss die Wärme um sich herum. Komisch das es ihm so gut tat bei dem Anderen zu sein, obwohl er eigentlich Angst haben müsste. Wie vor den Anderen Berührungen auch. Doch Jin war anders als die Anderen. Das hatte er schon bewiesen. Deswegen wollte er nicht mehr darüber nachdenken. Er wollte es nur genießen. Wie lange war es her, das er einfach so auf dem Schoß eines Erwachsenen gesessen hatte und Geborgenheit spüren durfte? Er wusste es nicht mehr. Um ehrlich zu sein glaubte er, dass dies in seinem bisherigen Leben nie der Fall gewesen war. Aber wie gesagt…- Er wollte eigentlich nicht darüber nachdenken. Behaglich kuschelte er sich fester in seine Decke und an die Schulter des jungen Arztes, der nichts dagegen zu haben schien. Das Gefühl das ihn durchströmte war sehr schöner und seltsamer Weise sehr vertraut. Doch auch das konnte ihn im Moment nicht stören, darüber konnte er sich ja den Kopf zerbrechen wenn er wieder alleine in diesem trostlosen, weißen Zimmer lag. Jetzt wollte er alles in sich aufsaugen. Unbeteiligt hörte er den Unterhaltungen, die um ihn von statten gingen, zu, ohne wirklich die Worte zu verstehen. Eigentlich ging es ihn auch nichts an. Er war ja nur Gast… Also würde erst einmal ruhig bleiben und alles beobachten. Denn er wollte dem Arzt, den er so mochte, nicht zu Last fallen. Er würde es nicht ertragen, wenn dieser sich auch von ihm abwenden würde. Also so vorsichtig wie möglich sein…! Der kleine Schwarzhaarige dämmerte langsam wieder ein bisschen weg. Der Schlaf, den er nicht bekommen hatte, machte sich jetzt bemerkbar. Und diese Arme waren so bequem! Schläfrig lehnte er seinen Kopf noch mehr an die breite Schulter und schloss kurz die Augen. Aber noch ehe der Halbschlaf über ihn kommen konnte, schlug die Tür des Zimmers mit lautem Knall an die Wand. Der Kleinere zuckte zusammen und riss die Augen wieder auf. In der Tür, die gerade so unliebsam Bekanntschaft mit der Wand gemacht hatte, stand ein kleiner, rothaariger Junge mit Krücken und starrte ihn offenkundig an. Ihm waren die großen Augen die seinen Körper hoch und runter fuhren unangenehm. Und dann zeigte der Neuankömmling fassungslos mit dem Finger direkt auf ihn und erhob seine schrille Stimme: „DAS IST HARRY….- HARRY POTTER!“ Diese Worte klingelten in seinen Ohren und dann legte sich ein Schalter in seinem Kopf um. Dann tat er das was er die letzten Jahre immer gemacht hatte, wenn alle Aufmerksamkeit auf seine Person gelenkt war… das einzige was ihn wahrscheinlich so lange am Leben gehalten hatte. Er trat die Flucht nach vorne an. OoOoO Jin konnte Sekundenlang nichts tun. Der Schreck über die Absurdität war einfach zu überwältigend. Auch die Anderen Anwesenden schienen wie versteinert. Das, was ihn aus seiner Starre befreite, war der kleine Schwarzhaarige…- Bei den Worten von Jonas war ein Ruck durch ihn gegangen, als hätte man ihn geschlagen. Dann war er aufgesprungen, zusammengesackt, denn seine Beine waren immer noch nicht ans Laufen gewöhnt, und hatte sich unter den kleinen Beistelltisch, der rechts neben ihnen stand gerettet. Zusammengerollt wie ein Igel, lag er jetzt unter dem Tischchen und bewegte sich nicht mehr. Fast zur selben Zeit ließ Jonas, anscheinend vor Schock über die heftige Reaktion des Anderen, seine Krücke los und stürzte ebenfalls zu Boden. Dann waren die beiden Ärzte wieder lebendig. Sie sprangen gleichzeitig auf und stürzten los. Gut das die Aufgaben so offensichtlich waren, sonst hätte es passieren können, dass sie ineinander gerannt wären. Doch so stürzte Adam zu Jonas und half ihm auf. Während Jin aufstand um das Tischchen ging und sich hinhockte. Der kleine Schwarzhaarige erinnerte ihn an ein Fluchttier. Er zitterte am ganzen Leib. Sanft versuchte er den Jungen wieder zu beruhigen. „Scht… ruhig, Kleiner. Alles wird gut.“, meinte er ganz leise und streckte die Hand aus um seinen Rücken zu streicheln. Bei dem unerwarteten Kontakt zuckte der Angesprochene zusammen. „Ruhig. Ich bin es nur. Na komm unter dem Tisch vor, hm? Es ist doch sicher schrecklich unbequem da unten oder?“, redete er ohne groß zu überlegen weiter. Er griff nach oben nach der Decke, die jetzt auf seinem Stuhl lag und breitete sie lächelnd aus. „Es tut dir keiner was, na komm schon her.“ Er sah wie sich die starre Körperhaltung des Kleineren bei jedem seiner Worte entspannter wurde. Als sich die Hände von seinem Hinterkopf gelöst hatten, blickte er den Arzt an. In seinen Augen lag eine unsagbare Angst und irgendetwas anderes, was er nicht wirklich deuten konnte. Trotzdem zögerte der Schwarzhaarige nicht lange und stürzte sich schon bald in seine Arme zurück. Schutzbedürftig schmiegte er sich an Jin. Dieser war schon etwas überrascht, hatte er doch damit gerechnet mehr Überzeugungskraft zu brauchen. Aber der Ausdruck des Kleinen beunruhigte ihn schon sehr. Ein paar wenige Blicke mit Adam tauschend, verließ er mit dem zitternden Bündel auf den Arm das Zimmer. Im vorbei gehen strich er Jonas, der völlig aufgelöst schien, über den Kopf. Mit so einer heftigen Reaktion hatte der sicher nicht gerechnet. Doch Adam würde es schon hinbekommen die Anderen Kinder zu beruhigen… Na ja, soviel zu seinen guten Ideen und Vorsätzen. Als er zurück ins Zimmer 88 trat, hatte sich der Junge weites gehend wieder gefangen. Jetzt war er völlig still und apathisch. Aber wieso hatte er so extrem auf den Namen des legendären Zauberers reagiert? Es schien ja fast so als würde er Angst haben… Doch der Held dieser Welt lebte schon seit 15 Jahren nicht mehr… jedenfalls nahmen alle Zauberer und Muggle die noch von ihm wussten das an…- Die größte aller Fragen war jedoch, Wie kam Jonas darauf, dass dieser kleine Kerl hier in seinen Armen Harry Potter war? Okay, er musste gestehen, dass alle Gemälde und Zeichnungen des Legendären, die er in seiner jüngsten Kindheit gesehen hatte dem Jungen schon etwas ähnelten. Aber dann müsste man jeden Schwarzhaarigen mit grünen Augen für Harry Potter halten, oder nicht? Jin schüttelte den Kopf. Das führte zu nichts, vielleicht konnte ihm Adam später erzählen was Jonas sich dabei gedacht hatte. Behutsam wand er sich wieder dem kleinen Schwarzhaarigen zu. Dieser schien völlig erschöpft von seiner eiligen Flucht zu sein. Er schlief ja beinah… Zärtlich legte er ihn in sein Bett zurück und redet lange mit ihm,… strich ihn durch sein dichtes Haar, während er mit ihm erzählte und wartete bis er eingeschlafen war. Erst als er sich sicher sein konnte, dass der Jüngere so schnell nicht wieder aufwachte, verließ er das Zimmer. Und er wunderte sich über den schon so ausgeprägten Beschützerinstinkt dem Anderen gegenüber. OoOoO Die nächsten Tage zog sich der kleine Patient noch mehr zurück, als er es sonst tat. Er nahm selbst von Jin nur wenig zu essen an. Verweigerte jeglichen Körperkontakt und war schreckhafter als jemals zuvor. Das Zusammentreffen vor ein paar Tagen hatte in ihm alles aufgewühlt, was er bis jetzt so tief vergraben hatte. All die Alpträume die er von diesem fremden Mann namens Harry hatte, den er nicht einmal kannte. All das Leid, was diesem in den Träumen wiederfuhr… Und seine Angst jedes Mal wenn er wach wurde. Alles was ihn schon sein ganzes, kurzes Leben begleitete… Es verwirrte ihn. Aber er wollte nicht nach Antworten suchen…- Zu sehr schreckte ihn die Wahrheit ab, die tief in seinem Unterbewusstsein zu lauer schien. Sie war wie ein Schatten an der Wand. Er sah ihn, auch wenn er nicht genau hinsehen wollte…- er wusste das er da war, das genügte. Genau diese Angst regierte einige Tage über ihn und warf ihn zurück in seine trostlose Kindheit. Er selbst konnte nichts dafür. Sein Körper reagierte von alleine…- wahrscheinlich eines seiner mühsam aufgebauten Schutzmechanismen… Auch wenn er selber es nicht wollte. Eigentlich wollte er Jin nicht enttäuschen, alles machen was er sagte. Aus der einfachen Angst heraus, dass der junge Arzt vielleicht nicht wieder kam, wenn er genug hatte und er selbst nicht gehorsam war. Doch hingegen aller seiner bisherigen Erfahrungen kam der Dunkelhaarige immer wieder. Jeden Tag. Redet mit ihm und erzählte was er tat…- Auch wenn es belanglos war. Manchmal saßen sie auch nur schweigend zusammen. Auch die Weigerung des Berührens akzeptierte der Ältere stillschweigend und zwang ihm nie etwas auf, was er selber nicht wollte. So kam es, dass er nach einer Woche geduldigen Wartens und Redens des Anderen wieder die Nähe suchen konnte. Er vertraute ihm. Er vertraute darauf, dass Jin ihn und seinen Gutglauben niemals ausnutzen würde. Schutzbedürftig wie er nun einmal war suchte er also immer öfter Umarmungen und anderen Körperkontakt. Begann wieder zu essen und teilte sich seinen Lieblingsarzt durch Gestik und Mimik mit. Die eigentliche Arbeit begann einen Monat nach seiner Einweisung. Jetzt da seine Wunden gut verheilt waren und er wieder kräftig genug war, sollte er wieder laufen lernen. Was ihm ziemlich schnell gelang. Natürlich konnte nur Jin mit ihm üben, da ein gewisser Kontakt von Arzt und Patient unabdinglich war. Aber es tat ihm nicht Leid. Auch wenn alle nett zu ihm waren, kam es ihm doch so vor als würden die Anderen es nur heucheln. So als würden sie nicht mit Herz hinter dem stehen was sie sagten und taten. Und so kam es das er langsam wieder mobil wurde und damit ein neues Ritual anfing… OoOoO Jin war völlig übernächtigt. Schon seit mehreren Wochen schob er Doppelschichten. Mehr und minder freiwillig, trotzdem nagte es an seinen Kräften. Auch wenn er wusste für wen er es tat, der Schlaf holte ihn langsam wieder ein. Aber was blieb ihm denn für eine Wahl. Solange der kleine Schwarzhaarige aus Zimmer 88 noch Lauftraining absolvieren musste, musste er sich zusammen nehmen. Schließlich schaffte es kein anderer ihn dazu zu bewegen. Eine Tatsache die im ganzen Team Missgunst und Unfrieden aufkommen ließ. Da konnte Jin auch hundertmal beteuern, dass er nichts anderes machte als alle anderen Ärzte und Schwestern. Anscheinend wurmte es so manchen, dass keiner der anderer Mitarbeiter an den verschlossenen Knaben herankam. Doch das war nicht sein Problem…- Schließlich war er es ja auch, der die Doppelschichten schieben musste. Darum würde sich sicher keiner mit ihm streiten wollen! Ah! Das einzige was ihn zurzeit noch aufheiterte war sein kleiner Patient, der immer mehr aus sich heraus kam. In den letzten Wochen war ein kleines Ritual entstanden, was ihm jedes Mal das Herz aufgehen ließ. Seit der Junge sein Zimmer verlassen durfte, streifte er öfter durch die Flure. Und immer wenn Jin zu seiner Schicht kam, wartete der Kleinere bereits am Empfang und stürmte ihn als Begrüßung in die Arme. Es war schon ganz natürlich… So als wäre es nie anders gewesen. Inzwischen waren ihre Bewegungen wie einstudiert und völlig aufeinander abgestimmt. In dem Moment, wo der Kleinere sprang, breitete Jin seine Arme aus um ihn aufzufangen. Wie ein kleines Kunststück. Die Frage die offen blieb war natürlich, woher wusste er wann Jin Dienstbeginn hatte? Es gab bis jetzt noch keine Anzeichen dafür, dass er lesen und schreiben konnte, doch anders war es einfach nicht zu erklären. Schließlich hingen die Dienstzeiten aller Ärzte öffentlich vor deren Dienstzimmer. Einfach aus dem Grund das die meisten Patienten zu jung waren um lesen zu können, es nie beigebracht bekommen hatten oder es sie nicht interessierte. Die einzigen die bis jetzt davon profitierten waren die Schwestern, die sich, wenn sie die Dienste der einzelnen Ärzte kannten, auf die Individualität des Einzelnen einstellen konnten. Anscheinend studierte jetzt aber noch jemand anderes regelmäßig den Plan. Denn der Schwarzhaarige verpasste nie einen Dienstbeginn oder war gar zu spät. Eine Tatsache die auch nicht gerade zur Entspannung der Atmosphäre beitrug. Doch Jin rührte es, wie sehr der Jüngere ihn zu mögen schien. Anscheinend hatte er nur darauf gewartet eine Person zu finden, der er vertrauen konnte… denn so eifrig wie er nach Kontakt suchte, konnte er sich einfach nicht vorstellen das er so distanziert war, wie er tat. Viel zu spät hastet er abgehetzt zur Eingangstür hinein und fing das Kind auf, was ihn sofort wieder in die Arme segelte. „Guten Morgen, mein Kleiner. Na, alles gut?“, begrüßte er ihn lächelnd und setzte ihn wieder ab. Er bekam ein Nicken als Antwort. Auch wenn er den finsteren Blick der Diensthabenden Schwester spürte, die am Tresen stand, ignorierte er diesen geflissentlich und streichelte dem Jüngeren durchs Haar. „Tut mir Leid, aber ich bin echt in Eile. Wir sehen uns später, ja?“ Wieder ein Nicken, begleitet von eines dieses kleine schiefe Lächeln, das ihm schier die Sprache raubte. Dieser Kleine war so niedlich. Wer hatte es bloß geschafft ihn so zu zerstören? Den Gedanken verdrängte er lieber und hastet am Tresen vorbei, nicht ohne ein freundliches gutes Morgen. Doch die Reaktion blieb aus. War zu erwarten gewesen. Jin seufzte, ging aber ohne ein Wort weiter. Er wusste ja selber das es nicht gut war, wenn er den Jungen so nah an sich ran ließ. Aber was sollte er denn tun? Ihn wegstoßen, so wie es anscheinend alle in der Vergangenheit des Kleinen getan hatten? Auch wenn er im Moment nicht gefährdet schien, war dieser Kleine ernsthaft psychisch krank. Sonst hätte er wohl kaum versucht sich umzubringen und auch noch fast damit Erfolg gehabt! Ihn jetzt auf Abstand zu stoßen wäre sicher das konterproduktivste für das Kind. Da war der Arzt sich sicher… Nur seine Mitarbeiter schienen das irgendwie anders zu sehen als er…- Manche zeigten es ihm offen, bei Anderen war es eher der Beiklang, den ihre Reden hatten. Aber es musste ihm egal werden. Der Junge war einfach zu goldig… Er würde ihn jetzt nicht von sich stoßen. Solange er die Möglichkeit hatte, würde er ihm die Zuneigung geben die er so offensichtlich brauchte. Vielleicht würde er dann nie wieder hier her zurückkommen müssen, weil er sich das nächste Mal vom Fensterbrett gestürzt hatte…- Mit diesem Gedanken konnte Jin nicht leben. Also war die Antwort auf die Frage was er jetzt tat klar. Als der Dunkelhaarige vor dem Büro angekommen war, hörte er das Stimmengewirr… Übergabezeit. Er atmete einmal tief durch und ging dann durch die Tür. Als ihn eine schlagartige Stille empfing, kannte er das Thema sofort um was es gegangen war. Zu offensichtlich! Mit einem gestellt, fröhlichen „Guten Morgen“ begrüßte er den schweigenden Haufen, würdigte die Anderen danach aber keines Blickes mehr. Er sah es gar nicht ein auf Knien vor den Anderen im Dreck zu kriechen. Das war noch nie seine Art gewesen. Ruhig zog er sich um und fuhr seinen PC hoch um die Informationen zu bekommen, die er für seine Schicht brauchte. Umsichtig schrieb er sich Medikamenten Änderungen, neue Therapiestunden und Befunde in seinen kleinen Notizen Block und ließ ihn mit seiner Händedesinfektion und ein paar Handschuhen in die großen Taschen seines Kittels verschwinden. Dann ging er hinaus ohne ein Wort mit seinem Kollegium gewechselt zu haben. Er begann seien morgendlichen Rundgang. Dies war schon seit Anfang seines Jobs hier ein Ritual was er pflegte. Zu aller erst, wenn er ankam und sich umgezogen hatte, machte er einen Rundgang durch alle Zimmer und begrüßte jeden Patienten einzeln. Er redet kurz mit ihnen und ging erst nach dem letzten Gespräch seiner Arbeit nach. Da das Mary Hope ein kleines Krankenhaus war im Vergleich zum St. Mungo, konnte er sich das leisten, ohne, dass er viel von seiner Arbeitszeit verschwendete. Und nie war er glücklicher darüber gewesen als heute. So konnte er den komischen Blicken seiner Kollegen zumindest für eine Weile ausweichen. Auch wenn er es sich selbst nie eingestehen würde, irgendwo belastete es ihn ganz schön, dass alle so schlecht über ihn und seine Arbeitsweise dachten. Vor allem bei den Mitarbeitern, die er eigentlich für seine Freunde gehalten hatte… Kopfschüttelnd klinkte er die erste Tür auf und versuchte die Sorgen in den Hintergrund zu schieben. Die kleinen Patienten konnten keine weitere Aufregung gebrauchen. „Hey Lissa“, begrüßte er das Mädchen, das am Fenster stand und schon auf ihn zu warten schien. „Hallo, Doktor Jin!“ Freudig wandte sie sich um und hob die Arme. „Sie sind heute später oder? Ist schlechtes Wetter draußen? Wie spät ist es denn?“ Der Angesprochene lachte amüsiert über den Übereifer des kleinen Kindes. Ohne zu zögern ging er zu ihr und hob sie auf die Arme. Sofort legte sie ihre kleinen Ärmchen um seinen Hals und lehnte vertrauensvoll den Kopf an seine Schläfe. „Du hast natürlich vollkommen Recht, Sonnenschein. Ich bin sehr viel später. Weil ich gestern nicht einschlafen konnte, habe ich mich heute früh nicht aus dem Bett quälen können und bin später losgefahren als sonst. Das Wetter allerdings würde ich nicht als schlecht bezeichnen… die Sonne scheint.“ „Gibt es Wolken?“ „Hm“, blickte Jin aus dem Fenster. „Ja, ganz kleine, flauschige. Die sehen aus wie Schafe.“ „Oh wie schön! Dann ändert sich das Wetter heute bestimmt nicht mehr! Dann kann ich heute raus!?“ „Ja, das denke ich auch. Und um deine letzte Frage zu beantworten, es ist kurz nach um acht.“ „Toll! Dann muss ich gleich zur Therapie!“, jubelte Lissa. „Genau. Hast du gut geschlafen?“ „Ja. Sehr gut. Die Nacht ging dieses Mal so schnell vorbei!“ „Das freut mich.“ „Mich auch“, nickte sie und kicherte. „Kannst du mir einen Gefallen tun bevor du gehst, Doktor? Ich will gleich los wenn Schwester Silke kommt… suchen wir gemeinsam meinen Stock?“ „Aber natürlich, Kleines. Hast du eine Ahnung wo er zuletzt war.“ „Ja. Beim Schrank hatte Cesare ihn hingelegt.“, berichtete das Mädchen und drehte Jins Gesicht in die Richtung der Kommode um ihm zu zeigen welchen Schrank sie meinte. „Dann sehen wir mal.“ Es dauerte nicht lange bis er den Blindenstock der Kleinen fand und sie wieder auf ihre eigenen Beine stellte. „So, hier. Ich geh dann los, okay?“, lächelte er. „Wir sehen uns dann um zwei nochmal wieder.“ „Ja! Bis dann!“ Damit ging er zum nächsten Zimmer. Gegen um neun hatte er das letzte Patientenzimmer erreicht. Nummer 88. Als er die Tür öffnete und eintrat, sprang der Schwarzhaarige schon auf und strahlte ihn an. Dieses Lächeln konnte wirklich Eisberge schmelzen, zu schade, dass man es nur sehr selten sah. „Hey“, begrüßte er ihn zum zweiten Mal. „Na Kleiner. Wie hast du geschlafen?“ Der Angesprochene nahm seine Hand und zog ihn zum Bett. Dann formte er mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. Jin nickte. „Das freut mich.“ Minutenlang führte Jin so etwas wie Smalltalk. Dabei achtete er darauf nur geschlossene Fragen zu stellen, damit der Junge mit Nicken und Kopfschütteln antworten konnte. Auch wenn er sich natürlich wünschte, dass der Andere wieder anfing zu reden, akzeptierte er es, wenn es noch zu früh war. Er würde ihn sicher nicht unter Druck setzen! Er blickte auf die Uhr. „So, ich werde jetzt gehen. Gleich kommt die Schwester rein, wegen deinen Tabletten.“ Plötzlich wich das Lächeln auf dem kleinen Gesicht. Sofort packte er den Arm des Arztes und schüttelte er den Kopf. In seinen Augen lag wieder diese Traurigkeit. „Ich weiß. Aber ich muss noch ein bisschen Arbeiten, wo ich doch heute schon zu spät gekommen bin, weißt du?“, lächelte er und strich ihn durchs Haar. Er sah sehr deutlich den Wiederwillen in den Augen seines Gegenübers. Etwas was ihn schon sehr traf. Denn er hatte das dumpfe Gefühl das auch der Kleine die Missgunst des Personales sehr deutlich zu spüren bekam. Auch wenn er versuchte die ärztliche Distanz zu dem anderen zu halt, fiel es ihm immer schwerer. Etwas was ihm schon etwas Bedenken bereitete. Unwillig nickte er und senkte den Blick dann. „Na komm, schau nicht so, okay? Sonst bekomm ich noch ein schlechtes Gewissen!“ Sanft zog er den Kleinen mit einem Arm an sich heran. Dieser lehnte sich sofort in die Umarmung. „Wir sehen uns ganz bald wieder. Bringst du mich noch zur Tür?“ Der Schwarzhaarige nickte und Beide standen auf um zur Tür zu gehen. Doch ehe sie sich voneinander verabschieden konnten, ging genau diese auf und die Schwester aus dem Frühdienst kam herein. „Tabletten!“ Als sie Jin erblickte, verdüsterte sich ihre wieso schon grimmige Miene sofort. Etwas das den Arzt sofort in seinen Verdacht bestätigte. Der Junge bekam es durch aus zu spüren. Kein Wunder das er niemanden anderen an sich heran ließ! „Was machen sie denn hier?“ „Ich wollte mich gerade auf den Weg machen…“, antwortete er distanziert. Das Kind hatte die Anspannung im Raum sofort gespürt und sich hinter dem Arzt versteckt. Total verschreckt klammerte er sich in den weißen Kittel. Toll! Die Schwester blickte auf den Schwarzhaarigen und schnaubte. Sie warf die Tablettenschachtel auf den Beistelltisch. „Nicht nötig. Machen sie es gleich selber!“ Das klang beinah wie eine Beleidigung. Dann war sie auch schon wieder hinaus gerauscht. In dem Dunkelhaarigen kochte es vor Wut. Er hätte schreien können, so sehr regte ihn dieses Verhalten auf. Wie konnte man nur so inkompetent und unprofessionell sein!?? Er spürte die zitternden Hände die an seinen Kittel zogen. Ruhig…, dachte er und atmete einige Male tief durch bevor er sich zu den Kleinen umwandte. Er sah den Dunkelhaarigen betroffen an. Dann zeigte er auf die Tür, verzog vielsagend das Gesicht, zeigte dann auf ihn und zum Schluss auf sich. Jin brauchte einige Augenblicke um zu verstehen was ihm der Jüngere sagen wollte. „Nein…- das ist eine lange Geschichte. Komm nimm erst einmal deine Tabletten.“ Wie sollte er ihm das denn jetzt bitte erklären? Er bekam ein paar Minuten Bedenkzeit. Der Schwarzhaarige nahm erst einmal seine Tabletten, ehe er ihn wieder so fragend anschaute. „Ich sehe schon…“, seufzte er. „Okay. Weißt du ich hab ein paar Meinungsverschiedenheiten mit den Anderen… Das ist nichts Schlimmes okay? Und du kannst auch nichts dafür.“ In den Augen des Kindes, die so ausdrucksstark sein konnten, sah er deutlich Skepsis. „Hey, das klärt sich alles wieder!“, versprach er und wuschelte ihm durch die Haare. „Ich gehe jetzt erst Mal. Aber wir sehen uns später…“ OoOoO Der Junge lag auf seinem Bett und starrte an die weiße Decke. Irgendwie wirkte sie nach einiger Zeit des Starrens so, als wolle sie auf ihn herunterfallen. Er hasste dieses Zimmer! Er wollte weg hier und zu dem jungen Arzt. Sich wieder mit ihm unterhalten und ihn lachen sehen. Auch wenn es beängstigend war, wie sehr er sich nach den Anderen sehnte, konnte er doch nichts dagegen tun. Doch er wollte nicht aufstehen und zu ihm gehen. Das würde den Älteren nur wieder Ärger bringen… Er brauchte nur an die Blicke der Anderen zu denken, wenn sie sie zusammen sahen. Dann wurde ihm schon ganz anders. Er hatte so ein schlechtes Gewissen. Und trotzdem… Er konnte doch auch nichts für seine Gefühle, oder? Jedenfalls wollte er nicht raus gehen, denn er wusste genau, dass es ihn dann wieder unweigerlich zu Jin hinziehen würde. Er war wie ein Magnet für ihn! Unheimlich aber wahr! Also blieb er liegen und fixierte weiter die weiße Decke. Nahm die Einsamkeit die sich über ihn legte billigend in Kauf und versuchte an nichts zu denken. Er war sein ganzes bisheriges Leben allein gewesen…- 12 Jahre, wenn er sich richtig erinnerte. Dann würde er es dieses paar Stunden auch aushalten, bis Jin wieder kam. Denn darauf hoffte er… Schließlich hatte er es ihm versprochen! Und bis jetzt hatte er seine Versprechen immer gehalten! Tick Tack Tick Tack Tick Tack… Wie lange noch bis er kam? Das weiß drohte ihn wieder in seiner Sterilität zu ertränken. Er konnte dieses Farbe auf den Tod nicht ausstehen… jetzt noch weniger. Aber das hatte er ja schon oft genug festgestellt! Er drehte sich zum Fenster um dieser Farbe zu entgehen. Doch einen wirklich guten Blick hatte er auch da nicht. Nur einen Ast und einen streifen bewölkten Himmels. Außerdem blendete die Sonne. Mist! Er wurde noch wahnsinnig wenn er nichts tat! Aber er blieb stur liegen. Nein! Als Flucht aus dem weißen Meer, schloss er die Augen. Schwarz… Diese Farbe war beruhigend… Vielleicht konnte er noch ein bisschen schlafen bis Jin kam? Müde war er ja eigentlich immer. Auch wenn er die letzten Nächte besser geschlafen hatte als eh und je. Er konzentrierte sich auf die Dunkelheit hinter seinen Augenliedern und nährte sein Hirn mit Stille und Leere. Irgendwann dämmerte er wirklich weg. Er wurde durch Stimmengewirr vor seiner Tür geweckt. Noch total verpennt rieb er sich die Augen und setzte sich auf. War das nicht Jins Stimme? Sofort spitzte er seine Ohren mehr und war zum ersten Mal dankbar, dass er gute Hörwerkzeuge besaß. Was ist das? Ein Geschenk für den Kleinen, sieht man doch… Ein Geschenk? Hast du nichts Besseres zu tun? Was meinst du? Meine Güte, Jin. Du machst uns das Leben schwer! Merkst du das nicht…? Der kleine Kerl macht was er will und du belohnst ihn dafür mit einem Geschenk?! Urteile nicht über etwas was du noch nicht verstehst, Adam! Oh, danke ich verstehe schon sehr gut! Ach, das kommt mir aber nicht so vor…! Was machst du hier überhaupt? Nach dir sehen… Ich brauche keinen Aufpasser, Adam. Wie es scheint schon! Das wird mir zu blöd, beruhig dich erst einmal… ich geh jetzt zu dem Kleinen. Du machst doch eh was du willst! Der Schwarzhaarige hatte sich immer weiter zur Tür geschlichen. Wieder schrie sein Herz vor Schuldgefühlen. War das seine Schuld? Musste er nicht irgendetwas machen? Was? Wieso fiel ihm nichts ein!? Er wollte doch nicht das Jin sich mit seinen Freunden stritt… Und dann ging die Tür auf und er stand dem Mann gegenüber auf den er die ganze Zeit gewartet hatte. Aber jetzt konnte er sich nicht mehr freuen. Ein Schluchzen kam über seine Lippen. Auch wenn er das eigentlich nicht wollte. Sein Herz fühlte sich an wie ein glühender Klumpen…- Wieso tat das so weh? Jin musterte ihn intensiv. „Du hast das eben gehört, was?“ Wie aus Reflex nickte der Kleinere und kämpfte weiter gegen die Tränen an, und wieder schluchzte er. Jetzt seufzte der Dunkelhaarige und schmiss den verpackten Gegenstand, den er in der Hand hatte auf den Tisch. Dann war er bei ihm und nahm ihn in den Arm. Hilfesuchend klammerte er sich an den jungen Arzt und schluchzte hilflos. „Scht. Ganz ruhig Kleiner“, redete Jin sanft auf ihn ein. „Das ist nichts schlimmes… nur eine kleine Meinungsverschiedenheit. Das ist absolut nicht deine schuld!“, streichelte er sanft über die Haare des aufgelösten Kindes. Schöne Worte, aber er konnte sie nicht glauben! Er hatte es doch gehört, dass er Schuld war! Anscheinend musste sich das in seiner Körpersprache gezeigt haben oder Jin war Gedankenleser. Denn als nächstes sagte er: „Hör schon auf zu weinen, Kleiner. Es ist wirklich nicht deine Schuld… Weißt du, wir wollen alle nur dein Bestes. Aber wir sind halt verschiedene Meinungen wie wir das erreichen, verstehst du? Und darüber müssen wir eben manchmal diskutieren. Also beraten wir uns eigentlich nur und streiten nicht wirklich. Und manchmal wählen wir klarere Worte, aber wir versöhnen uns auch wieder. Versprochen!“ Der Schwarzhaarige sah ihn unsicher an. Er wollte ihn so gerne glauben…! Jin lächelte gewinnend. „Hey. Na komm schon. Ich hab dir extra was Schönes mitgebracht. Es wird dir bestimmt gefallen! Mach dir nicht solche Sorgen. Außerdem solltest du so etwas gar nicht hören!“ Mit zarten Fingern strich er die kleinen Tränen weg, die es wirklich aus den Augen des Jüngeren geschafft hatten. Dankbar umarmte er den Arzt wieder. Er ließ sich auch umstandslos hoch nehmen und zum Bett zurück tragen. Dort wurde er abgesetzt. „Na, was hast du bist jetzt gemacht?“, wollte Jin wissen. Er deutete auf das Bett und machte die typischste Geste fürs schlafen die ihm einfiel. „Das ist schön. Aber deswegen bin ich eigentlich nicht hier, Kleiner.“ Interessiert sah der Angesprochene auf. „Ich wollte mit dir reden.“, gestand Jin. „Bessergesagt wollte ich dich etwas fragen, okay?“ Er nickte. „Du musst nicht unbedingt antworten, wenn du nicht willst. Aber wenn du es tust sollte es die Wahrheit sein.“ Er nickte wieder. „Gut dann ohne lange zu reden. Du weißt immer genau wann ich Dienstbeginn habe und wann du auf mich warten musst. Kannst du lesen und schreiben?“ Nun war er doch etwas geschockt. Wie hatte er so dumm sein können? Es war ja klar gewesen, dass es irgendwann rauskam, wenn er sich so offensichtlich verhielt! Schüchtern sah er zu dem Dunkelhaarigen auf, der ihn ruhig musterte. Er schien nicht böse, auch wenn er es eigentlich nicht können durfte. Aber das wusste Jin ja nicht, fiel ihm da plötzlich ein. Er wusste ja nicht, dass er nicht in der Schule war und sich das meiste allein beigebracht hatte. Das er immer vor dem Fenster der Schule gesessen und gelauscht hatte. Zögerlich nickte er also. Jin seufzte. „Hab ich es mir doch gleich gedacht!“, murmelte er. Dann sah er ihn wieder direkt an. „Danke, dass du so ehrlich warst…- jetzt darfst du dein Geschenk aufmachen. Denn es hat was mit dieser Frage zu tun.“ Damit stand er auf und holte es. Der Jüngere nahm es an und schenkte dem Anderen einen dankbaren Blick bevor er es aufmachte. Dann wurden seine Augen groß. „Gefällt es dir? Ich dachte damit kannst du dir vielleicht besser die Zeit vertreiben, wenn dir langweilig ist. Und dann kannst du auch versuchen mit den Anderen zu reden, hm? Die sind nämlich auch alle sehr nett.“ Er stürzte Jin zurück in die Arme und ließ sich halten. So etwas hatte noch nie jemand für ihn getan. Überhaupt hatte er noch nie ein Geschenk bekommen… Er war so froh…! OoOoO Jin stand vor dem Büro seiner Chefin. Obwohl er nicht wirklich wusste warum er eigentlich hier war. Es kam nicht oft vor das Amber irgendjemand von ihnen mitten in der Dienstzeit zu sich zitierte. Da musste schon etwas ernsthafteres sein. Und irgendwie hatte er ein genaues Gefühl was das war… So ein verdammter Mist! Als Jin sich gesetzt hatte, fing Amber McKinnon ohne Umschweife an. „Schön, dass Sie sofort hergekommen sind.“ „Natürlich. Was gibt’s denn so wichtiges?“ „Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Jin“, sagte die ältere Frau und maß ihn mit einem stechenden Blick, als sie sich in ihrem Sessel zurücklehnte. „Ich achte Sie als Heiler, Arzt und Kollege… Aber unter diesen Umständen kann ich nicht Sie nicht länger in Schutz nehmen!“ „Wie meinen?“ „Es kommen vom Kollegium viele Beschwerden über Sie. Alle über den Umgang mit unseren neusten Patienten.“ Jin seufzte. Er hatte es ja geahnt! „Aber ich sagte doch schon - “ „Das Sie nichts anderes machen, ich weiß“, unterbrach sie ihn schlicht. „Aber ich verstehe auch die Frustration und die Beschwerden der Anderen. Dem Jungen ist wirklich nicht bei zu kommen wenn Sie nicht im Dienst sind, Jin. Es ist belastend für das Personal und für den Jungen.“ „Was wollen Sie mir damit sagen, Amber?“ „Ich will Ihnen nur nahe legen zu überlegen. Wie ich höre haben sie ihm heute ein Geschenk gemacht… das ist nicht korrekt. Und das wissen sie auch!“ Der Dunkelhaarige war einfach nur fassungslos über die Dreistigkeit seiner Kollegen. Wie konnten sie ohne Gründe zu der Chefärztin dieses Krankenhauses rennen? „Ich mache allen meinen Patienten Präsente, wenn es von Nutzen für sie ist. Bis jetzt war das noch nie ein Problem für sie!“, versetzte er kühl. „Auch Lissa hat ihre Sonnenbrille und ihren Blindenstock von mir bekommen.“ „Ich weiß. Und unteren Anderen Umständen wäre das völlig in Ordnung. Aber Lissa, um bei Ihrem Beispiel zu bleiben, lässt nicht nur Sie als Arzt an sich heran. Verstehen Sie denn nicht, dass Sie mit Ihren Verhalten nur dazu beitragen, dass der Junge sich gegenüber den Anderen verschließt?“ Der Dunkelhaarige ballte seine Hände zu Fäusten um das Zittern zu verbergen. „Mein Verhalten?“, versuchte er seine Stimme zu beherrschen. „Haben Sie schon einmal erlebt wie sich das andere Kollegium den Jungen gegenüber verhält? Entschuldigen Sie bitte, aber ich versteh seine Gefühle. Ich würde mich auch nicht so behandeln lassen!“ „Jin, ich bitte Sie!“ „Es ist aber die Wahrheit, Amber! Ich kann nicht über alle urteilen, doch die wenigen die ich gesehen habe, sind einfach nicht auf seine Bedürfnisse eingegangen! Sie haben sein Verhalten provoziert…- er ist kein einfacher Patient, dass weiß ich! Aber genau deswegen muss man sich um ihn bemühen! Und Sie können mir das nicht zum Vorwurf machen!“, fand Jin bitter. „Ich bemühe mich um alle meine Patienten. Manche brauchen viel, Andere weniger Zuspruch. Doch ich werde niemanden der mir anvertraut ist und der meine Hilfe benötigt wegstoßen nur weil es für meine Kollegen bequemer so ist!“ Einige Sekunden herrschte Schweigen. „Sind Sie fertig?“ „Ja.“ „Gut, dann teil ich Ihnen jetzt meinen Entschluss mit“, meinte Amber und sah ihn streng an. „Ich werde sie vorläufig von der Etage streichen lassen, sie machen nur noch Therapien in der unteren und oberen. Bis sich die Wogen geglättet haben. Wir können es uns nicht leisten im Unreinen zu sein. Jeder ist hier auf Jeden angewiesen… Ich hoffe sehr Sie verstehen das.“ Jin fühlte sich wie erschlagen. Er brauchte ein paar Augenblicke um die Worte zu begreifen. Dann kehrte die Wut zurück. „Was? Das. Können. Sie. Nicht. Ernst. Meinen.“, betonte er jedes Wort. „Sehe ich aus als würde ich zum Scherzen aufgelegt sein, Jin?“, wollte die Chefärztin todernst wissen. Jin malmte mit den Zähnen. „Sie machen einen Fehler , Amber…“ „Das glaube ich nicht, Jin. Sie haben den Fehler begangen und wollen es sich nicht eingestehen.“, antwortete sie jetzt fast mitleidig. „Denken sie noch einmal nach…“ Das brachte das Fass zum Überlaufen. „Jetzt reicht es!“, knurrte Jin gefährlich leise. „Hören Sie mir mal genau zu! Ich denke immer nach, verstanden?!“ „Jin… ich - “ „Nein!“, unterbrach der Dunkelhaarige dieses Mal seine Vorgesetzte. „Ich hab so die Nase voll. Ich habe die Doppelschichten geschoben oder? Damit der Kleine laufen lernt! Um den Anderen Ärger und Last abzunehmen und als Dank? Als Dank sagen sie mir ich sei nicht in der Lage nachzudenken und wäre ein schlechter Arzt! Ah!“ „Das hat nie - “ Der junge Arzt unterbrach sie wieder mit einer harschen Handbewegung und stand ruckartig aus. „Genug. Ich weiß jetzt Bescheid. Ich habe genug Überstunden für eine Woche Urlaub. Und die nehme ich mir hier mit, ob sie wollen oder nicht“, schnarrte er. „Ich hoffe sie können das Problem bis dahin lösen. Dann ist uns allen geholfen.“ Wieder wollte Amber den Mund öffnen, doch Jin ließ ihr keine Zeit. „Gut, dass wir das geklärt haben! Und falls es sie interessiert… das Geschenk, was ich den Kleinen gemacht habe war ein Notizbuch mit einem Stift. Er kann lesen und schreiben, ich dachte vielleicht kann er damit kommunizieren wenn er will. Aber das geht mich nun nichts mehr an. Bis in einer Woche oder so“, verabschiedete er sich. Damit verließ er das Büro und genoss kurz das verdatterte Gesicht der alten Ärztin. Doch der Triumph hielt nicht lange. Er ergriff die Flucht vor den Job und den Kollegen und vor allem vor den Vorwürfen. Und irgendwie hatte er das Gefühl, als hätte man ihm seinen Stolz als Arzt vom Körper gezogen und das Klo hinunter gespült…- OoOoO „Die Tage schmecken bitter, die Nächte viel zu lang Meine Gedanken kreisen zwischen jetzt und irgendwann Sorgen graben Falten ins Gesicht Beim Spaziergang auf dem Drahtseil verliert man schnell das Gleichgewicht...-“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)