Call of the shadows von Okiro (Wenn die Finsternis naht) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- ~~Prolog~~ An einem lauwarmen Tag in einem breiten Tal begann langsam die Sonne hinter den Felsen zu verschwinden, um dem aufgehenden Mond Platz zu machen. Stille zog sich über das dort lebende Rudel, doch es gab einen kleinen Ort, an dem noch keine Ruhe herrschte: In einer kleinen Höhle im Fels. Dort tollten vier junge Wölfe, die noch nicht schlafen gehen wollten. Ihre Mutter war nicht da, genauso wenig wie ihr Vater. Beide waren auf der Jagd. Nur eine Wölfin beobachtete das fröhliche Herumhopsen der vier Welpen. „Großmutter“ wird sie genannt. Genau diese Großmutter schüttelte sachte den Kopf und trat nun endgültig in den Raum. Sie wusste, wie sie die Kinder zur Ruhe bringen konnte. So fing sie ohne umschweifen an zu reden und, kaum hatten die vier Welpen die ersten Worte vernommen, kamen sie schon angelaufen und setzten sich vor die Großmutter, um ihrer Geschichte zu lauschen: „An einem kalten Wintertag im Lande Daromi hörte man das Wehklagen zweier Wolfsmütter bei der Geburt. Die eine ist das Alphaweibchen eines finsteren Rudels Serina selbst. Und die andere eine edle Wolfsmutter names Marika. Beide gebaren ihre Kinder zur gleichen Zeit und mit gleicher Qual. Die große Alphawölfin drei und die einfache Wolfsmutter, die gerade erst Alphatier geworden war, vier. Diese insgesamt sieben Kinder wurden von den Elementgöttern gesegnet. In den Welpen von Serina schlummert das Element der Finsternis, so wie es in ihr selbst und in ihrem Vater lauert. Doch die Welpen von Marika sind Mischwölfe, da ihre Familie sich aus den verschiedensten Elementarwölfen zusammenträgt. So hatten sie, in der Reihenfolge ihres Alters entsprechend, einen Wasser-, Wald-, Feuer- und Eiselementwolf unter sich. Ihre Mutter, so war bekannt, besaß kein Element, doch der Vater von ihnen ist ein Lichtwolf. Die Elemente an sich können in jedem Wolf stecken. Ob gut oder böse, ob gut ausgeprägt oder weniger gut ausgeprägt. Jeder Elementwolf kann nur ein Element in sich tragen und doch nicht jedem ist ein Element gewährt. Und so kam es, dass an einem kalten Wintertag gleich sieben Elementwölfe geboren wurden, was an sich schon an ein Wunder grenzt.“ „Halt Oma! Wieso erzählst du uns immer die selbe Geschichte von unserer Geburt? Du bist dir doch nicht einmal sicher, ob das mit der anderen Wolfsmutter stimmt!“, klagte die kleine Sikona, die es langsam satt hatte, immer die gleiche Geschichte von ihrer geliebten Großmutter zu hören. „Ja genau, Omi. Erzähle uns doch mal etwas anderes!“ mischte sich nun auch der größere Nurik ein. Die Wolfsoma blickte nach diesen Beschwerden auf ihre Enkel hinab und betrachtete sie genauer. Es waren vier heranwachsende Wölfe, die aus dem Welpenalter herausgewachsen waren. Um genau zu sein waren es drei Weibchen und ein Männchen. Die Älteste von ihnen hieß Nyrona, war aber zugleich die zweitkleinste unter ihnen. Sie war ein Wasserelementwolf und hatte meerblaue Augen und schwarzblaues Fell. Sie sieht zwar harmlos aus, doch im Gegensatz zu ihrer noch kleineren Schwester Esaila, hatte sie eine vorlaute Schnauze. Esaila, die ein Waldelementwolf war, hatte honiggoldenen Augen und Gras im Fell. Sie war schön und besahs einen aufrichtigen Charakter, doch mit der Größe ihres Bruders Nurik konnte sie es nicht aufnehmen. Nurik ist der Zweitjüngste und ein Feuerelementwolf. Er hat bernsteinfarbene Augen und flammenartige Muster im rötlichbraunen Fell. Ganz anders, wie Sikona, die den Abschluss bildete. Sie war die zweitgrößte, aber dennoch die Jüngste. Sikona ist ein Eiselementwolf und hat eisblaue Augen und hellblaues Fell mit einem dunkelblauen Punkt an der Seite, der sich später zur Schneeflocke entwickeln würde. Wie im Gegensatz zu ihrem Element, besaß sie einen warmen liebevollen Humor. „Nun meine Lieben. Was für eine Geschichte sollte ich euch den sonst erzählen, wenn nicht die von eurer Geburt?“ Fragend blickte die Wolfsoma auf ihre Enkel hinab. „Du könntest uns die Geschichte der Götter und der Prophezeiung erzählen. Die hören wir doch so gern!“, schaltete sich nun auch die kleine Esaila ein. Daraufhin seufzte die Großmutter und meinte nur: „Ja, gut ich erzähle sie euch. Aber nur, wenn ihr mir auch wirklich zuhört und nicht wieder das Rumalbern anfangt, wenn ich an der Stelle ankomme, wo es mit der Prophezeiung endet.“ Daraufhin legte sich die alte Wölfin hin und blickte in die vor Spannung weit aufgerissen Augenpaare ihrer Enkel. Dann begann sie mit historischer Stimme zu erzählen: „Vor langer, langer Zeit. Um genau zu sein, in der Zeit, wo es noch keine Richtlinien gab, erschufen die sechs großen Elementgötter Feuer, Wasser, Erde, Luft, Finsternis und Licht, die Welt Daromi und all ihre fantastischen Lebewesen. Das Wild, die Vögel, die Fische, die Nagetiere, ja, sogar uns Wölfe. Als sie fertig waren, blickten sie auf ihr Werk und sie fanden es gut, so wie es ist. Bevor sie gingen und der Welt ihren eigenen Weg bestimmen ließen, sagten sie zu allen Tieren, die auf ihr lebten: >Lebt in Frieden und bekämpft euch nicht aus Hass. Dies sollte eine friedliche Welt sein, in der kein Tier benachteiligt werden soll und auch keines bevorzugt.< Danach verschwanden sie und beobachteten das Treiben der Welt von ihren heiligen Sitzen aus. Lange Zeit lief alles gut. Alle Tiere lebten in Frieden miteinander und bekämpften sich nicht, bis zu jenem Zeitalter. Das Zeitalter der Niederschlagung. In diesem Zeitalter fingen die anderen Tiere an, den Wolf zu unterdrücken, da es hieß, dass dieser ohne jeglichen Grund tötete.“ „Aber, aber, Omi das stimmt doch gar nicht!“, wurde diese von Nyrona unterbrochen, „wir Wölfe würden nie ohne Grund töten!“, klagte sie und schnaubte laut. „Ja, meine Kleine. Das würden wir nie tun.“ beruhigte die Wolfsoma Nyrona und erzählte die Geschichte weiter: „Nun, wie auch heute, so war es auch damals: Wölfe töten nicht ohne Grund. Sie töten, um zu überleben, um ihren Hunger zu stillen, wie es jedes Tier tat. Doch das wussten die anderen Tiere nicht, die sich zusammengeschlossen hatten und schworen den Wolf auszurotten. Sie begannen ihn zu töten und das auf grausamste Weise: Die Fische zogen sie regelrecht ins Wasser, wo sie dann ertranken. Das Wild ging in großen Gruppen auf ihn los, um ihn unter seinen Hufen zu zermalmen. Die Vögel pickten auf ihn ein und die Nagetiere gaben ihm den Rest. So wurden viele Wölfe ausgerottet, bis sich die Elementgötter einschalteten. Sie dachten, dass die Wölfe sich selbst wehren konnten, doch diese waren treue Wesen und würden nie ohne jeglichen Grund töten, außer, wie schon gesagt, um ihren Hunger zu stillen. Außerdem hatten sie nicht mehr die Kraft dazu, sich zur Wehr zu setzen, so geschwächt wie ihre Rudel waren. So kam es, dass sich nach langer Zeit die Götter auf die Welt setzten, um den Wölfen neue Kraft zu geben, damit ihre treuen Wesen, wahrscheinlich die treuesten auf ihrer einst geschaffenen Welt, auch weiterhin bestehen. Sie gaben den Wölfen einen Bruchteil ihrer Magie, indem sie ihnen ein Stück von ihrer Seelenkraft in den Körpern einiger ausgewählter Wölfe einpflanzten. Nach dieser Tat waren sie sich sicher, dass die Wölfe nun gegen die anderen Tiere bestehen können und brachen erneut zu ihrem heiligen Sitz auf. Doch bevor sie gingen, gaben sie den Wölfen einen Rat: >Hier ist unsere Kraft, edle Gefährten der Nacht. Gebraucht sie weiße und klug. Zeigt den anderen Tieren, wie gutmütig ihr seit und weist sie auf ihren rechten Platz zurück, von dem sie abgekommen sind.< So geschah es, dass es Feuer-, Wasser-, Erd-, Luft-, Licht- und Finsterniswölfe gab. Die Wenigen, die diese Gabe hatten, begannen die anderen Tiere in ihre Schranken zu weisen, indem sie sie durch die Luft wirbelten, die Erde unter ihnen erschütterten, das Licht um sie herum verstärkten oder abschwächten, ihnen Wasser entgegen spritzen oder sie mit Feuer zurückwiesen. Doch die Wölfe töteten auch hier kein Lebewesen, dennoch zeigte dies seine Wirkung. Das Wild, die Vögel, die Fische und das Nagetier hörten auf, den Wolf als einen Feind zu bekämpfen und sahen ein, dass sie ihm Unrecht getan hatten. Nun war die Welt wieder im Gleichgewicht und die Wölfe vererbten ihre Elemente weiter. Immer mehr Welpen bekamen die Gabe der Götter und auch einige entwickelten sich weiter, indem sie sich spezialisierten. Diese Spezialisierung besteht darin, dass manche Wölfe lernten das Eis, den Wald oder sogar den Sand sich untertan zu machen. Doch dieser Frieden währte nicht lange. Eines Tages erschien der Lichtgott einem Elementwolf im Traum. Es wird gesagt, dass dieser Wolf selbst ein Lichtwolf war. Dort erzählte der Lichtgott ihm von einer Prophezeiung, die besagt, dass ein großes Übel kommen würde. Ein Übel, das in ihren Reihen einen Anfang nehmen und das Land erneut terrorisieren würde, um es anschließend in den Untergang zu führen. Doch es besteht Hoffnung. Ein Lichtwolf, dessen Seele rein von jeglicher Schuld ist, soll kommen und das Land vor dem Untergang retten. Nach diesem Traum übermittelte der Lichtwolf die Worte des Lichtgottes seinen engsten Beratern und anschließend wurden sie in die Welt hinausgetragen. Niemand mochte ihnen Glauben schenken, da viele dachten, dass es nur ein Traum gewesen sei oder gar ein schlechter Scherz... Doch bis heute wurde diese Prophezeiung weitergegeben.“ Als die Wolfsoma geendet hatte, kehrte Ruhe in der Höhle ein. Sie hörten draußen die letzten Vögel in den Bäumen zwitschern. Doch dann erhob Nurik die Stimme und fragte: „Dieser Lichtwolf, könnte das nicht Vater sein? Es herrschen doch schlimme Zeiten im Land, so munkelt man doch.“ „Nun wer weiß, Nurik? Ich kann es dir nicht sagen. Doch eines ist gewiss: Das Übel, das angeblich herrschen sollte ist nicht so groß, wie es damals war. Es müsste schon was viel schlimmeres passieren.“, meinte sie etwas lachend und bemerkte nicht, wie Sikona einen nachdenklichen Blick aufsetze. Die kleine Wölfin hatte bemerkt, dass selbst ihre Oma der Prophezeiung nicht ganz glaubte. Doch sie tat es. >Hinter all diesem Geschwafel muss doch etwas Wahres dran sein!<, dachte sich Sikona und hielt diesen Gedanken noch Jahre später in ihrem Gedächtnis fest. ~~~*~~~ Während die Wolfsoma ihren Enkeln die Geschichte der Entstehung und die der Prophezeiung erzählte, wurde an einem anderen Ort eine schicksalhafte Entscheidung beschlossen. In einer großen dunklen Höhle, die mit einer noch größeren Höhle verbunden war, trafen sich ein dunkler Alphawolf namens Taroxon und seine sechs engsten Berater. „Mein lieber Herrscher, um Ihr Vorhaben durchzustezen, bräuchten wir mehr Macht, als wir momentan bieten können. Was sollen wir da Ihrer Meinung nach tun?“, fragte einer der Berater. Daraufhin hob Taroxon seinen großen schwarzen Kopf und blickte sich in der Höhle um. Er ließ seinen Blick von einem Berater zum Nächsten wandern, die bei seinem finsteren Augen den Kopf senkten, bevor er eine Antwort gab. „Wir werden ein paar meiner Leute ausschicken, um die Rudel zu zählen und, um ihre genaue Masse zu festigen.“, antwortete Taroxon, mit einer tiefen Stimme, die jedem, der sie hörte Angst einjagte. „Wir müssen wissen, um wie vieles es sich dort draußen genau handelt, damit wir die Macht, die wir brauchen, besser einschätzen können. Dabei müssen wir ganz vorsichtig vorgehen. Wenn unser Vorhaben auffliegt, könnte dies in einer Katastrophe enden und unser Plan scheitert.“ Alle anderen Wölfe nickten zustimmend. Doch einer erhob dennoch seine Stimme: „Und was ist, wenn dieser Extremfall eintreten sollte, Herrscher? Ich meinte, ob es dann einen Plan B gibt?“ Taroxon schwenkte seinen mächtigen Schädel in Richtung des Wolfes, der gerade gesprochen hatte. „Hältst du mich etwa für so dumm?“, knurrte er, worauf der kleinere Wolf winselnd den Kopf senkte, um seine Unterwürfigkeit zu zeigen. „Natürlich habe ich einen Plan B! Doch dieser tritt nicht erst in Kraft, wenn der erste Plan gescheitert ist. Oh nein... ich will, dass kurz, nachdem der erste Plan angefangen hat, auch dieser anfängt. Er wird uns Macht bringen, die wir sicher einsetzten können, falls Plan A wirklich scheitert. Scheitert der erste Plan nicht, so haben wir dennoch einen gewissen... Vorteil.“ Nun blickten ihn alle Berater fragend an. Sie wussten, dass ihr Herrscher immer einen Plan hatte, doch nun waren sie neugierig. Wie, als hätte Taroxon es von ihren Gesichtern abgelesen, begann er zu erklären: „Wir werden zuerst die Wölfe zählen. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Doch dann werden wir mehr Wölfe ausschicken, um die gezählten zu jagen und hierher zu bringen, damit sie nicht dazu kommen, einen Aufstand anzuzetteln. Doch, falls es schon zuvor zu Aufständen kommen sollte, so müssen wir diese gewaltsam vernichten. Hier tritt Plan B in Kraft. Werden die Aufstände mehr, so müsste dieser schon längst im Laufen sein. Denn, meine lieben Berater, ihr alle werden euch auf eine lange und gefährliche Reise begeben müssen.“ Ein unruhiges Murmeln ging durch die Reihen. Eine gefährliche Reise? Das war mal wieder eine gekrönte Abwechslung in ihrem Leben. Doch da fuhr Taroxon auch schon fort: „Diese Reise besteht darin, dass ihr euch auf die Suche nach dem Ursprung der Elementmacht begebt und...“ Ein grausems Lachen erfüllte die große Höhle. Ein Lachen, dass so unheimlich war, dass jedem der Berater ein Frösteln dem Rücken herunter huschte. So schnell das Lachen gekommen war, so schnell verstummte es auch wieder. „... dort werdet ihr versuchen, sie euch zu Nutze zu machen!“ Erneut lachte Taroxon laut auf, doch dieses Mal Lachten die Berater mit ihm. Sie wussten, was ihr Herrscher damit meinte. Sie hatten schon häufig darüber gesprochen und sie freuten sich, diese Reise antreten zu dürfen. Schließlich verließ sich Taroxon auf sie und sie wollten ihn nicht enttäuschen. Denn, wenn Taroxon sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, so zog er es auch bis zu Ende durch. So war er schon immer gewesen. Jeder, der außerhalb der Höhle war und das Lachen vernahm, wusste, dass ihr Alphawolf und die sechs Berater nichts gutes im Schilde führten... So kam es, dass sich in den nächsten Tagen nicht nur Wölfe zum Auskundschaften zu einer Reise aufbrachen, sondern auch die sechs Berater von Taroxon. ~~Prolog Ende~~ Nun meine lieben Leser, hiermit ist mein Prolog zu meiner ersten Fanfic beendet. Ich bin sehr stolz darauf, dies geschafft zu haben, da es doch sehr schwer war, und möchte mich an dieser Stelle gleich bei drei Personen ganz herzlich bedanken, die dies erst möglich gemacht haben. , und : DANKE!!!! Ohne euch hätte ich dieses Kapitel und überhaupt diese gesamte FF nie zum schreiben begonnen. Ihr halft mir diese riesige Kugel zum Rollen zu bringen. Auch geht ein riesen Dankeschön an euch, da ihr euch Zeit nimmt und meinen Prolog gelesen habt. Das muntert mich richtig auf! Dankeschön an euch allen! Eure Oki >,< Kapitel 1: Kralle um Kralle, Zahn um Zahn ----------------------------------------- ~~Kralle um Kralle, Zahn um Zahn~~ „Jurikin, du Feigling!“, rief der junge Wolf von der anderen Seite des Platzes. Jurikin schüttelte den Kopf und schnaubte seinen angehaltenen Atem hinaus. „Na warte! Das bekommst du zurück, Xin“, knurrte Jurikin seinem Gegenüber entgegen. Man konnte die Aufregung und den Blutrausch in beiden Wölfen nahezu in der Luft spüren. Es war ein nebliger und nasser Tag, wie so oft hier im Norden. Darum war der Kampfplatz matschig und dreckig. Die Abenddämmerung setzte langsam ein und die Sterne konnte man schon am Horizont sehen. Der Kampf selbst wurde auf einer großen Lichtung ausgetragen, bei dem sie von vielen Wölfen, hauptsächlich normalen, aber auch von Finsterniswölfen umringt wurden. Die Wölfe kamen in Scharen, um bei diesem Spektakel dabei zu sein. Denn genau heute wird der Platz des Nachfolgers im Finsterniswolfsrudel, das sich im Norden des Landes Daromi befand, ausgetragen. Einer der größten und stärksten Rudel auf der Welt. Diese Kämpfe sind in diesem Rudel berühmt, da sie nur in diesem und in keinem anderen Rudel stattfinden. Bei den anderen Rudeln war es normal, dass der Älteste, oder ein anderer stärkerer Wolf, später den Platz des Rudelführers einnehmen wird. Aber hier im Nordfinsternisrudel herrschen andere Sitten. Dort ist immer ein Finsterniswolf das Alphatier. Diese sind immer die Söhne der vorherigen Alphatiere. Normalerweise hat immer der Finsterniswolf aus dem ersten Wurf die Ehre, seinen Vater später herauszufordern. Doch werden in einem Jahrgang gleich zwei Rüden geboren, so findet ein Kampf statt, um herauszufinden, wer der stärkere von beiden ist. Meistens treten die Jungwölfe im Alter von drei Jahren gegeneinander an. Die Entscheidung des Gewinners wird anschließend von den Alphatieren und ihren engsten Beratern selbst gefällt. Bei diesen Kämpfen dürfen keine Elemente eingesetzt werden. Sprich, die jungen Finsterniswölfe müssen sich mit ihrer körperlichen Stärke und ihrem eigenen Wissen duellieren, da bei jedem Wolf die Elementstärke anders ausgeprägt ist. Sehr viele solcher Kämpfe endeten mit reichlichen Verletzungen. So mancher schon mit dem Tod, wenn nicht rechtzeitig der Kampf beendet wird. Doch genau diese Todeskämpfe punkten bei den Alphatieren sehr, da sie zeigten, dass der Gewinner ein starker und rücksichtsloser Wolf sei und später das Rudel erfolgreich anrühren wird. Heute war es der große Tag für Jurikin und Xin, die beide drei Jahre alt waren und beide das Element Finsternis in sich trugen. Jurikin war zwar älter und größer als sein Bruder, doch noch lange nicht stärker als dieser. Jurikins Bruder punktete mit der Flinkheit und dem starken Biss, den er besitzte. Xin war ein kleiner dicklicher Wolf mit schwarzen Fell und strahlend roten Augen. Sein schwarzes Fell wurde nur durch seine braunen Brust unterbrochen. Jurikin hatte schwarzes Fell, gelbe Augen und blaues Haar. Doch sein Fell ist nicht gänzlich Schwarz. Bei der Hälfte seines Körpers war dunkelblaues Fell und an seinem Bauch dunkelbraunes. Seine Beine waren mit schwarzen Streifen durchzogen. Doch das Eigenartigste an ihm war, dass er an seiner rechten Schulter einen weißen Kreis besitzte und seine linke Hinterpfote war ebenfalls weiß. Weiß war eine ungewöhnliche Farbe für einen Finsterniswolf. Normalerweise hatten diese schwarzes bis gräuliches Fell, aber kein weißes. Xin und Jurikin waren nicht diese typischen Wolfsbrüder. Beide hassten sich zutiefst, da sie schon sehr früh mit dem Gedanken aufgezogen wurden, später einmal gegeneinander um den Platz des Alphawolfs kämpfen zu müssen. Dieser Gedanke erschuf eine finsteren Mauer, die sich mit jeden Tag weiter ausdehnte. Jeden Tag leisteten sie sich kleine Machtkämpfe, um zu beweisen, wer der stärkere von beiden war. Doch dies kümmerte beide Wölfe im Moment nicht, da sie damit beschäftigt waren, sich gegenseitig finstere Blicke zuzuwerfen und den nächsten Schachzug zu planen. Es war totenstill auf dem Platz und niemand bewegte sich. Kurz ließ Jurikin seinen Blick über die Menge schweifen. Überall waren Wölfe verschiedenster Herkunft. Sein Blick streifte sowohl ernste als auch ängstliche Gesichter. Jedem blickte er finster entgegen und jeder, der in seine Augen sah, musste seinen Kopf senken, da sie diesen Anblick nicht ertrugen. Er ließ seinen Blick weiterschweifen, bis er bei dem seines Vaters Taroxon hängen blieb. Taroxon war ein großer schwarzer Finsterniswolf mit einem bösen Blick und finsterem Charakter. Dieser blickte Jurikin gleichgültig an, woraufhin diesem ein Schauer über den Rücken huschte. Sofort zwang sich Jurikin, sich wieder zu konzentrieren und blickte weg. Sein Blick blieb an der rechten Seite seines Vaters hängen. Seine Mutter Serina lag dort ängstlich im Schatten der Bäume im Gras. Serina war auch eine Finsterniswölfin, doch sie hatte gräuliches Fell mit lila Streifen und lila Haar. Für sie war es kein leichter Anblick, ihre beiden Söhne kämpfen zu sehen. Sie litt mit jeder Minute mehr, doch als Wolfsmutter war es ihre Pflicht an so einem großen Tag bei ihren Söhnen zu sein. Plötzlich wurde Jurikin aus seinen Gedanken und auf den Boden gerissen. Sein Bruder war erneut auf ihn zugesprungen, wie schon so oft an diesem Tag. Doch dieses Mal, hatte Xin den Moment ausgenutzt, bei dem er unkonzentriert war und sich sofort auf ihn gestürzt. Jurikin warf es nach hinten, wo er mit dem Rücken den Boden berührte. Nun bekam er nichts mehr von seiner Umgebung mit. Er hörte weder die Vögel in den Bäumen zwitschern, noch das Wasser des nahe gelegenen Baches plätschern. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt wieder seinem Bruder. Insgeheim bestrafte er sich, dass er nicht aufgepasst hatte. Nun stand Xin über ihm. Natürlich pragte ein siegessicheres Lächeln auf seinen Lefzen. „Da hätte ich besser aufgepasst, Brüderchen!“, knurrte dieser in seine Ohren und sank seinen Kopf, um somit einen Todesbiss anzutäuschen. Doch Jurikin war nicht auf den Kopf gefallen und es gelang ihm, sich elegant aus dieser Zwickmühle zu befreien. Er nahm seine Hinterläufer und stütze sie auf dem Bauch seines Bruders ab. Mit Schwung katapultierte er diesen durch die Luft. Jaulend kam Xin auf dem Boden auf und rutschte im Schlamm noch einen halben Meter weiter. Sofort sprang Jurikin auf. „Ich glaube, du müsstest besser aufpassen!“, schnaubte nun Jurikin, durch den kleinen Kraftakt etwas erschöpft, und blickte seinen Bruder an, der sich langsam erhob. Dieser wies nun mehrere Schrammen auf der linken Seite auf, wobei Jurikin noch fast unbeschadet blieb. Daraufhin begannen sie sich langsam zu umkreisen, machten mehrere Ausfallschritte in die gegnerische Richtung und knurrten sich gegenseitig an. Doch niemand wollte sich einen weiteren Fehler eingestehen und sprang somit immer außer Reichweite, falls das Maul des anderen zu nahe kam. Mit der Zeit sah es so aus, als würden beide Wölfe tanzen. Ein stetiges auf und ab, hin und her. Man konnte erkennen, dass bei beiden sich die Muskeln bis zum Äußersten anspannten. Jurikin wurde sich dieser Situation bewusst. Er musste etwas Anders versuchen. Etwas, was seinen Bruder ausschalten und ihn nicht zu viel Kraft kosten würde. An so einem kleinen Klumpen Dreck, wie seinem Bruder, wollte er sich nicht lange die Pfoten schmutzig machen. So entschloss er sich, seinen Bruder direkt anzuspringen. Gesagt getan. Er stieß sich kräftig vom Boden ab und flog mit offenen Maul auf Xin zu. Doch dieser hatte die Aktion nur erhofft und wich erneut aus. Dieses Mal aber wartete er nicht ab, sondern sprang nun ebenfalls auf Jurikin los. Jurikin, seiner kritischen Lage noch nicht bewusst, wurde erneut auf den Boden gedrückt. Doch dieses Mal stand sein Bruder auf seinem Rücken. Xin jaulte nochmals erneut auf, wobei Jurikin nur knurrte. Nun hatte er genug. Alles lief heute schief! Doch bei diesem Kampf wollte er alles richtig machen und nicht verlieren. Er wollte es seinem jüngeren und kleineren Bruder endlich zeigen. Jahrelang hatte er dessen Spott über sein Aussehen anhören müssen. Ja, Xin zog ihn mehrmals am Tag damit auf, dass er einen weißen Punkt im Fell und eine weiße Pfote besaß. Auch hatte Xin ein Auge auf seine Fähigkeiten als Finsterniselementwolf geworfen. Seine Fähigkeiten waren gegenüber denen seines kleineren Bruders ein Witz. Xin konnte ganze Meter Land in Dunkelheit hüllen. Doch er selbst hatte schon mit einem Meter seine Probleme. Viele Wölfe, unter anderem auch seine Eltern, haben sich gefragt, ob er überhaupt ein Finsterniswolf sei. Er selbst verfluchte sich dafür, dass er dort seine Schwächen hatte. Doch körperlich konnte er es mit seinem Bruder aufnehmen und er war froh, dass bei diesem wichtigen Kampf keine Elemente eingesetzt werden durften. Noch immer knurrend unterlag Jurikin seinem Bruder. Dieser versuchte ihn nicht wie beim ersten Mal in den Hals zu beißen, sondern er schnappte sich dessen rechte Vorderpfote. Nun war es an Jurikin, jaulend aufzuheulen. Sein Bruder zerrte kraftvoll an seiner Pfote. Der Schmerz rann Jurikin das ganze Bein hinauf und vernebelte kurz seine Gedanken. Blut tropfte von der Wunde und bedeckte den Boden. Er versuchte, sich auf den Rücken zu drehen, doch Xin ließ ihm keine Chance. Erneut knurrte Jurikin und versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren. Dabei entschloss er sich, eine andere Taktik anzuwenden. Anstatt sich auf die Seite zu rollen, stütze er seine Hinterbeine auf den Boden, um einen kleinen Sprung zu machen. Mit aller Kraft drückte er sich vom Boden ab und trotze der Schwerkraft. Xin, der sich noch immer hasserfüllt in der Pfote verbissen hatte, flog mit Jurikin durch die Luft. Während des kurzen Fluges gelang es Jurikin, sich umzudrehen und somit in die aufgerissen Augen seines Bruders zu blicken. Er spannte seinen Körper an und kratzte mit seiner weißen linken Hinterpfote den Bauch seines Bruders auf. Kurz vorm Aufprall beider Körper ließ Xin die Pfote seines Bruders los und jaulte schmerzerfüllt auf. Durch die zuschauenden Wölfe ging ein Raunen. Beide landeten unsanft auf dem Boden. Xin ein paar Meter neben Jurikin. Ein Keuchen kam aus beiden Wolfkehlen und keiner bewegte sich. Nach einiger Zeit, es kam für Jurikin wie eine Ewigkeit vor, konnte er seine Kraftreserven wieder sammeln, um anschließend aufzustehen. Als er unbewusst sein Gewicht auf seine verletze Pfote verlagerte, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. >Mist! Sie wird gebrochen sein<, dachte sich Jurikin und entlastete die schmerzende Pfote, um sie anschließend abzulecken, damit sie nicht mehr so stark blutete und er somit die Wunde reinigte. Als er das erneute Jauchzen seines Bruders vernahm hob er den Kopf und blickte zu ihm. „Noch nicht tot?“, fragte Jurikin, als dieser versuchte aufzustehen. Xin gab daraufhin nur eine knurrende Antwort. Von dessen Bauch tropfte ununterbrochen Blut. An manchen Stellen floss es regelrecht am Fell entlang und dort dann auf den Boden. >Da habe ich wohl gute Arbeit geleistet<, bemerkte Jurikin und lachte insgeheim. Doch da hatte sich der junge Wolf zu früh gefreut. Mit der Wunde am Bauch kämpfte sich sein Widersacher nach oben. Jurikin blickte in dessen hasserfüllte Augen. Er sah, dass sein Bruder vor Schmerz die Zähne zusammenbiss und somit keinen Ton mehr heraus bekam. Danach ging ein Beben durch den Körper von Xin und dessen Augen leuchteten wild und entschlossen auf. Nun stand Xin auf seinen vier Pfoten, als hätte er keine Verletzung am Bauch. Und in der nächsten Sekunde sprang er erneut auf seinen Bruder zu. Jurikin bemerkte dies sofort und wich dem offenen Maul seines kleinen Bruders nur knapp aus. Erst jetzt wurde Jurikin bewusst, dass mit Xin etwas nicht stimmte. Er ist einer Art Tollheit verfallen, in der er beschlossen hatte Jurikin um jeden Preis zu vernichten. Die Wunde am Bauch hatte ihm den Rest gegeben und ihn zu dieser Tollheit verlockt. Sobald Jurikin sich der verzwicken Lage bewusst wurde, vergaß er die Schmerzen in seiner pochenden Pfote. Doch beim nächsten Ausweichschritt, kamen die Schmerzen erneut. Xin bemerkte dies sofort, sprang erneut auf Jurikin zu und verbiss sich in die Hinterläufer von ihm. Dem Wolf blieb die Stimme weg und somit drang zu den anderen Wölfen nur ein leises Juchzen. Jurikin hatte nun buchstäblich die Schnauze voll und nahm nun seinerseits die Kraftreserven zusammen. Er riss sich aus dem Biss seines Widersachers und verkeilte seine Zähne in dessen Kopf. Jurikin drückte seine Kiefer zusammen und das Blut seines Bruders spritze in sein Maul. Xin heulte erneut auf und sank zu Boden. Dieses Mal gab er kein Lebenszeichen mehr von sich, da er das Bewusstsein verloren hatte. Jurikin öffnete langsam seine Kiefer. Und betrachtete sein Werk. Sein Biss ging direkt ins linke Auge. Aus der Augenhöhle floss Blut. Somit ist dessen Augenlicht zerstört worden. Er würde nie wieder durch dieses Auge sehen können, doch das kümmerte Jurikin wenig. Somit hatte Xin seine gerechte Strafe bekommen, für das, dass er seine Pfote gebrochen und seine Hinterläufer aufgebissen hatte. Beides blutete nun stark und schmerzte. Doch dies war Jurikin egal und er betrachtete den von Schlamm und Blut bedeckten Boden. Plötzlich jaulten die Wölfe um ihn vor Freude laut auf. Jurikin hob daraufhin seinen Kopf und heulte siegreich gen Himmel. Der Kampf war vorbei und Jurikin hatte gegen seinen kleinen, flinken Bruder Xin, der dafür sein Auge opfern musste, gewonnen. Nun würde der Alphawolf und seine Berate entscheiden, ob er tatsächlich gewonnen hatte. ~~ Kralle um Kralle, Zahn um Zahn Ende ~~ Ist der Sieg wirklich ein Sieg gewesen? Punktete Jurikin bei seinem Vater gut? Wie steht es um Xin? Wird er seine Verletzungen überleben? Ein erster Kampf und noch lange nicht der Letzte... Kapitel 2: Doch kein Gewinn? ---------------------------- Gleich als kleine Anmerkung: In diesem Kapitel habe ich ein paar Lyrics von einem Lied eingebaut, dass ich zurzeit ganz gerne höre und ich das hier in dem Kapitel auch total passend finde. Nun, sie müssen natürlich keinen direkten Bezug haben. Eigentlich weis auch nur ich den genauen Grund, weshalb ich sie da, genau in diese Stelle, eingebaut habe. Das Meiste geschieht aus Gefühlssache. Nun zum Lied: Das werden, vor allem Naruto-Fans kennen. Hier der Link: http://www.youtube.com/watch?v=DMSXTmEi4mo Ihr könnt die Lyrics auch rauslassen und durchlesen. Verpassen tut ihr nichts. Wie gesagt, ich wollte sie mal einbauen um zu sehen, wie das wirkt. ^^ Am Ende wird es dieses Mal kein Nachwort geben. Deswegen danke ich dir jetzt schon, liebe , für die schnelle Unterstützung, die du mir gegeben hast. *dich knuff* Nun viel Spaß beim Lesen wünscht euch eure Oki >,< ~~Doch kein Gewinn?~~ Es war noch immer nebliges und regnerisches Wetter bei den Höhlen des nördlichen Finsternisrudels. Eine Windböe fuhr durch Jurikin´s Fell. Er seufzte und blickte von seinem Liegeplatz nach unten auf den Kampfplatz, auf dem er und sein Bruder Xin vor drei Tagen einen wichtigen Kampf ausgefochten hatten. Er lag auf einem Felsen oberhalb des Kampfplatzes, bei dem der Regen schon längst die Spuren des Kampfes fortgeschwemmt hatte. ~~~*~~~ Cultivate your hunger, before you idealize. Motivate your anger, to make them all realize. Climbing the mountain, never coming down. Break into the contents, never falling down. ~~~*~~~ Links von ihm war der große Höhleneingang zu ihrem Unterschlupf. Vor dem Eingang spielten mehrere Welpen und ältere Wölfe passten auf sie auf. Es war ein reges Treiben hier beim Wolfsrudel. Alle liefen beschäftigt umher, alles hatte seinen Platz. Die Jäger jagten, die Jünglinge passten auf die Welpen auf und der Alphawolf kümmerte sich um den Rest. Doch Jurikin fühlte sich fehl am Platz. Er hatte schon immer das Gefühl, ein Ausgeschlossener zu sein. ~~~*~~~ My knee is still shaking, like I was twelve. Sneaking out of the classroom, by the back door. A man railed at me twice though, but I didn't care. Waiting is wasting for people like me. ~~~*~~~ Die Meisten gingen ihm aus dem Weg, bemerkten ihn nicht oder ignorierten ihn. Und weshalb? Alles nur, weil er einen weißen Punkt, eine weiße Pfote und - das Allerschlimmste - weil seine Fähigkeiten als Finsterniswolf nicht ausgeprägt genug waren. Für sie waren dies Zeichnen von Schwäche und des Gejagten. Um es ganz einfach auszudrücken: Die anderen Wölfe dachten, dass er nicht das Zeug eines richtigen Finsterniswolfes hat. Doch da hatten sie sich geirrt. Jurikin knurrte bei diesem Gedanken. >Na, sie werden schon sehen! Wenn ich erst einmal Alphawolf bin, müssen sie alle zu mir hoch blicken!<, dachte er sich und fletschte die Zähne. Die Raben, die sich auf dem Kampfplatz befanden, flogen kreischend davon, als sie sein Fletschen hörten. Doch sofort verflog seine schlechte Laune und er blickte trübsinnig auf den Platz. Noch war es nicht sicher, ob er die Chance bekam, ein Alphawolf zu werden. Sein Vater, Taroxon und die anderen Wölfe, mussten noch ihr Einverständnis geben, damit er sie bekam. Und auf dieses wartete Jurikin schon seit drei Tagen. Jede Sekunde, jede Minute und jede Stunde wurde seine Ungeduld größer. ~~~*~~~ Don't try to look so wise. Don't cry 'cause you're so right. Don't dry with fakes of fears, 'Cause you will hate yourself in the end. ~~~*~~~ Jurikin schüttelte seinen Kopf. >Wieso dauert das nur so lange!< Er blickte trübsinnig auf den Kampfplatz, doch dann huschte ein listiges Lächeln über sein Wolfsgesicht. Jurikin musste daran denken, wie er seinen Bruder Xin besiegt und ihn in Schande gebadet hatte. Zwar hatte auch er schwere Verletzungen davongetragen, doch diese waren nur halb so schlimm wie die von Xin. Seine rechte Vorderpfote war etwas angeschwollen und auf seinen Hinterläufen konnte er noch immer nicht viel Gewicht verlagern, da er drohte, damit abzuknicken. Jedoch im Gegensatz zu ihm, hatte sein Bruder weitaus schlimmere Verletzungen davongetragen. Jurikin hatte Xin den Bauch aufgeschlitzt und ihm am linken Auge das Augenlicht genommen. In dem Moment, wo sicher war, dass Jurikin den Kampf gewonnen hatte, kam seine Schwester Zerisia und Freunde seines Bruders angerannt, um diesen in die Höhle zu tragen und zu verarzten. Um ihn hatte sich nur ein älterer Jäger gekümmert, der meinte, dass die Wunden nicht so schlimm seien, und sie schön verheilen würden. Bis jetzt hatte er recht. Die Wunden verheilten schön und man würde nur an den kleinen Narben sehen, dass er einmal verletzt gewesen war. Jurikin bemerkte nicht, wie sich eine Gestalt von hinten näherte, bis diese seinen Namen rief. Erschrocken wirbelte Jurikin mit dem Kopf herum und blickte in gelbe Augen, so gelb wie die seinen. „Oh, hallo Zerisia. Mit dir hätte ich jetzt am Wenigsten gerechnet. Müsstest du nicht bei Xin sein?“ fragte er seine Schwester mit knurrendem Unterton. Er wusste, dass sie mehr von seinem Bruder hielt, da dieser immer der Stärkste war. Sie hatte den gleichen Charakter wie ihr Bruder. Hackte immer nur auf ihm herum und befahl ihm Sachen, die er zu tun hatte. ~~~*~~~ Don't try to look so wise. Don't cry 'cause you're so right. Don't dry with fakes of fears, 'Cause you will hate yourself in the end. ~~~*~~~ Doch eines wusste Jurikin nicht oder mochte es nicht wahrhaben: Dass Zerisia nur das Beste für Jurikin wollte. Sie mochte ihn, da er einen ehrlichen Charakter hatte, dennoch zeigte sie ihm das nicht. Sie hatte Angst, dass er sie zu weichherzig fand. Genauso wusste sie, dass Jurikin die Nähe anderer nie gesucht hatte und sie nie suchen wird. Jurikin war ein Alleingänger, der keine anderen Wölfe um sich brauchte. Er misstraute jedem und allem auf der Welt. Aber was sollte man von einem Wolf denken, der mit dem Spott anderer aufgewachsen war? „Nun sei doch nicht so, Jurikin. Du weist doch genau, dass ich mich auch um dich kümmern muss“, sagte Zerisia und legte sich neben ihren Bruder auf den Felsen. Abwesend blickte sie in den Himmel. Während sie da lag, blickte Jurikin sie genauer an. Sie hatte schwarzes- und lilafarbenes Fell und rosa- lila Haare. Auch war sie etwas kleiner als er, dennoch größer als Xin, der eigentlich älter als sie war. „Na ja, das hast du nicht getan, als ich es brauchte. Nun komme ich gut alleine zurecht. Und, falls du denkst, ich glaube dir, dann hast du dich geschnitten“, knurrte er und war dabei aufzustehen und zu gehen. Doch Zerisia blieb ganz ruhig und ihr entfloh ein kleiner Seufzer. „Ach Jurikin... Was mache ich nur mit dir”, entgegnete sie und setzte ein listiges Lächeln auf. Jurikin konnte es nicht ausstehen, wenn sie das tat. Normalerweise sagte ihr Blick nur Gutes, doch, wenn sie das listige Lächeln aufsetzte, zeigte sie so eine ganz andere Seite. Zerisia war nicht immer das brave Wölfchen, was sie immer vorzugeben schien. Auch sie hatte einen gierigen Blick auf die Macht ihres Rudels geworfen, doch sie war vernünftig genug, es niemandem zu sagen. Sie schmeichelte ihrem kleineren Bruder, um so eine besser Stellung bei ihrem Vater zu bekommen. Doch bei Jurikin tat sie das nicht. Sie mochte ihn zu sehr, als dass sie ihn hintergehen würde. ~~~*~~~ Don't try to look so wise. Don't cry 'cause you're so right. Don't dry with fakes of fears, 'Cause you will hate yourself in the end. ~~~*~~~ Jurikin brachte nur ein abschätzendes Schnauben zustande. Sein Körper kam wieder zur Ruhe und er legte seinen Kopf auf die Vorderpfoten und betrachtete wieder den schlammigen Kampfplatz, auf dem sich erneut Raben tummelten. Sein Gesicht bekam einen traurigen Ausdruck, und dies bemerkte Zerisia. „Du, sag mal, was ist es denn, woran du die ganze Zeit denken musst? Ich habe dich die letzten drei Tage immer seltener unten im Rudel gesehen. Was ist denn los?“. Jurikin hob seinen Kopf, als er diese Frage von seiner Schwester hörte. Er bemerkte, dass sie nur Mitleid vortäuschte, doch, dass er sie durchschaut hatte, ließ er sie lieber nicht wissen. Jurikin sah allerdings nicht, dass es wahre Führsorge war und kein Mitleid. So sagte er mit einer traurigen Stimme: „Vater lässt sich so lange Zeit. Eigentlich hätte er das Ergebnis vom Kampf schon längst preisgeben sollen, aber er hat es noch nicht getan. Ich frage mich, was er so lange überlegt!“ Nun huschte ein erneutes Lächeln auf Zerisia´s Gesicht. „Ich sehe, dir liegt sehr viel daran, einmal der Alphawolf dieses Rudels zu werden. Nun, ich werde dir nun etwas sagen, aber nur, wenn du mir versprichst, dass ich einen guten Platz in deinem Rudel bekommen werde. Ich bin ja schließlich deine Schwester und, nun ja...“ Jurikin lächelte und schüttelte den Kopf. „Du weist doch, dass man sich den Platz in einem Rudel nicht erschmeicheln kann! Man muss ihn sich erkämpfen! Diese Nummer zieht bei mir nicht, also spuck aus, was du zu sagen hast.“ Seine letzten Wörter kamen knurrend über seine Lefzen und dies zwang Zerisia, aufzugeben. Sie stand auf und drehte ihm enttäuscht den Rücken zu. Bevor sie losging, sagte sie mit ruhiger, doch enttäuschter Stimme: „Vater lässt nach dir Rufen.“ Mit einem Satz war sie vom Felsen gesprungen und trabte in den Wald. Jurikin blickte seiner Schwester noch hinterher. Mit schwachen Beinen stand er nun endlich auf. Seine Beine zitterten wegen der Schmerzen und wegen der Freude, die sich in kürzester Zeit in ihm breit gemacht hatten. >Mein Vater möchte mich endlich sprechen. Ich wette, er hat das Ergebnis nun endlich!< dachte er sich, während er gemächlichen Schrittes den Hügel hinunter ging. Der junge Wolf ließ sich nicht anmerken, dass er sich im Moment freute. Er wollte nicht, dass das die anderen Wölfe mitbekamen. Es ging sie nichts an, wann und warum er zu seinem Vater ging. Langsam schritt er an den spielenden Welpen vorbei. Als er sie schon fast hinter sich gelassen hatte, rempelte ihn ein kleiner Welpe an. Sofort knurrte er dein Kleinen an, der sich daraufhin voller Ehrfurcht auf den Boden schmiss. „Pass besser auf, wohin du rennst, sonst kannst du das nächste Mal etwas erleben.“ Nach dieser Ansprache ging er weiter, ohne den Kleinen eines weiteren Blickes zu würdigen. Was Jurikin nicht sah, war, dass der kleine Wolf ihn mit einem fragenden Blick beobachtete. ~~~*~~~ You say, "Dreams are dreams. "I ain't gonna play the fool anymore." You say, "'Cause I still got my soul." ~~~*~~~ Er wusste, dass Jurikin ein Einzelgänger war und man vor ihm Respekt haben musste. Aber solche Ansprachen von ihm saßen immer tief. So geschah es, dass sich Jurikin bei dem kleinen Welpen unbeliebt machte, wie bei jedem, den er so begegnete. Nicht nur bei ihm wurde Dunkelheit im Herzen verbreitete, sondern er tat dies auch bei anderen. Beim Höhleneingang angekommen, blieb Jurikin stehen. Er blickte in den finsteren Eingang, der nichts Gutes zu verheißen schien. In dieser Höhle waren Jurikin und seine Geschwister auf die Welt gekommen und dort haben sie die meiste Zeit ihrer Kindheit verbracht. Sie war für ihn immer ein Zufluchtsort gewesen, wenn Xin oder andere Wölfe ihn gehänselt hatten. In ihr konnte er sich verstecken. In ihr konnte er vergessen, wer er war. Sie umgab ihn mit Finsternis, die ihn immer willkommen hieß. Sie ließ ihn in Ruhe und manchmal gab sie ihm sogar das Gefühl, nicht allein zu sein. Doch manchmal kam es dem jungen Wolf so vor, als würde er diese Finsternis fürchten. Jeden Schritt, den er in diese Höhle ging, würde ihn Schmerzen bereiten. Ihn ließ der Gedanke nicht los, dass ihn die Finsternis verschlingen wird oder es gar schon getan hatte. ~~~*~~~ Take your time, baby, your blood needs slowing down. Breach your soul to reach yourself before you gloom. Reflection of fear makes shadows of nothing, shadows of nothing. ~~~*~~~ Abwesend schüttelte Jurikin seinen wuscheligen Kopf. >Das ist alles nur Aberglaube, den ich mir da einpflanze. Das ist nur eine stinknormale große Höhle.< Jurikin schleifte sich in die Höhle hinein. Zielstrebig ging er zum großen Höhlensaal, wo sich Taroxon und die anderen Wölfe schon seit drei Tagen berieten. Als er die gewundenen Gänge der Höhle entlanglief, hörte er vor sich ein leises Knurren. Als er mit gespitzten Ohren näher kam und sich seine Augen an die ausbreitende Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er vor sich einen Wolf. Dieser Wolf kam langsam auf ihn zu. Beim Näher kommen konnte Jurikin erkennen, um welchen es sich handelte. Es war Inark, einer der besten Freunde von Xin. Jurikin warf ihm eine knurrende Begrüßung entgegen, die daraufhin erwidert wurde. Inark und Jurikin konnten sich nicht ausstehen. Schon die Tatsache, dass Inark Xin´s bester Freund war, ekelte ihn an. Nun, so wie es unter besten Freunden ist, teilten Inark und Xin die gleichen Ansichten und die gleichen Hobbys. Immer, wenn Xin Jurikin ärgerte, setzte Inark noch Einen drauf. Jurikin, so stark er auch sein mochte, konnte sich nie gegen die Beiden wehren. Als er noch ein Welpe war, rannte er immer zu seiner Mutter Serina. Doch diese meinte nur, dass sie sich alle vertragen müssten und friedlich miteinander spielen sollten. Doch dies hatte sich nie durchgesetzt, bis heute und in naher Zukunft. Jurikin schritt weiter, ohne Inark eines weiteren Blickes zu würdigen. Er kam am Eingang von Xin´s Teil der Höhle vorbei, doch er blieb nicht stehen um hineinzublicken. Jurikin wusste, dass Inark gerade von seinem Bruder kam. Jurikin ließ sich nichts anmerken und ging weiter zum größten Teil der Höhle. ~~~*~~~ You still are blind, if you see a winding road, 'Cause there's always a straight way to the point you see. ~~~*~~~ Auf seinem Weg dorthin begegnete er keinem anderen Wolf, worüber Jurikin froh war. Er mochte es nicht, wenn ihn die Anderen in diesem erbärmlichen, schwachen Zustand sahen. Endlich kam Jurikin beim großen Raum an. Ein Raunen ging durch die Menge, als er langsam eintrat und rief: „Ehrenwerter Taroxon. Du hast nach mir Rufen lassen?“ Vor ihm bewegte sich eine große Gestalt langsam auf ihn zu. Ein paar Meter blieb sie vor ihm stehen. Es war Taroxon, sein Vater. Der große schwarze Wolf, mit den tiefroten Augen, die jeden Schritt beobachteten und jeden Fehler bemerkten. „Da bist du ja, Sohn. Du hast dir aber ganz schön viel Zeit gelassen. Ich nehme an, Zerisia war gleich bei dir und hat es dir gesagt.“ Jurikin nickte, denn zu reden traute er sich nicht. Doch Taroxon fuhr ungerührt fort. „Gut, lasst uns nun alleine, meine lieben Freunde. Ich kann das mit meinem Sohn selbst besprechen.“ Als er geendet hatte, erhoben sich viele Wolfsleiber um sie herum und trotteten gemütlich nach draußen. Nachdem Taroxon sicher war, dass sie alleine waren und sie auch niemand belauschte, ging er tiefer in den Raum. Jurikin wusste, dass er seinem Vater folgen musste. Ganz hinten setzte sich der große Wolf vor den Kleinen und betrachtete diesen eingehend. In seinem Blick lag keine Liebe oder Zuneigung, doch auch kein Hass oder Verachtung. Es war ein gleichgültiger, tiefer Blick. „Nun, mein Sohn. Ich und die anderen Wölfe haben uns eingehend über den Kampf von vor drei Tagen beraten. Alle denken, dass du ausgezeichnet gekämpft und du Kühnheit und Tapferkeit gezeigt hast. Du hast dich auf deinen Bruder gestürzt, wie ein Tier, dass dem Tode nahe stand. Du hast immer weiter gekämpft, ohne deinen Sieg aus den Augen zu lassen. Du hast keine Gnade gegenüber deinem Bruder walten lassen, der vom gleichen Fleisch und Blut ist, wie du. So soll ein wahrer Alphawolf des nördlichen Finsterniswolfsrudels denken!“ Mit jedem Satz machte Jurikins Herz einen größeren Sprung. >Ja, ich habe ihn gefallen.< War der einzige Gedanke, der ihm immer wieder durch den Kopf spukte. Taroxon fuhr ungerührt fort. „Doch eines war uns ein Dorn im Auge. Du hast zu viel eingesteckt und, das was du ausgeteilt hast, waren zum Teil Glückstreffer und Unachtsamkeiten deines Bruders.“ Jurikin knurrte bei diesen Worten. „Das waren keine Glückstreffer! Ich habe genau gezielt und wollte ihn auch dort treffen. Das Auge ist Beispiel genug. Ich wollte, dass dieser kleine Miesling nichts mehr sehen kann!“ Doch Taroxon überging diese Worte und fuhr fort. „Ja, du hast deinem Bruder das Auge ausgebissen, doch andere töten ihre Geschwister, oder beißen sie halbtot. Dein Bruder war dagegen nur Bewusstlos und konnte sich nicht mehr wehren. Du hättest ihn leicht töten können, doch du hast es nicht getan. Du hast den Kampf für beendet gehalten, als die anderen Wölfe zu Heulen anfingen. Dies zeigt, dass du ein schwaches Herz hast und es nicht über deine Seele gebracht hast, deinen Bruder zu töten oder ihm mehr Schaden zuzufügen.“ ~~~*~~~ Don't try to look so wise. Don't cry 'cause you're so right. Don't dry with fakes of fears, 'Cause you will hate yourself in the end. ~~~*~~~ Nun war Jurikin sauer. Dies sah man ihm auch an, da ihm das Fell vom Leib abstand. „Ich habe ihn nicht getötet, weil ich dachte, dass das für den Sieg reichte. Ich dachte, das Augenlicht sei Strafe genug“, sagte Jurikin mit gefletschten Zähnen. >Er hat sich das alles nur ausgedacht, um mir einen Strich durch die Rechnung zu machen!< Dies stimmte in einer Sicht auch. Taroxon konnte es nicht glauben, dass Jurikin stärker als Xin war, und, dass Jurikin der Nachfolger von ihm werden sollte, konnte er noch weniger glauben. Nachdem Taroxon seinen zähnefletschenden Sohn angeknurrt hatte, hörte dieser beschämt auf zu knurren. „Das sind alles Ausreden. Wir wissen, dass dein Herz in dieser Sache schwach ist, Jurikin. Aber lass dir eins gesagt sein: Wir geben dir eine neue Chance. Eine Chance, um uns zu beweisen, dass du es würdig bist, gegen mich anzutreten und den Platz in diesem Rudel zu übernehmen.“ Nun horchte Jurikin auf. „Was willst du mir damit sagen?“ fragte er skeptisch seinen Vater. Doch dieser lächelte nur und meinte: „Du musst etwas unter meinem Auftrag erledigen. Das sowohl mir als auch dem gesamten Rudel etwas einbringt.“ Jurikin blickte zu Boden. >Etwas erledigen in seinem Auftrag? Was ist das wohl?< Er sprach die letzte Frage laut aus. Taroxon lächelte noch mehr und sagte schließlich: „Jurikin, Sohn von Taroxon, du bekommst den Auftrag die Aufstände im Land Daromi niederzuschlagen. Alle Rudel, die sich mir nicht unterwerfen, musst du auslöschen oder du brichst ihren Willen. Sie sollen alle mir, dem großen Alphawolf, unterliegen. Sie haben ihre Chancen gehabt und sie wollten ja nicht hören. Immer wieder kam es zu Aufständen, die es zu beseitigen gibt. Schaffst du es, Ruhe in diese Rudel zu bringen, ob mit oder ohne Gewalt, so mögest du die Chance bekommen gegen mich anzutreten, um meinen Platz einzunehmen.“ Stille trat in den Raum. Niemand sagte etwas und kein Geräusch außer das regelmäßige Schnaufen beider Wölfe war zu hören. Jurikin konnte es nicht fassen. Er musste Aufstände für seinen Vater beseitigen um diese Chance zu bekommen. Der junge Wolf hatte noch nie gehört, dass das je ein Wolf vor ihm machen musste. Alle bekamen danach sofort die Chance, und er? Jurikin, der Einzelgänger, der anders ist als alle anderen Wölfe, bekam sie nicht? Nun! Er würde es machen, koste es was es wolle. Er wollte unbedingt diese Chance. So sagte er knurrend: „Auf dein Geheiß, Vater. Gebe mir deine besten Krieger und ich werde dir beweisen, was für ein Finsterniswolf ich bin.“ Taroxon nickte seinem Sohn zu. Genau das wollte er von ihm hören. Er glaubte zwar noch immer nicht, dass sein Sohn dies schaffte, doch er glaubte, dass er in der Welt da draußen besser aufgehoben sei. „Nun, die werde ich dir geben. Morgen früh wirst du aufbrechen. Komme mir nicht zurück, bevor deine Mission beendet ist. Jetzt geh und lass mich alleine!“ Dies waren die letzten Worte seines Vaters. Kein schöner Abschied, wenn man bedachte, dass Jurikin eine schwere Reise vor sich hatte. Eine Reise, die sein Leben gewaltig verändern wird. So stand der junge Wolf auf, drehte sich um und kehrte seinem Vater und somit diesem Leben seinen Rücken zu. ~~~*~~~ Don't try to look so wise. Don't cry 'cause you're so right. Don't dry with fakes of fears, 'Cause you will hate yourself in the end. ~~~*~~~ ~~Doch kein Gewinn? ende~~ Wird Jurikin diese Prüfung schaffen? Wie sieht diese Reise ins neue Leben aus? Was für Gefahren liegen für ihn bereit? Der Beginn einer gefährlichen Reise, die alles ändert... Kapitel 3: Verhängnisvolle Jagd ------------------------------- ~~Verhängnisvolle Jagd~~ Jurikin stand am nächsten Tag sehr früh in seiner Höhle auf, um ein bisschen seine Kampffähigkeiten zu erproben. Er ging zu einer Höhle, die extra für das Kämpfen genutzt wurde. Dort angekommen, stellte er erleichtert fest, dass niemand anwesend war. So konnte er ungestört seine Techniken als Finsterniselementwolf verbessern. Diese Fähigkeit war bei ihm nicht gerade gut ausgeprägt, weshalb er sich oft schämen musste und ausgelacht wurde. Doch dies wollte er ändern, und so hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, fast täglich zu trainieren. Trotz seiner Bemühungen musste er jedes Mal aufs Neue mit Bedauern feststellen, dass alles umsonst war. Er brachte es nicht mal zustande den Raum richtig zu verdunkeln. Sein Bruder Xin hingegen feuerte schon mit richtig großen dunklen Kugeln um sich. Dennoch gab Jurikin nicht auf und trainierte fleißig sein Können. Dies beschränkte sich ja nicht nur auf die Elementkraft, sondern auch auf das Kämpfen mit Zähnen und Klauen, das er bei der Jagd benötigte. Gejagt wird bei den Elementwölfen meistes ohne ihre besonderen Kräfte. Dennoch setzten sie sie gerne bei der Jagd ein, wenn die Gejagten zu zäh waren und sich nicht töten ließen. Doch Jurikin wollte heute mal wieder seine Elementkraft trainieren, um für seine Mission vorbereitet zu sein. Er konzentrierte sich auf sein inneres Feuer, unterhalb des Herzens. Dort war der Ursprung aller elementaren Kräfte, die Seelenkraft der Elementgötter. Bei dem jungen Wolf war diese Seelenkraft nicht gerade groß. Wie ein Flackern in der Dunkelheit. Dennoch atmete Jurikin tief ein und aus. Er konnte es genau spüren. Langsam schloss er seine Augen und konzentrierte sich darauf. Er griff, wie mit einer Hand, nach dieser Kraft und zog sie behutsam auseinander. Sie floss gemächlich durch seinen Körper. Es dauerte lange, bis sie jede Ader seines Körpers durchzog. Es war ein dünner Fluss, der jeden Moment versickern könnte. >So, Jurikin jetzt schön langsam diese Kraft bündeln und dann...<, versuchte sich der junge Wolf zu beruhigen. Jurikin blieb noch einige Zeit konzentriert, doch dann ließ er die Kraft nach außen um so einen Nebel um sich entstehen zu lassen. Er warf seinen Kopf nach oben und öffnete seine Augen. Anfangs verdunkelte sich seine Sicht, was in ihm ein Glücksgefühl weckte, doch dann wurde die Sicht schnell wieder klarer. Er hatte es nur geschafft um seinen eigenen Wolfskörper den dunklen Nebel zu verbreiten. „Mist! Nicht mal diese kleine Technik habe ich drauf“, knurrte der Wolf zu sich selbst, als langsam der Nebel erlosch. Der Fluss ihn ihm wurde unterbrochen und begann zu verschwinden. Plötzlich verdunkelte sich erneut seine Sicht. Es machte sich dicker, finsterer Nebel um ihn herum breit. Er konnte keinen Meter weit mehr sehen. Erfreut über diesen Nebel sprang er in die Luft. „Ja ich habe es geschafft!“, rief er durch den Raum. Doch seine Freude blieb nicht lange bestehen. Er spürte, dass es nicht sein eigener Verdienst war. Sein Elementarfluss war schon längst versiegt, und somit konnte er es nicht gewesen sein. Knurrend drehte er sich zum Ausgang um. Jetzt konnte er auch das Schnaufen eines anderen Wolfes wahrnehmen. Wie konnte er nur so dumm gewesen sein und diesen unerwünschten Besucher überhört haben? Langsam lichtete sich der Nebel und der Wolf kam näher. Bevor er diesen sah, roch er ihn auch schon. Jurikin´s Knurren verstummte und er nahm eine abschätzende Haltung an. „Mutter, was hast du hier zu suchen?“, fragte er die schöne Wölfin vor sich, als er sie endgültig sehen konnte. Die Wölfin war etwas kleiner als er selbst. Sie hatte, wie seine Schwester, lila- schwarzes Fell. Doch das Meiste war Lila und das Haar Rosa. Seine Mutter war die Alphawölfin des nördlichen Finsternisrudels und wurde von jedem respektiert. Trotz ihres terroristischen Gefährten ist sie ein herzensguter Wolf. Sie wollte immer das Beste für ihre Kinder, egal, auf welchem Weg. Sie war kein Wolf, der es genoss in der Rangfolge ganz oben zu sein, sondern eine gerechte Alphawölfin. Doch leider besaß sie kaum Anspruch auf das Rudel. Taroxon verbot ihr oft ihre Meinung zu äußern, da er nicht wollte, dass sich Serina einmischte und die Ordnung durcheinander brachte. Serina liebte ihren Gefährten zu sehr, um ihn zu verletzten. Niemand außer sie selbst wusste, was sie genau an ihm liebte. Sie war in dieser Hinsicht, wie Jurikin es oft bemerkte, wie ein Buch mit sieben Siegeln. Jurikin hatte immer eine gute Beziehung zu seiner Mutter gehabt. Doch mit jedem neuen Lebensjahr, fand er sie zu weichherzig. In seinen Augen versteckte sich seine Mutter hinter dem Schatten seines Vaters, doch in Wirklichkeit tat sie dies nicht. „Nun, ich dachte ich könnte meinen Sohn richtig verabschieden, bevor er in den Weiten der Welt spazieren geht“, sagte Serina mit belustigter Stimme. Jurikin konnte es nicht leiden, wenn seine Mutter ihn so ansprach. „Lass das und mach dich nicht lustig über mich. Ich weiß, dass du besser bist als ich, aber hättest du mich nicht einfach in Ruhe lassen können und wie die anderen verabschiedet?“ Ihm passte es gar nicht, dass sich seine Mutter in sein Training eingemischt hatte. Serina seufze. „Ich wollte dich doch nicht verärgern, Jurikin, sondern dir eine Freude bereiten. Ich weiß doch, wie sehr du dich anstrengst. Und da dachte ich mir...“ „Du denkst zu viel Mutter“, unterbrach Jurikin Serina. Diese setzte sich ihm gegenüber hin und blickte zu ihrem Sohn auf. „Mich wundert es, dass du es noch nicht gespürt hast Jurikin“, flüsterte sie zur großen Überraschung ihres Sohnes. Nun war Jurikin neugierig und er setzte sich ebenfalls hin. „Was sollte ich gespürt haben?“. Es entstand eine längere Pause, in der man nur das schwere Schnaufen seiner Mutter und das von Jurikin wahrnehmen konnte. Doch Serina brach das Schweigen nach einer Weile. „Nun ich weiß nicht, ob es stimmt, aber ich glaube die Elementkraft von uns Wölfen schwindet.“ Sofort sprang Jurikin auf. „Was erzählst du denn da? Wenn sie schwindet, dann müssen das schon mehrere Wölfe mitgekriegt haben.“ Er konnte es nicht fassen. Seine Mutter schwafelte etwas vom Verschwinden der Seelenkraft. Wollte sie ihn auf den Arm nehmen? Oder wollte sie ihn damit trösten? „Ich kann dir das nicht glauben und ich werde es auch nicht! So etwas verschwindet nicht einfach. Nur, weil du älter wirst und deine Fähigkeiten langsam zurückgehen, heißt das noch lange nicht, dass das bei allen so ist!“ Serina hatte mit so einer Reaktion gerechnet. Sie schüttelte nur den Kopf. „Ja ich glaube ich werde wirklich älter. Aber ich wollte dir keine Angst machen, Jurikin. Vergiss es einfach, was ich gesagt habe. Ich wollte dich glücklich verabschieden und nicht, dass wir im Streit gehen.“ Daraufhin beruhigte sich der junge Wolf etwas und setzte sich wieder hin. „Vater würde das nicht dulden, wenn du so etwas erzählst.“ Ja, das wusste Serina genau. Taroxon hätte sie angeknurrt und gesagt, nein, gebrüllt, dass sie ihre Schnauze halten sollte. „Dennoch“, so fuhr Jurikin fort „heißt es noch lange nicht, dass du auch mir so etwas erzählen sollst. Aber gut. Ich schätze du hast es nur gut gemeint. Normalerweise brauche ich kein Mitleid, aber, wenn es dich so glücklich macht.“ Er stand auf und schmiegte kurz seinen Kopf an den seiner Mutter, wie er es in seinen jungen Jahren immer getan hatte. Er mochte seine Mutter sehr. Sie war immer für ihn da gewesen, wenn er von seinem Bruder und dessen Freunden gequält wurde. Doch sie hielt nie lange zu ihm. Serina war eine gerechte Mutter und sie liebte nicht nur Jurikin, sondern auch Xin. Sie wollte immer, dass sich die beiden Brüder verstanden, und redete sich häufig ein, dass sie dies auch taten. Als Jurikin seinen Kopf den seiner Mutter zuwandte, stupste er sie kurz mit der Schnauze an der Seite an. Dies war eine freundschaftliche Geste, die seiner Mutter zeigen sollte, dass er sie nie vergessen wird und, dass er dankbar für ihre Führsorge war. Nach dieser Geste, schnaubte Jurikin kräftig durch seine Nase aus. Er hatte schon lange nicht mehr seine Zuneigung für jemanden gezeigt, doch er spürte, dass es nicht von Herzen kam. Er wollte, dass seine Mutter aufhörte, ihn mit traurigen Blicken anzusehen. Dies geschah auch. Serina war zufrieden mit ihrem Sohn und schleckte über seine Schnauze. Doch dieses Mal ließ sich dies Jurikin nicht gefallen. Es war zu viel für ihn. So ging der stolze Wolf einen Schritt zurück, blickte seine Mutter an und ging anschließend aus der Höhle. Die Alphawölfin blieb seufzend in der Höhle zurück. Sie wusste, dass sie Jurikin für eine längere Zeit nicht mehr sehen würde. Doch, wie lange diese Zeit war, wusste sie nicht. Jurikin schritt aus der Höhle. Es war höchste Zeit für ihren Aufbruch in die Weiten des Landes Daromi. Draußen am Kampfplatz warteten schon seine Gefolgsleute und die besten Krieger seines Vaters. Er selbst besaß zehn Jäger, mit denen er immer auf die Jagd ging. Sein Vater gab ihm noch zusätzlich fünf seiner stärksten Jäger und Gefolgsleute. Jurikin betrachtete sie vom Felsen oberhalb des Platzes aus. Er ließ seinen Blick geduldig über die wartende Menge schweifen, als sein Blick plötzlich den von Inark streifte. Jurikin schüttelte seinen Kopf und schritt gemütlich den Weg nach unten. Dort angekommen, ging ihm Inark entgegen. „Was machst du hier? Wieso bist du nicht bei meinem Bruder?“, schoss es aus Jurikin knurrend heraus. Doch sein Gegenüber war davon nicht beeindruckt. Gelangweilt entgegnete Inark: „Ich bin dein persönlicher Babysitter!“ Jurikins Knurren wurde lauter. „Ich brauche dich nicht! Hau ab! Du hast hier nichts verloren!“ Inark legte seinen Kopf etwas schief. „Ich lasse mich nicht von deinem Geknurre beeindrucken. Ich bin auf Geheiß von deinem Vater hier. Er schickt mich, damit ich kontrollieren kann, ob du deine Aufgabe auch wirklich ernst nimmst und auch Erfolg haben wirst.“ >Bestimmt hat ihn mein Bruder vorgeschlagen, so wie ich ihn kenne<, dachte sich Jurikin und diese Vermutung hatte auch etwas Wahres an sich. „Nun, na gut. Aber komme mir nicht in die Quere. Wenn du dies tust, so hat dein letztes Stündlein geschlagen!“, knurrte Jurikin als Antwort, bevor er sich zu seinem Gefolge umdrehte. „Gut, sind alle bereit? Dan können wir ja gehen.“ Gesagt, getan. Jurikin rannte vor allen anderen in den Wald. Er blickte kein einziges Mal zurück. Keinen einzigen Gedanken verschwendete er von diesem Moment an, an sein Zuhause. Für ihn zählte die Zukunft, und, dass er erfolgreich zurückkehrte. So ging der junge Wolf seines Weges, ohne seinem Zuhause nachzutrauern. Er wusste, dass er es längere Zeit nicht mehr sehen würde, doch das kümmerte ihn nicht wirklich. Heimweh kannte er nicht. Doch tief in seinem Herzen wünschte er sich, dass es nie zu diesem Aufbruch gekommen wäre. Er wünschte sich, das volle Vertrauen seines Vaters gewonnen zu haben und ihn in späteren Jahren herausfordern zu dürfen. Doch so war es nicht gekommen und auch ein Wolf durfte Wünsche haben, egal, wie verbissen sein Herz sein mochte. So geschah es, dass Jurikin mit zielsicheren Schritten durch den Wald in Richtung Süden rannte, die leisen Pfotengeräusche seiner Begleiter hinter sich. Die insgesamt 17 Wölfe wanderten fünf Tage durch das eigene Gebiet. Dieses war so groß, dass sie erst am sechsten Tag die Markierungen eines fremden Wolfsrudels aufspürten. Sie passierten die Grenzen und befanden sich im Reich eines kleinen Gemischtrudels wieder. Gemischtrudel gab es viele in diesem Land, doch in diesem gab es meist auch nur normale Wölfe. Elementwölfe entstanden am ehesten, wenn sich auch Elementwölfe zusammen taten. Meistens nahmen die reinen Rudel dies sehr erst. Doch bei den Gemischtrudeln ist dies anders. Jurikin blieb nach ein paar Schritten stehen und sandte ein Heulen aus. Dieses wurde nach wenigen Minuten beantwortet. „Sie sind skeptisch“, sagte ein Wolf hinter ihn. „Nun, das sollten sie auch sein“, antwortete Jurikin gelassen darauf. >Es sind nur ein paar Wölfe, also keine große Herausforderung für uns.< Er rannte weiter in den Wald hinein. Dieses Gebiet war nicht so riesig, wie das des nördlichen Finsterniswolfsrudels und so trafen sie sich nach wenigen Stunden mit den anderen Wölfen. Diese kamen ungefähr zu siebt. >Sie sind uns entgegengelaufen. Sie trauen uns wirklich nicht<, schoss es Jurikin durch den Kopf, als er tief in die Augen des Alphawolfes blickte. „Was wollt ihr in unserem Gebiet, Finsterniswolf?“, knurrte dieser Jurikin entgegen. Soweit es Jurikin sehen konnte, war der Wolf ein Erdwolf. Sein Fell war braun, doch seine Pfoten grün. Dies sind die typischen Farben der Erdwölfe. >Nun Jurikin mach alles richtig und du hast deinen ersten Erfolg sicher!<, beruhigte der Wolf sich selbst. „Nun wir wollen es für uns beanspruchen, natürlich! Entweder ihr ergebt euch freiwillig oder wir müssen euch in den Erdboden stampfen“, forderte Jurikin sogleich und musste über seinen Wortwitz lachen. Nach diesen Wörtern fingen die Wölfe hinter dem fremden Alphawolf zu knurren an und stellten sich in Angriffsposition. Doch deren Alphawolf blieb gelassen und blickte noch tiefer in Jurikins Augen. Dies machte einen guten Alphawolf aus. Er war für jede Situation gefasst. „Ich glaube, da kann ich dir nicht weiterhelfen, Jüngling! Wir geben unser Gebiet ungern an euch Finsterniswölfe ab.“ Diese Beleidigung ließ sich Jurikin ungern gefallen. Sofort ging er seinerseits in Angriffsstellung. Seine Begleiter hinter ihm taten es ihm gleich. „Ich schätze, dass wir dann keine andere Wahl haben, als euch mit Gewalt zu unterwerfen!“ Dieses ganze Gespräch ging sehr schnell. Beide Seiten entschlossen sich für einen Weg und sie machten diese ihrem Gesprächspartner sogleich klar und redeten nicht um den heißen Brei herum. So geschah es, dass sich alle Finsterniswölfe auf die Mischwölfe warfen. Natürlich waren die Mischwölfe schwächer, doch sie kämpften tapfer. Jurikin schnappte sich sogleich den Alphawolf, der trotz seiner elementaren Kraft Jurikin unterlegen war. Jurikin wich elegant den Steingeschossen des anderen Wolfes aus und verbiss sich, nach einem weiteren geschickten Ausweichmanövers, in dessen Kehle. Er kratzte am Körper des kleineren und älteren Wolfes. Dieser brach schließlich unter dem Gewicht seines Gegenübers jaulend und blutüberströmt zusammen. Der Kampf war kurz und gnadenlos. Die Mischwölfe kämpften verbissen, doch es reichte nicht. Von den sieben blieben drei Wölfe übrig. Diese ergaben sich, als sie sahen, wie Jurikin ihren Anführer niederstreckte. Mit eingezogenen Ruten kamen sie vor Jurikin zum Stehen. „Seht ihr. So hätte es nicht enden müssen. Aber gut. Geht zu eurem restlichen Rudel und sagt ihnen, dass sich die Weibchen, die Welpen und die Schwachen zum nördlichen Finsternisrudel aufbrechen sollen. Die Starken werden sich uns anschließen.“ Nach diesem Satz drehte sich Jurikin um und trabte weiter. Er wollte nicht länger an diesem Ort bleiben. Es lagen noch viele Rudel vor ihnen, die unterworfen werden mussten. Mit bedauerndem Blick rannten die drei Wölfe fort, um dem restlichen Rudel die Nachricht zu überbringen. Jurikin bemerkte kaum, dass wie sich Inark zu ihn gesellte „Saubere Arbeit Jurikin. Mach weiter so und wir sind in ein paar Monaten mit den Rudeln durch.“ Hämisch grinsend ging Inark neben ihm. Jurikin schnaubte als Antwort nur und ging seines Weges. Die Leichen von den getöteten Wölfen überließen sie den Raben, die sich freudig darauf stürzten. Die Gruppe aus Jägern wanderte weiter nach Süden. Einmal wendeten sie sich nach Osten, um dort die Rudel abzuklappern und dann wieder nach Westen. Insgesamt, nahmen sie 2 Reinrudel und 4 weitere Gemischtrudel ein. Die Reinrudel waren ein Erd- und ein Wasserelementrudel. Drei dieser Rudel kämpften bitterlich, doch die anderen drei ergaben sich sofort, als sie hörten, wie viele Rudel Jurikin schon eingenommen hatte. Nicht nur diese unterworfenen Rudel erlitten Verluste, sondern auch in Jurikins Gefolge lichtete sich die Anzahl. Er hatte schon einen Kämpfer verloren, und ein weiterer war verletzt worden. Doch Jurikin kümmerte dies wenig. Er ging tapfer seines Weges, bis er zu einem weiteren Reinrudel kam. Dieses Reinrudel war wieder ein Erdelementrudel, die es in dieser Gegend häufig gab. Dort angekommen, wurden sie vom Alphawolf bereits erwartet. Jurikin war dies ganz recht, da er dann nicht nach dem Rudel suchen musste. Anders, als die anderen Alphawölfe, war dieser wesentlich größer und schlanker. >Ich schätze mit Flinkheit kann ich hier nicht punkten<, dachte sich Jurikin und trat aus dem Wald. Der Alphawolf und sein Gefolge taten es ihnen gleich. Das Erste, was dem Rüden ins Auge stach, war die geringe Anzahl des Feindes. Insgesamt standen fünf Wölfe der fünfundzwanzig von Jurikin gegenüber. Jurikins Gefolge bekam durch die Jäger der eingenommenen Rudel Zuwachs. Einige unterwarfen sich widerstrebend, andere wiederum hatten nur auf so eine Chance gewartet. So kam es, dass Jurikin nie zu wenig Wölfe um sich hatte. Lachend umkreisten seine Wölfe die Anderen. „Gleiches Spiel, gleiche Wahl. Wie sieht es aus Alphawolf? Willst du dich mit deinem mickrigen Gefolge ergeben oder sollten wir euch auslöschen?“, fragte Jurikin grinsend. Auf dem Gesicht des Alphatieres breitete sich ein Lächeln aus. „Jurikin, Sohn des finsteren Alphawolfes, glaubst du wirklich, wir ergeben uns so einfach? Nur weil wir Erdwölfe sind und somit auch etwas anders aussehen als ihr, heißt es noch lange nicht, dass wir eine Herrschaft wie die deines Vaters dulden werden!“ Knurrend ging der fremde Alphawolf in Angriffsstellung. Jurikin tat es ihm gleich und rief: „Angriff!“ Sofort sprangen die Wölfe auf ihre Opfer los. Doch zur Überraschung von Jurikin, rannten die fünf Wölfe in den Wald davon. >Feiglinge!<, dachte sich Jurikin, doch da hatte er sich geirrt. Zuerst sah es so aus, als würden sie wegrennen, doch allmählich wurde ihnen allen klar, dass dies Teile eines Plans waren. Mit der Zeit gesellten sich auch andere Wölfe zu den fünf dazu. Jurikin schnupperte in die Luft, um herauszufinden, wer sie waren und nahm einen vertrauten Geruch wahr. Den von Wasser und Nässe. Da wurde ihm klar, dass vor ihm ein Flüchtling aus dem Wasserrudel rannte, das er vor ein paar Tagen eingenommen hatte. >Ah, da hat er sich also versteckt! Mieser kleiner Verräter<, dachte Jurikin mit einem Knurren in der Kehle. „Inark, siehst du den kleinen Wolf vor dir? Folge ihm und bringe ihn zur Strecke! Ich folge dem Alphawolf.“ Inark nickte nur und lies sich zurückfallen. Trotz des Zuwachses waren Jurikins Wölfe in der Überzahl. Zielsicher verfolgte der Finsterniswolf das Alphatier. Als dieser seinen Verfolger bemerkte, schottete er sich von den anderen ab und rannte nach rechts. Jurikin folgte ihm weiterhin. >Na gleich habe ich dich!<. Jurikin behielt Recht. Schon bald war die Hetzjagd vorbei. Zielsicher rannte er durch den Wald, als dieser plötzlich endete und er nur durch eine scharfe Bremsung, dem Sturz in einen Abgrund verhindern konnte. Vor dem geschockten Wolf viel der Boden bergab. Er befand sich über einem 200 Meter tiefen Abhang. Jurikin starrte vor Furcht geweiteten Augen nach unten. „Ist er... gestürzt?“, fragte sich der Wolf laut. „Nein das ist er nicht! Er ist ein Erdwolf, du Dummerchen!“ Blitzschnell drehte sich Jurikin um. Dort, vor ihm auf einem großen Stein, stand Inark und blickte ihn hasserfüllt an. Sogleich knurrte Jurikin: „Was hast du hier zu suchen? Du solltest doch dem Verräter nachlaufen und ihn zur Strecke bringen!“ Inark schüttelte enttäuscht den Kopf. „Ach Jurikin... Dachtest du wirklich ich bin nur zum Spaß hier? Außerdem möchte ich sehen, wie der Loser abloost.“ Mit diesen Worten sprang Inark vom höher gelegenen Felsen ab und auf Jurikin zu. Jurikin, der die Situation zu spät erfasste, stand wie versteinert da. Der Aufprall beider Wolfskörper war so groß, dass Jurikin das Gleichgewicht verlor und mit dem Rücken voran heulend den Abgrund hinunterstürzte. Das Letzte was der fallende Wolf sah, waren die siegessicher und erfolgreich aufblitzenden Augen Inark´s. So kam es, dass Jurikin seinem Schicksal entgegenstürzte. ~~Verhängnisvolle Jagd Ende~~ Wird Jurikin diesen Sturz überleben? Wieso hat ihn Inark verraten? Der Sturz....ein Schups ins Schicksal? Kapitel 4: Wer bin ich? ----------------------- ~~Wer bin ich?~~ Dunkelheit. Dunkelheit und Finsternis überall. Kein Licht, kein Schatten. Nur die Finsternis, die einen verschluckte. Immer rennen. Durch die Dunkelheit rennen. Niemals anhalten, sonst vergisst man zu leben. Oder ist man gar schon tot? Nein! Niemals aufhören zu denken und zu rennen. Er vergaß es nicht und rannte. Er rannte um sein Leben und wusste nicht, warum. Er wusste nicht mal, ob das mit dem Tod stimmte. Doch er rannte. Immer weiter und weiter. Plötzlich tauchte vor ihm ein Licht auf. Abrupt blieb er stehen. Die Angst fiel von ihm und er vergaß zu rennen. Doch der Tod blieb aus und so vergaß er ihn. Das Licht vor ihm war klein. Kaum von Bedeutung. Doch in dieser dunklen Welt fiel es auf und in ihm kamen Gefühle zurück. Schöne und auch traurige. Freude und Glück, aber auch Trauer und Hass kamen in ihn hoch. Doch dieses Licht verbreitete noch etwas in ihn. Es war die Hoffnung. Ohne zu wissen warum, rannte er auf das Licht zu. Immer weiter und weiter. Diese Mal ohne Angst, sondern mit Hoffnung im Herzen. Immer näher kam er es, doch das Licht schien nicht größer zu werden. Keine Zeit zu verrinnen. Alles war wie angehalten. So wusste er nicht, wie lange er lief, bis er ein leises Rauschen vernahm. Das Rauschen wurde lauter, zu einem Flüstern. Er wurde schneller, da das Flüstern vom Licht kam, doch es blieb fern und das Flüstern blieb ein Flüstern. Verwirrt schüttelte er den Kopf und rannte noch schneller. Vergebens. Alles vergebens. Das Licht verschwand langsam. Es wurde kleiner und kleiner und nahm das Flüstern mit sich. Es machte sich wieder Dunkelheit breit, doch dieses Mal war es eine andere Dunkelheit. Sie schien willkommener und freundlicher zu sein. Plötzlich spürte er einen Schmerz im Brustkorb und öffnete schlagartig die Augen. „Hey, du!“, kam es von oben auf ihn herab. Verwirrt hob er den Kopf, den er anschließend wieder hinlegte, da ihm alles weh tat. „Hey, du, wach auf“, kam es erneut von oben. „Du Schlafmütze kannst doch nicht am helligsten Tag schlafen! Außerdem blutest du und hast viele Schrammen.“ Ein Seufzen entströmte der schmerzenden Kehle des Angesprochenen. Langsam hob er seinen Kopf und anschließend seinen verschrammten, schmerzenden Körper. Ihm wurde kurz schwindlig, doch das schüttelte er ab. Vor sich nahm er eine verschwommne Gestalt war. Als er halbwegs stand, setzte er sich hin, um einen klaren Kopf zu bekommen. Dies wirkte auch. Nach wenigen Sekunden begann sich seine Sicht wieder zu klären. Nun konnte er diese verschwommene Gestalt besser sehen. Vor ihm saß aufrecht ein Wolf. Nein, es war kein Wolf. Erst beim zweiten hinsehen bemerkte er, dass es eine Wölfin war. Sie war grau, mit braunen Flecken im Fell. Einer ging um ihr rechtes Auge, der andere bedeckte ihre rechte Vorderpfote, wiederum einer färbte ihre Schwanzspitze braun und der größte von allen war ein halbmondförmiger Fleck auf ihrem Rücken, den er nur undeutlich sehen konnte. Die Wölfin war höchstens 5 Jahre alt. Sie blickte ihn mit schiefen Kopf verspielt an. „Ich musste ganz schön schreien und einmal auf deinen Bauch springen, damit du wach wirst. Ich hoffe, dass ich dir nicht den Magen durcheinander gebracht und vor allem keine Rippen gebrochen habe“, sprudelte sie los, sodass er Mühe hatte, ihr zu folgen. „Äh ja...“ waren seine ersten und einzigen Wörter, die er herausbrachte. „War ein ganz schöner Sturz, den du da erlitten hast, also, falls du von da oben kamst, was ich glaube“, redete sie einfach weiter, „Ich wollte da schon immer mal hinunterpurzeln, aber habe es mir nie richtig getraut. Die anderen haben mich immer davon abgehalten. Aber nun, du kannst mir ja erzählen wie es war!“ Nun blickte sie ihn mit interessiertem Blick an. >Träume ich nur oder ist sie selbst auf den Kopf gefallen?<, schoss es ihm durch den Kopf. „Ähm, also ich an deiner Stelle würde das nicht machen.“ Er blickte den steilen Abhang hinauf. Dieser führte über 200 Meter nach oben, bevor er endete. >Von da soll ich heil nach unten gefallen sein... Aber wieso?< „Danach tut dir alles weh. Aber, wie der Sturz im Allgemeinen war, kann ich dir nicht sagen. Ich weiß es nicht mehr“, flüsterte er schon fast, da er angestrengt versuchte sich zu erinnern. Daraufhin legte die fremde Wölfin ihren Kopf noch schiefer. „Mh, ist ja egal! Mein Name ist Kora. Und wie lautet deiner?“ Nun war er überfragt. „Mein... Name?“ Die Wölfin nickte aufgeregt. „Ja ja. Genau, dein Name.“ „Nun mein Name ist... ich weiß ihn nicht mehr“, gestand er ihr schüchtern. Er wusste ihn wirklich nicht mehr, oder hatte er überhaupt einen Namen? „Oh schön dich kennen zu lernen ‚Ich weiß ihn nicht mehr’! Das ist aber ein eigenartiger Name“, sagte die Wölfin mit einem Kichern und meinte es offenbar Ernst. „Nein, du verstehst mich falsch. Ich kann mich an meinen Namen nicht mehr erinnern. So wie ich mich an den Absturz nicht mehr erinnern kann.“ Nun war die Wölfin selbst verwirrt. „Du heißt gar nicht ‚Ich weiß ihn nicht mehr’?“ Er schüttelte seinen Kopf. „Oh, dann haben wir ein Problem.“ Es entstand eine längere Pause, wo Kora traurig den Felsen hinter dem jungen Wolf anblickte. Nach einer längern Zeit glaubte er, sie sei eingeschlafen, doch dann sprang sie überrascht auf und ging auf ihn zu. Kora betrachtete ihn genau. Er hatte schwarzes, dunkelblaues und dunkelbraunes Fell, sowie dunkelblaues Haar. Der weiße Punkt und die weiße linke Hinterpfote mochten zu seinem finsteren Auftreten nicht so recht passen. „Nun, wenn du dich nicht mehr erinnerst, so müssen wir dir einen neuen Namen geben“, sagte sie und blieb vor seinem Gesicht stehen. „Ich werde das tun, aber nur, wenn du willst“, den letzten Teil fragte sie schon etwas kleinlaut. Kora blickte erwartungsvoll in seine Augen. Nach längerer Zeit, in der er seine Verwirrung bekämpfte, nickte er. „Ähm, lass mal überlegen...“, nun entstand eine weitere Pause, in der sie ihn tief in die Augen blickte. >Irgendwie ist mir diese Wölfin unheimlich<, schoss es ihm durch den Kopf. „Yen“, schoss es aus ihrem Maul. „Wir nennen dich Yen!“ Sichtlich zufrieden trabte sie von ihm weg. „Yen“, wiederholte der junge Wolf. Zuerst klang der Name komisch in seinem Mund, doch, je öfters er ihn aufsagte, desto besser gefiel er ihm. Nach einiger Zeit nickte er. „Ja, Yen ist ein toller Name für mich. Danke, Kora.“ Sichtlich stolz auf ihre Leistung sprang Kora in die Luft. „Nun gut, Yen. Wie du aussiehst, hast du bestimmt einen Riesenhunger.“ Yen war überrascht, wie schnell diese Wölfin das Thema wechseln konnte. Genau in diesem Moment knurrte sein Magen und er musste schüchtern den Kopf nicken. „Ja, den habe ich wohl.“ Sichtlich zufrieden mit dieser Reaktion stand sie auf. „Nun, dann lasst uns Sanja und Manain bei der Jagd helfen. Ich sollte das eigentlich schon längst tun, aber da fanden wir dich und ich beschloss, bei dir zu bleiben, bis du aufgewacht bist. Doch jetzt können wir beide ihnen ja zur Pfote gehen. Aber wie ich sehe, bist du noch nicht so ganz fit. Du solltest lieber langsam mitgehen und zuschauen. Mit ein paar Erdbrocken haben wir den Hasen gleich“, sprudelte Kora erneut los und ging langsam Richtung Wald, der sich nach den Felsen und der öden Steppe aufmachte. Schwerfällig erhob sich Yen. Bevor er Kora folgte, blickte er noch einmal den Felsen hinauf. Er wirkte groß und beängstigend zugleich. Als ihn eine Felszunge auffiel, überkam ihn ein Schauer, ohne, dass er wusste, wieso. Blitzartig drehte er den Kopf herum und schüttelte sich. Anschließend folgte er Kora humpelnd, die es lustig fand anstatt geradeaus zu laufen, durch die Gegend zu hüpfen und ab und zu einem Schmetterling hinterher zu jagen. Doch sie vergaß nie ihren neuen Freund und kam immer wieder mit führsorglichem Blick zurück. Plötzlich vernahmen sie ein Heulen vor sich. „Oh, das ist Sanja! Sie haben einen aufgespürt. Los, beeil dich, ich will mithelfen bei der Jagd“, japste Kora vor Freude und begann schneller zu laufen. Yen, dem es nun besser ging, konnte mit ihr bequem Schritt halten. „Sie kommen auf uns zu. Sie treiben die Beute in unsere Richtung“, kam es von der Wölfin, der man ansah, dass sie sich auf die bevorstehende Jagd freute. Nach einigen Metern vernahmen sie vor sich das Traben von leisen Wolfspfoten und das Schnaufen ihrer Besitzer. Nun rochen sie sie, da sich der Wind gedreht hatte. Genau in diesem Moment sprang Kora nach vorne und eine ein Meter hohe Erdmauer entstand vor ihm. Überrascht trat Yen einen Schritt zurück. >Was... was ist das?<, dachte er sich und ging mehrer Schritte verängstigt zurück. Kora bemerkte dies nicht, weil sie sich um ihre Beute kümmerte, die nun versuchte, einen Fluchtweg an der Erdmauer entlang zu finden. Knurrend sprang sie auf den Hasen zu und jagte ihm nach. Die Mauer verschwand und zwei weitere Wölfe tauchten hinter Kora auf. Sie waren ebenfalls grau, doch mehr konnte Yen nicht erkennen. Er blieb wie angewurzelt stehen und rührte sich nicht mehr. Yen vernahm weder das triumphierende Aufjaulen Koras noch den Todesschrei des Hasen. Einige Zeit verging, als er endlich wieder zu Atem kam. Ihm hatte diese plötzlich auftauchende und gleich wieder verschwindende Mauer so sehr geschockt, dass er kaum bemerkt hatte, wie das Atmen bei ihm ausfiel. Nun vernahm er auch, wie sich die siegreichen Wölfe ihm näherten. Von Weitem konnte er schon Koras aufgeregte Stimme hören, die berichtete, wie sie ihn gefunden, aufgeweckt und anschließend einen neuen Namen gegeben hatte. Als sie an der Stelle mit den Namen ankam, waren sie bei Yen angekommen. „Nun, und ich gab ihm schließlich den Namen Yen. Keine Ahnung wieso, aber ich finde er passt und Yen ist meiner Meinung. Oh, da ist er ja. Hallo Yen!“ schrie sie und kam mit großen freudigen Sprüngen näher. Als sie bei ihm ankam, sprang sie einmal um ihn herum und wartete, mit dem Schwanz wedelnd auf ihre anderen Freunde. Nun konnte er die zwei Wölfe genauer erkennen. Der eine war ein Weibchen und der andere ein Männchen. Das Weibchen war älter als Kora. Yen schätzte sie auf 7 Jahre, die ausgewachsen und größer als Yen war. Sie hatte graues Fell, wie Kora. Ihr links Ohr war weiß, sowie ihr Rücken. Der andere Wolf war ebenfalls grau. Er hatte eine schwarze Brust und sein linkes Hinterbein war auch schwarz. Dieser dürfte 6 Jahre alt sein und war etwas kleiner als Yen. „Yen, darf ich dir Sanja und Manain vorstellen? Sind beide ganz nette Wölfe“, stellte Kora sie vor. „Ach, du bist endlich aufgewacht. Dachten schon, du seihst tot“, sagte Sanja kichernd und ging zu ihm. Manain, der den Hasen im Maul trug, blickte ihn neugierig an. Yen betrachtete die Wölfin. „Wie man sieht, weile ich noch unter euch. Bis auf ein paar Schrammen geht es mir gut.“ Daraufhin musste Sanja wieder lachen. „Nun gut. Lasst uns zurück zu dem Fluss gehen, wo wir dann den Hasen fressen können.“ Gesagt, getan. Langsam, damit Yen mitkam, trabten die vier tiefer in den Wald hinein. Kurze Zeit später konnte Yen den Fluss rauschen hören. Bald kamen sie auch dort an, woraufhin Manain den Hasen fallen ließ. Alle drei stürmten sofort auf den Hasen los. Diese Reaktion verwirrte Yen etwas, da ihm sein Instinkt sagte, dass immer zuerst der größere und stärkste Wolf fressen durfte. Doch den dreien schien das wenig zu kümmern. Um auch etwas von dem Hasen abzubekommen, gesellte er sich zu ihnen. Er biss seine Zähne herzhaft in das magere Fleisch. Nach wenigen Minuten waren die Knochen blank gelegt. Zufrieden nahm sich jeder einen Knochen und legte sich hin, um auf diesen herumzukauen. Währenddessen betrachtete Yen seine Umgebung. Sie befanden sich auf einer kleinen Lichtung, die auf einer Seite an einem kleinen Fluss endete und auf den restlichen Seiten an einem Wald grenzte. Leise zwitscherten die Vögel in den Bäumen und die Bienen gingen summend ihrer Arbeit nach. Dies war ein fröhlicher und schöner Ort. Niemand war nach dem Mahl richtig satt geworden, doch dies war Alltag bei so einem kleinen Rudel, wie es diese drei waren. Als die größten Knochen auch verputzt wurden, stand Yen auf, um im Fluss zu trinken. Nachdem er fertig war, ging Sanja auf ihn zu. „Yen, sag uns doch mal, wieso du diesen Abhang hinuntergestürzt bist“, fragte sie und blickte tadelnd zu Kora hinüber. Yen, den diese Frage kaum verwunderte sagte: „Ich kann euch das gar nicht richtig erklären. Denn ich kann mich an alles, bevor ich aufgewacht bin, nicht mehr erinnern. Alles ist weg... von einem dicken Nebel umhüllt. Ich weiß, dass es da ist, aber ich erinnere mich nicht. Außerdem wüsste ich auch gerne, wieso ich von da oben heruntergefallen bin.“ Als er dies sagte, blickte er besorgt sein Spiegelbild im Wasser an. >Woher kam ich nur? Wieso bin ich diesen Abhang hinuntergestürzt? Wie war mein Leben davor? Wie heiße ich eigentlich richtig?< Diese Fragen und noch viele mehr spukten in seinem Kopf herum. Es blieb längere Zeit still. Nach einigen Minuten erhob sich Manain und ging zu Yen. Er stellte sich neben ihn und blickte ebenfalls in den Fluss, um sein Spiegelbild darin zu beobachten. „Nun, das Leben ist wie ein Fluss, Yen. Es fließt immer weiter und weiter und niemals zurück. Man kann nicht in die Vergangenheit zurückkehren, so gern man auch will. Du wirst dies alles vergessen haben, doch, aber ich bin mir sicher, dass du all diese verlorenen Gedanken zurückbekommen wirst. Mit der richtigen Einstellung natürlich“, sagte Manain, woraufhin Yen ihn überrascht ansah. Dies waren die ersten Worte, die der kleinere Wolf sagte. Die Worte waren tiefgründig und berührten Yens Herz. Gerührt senkte er den Kopf. „Danke, Manain“, nuschelte er dann. Manain nickte nur mit den Kopf und erklärte: „Lass dir eines sagen: Du darfst es nicht erzwingen, diese Gedanken wieder zu erlangen. Sie kommen, wann sie wollen, nicht, wann du sie brauchst oder haben willst.“ Mit diesen Worten drehte sich der graue Wolf um und ließ sich wieder in das Gras fallen. Daraufhin kam Kora zu ihm und stupste ihn freundschaftlich in die Seite. „Das, was Manain sagt, darfst du ihm ruhig glauben“, erklärte sie, obwohl sie wusste, dass Manain sie hören konnte, „Er redet zwar nicht viel, doch das Wenige, was er sagt, ist von Bedeutung.“ Yen nickte. „Nun, ich werde mir deine Worte zu Herzen nehmen, Manain. Dankeschön, dass ihr mir geholfen und mich in eurer Rudel aufgenommen habt.“ Nun war es an Sanja, Manain und Kora Yen verwirrt anzustarren. Dieser blickte in ihre Gesichter und fragte vorsichtig: „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Er legte seinen Kopf schief. Sanja trat einen Schritt auf ihn zu. „Wir sind kein Rudel, Yen. Rudel sind viel größer. Wir drei haben uns gegen ein Rudel entschieden, aus verschiedenen Gründen, musst du wissen“, sagte sie mit fester und stolzer Stimme, „Deswegen haben wir dich so leicht aufgenommen, weil du auch ein Rudelloser bist, so wie wir.“ Nun war es an Yen verwirrt zu fragen: „Kein Rudel? Das ist ja komisch. Aber wieso, wenn ich fragen darf? Hat man euch verstoßen?“ Kora setzte sich vor ihn und beantwortete seine Fragen: „Ja, wir wurden verstoßen. Alle aus verschiedenen Gründen, die ich jetzt nicht aufzählen möchte. Nun, und nach dieser Verstoßung, hatten wir keine Lust mehr, in einem Rudel zu sein. Die Sitten sind zu stark und wir zu schwach oder zu dickköpfig, sie zu akzeptieren. Deswegen haben wir uns getrennt und sind wenig später auf andere gestoßen, die die gleiche Meinung hatten, wie man selbst. So haben wir beschlossen, uns zusammen zu schließen, da man alleine als Wolf nur schwer zurechtkommt, ohne diese Rudelregeln und frei zu leben, wie jeden es genügt. Wir akzeptieren einander und halten zu jedem. Wir wandern gemeinsam durch die Welt und meiden andere Rudel, doch nicht ihr Gebiet, da wir denken, dass eine bestimmte Region einem Rudel nicht alleine gehört. Wir sind sozusagen freie Wölfe.“ Nach dieser Ansprache blieb es längere Zeit still. Yen wusste nicht, was er antworten sollte. In seinem Inneren spürte er, dass es falsch war, so zu denken. Er war eben ein waschechter Wolf und das Streben nach einem Rudel saß in ihm. Doch er schüttelte verständlich den Kopf. „Freie Wölfe also? Dann will ich mit euch ein freier Wolf sein!“ >Nicht umsonst bin ich diesen Abhang hinuntergestürzt. Alleine komme ich hier nicht zurecht<, dachte er sich und sagte den Anderen: „Ich werde solange ein freier Wolf sein, bis ich mein eigentliches Rudel gefunden habe.“ Nun sprang Kora auf und trat freudig vor Yen. „Ich schätzte, du darfst bei uns bleiben!“ Zufrieden mit sich selbst ging Yen vom Fluss fort, um sich ein stilles Plätzchen zum Schlafen zu suchen, da er noch nicht ganz auf den Beinen war. Bevor er in einen Tiefschlaf überging, riss es ihn aus dem Schlaf. Er vernahm ein dumpfes Geräusch und blickte auf. Er sah Kora, die vor einem schwebenden Stein stand. Geschockt sprang Yen auf und blickte sie an. Noch immer verweilte dieser in der Luft. Sich der Gefahr bewusst, rannte Yen nach seiner Starre auf Kora zu. „Vorsicht!“, schrie er und stieß sie auf die Seite. Beide kamen auf den Boden auf, sowie auch der Stein. Verwirrt stand Kora auf und schüttelte sich. Yen tat es ihr gleich und blickte mit vor Angst geweiteten Augen den Stein an. „Wieso hast du das getan? Ich war gerade so richtig in Fahrt und du musstest mich bei meinem Spielchen stören.“ Yen wandte den Blick nicht vom Stein ab. „Der hätte dich umbringen können!“, flüsterte er dann und blickte in Koras Augen. „Ach, Quatsch! Das war doch ich selber. Ich weiß doch, wie ich meine Kräfte einsetzen kann und wie nicht!“ Nun hörte man, dass Kora leicht genervt war und Yen anknurrte. Dieser ging mit aufgerissenen Augen einige Schritte zurück. „Aber... aber... wie kannst du das gewesen sein?“ Kora hörte sofort auf zu knurren und setzte sich hin. „Tut mir leid, ich habe ganz vergessen, dass du dein Gedächtnis verloren hast“, entschuldigte sie sich bei ihm und blickte auf den Boden. „Nun, ich will es dir erklären. Weißt du denn nicht mehr, dass es auf dieser Welt nicht nur normale Wölfe, sondern auch Elementwölfe gibt, die die Elemente beherrschen können? Ich bin so ein Elementwolf und kann die Erde bändigen.“ Yen wurde nun einiges klar. „Die Erde bändigen? Also, das ist ja echt... klasse.“ Er wusste nicht, wie er mit dem Gedanken klar kommen sollte. Aber tief in seinem Inneren hatte er gewusst, dass es solche Wölfe gab. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr kamen ihm die Gedanken dazu zurück. „Ah, ach so ist das. Ich weiß es wieder!“ rief er freudig und sprang auf. „Die Götter gaben uns ihre Seelenkraft, damit wir uns gegen die anderen Tiere behaupten können.“ Nun sprang auch Kora auf. „Ja, du hast dein Gedächtnis wieder! Und wie heißt du wirklich?“ „Nein nein. Mir ist nur gekommen, dass es Elementwölfe gibt und das mit den Göttern und der Seelenkraft. Dort hat sich der Nebel gelichtet und ich weiß es wieder. Der Rest ist weiterhin verschleiert“, sagte Yen sogleich und setzte sich wieder hin. „Oh, wenn das so ist. Nun aber sind wir mal froh, dass du das wieder weißt und...“, sie brach mitten im Satz ab und blickte starr geradeaus. Sanja bemerkte dies sofort und eilte zu ihr. „Kora was ist los?“ „Da... da kommen Wölfe auf uns zu. Drei Stück, wenn ich mich nicht täusche. Ich spüre sie, wie sie rennen. Sie sind nur noch wenige Meter von uns entfernt! Schnell in den Fluss, damit sie uns nicht finden“, rief Kora sogleich und sprang zuerst in den besagten Fluss. Zum Glück war dieser flach und die Wölfe konnten bequem darin laufen. Nach wenigen Metern kurzem Sprint, blieb Yen stehen. Er hatte ein komisches Gefühl im Bauch. „Kora! Rennt ihr schon mal vor. Ich folge euch gleich. Ich muss noch etwas erledigen“, schrie er nach vorne und sprang zurück. Kora nickte nur und brachte sich in Sicherheit. Sie hatte Angst vor diesen Wölfen, obwohl sie nicht wusste, warum. Es waren nur drei, doch sie waren groß und bestimmt stark. Das hieß für sie, dass sie es nicht mit ihnen aufnehmen konnten. Yen war unterdessen wieder zurück zu dem Platz gesprintet. Dort blieb er weiterhin im Wasser und versteckte sich hinter einen Stein. Wenige Sekunden später trafen auch die drei Wölfe ein, von denen Kora gesprochen hatte. „Halt! Ich rieche etwas!“, sagte der Größere von den dreien. Es war ein schwarzer Wolf mit grauer Brust. Die anderen beiden waren durchgehend grau, mit ein paar schwarzen Unterbrechungen im Fell. Sofort blieb die Kompanie stehen und beugte ihre Köpfe, um den Boden abzuschnuppern. Der große Wolf hob knurrend die Schnauze. „Hier sind zu viele Gerüche und der Gestank von Blut schwebt auch in der Luft. Lasst uns weiter zum Abgrund gehen. Wir haben keine Zeit, dieses Rudel aufzuspüren.“ Die anderen Beiden stimmten zu und jagten mit ihm davon. Yen folgte ihnen leise im Unterholz, um nicht entdeckt zu werden. In Yen machte sich ein ungutes Gefühl breit. >Zum Abgrund? Die wollen doch nicht etwa zu mir?<, dachte er sich und schlich den Wölfen hinterher. Er wusste nicht, wieso er diese Dummheit beging. Vielleicht, weil er hoffte, etwas über sein früheres Leben zu erfahren und seine Gefühle ihm zeigten, dass diese Wölfe etwas damit zu tun hatten. Immer weiter gingen sie, bis sie an dem Abgrund ankamen. Dort wanden sie sich nach rechts, bis sie zu der Stelle ankamen, wo Yen wenige Stunden zuvor noch gelegen war. Yen blieb im Unterholz des Waldes und blickte die drei abwartend an. Diese senkten ihre Köpfe, um den Boden abzuschnuppern. „Nun, er lag eindeutig hier. Viel Blut hatte er nicht verloren. Also einige Schürfwunden. Aber ich schätze, dass er sich nach diesem Abgrund sowieso das Genick gebrochen hat. Das, was mir aber Sorgen bereitet ist, wieso er nicht mehr da liegt!“, sagte der größere Wolf mehr zu sich, als zu den anderen. „Hier, ich habe eine andere Spur gefunden!“, rief nun einer der Kleineren. „Sie kommt von einer Wölfin. Anscheinend hat sie ihn gefunden und ihn von hier fortgeschleppt. Seht euch nur diese Schleifspuren in der Erde an. Die können nur von einem toten Wolf stammen, der von einem anderen Wolf gezogen wurde.“ Der dunkle Wolf gesellte sich zu ihm und blickte ebenfalls den Boden an. Skeptisch hob er den Kopf. „Nun, hoffen wir mal, dass er tot ist. Es besteht eine große Chance, dass er tot ist. Dieser Abgrund und diese Schleifspuren können Beweis genug sein. Das dürfte ihn zufrieden stellen. Gut gemacht!“, lobte er den Wolf, der daraufhin freudig einen Satz auf die Seite machte. „Aber ich schätze, wir lassen diese kleinen Unannehmlichkeiten beim Erzählen weg. Vergesst, dass hier wenig Blut liegt und haltet die Klappe. Überlasst den Rest einfach mir. Er wird schon gestorben sein“, sagte der große Wolf und wandte sich nach Westen. „Nun, lasst uns aufbrechen. Ich möchte noch vor der Nacht beim Rudel ankommen. Sonst wird er noch denken, dass wir uns verlaufen haben und uns auslachen.“ Nach diesen Worten sprinteten die drei Wölfe los. Yen blieb alleine zurück im Gebüsch. Verwirrt starrte er auf die Stelle, wo er vor Kurzem aufgewacht war. >Sie haben mich gesucht, aber warum? Was habe ich getan, dass ich so wichtig bin, dass sie meine Leiche auffinden wollen, um sich zu vergewissern, dass ich wirklich tot bin. Und wer waren diese Wölfe überhaupt?< Verwirrt schüttelte er den Kopf und blickte in den Himmel. Längere Zeit blieb er so sitzen. Der Himmel verdunkelte sich allmählich, bis langsam die Sonne gänzlich untergegangen war und der Mond sich langsam zeigte. In dieser Nacht schien der Mond ganz hell. Es war Vollmond. Traurig blickte Yen ihn an. „Wer bin ich?“, fragte er diesen. Als er keine Antwort bekam, heulte er alle Traurigkeit in den Himmel, die er in sich hatte. ~~Wer bin ich? Ende~~ Woher kamen die drei Wölfe? Kora, Sanja und Manain, ein Sprung in die Freiheit? Wird Yen sein wahres Ich je wieder finden? Ein riesiges Loch im Gedächtnis, das gefüllt werden will, es aber nicht kann... Kapitel 5: Abschiedsgeheul und ein neues Band --------------------------------------------- ~~Abschiedsgeheul und ein neues Band~~ Immer lauter wurde das Geräusch und immer schneller rannte das Rentier um sein Leben. Sein Atmen wurde immer schneller und lauter, sodass es für die Wölfe, die ihm hinterher jagten leichter wurde, ihm zu folgen. Immer näher kamen die lauten Wolfspfoten dem Rentier. Eine Gruppe von vier mageren Wölfen. „Kora und Yen. Ihr beide greift von der Seite an! Kora, vergiss die Erdwand nicht!“, rief die Wölfin Sanja zwei Wölfen zu, die sich daraufhin von der Gruppe abspalteten und in den Wald tauchten. Yen rannte schräg nach rechts. Er hatte vor, auf das Tier zu springen, falls dieses, von der Erdwand erschrocken, in seine Richtung lief. Langsam stieg der Boden unter ihm an. Sein Weg führte ihn einen kleinen Berg hinauf, wo er anschließend an einem steilen Abgrund entlanglief. Unter sich konnte er Sanja, Manain und das Rentier laufen hören. Ihren keuchenden Atem hörte er selbst hier oben. Yen rannte an vielen Bäumen vorbei und musste über einige Wurzeln springen, da diese seinen Weg versperrten. Im Land Daromi gab es viele Wälder mit großen Bäumen, vor allem, wenn man sich im Bereich der Erdwölfe aufhielt, wie es die vier Wölfe gerade taten. Auch musste Yen über einen Bach springen, der in einem kleinen Wasserfall den Abgrund links neben ihm herunter floss. Doch Yen bemerkte von dem allem nichts. Er hatte nur sein Ziel vor Augen und dies war, das Rentier zu erlegen, damit sie nach tagelangem Hungern endlich wieder etwas Festes zwischen den Zähnen hatten. Es waren schon mehrere Tage vergangen, seit sie ihre letzte große Mahlzeit eingenommen hatte. Einmal fand Kora einen kleinen toten Vogel, der aber ihre Bäuche nicht so recht füllen wollte. Immer mehr hatte sich Yen in die Gruppe eingewöhnt und sich damit abgefunden, dass er sein Gedächtnis durch den angeblichen Sturz verloren hatte. Immer weiter führte Yens Weg den Abgrund entlang. Er hielt einen großen Abstand zu dem Abhang, da er Angst hatte, hinunterzustürzen. Seit er aufgewacht war, verspürte er immer diese Angst, wenn er sich Abgründen näherte. Dies hatte höchstwahrscheinlich damit zu tun, dass er vor dem Gedächtnisverlust einen solchen hinuntergestützt war. Doch Yen ließ sich nicht beirren. Hier lang ihr nächstes Essen auf dem Spiel und er durfte sich nicht von dieser Angst einschüchtern lassen. Yen schüttelte seinen Kopf und rannte weiter. Sein Weg begann nun wieder abzufallen und das brachte ihn somit näher an sein Ziel. Alle warteten auf sein Zeichen, das er geben musste, wenn er eine günstige Stelle zum springen gefunden hatte. >Noch ein kleines Stückchen und dann kann ich mich auf es stürzen!<, dachte sich Yen und ihm lief schon das Wasser im Maul zusammen, als er das Rentier vor sich sah. Als die richtige Stelle gekommen war, heulte er kurz unterm Rennen. Dies war das Signal und die anderen wussten sofort, was sie zu tun hatten. Vor dem Rentier erhob sich plötzlich ein Erdwall und es wich nach rechts, genau in seine Richtung, aus. Als das gejagte Tier auf seiner Höhe war, sprang Yen vom Abhang herunter und stürzte sich auf dieses. Er verbiss sich in den Hals und konnte dessen Blut auf seiner Zunge spüren. Dies machte ihn noch wilder und er verfestigte seinen Biss. Das Rentier wollte ihn unterdessen abwerfen, doch es gelang ihm nicht und rannte weiter. Da bemerkte Yen, dass er nicht die Kehle erwischt hatte. >So ein Mist!<, dachte er sich und versuchte, das Rentier zum Stürzen zu bringen. Hinter sich hörte er schon die anderen und neben sich war der Erdwall, der unbekümmert weiterlief, damit das Rentier nicht ausbrach. Plötzlich wurde der Wall niedriger und das Huftier sprang darüber. Genau in diesem Moment verbiss sich Sanja in die Hinterläufer des gejagten Tieres. Manain setzte zu genau denselben rettenden Versuch an, doch, bevor er richtig zubeißen konnte, erwischte ihn der Huf des Rentiers am Kopf. Jaulend flog er durch die Luft und landete unsanft am Boden. Yen und Sanja ließen trotz des Spektakels nicht los und das Rentier wurde immer langsamer und langsamer. Nun begann der Erdwall von neuem sich zu erhöhen und schloss das Beutetier ganz ein. Yen, der wusste, was mit dieser Geste gemeint war, nutze die Chance der Unachtsamkeit des Tieres und verbiss sich nun gänzlich in seine Kehle. Das Rentier bekam keine Luft mehr und sackte zusammen. Sanja ließ von den Hinterläufern ab und das Rentier starb. Vorsichtig legte Yen den Kopf des toten Tieres auf den Boden und hechelte. Blut rann ihm über die Lefzen, doch das bemerkte er kaum. Der Erdwall verschwand und gab die Sicht auf Kora frei, die bei Manain stand. Manain erhob sich zitternd und blickte das Rentier an. Er knurrte und schnaubte vor Verachtung. Der schwarze Wolf hatte den Huf nicht direkt aufs Gesicht bekommen, sondern er war abgeprallt und anschließend auf seine Schulter gestoßen, wo er seine Knochen angebrochen hatte. Dies hatte zur Folge, dass Manain nicht mehr richtig stehen und laufen konnte. „Hat mir dieses... dieses Tier doch glatt die Schulter gebrochen!“, brach Manain die Stille und leckte über seine Lefzen. „Und am Kiefer hat es mich auch noch erwischt. Na, diesen Leckerbissen lasse ich mir nicht entgehen. Der war teuer zu holen.“ Noch einmal leckte er über seine Lefzen und schleppte sich langsam unter großen Anstrengungen zu dem toten Tier und begann zu fressen. Yen blickte Kora besorgt an. Diese zitterte und zog den Schwanz ein. „Manain... es war meine Schuld. Es tut mir Leid. Die Mauer... sie ist einfach verschwunden. Meine Kraft hat da einfach versagt. Ich weiß nicht warum. Es tut...“ „Kora, hör auf dir die Schuld zu geben und komm her und friss!“, sagte Manain und fraß weiter. Kora warf einen hilfesuchenden Blick zu Yen. Der kam auf sie zu und schleckte ihr als freundschaftliche Geste über das Gesicht. „Mach dir nichts daraus. Du kennst doch Manain. Er ist ein stiller, aber harter Bursche. Er wird es schon überleben. So, wie es aussieht, ist seine Schulter ja nur angebrochen. Komm fressen.“ Die junge Wölfin fiepte dankbar und ging zum Rentier, um es ebenfalls zu verspeisen. Sanja gesellte sich auch zu ihnen und fraß dankbar. Als alle vier Wölfe satt waren, gingen sie ohne ein Wort zu der Wasserstelle, wo sie schon seit zwei Tagen schliefen. Dort war es friedlich und sicher und sie konnten für eine Weile ihre Sorgen vergessen. Schon seit über einer Mondphase war Yen bei der kleinen Gruppe von freien Wölfen dabei. So lange war es her, seit Kora ihm den Namen „Yen“ gegeben hatte. Er genoss diese Zeit, obwohl er nicht wusste, was davor war. Kora fand ihn an einem Abgrund liegend in der Sonne. Er konnte sich nur an diesen Moment erinnern. Was früher geschehen war, schien wie weggeblasen. Der junge Wolf musste oft daran denken. Ihn machte es verrückt, dass er sein Gedächtnis verloren hatte und nicht wusste, wer er war. Doch er würde Manains Vorschlag berücksichtigen und nicht mit Gewalt versuchen, das verlorene Wissen zurückzuerlangen. Seufzend legte sich Yen auf den Boden, als sie am Fluss angekommen waren. Die anderen taten es ihm gleich. Manain setzte sich auf einem Stein am Wasserlauf und zwar so, dass ihm die Schulter nicht schmerzte. Alle dösten in der herrlichen warmen Luft und verdauten langsam ihr Fressen. So viel hatten sie schon seit Tagen nicht mehr zu sich genommen und es fühlte sich gut an. Es war eine erfolgreiche Jagd gewesen, trotz der kaputten Schulter, die Manain davongetragen hatte. Irgendwann verspürte Yen ein Kratzen in seinem Hals, stand auf und ging zum Fluss, um etwas zu trinken. Als er getrunken hatte und sich umdrehte, blickte er in Koras besorgte Augen, die ihn musterten. Yen ging auf sie zu und legte sich vor sie hin. „Was ist los Kora?“, fragte er, den er war besorgt um seine Freundin. Ja, Kora und er waren richtig gute Freunde geworden in der Zeit, die sie zusammen verbracht hatten und daher konnte er es nicht leiden, sie traurig zu sehen. Kora senkte ihren Blick und seufzte: „Ach, weißt du... Das mit dem Erdwall, gibt mir bedenken. Meine Kraft hat einfach aufgehört. Ich habe nichts mehr gespürt. Und auch jetzt merke ich, dass ich schwächer als sonst bin.“ Verzweifelt blickte sie ihn an. Yen gab ihr einen freundschaftlichen Stups. „Vielleicht ist das nur so eine Phase, weißt du? Manchmal fühlt man sich einfach schwach und ausgelaugt Die letzten Tage waren einfach zu viel für dich gewesen. Das ständige Fliehen und Davonrennen.“ Ja, sie waren die letzten Tage viel gerannt, bevor sie diesen Ort gefunden hatten. Immer wieder waren sie auf andere Wolfsrudel gestoßen, die sie aus ihrem Gebiet vertrieben hatten. Man ließ sie einfach passieren, da sie wussten, dass freie Wölfe kein Gebiet für sich beanspruchen wollten. Doch aus irgendeinem Grund hatten sie sich auf sie gestürzt, als wären sie Feinde. Immer, wenn sie durch so ein Gebiet gekommen waren, lag der gleiche Geruch in der Luft: Der von Verwesung und Tot. Somit waren die letzten Wochen sehr stressig für sie gewesen. Yen wusste, dass dies alles erst begonnen hatte, als er zu den dreien gestoßen war. Er war ihnen dankbar, dass sie ihn nicht aus ihrer kleinen Gruppe verstießen, sondern mit ihm diese Strapazen durchmachten. Doch er hatte wegen dieser Vorfälle Schuldgefühle gegenüber seiner Freunde, obwohl er wusste, dass diese nichts mit ihm zu tun hatten. „Nein, das glaube ich weniger. Ich spüre schon seit längerer Zeit, dass meine Kraft zurückgeht, doch ich wollte das euch nicht sagen. Ich schäme mich dafür.“ Ihr Blick wurde trauriger. „Ach komm Kora! Das wird schon wieder. Schau her: Sanja, Manain und ich kommen auch gut ohne elementare Kraft zurecht, wieso du nicht?“ „Meinst du, dass es wirklich wieder besser wird?“ Nun blickte sie ihn hoffnungsvoll an. „Ich meine es nicht nur, ich weiß es!“, sagte er und stupste sie erneut an. Daraufhin musste Kora lachen. „Danke Yen! Du weißt, wie man einen aufmuntert, auch in schlechten Zeiten wie diesen. Man sollte als Freunde zusammenhalten, egal, was kommt.“ Yen freute sich, dass Kora wieder optimistischer dachte. Genau in diesem Moment kam Sanja zu ihnen und sagte: „Habt ihr den Geruch bei der Jagd bemerkt? Es war der gleiche, den wir schon seit Wochen in den Gebieten der Rudel wahrgenommen haben. Langsam frage ich mich, was es mit diesem Geruch auf sich hat.“ Alle spitzten die Ohren. „Ja, dass frage ich mich auch schon eine Zeit lang. Um ehrlich zu sein, würde ich genauere Nachforschungen anstellen und...“ Yen brach ab. „... und ihnen helfen, stimmt es?“, beendete Sanja den Satz. Sie seufzte und fuhr fort: „Ich werde ganz sicher keine Nachforschungen anstellen und ihnen helfen wollen. Ich habe mit diesen Rudeln nichts am Hut und sie mit mir auch nicht. Ich schulde niemanden etwas und mir auch nicht. Deswegen, wenn du gehst, musst du es ohne mich tun.“ Damit sprach sie einen Punkt an, dem Yen schon lange im Kopf herumgespukt war. Gehen. Einfach gehen, um zu sehen, was mit der Welt los war, um zu sehen, was es mit dem Geruch auf sich hatte und, das gestand er sich ein, um sein wahres Ich zu finden. Yen seufzte. „Ja, ich weiß. Mit diesem Gedanken habe ich schon gespielt. Ich kann nicht ewig bei euch bleiben. Das war mir von Anfang an klar. Seit ich bei euch bin, fing das mit dem Geruch an und ihr bekamt plötzlich diesen ganzen Stress. Nein, ich kann nicht bei euch bleiben!“ Den letzten Satz sagte er an Kora gewandt, weil sie sich fiepend vor ihn gelegt hatte und den Kopf an seine Schulter schmiegte. „Kora! Du bist ein erwachsener Wolf. Hör auf, dich wie ein Welpe zu benehmen und lass Yen weiterreden“, ermahnte sie Sanja. Kora blickte enttäuscht auf und zog sich etwas zurück. „Aber... Yen...“, brachte sie nur heraus. Manain beobachtete still das Spektakel von seinem erhöhten Platz aus. Yen stand auf und erklärte: „Kora, ich verspüre schon länger den Drang, der Welt da draußen zu helfen und ich weiß, dass ihr nicht mit mir gehen werdet. Ich spüre in meinem Inneren, dass ich etwas bewegen kann. Und, wer weiß, vielleicht finde ich so meine verloren Erinnerungen wieder.“ Er lachte, doch Kora fand dies nicht lustig. „Ich... werde mit dir gehen, wenn du gehst“, sagte sie und stand entschlossen auf. Sanja stellte sich nun neben sie und erklärte: „Kora bedenke, was dies für dich bedeuten könnte. Denk daran, was die Wölfe in deinem früheren Rudel mit dir getan haben. Willst du, dass es erneut beginnt? Wenn Yen geht, wird er ein Rudel gründen, mit dem er den Geschehnissen auf den Grund gehen kann, verstehst du?“ Kora befand sich in einer Zwickmühle. Einerseits wollte sie nicht Sanja und Manain im Stich lassen und andererseits wollte sie auch nicht, dass Yen, den sie als ihren Bruder sah, alleine ging. Sie zog fiepend den Schwanz ein. „Aber...“, brachte sie nur heraus. Yen lächelte entschuldigend und erklärte: „Kora, weißt du, es muss kein Abschied für immer sein. Wir werden uns bestimmt bald wieder sehen. Ich verspreche es dir. Und, falls du mich ganz dringend brauchst, so merk dir eins: Ich bin immer bei dir, egal was ist und egal, wie weit weg wir voneinander entfernt sind. Denk daran: Ich bin genau hier!“ Er stupste sie an ihre Brust, dort, wo ihr Herz lag. „Jeden Tag werde ich an euch denken und ihr an mich, versprochen? Ich mag es nämlich auch nicht, Abschied zu nehmen ohne zu wissen, dass ihr ab und zu an mich denkt.“ Kora fiepte erneut und sagte nach längerem Überlegen: „Gut Yen! Ich verspreche dir, dass ich jeden Tag mindestens einmal an dich denke und, dass ich dir jeden Abend ein Lied heulen werde. Ich hoffe, der Wind trägt es bis zu dir, egal, wo du bist.“ Nun hatte sie ein Lächeln auf den Lippen und Yen musste ebenfalls Lachen. „Wenn das so ist, dann verspreche ich dir, dass ich jeden Abend die Ohren spitzen und die Ursache für das Verschwinden deiner Kräfte finden werde!“ Yen stupste ein letztes Mal Kora in die Seite und sie tat es ihm gleich. Danach drehte er sich um und nickte Manain zu. „Gute Besserung!“ Dieser nickte zurück und richtete sich auf. Sanja lächelte ihn an und sagte: „Ich werde auch an dich denken, Yen! Auf ein baldiges Wiedersehen“. Sie drehte sich um und ging zum Fluss. Als er sich zu Kora drehte blickte sie ihn an und sagte: „Tschüss Yen. Und vergiss deine Versprechen nicht!“ Mit diesen Abschiedsworten drehte er sich um und begann zu laufen. Doch nach ein paar Schritten vernahm er hinter sich ein Heulen und er drehte sich noch ein letztes Mal um. Er sah Sanja, wie sie aus dem Bach trank, Kora, die ihn mit ihrem listigen Lächeln hinterher sah und Manain, der auf dem Felsen ein Abschiedslied heulte. Danach drehte er sich um und rannte in Richtung Wald, der sich vor ihm eröffnete. Hinter sich konnte er das Geheule von Manain und nun auch von Kora vernehmen: Ihr eingelöstes Versprechen für den heutigen Tag. Mehrere Tage wanderte Yen durch die Weiten des Landes, ohne auf eine andere Seele zu treffen. Dies fand er schon merkwürdig, da die Gegenden eigentlich sehr belebt waren, als er sie vor ein paar Wochen mit Manain, Sanja und Kora durchwandert hatte. Doch nun... nun war die Gegend wie Ausgestorben. Nur wenige Vögel zwitscherten in der Luft und das Summen der Käfer war gänzlich verschwunden. >Merkwürdig hier. Was ist den nur los?< Yen hob seinen Kopf und schnüffelte in die Luft. Es lag der gleiche Geruch in der Luft, den sie schon seit mehreren Tagen gerochen hatten: Der nach Verwesung und Tot. Yen schnaubte, um ihn aus seiner Nase zu bekommen. Doch es nützte nichts. Plötzlich knurrte sein Magen. Seit er die freien Wölfen verlassen hatte, hatte er nichts Richtiges mehr zu sich genommen. Trotz dieser harten Zeit, die er hinter sich hatte, und wahrscheinlich auch noch vor sich haben wird, gab er nicht auf. Yen fand sich mit dem Gedanken ab, dass er nun alleine war. Er wehrte sich nicht gegen sein Schicksal, sondern er war froh, dass er die fröhliche Truppe verlassen hatte, um sein Leben in die eigenen Pfoten zu nehmen. Nun kam der Moment, wo er überlegen musste, wie es in seinem Leben weitergehen sollte. Die letzten Tage war er ziellos durch die Gegend geirrt und hatte sich ein Bild von der Situation gemacht. Doch immer kam das gleiche dabei heraus: Der Geruch und die Stille. Einmal folgte er dem Geruch, so gut es ging und fand an seinem Ziel tote Wolfskörper im Schlamm liegen. Diese mied er, da der Gestank dort am unerträglichsten war. Yen taten diese Wölfe leid. Er hätte ihnen gerne geholfen, ihnen gerne zugehört, was sie zu erzählen hatte und vor allem hätte er gerne gewusst, wie sie umgekommen waren. Nun wusste er ja, woher der Geruch in der Luft kam. Doch eine Frage blieb offen: Wieso verteilte er sich extrem auf die Gebiete der ehemaligen Rudel? Um diese Frage zu klären, brauchte Yen einen Plan, doch diesen ließ sich nicht schmieden. Welcher Wolf konnte schon vernünftig nachdenken, wenn er hungrig durch die Gegend lief? So musste er erstmal was zum Fressen finden. Doch das erwies sich in dieser abgestorbenen Gegend schwieriger als gedacht. Immer, wenn er einen anderen Geruch in der Nase hatte und diesen auch folgte, kam er entweder an einen leeren Kaninchenbau oder an eine Stelle, wo früher einmal ein Igel gewohnt haben musste. Jedes Mal senkte dies seinen Optimismus auf Futter zu stoßen, doch er gab nicht auf. Yen hatte ein Ziel vor Augen, dass er verfolgen musste, damit er sich nicht enttäuschte. Doch zuerst galt es, Futter zu suchen! Sein Weg führte immer weiter. Als er nach einiger Zeit eine kurze Rast an einem Bach machte, roch er ihn, den verführerischen Geruch. Die Gegend sah wie jede andere aus: Bäume und Gras überall, doch der neue Geruch überlagerte die anderen Gerüche. Dies lag daran, dass Yen erneut der Magen knurrte und ihn auf seine unangenehme Situation hinwies. Yen nahm nur schnell einen kleinen Schluck und rannte auch schon los. Der Geruch wurde immer stärker und stärker. Nach einiger Zeit verschwand der Verwesungsgeruch um ihn herum für einen Moment. Wenige Schritte später vernahm er das Krächzen von Vögeln und, als er im nächsten Moment aus den Büschen und auf eine kleine beleuchtete Lichtung sprang, blieb er stehen. Vor ihm lag ein totes Reh, und viele gierige Raben darum. Doch die Raben fraßen nicht. Nein, es sah so aus, als würden sie sich untereinander bekämpfen, um den besten Happen zu bekommen. Yen ging ein paar Schritte auf die Raben zu. Es war nicht so, als hätte er Angst vor ein paar mickrigen Raben, nein, im Gegenteil, er könnte sie ganz leicht verscheuchen. Doch er wollte wissen, wieso die Raben sich so komisch verhielten. Beim näheren Hinsehen, erschloss sich ihm der Grund für dieses Gedrängel: In all den schwarzen Federn mischten sich braune. >Ein anderer Vogel! Die Raben kämpfen gegen einen anderen Vogel um das Futter.< Verwirrt schüttelte Yen den Kopf. Dies war doch sonst nicht ihre Art, sich auf brutalste Weise das Futter zu besorgen. Der nächste Gedanke, den Yen hatte, war, dass der Geruch sie verrückt gemacht haben musste. Auch sie waren hungrig und anderen Vögeln, die ihr Fressen haben wollen, feindlich gesinnt. Ohne groß nachzudenken, sprang Yen auf die wilden Raben zu und begann, sie zu verscheuchen. Dies erwies sich jedoch als schwieriger, als gedacht, da die Raben nun begannen, auch ihn zu bepicken und zu zerkratzen. Doch Yen machte dies nichts aus. Die Aussichten auf Futter und die Not des anderen Vogels zwangen ihn durchzustehen. Er wollte helfen, so gutmütig war er. Außerdem konnte Yen es nicht leiden, wenn Schwächere angegriffen werden. Bei dem Konflikt zwischen den Vögeln ging dies eindeutig zu weit. Mindestes zwanzig Raben stürzten sich auf einen anderen Vogel. Eigentlich hätte Yen diese Auseinandersetzug nichts angehen sollen, doch in diesem Moment fühlte er nur den Drang, dem anderen Vogel zu helfen. Hier und dort biss er Raben in die Körper und tötete so einige. Aus den Augenwinkeln sah er, dass der braune Vogel nicht untätig war, sondern sich sofort auf die Raben stürzte, die Yen die Augen auspicken wollten. So halfen sie sich gegenseitig, die wilden Raben zu vertreiben. Das Spektakel dauerte nicht lange und die Raben gaben ihr Futter auf und flogen krächzend davon. Hechelnd blieb Yen stehen. Der braune Vogel landete auf der anderen Seite des toten Tieres. Nun sah der Wolf diesen das erste Mal richtig an. Es war ein kleiner Adler, mit schiefem Schnabel und etwas krummen Füßen. >Ah, dies war also der Grund, weshalb er so erbittert gekämpft hatte. Mit dieser Statur ist es sicher schwer, an Futter heranzukommen und da sah er seine Chance liegen.< Der Adler betrachtete ihn aus schlauen Augen. Langsam hüpfte er näher an das tote Tier und begann schließlich davon zu fressen. Yen ließ sich nichts anmerken und fraß ebenfalls. Anfangs wollten sich beide nicht so recht näher kommen, da Wölfe und Raubvögel es nicht gewohnt waren, zusammen zu fressen, doch nach einiger Zeit gewöhnten sie sich aneinander und fraßen sich die Bäuche voll. Der Adler sprang schließlich mit sichtlich gefülltem Magen vom toten Tier und putzte seine Federn. Als dieser die Flügel zum bevorstehenden Flug ausbreitete, blickte er ein letztes Mal zu Yen, der den Kopf erhoben hatte. Dankbarkeit lag in dessen Blick, doch Yen konnte sich dies auch nur eingebildet haben. Der Adler gab ein letztes leises Krächzen von sich und erhob sich in die Lüfte. Yen blickte diesen kurz nach, doch schon bald nahm er sein Mahl wieder auf. Als er es nach kurzer Zeit beendet hatte, kehrte er an den Bach zurück, um seinen Durst zu stillen. Genau in dem Moment, wo er seinen Kopf senkte, sah er im Wasser den Adler über sich hinweg fliegen und einen Abschiedsgruß schreien. Drei Tage war es her, seitdem Yen seine letzte Mahlzeit an dem Bach eingenommen hatte. Seit diesem Moment hatte er immer wieder das Gefühl, dass ihn jemand unauffällig verfolgte. Doch der junge Wolf kümmerte sich wenig um dieses Gefühl. Er redete sich ein, dass er dieses Gefühl schon länger gehabt hätte, doch der Hunger dieses überdeckt haben musste. Immer weiter führte sein Weg. Seit er den Bach verlassen hatte, ging er in eine andere Richtung. Er wanderte nun nicht mehr nach Norden, woher sie kamen, sondern ging in Richtung Westen. Yen hoffte, dass sich die schreckliche Gegend und der Geruch legten. Seine Hoffnungen erfüllten sich und nach drei Tagen erreichte er ein Gebiet, das vermutlich einem Rudel gehört, das noch lebte. Duftmarken waren noch deutlich zu riechen und geheime Schleichwege durch das Unterholz zu sehen. Beruhigt atmete Yen aus. Er hatte gar nicht bis zu diesem Moment gemerkt, wie sehr er die Gesellschaft anderer Wölfe vermisst hatte. Eins konnte man ihm nicht vorwerfen: Dass er kein waschechter Wolf war! Doch Yen wusste, dass er nun sehr vorsichtig sein musste. Ein Rudel könnte für ihn Gefahr bedeuten, vor allem, wenn sie von ihren getöteten Nachbarn erfahren haben. Misstrauen und Hass könnte sie dazu verleiten, ihn zu töten, wenn sie ihn sahen. So beschloss Yen, an der Grenze entlang zu traben. Er fühlte sich noch nicht bereit, anderen Wölfen in die Augen zu sehen. Wieso, wusste er nicht. Wahrscheinlich lag es daran, dass er das blöde Gefühl nicht los bekam, für all die toten Wölfe verantwortlich zu sein. Schnaubend schüttelte er den Kopf. >Wie kann ich für etwas schuldig sein, von dem ich nicht einmal weiß, es getan zu haben?<, schoss es ihm durch den Kopf. Dieser Gedanke beruhigte ihn keineswegs, doch er setzte seinen Weg unbekümmert fort. Immer weiter führte ihn dieser nach Westen und er traf auf kein Gebiet mehr, das wie ausgestorben dalag. Immer öfters roch er den Duft anderer Wölfe, doch er konnte nicht sagen, welche Wölfe es waren. Vielleicht Erdwölfe oder gar Feuerwölfe? Oder waren es auch Wölfe eines Gemischtrudels? Yen wusste es nicht und würde es wahrscheinlich auch nie erfahren. Weitere Tage vergingen, ohne, dass Yen auf Wölfe stieß. Nun war er schon fast drei Wochen ohne Kora, Sanja und Manain unterwegs. Jeden Abend löste er sein Versprechen gegenüber Kora ein. Er lauschte in die Tiefen der Nacht und manchmal glaubte er, sich sogar einzubilden, Koras Geheule von fern zu hören. Am heutigen Tag war Yen erneut auf Futtersuche, als er ein neues Gebiet beschritt, dessen Duftmarken nicht so frisch, aber dennoch da waren. Neugierig drang er in das Gebiet ein, entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Eigentlich hätte er nach Futter Ausschauen halten sollen, doch gedankenverloren trabte er weiter. Sein Weg führte durch einen Wald, der nicht so dicht bewachsen wie normalerweise war. Immer tiefer ging er, bis er an einen Fluss kam. Überrascht blieb er stehen. >Ein so großer Fluss?< Verwirrt schüttelte er den Kopf, den er anschließend dankend senkte, um von dem Fluss zu trinken. Kein Vogel zwitscherte und auch kein Insekt summte. Doch diese Stille war Yen willkommen. Endlich etwas Ruhe nach der langen Reise. Doch dieser stille Moment gewährte nicht lange. Plötzlich vernahm er das Gelächter von anderen Wölfen. Die Geräusche waren auf einmal da und schon so nah. Verwirrt und ängstlich zugleich, wusste Yen nicht, was er tun sollte. Er gefror auf der Stelle zu Eis. >Andere Wölfe? Was soll ich tun? Ich wollte doch eigentlich keinem hier begegnen!< Panik ergriff ihn und in seiner Angst, diese Wölfe könnten ihn Böses tun, sprang er hinter einen Busch, wo er sich verängstigt hinsetzte und die Ohren spitze. In seinem Inneren wusste er, dass dies wenig nützte, doch zum Weglaufen war es zu spät. Sie würden ihn mühelos folgen können, so schwach, wie er war. Trotz Angst bewahrte er noch einen gewissen Stolz und, wenn er wegliefe, verletzte er diesen. Das Gelächter und somit die Wölfe kamen immer näher auf ihn zu, bis sie endgültig bei ihm angekommen waren. Nun hörte Yen auch das Gespräch und daher den Grund für dieses Lachen. „Haha, Esaila, hast du von unserem Brüderchen den Gesichtsausdruck gesehen, als ich ihm seinen Hintern eingefroren habe und er deswegen beinahe in den Fluss fiel?“, sagte eine fröhlich klingende, weibliche Stimme und lachte dabei immer wieder. Ein anderes Lachen setzte ein und der dazugehörige Wolf, wahrscheinlich mit dem Namen Esaila sagte: „Oh ja, das habe ich.“ „Mmpf, dass findet ihr wieder lustig. Typisch ihr zwei“, sagte eine männlichere Stimme. „Ach komm sei doch nicht so! Wasser ist doch was ganz was tolles und da kann man sich schon einmal hineinfallen lassen. Ich tue es doch schließlich auch“, setzte nun eine neue weibliche Stimme an. Erneutes Gelächter und Gemurre entstand. Aus diesem kurzen Wortschwall konnte Yen feststellen, dass es sich um vier Wölfe handeln musste. Drei weibliche und ein männlicher. Ihm tat dieser männliche Wolf leid, da er anscheinend von den weiblichen gepiesackt wurde. „Hey! Haltet mal an! Riecht ihr das auch?“, sagte die Wölfin mit dem Namen Esaila. Yen verschloss seine Augen. >Oh nein! Bitte nicht meinen Geruch!< „Hier war ein anderer Wolf!“ Yen ahnte, was nun kam. Alle Wölfe würden sich um die Spur versammeln und ihr anschließend bis zu ihm folgen. „Mh, ein anderer Wolf? Lasst mich mal schnüffeln“, sagte die männliche Stimme. „Tatsächlich, und sie ist noch ganz frisch. Mädels seid vorsichtig. Hier treibt sich ein anderer Wolf herum. Er könnte gefährlich sein und...“ „Ja ja Nurik, wir wissen schon! Du bist hier nicht der Älteste und wir können sehr wohl auf uns selbst Acht geben!“ „Nyrona, ich weiß doch, dass ihr das könnt, aber Vater hat nun mal mir die Verantwortung für euch gegeben, wenn wir alleine herumwandern und deswegen müsst ihr machen, was ich sage!“, sagte der männliche Wolf mit dem Namen Nurik zu seiner angeblichen Schwester. Beide stritten sich weiter, bis der vierte Wolf, dessen Namen Yen noch nicht bekannt war, sagte: „Hört auf, ihr beiden. Es ist unser Gebiet und deswegen müssen wir zusammen herausfinden, welcher Wolf es gewagt hatte, hier einzudringen. Er scheint einen interessanten Duft zu haben. Ich möchte ihn kennen lernen. Esaila, was sagst du dazu?“ „Ich sag gar nichts dazu, aber die Bäume haben mir soeben verraten, dass ein Wolf vor wenigen Minuten hier war,“ Yens Magen zog sich immer mehr zusammen. „Doch das Interessanteste verrät mir dieser baumartige Busch da vorne. Hinter ihm soll sich der gesuchte Wolf verstecken.“ Nun erstarrte Yen erneut. >Wie kann das sein?<, war das Einzige, was er denken konnte. Weglaufen kam für ihn nicht in Frage. Und so blieb er niedergekauert sitzen und beugte sich seinem Schicksal. Was er nicht sah, war, dass alle Wölfe ein Lächeln auf ihre Gesicht bekamen, doch unfähig waren, sich zu bewegen. Ihnen war unklar, wieso sich der fremde Wolf hinter einen Busch verstecken sollte. Doch eines wussten sie: Auf Esailas Fähigkeiten war Verlass. So war die Wölfin, die als zweitletztes gesprochen hatte, die Erste, die sich bewegte und vorsichtig Richtung Busch schlich. Nurik folgte ihr sogleich, Nyrona und Esaila bildeten den Schluss. Beim Busch angekommen, blieb die Wölfin kurz stehen und mit einem Satz sprang sie um das Gebüsch und landete direkt vor Yen. Dieser hatte die Augen weit aufgerissen und blickte der fremden Wölfin direkt ins Gesicht. In diesem lag keine Abscheu, nein, sondern, was Yen am allermeisten von ihrem Aussehen überraschte, ein willkommener Gruß, der zum Spielen einlud. „Hallo, mein Name ist Sikona. Und das sind Nurik, Nyrona und Esaila“, stellte sie sich und die anderen Wölfe, die langsam um die Ecke kamen, vor. „Und wie ist dein Name?“, fragte Sikona sogleich und ging einen Schritt auf ihn zu. Zuerst brachte Yen nichts heraus, doch dann riss er sich zusammen und antwortete: „Mein... man nennt mich ... Yen.“ ~~Abschiedsgeheul und ein neues Band Ende~~ Wer genau sind Sikona, Nurik, Nyrona und Esaila? Wo befindet sich Yen? Was hat es mit den Duftmarken auf sich? Ein neues Band, das sich beginnt zu knüpfen. Kapitel 6: Die vier Geschwister ------------------------------- ~~Die vier Geschwister~~ Dieser hatte die Augen weit aufgerissen und blickte der fremden Wölfin direkt ins Gesicht. In diesem lag keine Abscheu, nein, sondern, was Yen am allermeisten von ihrem Aussehen überraschte, ein willkommener Gruß, der zum Spielen einlud. „Hallo, mein Name ist Sikona. Und das sind Nurik, Nyrona und Esaila“, stellte sie sich und die anderen Wölfe, die langsam um die Ecke kamen, vor. „Und wie ist dein Name?“, fragte Sikona sogleich und ging einen Schritt auf ihn zu. Zuerst brachte Yen nichts heraus, doch dann riss er sich zusammen und antwortete: „Mein... man nennt mich ... Yen.“ Noch immer saß Yen wie versteinert da und betrachtete die vier Wölfe vor sich. Diese standen keine zwei Meter vor ihm entfernt und blickten ihn ebenfalls erstaunt an. Keiner der fünf Wölfe bewegte sich. Alle schienen wie zu Eiswasser erstarrt, bis die Wölfin names Sikona das Wort ergriff: „Schön, dich kennen zu lernen, Yen. Dürfen wir vielleicht wissen, was du hier in diesem Gebiet und, vor allem hinter diesem Busch, zu finden glaubst?“ In ihrer Stimme konnte man das Lachen heraushören. Sikona ging auf Yen zu, doch Nurik knurrte, dass sie lieber nicht zu nah an ihn herantreten sollte. Sikona überging diesen Kommentar und blieb direkt vor Yen stehen, der sich daraufhin erhob. Als er stand, musste er feststellen, dass er größer als Sikona war. Überhaupt schien er der Größte dieser komischen Bande zu sein. „Ähm... ich bin nur zufällig in euer Gebiet gekommen. Und was den Busch angeht, so habe ich nach einer geeigneten Stelle zum Schlafen gesucht.“ Daraufhin musste Sikona lachen. „Ja, zum Schlafen. Klar!“ Nun hörte man auch ein leises Kichern von dem grünen und dunkelblauen Wolf, doch das Männchen lachte nicht. In dieser kurzen Lachphase betrachtete Yen die vier Wölfe genauer. Die grüne Wölfin, die auf den Namen Esaila hörte, war die Kleinste unter ihnen. Ihr Fell bestand nicht nur aus Grüntönen, sondern auch Brauntönen, die sich an ihrem Bauch zeigten. Sie hatte ein spitzes, aber aufmerksames Gesicht, mit honiggelben Augen und einen Schwanz, der nur aus Gras zu bestehen schien. Um ihren Hals trug sie eine Kette mit Efeu- und Lindenblättern und zwei leuchtend rote Ohrringe in ihre an Blätter erinnernden Ohren. Die nächst größere Wölfin war Nyrona, die zu Yens Verwunderung, ein dunkelblau-grünes Fell hatte. Doch nicht die Fellfarbe war es, die in ihm diese Verwunderung hervorrief, sondern, wie das Fell an ihrem Körper anlag. Es schien, als sei Nyrona erst vor ein paar Sekunden aus dem Wasser gestiegen und ihr Fell sei noch voll mit diesem. Ihr Haar war schwarz und genauso glatt wie ihr Fell. Um ihren Hals schien sie nassen Seetang zu tragen. Ihre Ohren und ihr Schwanz waren, typisch für ihre Rasse, wie Flossen geformt. Ihr Körper strahlte Flinkheit und Eleganz aus. Das Männchen, das wohl oder übel den Namen Nurik hatte, war ganz anders als seine beiden kleineren Geschwister. Er war der Größte von allen und sah auch am wildesten aus. Er hatte eine rote Mähne. Sein Hauptfell war braun, sein Bauch und seine Pfoten waren gelb-orange und auf seinem Rücken, sowie um seine Augen, sah es so aus, als würden sich Flammen nach unten tasten. Dieser Wolf hatte, nach Yens Meinung, den eigenartigsten Schmuck von allen. Nurik trug ein Halstuch um seinen kräftigen Hals und einen Armreif um der rechten Pfote. Doch der Schwanz war das Beeindruckenste an ihm. Dieser schien nur aus sich bewegenden Flammen zu bestehen, die knisterten und zischten. Yen musste Schlucken, als er sich ausdachte, welche Verbrennungen er sich dabei holen würde, wenn er diesen nur kurz berühren oder in dessen Nähe geraten würde. Doch im Gegensatz zu seinem feurigen Schwanz und seines misstrauischen Auftretens hatte Nurik ein freundliches und listiges Gesicht. Er strahlte Verantwortungsbewusstsein und Kühnheit aus. Die letzte Wölfin, die er genauer betrachtete und kichernd vor ihm stand, war Sikona. Ihr Fell war eisblau und ihr Bauch schneeweiß, sowie um ihre Augen und an ihren Pfoten. An ihrer linken Hinterkeule hatte sie eine dunkelblaue Schneeflocke. Ihr Haar war ebenfalls dunkelblau und hing lässig um ihr Gesicht. Um ihren Hals trug sie einen einfachen roten Zahn. Ob es sich dabei um einen Wolfszahn handelte, konnte Yen nicht erkennen. Das Eindrucksvollste an Sikona war sowohl ihr Schwanz, der aus knirschenden und klirrenden Eiszapfen zu bestehen schien, als auch ihre Ausstrahlung. Trotz ihres eisigen Aussehens schien sie einen warmherzigen Charakter und ein sanftes Lächeln zu haben. An ihrer Haltung konnte Yen lesen, dass sie gerne hilfbereit war und niemanden im Stich ließ. Einem Wolf, dem man sofort vertrauen konnte. In diesem kurzen Moment des Lachens hatte Yen all dies erkannt. All diese verschiedenen Persönlichkeiten ließen sich mit einem Blick erfassen. Doch was ihm am meisten wunderte, war die Tatsache, dass sich alle vier Wölfe prächtig verstanden. Trotz der mürrischen Art von Nurik und des Ungehorsams von Sikonas Seite konnte Yen in den Blicken Beider, die sie sich zuwarfen, sehen, dass darin Liebe war. Keine richtige Liebe zwischen einem Rüden und einer Fähe, sondern eine freundschaftliche Liebe, die alle Hindernisse, die sich zwischen sie stellt brechen konnte und wird. Dies rief Bewunderung in Yen hoch und ließ ihn unwillkürlich an Kora denken. Auch sie beide verknüpfte so ein Band. Er würde alles für seine Freundin Kora tun, selbst sein Leben für sie opfern, wenn es sein musste. Kora. Yen vermisste sie. Ihre heitere Art hatte seine Tage süßer werden lassen. Auch Manain und Sanja vermisste er. Bis zu diesem Augenblick war es ihm nicht richtig klar gewesen, wie sehr ihm die drei schon ans Herz gewachsen waren. Kurz begann er seine Tat, von ihnen gegangen zu sein, anzuzweifeln. Doch da wurde er in die Wirklichkeit zurückgeholt, indem er von einem stetig lauter werdendem Lachen aus seinen trüben Gedanken gerissen wurde. Yen hob den Kopf, den er kurz gesenkt hatte, und blickte in die lachenden Gesichter von vier unterschiedlichen Wölfen. Mittlerweile hat nun auch Nurik zum Lachen angefangen und dies bewies, dass er keinen schlechten Charakter besitzen konnte. Man hörte immer wieder die Worte „Busch“ und „schlafen“ aus den Mäulern der Wölfe, die sich vor Lachen nur noch krümmten. Der lustige Anblick, der sich ihm bot und die Tatsache, dass die Lüge, die er erschaffen hatte, wirklich ein Witz war, veranlassten Yen dazu, mitzulachen. Zuerst zögerlich, doch dann immer heiterer. Sie lachten und lachten und mit der Zeit vergaßen sie selbst den Grund, weshalb sie gelacht hatten. Doch ein paar Augenblicken später, verstummte jeder nacheinander. Da musste Yen gestehen: „Gut, gut! Ich gebe es zu! Ich habe mich hinter dem Busch vor euch versteckt. Ich wusste ja nicht, dass ihr so lustige Wölfe seid. Dachte, ihr schmeißt mich aus euer Gebiet.“ Nun trat Nurik vor. „Ist schon in Ordnung. Bei dem Auftritt, den wir veranstaltet haben, blieb dir ja nichts anderes übrig, als sich hinter einem Gestrüpp zu verstecken.“ Nun wich der Ernst völlig aus Nuriks Gesicht. „Tut mir Leid, dass ich so misstrauisch war, aber du scheinst ganz in Ordnung zu sein. Das heißt aber nicht, dass ich nicht wissen will, was du hier zu suchen hast!“ Yen lachte. „Entschuldigung angenommen. Nun ich schätze das erkläre ich euch später. Aber sagt mal. Wie kann es sein, dass so vier unterschiedliche Wölfe in einem Rudel leben? Und was seid ihr überhaupt für Rassen?“ Nun versammelten sich alle um Yen und setzten sich. Alle hatten plötzlich ein listiges Lächeln im Gesicht. Esaila schnaubte verschmitzt, Nyrona lächelte mit Zähnen, Nurik saß mit halb geschlossenen lachenden Augen da und Sikona kicherte vergnügt. Da sagten alle gleichzeitig, als hätten sie diesen Augenblick, diesen einzigartigen und eigenartigen Augenblick, schon viele Wochen vorher geprobt: „Na, weil wir Geschwister sind! Geschwister eines Gemischtrudels!“ Yen, der vor ihnen saß, war wie versteinert. „Geschwister?“, brachte er erst nach wenigen Augenblicken heraus. Dabei hatte er einen gequälten Gesichtsausdruck. „Jetzt bin ich verwirrt! Wie könnt ihr nur Geschwister sein? So unterschiedlich seht ihr aus!“ „Tja, Yen. So sehr wir uns im Äußeren unterscheiden, so sehr gleichen wir uns im Inneren. Das wirst du bestimmt schnell feststellen!“, sagte die noch immer grinsende Nyrona. „Nun, ich glaube wir sollten uns Yen nun mit gesamten Namen vorstellen. Genau so, wie es uns unser Vater in junger Zeit beigebracht hat!“ Alle nickten Esaila zu. Da trat Nyrona vor und begann stolz zu sprechen: „Mein Name ist Nyrona. Ich stamme aus dem westlichen Gemischtrudel, das unter der guten Führung von Kito lebt. Mein Vater ist Kito selbst und meine Mutter heißt Serina. Ich bin die einzige Wasserwölfin des westlichen Gemischtrudels. Meine Eltern vermuten, dass ich dies von meiner Urgroßmutter habe, die selbst eine war. Meine Geschwister heißen Esaila, Nurik und Sikona. Ich bin die Älteste von ihnen. Schön deine Bekanntschaft zu machen, Yen!“ Mit diesen Worten neigte Nyrona den Kopf und trat zurück. Sie ließ einen noch immer verwunderten Yen zurück. Als nächstes trat Esaila vor und sprach ruhig: “Mein Name ist Esaila. Auch ich stamme aus dem westlichen Gemischtrudel, das unter der guten Führung von Kito lebt. Mein Vater und meine Mutter wurden bereits vorgestellt. Ich bin die bisherig einzige Waldwölfin des westlichen Gemischtrudels. Mein Element leitet sich von den Erdwölfen ab, als eine Abzweigung und Spezialisierung. Meine Eltern vermuten, dass ich das Erbe von meinem Großvater bekommen habe, der zu seiner Zeit ein großer Erdwolf gewesen war und vor zwei Jahren verstarb. Meine Geschwister heißen Nyrona, Nurik und Sikona. Ich bin die Zweitälteste von ihnen. Reizend deine Bekanntschaft zu machen, Yen!“ Auch Esaila trat mit einem höflichen Kopfnicken zurück. Der Nächste, der vortrat, war Nurik. Zielsicher positionierte er seine Pfoten vor Yen und sprach mit kräftiger Stimme: „Mein Name ist Nurik. So wie meine beiden Geschwister vor mir, stamme ich aus dem westlichen Gemischtrudel, das unter der guten Führung von Kito lebt. Mein Vater und meine Mutter wurden bereits erwähnt. Ich bin ein Feuerwolf, der einzige zurzeit in unserem stolzen Rudel. Es wird vermutet, dass ich dieses Element von meinem Urgroßvater mütterlicherseite habe, der selbst zu seiner Zeit ein sehr bedeutender Feuerwolf in unserem Rudel war. Meine Geschwister heißen Nyrona, Esaila und Sikona. Ich bin der einzige Rüde und somit der zweitjüngste. Aufregend deine Bekanntschaft zu machen, Yen!“ Nurik tat es seinen Schwestern nach und nickte Yen zu, aber nicht so wie diese. Er war ja ein Rüde und musste es nicht deutlich zeigen. Dennoch tat er dies. Diese kleine Geste zeigte Yen, dass Nurik ein aufrichtiger Wolf war, der beschlossen hatte, mit seinem Gegenüber Freundschaft zu schließen. Als Nurik zurücktrat, trabte Sikona munter vor. Fröhlich blieb sie vor Yen stehen und sagte mit einer ebenso fröhlichen Stimme: „Mein Name ist Sikona. Genauso wie meine Geschwister stamme ich aus dem westlichen Gemischtrudel, das unter der guten Führung von Kito lebt. Mein Vater und meine Mutter kennst du bereits. Ich bin eine Eiswölfin, die bisher einzige in unserem Rudel. Es wird vermutet, dass ich dieses Element, wie Nyrona, von meiner Urgroßmutter geerbt habe. Doch genau wissen wir dies nicht, da Eis, wie Wald, ein seltenes und noch nie in unserem Rudel da gewesenes Element ist. Meine älteren Geschwister heißen Nyrona, Esaila und Nurik. Ich bin die Jüngste unter uns vieren. Nett deine Bekanntschaft zu machen, Yen!“ Noch immer lachend und fröhlich nickte sie ihm zu und trat anschließend zurück. Kichernd, sichtlich amüsiert und stolz setzten sie sich und blickten Yen an. Sie schienen zu warten, auf etwas, was Yen ihnen nicht oder nur teilweise geben konnte. Yen, der noch immer von dieser Begrüßung überwältigt war, begriff, was von ihm verlangt wurde und trat nun seinerseits vor. So konnten ihn die vier Geschwister eingehend betrachten. Sie sahen einen dunklen Wolf, der drei, nein, vier verschiedene Fellfarben besaß: Schwarz war seine Hauptfarbe, anschließend kam dunkelblaues Fell, das auch die Beine bedeckte und nur von schwarzen Streifen getrennt wurde. Am Bauch war Yen dunkelbraun. Die letzte der vier Farben wollte nicht so recht zu seinem restlichen Aussehen passen. Den vier Geschwistern war dies nicht entgangen und sie wunderten sich über die weiße linke Hinterpfote und den weißen eigenartigen Kreis auf seiner rechten Schulter. Dieses Weiß sah eigenartig und ungewöhnlich zwischen den dunklen Farben aus. Es schien, als wollte das Weiß den Wolf freundlicher aussehen lassen, konnte es aber nicht. Keiner der Geschwister fragte nach und sie betrachteten Yen weiter. Dieser hatte noch dunkelblaues Haar, fast genauso wie Sikona, und ein merkwürdiges schönes Band um seinen Hals. Yen räusperte sich nach dieser kurzen Betrachtungspause. Nun begann er mit kräftiger, aber unsicherer Stimme zu sprechen: „Mein Name ist Yen oder besser gesagt, mein bisheriger Name ist Yen. Das Rudel, von dem ich abstamme, ist mir nicht bekannt. Vor ein paar Wochen war ich mit drei freien Wölfen unterwegs. Mein Vater und meine Mutter sind mir ebenfalls unbekannt, genauso wie mein Element oder ob ich überhaupt eine elementare Kraft in mir habe. Ich glaube aber, dass in mir keine Kraft liegt. Über meine Geschwister weiß ich ebenfalls nichts und ob ich überhaupt welche habe. Großartig eure Bekanntschaft zu machen!“ Mit diesen Worten beendete Yen seine Vorstellung, nickte ihnen allen zu und trat zurück. Ein Moment der Stille entstand, in dem die vier Geschwister Yen mit staunenden und ungläubigen Gesichtern anstarrten. Yen schnaubte vergnügt. >Was für Gesichter die machen. Als hätte ich ihnen gesagt, ich sei der Retter höchstpersönlich!< Wie schon oft an diesem Tag wurde die staunende Stille unterbrochen. Nurik war es, der mutig in die Stille fragte, was sich seine Schwestern nicht getraut hätten: „Wie kann es sein, dass du nicht deinen genauen Namen, deine Herkunft und nichts von deiner elementaren Kraft weißt?“ Yen seufzte. Er wusste, dass dies kommen musste. Nun war eine Erklärung unausweichlich. Oder konnte man ihr doch entfliehen? Wenn ja, so wählte er den anderen Weg, denn er glaubte, dass diese Wölfe ihm nichts Böses tun und vor allem nicht auslachen werden. Genau in diesem Moment wurde es ganz still um die fünf Wölfe. Kein Vogel schrie, keine Grille zirpte, kein Hase hoppelte, nur das Schnaufen der Wölfe war zu vernehmen. Ein erneuter Seufzer von Yen war zu hören und danach seine kräftige Stimme: „Ich schätze, ich sollte von Anfang an erzählen.“ Die anderen nickten zustimmend. „Also... Vor ein paar Wochen wachte ich aus einer Art Ohnmacht und Traum auf. Ich wäre wahrscheinlich noch länger liegen geblieben, aber eine hartnäckige Wölfin namens Kora weckte mich. Auch sie wollte, wie ihr vorhin, meinen Namen und meine Herkunft erfahren, doch ich konnte es ihr nicht sagen. Ich kann mich an mein Leben vor dem Sturz oder ob es überhaupt einen Absturz gegeben hat, nicht erinnern. Ja, ihr habt richtig gehört. Kora fand mich vor einer großen Klippe liegend, mit Schrammen und Schürfwunden übersäht. Alles schloss darauf hin, dass ich hinuntergestürzt war und dabei mein Gedächtnis verloren hatte.“ Yen machte eine kurze Pause. Die Geschwister sahen ihn mit vor Spannung geweiteten Augen an. Sie wussten, dass dies noch nicht alles war. Als es immer ungemütlicher wurde, sprach Yen weiter: „Schnell stellte ich fest, dass Kora eine herzensgute Wölfin war. Sie war es, die mir den Namen „Yen“ gegeben hatte. Anschließend stellte sie mir ihre Freunde vor. Diese hießen Sanja und Manain. Alle drei sind freie Wölfe; Wölfe, die zusammen lebten, aber kein Rudel bildeten und somit keinen Rudelführer hatten. Ihr werdet solche Wölfe kennen und wahrscheinlich Abscheu empfinden, weil dies gegen euren Regeln entspricht, in einer Gruppe von Wölfen zu leben, die keinen Rudelführer hat. Doch auch ich hatte das Gefühl, dass dies nicht richtig sei, aber ich wahr froh, so offen empfangen worden zu sein und dankbar, dass sie mit mir ihre Nahrung und ihre Schlafplätze teilten. So beschloss ich fürs Erste, bei ihnen zu bleiben. Ich lernte das Leben eines freien Wolfes kennen, ohne Herkunft und richtigen Namen, und wurde einer von ihnen. Weshalb die drei zu freien Wölfen geworden sind, weiß ich nicht und will es auch gar nicht wissen.“ Hier endete Yen und blickte jeden einzelnen Wolf vor sich in die Augen. In allen konnte er einen Hauch von Mitleid sehen, aber auch von Verständnis und Freundlichkeit. Langsam begannen die Vögel wieder zu schreien, die Grillen zu zirpen und die Hasen kamen wieder aus ihren Löchern. Die Situation entspannte sich und ließ viele Fragen im Wald stehen. Nurik war der Erste, der das Wort erhob: „Also, dann hast du keine Erinnerung mehr an dein früheres Leben? Du weißt nicht, wie du heißt, wie alt du bist, aus welchem Rudel du stammst, wer deine Eltern sind und deine Geschwister?“ Yen schüttelte zu jedem dieser Punkte, die der braune Wolf ansprach, den Kopf. „Oh Wolf! Dann bist du in einer echt bescheuerten Lage!“ Mit diesem Satz zauberte er Yen ein kleines Lächeln auf sein Wolfsgesicht. „Ja, so kann man das auch nennen“, erklärte dieser lachend. Ein kleines schüchternes Lachen ging durch die Runde. Alle spürten den Ernst, der dieses Thema begleitete und somit brach das Lachen schnell wieder ab. Sikona war es, die als Nächste sprach: „Nun, ich glaube, wir machen das Beste daraus, Yen. Es ist schade, dass du nicht weißt, wer deine Eltern sind und zu welchem Rudel du gehörst. Die Frage mit deiner Herkunft lässt sich da leichter beantworten!“ Alle sahen Sikona fragend an. „Seht ihn euch doch einmal genauer an, dann wisst ihr, was ich meine!“ Dies taten sie dann auch und alle nickten zustimmend. „Stimmt! Du hast Recht“, stimmte Nyrona ihr zu. Yen war etwas verwirrt, blickte an sich herunter und konnte nichts Außergewöhnliches an sich erkennen. Genau in diesem Moment flog ein Schmetterling an ihn heran, flog einmal um seinen Kopf und setzte sich anschließend auf seine Schnauze. Mit seinen großen gelben Flügeln verdeckte dieser Yens Augen so, dass er die Wölfe vor sich nicht mehr erkennen konnte. Yen schüttelte kurz den Kopf und der Schmetterling flog wieder davon. Alle Wölfe blickten dem Schmetterling nach, bis dieser im Himmel verschwand. „Nun“, setzte Sikona erneut an und wandte den Blick vom Himmel ab, „ich schätze das und vieles mehr besprechen wir auf dem Nachhauseweg!“ „Wie meinst du das, Sikona?“, schaltete sich Esaila sofort ein, „willst du ihn etwa zum Rudel führen?“ Die eisblaue Wölfin nickte. „Glaubst du, ich lasse ihn hier alleine? In so einer gefährlichen Zeit wie dieser? Und außerdem, sieh ihn dir doch an! Überall hat er Schrammen und mager ist er auch noch. Er braucht etwas zum Fressen und Ruhe. Mama wird da schon nichts dagegen haben. Ich werde mit ihr reden!“ „Wo du recht hast, hast du recht! Ich schätze, das bekommen wir schon hin!“, sagte Esaila und gab somit ihr Einverständnis. Alle vier Wölfe standen auf und drehten sich um. Nur Yen blieb da, wo er war. „Ich soll mit euch kommen? Wirklich?“ Er konnte es nicht glauben, dass ihn diese Wölfe tatsächlich mit zu ihrem Rudel nahmen. Normalerweise war es ja so, dass Rudelmitglieder versuchen sollten, Fremde von ihrem Rudel fernzuhalten. „Na klar! Wieso denn nicht? Du siehst nicht aus wie ein Wolf, der böse Absichten hat. Nun gut. Etwas düster siehst du ja schon aus, aber dein Charakter ist in Ordnung und somit gut. Das kann ich spüren!“, erklärte Sikona „Also los, komm schon! Schlag hier keine Wurzeln!“ Daraufhin musste Esaila kichern und trabte mit ihren Geschwistern hinunter zum Fluss um dort auf Yen zu warten. Yen, im Zwiespalt mit sich selbst, gab sich einen Schubs und stand auf. Auch er trabte den kleinen Berg hinunter, zwar nicht ganz so sicher wie die anderen, aber entschlossen und bereit für die Zukunft. Vor den wartenden Geschwistern blieb er stehen und nickte ihnen zu. Ein vierfaches Nicken kam zurück. Sikona kam zu ihm und stupste ihn leicht mit der Schnauze an die Schulter an. Es bedarf keine Worte, um diese Geste zu unterstreichen. Jeder Wolf verstand sie: Diese kleine Geste bedeutete Vertrauen und der Beginn einer wunderbaren Freundschaft! Mit diesem Wissen trabten die fünf Wölfe den Fluss entlang, in die Richtung, in der das westliche Gemischtrudel lag. Was die Jungewölfe nicht wissen oder nicht einmal erahnen können, ist die Tatsache, dass sich ganz in ihrer Nähe Bedrohungen zusammenbrauen. Bedrohungen, die ihr Leben ein weiteres Mal verändern wird, sowohl auch des betroffenen Wolfes, der darin eine bedeutende Rolle spielen wird. Denn ihre Welt, das Land Daromi, ist im Begriff, sich zu verändern... ~~Die vier Geschwister Ende~~ Wohin führen die vier Geschwister Yen? Was sagt ihre Wolfsmutter zu all dem? Wie wird Yen weiter vorgehen? Was genau hat es mit der Veränderung Daromi auf sich? Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft oder gar der Untergang für alle? Kapitel 7: Die Hoffnung stirbt als Letztes ------------------------------------------ ~~Die Hoffnung stirbt als Letztes~~ Kurz nachdem sich die fünf Wölfe in Bewegung gesetzt hatten, sprang Nyrona in den Fluss, der sich links von ihnen entlang schlängelte. Da sie ein Wasserwolf war, bevorzugte sie in jeder Hinsicht das Wasser als Fortbewegungsmittel, weil sie auf Land mit ihren Pfoten, die hauptsächlich für Wasserbewegungen geschaffen waren, nicht richtig mit den anderen Wölfen mithalten konnte. Dies hieß aber nicht, dass Nyrona oder Wasserwölfe allgemein langsamer als andere Wölfe auf Land waren, sondern, dass ihnen nach einiger Zeit die Pfoten von der harten Erde weh tun würden. Trotz dieses Nachteils waren Wasserwölfe nicht schwächer als andere Elementwölfe oder normale Wölfe. So können Wasserwölfe dank ihres Körperbaus und ihrer Flinkheit besser schwimmen. Auch das Element Wasser untersteht ihnen und, je nachdem wie gut diese Fähigkeiten bei ihnen ausgeprägt sind, können sie das Wasser lenken und formen. All dies wurde Yen in dieser kurzen Zeit bewusst, als er den schlanken Körperbau von Nyrona sah. „Du, Nyrona. Deine Elementkraft ist doch gut ausgeprägt, habe ich Recht?“, fragte Yen die Wasserwölfin, die daraufhin bestätigend nickte. „Kannst du mir ein paar deiner Fähigkeiten demonstrieren? Ich habe nämlich noch nie einen Wasserwolf in Aktion gesehen. Alle Wölfe, denen ich bisher begegnet bin, waren zum größten Teil normale oder Erd- und Feuerwölfe.“ Da musste Nyrona lachen. „Nun, Yen. Ich sage dir eines: Du wirst einen Wasserwolf schon früh genug in Aktion sehen. Jetzt haben wir auf alle Fälle keine Zeit, dass wir dir unsere Kunststücke vorzeigen, da wir schon längst zu unserem Rudel hätten zurückkehren sollen“, sagte die Wasserwölfin und tauchte kurz unter einem Ast hindurch, bei dem die Anderen springen mussten, um ihren Weg fortsetzen zu können. „Aber so viel sei gesagt“, setzte Nyrona an, „Wasserwölfe heißen nicht umsonst Wasserwölfe. Ich bin eine begabte Schwimmerin und das wirkt sich auch auf meine anderen Fähigkeiten aus.“ Yen verstand und stellte keine weiteren Fragen über Nyronas Fähigkeiten. Doch nun betrachtete er die anderen drei Wölfe, die neben und vor ihm rannten. Im Großen und Ganzen hatten alle einen normalen Körperbau, genauso wie seiner. Das Einzige, was nicht normal an ihnen war, und, was Yen schmunzeln ließ, waren ihre Schwänze. Nuriks Schwanz bestand aus knisternden Flammen, die nur so vor Hitze strotzten. Der Schwanz von Sikona dagegen bestand aus knirschenden und klirrenden Eiszapfen, die Kälte ausstrahlten. Esailas war im Vergleich zu Nuriks und Sikonas Schwänzen eher harmlos. Dennoch fand Yen ihre Rute merkwürdig, denn anstatt Fell besaß dieser lange Grashalme, die struppig und geschmeidig herunterhingen. Als Yen dies und viele andere Unterschiede bemerkte, wollte er über seinen noch recht harmlosen Körper nicht nachdenken. Doch ihn interessierten andere Dinge, die er jetzt herausfinden wollte. „Esaila, Nurik und Sikona. Könnt ihr mir kurz verraten, was eure Rassen für Vorteile und Nachteile mit sich bringen? Bei Wasserwölfen ist das ja leichter, doch bei euch kann ich keinen Nachteil erkennen.“ Die angesprochenen Wölfe wurden langsamer und gesellten sich zu ihm. „Alles klar! Können wir machen. Ich fange am besten an“, begann Esaila zu sprechen, „Wie du ja weißt, bin ich eine Waldwölfin und Wald ist die Abstammung von Erde. Im Wald fühle ich mich sicherer, als auf den großen Steppen. Dies ist schon mal ein Unterschied zu meinen Verwandten, die Erdwölfe. Auch kann ich nicht, wie sie, die Erde bewegen. Meiner Rasse unterliegen aber die Pflanzen, wo die Erdwölfe an ihre Grenzen stoßen. Einer meiner wichtigsten Eigenschaften ist die, dass ich die Pflanzen verstehe. Ich weis, wie es ihnen geht, was geschah und vieles mehr.“ „Ach. So ist das also! Ich dachte mir schon so was Ähnliches“, sagte Yen einleuchtend und wand sich an Nurik, der nun zu sprechen begann. „Bei uns Feuerwölfen gibt es nicht viel zu sagen, außer, dass wir die wärmeren Gebiete bevorzugen und eiskalte meiden. Auch das Wasser mögen wir nicht besonders. Nun, sagen wir es so: Ich mag es schon, muss es aber nicht unbedingt in meinem Fell haben.“ Der Feuerwolf warf Nyrona einen bösen Blick zu, die daraufhin lachend unter Wasser verschwand. „Wo es kalt ist, geht es uns schlecht, doch das trifft nicht auf Sikona zu. Bei ihr geht es mir gut.“ Er lächelte seine kleine Schwester an, die dieses erwiderte. „Na, sagen wir es so: Manchmal geht es mir gut!“ Sekunden später fing er sich eine kalte Nase ein, da Sikona Schnee in sein Gesicht pustete. Wo der Schnee so plötzlich herkam, wusste Yen nicht und er hatte auch keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, da Nurik, der sich abmühte, den kalten Schnee aus seinem Gesicht zu bekommen, weitererzählte. „Wir sind die einzige Rasse, die es wagt mit dem Feuer zu spielen und mit der sich das Feuer auch einlässt.“ Hier beendete Nurik seinen Bericht und trabte wieder an die Spitze der kleinen Gruppe. Nun kam Sikona an seine Seite und begann zu erzählen. „Da Eiswölfe von Wasserwölfen abstammen, können wir das Wasser zu Eis und Schnee gefrieren lassen. Entweder durch unseren kalten Atem oder durch starke Konzentration. Erst dann können wir unsere Fähigkeiten ausnutzen, da das eigentliche Wasser unseren Befehlen nicht gehorcht. Da Wasser sich bekanntlich fast überall befindet, kann man hier nicht von einem allzu großen Nachteil sprechen. Der größte Nachteil, den wir haben, ist der, dass wir uns, im Gegensatz zu Feuerwölfen, in der Hitze nicht sehr wohl fühlen. Die Hitze schlägt uns sehr auf das Gemüt. Doch in kalten Gebieten sind wir das blühende Leben. Ich glaube, das reicht, was du über unsere Rassen vorerst wissen musst. Wir sind gleich beim großen Rudel angekommen.“ So schlossen sie ihre Berichte, die Yen sehr zum Nachdenken gebracht hatten, ab. Doch er stellte keine weiteren Fragen. Vorerst hatte er genug erfahren und früher oder später würde er die Fähigkeiten der Rassen schon selbst sehen. Kurz nachdem sie ihre Unterhaltung beendet hatten, wurden die vier Wölfe langsamer. Yen tat es ihnen gleich und trat aus dem Wald auf eine offene Lichtung. Dort blieben sie stehen. Nur das schwere Atmen der Wölfe vom Rennen war zu vernehmen. Kurz gönnten sie sich eine Atempause. Doch nicht zu lange, denn Sikona trabte schon munter weiter, hinter ihr ihre Geschwister und Yen bildete die Nachhut. Sie trabten über die Lichtung, die kurz anstieg, aber größtenteils flach verlief. So plötzlich wie Sikona loslief, so plötzlich blieb sie stehen. Die anderen Wölfe taten es ihr gleich. Auch Nyrona im Wasser blieb auf einem Fleck und starrte, wie ihre Geschwister, auf den Boden. Yen verstand erst beim Näherkommen, warum sie dies taten. Vor den vier Wölfen öffnete sich ein Abgrund, der steil nach unten ging. Neben ihnen war ein kleiner Wasserfall, dessen Rauschen Yen erst jetzt vernahm. Ungefähr hundert Meter unter ihnen war eine Felsnische, die von drei Wänden eingegrenzt war. Auf einer dieser Wände befanden sie sich jetzt und blickten hinunter in die Nische, wo sich ein großes Rudel von Wölfen befand. „Unsere Heimat“, sagte Nurik und blickte Yen an, der sich langsam vom Abgrund entfernte. Yen hatte genug gesehen. Abgründe machten ihm noch immer Angst und er wusste nicht so recht, wieso. Doch nach wenigen Schritten blieb er stehen, weil er dachte, dass er nun sicherer stand. Das Rudel, das er gesehen hatte, war groß gewesen. Alle Arten von Wölfen tummelten sich in der Felsnische. Doch mehr konnte Yen in diesem kurzen Augenblick nicht erkennen. „Ich werde schon einmal den Wasserfall nach unten schwimmen und Mutter von unserer Ankunft Bescheid geben“, sagte Nyrona und war im nächsten Augenblick verschwunden. Da drehten sich die restlichen Wölfe zu Yen um. Esaila erklärte: „Nun, ich schätze wir sollten uns beeilen!“ Nurik und Sikona nickten ihr zu und gemeinsam rannten sie in Richtung der Öffnung der Felsnische. Der Weg begann immer steiler abzufallen und kurz durch den Wald zu führen, bis sie wieder ebenen Boden unter den Pfoten hatten. Daraufhin machten sie einen Schwenker nach links und rannten direkt in die Felsnische hinein. Nun konnte man das Tosen des Wasserfalls deutlicher hören. Die Nische schien wie ein Trichter zu sein, der seine Geräusche weit über das Land verbreitete. Yen konnte weitaus mehr vernehmen, als das Tosen des Wassers. Auch die Geräusche von Wolfsknurren und Gebelle drang an seine Ohren. Schon nach wenigen Schritten konnte er die Wölfe riechen. So war es für ihn keine Überraschung, als vor ihnen Nyrona und eine ältere Wölfin auftauchten. Sie schienen auf die Neuankömmlinge gewartet zu haben. Beim Näherkommen betrachtete Yen die Wölfin. Sie war ein normaler Wolf, mit grauem Fell und braunrotem Haar, das von ihrer feurigen Verwandtschaft zeugte. Auch zwei Pfoten waren braunrot und ein Teil ihrer rechten Hinterkeule. Sonst war an ihr alles schlicht grau. Doch eines fiel Yen besonders an dieser Wölfin auf: Es war die Art, wie sie sich hinsetzte und geduldig auf die Neuankömmlinge wartete. Die Art, wie sie sie gütig anblickte. Die Art, wie sie ihren ehrenvollen Kopf erhob. Und die Art von Anmut, die ihr Körper ausstrahlte. All dies zeigten Yen, dass dies die Leitwölfin des Rudels sein musste, das er von oben gesehen hatte. Die Leitwölfin und die Mutter der vier Geschwister. Freudig empfing die Leitwölfin ihre Kinder. Sie umarmten und liebkosten sich. Alles zeugte von tiefster Vertrautheit. Yen wollte dieser Familienidylle nicht zu nah treten und blieb etwas abseits stehen. Doch die Leitwölfin beschäftigte sich nicht zu lange mit ihren Kindern und ging stolz auf Yen zu. Dieser wusste nicht so recht, was er machen sollte und blieb einfach unschlüssig stehen. Doch da sprach die Leitwölfin schon. „Mein Name ist Marika. Ich bin die Leitwölfin des westlichen Gemischtrudels unter der Führung von Kito. Nyrona hat mir bereits von dir erzählt. Ich werde nicht von dir verlangen, dass du dich unterordnest. Dennoch will ich gütig zu dir sein und dir Unterschlupf gewähren.“ Mit jedem Wort wurde Yen immer mehr bewusst, dass er es hier mit einer großartigen Leitwölfin zu tun hatte. So ließ seine Antwort nicht lange auf sich warten. „Mein Name ist Yen. Ich danke für das Angebot, das ich natürlich annehmen werde.“ Marika nickte. „Nun Yen. Lasst uns zum Rudel gehen und du erzählst mir solange, woher du kommst und, was du hier zu suchen glaubst.“ Yen willigte ein und folgte ihr, um seine Geschichte erneut zu erzählen. Er bemerkte die dankbaren Blicke der Geschwister nicht, die sie Nyrona zuwarfen. So erzählte Yen bereitwillig von seiner Geschichte und Marika hörte aufmerksam zu. Beim Rudel angekommen, beendete Yen seine Geschichte. „Und so machte ich mich auf den Weg, die Ursache für das Sterben der Wölfe und das Verschwinden der Elementkraft zu finden und kam somit in euer Gebiet.“ Marika hörte aufmerksam zu und, als Yen geendet hatte, verfiel sie in Schweigen. Sie kamen beim Rudel an und Marika erhob ihre Stimme, um Yen den anderen Wölfen vorzustellen und zu erklären, dass dieser einige Zeit beim Rudel bleiben durfte. An Yen gewandt sagte sie nur: „Yen, du wirst einige Zeit hier bleiben. Ich werde dich beobachten und entscheiden, ob ich dir sage, was ich weiß. Meine Kinder werden dir alles Wichtige zeigen. Ich hoffe, du enttäuscht mich nicht.“ Mit diesen Worten verschwand sie in einer Höhle und ließ einen verwirrten Yen zurück. Die Geschwister kamen zu ihm und stupsten ihn freundschaftlich an. „Mama scheint dich zu mögen. Normalerweise ist sie zu fremden Wölfen nie so nett“, stellte Sikona lachend fest. Die Geschwister stimmten in das Lachen ein und zeigten Yen die Gegend und erklärten ihm, was er beachten musste. Anfangs fühlte sich Yen in diesem fremden Rudel nicht ganz wohl. Die anderen Wölfe, die zum größten Teil aus normalen Wölfen bestanden, musterten ihn zu Beginn misstrauisch. Doch, da ihre Leitwölfin diesen jungen Wolf Unterschlupf gewährte, gewöhnten sie sich schnell an ihn. Yen war ein guter Jäger mit einem scharfen Spürsinn und somit fand er im Rudel immer mehr Anerkennung. Hier und da schloss Yen kleine Freundschaften und war auch glücklich, nicht mehr alleine zu sein, da die vier Geschwister immer um ihm herum waren und auf ihn aufpassten. Er verstand sich mit Nyrona, Esaila, Nurik und Sikona immer besser. Sie nahmen ihn bereitwillig in ihr kleines Vierergespann auf, worüber Yen sehr froh war. Auch die Geschwister waren glücklich, dass Yen bei ihnen war. Im Rudel hatten sie zwar eine wichtige Rolle inne, doch dort war kein einziger Wolf, der sich verpflichtet fühlte, dem verrückten Gespann näher zu treten. Es herrschte ein normales Verhältnis, doch jeder im Rudel wusste, dass die vier Jungwölfe keine normalen Wölfe waren, sondern Wölfe, die nicht ruhig auf einem Fleck sitzen konnten und am liebsten gedankenlos in der Welt herumlaufen würden. Im Rudel wurden sie auch häufig „die vier verträumten Wölfe“ genannt. Auch zu Recht. Verträumt waren sie und dies musste Yen mehrere Male feststellen. Sie hatten ein anderes Weltbild als andere Wölfe. Fast genauso eines wie er selbst. Yen sagte sich immer wieder, dass dies einer der Gründe war, wieso sie sich so gut verstanden. Immer mehr schätzte er ihre Gesellschaft und sie die seine. Yen bemerkte sehr schnell, dass die verträumte Art auch auf ihn überzufärben begann. Er genoss diese sorglose Zeit im Rudel. Aber trotz allem fühlte sich Yen in der Felsnische und bei dem Rudel nicht wirklich wohl. Sein Instinkt trieb ihn nach draußen in die große weite Welt. Doch er konnte und wollte noch nicht weiterziehen. Yen wollte noch erfahren, was Marika über das Sterben der Wölfe und das Verschwinden der Kraft wusste. Erst dann wollte er weiterziehen. Marika beobachtete ihn sehr oft bei der Jagd, beim Schlafen, beim Fressen, beim Spielen mit den Jungwölfen. Fast immer spürte er ihren Blick im Rücken. Anfangs fand er dies unheimlich, doch mit der Zeit gewöhnte er sich an diesen prüfenden Blick, bis er ihn eine Zeit lang gänzlich vergaß. So war Yen schon seit vier Wochen beim Rudel ohne Aussicht auf ein baldiges Weiterziehen. In einer Vollmondnacht stahl sich Yen aus dem Rudel und folgte einem geheimen Pfad, den ihm die Geschwister gezeigt hatten, bis er an einer Felsnase ankam. Dort legte er sich nieder und blickte hinauf zum Vollmond, der auf den Wald unter sich schien. Der junge Wolf lauschte in die Ferne, wie er es jeden Abend seit seinem Abschied von den freien Wölfen tat. Jedes Mal glaubte er Koras Geheul zu vernehmen, das ihn mit Sehnsucht füllte, doch immer wieder Mut gab. Es war still in dieser hellen Nacht. Nur ein paar Grillen waren zu hören. So hörte Yen den Wolf schon, bevor er ihn sah oder roch. Aus dem Schatten trat, mit gesenktem Kopf, Sikona zu ihm und blieb neben ihm stehen. „Du vermisst sie. Habe ich Recht?“ Yen nickte nur und Sikona setzte sich hin. Er tat es ihr gleich. „Du musst wissen, dass Freunde niemals weit weg sind. Sie sind hier drinnen. Für immer.“ Mit diesem Satz deutete sie auf Yens Brust. „Immer, wenn man eine Freundschaft schließt, wandert ein Teil seiner eigenen Seele in des anderen Körper und anders herum“, erklärte Sikona mit ruhiger Stimme. Yen war gerührt von ihrer Hilfsbereitschaft. „Danke“, brachte er nur heraus. „Ich kann deine Gefühle verstehen. Ich würde sie auch vermissen. Doch du bist nicht alleine auf dieser Welt. Und außerdem hast du sie ja verlassen, um ihnen zu helfen. Um der ganzen Wolfheit zu helfen.“ „Ja, das habe ich. Und ich werde nicht solange ruhen, bis ich an meinem Ziel angekommen bin, von dem ich nicht genau weiß, was es ist“, gab er ihr gegenüber zu. „Nun Yen. Ich glaube, ich erzähle dir meine Lieblingsgeschichte. Unsere Oma hat sie uns immer wieder erzählt. Sie zeugt von Hoffnung und Vertrauen. Ich hoffe du kennst sie noch nicht. Am liebsten habe ich sie, wenn sie geheult wird. Hörst du mir zu?“ Yen nickte ihr aufmunternd zu, froh über ihre Gesellschaft. Da hob Sikona ihren Kopf in Richtung Sterne und Mond und begann die alte Geschichte über die Entstehung der Elementkraft und die Prophezeiung zu heulen. Yen stellte schon sehr früh fest, dass Sikona sehr schön heulte. Sie wusste, wann sie welche Gefühle mit einbringen und, wann sie ihr Heulen anschwellen und wieder abschwellen lassen musste. Er fand es atemberaubend und Yen konnte sich die Geschichte wie von selbst vor seinem inneren Auge vorstellen. Schon bald roch Yen andere Wölfe, die wenige Augenblicke später aus dem Unterholz auftauchten. Es waren Nyrona, Esaila und Nurik. Alle drei gesellten sich zu ihnen ohne ein Wort zu sagen, hoben ebenfalls ihre Köpfe und stimmten wunderbar und ohne Fehler in das Geheul von Sikona ein. Es war ein atemberaubendes Geheul, das genau abgestimmt war. Einmal schwellte nur eine Stimme an, doch dann wieder alle. Das Heulen bewegte sich wie ein Zauber in der Luft. Yen, der der Geschichte lauschte, bekam das Bedürfnis, mitzuheulen. So hob auch er seinen Kopf und stimmte mit ein. Sein Geheule und das der anderen war so wunderbar und schön, dass die Wölfe im westlichen Gemischtrudel ihre Köpfe hoben und der alten, fast vergessenen Geschichte lauschten. Vor allem eine Wölfin hörte dem Spektakel aufmerksam zu. Yens Geheule rundete die Prophezeiung ab und zu fünft heulten sie, als seien sie alle Eins. Ein einziger Wolf, voll mit Hoffnung und Vertrauen. Als die Geschichte zu Ende war, stimmte Sikona ein neues Geheul an, dem die anderen bereitwillig folgten. Dies erzählte von dem Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die sich gerade entwickelte und in dieser Nacht einen von vielen Höhepunkten erreicht hatte. Sie heulten, bis sich der Morgen am Horizont ankündigte und verstummten nacheinander. Sikona bildete den Schluss und, als sie aufhörte, legte sich eine beruhigende Stille über das Land. Doch die Stille währte nicht lange, da sagte Yen: „Die Geschichte ist wunderschön, Sikona. Danke, euch allen, dass ihr sie mit mir geteilt habt!“ Die anderen Wölfe nickten ihm freundlich zu. Erneut wurde es ruhig. „Yen“, begann Sikona, „du hast auch einen Teil meiner Seele in dir. Ich werde immer bei dir sein!“ Sie stand auf und umarmte Yen, indem sie ihre Schulter an seine schmiegte. Die anderen drei Geschwister verstanden. „Auch ich werde immer bei dir sein, mit meinem Seelenstück!“, sagte Nyrona und umarmte ihn ebenfalls. Esaila tat es ihren Geschwistern nach und erklärte: „Mögen wir für immer befreundet sein, Yen!“ Nurik war der Letzte, der vortat. Er blieb stehen, so als müsste er sich erst entscheiden, was er tun sollte. Doch seine Entscheidung war schon lange gefallen. „Yen. Ich sage dir eins! Du bekommst mich definitiv nicht mehr los!“ Mit diesen Worten umarmte er Yen, der ihn ebenfalls umarmte. Ein Lachen machte die Runde, bevor Yen etwas sagte. „Ich danke euch. Auch ein Teil meiner Seele ruht nun in euch und ich werde immer bei euch sein. Ich danke euch auch für die Hoffnung, die ihr mir mit dieser Geschichte gegeben habt! Ich werde sie und euch niemals vergessen!“ „Das brauchst du auch nicht. Wir werden nämlich immer bei dir sein“, sagte Sikona und wieder lachten alle. Doch es stecke viel mehr hinter diesen Worten, als Yen dachte. Sie wurden aus ihren Gedanken gerissen, als ein Heulen ertönte. Ein Heulen, das verriet, dass die fünf Jungwölfe gefragt wurden und, dass eine Entscheidung getroffen wurde. Es war das Heulen von der Leitwölfin Marika. Nicht weit vom Gebiet des westlichen Gemischtrudels entfernt, kämpfte ein Wolf um sein Überleben. Er war geschwächt vom Kampf, der sich ein paar Tage zuvor in seinem Rudel zugetragen hatte. Es war ein blutiger und zerstörender Kampf gewesen. Kein Wolf aus seinem Rudel hatte überlebt, außer er selbst. „Wieso haben sie das getan? Sie sind doch auch nur Wölfe gewesen, wie ich selbst einer bin“, sprach der junge Wolf zu sich selbst. Ihn verwirrte diese Angelegenheit sehr. Vor allem konnte er nicht verstehen, wieso ein so friedliches Wolfsrudel wie seines angegriffen und fast vollständig ausgelöscht werden konnte. Der Wolf blieb stehen und blickte sich nach möglichen Verfolgern um. Doch es waren keine zu sehen oder zu riechen. So gönnte er sich eine Rast und betrachtete seine Wunden. Seine linke Schulter war aufgerissen, doch sie begann schon zu heilen und es würde keine Narbe bleiben. Unter anderem waren seine Pfoten von der Hetzjagd aufgeschürft und seit mehreren Tagen blutete er aus dem Mund, da er einen anderen Wolf zu fest gebissen hatte. „Ich bin halt kein richtiger Kämpfer!“, stellte der einsame Wolf traurig fest. Doch fliehen konnte er. Oh ja, der Wolf war vor der Gefahr geflohen, die in ihrem Gebiet herrschte. Aber auch nur, weil es ihm seine sterbende Mutter befohlen hatte. „Was hätte ich sonst tun sollen? Es war ihr letzter Wunsch und so etwas durfte man nicht abschlagen. Ich sollte überleben um ...“, sagte sich der Wolf ein, „... um diesen Wolf zu suchen und ihm zu helfen. Er ist die Hoffnung aller!“ Man merkte dem Wolf an, dass er verwirrt war, da er begonnen hatte, mit sich selbst zu reden. Größtenteils war der körperliche Schmerz schuld, doch der Schmerz des Verlustes gab ihm den Rest. „Mutter... Vater... Ich ... Ich werde euch nicht enttäuschen!“, rief er in die Weiten der Welt hinaus. Doch er verfluchte sich sogleich für diese Tat. „Was ist, wenn sie mich doch noch finden?“ So stand er unter Schmerzen auf und zwang sich, weiterzugehen. „Ich muss die alte Heilerin finden. Ich muss sie und dann ihn finden. Vielleicht kann sie helfen ...“, murmelte der Wolf und wanderte weiter in die Nacht. Das hoffnungsvolle Heulen, das aus der Richtung des westlichen Gemischtrudels kam, hörte er nicht. Er hörte nicht das Heulen, dass auch für ihn Hoffnung bedeutete und ging seinen Weg weiter. ~~Die Hoffnung stirbt als Letztes Ende~~ Was für eine Entscheidung hat Marika getroffen? Geht die Reise bald weiter? Wer ist dieser junge verletzte Wolf? Erreicht dieser sein Ziel? Hoffnung, ein Wort, dass Mut verbreitet und den Glauben schenkt. Kapitel 8: Entscheidungen und ein Bienenstich --------------------------------------------- ~~Entscheidungen und ein Bienenstich~~ Ein Heulen, das verriet, dass die fünf Jungwölfe gefragt wurden und, dass eine Entscheidung getroffen wurde. Es war das Heulen von der Leitwölfin Marika. So machten sich die fünf Wölfe auf den Weg. Eine Leitwölfin ließ man nicht warten und das schon gleich dreimal nicht, wenn es sich um so ein dringendes Heulen wie das von eben handelte. Trotz der Eile fühlten sich die Wölfe wohl. Gerade eben hatten sie ihre Freundschaft besiegelt, die wohl ewig halten würde. Jeder von den fünf Wölfen würde diesen Abend nie vergessen, vor allem Yen nicht. Nyrona führte die kleine Gruppe an und leitete sie durch den dunklen Wald. Bald kamen sie bei der Felsnische an, wo sie die anderen Wölfe antrafen, die schon auf sie gewartet hatten. Yen wunderte sich, dass alle Wölfe wach waren und sie erwartungsvoll anblickten, doch dann erinnerte er sich an das Heulen, das sie vor wenigen Minuten vollbracht hatten. Dieses schien auch bis zur Felsnische vorgedrungen zu sein und zwar nicht gerade leise. Die anderen Wölfe hatten sich vor der Höhle der Leitwölfin versammelt, wo sie die Jungwölfe erwarteten. Keiner sprach ein Wort oder bewegte sich. Alle blieben gespannt auf ihren Plätzen und nur das schwere Schnaufen der Wölfe war zu hören. Die fünf Jungwölfe gingen einfach weiter, durch die Wolfsreihe und bis zur Höhle. Kurz davor blieben Nyrona und die anderen stehen. Nun trat Yen vor und wollte in die Höhle gehen. Doch er zögerte. Was erwartete ihn dort drinnen? Wie hatte sich Marika entschieden? Hat sich das lange Warten gelohnt? Diese und noch viele weitere Fragen schossen Yen durch den Kopf, während er in die dunkle Höhle blickte. Dort konnte er leise das Schnaufen einer älteren Wölfin hören. Das Schnaufen von Marika. Ein Schauer ging durch seinen Körper. In dieser Nacht würde sich einiges entscheiden. Vor allem, was er als nächstes tun musste. Yen hoffte, seinen Weg endlich fortsetzen zu können und blickte ein letztes Mal zurück zu seinen neuen Freunden. Sikona, Esaila, Nyrona und Nurik gaben ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass sie direkt hinter ihm standen. Dies gab Yen den Mut, endlich in die Höhle zu treten. Das Schnaufen wurde immer lauter, je weiter Yen in die Höhle schritt, bis schließlich Marika vor ihm auftauchte und ihn ruhig anblickte. Yen starrte ehrfurchtvoll zurück. Nach diesem kurzen Zögern drehte sich Marika um und führte Yen in einen Teil der Höhle, wo die Wände breit auseinander gingen, sodass sie in einen großen Raum traten. Yen hatte nicht geahnt, dass sich ein so großer Raum hinter all den Felsen befand. Kaum konnte er die Decke erkennen. Trotz der Größe, war es nicht dunkel, da an einer Wand durch einen kleinen Riss Licht hereinfiel. Dadurch sah die Höhle etwas gemütlicher aus. Dennoch wirkte diese Dunkelheit und diese Größe der Höhle bedrückend auf Yen. Er fühlte sich verloren und sogar ein klein wenig einsam. Doch als er die Gegendwart seiner Freunde hinter sich spürte, waren diese Gedanken wie weggeblasen. Was zählte, war das Hier und Jetzt und somit das Wohl seiner Freunde. Vorsichtig trat Yen noch ein paar Schritte nach vorne, sodass auch die vier Wölfe hinter ihm Platz hatten. Als nun endlich alle in dem Raum angekommen waren, setzten sie sich hin und warteten. Die Leitwölfin tat es ihnen gleich und blickte Yen und ihre Kinder an. „Nun, ich glaube, ihr wisst, wieso ich euch zu mir gerufen habe?“, begann Marika dann zu sprechen. Alle fünf Jungwölfe nickten. „Yen, ich habe eine Entscheidung getroffen. Die Entscheidung, auf die du so lange gewartet hast. Ich weiß, dass dir die Zeit wie eine Ewigkeit vorgekommen ist, da du ein Wolf bist, den es in die Weiten der Welt hinaus zieht.“ Die Leitwölfin machte eine Pause und blickte tief in Yens Augen. In ihnen konnte sie die Zustimmung auf ihre Feststellung sehen. Yen war schon seit Tagen bei dem westlichen Gemischtrudel und jeden Tag hatte er gehofft, weiter zu ziehen. Nicht, weil ihm das Rudel nicht gefiel, sondern weil es, wie Marika schon angesprochen hatte, ihn in die Welt hinauszog. Yen wollte den Wölfen helfen, die jetzt in Not geraten waren. Er wusste, dass dieser Weg steinig und schwer war, doch in seinem Inneren gab es etwas, das ihm sagte, dass er es dennoch schaffen konnte. „Doch ich konnte dir nicht schon früher meine Informationen preisgeben“, brach Marika die Stille. „Es hätte sein können, dass du ein Spitzel von diesen finsteren Wölfen bist, die unser Land in Aufruhr versetzen.“ Hinter sich konnte Yen ein leises Fiepen hören. Er vermutete, dass es von Sikona kam, die Mitleid mit Yen hatte. Mitleid, weil er verdächtigt wurde ein Spitzel zu sein. Doch Yen brauchte kein Mitleid. Er hatte geahnt, dass so etwas von ihm gedacht wurde. Sein Aussehen ließ wohl jeden Wolf zweifeln, dass er aus keinem anderen Rudel als einem Finsternisrudel stammte. Dies hatte Yen schon vor Langem begriffen, dass seine nahen Verwandten wohl Finsterniswölfe waren. „Doch nun bin ich mir sicher, dass du kein Spitzel bist, sondern wirklich ein Wolf, der versuchen will, uns zu retten. Das Spektakel von vorhin hat mich letztendlich überzeugt. Ob du uns retten kannst, weiß ich nicht. Nun, und ob meine Informationen für dich nützlich sein werden, noch weniger. Aber eins weiß ich gewiss: Dass man dir vertrauen kann!“ Yens Herz schlug bei diesen Worten schneller. „Nun Yen. Meine Entscheidung steht fest. Ich vertraue dir mein Wissen an. Aber ich möchte dich nicht enttäuschen. Auch mein Wissen ist beschränkt und ich weiß kaum mehr als du selbst.“ „Das macht nichts. Für mich ist jede Information wichtig!“, sagte Yen. Marika war sichtlich zufrieden. So eine Reaktion hatte sie erwartet. „Also gut! Dann lass uns anfangen und hört gut zu, weil ich werde das, was ich sage, nicht wiederholen.“ Die Jungwölfe nickten. „Dir ist sicherlich aufgefallen, dass dieses Rudel keinen Leitwolf besitzt. Es mag für dich eigenartig vorkommen, dass nur eine Leitwölfin das Rudel führt. Doch der Schein trügt. Dieses Rudel hat sehr wohl einen Leitwolf.“ Yens Blick wanderte bei diesen Worten unauffällig zu Nurik. Dieser musste seinen Blick auf sich gespürt haben und blickte nun seinerseits Yen an. Da begriff Nurik und schüttelte energisch den Kopf, ohne ein Wort zu sagen. Yen wurde bewusst, dass Nurik nicht der Rudelführer sein konnte. Erstens hatten die Jungwölfe bei ihrem ersten Treffen den Namen „Kito“ erwähnt und nicht Nurik seinen. Zweitens wäre ihm dies sofort im Rudel aufgefallen und drittens hatte Nurik einfach nicht das Zeug zu einem Rudelführer. „Nein, Nurik ist nicht unser Rudelführer“, fuhr Marika unbekümmert fort. „Unser Leitwolf ist Kito. Sicher hast du schon von ihm gehört. Kito ist ganz anders als du, aber nur vom Äußeren. Vom Inneren gleicht ihr euch sehr. So sehr, dass ich mir wünsche ihr hättet einander in dieser Zeit, wo du bei uns bist, kennen gelernt. Kito ist ein Lichtwolf. Seine Fähigkeiten, das Licht zu beherrschen, sind sehr gut ausgeprägt. Er ist ein wunderbarer Führer mit gutem Herz. Auch er hatte den Drang verspürt, der Welt und seine Bewohner zu helfen. Auch er ist in die Weiten von Daromi marschiert, um nicht untätig zu blieben. Dies war vor ein paar Monaten, als der Terror der Finsterniswölfe begonnen hatte.“ Yen stutzte. „Finsterniswölfe?“ Marika nickte. Nun hatten sich seine Vermutungen bestätigt, die er schon lange hatte. Um genau zu sein, seit dem Tag, als er die beiden finsteren Wölfe vor der Klippe belauscht hatte. „Ja, es waren sie. Da besteht kein Zweifel. Sie streunen durch das Land und, wie es scheint, haben sie nur ein Ziel: Die Zerstörung aller Rudel und Vereinigung unter einem einzigen Rudelführer. Der Rudelführer des nördlichen Finsterniswolfsrudels Taroxon.“ Das letzte Wort sprach sie mit Hass und Abscheu aus. Doch dies verwunderte Yen kaum und er konnte sie verstehen. Der Name selbst jagte ihm einen Schauer über den Rücken, den er nun zu unterdrückten versuchte. Doch da sprach Marika schon weiter. „Kito erahnte die Gefahren, die uns bevorstehen, schnell, nahm sich seine besten Wölfe und zog in die Welt hinaus. Hinaus, um einen bestimmten Wolf, aber auch viele andere zu suchen. Diesen einen Wolf, du weißt, wen ich meine, sucht er ganz intensiv. Du hast von ihm gehört. In der Prophezeiung, die dir die vier Geschwister erzählt haben. Auch Kito glaubte fest an diese. Nicht viele tun dies mit so einer Innbrust wie er. Ich glaube, Sikona hat dies von ihm geerbt.“ Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Die anderen Wölfe, die Kito sucht, sind Vagabunden, Verbliebene, Verbündete, die bereit sind, mit ihm in den Kampf zu ziehen, um Taroxons Pläne zu durchkreuzen und, um der Welt wieder eine sichere Zukunft zu geben.“ Wieder entstand eine Pause, in der keiner ein Wort sprach. Yens Gedanken kreisten wie wild durch seinen Kopf. Doch er hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, was für Folgen diese Unterwerfung für alle Rudel bedeutete, da Marika schon weitererzählte und das, was sie sagte, ihn noch mehr beschäftigte. „Kito und mir wurde sehr schnell bewusst, dass die Zukunft dieser Welt gefährdet sei. Allmählich begannen in unserem Rudel die Elementwölfe immer schwächer zu werden. Je nach ihrer Ausprägung verloren sie ihre Elementkraft, oder konnten sie nur noch in geringen Maßen nutzen.“ Yen blickte nach hinten und sah jeden Wolf einzeln an. Alle senkten traurig ihren Kopf und nickten zustimmend. „Wir wissen nicht, wieso dies so plötzlich kam und warum. Aber eines wissen wir genau. Nämlich, dass Taroxon seine Krallen im Spiel hat. Uns bleibt es ein Rätsel, was er vorhat und welches Ziel er genau verfolgt. Aus diesem Grund zog Kito los, um die Ursache und sowohl auch den Retterwolf zu finden.“ Nun wurde es still und Marika stand auf. Die anderen taten es ihr gleich. „Tut mir leid Yen, aber mehr weiß ich nicht. Kito ist bis jetzt nicht zurückgekehrt und auch die Finsterniswölfe bleiben uns fern. Aber wer weiß wie lange noch. Mir ist sehr wohl bewusst, dass dies sehr wenige Informationen waren, die dir nicht die lange Wartezeit entschädigen können. Doch lass mich dir noch einen Hinweis mit auf den Weg geben.“ Alle Wölfe im Raum spitzten die Ohren. „Verlasse das Revier in nördlicher Richtung. Doch dann wende dich nach Osten, bis du zu einem dichten Wald kommst. Wir nennen ihn auch „Wald der Unendlichkeit“. Geh in diesen Wald so weit wie du kannst, bis du auf eine Felswand stößt. Dort wirst du eine alte Wölfin finden. Diese Wölfin weiß sicherlich mehr als ich. Wir nennen sie die Seherin. Weshalb, wirst du selbst erfahren. Auch Kito ging zu ihr, bevor er seine weite Reise antrat, doch ohne Erfolg. Sie hörte ihn nicht an. Geh zu ihr! Doch du wirst nicht alleine sein. Nimm meine drei wunderbaren Töchter und meinen stattlichen Sohn mit auf deinen Weg.“ Erstaunt blickte Yen sie an. Mit jedem anderen Wolf hatte er gerechnet, die ihn die Leitwölfin mitschickte, aber nicht mit den Geschwistern. „Ich weiß, dass sie bei dir und auf deinem Weg sicherer sind. Auch weiß ich, dass sie dir sowieso folgen werden. Schon zu lange halte ich sie hier fest.“ Yen trat vor und senkte den Kopf unterwürfig. „Danke Marika. Danke für alles.“ Die Wölfin nickte und sagte: „Nun geh und lass mich kurz mit meinen Kindern alleine. Sie werden gleich zu dir kommen.“ Yen nickte und drehte sich um. Er vermied es, in die Augen der anderen zu blicken, da er Angst hatte dort Unsicherheit und Abscheu gegenüber der Entscheidung ihrer Mutter lesen zu können. So trat Yen aus der Höhle, ohne noch einmal zurückzublicken. Draußen angekommen, sah Yen in die Morgendämmerung. Auf dem Platz vor dem Rudel waren nur wenige Wölfe. Wahrscheinlich sind sie bei der Jagd, dachte sich Yen. Doch Yen kümmerte sich nicht darum und marschierte auf den Ausgang der Felsnische zu. Er wusste, dass ihm die Geschwister früher oder später folgen würden. Doch in der Mitte des Platzes blieb er unschlüssig stehen. Die anderen Wölfe würdigten ihn nur eines kurzen Blickes. Sie wussten, wie sich ihre Leitwölfin entschieden hatte und auch, was Yen als nächstes tun würde. Er wusste, wo sein nächstes Ziel lag, doch seine gemischten Gefühle hinderten ihn daran, weiterzugehen. So blickte der schwarze Wolf Richtung Himmel und ließ sich die Geschehnisse in der Höhle noch einmal durch den Kopf gehen. Er war überrascht gewesen, dass Marika doch noch bereit gewesen war, ihm ihre Geheimnisse zu verraten. Doch am meisten überraschte ihn die Tatsache, dass ihn die vier Geschwister begleiten wollen. Hier war ihre Heimat. Hier sind sie groß geworden. Hier waren ihre Freunde. All das wollten sie für einen Wolf fallen lassen. Für ihn. Einem Wolf, den sie gerade mal ein paar Wochen kannten. Yen war gerührt und ihnen unendlich dankbar. Er war froh, nicht alleine diese schwere Reise antreten zu müssen. Wenn er an die Zeit zurück dachte, in der er alleine durch die Gegend gewandert war und das Ausmaß der Zerstörung gesehen hatte, wünschte er sich, nicht alleine gewesen zu sein, um mit demjenigen diese abgrundtiefen Gefühle zu teilen. Dennoch hielt er seinen Blick starr auf den Himmel gerichtet. Oben am Himmel hatte ein kleiner Adler damit begonnen, wie seine Gedanken, im Himmel zu kreisen. Yen verfolgte den Adler am Himmel mit verträumtem Blick. Je weiter er ihn anblickte, desto mehr kam ihm der Verdacht, dass er diesen Raubvogel kannte. Doch Yen blieb keine Zeit zum Nachdenken, da genau in diesem Moment die Geschwister zu ihm kamen und ihn aus seinen Gedanken schreckten. Yen sah nicht, wie der Adler am Himmel kreischend verschwand. Als er sich nach den Geschwistern umdrehte, sagte keiner ein Wort. Yen blickte jedem ins Gesicht und in jedem konnte er Trauer erkennen. Trauer über den Abschied. Doch noch etwas sah er in den Blicken der Jungwölfe: Freude auf die Reise, die ihnen bevorstand. Ohne ein Wort zu sprechen, trabte Yen los. Es war nicht der richtige Moment für Worte. Dass er ihnen dankbar war, konnte er auch später sagen. Die anderen folgten ihm bereitwillig nach Norden. So trabten die fünf Wölfe gemütlich aus der Felsnische und in den Wald. Hinter ihnen konnten sie das Abschiedsgeheul von Marika an sie alle hören. Doch kein Wolf blieb stehen, um dieses zu erwidern. Sie alle kamen gut voran und nach ein paar Stunden konnten sie das Gebiet der Gemischtwölfe hinter sich lassen. Kurz nachdem sie die Grenze überschritten hatten, legten sie eine kleine Rast an einem Fluss ein. Auf ihrer Seite des Flusses ragte nach wenigen Metern ein steiler Berg nach oben. Auf der anderen Seite jedoch ging der Wald normal weiter. Alle Wölfe, außer Yen, begaben sich zum Fluss, um etwas zu trinken. Kurz bevor sie ihre Köpfe zum kühlen Nass hinunterbeugten, brach Yen das Schweigen, sodass sie in ihren Bewegungen erstarrten. „Ich danke euch aus tiefstem Herzen, dass ihr mir folgt. Ohne euch wüsste ich nicht, was ich machen sollte. Danke ...“ „Kein Problem! Ich glaube, wir hätten es sowieso nicht mehr lange im Rudel ausgehalten. Uns treibt es nach draußen. Und außerdem wollen wir einem Freund in Not helfen!“, erklärte Nyrona für die anderen. Nurik, Sikona und Esaila nickten zustimmend. Yen lächelte ihnen dankbar zu und machte Anstalten, sich ebenfalls zum Fluss zu bewegen. Doch da vernahm er plötzlich einen Schrei von hinten. Ruckartig drehte Yen sich um und blickte zum Berg hinauf. Doch das einzige, was er sah, war ein grau-weißes Etwas, dass direkt auf ihn zuflog und nur noch wenige Meter von ihm entfernt war. Yen wusste, dass Ausweichen unmöglich war. Sein Körper war vor Schreck erstarrt. So blieb er wie ein Felsklotz stehen und sah, wie dieses Ding immer näher auf ihn zuflog. Der junge, verletzte Wolf kämpfte weiterhin um sein Überleben. Zwar hatten die Wunden nun völlig aufgehört zu bluten, doch taten sie noch immer sehr weh. Dies zehrte an seinen Kräften und somit musste er immer öfter eine Pause einlegen. Doch größer als der Schmerz war sein Hunger. Seit er von der Gefahr geflohen war, hatte er nichts Festes mehr zwischen die Zähne bekommen. Er war zu schwach, um zu jagen und so hielt er nach Beeren Ausschau. Insbesondere Waldbeeren. Die hatte er am liebsten. Doch bis jetzt hatte der junge Wolf keinen Erfolg während der Suche gehabt. Dennoch gab er nicht auf und suchte weiter die Nacht hindurch. Als die ersten Sonnenstrahlen durch das Blätterdach schienen, beschloss der Rüde eine kurze Pause einzulegen. Er legte sich an einen schattigen Platz unter einem kleinen Baum. Seine Schmerzen zogen sich etwas zurück. Ruhig lag er da und betrachtete seine Umgebung. Nur das morgendliche Gezwitscher von Vögeln und das Surren von Insekten waren zu hören. Der Rüde genoss die Stille und die Ruhe des Ortes. In den Tagen, die er alleine verbracht hatte, war er sehr oft einsam gewesen. Schon bald hatte er sich mit dem Tod seiner Eltern abgefunden. Dennoch trauerte er innerlich noch um sie. „Denk nicht an die Vergangenheit, sondern an die Zukunft!“, sagte er sich dann immer wieder und schüttelte somit jeden trüben Gedanken aus seinem Kopf. Auch jetzt schüttelte er ihn. Anschließend bettete er seinen Kopf auf seine Vorderfüße und versuchte etwas zu schlafen. Doch zwei Dinge hinderten ihn daran. Einmal der Hunger und einmal war es die Tatsache, dass er sich, seit er sich hingelegt hatte, beobachtet fühlte. Irgendwo in einem Busch oder einem Baum war ein Tier, das ihn eindringlich beobachtete. Doch der Wolf schüttelte auch diesen Gedanken aus seinem Kopf. Die Wölfe, die sein Rudel angegriffen hatten, lagen schon lange hinter ihm und, bevor er sich hingelegte, hatte er nach Verfolgern gründlich Ausschau gehalten. Ein Seufzer entrann ihm und er musste an die Angst denken, die er vor wenigen Stunden noch gehabt hatte. Diese war durch den Hunger verflogen. Genau dieser Hunger meldete sich nun mit einem lauten Bauchknurren. Genervt knurrte der Wolf zurück und schloss die Augen erneut. Es wurde wieder ruhig. Doch dieser friedliche Moment währte nicht lange, als ein schriller Vogelschrei die Luft und somit die Ruhe buchstäblich zerschnitt. Sofort war der junge Wolf hellwach und sein Kopf schnellte nach oben, um zu sehen, was den Vogel erschreckt hatte. Der Wolf musste nicht lange suchen und er erblickte einen kleinen Adler am Himmel fliegen. Dieser flog gemütlich seine Runden, ohne ein Anzeichen von Gefahr. Der Wolf wollte sich gerade wieder hinlegen, als der Adler erneut schrie. Doch dieses Mal zog er nicht gemütlich weiter, sondern ließ sich zum Sturzflug sinken. Genau auf ihn zu. Nun sprang der Wolf auf. Sofort wurde er durch den wiederkehrenden Schmerz bestraft. Er unterdrückte diesen und richtete seine Augen wieder auf den Adler, der weiterhin vom Himmel stürzte. Unfähig sich zu bewegen, starrte er in die klugen Augen des nahenden Tieres. Immer näher kam er ihm, bis nur noch wenige Meter sie trennten. Doch zur Verwunderung des Wolfes, spreizte der Adler im letzten Moment seine Flügel und drehte ab. Der Vogel flog in den Wald und schrie erneut. Da wusste der Wolf, was diese verrückte Geste zu bedeuten hatte. Sofort begann er dem Adler in den Wald hinein zu folgen. Weiterhin ignorierte er den Schmerz und versuchte, so gut es ging, dem Vogel zu folgen. Dieser flog nicht allzu schnell und achtete darauf, dass ihn das vierbeinige Raubtier gut folgen konnte. Der Adler führte ihn immer weiter in den Wald hinein. Nur noch wenig Licht drang zu ihnen durch. Doch der Vogel fand seinen Weg. Dieser stieg immer mehr an und der Wolf verlangsamte sein Tempo. Trotzdem konnte er dem Adler problemlos folgen. Er wusste zwar nicht, wohin der Vogel ihn führte und, ob es eine gute Idee war ihm zu folgen, doch in den klugen Augen des Tieres konnte er lesen, dass er keine bösen Absichten verfolgte. So folgte er ihm den kleinen Berg hinauf, bis der Weg wieder eben wurde und sich langsam der Wald lichtete, bis er endgültig aus ihm heraustrat. Plötzlich musste der Rüde stehen bleiben, da sich vor ihm ein Abgrund öffnete. Der Wolf sah in den Himmel und erblickte noch kurz den Adler, der mit einem letzten Abschiedsschrei in den Wolken verschwand. So blieb er erneut alleine zurück. Erschöpft durch die lange Verfolgung, die bis zum Nachmittag gedauert hatte, wollte sein Körper sich hinlegen und ausruhen. Aber der Wolf wollte herausfinden, weshalb ihn der Adler an so einen merkwürdigen Ort wie diesen geführt hatte. So begann er die Gegend zu durchforsten. Er musste gar nicht lange suchen, als seine Nase einen bekannten Geruch auffing. Sofort folgte er diesem am Abgrund entlang. Freude machte sich in seinen Körper breit und unwillkürlich wurde sein Schritt schneller. Doch plötzlich blieb der Wolf stehen und blickte gierig auf das Ding vor sich. Wasser lief ihm im Mund zusammen und sein Magen knurrte lauter als zuvor. Der Wolf wartete nicht lange und stürzte sich regelrecht auf den Waldbeerbusch. Waldbeeren jeglicher Art aß er am liebsten und so verschlang er diese regelrecht. Die Himbeeren, die er aß, hinterließen um seinem Maul rote Spuren. Auch sein Bauch und seine Pfoten wurden von dem roten Saft nicht verschont. Jede Beere, die er sah, aß er gierig. Je mehr er vertilgte, desto weiter ging er in den Busch. Dieser wackelte und wackelte immer mehr. So war es nicht verwunderlich, als plötzlich ein bösartiges Surren vor seiner Schnauze auftauchte. Sofort schreckte der Wolf zurück. Direkt vor ihm war eine wütende Biene, die sich bedroht fühlte. Der Wolf wich zurück und versuchte so dem gefährlichen Stachel des Insektes zu entkommen, doch es war schon zu spät. Kurz nachdem er den Busch verlassen hatte, stach ihn die Biene mitten auf die Nase. Jaulend warf er seinen Kopf auf die Seite und flog direkt in den Abgrund. Der Flug war kurz und als er seine Augen aufmachte, sah er in das entsetzte Gesicht eines schwarzen Wolfes, das immer näher kam. Als er bemerkte, dass er den Abgrund hinuntersegelte, krachte er auch schon mit dem schwarzen Wolf zusammen. Beide verkeilten sich ineinander und rutschten, ächzend durch den Aufprall, noch einige Meter weiter. Als beide endlich zum liegen kamen, stöhnten sie vor Schmerz auf. Eine Zeit lang bewegte sich keiner von ihnen. Doch dann erhob sich ganz langsam der grau-weiße Wolf, damit der andere unter ihm ebenfalls aufstehen konnte. Dieses Mal spürte er die Schmerzen deutlicher und wankte etwas. Sofort war eine stützende Schulter bei ihm und als er nach links sah, konnte er auch das Gesicht des Wolfes erkennen, dem die Schulter gehörte. Der Wolf war nicht größer als er selbst, doch hatte er braunes Fell, eine rote Mähne und ein besorgtes Lächeln auf dem Gesicht. Benommen blinzelte der grau-weiße Wolf und sah wieder gerade aus, wo sich der schwarze Wolf unter der Hilfe einer dunkelblauen und grünen Wölfin erhob. Nun trat auch eine hellblaue Wölfin zu ihm und dem roten Wolf, um ihm ebenfalls zu stützen. Verwundert blickte sich der Wolf um. In allen Gesichtern konnte er ebenfalls Verwunderung lesen. Als der Schwarze endlich sicher stand, ging er, in Begleitung der anderen Wölfe, zu ihm herüber. Kurz vor ihm blieb er stehen. Längere Zeit sagte keiner ein Wort. Jeder sah den Neuankömmling an und dieser sie. Doch dann brach der Schwarze das Schweigen. „Eine eigenartige Art einfach so hereinzuplatzen, wenn du mich fragst!“ Der angesprochene Wolf senkte unterwürfig seinen Kopf. Der andere hatte Recht. Es war unhöflich von ihm, doch er konnte nichts dafür. Die Biene hatte ihn erschrocken und dazu auch noch gestochen. „Nun, das ist aber egal!“, fuhr der schwarze Wolf fort. „Ich sehe, du bist schwer verletzt. Das viele Blut kann einem ja richtig Angst machen.“ Da wurde dem grau-weißem Wolf bewusst, dass dieser den Beerensaft auf seinem Fell meinte. „Ich kann und werde dir das nicht übel nehmen. Ich hoffe mal, dass du kein böser Wolf bist. Wenn nein, so kannst du bei uns bleiben. Du siehst sehr mitgenommen aus. Mein Name ist übrigens Yen. Der rote Wolf neben dir heißt Nurik, die Dunkelblaue Nyrona, die Grüne neben mir ist Esaila und die hellblaue Wölfin heißt Sikona.“ Der Wolf sah jedem Angesprochnen der Reihe nach an. Alle nickten ihm freundlich zu. Er konnte nicht glauben was er sah und hörte. Da boten ihm fünf wildfremde Wölfe ihre Hilfe an. Doch er war froh darüber und machte einen hilflosen Schritt nach vorne. Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an, als er einmal tief Luft holte und zu sprechen begann. „Tut mir leid für diesen Sturzflug! Ich hoffe, dir geht es gut. Ich wurde überrascht und flog somit von dem kleinen Berg. Vielen Dank für euer Angebot! Ich werde es natürlich annehmen. Ich bin kein böser Wolf, sondern nur einer, der die Gesellschaft anderer sucht.“ Er machte eine Pause und holte erneut tief Luft, da ihm das Sprechen schwer fiel. „Schön euch kennen zu lernen! Mein Name ist Ruki.“ ~~Entscheidungen und ein Bienenstich Ende~~ Werden Yen die Informationen helfen? Wird er die Seherin erreichen? Was für ein Wolf ist Ruki und woher kommt er? Und wird sein Bienenstich verheilen? Informationen und ein Weg, die den Untergang oder das Heil bedeuten können. Kapitel 9: Aus fünf mach sechs ------------------------------ ~~Aus fünf mach sechs~~ Happy Birthday „Call of the shadows“! Ja, meine lieben Leser! „Cots“ ist nun endlich ein Jahr alt geworden! Und als Geburtstagsgeschenk gibt es dieses Kapitel, auf das ihr so lange warten durftet, und ein Geburtstagsbild! Entweder hier auf „Animexx“ oder ihr findet es auf meiner „DeviantArt“ Seite. Ich möchte mich auch gleich noch für die Unterstützung bedanken, die ihr mir alle gebt! Natürlich auch für die Kommentare und die Favos, mit denen ihr mich beschert habt. Ihr seit echt spitze und DANKE! Auch möchte ich wissen, ob jemand von euch weiß, wieso der 20.10 ein besonderer Tag für mich ist? Nein, nicht nur weil „Cots“ Geburtstag hat, sondern weil unsere ehemalige Hündin Penny an diesem Tag Geburtstag hätte. Ja, so hat dieser Tag gleich zwei Bedeutungen für mich und ich bin froh, dass „Cots“ an diesem Tag frei geschalten wurde! Ach ja. Ich habe übrigens die Abkürzung „Cots“ behalten! Finde sie witzig und eigenartig zugleich. Er passt zu einer verrückten Story wie dieser. ;) Nun hier das Kapitel (Will euch nicht zu lange auf die Folter spannen): Das letzte Wolfsrudel, das Inark und seine dunklen Wölfe aufgegriffen und somit zerstört hatten, lag schon sieben Tagesmärsche hinter ihnen. Anfangs wurde Inark nervös und machte sich Vorwürfe, da er glaubte, zu spät in diesen Teil des Landes gekommen zu sein. Seine Wölfe fanden nämlich Markierungen, die aber schon etwas älter waren. Zu Beginn schenkte Inark diesen keine Bedeutung und hoffte, bald auf neue zu stoßen. Seit er diese Wölfe anführte, sprich, seit dem Tag, als Jurikin die Klippe heruntergestürzt war und so seinen sicheren Tod fand, gab es keine allzu großen Auseinandersetzungen. Jedes neue Rudel fanden sie innerhalb von vier Tagen Marsch, da im Norden vom Land Daromi die Rudel sehr nah beieinander lagen. Immer kam es zu einem kleinen Gefecht. Ein paar gegnerische Wölfe wurden getötet. Inarks Seite dagegen erlitt kaum Verluste, da die dunklen Wölfe eine gute Strategie entwickelt hatten. Sie schlichen sich bei Nacht in das Revier ihrer Feinde, suchten deren Schlafplatz und schlugen dann noch in derselben Nacht mit der ganzen Wolfsschar zu. Die Feinde hatten keine Chance. Schon sehr bald sahen die Rudelführer ein, dass sie diesen Kampf nicht gewinnen konnten und unterwarfen sich Inark und seinen Wölfen. Inark, einem kleinen Finsterniswolf, der, nur wegen seines schlauen Köpfchens und seiner guten Beziehung zu Xin, dieses Rudel anführen durfte. So schlossen sich immer mehr Wölfe, wenn auch widerwillig, den dunklen Angreifern an. Aus den paar Wölfen, mit denen Jurikin und Inark aufgebrochen waren, wurden schließlich fast zweihundert Wölfe. Natürlich konnte Inark nicht alle zweihundert Wölfe mit auf seine Reise nehmen, da es schier unmöglich war, ein so großes Rudel durchzufüttern. So schickte Inark jedes Mal den Rudelführer und die Wölfe fort, die noch immer offenen Widerstand leisteten und eher eine Last als eine Stütze waren. Die Wölfe, die bleiben durften, waren meistens sehr Starke, die mit gelegentlichen Raufereien zur Unterordnung gezwungen wurden, was sich als ziemlich schwierig erwies, aber für die Gewinnung von mehr Mitgliedern einfach notwendig war. Oder es waren Wölfe, die seit ihre Rudelführer sich unterworfen hatten, versprochen hatten, ihr Leben für Taroxon zu geben. Es waren Überläufer die hofften, dass für sie auch ein Profit herausspringen würde. Deshalb zählte Inarks Rudel fast fünfzig Wölfe, was an sich schon ein großes Rudel bildete. Doch Inark brauchte sie, um erfolgreich noch mehr Wölfe aufzugreifen. Mit den Wölfen, die er zum Hauptrudel im Norden schickte, gingen immer ein paar von Inarks Wölfen, damit die anderen auch sicher und direkt dort ankamen. Sie wurden quasi zur Bewachung mitgeschickt. Doch ist ihr Auftrag erledigt und die Aufständischen mit ihren Rudelführern sicher ans Ziel gebracht, so ging es wieder zurück zu Inarks Rudel. Doch nicht im direkten Weg. Inark ließ sie einen weiten Bogen laufen, der mehrere Reviere umfasste, wo sie Tage zuvor die dort lebenden Wölfe angegriffen hatten. Während diesem Gang suchten die dunklen Wölfe die Gegenden nach Flüchtlingen ab. Ab und zu fanden sie Überlebende, die aber nur noch kurz auf dieser Welt verweilten. Sie wurden auf Befehl hin getötet, weil sie als Belastung für das große Rudel gesehen wurden. Nun war es ein paar Monde her, seit Jurikin den Abgrund heruntergefallen war, als Inark endlich die östliche Küste erreichte. Freude machte sich unter dem Rudel breit, da sie endlich ihr vorläufiges Ziel erreicht hatten: Das Erreichen der Küste. Am selben Tag, als Jurikin damals seine Befehle von Taroxon bekommen hatte, die anderen Rudel im ganzen Land zu bekehren, bekam Inark im Geheimen die Befehle, Jurikin auszuschalten, das Rudel zu übernehmen und dieses bis zur östlichen Küste zu führen, um unterwegs die Rudel einzusammeln. Es war fast der gleiche Befehl und Jurikin hätte schon von Anfang an klar sein sollen, dass er nicht auf einmal alle Rudel unterwerfen konnte. „Jurikin sollte in seinem Hochmut, den er nach diesem Befehl sicher haben würde, den Fehler nicht bemerken. Hätten wir ihm die gleichen wie dir gegeben, also nur bis zur östlichen Küste zu laufen, so würde er mit weniger Hochmut an die Sache herangehen. In seinem Rausch wird er sicherlich einen Fehler begehen und diesen Fehltritt musst du dir zu Nutze machen, Inark! Lösche meinen Sohn aus!“ Dies waren die Worte von Taroxon gewesen, die er Inark befehlend gesagt hatte. Inark hörte die Worte in seinen Träumen und in seinen ruhigen Gedanken. Sie sind in sein Gedächtnis eingebrannt worden, denn diese Worte hatten selbst bei ihm den Hochmut, aber auch die List geweckt. So spukten sie nun auch jetzt in seinem Kopf herum, als er auf den östlichen Ozean blickte. Ein listiges Grinsen schlich sich in sein Gesicht, als er sich zu seinen wartenden Wölfen herumdrehte. „Wölfe! Wie ihr sehen könnt, hat es einen Grund, weshalb die Markierungen so plötzlich aufhörten. Wir sind an unserem Ziel angekommen!“ Freudiges Aufjaulen ging durch die Wolfsreihen, als Inark ihren ersten Erfolg preisgab. Als es wieder still wurde, fuhr Inark mit seiner Rede fort: „Ihr wisst, was zu tun ist! Wir werden zum Hauptrudel zurückkehren und sofort aufbrechen. Es muss schleunigst Bericht erstattet werden. Lumus, komm her!“ Der letzte Satz glich mehr einem Befehl, als einer höflichen Bitte. Doch der angesprochene Wolf kam sofort mit gesenktem Haupt angelaufen. „Was ist, mein Rudelführer?“, fragte er gleich, ohne aufzublicken. Inark musterte den größeren Wolf vor sich eingehend. Es war ein Wolf, den man in einer Menge aus dunkleren Wölfen sofort sehen konnte, da sein Fell zum größten Teil knallrot war. Doch Inark schenkte dem Wolf keinen weiteren Blick und drehte sich nach Norden. „Ich will, dass du fünf Wölfe aus dem Rudel nimmst. Zwei Elementare und drei Normale. Mit ihnen begibst du dich in die Reviere der Wölfe, die wir unterworfen haben, bis du am Ausgangspunkt wieder ankommst, um von dort zurück zum Hauptrudel zu laufen. Kontrolliere jedes Revier und suche nach Überlebenden. Du weißt, was zu tun ist, wenn ihr welche findet.“ Der rote Wolf verzog verwirrt das Gesicht. „Aber die Reviere wurden doch bereits kontrolliert. Einige sogar mehrmals“, antwortete er schließlich. Inark drehte sich knurrend herum. „Gibst du die Befehle oder ich, Lumus? Kontrolliere die Reviere, wie ich es gesagt habe oder soll ich Taroxon etwa berichten, dass du seine Befehle missachtest hast?“ Inark brüllte fast den Wolf vor sich an, der daraufhin gehorsam den Kopf senkte. „Nein, ich werde fünf Wölfe nehmen und die Gegend auskundschaften. Tut mir leid wegen der Antwort. Ich werde alles tun, was Ihr befehlt, Herr!“ Inark schnaubte zufrieden und sagte: „Das will ich auch hoffen. Nun geh!“ Daraufhin drehten sich beide Wölfe herum und gingen. Der eine, um die Reviere zu kontrollieren, und der andere, um zurück zum Hauptrudel zu gehen. Was dem einen Wolf nicht klar war, wieso er diesen eigenartigen Befehl entgegennehmen musste, erschien für den anderen beruhigend und sicher, denn Lumus weiß nicht, dass Inark ihn nur ausschickte, um Sicherheit zu haben und, um auch seine Angst zu binden. Angst vor der Strafe, die Taroxon für ihn bereit hielt, wenn er nicht alle Wölfe ins Hauptrudel brachte oder auslöschte. So zogen an diesem Abend zwei Rudel anstatt eines von der Küste aus, um ihren Befehlen nachzukommen. An einem anderen Ort, aber zur gleichen Zeit, trafen fünf Wölfe auf einen sechsten. „Mein Name ist Ruki“, erklärte gerade der sechste, ein grau-weißer Wolf. Die anderen Wölfe blickten ihn etwas verwirrt an. Alle hatten damit gerechnet, dass der Wolf überhaupt nichts sagen würde, was bei seinem momentanen Zustand auch verständlich gewesen wäre. Doch da stand Ruki, aufrecht und stolz, vor und neben ihnen und begann, ohne groß zu Stottern, das Reden. Doch alle sahen, dass ihm das Sprechen schwerfiel. Nach einiger Zeit trat Yen an den jungen Wolf heran, der kaum älter als er selbst zu sein schien, und schnupperte in geringem Abstand an ihm. „Also, ich denke, du bleibst wirklich einige Tage bei uns. Deine Wunden sind sehr schlimm und einige beginnen schon zu eitern, so weit ich das gerochen habe. Also hast du dir die meisten schon vor dem Sturz geholt“, sagte Yen und trat zurück. „Ich wüsste aber gern, wer oder was dir diese Wunden zugefügt hat, vor allem das an deiner linken Schulter.“ Alle sahen die Schulter von Ruki an. Auch er selbst. Vor einigen Tagen dachte er noch, sie würde heilen, doch das Gegenteil war eingetreten. Die Wunde war schlimmer als zuvor und dicker Eiter quoll heraus. Ruhig blickte Ruki auf den Boden und schwieg. Als Yen keine Antwort bekam schüttelte er den Kopf und sagte: „Ruki, ich würde sagen, dass du mal baden gehst. Dein ganzes Fell ist voller Blut, Eiter und Dreck, sodass man nicht mal die Musterung darunter sehen kann. Nyrona und Sikona werden dir helfen. Anschließend gehst du mit Sikona zu Esaila und beide werden sich um deine Wunden kümmern.“ Nun blickte Ruki wieder auf und nickte. Ohne ein weiters Wort zu sagen ging er mit Sikona und Nyrona zum Fluss. Natürlich mussten ihn beide stützen, damit er nicht stolperte und hinfiel. Die anderen drei Wölfe blickten ihnen schweigend nach. Doch nach kurzer Zeit setzte sich auch Esaila in Bewegung. „Ich werde schon einmal die Heilkräuter suchen gehen“, waren ihre einzigen Worte, bevor auch sie verschwand. Zurück blieben Yen und Nurik. Yen schüttelte den Kopf und Nurik trat an ihn heran. „Was ist los?“, fragte der rötliche Wolf und blickte seinen Freund besorgt an. „Ach, nichts schlimmes. Ich frage mich nur, woher er die ganzen Wunden hat.“ „Ja, das ist schon eigenartig. Mich wundert es, wie er überhaupt mit diesen Wunden so lange überleben konnte, denn die Wunden waren schon um einiges älter. Fast eine Woche. Er scheint zäher zu sein, als es der erste Anschein vermuten lässt.“ Yen nickte und sagte: „Ich glaube, ich habe eine Vermutung, woher er kommt und was geschah.“ Nurik blickte nun tief in Yens Augen und dieser in die seinen. Der Feuerwolf nickte und wie aus einem Mund sagten sie: „Finsterniswölfe.“ Ein Knurren entfloh beiden Wolfskehlen, bevor sie wieder Richtung Fluss blickten. Währenddessen führten die beiden Wölfe den Verletzten langsam in den Fluss. Zischend holte Ruki Luft, als das kühle Nass seine pochenden Wunden umspülte. Doch er hielt tapfer durch und ging mit Sikona und Nyrona weiter hinein. Der Strom riss immer mehr an ihren Füßen, bis er drohte, Ruki mitzuziehen. Doch er wurde von Sikona aufgehalten, die an seiner rechten Seite stand und ihre Krallen in den Kies grub, um sie beide auf den Pfoten zu halten. Doch da hörte die Strömung plötzlich auf. „Danke Nyrona!“, sagte Sikona und stellte sich und Ruki wieder richtig hin. Nyrona nickte. „Schaffst du es, Ruki alleine zu halten? Dann könnte ich seine linke Schulter besser auswaschen und auch die anderen Wunden säubern. Und könntest du bitte das Wasser etwas abkühlen?“ „Ja, kann ich machen!“ Daraufhin sprang Nyrona ins Wasser und kam schwimmend wieder zurück. Ruki blickte daraufhin verwirrt Sikona an, die ihn aufmunternd anlächelte. Man sah ihm an, dass er über Nyronas Worte verwirrt war. Er konnte es nicht glauben, dass ein Wolf das Wasser abkühlen konnte. Doch nach wenigen Augenblicken spürte er eine angenehme Kälte, die eindeutig von Sikona zu kommen schien. Da konnte Ruki nicht anders und fragte: „Wie kann es sein, dass du das Wasser abkühlen kannst? Eine Wasserwölfin bist du ja nicht. Die haben einen flossenartigen Schwanz, so wie Nyrona. Aber du?“ Daraufhin musste Sikona lachen. „Nein, ich bin keine Wasserwölfin wie meine Schwester. Doch so was Ähnliches. Ich bin eine Eiswölfin. Das ist eine Abzweigung von Wasser.“ Nun machte sich Verständnis in seinem Blick breit. „Eine Abzweigung? Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Eine Eiswölfin! Das ist ja mal eigenartig. Und Nyrona ist wirklich deine Schwester? Ich meine ihr seit zwei verschiedene Elemente und ...“ Da brach er ab und zuckte winselnd zusammen. Daraufhin erschien Nyronas Kopf aus dem Wasser. „Tut mir leid. Kommt nicht wieder vor!“ Kaum hatte sie dies gesagt, verschwand sie auch schon wieder unter Wasser, um weiter die Wunden zu säubern. „Ich habe gar nicht bemerkt, dass sie schon angefangen hat.“ „Nyrona ist halt eine gute Wasserwölfin. Und ja, sie ist meine Schwester. Man merkt, dass du nicht aus einem Gemischtrudel kommst, sondern aus einem Reinen. In einem Gemischtrudel kann es häufig in einem Wurf unterschiedliche Elementwölfe geben. Aber es sind selten drei oder vier. Bei mir und meinen Geschwistern existiert schon eine Ausnahme.“ „Eine Ausnahme? Dann ist Nyrona nicht deine einzige Schwester?“, fragte Ruki nun noch verwirrter. „Nein, Nyrona ist nicht meine einzige Schwester. Esaila, die übrigens eine Waldwölfin ist, das ist eine seltene Abzweigung von Erde, und Nurik, ein Feuerwolf, sind auch meine und Nyronas Geschwister. Ich bin nur die Jüngste. Danach kommen Nurik und Esaila. Die Älteste ist Nyrona. Ich weiß. Es ist verwirrend, aber du wirst dich daran schon gewöhnen.“ Nun brachte Ruki gar nichts mehr heraus und starrte Sikona verdutzt an. Daraufhin musste Sikona lachen, da Ruki ein Gesicht zog, als hätte er gerade etwas sehr unappetitliches verschluckt. Doch da hörte sie etwas, was sie am allerwenigsten in dieser Situation erwartet hätte: Ruki fing nun seinerseits zum Lachen an und murmelte dabei immer wieder: „Das ist verrückt.“ Doch lange hielt dieser Augenblick nicht an, da Nyrona wieder auftauchte. „So, fertig! Darf man vielleicht wissen, weshalb ihr so herzhaft lacht?“ Daraufhin schüttelten sowohl Ruki als auch Sikona ihre Köpfe und machten Anstalten, sich umzudrehen. Nyrona zuckte nur mit ihren Schultern und half Ruki aus dem Wasser. Wieder am Ufer angekommen, löste sich Nyrona vorsichtig von seiner Seite. Noch immer strahlte Sikona ihre Kälte aus, die seine Schmerzen, die wieder zurückgekommen waren, linderten. „Ich werde nun zu den anderen zurückgehen, um mich auszuruhen. Esaila kommt gleich, um dir mit den Schmerzen zu helfen und, um die Wunden zu versorgen.“ Kaum hatte sie dies gesagt, verschwand sie schnaufend hinter dem nächsten Hügel. „Die Kraft geht zurück, deshalb muss sie sich erholen. Ihr hat dies alles zu schaffen gemacht“, erklärte Sikona ohne auf die Frage zu warten. Doch Ruki konnte nicht darauf antworten, da schon Esaila über den Hügel zu ihnen trabte. In ihrem Maul trug sie verschiedene Kräuter. Bei den beiden Wölfen angekommen, legte sie die Kräuter auf den Boden und betrachtete Ruki eingehend. „Wie geht es dir, Ruki? Konnte das kalte Wasser deine Schmerzen lindern?“ Ruki nickte und fügte hinzu: „Es geht mir schon besser. Der Nebel in meinem Kopf ist dank der Kälte verschwunden und der Schmerz ist auch gelindert worden.“ „Das ist schön. Lass mich mal deine Wunden betrachten.“ Die kleine Waldwölfin sah sich die Wunden aufmerksam an und schnupperte auch an einigen. „Der Eiter ist zum größten Teil weg und die Blutung ist wegen der Kälte zum Stillstand gekommen. Das sieht sehr gut aus! Für die Schmerzen habe ich dir ein paar Kräuter geholt, die du nur zu essen brauchst. Ich denke, ab morgen kannst du wieder alleine aufstehen, aber du brauchst Ruhe! Das heißt, nachdem du die Kräuter gegessen hast, heißt es für dich erst einmal schlafen!“ Ruki nickte nur und aß die Kräuter vor sich. Sie schmeckten zwar bitter, doch er brachte sie herunter. Ein wohliges Gefühl machte sich in ihm breit. „Nun, lasst uns zurückgehen. Sikona, du kannst dich dann auch hinlegen! Am besten in Rukis Nähe, damit deine Körperkälte seine Wunden kühlt. Sie werden in der Nacht etwas pochen, aber die Kräuter und Sikonas Kälte werden das schon lindern!“ Ruki staunte nicht schlecht über diese provisorische Hilfe und war dankbar, dass sie sich alle so sehr um ihn kümmerten. Dies sprach er auch aus, bevor sie alle drei zurück zu den anderen gingen. Dort angekommen legten sich Ruki und Sikona sogleich zu der schlafenden Nyrona. Es dauerte nicht lange und beide waren eingeschlafen. „Ich übernehme die erste Wache. Geht schlafen. Wir hatten einen anstrengenden und aufregenden Tag“, sagte Nurik nach einer Weile und blickte seine Schwester und Yen an. Beide nickten nur und legten sich ebenfalls hin. Auch bei ihnen dauerte es nicht lange und sie wurden vom Schlaf umarmt. Der Einzige, der wach blieb, war Nurik. Ruhig ließ er seinen Blick über die kleine Lichtung schweifen. Links neben ihnen erhoben sich die Felsen, von denen Ruki gestürzt war. Neugierig blickte Nurik nach oben. Ihm plagte die Frage, was genau Ruki so sehr erschreckt hatte, dass er gleich den Felsen herunter gestürzt war. Um endlich Klarheit in das Gewirr aus Fragen in seinem Kopf zu schaffen, stand Nurik auf und begann einen Weg nach oben zu finden. Doch er würde sich nicht zu weit entfernen, da er ja Wache halten musste. Bevor er im Dickicht verschwand, blickte er noch einmal zurück, um sich zu vergewissern, dass auch alle schliefen. Finsternis. Finsternis und Düsternis senkten sich um ihn herum. Es schien, als sei kein Entkommen. Überall, wohin er blickte, war es schwarz. Kein Licht brannte und auch kein Horizont war zu sehen. Das Leben war hier tot. Nur er schien hier zu existieren. Es war, als würde man in dieser Gegend den Tot mit den Pfoten greifen können, so nah schien er zu sein. Mit dem Gefühl des Todes kam auch die Angst. Angst, als nächster dran zu sein, als nächster die kühlen Schwingen des Todes zu spüren. So begann er zu rennen. Vor der Angst und dem Tod zu fliehen. Doch er wusste nicht, wohin er floh. In dieser schwarzen Welt war alles gleich. Ihm war es auch egal und rannte weiter, denn er wusste, wenn er stehen blieb, holte ihn die Angst ein. Hoffnung, die er am Anfang hatte, Hoffnung auf ein Ende, schwand mit der Zeit. Das Gefühl wollte nicht verschwinden. Er verlor jegliches Zeitgefühl. War es Tag oder Nacht? Diese Frage konnte er nicht beantworten. Doch ihm war es gleich. Er wollte nur hier weg. So plötzlich wie die Angst kam, verschwand sie auch wieder. Die Hoffnung kam an ihrer Stelle zurück und er blieb stehen. Noch immer war es dunkel, doch dieses Mal konnte er ein Licht vor sich erkennen. Es war nur klein, doch er sah es deutlich vor sich. Neugierig begann er erneut zu rennen und die Angst kam zurück. Stärker als zuvor, versuchte sie ihn einzuholen. Doch er beschleunigte seinen Schritt und versuchte, das Licht zu erreichen. Eher er es erreichen konnte, verschwand das Licht wieder und er blieb stehen. Alles um ihn herum war vergessen. Die Angst und die Hoffnung blieben aus, genauso wie der Tod. Doch eines kam: Die Erinnerung. Die Erinnerung, dass er dies alles schon einmal erlebt hatte. Keuchend wachte Yen aus dem Alptraum auf. Er blieb einige Zeit liegen und blickte sich verwirrt um. Erleichtert stellte er fest, dass er genau da lag, wo er eingeschlafen war. Kaum hatte sich seine Atmung wieder beruhigt, stand er auf und entfernte sich von den anderen schlafenden Wölfen. Keiner schien etwas bemerkt zu haben. Beruhigt musste er feststellen, dass nun auch Nurik schlief. An seiner Stelle hielt nun Nyrona Wache, da ihr Platz an dem sie eingeschlafen war, leer war. Doch sie war nirgends zu sehen. >Wird sich wohl im Wasser etwas abkühlen gehen<, kam es Yen in den Sinn und er lief etwas weiter. Ihr Nachtlager hatten sie etwas abseits vom Fluss und von der Stelle errichtet, an der Ruki quasi vom Himmel gefallen war. Doch jetzt ging Yen an die Stelle zurück, wo Ruki zu ihnen gestoßen war. Dort setzte er sich hin und versuchte, seine Gedanken zu beruhigen. Die Kühle der Nacht half ihm dabei. Yen blieb nicht lange alleine, da vernahm er hinter sich ein Schlurfen und Schnaufen. Der dunkle Wolf brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer da zu ihm kam Ruki setzte sich mit einem deutlich anstrengendem Schnaufen neben Yen. „Du dürftest gar nicht hier sein, Ruki. Du brauchst deinen Schlaf.“ „Genau deshalb bin ich hier. Ich bin aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen. Genauso wie du nehme ich an? Ich habe dich nämlich gehört und bin dir gefolgt“, sagte Ruki und wich so dem Tadel aus. Yen schüttelte lachend den Kopf. „Nein, ich konnte auch nicht mehr einschlafen.“ Es wurde still. Nur noch das Atmen beider Wölfe war zu hören und die wenigen Geräusche der Nacht. Doch dann brach Ruki die Stille. „Du hattest einen Albtraum, stimmt’s?“ Besorgt blickte Ruki Yen an. Yen spürte, dass es wirkliche Besorgnis war. Überrascht, dass sich Ruki Sorgen machte, obwohl sie sich gerade Mal einen Tag kannten, und überrascht, dass dieser auch noch wusste, dass er einen Albtraum hatte, blickte er nun seinerseits Ruki an. „Ja, ich hatte einen Albtraum. Aber woher weißt du das?“ „Ich habe dich etwas im Schlaf beobachtet und mir fiel auf, dass du sehr unruhig warst. War er sehr schlimm?“, fragte Ruki noch immer besorgt. Daraufhin blickte Yen nach oben in den Sternenhimmel. Es begann schon zu dämmern. Doch genau jetzt traf Yen eine Entscheidung und hoffte, das Richtige getan zu haben. „Ja, er war schlimm. Doch ich hatte ihn nicht das erste Mal. Zuvor hatte ich ihn, als ich mein Gedächtnis verloren habe. Der Traum ist das erste, an das ich mich erinnern kann. Ruki, du musst wissen, dass mein wahrer Name nicht Yen ist. Ich weiß ihn nicht und kann mich auch an mein Leben davor nicht erinnern. Ich wurde von einer freien Wölfin namens Kora gefunden und lebte einige Zeit mit ihr und zwei weiteren freien Wölfen zusammen. Doch dann traf ich eine Entscheidung. Ich sah viel Leid und Tod. So beschloss ich, der Wolfheit zu helfen. Kurz darauf traf ich auf die vier Geschwister und ihr Rudel. Dort blieb ich einige Zeit, doch ich konnte nicht länger verweilen. Das Rudel war momentan sicher und ich wollte anderen helfen und herausfinden, wer ich wirklich bin. Nun, mir gab jemand einen Tipp, dass ein gewissen Wölfin namens „Die Seherin“ mir Antworten auf das Verschwinden der Rudel liefen könnte. So brach ich auf und die Geschwister folgten mir. Kaum waren wir aus ihrem Revier draußen, trafen wir auf dich. Das war alles, woran ich mich erinnere. Wir zogen aus, um eine alte Prophezeiung zu unterstützen.“ Wieder wurde es still um sie herum und auch dieses Mal brach Ruki die Stille. „Das ist sehr traurig, wenn man nicht mehr weiß, wer man ist. Doch eins sei dir gesagt: Bevor wir uns trafen, hatte auch ich eine schlimme Zeit, von der ich dir jetzt nicht erzählen möchte. Ich finde es schön, dass du dich mir anvertraut hast, was deinen Albtraum angeht, und werde niemanden davon berichten.“ „Danke, Ruki. Und erzähl mir deine Geschichte, wann du willst!“ Beide lächelten sich an. „Doch eines erzähl ich dir“, fuhr Ruki fort. „Ich bin ebenfalls auf der Suche nach einer Wölfin names „Die Seherin“ und auch ich will die alte Prophezeiung unterstützen. Deshalb denke ich, werde ich euch begleiten. Ob nur zu der Seherin oder weiter, weiß ich noch nicht, aber ich bin dankbar, euch getroffen zu haben.“ Yen war andererseits auch Ruki dankbar und fragte nicht nach, woher er von der alten Prophezeiung und der Seherin weiß. Er hatte auch keine Zeit, da auch schon die Geschwister zu ihnen kamen. Allen vornweg lief Sikona, die sich freudig zu ihnen gesellte. Auch die anderen trafen ein und umarmten alle zwei herzlich. „Kann es sein, dass ihr gelauscht habt?“, fragte Yen, nachdem sich alle wieder beruhigt hatten. Unschuldig legten alle vier Geschwister ihre Ohren zurück. „Wir haben nur gehört, wie Ruki gesagt hat, dass er uns begleiten will.“ Da fingen plötzlich alle wieder zum Lachen an. Yen war ihnen nicht böse. Eher im Gegenteil. Er war froh, dass sie da waren. „Ach ja! Wenn ihr schon alle hier seit. Ich danke euch, dass ihr mir helft. Das ist sehr nett von euch und ich hoffe, ich kann mich irgendwann revanchieren“, sagte Ruki nach einiger Zeit und das Lachen verebbte. „Ach, das ist doch kein Problem. Wir sind alle sehr hilfsbereit!“, sagte Nurik und lächelte Ruki an. Dieser lächelte zurück. „Da wäre noch etwas, was ich euch sagen wollte! Das habe ich bei meiner Vorstellung ganz vergessen.“ Nun blickten alle neugierig Ruki an. „Ich bin ein Windwolf, obwohl ich eher normal aussehe. Also wenn ihr mal frischen Wind braucht, bin ich zur Stelle!“ Kaum hatte er dies gesagt, zog auch schon eine kühle Briese in ihre Felle. Nuriks Feuermähne wallte sogar kurz auf. „Wow, dass ist toll! Nun sind wir fünf Elementwölfe in der Gruppe. Alle, außer Yen!“, sagte Esaila. Aufgrund dieser Frechheit wollte Yen protestieren. Doch er kam nicht dazu, da alle anderen wieder zu lachen begonnen hatten. Da hatte er keine Wahl und musste einfach mitlachen. ~~Aus fünf mach sechs Ende~~ Wird Ruki weiterhin bei den fünf Wölfen bleiben? Was genau hat es mit den dunklen Wölfen auf sich? Werden die sechs Wölfe ihr Ziel erreichen? Oder werden sie am Ende doch versagen? Kapitel 10: Der Wald der Unendlichkeit -------------------------------------- ~~Der Wald der Unendlichkeit~~ Wie schon so oft in den letzten Tagen lag Zerisia auf einem Hügel etwas außerhalb vom Rudel. Es war nicht irgendein Hügel, auf dem sie lag, sondern genau der, auf dem sie mit Jurikin das letzte Mal geredet hatte. Die Wölfin lag einfach nur da und blickte auf den Kampfplatz unter ihr, der nur so von ihren Artgenossen wimmelte. Alle hatten nur ein Ziel: Sie wollten zum großen Finsternisrudel, wenn nicht auch ganz freiwillig. Denn diese Raubtiere auf dem Platz waren nicht nur irgendwelche Wölfe, nein, dies waren die eingesammelten Rudel, flankiert von finsteren Wölfen aus dem großen Finsternisrudel. Diese Wächter brachten alle Gefangenen in das große Tal, wo sie auf weitere Wölfe stoßen würden. Alle paar Tage kam solch ein zusammen gewürfeltes Rudel an dem Hügel vorbei, auf dem Zerisia lag. Doch nie gingen welche. >Wenn das so weitergeht, haben wir fast kein Futter mehr und der Platz reicht ja jetzt schon kaum<, dachte sich Zerisia und seufzte. Sie beobachtete das Treiben, bis auch der letzte Wolf an ihr vorbeigegangen war. Keiner sah sie, doch sie sah alle. Langsam begann die Sonne hinter den weiten Bergen zu versinken, und die Grillen und Vögel begannen wieder ihr tägliches Lied fortzusetzen. Zerisia sank enttäuscht zusammen. Es hatte nämlich einen ganz bestimmten Grund, weshalb sie hier oben auf dem Hügel alleine saß und Richtung Süden blickte. „Wo bist du nur Jurikin?“, hallte ihre Frage hinunter auf den Platz, wo sich nun Vögel niederließen und fröhlich zwitscherten. Tränen rannen ihr aus den Augen und an ihrer Schnauze herunter. Nicht das erste Mal weinte sie alleine an diesem verlassenen Ort. Der Ort, wo sie Jurikin immer alleine angefunden hatte, wenn er nicht in seiner Höhle oder in der Nähe vom Rudel war. Doch nun war der Platz immer verlassen, wenn sie hier hochkam. „Wieso habt ihr ihn mir genommen? Langt es euch nicht, dass ihr aus ihm eine Lachfigur eines Finsterniswolfes gemacht habt?“, schrie sie mir rauer Stimme in den Himmel. Doch sie bekam keine Antwort von den Göttern, wie so oft schon. Schluchzend sank ihr Kopf auf ihre Vorderfüße und sie schloss ihre Augen. Sie ließ ihre Gedanken zu jenem Tag gleiten, an dem sie die schreckliche Nachricht erfahren hatte. Es war ein Tag wie jeder andere gewesen, oder auch nicht. Es war gerade einmal ein halber Monat vorbei, als sie die Nachricht bekamen, dass Wölfe zu ihnen unterwegs waren. Unter ihnen seien auch ein paar Finsterniswölfe von ihrem Rudel. Freudig und überrascht zugleich über diese plötzliche Rückkehr, die anscheinend von Erfolg sprach, ging sie dem nahendem Rudel entgegen, um sie und vor allem ihren älteren Bruder, zu begrüßen. Doch kaum sah sie die kleine Wolfsschar, verfinsterte sich ihre Miene, denn das Rudel vor ihr wurde nicht von Jurikin angeführt, sondern von einem rangniedrigeren Wolf, den sie kaum kannte. Geduldig wartete sie, bis alle Wölfe an ihr vorbeigezogen waren, in der Hoffnung, Jurikin sei unter den Restlichen, doch vergeblich. Es war kein Jurikin unter ihnen. Trotzdem gab sie die Hoffnung nicht auf und folgte den Neuankömmlingen wieder zum Rudel und von dort in die große Höhle. Der erste Wolf, den sie vorhin gesehen hatte, brachte die schreckliche Nachricht von Jurikins Sturz in den Tod. Nun würde Inark an seiner Stelle die Mission führen, der versucht habe, Jurikin noch zu retten. Die Nachricht wurde unterschiedlich aufgenommen. Taroxon zeigte keine Reaktion um seinen verlorenen Sohn. Xin freute sich insgeheim, dass sein Bruder nun endlich weg war. Ihre Mutter trauerte um ihren Sohn, was einer Mutter auch offen zustand. Doch Zerisia versuchte ihr Entsetzen zu verbergen, was ihr auch gelang, um an einem geheimen Ort ihren Bruder zu betrauern. Im Rudel galt sie als die Schwester von Xin und Jurikin, die ihren kleinen Bruder Xin schmeichelte und Jurikin genauso verachtete, wie ihr Bruder es tat. Doch dies war nur eine Fassade, die sie zum Schutz vor ihrem Vater und Xin angelegt hatte, da sie in ihrem Inneren ein weiches Herz besaß wie ihre Mutter Serina. Sie hasste Xin für seine Taten und liebte ihren älteren Bruder umso mehr. Zerisia wollte ihm schon immer helfen und begegnete ihm mit Respekt, doch Jurikin wusste von ihrer Fassade genauso wenig, wie alle anderen und interpretierte ihre Hilfsbereitschaft als Schleimen um eine bessere Position. Nie unternahm sie etwas, um Jurikin vom Gegenteil zu überzeugen. Sie wusste, dass er in seinem inneren ein netter Wolf war, der nur verbittert war über die Stellung, die ihm die Götter gegeben hatten. Doch Zerisia bereute nun ernsthaft ihr Geheimnis nie mit ihm geteilt zu haben. Sie machte sich Vorwürfe, die sogar so weit gingen, dass sie sich für seinen Tod verantwortlich machte. Von Gewissensbissen und Trauer geplagt, kam sie jeden Tag auf den Hügel und blickte in das darunter liegende Tal, mit der Hoffnung im Geist, ihr Bruder möge doch noch nach Hause kommen. Doch nie kam er und so hoffte sie, wie auch an diesem Tag. Ihr Tränenfluss versiegte und bald war die Sonne untergegangen, als sie hinter sich Schritte hörte. Verwirrt drehte sie ihren Kopf herum, um zu sehen, wer zu ihr herauf stieg. Langsam näherte sich eine schwarze kleine Wölfin. Benommen stand Zerisia auf und wartete auf ihre Mutter, die immer näher kam. Zerisia musste nicht lange warten und schon stand ihre etwas kleinere Mutter vor ihr. „Ich habe gewusst, dass ich dich hier antreffe“, sagte Serina nur und setze sich neben ihre Tochter. „Aber woher …?“, fragte Zerisia verwirrt. Nun lachte ihre Mutter und meinte nur: „Tja, eine Mutter kennt halt ihre Kinder.“ Darauf wusste Zerisia beim besten Willen nichts zu sagen und lächelte ihre geliebte Mutter ebenfalls an. Im Gegensatz zu ihrem Vater, liebte sie ihre Mutter sehr. Nach einiger Zeit blickte Serina ins Tal und Zerisia folgte ihrem Blick. Es war ruhig wie eh und je und man hörte nur die Geräusche des Waldes. „Du vermisst ihn auch, habe ich Recht?“, fragte Serina ihre Tochter anschließend. Bestürzt sah Zerisia ihre Mutter an, die weiterhin auf das Tal blickte. Zerisia wollte etwas sagen, etwas erwidern, doch sie wusste nicht was. Sie wurde zwischen Wahrheit und Lüge hin- und hergerissen, doch dann entschied sie sich für ein kurzes Nicken. Einer Mutter konnte man eben nichts vormachen. Doch sie behielt ihre Fassung, wie immer, und unterdrückte ihre aufkommenden Tränen. Nun bewegte sich ihre Mutter und sah ihre Tochter tief in die Augen. „Ich wusste es. Ich habe es schon immer gewusst, dass du ein gutes Herz hast und nur so abfällig tust. Mir tat es im Herzen weh, dich so zu sehen, doch mit der Zeit verstand ich deine Absichten. Doch heute wollte ich es von dir hören, fühlen und wissen, wie deine Gefühle wirklich sind, vor allem zu Jurikin.“ Nun konnte Zerisia nicht anders und Tränen standen ihr in den Augen. „Oh Mama ich ver- ...“, brachte sie nur heraus und der Rest verschwand in einen Schluchzer. „Scht, meine Kleine. Du musst nichts sagen. Ich weiß es nun und lasse dir eines sagen: Du bist mit deinem Leiden nicht alleine. Auch ich trauere noch immer um meinen verlorenen Sohn“, versuchte die Mutter ihre Tochter zu beruhigen, während ihr selbst Tränen in den Augen standen. Um ihren gesprochenen Worten Nachdruck zu verleihen, rückte sie näher zu ihrer Tochter und schmiegte sich an sie, um ihr so Trost zu spenden. Zerisia war froh, dass ihre Mutter nun bei ihr war und sie auch verstand. So schmiegte sich nun auch die Tochter an ihre Mutter. Beide weinten leise und spendeten sich gegenseitig Trost in dieser langen Nacht. Doch nach einer Weile ergriff Serina das Wort, als ihre Trauer fast verebbt war, und sagte: „ Doch weißt du Zerisia. Jurikin wird immer Leben und zwar genau hier.“ Sie deutete auf die Brust von Zerisia, wo ihr Herz lag. „Solange wir an ihn denken und uns an ihn erinnern, lebt er weiter!“ Zerisia verstand und nickte. „Danke, Mutter“, sagte sie und putzte ihrer Mutter die Tränen aus dem Gesicht, die das Gleiche bei ihr tat. „Aber warum bist du hergekommen? Nicht, weil du mir Trost spenden willst!“, sagte Zerisia, als sie fertig waren. Ihre Mutter lachte. „Ich habe schon immer gewusst, dass ich eine schlaue Tochter habe! Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass dein Vater dich braucht. Du sollst sofort kommen. Und da wir hier schon zu viel Zeit verbracht haben, schlage ich vor, wir gehen gleich los!“ Zerisia nickte und stand mit ihrer Mutter auf. Ihr behagte es gar nicht, dass ihr Vater sie zu sich rief. Doch was sollte sie anderes machen, als diesen Ruf zu folgen? So ging sie ihrer Mutter nach, die schon begann, zum Rudel zurückzulaufen. Doch Zerisia blieb stehen und blickte zurück auf den Platz, wo sie Jurikin das letzte Mal gesehen hatte. Ihr Blick glitt nach oben in den Himmel, wo gerade eben die Sterne aufgingen. „Ich werde dich finden und für immer bei dir sein, egal, wo du bist, ob im Himmel oder woanders! Auch wenn es das Letzte ist, was ich tun werde, das schwöre ich, Jurikin!“ Zufrieden mit sich selbst, drehte sie sich herum und folgte ihrer Mutter zurück ins Rudel. „Aufstehen, ihr Schlafmützen!“, hallte Nuriks Stimme durch das Tal, in dem sie sich schon seit drei Tagen befanden. Der Grund für die Verzögerung war Ruki gewesen, dessen Verletzungen ihm nicht erlaubten, weite Strecken zu laufen. Doch heute wollten sie endlich gemeinsam aufbrechen. Vorsichtig stand Yen auf und streckte seine Muskeln. Währenddessen blickte er sich um. Neben ihm lag Nyrona, die verschlafen ihre Augen öffnete und gähnte. Ihre beiden Geschwister Sikona und Esaila erging es nicht anders. Nurik war schon wach, genauso wie Ruki, der noch auf dem Boden lag. Benommen trottete Yen zum nahe gelegenen Fluss, um etwas zu trinken. Als er fertig war, drehte er seinen Kopf und fragte: „Esaila kannst du dir Rukis Wunden bitte noch einmal anschauen?“ Die angesprochene Wölfin nickte und ging zu Ruki. „Wie geht es dir heute? Hast du Schmerzen?“, fragte Esaila den grauen Wolf. „Heute geht es mir schon besser. Die Schmerzen sind nicht mehr so wild, dank eurer Pflege!“, erklärte Ruki ihr und setzte sich vorsichtig auf. Esaila ging langsam um ihn herum und nickte. „Sieht soweit gut aus. Nimm noch diese Pflanzen, bevor wir gehen. Sie werden deine Wunden etwas kühlen.“ Sie deutete auf ein Häufchen Pflanzen neben sich. Ruki nickte und tat, wie ihm geheißen. Daraufhin stand er langsam auf und ging ebenfalls zum Fluss, wo die anderen schon warteten. Seine Wunden taten zwar noch weh, doch waren alle sorgfältig verschlossen und er konnte schon wieder normal laufen. Am Fluss angekommen, trank er ausgiebig. „Wir werden sofort nach Osten gehen, um die Seherin zu finden. Ich weiß nicht, wie lange der Marsch dauert, aber wir sollten zu Beginn etwas langsamer laufen, wegen Ruki. Er ist noch nicht so weit, seine volle Leistung zu bringen. Deswegen werden wir auch viele Pausen einlegen, um ihn und uns zu schonen. Wir bleiben immer zusammen, egal was passiert! Ihr wisst, dass es Wölfe, um genau zu sein Finsterniswölfe, gibt, die Terror und Zerstörung bringen! Deshalb bleibt immer schön hinter mir, ja?“ Er blickte jedem Wolf ins Gesicht, und jeder von ihnen nickte. Zufrieden drehte Yen sich herum und begann in Richtung Osten zu laufen. Kurz blickte er hinter sich, um sicher zu gehen, ob ihm auch alle folgten. Zufrieden musste er feststellen, dass alle dicht hinter ihm blieben und ein wohliges Gefühl machte sich in ihm breit. Sie liefen den ganzen Tag nach Osten und machten immer mal wieder eine kurze Pause, in der sie tranken und sich ausruhten. Zu ihrem Glück schien der Fluss nach Osten zu fließen. Somit hatten sie immer eine Trinkstelle gleich in der Nähe. Am Abend, als die Sonne schon untergegangen war, blieb Yen in einer Kurve, die der Fluss machte stehen und erklärte: „Hier werden wir die Nacht verbringen. Nurik und Nyrona, folgt mir. Mal sehen ob wir etwas jagen können!“ Beide Wölfe nickten und verschwanden mit Yen zur Jagd. Zurück blieben Esaila, Sikona und Ruki. Esaila ging zu Ruki, um sich seine Wunden, wie schon so oft an diesem Tag, anzuschauen. „Wie ich sehe, haben deine Wunden den Marsch gut verkraftet und haben nicht wieder zum bluten angefangen. Hast du starke Schmerzen?“, fragte sie Ruki. Dieser schüttelte den Kopf. „Nein, mir geht es gut. Bin nur etwas müde und meine Schulter tut kaum weh!“ Esaila und Sikona waren froh, so etwas zu hören und gingen zum Fluss, um etwas zu trinken. Anschließend warteten sie auf die anderen Wölfe. Es dauerte nicht lange und sie hörten Schritte. Sikona stand vorsichtig auf und stellte sich vor Ruki, um ihn bei einem möglichen Angriff zu schützen. Auch Esaila stand auf und machte sich zum Sprung bereit. Doch es kam zu keinem Kampf, da Nurik, Yen und Nyrona mit je einem Hasen im Maul zurückkamen. Die Wölfinnen beruhigten sich wieder. Nurik ging zu Sikona, Nyrona zu Esaila und Yen zu Ruki, um mit ihnen ihr Futter zu teilen. Es war zwar nicht viel, doch würde dies ihren Hunger etwas stillen. Daraufhin legten sie sich alle bis auf Sikona hin, um zu schlafen. Sie würde die erste Wache halten und die Umgebung aufmerksam beobachten. Am nächsten Tag ging ihre Wanderung weiter. Yen voraus und alle hinterher. Yen führte sie über flache Ebenen und kleinen Wäldern, immer nach Osten, den Fluss entlang. Sie jagten und schliefen und die Tage vergingen, doch die Wälder, in die sie traten, wurden nie dichter, geschweige denn, sie fanden eine Felswand im Wald. So wanderten sie sechs Tage, an denen sie immer mal wieder eine Pause einlegten, damit sich Ruki nicht überanstrengte. Erneut stillten sie ihren Durst am Fluss und legten sich kurz hin. „Wann kommen wir nur endlich in den „Wald der Unendlichkeit“?“, klagte Sikona und legte ihren Kopf auf ihre Vorderpfoten. „Daromi ist groß, Sikona“, erwiderte Yen. „Das dauert etwas. Und außerdem haben wir ja einen Verletzten bei uns!“ Sikona seufzte und lächelte Ruki entschuldigend an. Sie wusste ja, dass sie nicht schnell laufen durften, aber sie wurde immer unruhiger. Sechs Tage wanderten sie schon und sie hatten noch kein Anzeichen auf einen dichten Wald gesehen. Plötzlich ertönte ein Gekreische aus dem nahe gelegenen Wald. Sofort sprangen alle Wölfe auf, um sich der Gefahr, falls es eine war, zu stellen. Yen trat nach vorne und blickte angestrengt in die Dunkelheit, die der Wald bot. Noch einmal ertönte das Geschrei, doch dieses Mal sahen die sechs Wölfe, wer dieses verursacht hatte. Aus den Kronen der Bäume schoss ein Vogel hervor, gefolgt von weiteren. Plötzlich begann Yen zu rennen, ohne ein Wort zu sagen. Er steuerte auf den Vogelschwarm zu. Der erste Vogel kreiste wild um die Baumkronen und machte gekonnte Ausweichmanöver, um den angreifenden Vögeln zu entfliehen. Doch es waren zu viele. Yen schlug einen Bogen und jaulte den Schwarm an. Die anderen Wölfe wussten zuerst nicht, was Yen da tat, doch dann begann nun auch Sikona zu rennen. Doch sie blieb stehen, drehte sich herum und rief: „Esaila du bleibst bei Ruki. Nyrona und Nurik, folgt mir!“ Sie drehte sich um und spurtete auf Yen zu, der auf einem Grasfeld stand. Yen jaulte und heulte den Schwarm an, doch es tat sich nichts. Weiterhin griffen die Vögel den anderen über den Baumkronen an. Da stellte sich Yen hin und heulte lautstark in den Himmel. Es war keine Drohung, sondern ein willkommener Ruf. Da verstanden die anderen Wölfe. „Wieso will er sie zu sich locken?“, fragte Nurik. „Er will nicht den ganzen Schwarm zu sich locken, sondern nur den Vogel, der angegriffen wird! Yen will ihm helfen!“, sagte Sikona. Ihre Vermutung bestätigte sich, als sie sahen, wie der erste Vogel abdrehte und auf Yen zuschoss. Als sich Yen in Kampfstellung aufstellte, trafen auch die drei anderen Wölfe ein und taten es ihm gleich. Knurrend erwarteten sie die Vogelschar. Als diese nur noch ein paar Meter von ihnen entfernt waren, konnte Sikona, Nyrona und Nurik erkennen, um was für Vögel es sich handelten. Vorne weg flog ein kleiner Adler, der von Raben verfolgt wurde. Der Adler schoss an ihnen vorbei und landete unsanft auf dem Boden. Sofort stürzten sich die vier Wölfe knurrend auf die Rabenschar, die überrascht versuchte, anzuhalten. Doch dies nützte ihnen nichts, um den Wolfszähnen zu entkommen. Schon bald lagen Raben tot am Boden, und überall lagen schwarze Federn. Der Kampf dauerte nicht lange und die Raben gaben auf. Sie flogen beschämt kreischend zurück in den Wald und ließen die Wölfe allein. Nurik spuckte ein paar Federn aus, bevor er fragte: „Was war denn das?“ Keiner antwortete ihm. Yen drehte sich herum und ging vorsichtig auf den Adler zu. Dieser versuchte gerade aufzustehen, was ihm auch gelang. Da traten die anderen vorsichtig neben ihn und betrachteten den Vogel. Der Adler plusterte sein Federkleid auf und schüttelte sich, um seine Federn vom Staub zu befreien. Als er fertig war, blickte er zu den Wölfen und betrachtete sie. Nun sahen alle, dass der Adler einen schiefen Schnabel und krumme Füße besaß. Zudem war er noch recht klein, doch schien er ausgewachsen zu sein, weil er schon das Gefieder der Erwachsenen trug. Der Adler blickte mit klugen Augen umher, bis seine Augen bei Yen stehen blieben. Er ließ ein Kreischen vernehmen und öffnete kurz die Flügel und schloss sie wieder. Yen lachte und sagte: „Wer hätte gedacht, dass wir uns eines Tages wieder sehen? Und natürlich hat sich nichts geändert!“ Jetzt trafen auch Esaila und Ruki bei ihnen ein und blickten den Adler neugierig an. Dieser begrüßte Ruki genauso, wie er Yen begrüßt hatte. „Moment mal“, schoss es aus Ruki heraus, der sichtlich verwirrt war. „Dich kenne ich doch! Du bist der Adler, der mich zu den Beerenstrauch und somit zu Yen und seine Freunde geführt hat!“ Nun richteten sich alle Augen auf Ruki und blickten ihn verwundert an, vor allem Yen. „Du kennst ihn auch?“, fragte der schwarze Wolf nun. Ruki nickte nur und starrte weiterhin den Adler an. Nein, er konnte sich nicht getäuscht haben! Er kannte doch die Statur und vor allem das Gekreische dieses Wesens. Nyrona trat kopfschüttelnd zurück. „Also jetzt müsst ihr uns einiges erklären! Yen, woher kennst du diesen Vogel und Ruki, du willst doch nicht ernsthaft behaupten, dass dies der Gleiche ist, der dich zu uns geführt hat!“ Esaila, Nurik und Sikona pflichteten ihr bei und warteten auf eine Erklärung. „Als ich von Kora, Sanja und Manain Abschied genommen hatte, wanderte ich ein paar Tage in der Welt umher“, begann Yen zu erklären. „Ich hatte oft Hunger und als Wolf alleine zu jagen ist schon schwer, aber es gab auch fast keine Kleintiere in den Gegenden, die ich sonst hätte jagen können. Außerdem lag ein todbringender Geruch in der Luft und somit erschwerte mir dies die Jagd zusätzlich. Doch irgendwann, als ich an einem Bach eine kurze Rast einlegte, roch ich frisches Fleisch und somit meine Chance! Als ich mich dem Kadaver näherte, sah ich, wie mehrere Raben gegen einen Adler kämpften. Ich handelte, ohne groß zu überlegen und griff die Raben an. So etwas konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ein Haufen Raben gegen einen Adler? So bekämpften wir beide die Raben, die kurz darauf flohen. Danach aßen wir beide vom toten Reh und gingen unseres Weges. Als wir aßen, fiel mir seine eigenartige Statur auf. Ich frage mich noch immer, wie er so lange überleben konnte. Er scheint ein richtiger Kämpfer zu sein!“ Während Yen erzählte, klärte sich der Blick der vier Geschwister auf und sie verstanden sofort. „Er scheint nicht nur ein Kämpfer zu sein, sondern auch klug. Es scheint so, als würde er uns verstehen“, sagte Sikona. „Aber Sikona! Uns können alle Tiere verstehen und wir ebenfalls sie. Man muss es nur wollen!“, entgegnete daraufhin Yen, wobei alle zum Lachen anfingen. „Mir scheint es, als würde er mich absichtlich zu euch geführt haben“, bemerkte Ruki, nachdem sich alle beruhigt hatten. Alle Wölfe nickten ihm zustimmend zu. Da riss ein leises Krächzen sie alle aus ihren Gedanken und sie blickten den Adler an, der seine Flügel ausgebreitet hatte. Mit einem weiteren Krächzen erhob er sich in die Luft. Yen sprang sofort auf und hastete ihm hinterher. „Hey, ich wollte noch deinen Namen wissen!“, schrie er so laut wie er konnte und bemerkte nicht die Blicke, die sich die anderen zuwarfen. Doch der Adler machte kehrt, schoss über Yens Kopf hinweg und kreischte fröhlich. Da blieb Yen stehen und rief. „Meiner ist Yen! Ich hoffe wir werden uns bald wieder sehen!“ Und da verschwand der Adler in den Himmel, wo die Sterne damit begonnen hatten, aufzugehen. Sikona trat neben ihn und fragte: „Und, weißt du nun, wie er heißt?“ „Sein Name ist Verox!“ Sikona verstand. Sie wusste, dass dies der wahre Name des Adlers war. Auch wusste sie, dass beide, Wolf und Adler, irgendetwas verband. Auch wenn es nur die aufkeimende Freundschaft war, die es beiden ermöglichte, sich gegenseitig zu verstehen. „Das ist ein schöner Name für einen so klugen Kämpfer wie ihn!“ Yen lächelte sie dankbar an. Dankbar dafür, dass sie ihn nicht für verrückt hielt. Er wusste nicht, warum er den Namen kannte, aber eines wusste er sicher: Dass er stimmte. Irgendetwas in ihm hatte den Namen geflüstert, aber er wusste nicht was. Yen und Sikona gingen zu den anderen zurück. Keiner sprach ein Wort und sie legten sich zum schlafen in die Nähe des Flusses. Dies war ein anstrengender Tag für sie alle gewesen. Alle schliefen ein, bis auf Yen, der die erste Wache schob. Seine Gedanken kreisten noch immer um die Geschehnisse des Tages, bis ihn Esaila ablöste und er in einen traumlosen Schlaf fiel. Am nächsten Tag setzten sie ihre Wanderung fort. Sie folgten weiterhin dem Lauf des Flusses nach Osten. Die Landschaft blieb unverändert, außer dass es immer wärmer wurde, je weiter sie in den Osten zogen. Kein Wunder, denn es war Mitte Sommer. Deshalb waren alle froh, besonders Nyrona und Sikona, dass der Fluss ebenfalls nach Osten zog und sie somit immer eine Gelegenheit hatten in das kühle Nass einzutauchen. Teilweise schwamm Nyrona nur noch im Fluss, um ihre Pfoten, die auf das Schwimmen spezialisiert waren, zu entlasten. Doch Nurik schien diese Hitze wenig auszumachen. Kein Wunder. Er war ja ein Feuerwolf! Doch die Tage zogen sich hin, bis sich endlich eine Veränderung zeigte. Die Gegend wurde bewachsen von Moos und Gras und es kamen nun immer mehr dichtere Baumgruppen und nach vier Tagen weiteren Suchens erreichten sie endlich einen dicht bewachsenen Wald. Vorsichtig näherten sie sich dem Waldrand, bis sie davor stehen blieben. Dieser erstreckte sich weit nach Norden und Süden. „Glaubt ihr, wir sind hier richtig und dies ist der Wald der Unendlichkeit?“, fragte Esaila vorsichtig in die Runde. „Ich glaube, hier sind wir richtig“, sagte dann Yen und trat näher an den Wald heran. „Los, lasst uns hineingehen!“ Die anderen nickten ihm zu und folgten ihm. Dank der guten Pflege von Esaila, begannen Rukis Wunden sauber zu heilen. Das Laufen und Rennen bereitete ihn schon fast keine Probleme mehr. Doch er machte gute Fortschritte und somit hatten sie eine weite Strecke hinter sich bringen können und in 10 Tagen diesen Wald erreicht. Doch die Wölfe waren noch lange nicht an ihrem Ziel angekommen. Nun mussten sie die Felswand suchen, bei der die Seherin leben sollte. Weiterhin blieben sie in Flussnähe und rasteten einmal kurz. „Bin ich froh, dass wir endlich diesen Wald erreicht haben oder was meinst du Esaila?“, fragte Sikona ihre Schwester, als sie sich neben sie hinlegte, um sich etwas auszuruhen. Esaila schien ihre Schwester gar nicht bemerkt zu haben. Die Waldwölfin starrte angestrengt in den Wald und zuckte gelegentlich mit einem Ohr. Schulterzuckend legte Sikona ihren Kopf auf ihre Pfoten. Dies war sie von ihrer älteren Schwester gewohnt. Immer, wenn sie mit dem Wald und alles darum herum redete und lauschte, war sie für andere abwesend. Vor allem, wenn sie in ein neues Gebiet kamen, wie dieses hier, das nur so von Pflanzen überwuchert war. Kurz, nachdem sie sich hingelegt hatte, beorderte Yen sie alle weiterzugehen. Seufzend erhob sich Sikona, ging zu Esaila und stupste sie leicht mit ihrer Schnauze an. „Hey, Esaila. Es geht weiter.“ Esaila stand auf und Sikona ging schon einmal zu den anderen Wölfen. Doch anstatt es Sikona nachzumachen, ging Esaila zu einen Busch und stellte sich in Angriffspostition auf. Gleich darauf sträubte sich ihr Fell und sie knurrte drohend. Sofort drehten sich alle anderen herum und beobachteten das Spektakel. Sikona wollte schon zu ihrer Schwester zurück laufen, als sich Esaila wieder beruhigte, herumdrehte und zu den anderen schritt. Verwirrt starrten sie alle an. „Esaila, was war denn los?“, fragte Sikona dann doch. „Ach, ich dachte nur, da sei irgendetwas gewesen. Aber ich hatte mich getäuscht“, sagte diese gelassen. Sikona warf Yen einen hilfesuchenden Blick zu, aber der schüttelte nur den Kopf. So gab Sikona nach und folgte Yen weiter in den Wald hinein. Esaila holte Yen schnell ein. „Ich habe in Erfahrung gebracht, dass wir nicht mehr weit von unserem Ziel entfernt sind! Nur noch drei oder vier Meilen nach Osten!“, sagte sie dann, woraufhin Yen dankend den Kopf nickte. Dies waren gute Nachrichten für alle, und er legte etwas an Tempo zu. Er wollte die Stelle noch vor Sonnenuntergang erreichen. Alle freuten sich über die guten Neuigkeiten und liefen munter weiter. Nach zwei Meilen drang ein fernes Rauschen an ihre Ohren, das immer lauter und lauter wurde, je weiter sie nach Osten gingen. Sie alle spürten, dass es nicht mehr weit war und somit legten sie einen letzten Spurt hin, selbst Ruki. Nach weiteren zwei Meilen wurde das Rauschen ohrenbetäubend. Plötzlich hörten die Bäume auf und sie brachen durch das Unterholz. Sofort blieben alle Wölfe rechtzeitig stehen. Denn genau einen Meter vor ihnen sank der Boden viele Meter in ein Tal. Direkt neben ihnen stürzte der Fluss in einen mächtigen Wasserfall zum Talboden. Vorsichtig näherten sie sich dem Rand und blickten weit hinunter. Endlich waren sie an ihrem Ziel angekommen. Sie waren an der Felswand im Wald der Unendlichkeit und direkt unter ihnen musste die Seherin leben. Die Seherin, die sie alle gesucht hatten. ~~Der Wald der Unendlichkeit Ende ~~ Was erwartet die sechs Wölfe unten im Tal? Werden sie die Seherin finden? Wenn ja, wird sie ihnen Antworten auf ihre Fragen geben? Eine Reise, die gerade erst begonnen hat. Kapitel 11: Die Seherin ----------------------- ~~Die Seherin~~ Endlich ist es soweit und das neue Kapitel ist fertig. Wochen hat es gedauert, doch wie ihr wisst, war ich wegen meinen Prüfungen nicht fähig weiterzuschreiben. Das Kapitel ist auch sehr lang geworden. Mein längstes bisher. Ich hoffe dies reicht als Entschädigung * lach* Nun und danke an meine Betas und vor allem an euch Leser, die mir noch immer treu geblieben sind. Das Kapitel bekommt auch noch gleich eine Widmung: An meine liebe ! Ich denke du weißt warum und ich hoffe dir gefällt das Kapitel ganz besonders. ^^ Nun lass ich euch nicht weiter auf die Folter spannen! Viel Spaß beim lesen. Eure Oki >,< Beim Rudel angekommen, gingen Zerisia und ihre Mutter direkt zur großen Höhle. Der Platz vor der Höhle war belebt und voll von Wölfen. >Das ist der Nachteil, wenn man so viele Rudel einsammelt<, dachte sich Zerisia und bahnte sich einen Weg in die Höhle. Dort angekommen, setzten sie und ihre Mutter den Weg zum Versammlungsraum fort. In der Höhle sah es nicht anders wie draußen aus: Alles voller Wölfe. Doch auch hier blieben die zwei nicht stehen. Zerisia schritt mit erhobenem Haupt an den vielen Wölfen vorbei. Sie wussten alle, wer und was sie war. Jeden den sie anblickte, senkte seinen Kopf aus Ehrfurcht vor ihr. Dieses Spiel hatte Zerisia schon immer gespielt und mittlerweile spielte sie es perfekt. Alle, bis auf ihre Mutter, kannten sie als herzlose Wölfin. Doch der Schein trug. So betraten Serina und Zerisia die Versammlungshöhle und der Lärm, der geherrscht hatte, verebbte sofort. Zerisia blickte über die Wolfsschar. Sie sah einige höhere Wölfe. Keiner von ihnen war auch nur schwach oder ängstlich. Doch jeder blickte sie mit Respekt an. Ihr Blick ging weiter und sie sah ihren Bruder Xin, der sich umgedreht hatte und sie aus seinem rechten Auge schelmisch anlächelte. Der Kampf mit Jurikin um die spätere Herrschaft, hatte seinen Tribut gefordert: Sein linkes Augenlicht. Jurikin hat ihm seine komplette linke Kopfseite zerbissen. Die Narben konnte man noch immer deutlich sehen und werden nie richtig verheilen. Sie prägten sein Gesicht und ließen es hässlich und angsteinflößend zugleich erscheinen. Xin wusste um sein Aussehen und begann nach dem Kampf Jurikin umso mehr zu hassen. Durch diese Missbildung eingeschränkt, musste er sich erst daran gewöhnen, die Welt nur noch mit einem Auge zu sehen. Doch der schwarze Wolf lernte schnell. Sein Blick glitt nun auch zu seiner Mutter. Da bemerkte Zerisia den Wolf neben ihrem Bruder. Verwirrt und etwas überrascht blieb sie stehen. >Also war das sein Rudel, das ich vorhin kommen gesehen habe!<, dachte sie sich. Denn dort saß der erfolglose Retter ihres älteren Bruders Jurikin. Inark bemerkte ihren Blick in seinem Rücken und drehte sich herum. Als er sie erblickte, stand er auf und ging zu ihr. Zerisia, die mittlerweile weitergegangen war, tat so, als hätte sie ihn gar nicht bemerkt. Doch Inark ging auf sie zu und stellte sich ihr in den Weg. Grummelnd blieb Zerisia stehen und blickte den etwas größeren Wolf an. „Hallo Inark. Schön, dass du noch unter uns weilst“, sagte sie nur und verzog keine Miene. Inarks Augen blitzten vergnügt und er sagte: „Schön, dich auch wieder zu sehen. Mich freut es, dass es dir gut geht. Das mit Jurikin tut mir leid, aber lassen wir das. Jeder hatte etwas an ihm … nicht gemocht.“ In Zerisia ballte sich Wut zusammen, doch sie riss sich zusammen und nickte nur. „In der Zwischenzeit, wo ich weg war, habe ich oft an dich denken müssen“, fuhr Inark unbekümmert fort. Zerisia senkte ihren Kopf und verdrehte ihre Augen. „Ich habe mich immer gefragt, wie es dir geht und was du gerade machst. Nie verging ein Tag, an dem ich nicht an dich dachte. Doch kaum bin ich zurück, muss ich feststellen, dass du noch hübscher geworden bist!“ Nun schnellte Zerisias Kopf nach oben und sie knurrte leicht. „Bei mir wirkt diese Nummer nicht. Wie vielen Weibern hast du den Mist schon erzählt? Nur weil du der beste Freund von Xin bist, heißt das noch lange nicht, dass das bei mir punktet!“ Mit diesen Worten wollte sie an ihm vorbeigehen, doch er stellte sich ihr erneut in den Weg. „Nun, du hast Recht! Es tut mir Leid! Ich habe nicht dein Äußerstes sondern dein Inneres vermisst. Nicht, dass du nicht hübsch bist ...“ Zerisia brachte mit einem erneuten tieferen Knurren Inark zum Schweigen. Um sie herum blickten die Wölfe auf und sahen fragend zu ihnen hinüber. Doch es dauerte nicht lange und jeder Wolf ging wieder seinen Beschäftigungen nach. Das, was sie sahen, war nichts Neues. Es war im Rudel bekannt, dass Inark Zerisia den Hof machte. Ob es aber an ihrer hohen Stellung lag oder aus aufrichtigen Gefühlen, wusste keiner so Recht. Aber, dass Zerisia ihre Gefühle nicht mit ihm teilte, war kein Geheimnis. So war es nicht ungewöhnlich, als Zerisia ihn erneut anknurrte. Zerisia wusste, wenn sie auf ihn losgehen würde, würde dies nichts bringen, da er einfach nicht locker ließ. Deshalb begnügte sie sich mit Knurren und ging nun wirklich an ihm vorbei zu ihrem schon wartenden Bruder. Inark folgte ihr. „Tut mir Leid“, sagte er nur und sie wusste, dass dies ernst gemeint war. Doch sie erwiderte nichts, sondern sagte nur an ihren Bruder gewandt: „Hallo Xin!“ Dieser nickte und begrüßte sie ebenfalls. Zerisia setzte sich rechts neben Xin und Inark links neben ihn. So warteten sie auf Taroxon, der Einzige, der noch fehlte. Es vergingen Minuten und Zerisia blickte ungeduldig zu ihrer Mutter, die etwas abseits neben ihr saß. Diese zuckte nur mit den Schultern und blickte wieder nach vorne zu der kleinen Öffnung in der Wand. Sie lag genau gegenüber dem Eingang, wo Zerisia und ihre Mutter hereingekommen waren. Langsam wurde Zerisia nervös, als die Zeit verstrich und sich nichts tat. >Wo bleibt er denn nur?<, fragte sie sich und blickte sich in der großen Höhle um, die von Stimmen erfüllt war. Doch sie hatte nicht genug Zeit, die Wölfe, die anwesend waren, genauer zu beobachten, da plötzlich ein schreckliches Heulen ertönte. Alle wurden augenblicklich still und blickten zu der kleinen Öffnung nach vorne. Nach kurzer Zeit bewegte sich in der Öffnung etwas. Mit langsamen Schritten kam Taroxon in die Versammlungshöhle. Zerisia lief bei seinem Anblick ein Schauer über dem Rücken und sie sah, dass es vielen anderen Wölfen auch so erging. Eigentlich sah Taroxon nicht sehr besonders aus. Sein Fell war tiefschwarz und enthielt wenig Spuren von grau, die von seinem Alter zeugten. Taroxon war dennoch viel größer, als ein normaler Wolf und überragte jeden in der Höhle. Der Einzige, der es mit seiner Größe hätte aufnehmen können, war Lumus. Doch auch der rote Wolf wirkte neben Taroxon klein, da der schwarze Wolf auch mehr Leibesfülle von den vielen Kämpfen bekommen hatte. Doch es war nicht sein Äußeres, das Zerisia einen Schauer über den Rücken gejagt hatte. Sie kannte ihren Vater schon ihr Leben lang und seine Größe hatte sie noch nie eingeschüchtert. Das, was sie erschreckte, waren seine tiefroten, vor Wut blitzenden Augen und die Aura, die sein Kommen verströmte. Taroxon hatte schon immer rote Augen gehabt, doch Zerisia hatte sie noch nie so gefährlich blitzen sehen. >Ich bekomme immer mehr den Verdacht, dass etwas mit Vater nicht stimmt<, dachte sich Zerisia. Das Heulen, das vorhin erklungen war, klang grässlich und fast nicht wie ein Wolfsgeheul. Die Aura, die ihren Vater umgab, war böse und dunkel. Es fühlte sich an, als würde man in seiner Nähe zerreißen. >Was ist nur mit ihm geschehen? Sind daran seine bösen Gedanken schuld? Kann sich jemand so schnell verändern? Das wirkt schon fast dämonisch.< Zerisia beobachtete, wie ihre Mutter aufstand und zu ihrem Partner hinauf ging. Als Alphawölfin hatte sie das Recht und die Pflicht, sich bei einer wichtigen Besprechung wie dieser, neben ihrem Partner hinzusetzten. Taroxon nickte ihr zu und sie erwiderte den Gruß stolz, bevor sie sich hinsetzte. Serina sah neben Taroxon mickrig aus, doch diese Tatsache hatte beide noch nie gestört. Ihre Mutter hatte sich in jungen Jahren bis an die Spitze gekämpft, um neben Taroxon zu herrschen. Doch sie tat es nicht aus Machtgier, sondern aus aufrichtiger Liebe. Das war anscheinend der Grund, weshalb sie wegen ihrer geringen Größe, auch viel stärkere Wölfinnen besiegt hatte. Auch Taroxon war damals froh, dass sie und keine andere Wölfin es geschafft hatte. Denn der Alpha musste das stärkste Weibchen akzeptieren. Das war schon immer so gewesen. Nur die männlichen Nachfolger im nördlichen Finsternisrudel bekamen sicher den Platz als Alpha, solange sie der Einzige ältere männliche Wolf im ersten Wurf waren. War dies nicht der Fall, so fand ein Kampf zwischen den ältesten Jungwölfen statt. Beim letzten haben Jurikin und Xin gegeneinander gekämpft. Taroxon gewann den davor und bekam später Serina als Alphawölfin. Beide liebten sich sehr und bald kamen die drei kleinen Welpen Jurikin, Zerisia und Xin zur Welt. >Doch von dieser Liebe ist nun nicht mehr viel zu sehen<, dachte sich Zerisia seufzend. Sie wusste nicht viel von der Vergangenheit ihrer Eltern. Nur so viel, dass beide, bevor Taroxon Alpha wurde, schon Gefallen aneinander gefunden hatten. „Schön, dass ihr alle gekommen seid!“, dröhnte Taroxons tiefe Stimme durch den Raum und riss somit Zerisia aus ihren Gedanken. „Ich möchte euch nicht lange aufhalten und langweilen und komme somit gleich zur Sache. Jeder von euch hat wohl schon bemerkt, dass Inark mit neuen Wölfen eingetroffen ist. Wir begrüßen ihn und die neuen Wölfe und heißen sie willkommen.“ Taroxon nickte Inark zu, der seinen Kopf dankend senkte. „Inark und sein Gefolge haben den nördlichen Teil von Daromi erkundet und die Rudel zusammengetrieben. Morgen wird Inark mit dem Großteil wieder abreisen und Zerisia und Xin werden ihn begleiten, so wie auch einige andere ranghöhere Wölfe.“ Taroxon blickte seine beiden Kinder an, so wie einige andere Wölfe, die sich wohl auf die gleiche Reise begeben mussten. Zerisia versuchte, ihre Überraschung zu verheimlichen und blickte zu ihrer Mutter, die besorgt ihren Blick erwiderte. „Die Wölfe werden ohne ihre Rudelführer zu ihren Gebieten zurückkehren und ein paar von euch werden jeweils über sie herrschen. Die Rudelführer behalte ich hier, damit sie keine Dummheiten anstellen. Ihr werdet solange bei den Rudeln bleiben, bis ich nach euch rufen lasse. Inark wird sich mit Zerisia und Xin weiter in Richtung Süden aufmachen. Inark, du wirst einen der beiden Geschwister auf ihrer Reise begleiten und ein anderer Wolf wird deine frühere Aufgabe übernehmen. Du bekommst mit einem anderen Wolf die wichtigere Aufgabe, einen von beiden mit deinem Leben zu beschützen.“ Zerisia blickte auf Inark und war überrascht, dass sie in seinen Augen keinen Zorn sehen konnte. Zorn darauf, dass ihm diese wichtige Stellung entrissen wurde. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es bedeutend war, sie oder ihren Bruder zu beschützen, außer … Sie schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf den Vortag. „Wohin die Reise für euch zwei gehen wird, werde ich euch später verraten. Wenn ihr unterwegs auf Lumus trifft, wird er der andere Beschützer sein, wenn nicht, dann wird ein anderer Wolf diese Aufgabe übernehmen. Rumera, die Wasserwölfin, wird Inarks früheres Kommando übernehmen.“ Zerisia nickte, als ihr Vater sie anstarrte. Mit Rumera hatte er sich eine gute Anführerin herausgesucht. Sie war momentan mit Lumus unterwegs und eine kluge Wölfin. „Die, die sich mit auf diese Reise begeben, werden einem Rudel zugewiesen und agieren sozusagen als Rudelführer. Lebt einen normalen Alltag und überwacht eure Gebiete. Mehr habe ich nicht zu sagen. Morgen früh begebt ihr euch in eure Gebiete. Zerisia und Xin. Ihr zwei folgt mir!“ Der letzte Satz war mehr Befehl, als eine Bitte. Daraufhin drehte sich Taroxon herum und verschwand in der kleinen Öffnung, aus der er gekommen war. Dies war das Zeichen, dass die Versammlung zu Ende war und die anderen Wölfe erhoben sich und gingen nach draußen. Auch Zerisia und Xin erhoben sich. Doch sie gingen nicht wie die anderen aus der großen Höhle und somit wieder ans Tageslicht, sondern zur kleinen Öffnung. „Ich warte draußen“, verabschiedete sich Inark und trottete ebenfalls nach draußen. Zerisia war nicht wohl bei dem Gedanken, so nah an ihrem Vater heran zu müssen. Und das auch noch fast alleine. Doch sie fasste Mut und schritt stolz voran. Ihre Mutter ging an ihr vorbei. Sie blickte ihre Tochter traurig an und stupste sie kurz aufmunternd, bevor sie ebenfalls die Höhle verließ. Zerisia und Xin gingen in die kleine Höhle. Bevor sie eintraten blickten sich die Geschwister an, nickten und gingen zusammen, Seite an Seite, hinein. Die sechs jungen Wölfe blieben nicht lange auf der Felswand stehen, sondern wandten sich nach Süden, um einen geeigneten Ort zu finden, wo sie nach unten steigen konnten. Bald war eine Stelle gefunden und alle begannen den Abstieg. Was für Esaila ein Kinderspiel war, entwickelte sich für ihre Schwester Nyrona zu einer großen Herausforderung. Ihre Pfoten waren fürs Schwimmen spezialisiert und somit fand sie kaum halt auf dem rutschigen Boden. So geschah es, das sie ein paar Mal unsanft auf dem Boden aufkam und mehrere Meter hinunter rutschte. Doch ihre Schwester Esaila und die anderen stoppten ihren Fall mit Ranken oder ihren Körpern. „Nyrona, lauf direkt hinter mir!“, sagte die kleinere Esaila und trat vor ihre Schwester. Aufgrund ihres Elements Wald, das von Erde abstammte, bereitete ihr ein solcher Gang wenige Probleme. Auch hatte sie ihre Ranken, die sie beliebig aus der Erde holen konnte, um sich festzuhalten. Trotz Strapazen kamen alle Wölfe heil unten an, mit oder ohne Schrammen. Yen trat in ihre Mitte und blickte zurück nach Norden. „Also, auf geht’s! Lasst uns sehen, was für eine Wölfin die Seherin ist und, ob sie überhaupt noch lebt!“ Daraufhin gingen die sechs Wölfe den Weg, den sie vorhin auf der Felswand unter ihnen gesehen hatten. Es dauerte nicht lange und sie kamen an den See, in den der Wasserfall fiel. „Auf der anderen Seite muss es eine Höhle geben“, sagte Sikona und trat an den See heran, um ein paar Schritte ins Wasser zu steigen und sich dort die weißen Pfoten zu waschen. „Ich hoffe, du behältst Recht, Esaila, und das hier ist der Ort, den wir gesucht haben“, sagte Sikona an ihre Schwester gewandt und trat wieder aus dem See. Nyrona ging an ihr vorbei und stieg in den See, bis nur noch ihr Kopf hinaus schaute. „Ich schwimme schon mal rüber!“ Die zurückgebliebenen Wölfe blickten Nyrona nach, bis sie im Wasser verschwunden war, bevor sie ihren Weg fortsetzten. Der See war nicht zu groß, dennoch dauerte es etwas, bis sie auf der anderen Seite ankamen, wo sie schon Nyrona erwartete. „Schon etwas gefunden?“, fragte Yen und ging auf sie zu. Nyrona schüttelte den Kopf. „Nicht mal hinter dem Wasserfall ist etwas.“ Yen ging an ihr vorbei und schritt zu der steilen Felswand, um sie genauer zu untersuchen. Die restlichen Wölfe gesellten sich zu ihm und zusammen begannen sie, die Wand abzulaufen. Als sie keine Höhle entdecken konnten, gingen sie wieder zurück zum See. „Das kann doch nicht sein! Hier muss sie sich doch irgendwo befinden“, sagte Nurik, der zusehends ungeduldiger wurde. „Alle Mühen umsonst!“ Ruki ging an ihm vorbei zum Wasserfall. Er schnüffelte und nach kurzer Zeit des Suchens drehte er sich wieder herum. „Die Seherin ist eine schlaue Wölfin. Weder hinter dem Wasserfall, noch an dessen linken Seite in der Felswand ist der Eingang. Kommt her! Ich habe ihn gefunden!“ Die anderen Wölfe rannten zu Ruki. Vor allem Nurik freute sich darüber, dass die Suche endlich ein Ende hatte und vergaß dabei die auffliegende Gischt, die seine heiße Mähne zum zischen brachte. „Hast du gut gemacht, mein Freund“, sagte der rote Wolf und stupste Ruki freundschaftlich mit der Pfote an. Als alle da waren, deutete Ruki mit der Pfote auf den Boden. Dort war ein kleines Loch, das tiefer in die Erde ging und unter der Felswand verschwand. „Eines muss man ihr lassen! Falls das der Eingang zu ihrer Höhle ist, ist die Wölfin sehr gerissen“, sagte Yen und ging näher zu dem Loch. „Ich geh zuerst!“ Mit diesen Worten verschwand er in dem Loch und schob sich durch die Öffnung. Der Tunnel war nicht tief und nachdem Yen unter der Felswand war, stieg der Weg wieder an. Es dauerte nicht lange und der Tunnel endete und Yen konnte in eine Höhle blicken. Er stieg aus dem Loch und sah sich um. >Hier riecht es eindeutig nach Wolf!<, dachte er sich und drehte sich herum, um seinen Freunden „Kommt rein! Ruki hatte Recht!“ zu zu rufen. In der Höhle war nur ein bisschen Licht, das durch Löchern an der einen Wand hereinfiel. Die Wand war nicht sehr breit, das hatte man schon an dem kurzen Weg gesehen, den Yen durch den Tunnel kriechen musste. So dauerte es nicht lange und alle sechs Wölfe befanden sich in der Höhle. Genau gegenüber dem Eingang an der anderen Wand war ein Durchgang, der tiefer in den Fels führte. „Ich glaube, wir gehen mal dort entlang“, sagte Yen und ging als erster in die Dunkelheit. Die anderen folgten ihm. „Es wird immer dunkler. Glaubst du wirklich, dass wir hier richtig sind?“, fragte Sikona etwas ängstlich, als sie schon ein paar Schritte gegangen waren. „Wäre Papa nun hier, könnte er uns ein Licht machen.“ Nurik, der hinter ihr lief, ging an ihr vorbei. „Ich bin zwar kein Lichtwolf wie Papa, aber Feuer spendet dennoch Licht! Bleib in meiner Nähe Schwester.“ Mit diesen Worten flammte Nuriks Mähne und Schweif auf. Seine Mähne und Schweif ähnelten einem echten Feuer und bewegten sich auch dementsprechend, doch sie waren kein reines Feuer. Die meiste Zeit über war die Mähne rot und der Schweif orange-gelb. Dennoch strahlten beide auch im normalen Zustand Hitze und etwas Licht aus. Doch Nurik kann beides mit richtigem Feuer entflammen lassen. Dies tat er gerade und verschaffte somit etwas Licht im Dunkeln. „Danke Bruder!“, sagte Sikona und ging ihrem Bruder im geringen Abstand hinterher, um sich nicht an dem Feuer zu verbrennen. Schon bald erreichten die sechs eine weitere Höhle. Yen ließ seinen Blick an der Wand entlang gleiten. „Sackgasse!“, sagte er frustriert, als er keinen weiteren Ausgang fand. „Das kann doch nicht sein, dass dies alles war!“ Nyrona trat neben ihm und stupste ihn aufmuntert mit der Schnauze an. Yen seufzte. „Danke. Lasst uns umkehren und eine andere Höhle suchen.“ Der dunkle Wolf war gerade im Begriff, sich umzudrehen, als über ihnen ein verspottendes Lachen ertönte. „So schnell gibst du also auf, Wolf?“, fragte nun eine leise Stimme, die zu dem Lachen gehören musste. Alle sechs Wölfe blickten nach oben, direkt an die Wand über der Öffnung, durch die sie hereingekommen waren. Direkt darüber war eine Mulde in der Wand an deren Öffnung eine Wölfin lag. >Kein Wunder, dass wir sie vorher nicht bemerkt haben<, dachte sich Yen und trat nach vorne, um sich vor seine Freunde zu stellen. Er nahm eine respektvolle, doch vorsichtige Haltung ein, denn man konnte ja nicht wissen, was die Wölfin vor hatte. Nuriks Feuer reichte so weit, dass alle erkennen konnten, dass es sich bei der Wölfin um eine sehr alte handeln musste. Dies verrieten die vielen weißen und stumpfen Härchen, die im Feuerschein etwas leuchteten. Hustend beendete die Wölfin ihr Lachen und fragte: „Was wollt ihr in meiner Höhle? Hat man euch nicht beigebracht, dass man nicht ohne Erlaubnis des Besitzers in dessen Höhle eintreten darf? Also frage ich euch erneut: Was wollt ihr hier und warum seid ihr da? Ich habe nichts, was euch gehört, oder überhaupt, was man wertvoll nennen könnte.“ Nun trat eine drückende Stille ein, in der kein Wolf sich etwas sagen traute. Yen blickte kurz nach hinten, unschlüssig, was er als nächstes tun sollte. In jedem Gesicht sah er ein Zögern. Sie wussten nicht, wer diese Wölfin war und, ob sie ihnen weiterhelfen konnte. Auch wussten sie nicht, ob die Wölfin ihnen freundlich gesinnt oder überhaupt alleine war. >Dies alles kann eine Falle sein und ich habe alle in Gefahr gebracht!<, schallte sich Yen in Gedanken und blickte die Wölfin erneut an. >Nun, ist es auch zu spät. Alles oder nichts!< „Ich suche eine Wölfin, die auf den Namen „die Seherin“ hört. Ich bin von weit gekommen und suche Rat bei ihr.“ Nun trat Ruki hervor und stellte sich stolz neben Yen. Der schwarze Wolf war deutlich größer als der grau-weiße. Dennoch wirkte Ruki in diesem Moment nicht klein, sondern eher erhaben. „Ich suche ebenfalls nach der Seherin und möchte ihr ein paar Fragen stellen und gleichzeitig suche auch ich ihren Rat.“ Yen spürte, wie die vier Geschwister sich ebenfalls bewegten und sich nun auch neben Yen und Ruki stellten. „Und wir suchen die Seherin ebenfalls, da wir Yen und Ruki unterstützen und der Wolfheit helfen wollen!“, sagte Nyrona, die älteste von allen. Stille legte sich erneut um die Wölfe. Doch diese Stille währte nicht lange und die Wölfin begann wieder zu sprechen. „Ihr seid schon ein komisches Rudel. Ich merke, ihr seid weit gereist und habt viel erlebt, vor allem zwei von euch. Deshalb kann ich euch beruhigen: Eure Reise endet hier. Ich bin die Seherin und lebe hier alleine im Wald der Unendlichkeit im Tal des Schweigens. Doch bevor wir weiter reden, gehen wir nach draußen. Die Höhle ist zu düster, um Freundlichkeiten auszutauschen.“ Mit diesen Worten stand die Wölfin auf, lief zu der Wand und stieg dort einen kleinen natürlichen Abhang herunter, die die anderen vorhin nicht bemerkt hatten. Unten angekommen, ging sie an den sechs Wölfen vorbei nach draußen. Alle sechs blickten ihr freudig hinterher, wissend, dass sie ihr Ziel endlich erreicht hatten. Dann gingen alle der Wölfin nach und folgten ihr aus der Höhle. Dort angekommen, ging die Wölfin am See entlang und legte sich, als sie ihn halb umrundet hatte, ins Gras. Nurik löschte sein Feuer und legte sich wie alle anderen erschöpft hin, direkt vor die Wölfin. Nun sahen sie die Seherin vollständig. Ihr Fell war grau-weiß, was von einem hohen Alter zeugte. Auch war sie kleiner als Esaila, die schon die Kleinste in der Gruppe war. Ihr Fell war struppig und fransig und verlieh ihr ein wildes Aussehen. Doch das, woran man am besten ihr hohen Alter ansah, waren ihre Augen. Sie waren grau und trüb. „Sie ist ja blind!“, flüsterte Sikona und hoffte, nur ihre Freunde konnten sie hören. „Sikona sei nicht so unhöflich!“, schallte sie Yen, woraufhin Sikona beschämt die Ohren anlegte und den Kopf senkte. „Tschuldigung“ Die Seherin lachte. „Ist schon gut. Ich habe mein Augenlicht schon lange verloren. Anfangs war es ungewohnt, doch ich habe mich daran gewöhnt und verlasse mich nun auf meinen Gehör- und Geruchssinn! Aber genug geredet! Erzählt mir eure Geschichten. Ich bin neugierig geworden, besonders, weil ich feststellen muss, dass vier von euch ganz außergewöhnliche Geschenke tragen.“ Die sechs Wölfe blickten sich an und Yen nickte den Geschwistern zu. Daraufhin begannen die vier, ihre Geschichte abwechselnd zu erzählen. Sie stellten sich alle kurz vor, wie sie es auch bei Yen getan hatten, erzählten von ihrem Leben im Rudel, wie sich dies schlagartig geändert und wie sich ihr Vater auf die Suche nach der Seherin und dem Beschützerwolf begeben hatte. Auch erzählten sie, wie sie Yen getroffen hatte und kurzerhand mit ihm auf die Suche gegangen waren, dass sie auf dieser Suche auf Ruki gestoßen waren und, dass sie letztendlich hier angekommen waren. Die Seherin hörte ihnen aufmerksam zu und, als sie geendet hatten, umspielte ein Lächeln ihre Lippen. „Ja, euer Vater war hier. Doch ich habe ihn wieder weggeschickt, da er Unmögliches von mir verlangt hatte. Dies tut aber nichts zur Sache. Jetzt muss ich feststellen, dass ihm seine einzigen Kinder gefolgt sind. Doch ich sehe, ihr habt ein anderes Ziel. Lasst uns auch die anderen Geschichten anhören und dann werden wir sehen, ob ich euch helfen kann.“ Nun erzählte Yen nach einer kurzen Vorstellung, seine Geschichte. Er begann mit dem Aufwachen an der Klippe und den freien Wölfen, die ihn fanden und aufnahmen, dass er schlussendlich von ihnen fortging, um seine wahre Identität herauszufinden und das Leid im Land zu bekämpfen. Auch erzählte er von dem Treffen mit dem Adler, den er später wieder getroffen hatte. Dann schilderte er nur noch kurz, wie er die Geschwister getroffen und mit ihnen auf Reise gegangen war. Den Rest brauchte er nicht zu erzählen, da dies die Geschwister schon getan hatten. Auch dieses Mal hörte die Seherin aufmerksam zu. Doch daraufhin sprach sie nicht sofort, sondern überdachte ihre Worte, bevor sie zu sprechen begann. „Du hast einen beschwerlichen Weg hinter dir, Yen. Sein Gedächtnis zu verlieren ist leicht, doch es wieder zu erlangen eher weniger. Du kommst dir vor, als würdest du dich erst seit kurzem kennen.“ Yen nickte, doch er blieb still. „Doch eines kann ich dir sagen: Du besitzt ein großes Herz, das von unterschiedlichen Gefühlen durchdrungen ist. Solltest du jemals herausfinden, wer du wirklich bist und wie du vor deinem Sturz warst, so zaudere nicht und blicke nach vorne. Denn die Vergangenheit führt häufig ein paar unangenehme Erinnerungen mit sich. Wenn du herausgefunden hast, wer du mal warst, so musst du dich entscheiden, wer du sein willst. Doch bedenke: Es gibt Wölfe, die sich auf dich verlassen! Dies sollte nur eine Warnung sein. Ich weiß nicht, wer du bist.“ Yen hatte ihr aufmerksam zugehört und nickte erneut. Er nahm sich ihre Worte zu Herzen und hoffte, diese nie zu vergessen. Doch da fiel ihm etwas auf. „Ich denke, du hast eine Vermutung, wer ich sein könnte.“ Erneut schlich sich ein Lächeln auf das Gesicht der Wölfin. „Du bist sehr gerissen Jungwolf! Ja, ich habe eine Vermutung, aber die ist nicht sehr genau und ich werde sie dir nicht mitteilen. Doch eines kann ich dir gewiss sagen: Du stammst aus dem Norden. Dies sagt mir dein schwarzes Fell und deine Halskette. Ich werde dir nicht mehr sagen. Den Rest musst du selbst herausfinden!“ Sie lachte erneut. Da spitzte Nyrona ihre Ohren. „Moment mal. Woher kennst du Yens Fellfarbe und woher weißt du von seinem Halsband und von den Geschenken?“, fragte sie neugierig. Die Seherin hörte auf zu lachen und wandte ihren Kopf zu Nyrona. „Nun, Wasserwölfin. Dass ich mein Augenlicht verloren habe, heißt noch lange nicht, dass ich nichts mehr sehen kann. Ich sehe die Dinge etwas anders als ihr. Doch dies tut nichts zur Sache. Von einem habe ich die Geschichte noch nicht gehört.“ Alle Augen richteten sich auf Ruki. Jeder war gespannt, was der grau-weiße Wolf zu erzählen hatte. Dieser blickte entschlossen zurück und starrte die Seherin an. „Ich werde euch nicht alles erzählen. Doch so viel sei gesagt: Mein Rudel wurde von bösen Wölfen zerstört und ich bin der Einzige, der entkommen konnte. Ich war schwer verletzt. Doch ein Adler, der gleiche, von dem Yen schon erzählt hatte, führte mich zu Yen und den Geschwistern. Diese versorgten mich und wir gingen zusammen auf die Suche, denn auch ich suchte die Seherin. Ich hoffe, dass du mir sagen kannst, wo der Beschützerwolf ist und, wie ich den anderen Rudeln helfen kann. Auch hoffe ich zu erfahren, wieso die Elementkraft schwindet. In meinem Rudel war es bekannt, dass es eine Wölfin gibt, die Antworten auf solche Fragen weiß. Aus diesem Grund bin ich hier.“ So endete Ruki seinen Bericht. Sikona senkte enttäuscht ihren Kopf. Sie hatte erwartet, nun endlich Rukis ganze Geschichte zu hören. „Ich akzeptiere deine Entscheidung“, sagte die Seherin. „Jeder hat seine Geheimnisse. Auch du hattest einen beschwerlichen Weg. Doch nun komme ich gleich zu der Frage, die euch alle quält: Das verschwinden der Elementkraft.“ Nun richteten sich alle Augen auf die Seherin. „Ich weiß es nicht genau, was mit der Welt vor sich geht, doch dies kann ich mit Sicherheit sagen: Das Verschwinden hat etwas mit unseren lieben Göttern zu tun. Ihre Macht schwindet, doch ich weiß nicht, warum. Diese Verwundbarkeit nutzet das Böse, um sich alle Wölfe untertan zu machen. Das Böse kommt weit vom Norden und breitet seine Pfoten über das Land aus. Wenn nichts getan wird, wird das Land verwüstet und versinkt im Chaos. Denn ohne die Götter sind wir Lebewesen nichts.“ Die Seherin ließ ihre Worte in der Luft hängen. Bedrückendes Schweigen legte sich über das Tal. Kein Geräusch war zu hören. „Nun“, begann nach einiger Zeit Yen zu sprechen „Soweit ich es verstanden habe, müssen wir den Göttern helfen, um den anderen Wölfen erst helfen zu können.“ Die Seherin nickte. „Du hast es erfasst, Yen“, sagte sie anerkennend. „Um den Göttern zu helfen, müsst ihr euch auf den Weg zu ihren heiligen Orten machen. Jeder Gott hat einen Ort, wo seine Macht am größten ist. Dort angekommen, muss festgestellt werden, wieso die Macht des jeweiligen Gottes verendet. Nur so kann man den anderen Wölfen helfen und die Elementkraft kehrt mit ihrer alten Macht zurück.“ Da stand Yen auf. „Ich glaube, hier spreche ich für alle: Ist dies nicht die Aufgabe des Beschützerwolfes, von dem in der Prophezeiung die Rede ist? Wir wollten zuerst diesen Lichtwolf finden, um mit ihm die Welt zu retten.“ Die Seherin sah ihn lange an. „Ich verstehe euch. Ihr wollt eine Sicherheit haben, dass so eine große Aufgabe, ohne die nötigen Mittel zu haben, überhaupt geschafft werden kann. Doch die kann ich euch leider nicht geben. Aber ich gehe so weit zu behaupten, dass, wenn ihr euch auf den Weg zu diesen heiligen Orten macht, es sein kann, dass dieser Wolf, den ihr alle sucht, euren Weg kreuzen wird.“ Yen blickte sich um. Er sah Unsicherheit in jedem Blick und er ahnte, was sich alle fragten: Können wir wirklich den Göttern helfen? Da stand Sikona auf und stellte sich neben Yen. „Ich weiß zwar nicht, wie ich einem Gott helfen kann, aber ich werde es versuchen!“ Nurik bewegte sich und stellte sich neben seine kleine Schwester. „Ich werde mit gehen!“ Auch Esaila und Nyrona gesellten sich zu ihren Geschwistern. „Wir auch!“, sagte Esaila und stupste Sikona freudig an. Nun stand vorsichtig Ruki auf und stellte sich auf Yens rechte Seite. „Ich sehe, ich habe keine andere Wahl, als euch weiterhin auf die Nerven zu gehen. Ich begleite euch und vielleicht kann ich mich auch gleich noch bei euch revanchieren!“ Yen schubste ihn freundschaftlich mit der Schulter. „Du nervst nicht. Ich werde natürlich mit euch kommen! Also, Seherin sagt: Wohin müssen wir als erstes?“ Diese lachte erneut. „So viel Tatendrang habe ich in meinen alten Tagen selten gesehen. Wenn ihr weiterhin so entschlossen bleibt, fürchte ich, brauchen wir keinen Beschützerwolf mehr! Aber gut! Schluss mit lustig. Ich fürchte euer erstes Ziel ist der Ort des Wassergottes im Südosten des Landes. Ihr habt zwei Wölfe unter euch, die dieses Element lieben. Doch bevor ihr losmarschiert, ruht euch hier ein oder zwei Tage aus. Eure Reise war schwer und hier lässt sich sehr gut Wild reißen.“ Mit diesen Worten erhob sich die Seherin. „Ihr müsst mich nun entschuldigen. Ich muss mich kurz hinlegen, denn die Unterhaltung war anstrengend. Ihr könnt in meiner Höhle schlafen, wenn ihr wollt!“ Da drehte sie sich um und ging zurück in ihre Höhle. Zurück ließ sie sechs Wölfe, denen noch immer so viele Fragen im Kopf herumkreisten. „Ich fürchte, die anderen Fragen werden sich mit der Zeit beantworten“, stellte Esaila fest. „Da hast du Recht. Aber wir haben schon viel erfahren und wir wissen nun auch, wie wir helfen können! Und zwar den Göttern!“, sagte Nyrona freudig. Die Wasserwölfin trat an den See und sprang hinein, um sich zu erfrischen. Kurz darauf kam sie wieder heraus. „Wir sollten ihren Rat folgen. Sie ist zwar eine eigenartige Wölfin, doch sie hat Recht! Wir brauchen etwas Ruhe.“ Yen stimmte ihr zu. „Aber bevor wir uns faul hinlegen, lasst uns jagen gehen! Nurik, Esaila und Nyrona ihr folgt mir. Ihr zwei anderen bleibt hier und passt auf die Seherin auf und erkundet ein bisschen das Gebiet. Ich möchte nicht, dass sich die Wölfin unbeobachtet davonschleicht!“ Ruki und Sikona nickten und beobachteten, wie die anderen im angrenzenden Wald auf der linken Seite verschwanden. Sikona ging gleich los und trabte am See entlang auf dessen andere Seite, um dort die Wand genauer zu untersuchen. Sie konnte nichts Nennenswertes erkennen, außer ein paar Dornenbüsche und einzelne Bäumchen. Alles war friedlich und ruhig. >Blickt man sich in diesem Tal um, so lässt sich nichts von der Katastrophe außerhalb erahnen<, dachte sie sich und ging zurück zu Ruki, der noch immer genau dort stand, wo sie ihn verlassen hatte. Sikona wollte schon auf ihn zu rennen, als sie plötzlich stehen blieb. Etwas war eigenartig an Ruki. Deshalb legte sich Sikona flach ins Gras und hoffte, dass der andere Wolf sie noch nicht gesehen hatte. Aufmerksam beobachtet sie Ruki, der sich nun nach Süden wandte, woher sie alle gekommen waren. Ein paar Minuten vergingen, als sich Ruki erneut regte. Er krümmte sich, streckte seinen Rücken nach oben und senkte mit geschlossenen Augen seinen Kopf. Mit vor Schreck geweiteten Augen, beobachtete Sikona, wie aus Rukis Schultern eine Wölbung herauskam, die immer größer und länger wurde. Viele einzelne kleine Teile wuchsen aus dem großen heraus, bis sie so lang, wie der Wolf selber waren. So schnell das Wachstum eingesetzt hatte, so schnell endete er. Auf beiden Schultern waren nun diese komischen langen Dinger. Der Wind begann im Tal zu wehen und die Wüchse bauschten sich auf. Da wusste Sikona, um was es sich bei diesen eigenartigen Auswüchsen handelte. Sie sprang aus ihrer Deckung und rannte nun auf Ruki zu. Bei ihm angekommen sprang sie um ihn herum. „Ruki! Ich wusste ja, dass Windwölfe fliegen können, aber, dass ihr dazu Flügel braucht, nicht! Die sind ja wunderschön!“ Ruki lachte und faltete als Antwort seine Flügel auseinander. Das erste, was Sikona gesehen hatte, war der graue Ansatz gewesen, woraus die weißen Federn gekommen waren. Nun begann auch Ruki zu rennen. Er flatterte ein paar Mal mit den Flügeln und nutzte den Gegenwind, den er selbst erschaffen hatte, zum Aufsteigen in die Luft. Erst nach ein paar Versuchen gelang es ihm und er flog in den Himmel. Sikona folgte ihm freudig und jaulte ihrem Freund hinterher. Dieser drehte ab und kam im rasenden Tempo auf Sikona zugeschossen. Als Sikona glaubte, er würde im nächsten Moment auf sie fallen, breitete Ruki seine Flügel aus und bremste seinen Sturzflug ab. Lachend sprang Sikona ihm hinterher und versuchte, Rukis Rute zu schnappen. Doch dieser sah ihr Vorhaben und flog schneller. Da gab es Sikona auf und ließ sich hechelnd ins Gras fallen. Als Ruki dies bemerkte, drehte er wieder um und flog zu Sikona zurück. Er umkreiste sie ein paar Mal, bevor er neben ihr landete. „Du bist einfach zu schnell“, sagte Sikona, als Ruki sie lachend mit der Schnauze anstupste. „Das muss toll sein, zu fliegen. Ich wünschte, ich könnte das auch.“ Sikona ließ traurig ihren Kopf auf ihre Pfoten fallen. Ruki beobachtet sie neugierig, doch als sie ein trauriges Gesicht machte, legte er seine Ohren an, senkte seinen Kopf und schleckte Sikona aufmunternd über die Nase. „Weißt du was, Sikona? Wenn du unbedingt fliegen möchtest, kann ich ja mal versuchen, dich mit hinauf zunehmen. Du bist viel kleiner als ich und das dürfte gehen!“ Nun schoss Sikonas Kopf nach oben. „Das würdest du für mich machen?“ Ruki nickte und stand auf. Erneut schoss er in die Luft, dieses Mal schneller und kam aber gleich wieder zu Sikona zurück. Direkt über ihr blieb er stehen. „Steh auf und bleib ruhig stehen“, sagte er an die blaue Wölfin gewandt. Diese nickte und tat wie ihr geheißen. Da flog Ruki ganz nah an sie heran und krallte mit seinen Pfoten Sikonas Brust direkt hinter ihren Vorderfüßen. Seine Hinterpfoten legte er direkt vor ihre Hinterläufe. Danach begann er, kräftig mit seinen Flügeln zu schlagen. Anfangs regte sich Sikona gar nicht und Ruki schlug kräftiger mit seinen Flügeln. Der Wind, den er dabei erzeugte, wirbelte das Fell beider Wölfe auf. Erst da lösten sich Sikonas Pfoten vom Boden und Ruki flog mit ihr immer höher. Anfangs langsamer, doch dann immer schneller. Als sie zehn Meter über dem Boden waren, flog Ruki vorwärts. „Wuhu!“, schrie Sikona. „Ruki, du bist der Beste!“ Sie strampelte mit den Beinen und Ruki geriet kurze Zeit ins Straucheln, doch er fing sich gleich wieder und flog mit Sikona durch das Tal. „Oh Entschuldigung“, sagte Sikona daraufhin. „Es macht nichts. So lange du hier keine Freudensprünge machst, ist alles okay!“, versicherte Ruki ihr, dessen Atmung schon schneller ging, jedoch noch nicht zur Landung ansetzte. Immer schneller flog Ruki mit Sikona über das Tal zum Wasserfall und zum Wald. Sikona jaulte jedes Mal freudig auf, wenn Ruki eine Kurve flog. Als sie erneut über dem Wald in Richtung Wasserfall flogen, sagte Sikona: „Flieg mal etwas langsamer, bitte. Ich möchte etwas ausprobieren.“ Ruki drosselte das Tempo und flog gemütlich zum Wasserfall. Er spürte an seinen Pfoten, dass Sikona und auch die Luft um sie herum immer kühler wurden. Da bildeten sich kleine Eiskristalle um Ruki und Sikona in der Luft, die immer größer wurden, bis sie so groß wie seine Pfoten waren. Erst da ließ Sikona sie los und sie fielen, wie spitze Messer, Richtung Boden. Dort angekommen, bohrten sie sich tief in die Landschaft, die sich nach dem Wald auftat. Genau rechtzeitig, denn genau da sprangen vier Wölfe, mit einem toten Reh im Maul, aus dem Unterholz. Erschrocken blieben die vier stehen und starrten auf die Eiszapfen. Da ertönte ein Jaulen direkt vor ihnen und als sie aufsahen, sahen sie, wie Ruki mit der jaulenden Sikona angeflogen kam. Bei den anderen angekommen, setzte Ruki Sikona vorsichtig im Gras ab und landete erschöpft neben ihr. Nurik rannte zu seiner Schwester: „Ist was passiert?“, fragte er besorgt. „Nein, nein! Ruki ist nur mit mir geflogen! Sie doch nur, was für schöne Flügel er doch hat!“, beruhigte Sikona die anderen. Alle blickten nun Ruki an, der seine Flügel wieder verschwinden ließ. Dieser grinste schelmisch und beschnupperte einen Eiszapfen, der direkt neben ihm im Boden steckte und schon begann zu schmelzen. Yen trat auf einen zu, um ihn zu untersuchen. „Sikona, hast du die in der Luft abgeworfen?“ Die Wölfin nickte eifrig. „Nun, ich fürchte, wir haben es hier mit einer neuen Angriffstaktik zu tun! Ruki, wie lange seid ihr schon zusammen geflogen?“ fragte Yen den Wolf. „Mh, so viel war das gar nicht“, sagte Ruki. „Doch mit ein bisschen Übung und meiner vollen Elementkraft kann ich sie schon einige Zeit in der Luft halten!“ Yen nickte. „Gut, dann werdet ihr nun zusammen ein Team bilden, wenn es hart auf hart kommt. Sikona ist auch am besten dafür geeignet, da sie dich nicht verletzen und auch in der Luft Eis bilden kann.“ Freudig sprang Sikona auf Ruki zu. „Wir werden ein klasse Team Ruki!“, sagte sie zu ihm. „Aber danke für den schönen Flug!“ „Ach, das habe ich doch gern gemacht! Es ist witzig, mit dir zu fliegen!“, pflichtete Ruki ihr bei. Daraufhin drehten sich alle herum und gingen zum Wasserfall. Dort angekommen legte Yen das tote Reh ins Gras. Bevor er zu fressen anfing, wandte er sich noch einmal zu Ruki. „Du, Ruki. Ich habe da eine Frage an dich.“ Der angesprochene Wolf sah auf. „Wenn Windwölfe fliegen und jederzeit über Flügel verfügen können, wieso bist du damals von der Klippe direkt auf mich zugeflogen, ohne diese zu benutzen und den Fall abzufangen?“ Nun richteten auch die Geschwister ihren Blick auf Ruki, der beschämt seinen Kopf sank. Alle erwarteten eine Antwort und, als sie glaubten, keine zu bekommen, sagte Ruki: „Nun … wie soll ich das sagen ...“ Eine kleine Pause entstand. „Ich habe damals gar nicht in Betracht gezogen, meine Flügel zu benutzen … Ich habe es schlicht und einfach vergessen.“ Erneut setzte Stille ein. Doch es dauerte nicht lange und Yen, Nurik, Sikona, Esaila und Nyrona fingen zu lachen an. Ruki stimmte etwas verunsichert in das Lachen ein und alle machten sich anschließend am Reh zu schaffen. Der grau-weiße Wolf war froh, dass seine Gefährten es ihm nicht übel nahmen. Er fand es ja selbst peinlich, als Windwolf eine Klippe ganz nach unten gefallen zu sein. So aßen die sechs Wölfe und legten sich nach dem Mahl zum schlafen hin. Denn morgen würde ihre Reise weitergehen und da wollten sie genügend Kraft tanken. Am nächsten Morgen erwartete die Seherin sie am Ausgang ihrer Höhle. „Guten Morgen. Ich sehe, ihr wollt heute schon aufbrechen.“ Alle nickten. „Gut, dann lasst euch noch eines sagen: Ihr seit nicht alleine auf der Welt. Sowohl gute als auch euch feindlich gesinnte Wölfe laufen euch über dem Weg. Helft den Guten und nimmt euch vor den Bösen in Acht! Dann kann nichts schief gehen.“ „Danke, wir werden aufpassen!“, pflichtete Yen ihr bei. Dies schien sie zu beruhigen. „Wenn ihr dem Gott geholfen habt, so kehrt zu mir zurück! Ich habe beschlossen, euch zu helfen!“ Nurik trat vor und neigte seinen Kopf. „Danke, weiße Wölfin!“ Daraufhin knurrte die Seherin und schnappte nach Nurik, der sich lachend in Sicherheit brachte. „Für euch heißt das noch immer: „Die Seherin“!“ Lachend verabschiedeten sie sich von der Wölfin und liefen zuerst in Richtung Süden aus dem Tal hinaus, bevor sie sich nach Südosten wandten. Als sie schon einige Zeit im Wald unterwegs waren, sagte Nyrona: „Also ich weiß nicht, was ich von der Seherin halten soll. Einmal scheint sie zu lachen und dann wieder total ernst zu sein! Das ist doch verrückt!“ Esaila, die neben ihr lief, stimmte ihr zu: „Ich spüre aber, dass sie nichts Böses will. Umsonst wird der Wald sie nicht beschützen!“ „Ja, du hast Recht. Trotzdem. So lange alleine zu sein tut ...“ Plötzlich jaulte Nyrona auf, als sie in etwas Heißes hineintrat. Als sie nach unten blickte sah sie, wie etwas Rotes den Boden bedeckte. Sofort wich sie zurück, um kein weiteres Mal in das Heiße zu treten. Als sie aufblickte sah sie, dass die anderen auch angehalten haben, weil auch dort das heiße Zeugs ihren Weg versperrte. Das Zeug floss wie Wasser immer näher auf sie zu. Doch es war kein Wasser, denn Nyrona konnte es nicht bewegen. Nurik stellte sich vor Sikona, damit sie in der Mitte stehen konnte, um nicht mit der Hitze direkt konfrontiert zu werden. Nyrona sah die Panik in den Augen ihrer jüngeren Schwester und trat zu ihr, um sie, falls nötig, mit ihrem Wasser abzukühlen. Auch sie spürte die Hitze, die die Lava verströmte, doch machte dies ihr nicht so viel aus wie ihrer Schwester. Dennoch achtete sie darauf, nicht zu nah an die Lava heranzukommen, damit sie nicht zu viel Wasser in ihrem Körper verlor. „Bleibt sofort alle stehen! Ich kenne das. Das ist heißes Gestein. Es nennt sich Lava“, sagte Nurik. Daraufhin ertönte ein grausames Lachen und hinter einem Baum trat ein großer knallroter Wolf hervor. „Da ist aber einer von der schlauen Sorte!“, sagte dieser knurrend, woraufhin sich aus den Schatten des Unterholzes weitere Wölfe lösten und die anderen außerhalb der Lava, umzingelten. Direkt neben dem großen Wolf stellte sich eine blaue Wölfin, dessen Fell sehr kurz war. Nyrona riss überrascht ihre Augen auf. „Das ist eine Wasserwölfin!“, flüsterte sie den anderen zu. Nurik, der direkt vor dem roten Wolf stand, legte seinen Kopf nach hinten. „Sikona, komm mal her!“ Die blaue Wölfin trat neben ihrem Bruder. „Wenn ich `jetzt` sage, kühlst du die Lava ab und wir anderen greifen an.“ Sikona weitete erschrocken ihre Augen, nickte aber. Die anderen hatten ebenfalls verstanden, was er vor hatte. „Tuscheln hilft nicht viel. Wasser ist gegen meine Lava machtlos!“ Erneut lachte er los. „Aber ihr seit ein interessanter Haufen und gleich so viele! Mich würde ja eure Geschichte interessieren, wie ihr es geschafft habt, uns so lange zu entkommen!“ Nun blickte er Nurik direkt an. „Doch wir haben nicht genug Zeit. Wir werden euch ein schnelles Ende bereiten!“ Mit diesen Worten floss der Lavastrom schneller auf sie zu. Alle wichen zurück und Sikona begann aufgrund der höllischen Hitze zu winseln. „Nurik“, flüsterte sie hilfesuchend. „Gleich“, sagte dieser und stellte sich noch näher zu Sikona. Die Lava schmatzte und fauchte auf die Wölfe zu. In dieses Geräusch mischte sich das Lachen der umliegenden Wölfe. Doch plötzlich wurde es um sie herum gleißend hell und direkt neben dem roten Wolf schoss ein blauer Blitz in einen Baum. Der rote Wolf und seine Gefährtin brachten sich mit einem Satz in Sicherheit. „Jetzt“, schrie Nurik und sprang über die Lava auf den roten Wolf zu. Die Lava war zwar heiß, doch Nurik konnte wegen seiner feurigen Abstammung hinübergehen. Da begann Sikona kalte Luft auf die Lava zu drücken, die zischend anhielt und rasend schnell dunkel wurde. Sobald sie kühl genug war, sprangen Esaila, Nyrona, Ruki und Yen darüber und griffen ihrerseits die fremden Wölfe an. Auch Sikona wollte losspringen, um ihrem Bruder zu helfen, doch da stellte sich ihr etwas Gelbes in den Weg. Sie blickte nach oben und starrte in fremde blaue Augen. „Geh nicht zu deinem Bruder und dem roten Wolf! Du wirst dich sonst verbrennen. Hilf den anderen. Ich mach das schon. Versprochen!“ Mit diesen Worten sprang der fremde Wolf wieder weg, um Nurik zu Hilfe zu eilen. Sikona blieb erst kurze Zeit stehen und sprang nun endlich ebenfalls ins Getümmel. Weg von ihrem Bruder, dem sie so gern helfen wollte. Doch sie vertraute dem Fremden und stürzte sich mit Abscheu auf den ersten fremden Wolf, den sie sah. ~~Die Seherin Ende~~ Woher kommt die Seherin und woher zieht sie ihre Kraft? Wer ist der rote Wolf und die restlichen Wölfe? Wer ist der gelbe Wolf und woher kam er? Feind oder Freund ... oder gar kein Unterschied? Kapitel 12: Wie ein Blitz ------------------------- ~~Wie ein Blitz~~ Als Esaila über die Lava gesprungen war, rannte sie auf eine kleine Lichtung, immer darauf bedacht, dass ihr kein Feind in den Rücken fiel. Alle sechs Wölfe waren in unterschiedliche Richtungen davon gesprungen , um kein leichtes Ziel für die Angreifer zu werden. Sie wussten nicht genau, wer diese Wölfe waren und warum sie den Hinterhalt getan hatten, doch eines war gewiss: Sie wollten ihren Tod. Genau aus diesem Grund hieß es, besonders vorsichtig zu sein. Esaila rannte gerade über die Wiese der Lichtung, als es plötzlich um sie herum dunkel wurde. Der Wald, der sich vor ihr aufgetan hatte, verschwand aus ihrem Blickfeld. Überall um sie herum wurde es tiefschwarz. Fast so, als wäre die Waldwölfin in einen Abgrund gefallen. Auch alle Geräusche waren wie vom Erdboden verschluckt. >Was ist hier los?<, schoss es Esaila durch den Kopf, als sie panisch stehen blieb und in die Dunkelheit starrte, in der Hoffnung ein bisschen Licht zu erblicken. Ihre Panik wurde größer, als direkt neben ihr ein hämisches Lachen ertönte. „Du bist gefangen, kleine Wölfin. Gefangen in deinem ganz persönlichen Albtraum“, sagte nun eine Stimme, die zu dem schaurigen Lachen gehören musste. Esaila legte ihre Ohren an und schloss ihre Augen. Sie wollte dies nicht hören und sehen. Erneut erklang das Lachen, das dieses Mal aus verschiedenen Richtungen kam. Da fing sie, aus einem Instinkt heraus, wieder zum Laufen an. Genau rechtzeitig. Denn sie spürte einen leichten Lufthauch genau da, wo zuvor noch ihr Kopf gewesen war. Daraufhin ertönte ein verärgertes Knurren und sie hörte das leise Trampeln von Pfoten auf Gras. Erst da wurde sie sich ihres weichen Untergrundes und dem vertrauten Geruch von Gras und Laub bewusst. >Dies ist kein Traum! Jetzt versteh -<, dachte sie sich, ehe sie plötzlich über eine Wurzel stolperte und unsanft auf dem Boden landete. Bei dem Sturz hatte sie ihre Augen geschlossen, doch, als sie die vertrauten Geräusche des Waldes vernahm, wagte sie wieder einen Blick. Sie hatte Angst noch immer in der Dunkelheit und somit fast orientierungslos zu sein. Doch das, was sie sah, erleichterte Esaila sehr und sie stand auf. Denn die Tatsache, dass sie wieder etwas sehen und hören konnte, war wunderbar. Esaila drehte sich um und erschrak zutiefst. Direkt vor ihr stand eine tiefschwarze Mauer aus wabernder Finsternis. Als sie den Blick darüber schweifen ließ, stellte sie fest, dass diese Finsternis die komplette Lichtung eingenommen hatte. Wut stieg in ihr auf. Wut über ihre eigene Dummheit, dass sie so töricht sein konnte, ihr Element verlassen zu haben und auf eine offene Lichtung gerannt war. Wut über den anderen Wolf, der sie in einen erneuten Hinterhalt geführt und sie währenddessen all ihrer Sinne beraubt hatte. Sie knurrte und sträubte ihr Fell. Das wird ihr nicht noch einmal passieren, das schwor sie sich! Nun würde sie zum Angriff übergehen! Die Waldwölfin ging in Angriffsstellung und schloss ihre Augen. Sie sog den vertrauten Geruch ihrer Umgebung ein und konzentrierte sich auf einen Punkt in ihrem Körper: auf ihren Elementkern. Jeder Elementwolf besaß ihn und er war kein Organ, wie das Herz oder die Leber, sondern viel mehr eine Flamme, die unmittelbar hinter dem Herzen lag. Für gewöhnlich war es nur ein kleines Flackern, doch sobald die Elementwölfe etwas mit ihrem Element bewirken wollten, flammte der Kern auf und durchströmte ihren Körper. Je nach Ausprägung der Kraft mal mehr und mal weniger. Genau diese Flamme nährte sie mit ihrer Kraft, die immer größer und größer wurde. Ein Strom von angenehmer Wärme begann sich in ihrem Körper auszubreiten und jeden ihrer Glieder zu erfassen. Dies alles geschah innerhalb einer Sekunde und Esaila öffnete wieder ihre Augen. Sie breitete ihr Bewusstsein aus und spürte jeden Baum, jeden Strauch und jeden Grashalm in ihrer Nähe. Die Pflanzen spürten ihren Kampfinstinkt und ihre Wut. Da begannen die Bäume unheimlich zu knarzen, denn auch sie waren wütend auf die Angreifer, die einen Freund zerstört und Unruhe in den Wald gebracht haben. Der Wald der Unendlichkeit hatte eine Kraft, die Esaila noch nie gespürt hatte. Genau diese Kraft wird sie sich zunutze machen! >Freunde, helft mir, diesen unangenehmen Feind aus dem Wald zu vertreiben!<, dachte sie sich und schickte ihr Bewusstsein in die Finsternis, um den fremden Wolf zu suchen. Es dauerte nicht lange und sie fand ihn, keine fünf Meter vor ihr stehend. Die Grashalme, die er mit seinen Pfoten zerdrückte, zeigten dies ihr deutlich. Esaila wusste, dass der Wolf die Lichtung nicht verlassen würde, aufgrund der dunklen Wolke, in der er sich verstecken konnte. Deshalb hob die grüne Wölfin ihren Kopf und heulte leidenschaftlich. Sie wusste, dass dies nicht notwendig war, aber sie musste ihrer Wut freien Lauf lassen. Erneut ging sie in Angriffsstellung und um ihr herum begann der Boden zu beben. >Na schön. Wenn du nicht zu mir kommen willst, muss ich dich leider zwingen!<, dachte sie sich und benutze die Wurzeln des Baumes, der ihr am nächsten stand. Sie sandte sie durch die Erde in Richtung Finsterniswolf. Vier Stück waren es. Als sie direkt unter dem Wolf waren, ließ Esaila sie in verschiedenen Richtungen aus dem Boden schießen. Sie spürte durch das Gras, dass der Wolf zusammenzuckte, da er ein paar Schritte rückwärts lief. Da wusste sie, dass ihr Gegner in seiner eigenen Finsternis sehen konnte. Doch dies nütze ihm nichts mehr. Sie ließ zwei Wurzeln auf den Wolf zuschnellen, bevor er es sich anders überlegte und aus der Gefahrenzone sprang. Die Wurzeln umschlossen den Körper des Wolfes und hoben ihn vom Boden. Zufrieden vernahm Esaila ein leises Jaulen, als sie ihn mit Hilfe der Wurzeln zu sich trug. Kaum hatte sie ihn zwei Meter getragen, lichtete sich die Finsternis auf der Lichtung und sie sah nun den Wolf, wie er sich in den Wurzeln wand, die sich langsam auf sie zubewegten. Er war größer als sie. Natürlich war er das! Sie selbst war für einen Wolf sehr klein. Doch dies sagte nicht gleich, dass sie schwach sei, oh nein! Zudem war sein Fell größtenteils schwarz und braun. Sprich: Ein typischer Finsterniswolf! „Du dachtest wohl, du kannst mich mit deinem kleinen Trick hereinlegen! Da hast du dich geirrt“, sagte sie und blickte in die vor Erstaunen geweiteten Augen des Wolfes, der noch immer in den Wurzeln gefangen war und sie anblickte. „Ich werde dich nicht töten“, sagte sie und stand nun auf. Dies war gegen ihre Natur. Sie tötete ungern, das war schon immer so gewesen. So ließ sie einen Ast herunterpeitschen, der den Wolf bewusstlos schlug, damit er nicht mehr angreifen konnte. Vorsichtig legte sie den Finsterniswolf auf den Boden und die Wurzeln zogen sich zurück. Er wird nun für eine gewisse Zeit keinen Ärger mehr machen, da war sich Esaila sicher. Die Waldwölfin drehte sich um und nahm erneut Kontakt mit dem ihr am nächsten stehenden Baum auf. Sie wollte wissen, wo ihre Schwester Nyrona war und, wie es um die anderen stand. Sie war sich sicher, dass sich Nyrona ohne groß nachzudenken auf die Wasserwölfin gestürzt hatte. Dies machte Esaila Angst. Sie kannte ihre ältere Schwester und wusste, wie unüberlegt sie manchmal handelte. Kaum hatte sie durch die Bäume erfahren, wo sie sich aufhalten könnte, rannte sie auch gleich los. Doch sie brauchte nicht weit zu rennen, da roch sie Wasser, das schwer in der Luft lag. Sie kam auf eine erneute Lichtung und die Gefühle der umstehenden Bäume erschreckten sie. Viele raschelten und knarzten wütend. Sie brauchte nicht lange zu suchen und fand die Ursache dafür. Auf ihrer linken Seite standen mehrere verdorrte Bäume. Als sie ihr Bewusstsein berühren wollte, musste sie feststellen, dass sie kein Fünkchen Leben mehr in sich hatten. Direkt vor den toten Bäumen stand die feindliche Wasserwölfin. Diese umgab ein stetig anwachsender Strom von Wasser, der, so stellte Esaila erschrocken fest, von den Bäumen hinter ihr stammte. Der Wasserwölfin direkt gegenüber und auf Esailas rechten Seite, stand Nyrona, die zitternd auf ihren Beinen stand. Auch sie war von Wasser umgeben, das aber weitaus weniger war, wie das ihrer Gegnerin. Nyrona blickte kurz von ihrer Gegnerin weg und sah zu Esaila. Vorsichtig hob sie eine Pfote und stellte sie wieder auf den Boden. Da verstand Esaila und kroch zurück ins Unterholz. Sie sollte sich noch verstecken, bis ein passender Moment gekommen war. Somit hatten sie den Überraschungsmoment auf ihrer Seite. „Wie lange haltest du es noch aus? Ich bin überhaupt überrascht, eine Wasserwölfin in diesem Teil des Landes zu treffen. Aber das erklärt auch, wieso deine Fähigkeiten so mickrig sind!“, sagte die fremde Wölfin und lachte hämisch. Esaila schlich währenddessen auf die linke Seite, direkt hinter die Wölfin. Diese rannte, kaum, dass Esaila hinter ihr stand, auf Nyrona zu. Dabei verfolgten sie die Wassermassen, die sie aus den Bäumen gezogen hatte. Nyrona machte sich keine Mühe, der Wölfin auszuweichen, sondern sammelte ihr Wasser und ließ es direkt auf die andere Wölfin zuschnellen. Esaila wusste, dass dies mehr ein Verzweiflungsakt war als ein geschicktes Manöver. Die Feindin ließ nun ihrerseits eine Wand aus Wasser entstehen, woran Nyronas Wasserstrahl mühelos abprallte. Gleichzeitig ließ sie einen Strahl auf Nyronas linke Seite los, der sie frontal und ohne jeden Schutz traf. Nyrona flog jaulend durch die Luft und landete unsanft auf dem Boden. Die andere blieb stehen und drehte sich zu Nyrona herum, um sie missbilligend zu betrachten. In Esaila selbst ballte sich Wut zusammen, wie schon einmal an diesem Tag. Sie sah zu, wie ihre Schwester frontal angegriffen wurde, nur um auf den passenden Moment zu warten? Sie schnaubte und bediente sich erneut ihrer elementaren Kraft. Was für einen passenderen Moment gibt es schon, wenn nicht dieser? Die Wölfin wusste nicht, dass Esaila hier war und zudem noch hinter ihr stand. So trat die Waldwölfin hinter dem Büschen hervor auf die Lichtung hinaus. Sie merkte, wie ihre Schwester sie starr anblickte und leicht den Kopf schüttelte. Doch dies war ihr in dem Moment völlig gleichgültig, denn ihre ganze Aufmerksamkeit galt der anderen Wölfin. Diese musste den Blick von Nyrona bemerkt haben und folgte nun diesem. Doch bevor sie Esaila sah, ließ die kleine Wölfin Äste von einem nahen Baum auf sie herab sausen, fesselte sie an den Beinen und ließ sie in die Luft schnellen. Überrascht jaulte die Fremde auf und das Wasser glitt auf den Boden und ergoss sich im Gras. Nun erblickte sie Esaila, die sie wütend anstarrte. „Du hast den Bäumen ihr Lebenselixier geklaut“, sagte Esaila und trat schützend zu ihrer Schwester, die sich mühsam auf die Beine stellte. „Außerdem“, fuhr Esaila fort. „Hast du Nyrona so zugesetzt. Ich werde nicht zulassen, dass du hier noch weiterhin einen Aufstand machst und meine Familie und Freunde so zurichtest!“ Nyrona spürte, wie wütend Esaila war und stupste sie dankbar mit der Schnauze an. Sie wusste, dass dies dumm von ihr war, sich Hals über Kopf in so einen Kampf zu stürzen. Doch dies konnte sie nun nicht mehr ändern und war dankbar, dass Esaila nun da war. Kein Wolf auf der Welt hätte sie lieber an ihrer Seite, als ihre Schwester Esaila. Nicht einmal Sikona und Nurik harmonierten mit ihrem Element so gut, wie Esailas zu ihrem. So stellte sie sich kampfbereit neben ihre Schwester und sammelte erneut Wasser aus der Luft um sich. „Lass uns diesen Feind gemeinsam bezwingen, Schwester!“, sagte Nyrona und bemerkte dabei nicht den Schatten, der kurz über sie hinwegstrich und wieder verschwand. Ruki flog über mehrere einzelne Lichtungen, die es in diesem Waldabschnitt leider sehr häufig gab und suchte nach seinen Freunden. Als er über eine Lichtung hinwegflog, konnte er unter sich Nyrona und Esaila erkennen. Ein kurzer Blick genügte und er wusste, dass sie gut zu zweit zurecht kamen und flog weiter, auf der Suche nach den anderen. Nachdem er über die Lava gesprungen und einige Meter gerannt war, hatte er seine Freunde aus den Augen verloren. Doch er hatte kaum Zeit zum Suchen gehabt, da sich ein fremder Wolf sich auf ihn gestürzt hatte. Er war zwar nicht größer als er gewesen, doch er hatte den Überraschungsmoment auf seiner Seite. So begann ein erbitterter Kampf . Doch es stellte sich bald heraus, dass der Feind ein normaler Wolf war, ohne ein Element zu beherrschen, was einen gewissen Vorteil für Ruki brachte. Doch Ruki verzichtete anfangs auf sein Element, bis sich sein Angreifer als erprobter Kämpfer herausstellte. Durch den Wind brachte er ihn auf Distanz und konnte ihn, mehr durch Glück, kampfunfähig machen. Es war ein harter Kampf gewesen, der Ruki gezeigt hatte, dass man mit einem Element auf seiner Seite nicht unbedingt im Vorteil war. Aus Angst, seinen Freunden könnte es genauso ergehen, hatte er sich auf die Suche begeben. Zwei hatte er schon einmal gefunden, fehlten nur noch drei. Plötzlich wurde es vor ihm hell und er geriet ins trudeln. Doch er fing sich schnell wieder und flog auf die Stelle zu, die der Ursprung des Lichtes zu sein schien. Als Ruki sich ihr näherte, spürte er, wie es immer heißer wurde, bis er die Ursache dafür fand. Auf einer weiteren Lichtung brannte alles lichterloh und inmitten des Chaos konnte er Nurik und den roten Wolf sehen. Ruki wollte schon hinunterstürzen, als ihn eine weitere Hitzewelle erwischte und ihm erneut aus dem Gleichgewicht brachte. Auch dieses Mal fing er sich wieder und sah, wie Nurik in Begleitung eines anderen Wolfes auf den Feind zu rannte und dabei ließ Nurik unablässig Feuer auf seinen Feind los. Der andere Wolf, so konnte Ruki erkennen, war gelb und blaue kleine Funken tobten in seinem aufgestellten Fell herum. Mehr konnte der weiß-graue Wolf nicht sehen, denn plötzlich wurde es erneut gleißend hell auf der Lichtung und er wurde nochmals von einer Hitzewelle erfasst, die ihn nun endgültig aus den Fugen brachte und mehrere Meter weit weg schleuderte. Benommen öffnete er seine Augen und blickte dem näher kommenden Boden entgegen. Schnell öffnete er seine Flügel und fing somit im letzten Moment seinen Sturz ab. Er wollte gerade den Wind unter seine Flügel bringen, um wieder aufzusteigen, als er gegen einen Körper krachte und unsanft am Boden landete. Beide rollten einige Meter weiter, bis sie liegen blieben. Der eine Körper lag auf ihm. Doch nicht lange, denn der Fremde sprang auf und rannte davon. „Autsch, nicht schon wieder!“, sagte Ruki und öffnete träge seine Augen. Er erblickte vier weiße Pfoten direkt vor sich und, als er nach oben sah, konnte er Sikonas Gesicht sehen, das von einem Grinsen erhellt wurde. „Also, langsam glaube ich, dass das deine eigentliche Kampftechnik ist. Es scheint fast, als hättest du Spaß dabei, sich auf andere Wölfe zu stürzen und sie kampfunfähig zu machen.“ Sie trat an seine Seite und half ihm hoch. „Sehr witzig!“, sagte Ruki und schüttelte benommen seinen Kopf. Erleichtert stellte er fest, dass er nur ein paar Kratzer davon getragen hatte. Er war ja nicht im vollen Sturzflug gegen den Wolf gekracht. „Aber ich bin froh, dass du hier bist. Der Wolf war größer als ich. Zwar hatte er kein Element, doch ich konnte nicht viel von meiner Kraft nutzen, ohne groß geschwächt zu werden.“ Da fiel ihm auf, wie warm es auf der Lichtung war und verstand. „Dann bin ich also gerade rechtzeitig gekommen! Gut, dass er gleich abgehauen ist, sonst hätte er es mit meiner Kraft zu tun bekommen!“ Sikona stupste ihn lachend an. „Ja, mein Beschützer. Obwohl heute schon einer vor dir diese Rolle übernommen hat.“ Ruki blickte sie verständnislos an. Sie sah seinen Blick und erklärte: „Als ihr alle davon gesprungen seid, wollte ich Nurik nach laufen und ihm im Kampf gegen den Lavawolf helfen. Doch dann stellte sich mir ein fremder Wolf in den Weg und sagte, dass dies zu gefährlich sei und er anstatt meiner Nurik helfen wird. Ich glaube, er hat mich vor meinem Tod bewahrt. Spürst du die Hitze? Ich schmelze die ganze Zeit schon!“ Zur Bekräftigung drehte sie sich etwas, damit Ruki ihren schmelzenden Schweif sehen konnte. Nun war es an Ruki zu lachen. „Du meinst wohl den gelben Wolf? Ja, er hilft gerade Nurik und sie waren es, die mich aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Die Hitzewellen haben mich herumgeschleudert und ich konnte nichts unternehmen. Aber ich bin froh, dass ich dir doch helfen konnte und dich auch gefunden habe!“ Sikona nickte, als sie das mit dem gelben Wolf hörte und war froh, dass dieser sein Versprechen hielt. „Nun, ich hoffe, der Wolf kommt nicht ...“, sie hielt inne und blickte zu einem Busch in ihrer Nähe. Auch Ruki hatte etwas bemerkt und spannte seinen Körper an. Ein leises Knurren kam aus seiner Kehle und er beobachtete, wie sich ein Kopf aus dem Busch schob, der von Blut beschmutzt war. Doch Ruki erkannte den Wolf wieder und verstummte abrupt. „Na komm schon, du elendiger Wurm!“, rief der Wolf genau gegenüber von Yen. Dieser war so schlau, auf solche Provokationen nicht anzubeißen, sondern umkreiste weiterhin den braunen Wolf. Der Wolf war nicht so groß wie er selbst, aber dennoch kampferprobt, was seine vielen Narben nur zu deutlich zeigten. „So groß und doch ein Schisser!“, sagte der Braune und legte noch mehr Wert auf Provokationen. Yen knurrte nur als Antwort, blieb aber auf Abstand. Kaum, dass er sich von den anderen getrennt hatte, traf er auf diesen fremden Wolf, der sich als harter Kämpfer ohne Element herausgestellt hatte. Sie hatten wild gekämpft und beide hatten schon mehrere Kratzer, aber noch keine ernsthafte Verletzung, davongetragen. Dafür waren sie beide zu vorsichtig. Dennoch wünschte sich Yen, dass er eine Lücke in der Verteidigung seines Gegners finden würde, um ihn schnell ausschalten zu können. Doch diesen Gefallen bekam er leider nicht erfüllt und somit musste er seine Freunde noch immer alleine lassen. Alle Muskeln von Yen waren bis aufs Äußerste angespannt und sein Schwanz zuckte nervös durch die Luft. Auch sein Gegner wurde mit der Kampfdauer immer nervöser, dennoch blieb er vorsichtig und behielt Yen gut im Auge. Doch, als er merkte, dass er mit seinen bissigen Bemerkungen nicht weit kam, blieb der Fremde stehen und hob seinen Kopf. Yen blieb ebenfalls stehen, verharrte aber weiterhin in Angriffsstellung. „Nun, ich sehe, es hat mit dir keinen Sinn! Du bist einfach zu dumm. Kein Wunder bei der Größe, dass da das Hirn etwas hinten nach hängt! Ich werde mir nun jemand anderen suchen und dich deinem dummen Schicksal überlassen.“ Er drehte sich halb herum, hatte aber dennoch Yen im Blick. „Vielleicht schnappe ich mir die kleine süße grüne Wölfin oder gar die Hellblaue! Die Wasserwölfin ist mir zu glitschig“, eiferte der braune Wolf weiter und machte Anstalten zu gehen. Endlich hörte er ein wütendes Knurren hinter sich und verzog sein Maul zu einem Grinsen. Yen stand hinter ihm und witterte seine Chance. >Wende nie deinem Gegner den Rücken zu!<, dachte sich Yen und schwor sich, diesen Wolf für seine Unverfrorenheit zu bestrafen. Er würde nie zulassen, dass seinen Freunden etwas geschah. So spannte er seine Muskeln noch mehr an und drückte sich vom Boden ab, um den Braunen direkt anzugreifen. Dieser jedoch hatte nur auf diese Gelegenheit gewartet und drehte sich schnell herum, um Yen in seine böse Falle tappen zu lassen. Der Braune sah die Überraschung in den gelben Augen aufblitzen und schon krachte Yen gegen den Wolf. Dieser hatte sich kurz auf seine Hinterläufe gestellt, um Yen mit seinen Pfoten zu umklammern. Dies war ein waghalsiger Trick, denn auch er wurde durch die Krallen von Yen ebenfalls verletzt. Doch einen Vorteil hatte es: Der braune Wolf verbiss sich in Yens linke Schulter. Beide Wölfe stürzten auf den Boden und, als Yen glaubte, er sei endgültig in der Falle und er müsse seine letzten Atemzüge tun, spürte er, wie der Wolf seine Schulter aufriss und sie somit wieder frei gab. Yen jaulte auf vor Schmerz, der ihn fast zu betäuben schien. Doch er fing sich rasch wieder und dachte an seine Freunde, die er zu beschützen versuchte. Der braune Wolf hatte gewusst, dass Yen viel schwerer als er selbst war und versuchte somit, schnell unter Yen hervorzukommen. Dabei krazte er mit seinen Klauen dessen Flanken auf und Yen jaulte erneut. Dennoch war der Wolf zu langsam und schaffte es nur, seinen Oberkörper frei zu bekommen: Yen war zu schwer. Er war volles Risiko eingegangen und sich seiner Sache so sicher gewesen. Dennoch gab der Braune nicht auf und schnappte nach Yens Hals. Dieser war nicht dumm, wie sein Feind vorhin behauptet hatte und wurde sich seines Vorteils bewusst. Er wich dem Maul aus und senkte nun schnell seinen Kopf, um den Hals seines Feindes mit seinen Zähnen zu umschließen. Dieser konnte nicht mehr ausweichen und Yen schloss hasserfüllt seinen mächtigen Kiefer. Er verbiss sich in den Hals und stand endlich auf. Mühelos hob er den nach Luft röchelnden Wolf hoch, der gelegentlich aufheulte. In Yens Maul schoss das warme Blut, doch dies kümmerte ihn nicht. Zorn, wahnsinniger Zorn, stieg in ihm auf und er begann, den Wolf heftig zu schütteln. Er ließ den Wolf auf den Boden krachen und hörte dessen Knochen splittern. Daraufhin ließ er ihn los und der Fremde flog mit dem Kopf voran gegen einen Baum. Seine Schädeldecke knackte gefährlich und er blieb reglos liegen. Wenn er nicht schon vorher gestorben war, so war er sicherlich jetzt tot. Yens komplette Brust und sein Kopf waren blutverschmiert. Doch dies interessierte ihn nicht und er trat zu seinem ehemaligen Gegner. „Das nächste Mal würde ich mir überlegen, wen du Wurm oder Schisser nennst!“, sagte Yen und drehte sich herum. Noch immer waren seine Augen geweitet und der Hass stand in ihnen geschrieben. So sprang er ins nächste Gebüsch und verließ somit den Kampfplatz. Es dauerte nicht lange und er vernahm Stimmen. Ihm vertraute Stimmen. So steckte er seinen Kopf durch einen Busch und blickte in die Augen von Sikona und Ruki, die ihn erleichtert und doch schockiert ansahen Yen trat nun ganz aus dem Busch und die beiden konnten seinen blutverschmierten Körper sehen. „Yen!“, rief Sikona und ging auf ihn zu, blieb aber auf Abstand. „Was hast du gemacht? Und die Wunde. Hilfe, die sieht ja übel aus! Lass sie mich kühlen!“ Die Verletzung hatte Yen völlig vergessen. Er spürte auch keinen Schmerz. Dafür war er zu erregt von dem Kampf. Doch, als Sikona näher kam, knurrte er sie an. Erschrocken blieb Sikona stehen, legte ihre Ohren an und zog den Schwanz ein. Wenn Yen es nicht wollte, so ließ sie ihn. Auf einen Kampf konnte sie verzichten und wollte sich auch nicht mit ihm streiten, da er viel größer und stärker als sie war. So, wie er vor ihr stand, wollte sie lieber auf Nummer sicher gehen. Das Blut und sein wildes Aussehen ließen ihn fürchterlich erscheinen. So zog sie sich wieder zurück und sagte: „Nun gut.“ Zu ihrer Überraschung sagte Yen: „Ich will, dass du deine Kraft nicht jetzt verschwendest. Der Feind ist noch hier und ich habe im Moment keine Schmerzen. Aber trotzdem danke!“ Das munterte Sikona wieder auf und sie richtete sich aus ihrer unterwürfigen Stellung auf. Dennoch blieb sie vorsichtig und angespannt und stellte sich zu Ruki. „Wisst ihr, wie die Lage ist?“, fragte Yen weiter, dem nichts an Sikonas Verhalten aufgefallen zu sein schien. Da begann Ruki, von der Lage zu erzählen, in der er die anderen vier Wölfe gefunden hatte. Yen nickte. „Gut, ihr zwei werdet euch zu Nyrona und Esaila begeben und ich werde Nurik helfen gehen!“ Yen drehte sich schon herum, um loszulaufen, wurde aber durch Sikona aufgehalten, die sich in seinen Weg stellte und rief: „Yen, nein! Das ist zu gefährlich. Vor allem, da du -“ Sie kam nicht weit, da Yen nach ihr schnappte und sie ausweichen musste. Yen wollte sie nicht verletzten, sondern nur zurückdrängen. „Ich kann gut auf mich alleine aufpassen, auch ohne Element, Sikona! Und jetzt geh!“ Da verschwand er im Wald und bemerkte nicht, wie Ruki einfach Sikona packte und mit ihr davonflog. Zuerst sträubte sich Sikona, doch dann ließ sie sich hängen und seufzte. „Was ist nur los mit ihm? So habe ich ihn noch nie erlebt. Er glüht ja richtig von innen.“ Dann schlich sich kurz ein Lächeln auf ihren Lefzen. „Aus dem friedlichen Wolf ist ein Kämpfer geworden. Ein skrupelloser Kämpfer. Ruki stimmte ihr mit seinem Schweigen zu und steuerte die Lichtung an, wo sich Esaila und Nyrona befinden müssten. Yen brauchte nicht lange zu suchen und er fand die Wölfe, die er gesucht hatte. Auf einer großen Lichtung stand ein Wolf zwei anderen gegenüber. Überall auf der Lichtung brannte Feuer und befand sich dieses rote Zeug, das Nurik als Lava bezeichnet hatte. Alle drei Wölfe sahen mitgenommen aus, doch er erkannte, dass Nurik und der gelbe Wolf im Vorteil waren. Dennoch gab ihr Feind nicht auf. Yen hielt sich noch versteckt und sah Nurik zu, der gerade etwas zu dem gelben Wolf sagte. Beide waren angespannt und voller Kampfgeist. Yen hatte Nurik noch nie so gesehen wie heute, als er seine Schwestern, vor allem Sikona, beschützt hatte. Dies war ein Beweis, wie sehr der Feuerwolf seine Schwestern liebte und jeden Preis zahlen würde, sie in Sicherheit zu wissen. Dass er dies im Moment tat, zeigte seine wabernde Mähne und sein fauchender Schweif. Beides wirkte wie lebendiges wütendes Feuer, das alles verschlingen würde. Yen lachte. Im Großen und Ganzen sah er wie ein brennenden Stück Holz aus, dass jeden Moment explodieren konnte und somit eine Gefahr bildete. Sein Hochmut verflog wieder. Yen hatte geglaubt, dass es irgendwann Probleme mit dem rot-braunen Wolf geben würde, die nur mit einem Kampf beseitigt werden konnten, doch dieser hatte sich bereitwillig damit abgefunden, Yen zu folgen. Genau wie Ruki. Yen wurde aus seinen Gedanken gerissen, als eine Lavasäule direkt vor dem gelben Wolf auftauchte und sich auf ihn stürzte. Nurik wollte ihm zu Hilfe eilen, doch genau in dem Moment, als die Säule aufgetaucht war, sprang der Lavawolf ab und landete auf Nurik, den er nun auf den Boden drückte. Yen verfluchte Nurik dafür, in die Falle getappt zu sein, aber da erinnerte er sich an seinen letzten Kampf und der Gedanke verflog. Der rote Wolf senkte nun seinen Kopf und Yen sah, dass der gelbe Wolf Nurik nicht helfen konnte, da er damit beschäftigt war, der Lava auszuweichen. Nurik konnte sich unter der schieren Größe des Wolfes nicht bewegen und blickte mit weit aufgerissenen Augen in das Maul seines Feindes. Nurik versuchte ihn noch mit Feuer, das aus seinem Maul schoss, abzulenken. Doch da drückte der Feind einfach eine Pfote auf seine Schnauze und der Feuerstrahl erlosch. Das Feuer selbst schien ihm wenig auszumachen. Nurik wurde einfach wie ein hilfloses Küken auf den Boden gedrückt, da er nichts gegen den größeren Wolf ausrichten konnte. Der Wolf hatte nämlich ungefähr die gleiche Größe wie Yen selbst. So spannte Yen seine Muskeln an und verließ mit einem Sprung seine Deckung. Ein weiter Sprung beförderte ihn direkt auf seinen Gegner zu. Er konnte nicht zulassen, dass Nurik hilflos getötet wurde, denn auch er war entschlossen, seine Freunde zu beschützen, koste was wolle. Sie hatten ihn aus seiner Einsamkeit herausgelockt und ihn seine Vergangenheit vergessen lassen. Eine Vergangenheit, an die er sich nicht erinnern konnte. Bevor der Lavawolf reagierte, stieß Yen ihn schon von Nurik herunter. Gerade rechtzeitig, bevor dieser seinen Kiefer geschlossen hätte. Yen stellte sich schützend vor Nurik und knurrte den Wolf an. Er spürte, wie Nurik aufstand und sich erschöpft neben ihn stellte. „Danke, Großer!“, brachte dieser mühsam hervor. Kaum hatte Yen den knallroten Wolf von Nurik geschubst, war die Säule in sich zusammengesackt. Der gelbe Wolf, der nun nicht mehr von der Säule bedrängt wurde, stellte sich auf dessen andere Seite. Yen nickte ihm kurz zu und sah, dass auch dieser angeschlagen war. Doch stolz erwiderte er die Begrüßung. Yen richtete seine Augen wieder auf den Feind, der noch immer auf dem Boden lag und nun seinerseits Yen musterte. Yen glaubte kurz Erstaunen in den Augen des Wolfes aufblitzen zu sehen. Doch der fing sich schnell wieder, stand langsam auf und gab einen Laut von sich, der in dieser Situation überhaupt nicht passte: Er lachte. Yen knurrte und war bereit, erneut los zuspringen. Doch da hörte der Wolf zu lachen auf und sagte an Yen gewandt: „Wer hätte gedacht, dass wir uns noch einmal begegnen?“ Erschrocken verstummte Yen und er blickte neugierig zum Wolf. Auch Nurik war schockiert, fing sich aber gleich wieder. Direkt vor ihm stand ein für ihn fremder Wolf und behauptete, dass sie sich 'noch einmal' begegneten. „Du … kennst mich?“, fragte Yen vorsichtig und neugierig zugleich. Hier und jetzt bot sich ihm eine Gelegenheit, die er nicht verpassen möchte. Eine Gelegenheit, zu erfahren, wer er wirklich war. Er hatte den Kampf vergessen, selbst Nurik und der gelbe Wolf waren nun unwichtig. Das einzige, was zählte, waren er und der andere Wolf. Kaum hatte Yen seine Frage gestellt, schlich sich ein erstaunter Ausdruck auf das Gesicht des roten Wolfes. „Ah, ich kapiere! Du erinnerst dich nicht mehr! Und ja, ich kenne dich.“ Bei diesen Worten ging er langsam rückwärts. „Woher kennst du mich?“, fragte Yen ungeduldig. Da hob der rote Wolf den Kopf und heulte. Doch nicht lange und er drehte sich erneut zu Yen. „Ich kenne dich aus deiner Vergangenheit! Aus deinem ehemaligen Rudel! Ich werde mich zurückziehen, aber glaub ja nicht, dass du und deine Freunde verschont bleiben!“ Der Wolf wollte gerade gehen, als er stehen blieb, noch einmal zurückblickte und sagte: „Ich lasse dich in Unwissenheit, da ich sicher bin, dass dies dich von Innen auffressen wird. Doch eines sage ich dir: Mein Name lautet Lumus. Vielleicht fällt es dir dadurch wieder ein!“ Daraufhin verließ er lachend die Lichtung. Sie konnten noch weitere Umrisse sehen, die sich ihm anschlossen. Yen wollte schon fast hinterher rennen und den Wolf zur Rede stellen, doch da versagte ihm seine linke Schulter den Dienst. Der Sprung auf Lumus war nicht die beste Lösung gewesen. Er konnte kaum noch die Pfote richtig aufsetzten. Wo er vorhin keinen Schmerz gespürte hatte, durchzuckte ihn nun die Qual. Doch dies war nicht der größte Schmerz, den er verspürte. Der Wolf oder, besser gesagt, Lumus hatte recht: Die größte Pein war in seinem Innersten, die ihn langsam zerfraß. Er wollte unbedingt wissen, wer er war. Manchmal kam es ihm so vor, als hätte er überhaupt keine Identität, sondern war eine leere Hülle. Oft hatte er sich gefragt, wie seine Vergangenheit ausgesehen hatte und, ob er kurz vor seinem Gedächtnisverlust, in einem Rudel oder als freier Wolf wie Kora und die anderen unterwegs gewesen war. Er wusste es nicht und diese Unwissenheit war schlimmer als der Schmerz in seiner Schulter. Eine kleine Berührung ließ ihn aus seinen Gedanken hochschrecken. Nurik stupste ihn leicht mit seiner Pfote an. „Yen, deine Schulter!“, sagte dieser besorgt und hatte sich anscheinend wieder beruhigt, da er nun wieder so aussah, wie Yen ihn kannte. Doch seine Ohren hatte er mitfühlend angelegt. Er ahnte, wie es Yen im Moment erging. Yen war froh, dies zu sehen und langsam beruhigte auch er sich wieder, trotz der inneren Qual. Sein gesträubtes Fell legte sich wieder und seine Muskeln entspannten sich. „Danke, aber Esaila soll sich das anschauen. Es ist 'nur' eine Bisswunde und wird mich nicht umbringen, so wie ich denjenigen, der mir das angetan hat. Ich bin nur froh, dass wir das überstanden haben!“ Nuriks Augen weiteten sich und er verstand. Dann nickte er und blickte an Yen vorbei auf dessen andere Seite. Nun drehte sich auch Yen um und sah zu dem gelben Wolf, der noch immer da stand, wo er ihn das letzte Mal gesehen hatte: An Yens rechter Seite. Dieser sah auch etwas mitgenommen aus, aber nicht so schlimm wie Yen und Nurik. Sein Fell war hauptsächlich knallgelb und stand gefährlich spitz vom Körper ab. Auf seinem Rücken hatte er ein Muster, das wie ein schwarzer Blitz geformt war. Schwarzes Haar zierte seinen Kopf und seine zwei Vorderpfoten hatten dieselbe Farbe wie Blitz und Haar. Doch das Eigenartigste an ihm waren sein Schwanz und seine geringe Körpergröße. Sein Schweif hatte einen komischen Knick und war in der Breite eigenartig dünn. Der Wolf selbst war für einen Rüden seltsam klein. Im Allgemeinen sah er wie ein Blitz aus. Der Wolf spürte die Blicke auf sich und sah nun Yen neugierig an, wobei er seinen Kopf erheblich heben musste, um ihn in die Augen blicken zu können. Da sah Yen, dass seine Augenfarbe im krassen Gegensatz zu seiner Fellfarbe stand: Sie waren dunkelblau. Yen wollte sich gerade bei dem Fremden bedanken, als er hinter sich einen wütenden Aufschrei und Pfotengetrappel hörte. Als er seinen Kopf etwas auf die Seite drehte, sah er, wie Esaila wütend auf sie zu gerannt kam. Hinter ihr kam Nyrona aus dem Wald, die verblüfft ihrer Schwester nachschaute. Doch sie hatte keine Zeit, ihrer Schwester hinterher zu eilen. Es gab Brände auf der Lichtung, die gelöscht werden mussten. So nahm sie ihre letzte Kraft zusammen und löschte mit dem bisschen Wasser in der Luft die lodernden Flammen. Esaila rannte über die Lichtung und fixierte mit ihren Augen den fremden gelben Wolf. Nurik wollte sich schon vor seine Schwester schieben, als der andere Wolf den Kopf schüttelte und einfach stehen blieb. So ließen ihn Nurik und Yen und traten sogar ein Stück zurück. Unter ihren Pfoten begann die Erde zu beben und direkt vor dem gelben Wolf schossen Wurzeln aus dem Boden, die ihn an den Pfoten fesselten und ihn somit festhielten. Doch dieser machte keine Anstalten, zu fliehen. Gelassen blieb er stehen und blickte Esaila gleichgültig entgegen. Diese blieb kurz vor ihm stehen und rang nach Atem. „Du!“, brachte sie nur heraus und hechelte. „Du hast meine Drohung einfach ignoriert und bist uns gefolgt! Wegen dir wurden wir angegriffen! Ich hätte es mir gleich denken können! Und zu allem Überfluss hast du auch noch einen Baum getötet!“ Esaila funkelte ihn böse an. Nyrona, die sich zu Yen und Nurik gesellt hatte, tauschte mit Nurik einen kurzen fragenden Blick aus. Sie hatten ihre Schwester selten so aufgebracht erlebt. Da tauchte ein Schatten auf der Lichtung auf und von oben klang Sikonas Stimme zu ihnen herunter: „Ruki setzt mich bitte sofort ab! Das endet noch in einer Katastrophe!“ Da flog Ruki nach unten und setzte die Eiswölfin behutsam auf dem Boden ab und landete dann selbst neben Nyrona. Sofort rannte Sikona zu ihrer kleinen Schwester und stellte sich zwischen sie und den gelben Wolf. „Nein!“, rief sie bestimmt und starrte Esaila trotzig an. „Nein, du darfst ihm nicht weh tun! Das werde ich nicht zulassen, Esaila!“ Nurik schielte besorgt zu Nyrona, die nur den Kopf schüttelte. „Sie streiten sich nicht oft, aber dann muss es ausgerechnet um einen Kerl sein!“ Ein Grinsen schlich sich auf Nuriks Gesicht und er beobachtete wieder die Wölfe vor sich. Sikona und Esaila würden nicht wegen einem Fremden gegeneinander kämpfen, das wusste Nurik. „Sikona! Er hat uns in diese Falle geführt. Außerdem verfolgt er uns schon seit mehreren Tagen und er ist somit an all dem schuld! Viele meiner Freunde sind heute wegen ihm gestorben! Das darfst du nicht ignorieren!“, sagte nun die Waldwölfin und blickte trotzig Sikona an. Diese blickte beschämt auf den Boden. „Aber er hat mich heute gerettet und ich bin ihm etwas schuldig! Außerdem kannst du dir dabei nicht sicher sein, ob er das wirklich war!“, rief Sikona und gewann mit jedem Wort mehr Selbstvertrauen. Esaila wollte gerade den Mund aufmachen, um etwas zu sagen, wurde aber von einem höflichen Räuspern unterbrochen. Alle Augen richteten sich nun auf den gelben Wolf, der seitdem das Spektakel gleichgültig betrachtet und nichts gesagt hatte. Doch nun brach er sein Schweigen. „Ich denke, bei der ganzen Angelegenheit habe ich etwas mitzureden. Ich sehe, es steht sechs gegen einen. Obwohl, eher fünf gegen zwei. Ich kann den Kampf nicht gewinnen und ergebe mich gleich. Du kannst also die Fesseln lösen. Ich renne nicht weg, sondern ich werde euch alles erklären. Dass du es gleich weißt: Für mein Verhalten werde ich mich nicht entschuldigen.“ Die Worte kamen seltsam über seine Lippen, fast schon mürrisch. Die letzten Sätze hatte er an Esaila gerichtet, die zögernd seiner Bitte nachkam und seine Fesseln löste. Man sah ihr an, dass sie dies sehr ungern tat. Doch hatte sie keine andere Wahl, denn auch sie wollte seine Geschichte hören. Yen gab den anderen ein Zeichen und sie stellten sich um den gelben Wolf. Immer noch waren die Schmerzen groß, doch er unterdrückte sie. Dies hier war momentan wichtiger. „Nun, wir sind gespannt auf deine Erklärung!“, sagte Yen und fixierte den fremden Wolf. In einer Auseinandersetzung würde er ihn, trotz Verletzung, mühelos überwältigen können. Der gelbe Wolf schnaubte genervt. „Nun, mein Name ist Kian“, begann er erneut zu sprechen. „Meine Heimat liegt weit südlich von hier. Eigentlich habe ich gar keine mehr, aber dies tut nichts zur Sache. Ich muss eurer kleinen Wölfin recht geben: Ich verfolgte euch schon seit einer längeren Zeit. Doch ich habe nichts mit der Falle zu tun! Der Grund, weshalb ich hier bin ist, dass ihr die ersten Wölfe seit, denen ich hier begegnet bin und, weil mich so ein komischer Adler in eure Nähe geführt hatte. Außerdem verfolgten auch die Fallensteller euch schon seit drei Tagen und sind euch aufgelauert!“ Die letzten Informationen erschreckten die sechs Wölfe, doch das Eigenartigste war etwas anders. Sikona blickte Yen an und flüsterte: „Verox?“ Dieser nickte nur und über sich konnte er einen schrillen Adlerschrei vernehmen. Als er nach oben blickte, streifte ein kleiner Schatten sein Gesicht. Erneut erklang der schrille Schrei: Fröhlich und zufrieden. ~~Wie ein Blitz Ende~~ Lumus, ein Wolf, der Yens Fragen beantworten kann, oder war dies eine Finte? Was für ein Ziel treibt Kian an? Woher kommt er überhaupt? Was hat es mit dem Adler Verox eigentlich auf sich? Dies war ein Kampf, der noch lange nicht der letzte war ... Kapitel 13: Aufbruch -------------------- ~~Aufbruch~~ „Ähm, Freunde“, begann Nyrona und blickte in die Runde. Sie war die Erste, die das Schweigen brach. Nachdem Kian seine kurze Erklärung vorgetragen hatte, war Stille eingetreten. Jeder Wolf war noch immer angespannt aufgrund des erst kürzlichen Kampfes und der Informationen, die sie von Lumus und Kian erhalten hatten. Sie standen noch immer auf der verwüsteten Lichtung, die mehr schwarz als grün war. Schwarz durch die getrocknete Lava und der vielen verbrannten Stellen, die das Feuer hinterlassen hatte. Kein Tier war zu sehen, doch langsam aber sicher vernahmen die sieben Wölfe das Zwitschern der Vögel und das Summen der Insekten im nahen Wald. Sie spürten, dass die Gefahr vorüber war und kamen aus ihren Verstecken. „Könnt ihr mir bitte einmal zuhören“, versuchte es Nyrona erneut und hoffte, dass dies auch alle taten. Yen und Sikona lösten ihren Blick vom Himmel und nickten gleichzeitig. „Nun, Lumus und seine Bande mögen vielleicht gegangen sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie es sich nicht anders überlegen und wieder zurückkommen. Außerdem ist dies hier kein guter Ort, um über solche Angelegenheiten zu sprechen. Wir sollten den Wald verlassen und auf die Ebene gehen, wo wir uns sicher sein können, dass uns niemand belauscht.“ „Du hast Recht, Nyrona“, sagte Yen und trat auf den Wald zu. „Mir ist der Wald unheimlich.“ Sein Blick glitt zu Kian. „Wirst du uns begleiten?“, fragte Yen den gelben Wolf. Kian seufzte. „Ja, werde ich. Aber nur aus dem Wald heraus und bis wir eine sichere Stelle zum Reden gefunden haben. Ich möchte euch auch noch so einiges fragen.“ Yen nickte und ging vorsichtig weiter. Seine linke Schulter tat noch immer weh, doch sie blutete nicht mehr. Dafür war er schon sehr dankbar. Er wusste, dass ihm die anderen folgten und nach kurzer Zeit trat Esaila neben ihn. „Soll ich mir mal deine Schulter ansehen?“, fragte sie vorsichtig. „Nein, das hat Zeit, bis wir draußen sind. Es geht schon. Aber danke.“ Esaila bedrängte ihn nicht weiter und ließ sich wieder etwas zurückfallen. Keiner sprach ein Wort, denn jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Ihre Freude darüber, endlich ein genaues Ziel zu haben, war seit dem Kampf verflogen. Der Kampf hatte sie in die brutale Realität zurückgebracht. Verbittert biss Yen seine Zähne zusammen, denn die Geschehnisse des Kampfes begannen in seinen Gedanken herumzuwirbeln. Das hasserfüllte Gesicht des braunen Wolfes schob sich in seine Gedanken. Jetzt, erst nach dem Kampf, wurde ihm bewusst, was er angerichtet hatte. Er wusste, dass er der Einzige war, der seinen Gegner so verstümmelt und anschließend getötet hatte. Seine Begleiter hatten alle ein zu gutes Herz und er … Yen wusste es nicht. Der große Wolf versuchte das Bild aus seinen Gedanken zu verbannen, doch er scheiterte daran. Er war so in einem Blutrausch verfallen, der durch seine Wut und Verzweiflung angezündet worden war, dass er während dem Kampf keinen klaren Gedanken hatte fassen können. In diesen Momenten überlagerte der Wunsch nach dem Überleben und nach Rache die Vernunft. Deshalb, so glaubte Yen, hatte er den anderen Wolf getötet ohne, mit der Wimper zu zucken. Da schlich sich die Frage in seine Gedanken, ob er überhaupt schon einmal getötet hatte. Ein Reh oder Hasen sicher, doch einen Artgenossen? Er wusste es nicht, aber als Yen hatte er noch nie getötet. Doch hat diese Antwort Gewicht? Wenn er zurückrechnete, kannte er sich gerade mal drei Monate. Eine verdammt kurze Zeit, wenn er daran dachte, wie alt er eigentlich war. Nicht einmal das wusste er genau, doch die vier Geschwister und Marika hatte ihm versichert, dass er, aufgrund seines jungen Aussehens, kaum älter als sie sein konnte. Also war er drei Jahre alt und diese drei Jahre fehlten ihm in seinem Gedächtnis. In diesen drei Jahren hätte er töten können oder auch nicht. Yen ließ es sich zwar nicht anmerken, doch, dass er nicht wusste, wer er wirklich war, machte ihn verrückt. Er konnte nachts nicht schlafen, wenn er sich mal wieder zu sehr an seine Gedanken aufhing. Zwar hatte er sich anfangs an gar nichts erinnern können, selbst an das Existieren der Elemente, doch dennoch wünschte er sich, dass er wenigstens seinen richtigen Namen wüsste. Dank Kora hatte er kurz nach seinem Aufwachen einen Geistesblitz gehabt. Doch seitdem war ihm so eine Erleuchtung verwehrt geblieben. Somit sprangen Yens Gedanken zu dem Geschehnis an diesem Tag zurück, das ihn mehr belastete, als das Töten: Lumus. Der knallrote Wolf kannte Yen und dieser wusste, dass das keine Täuschung war. So sehr Yen es auch versuchte, hatte er nichts weiter Wichtiges aus Lumus herausholen können. So kurz vorm Ziel stand er vor einer großen Abgrenzung, die er nicht überspringen konnte. Doch wie kannte Lumus ihn? Sehr gut oder nur flüchtig? Waren sie Freund oder Feind oder doch nur flüchtige Bekannte? Oder nichts von all dem? Yen schloss für kurze Zeit verbittert seine Augen. Da vernahm er wieder das vertraute Geräusch der trampelnden Pfoten hinter ihm und Yen wurde bewusst: Egal was für ein Wolf er einmal war, jetzt hatte er Freunde, die hinter ihm stehen und ihn genauso lange kannten, wie er sich selbst. In dieser kurzen Zeit entstand eine Freundschaft, die niemand zu brechen vermochte und Yen wusste, dass er auf sie jederzeit zählen konnte. Somit verbannte er alle bösen Gedanken und rief sich die Gesichter seiner Freunde ins Gedächtnis. Dann öffnete er wieder seine Augen und sein mürrischer Gesichtsausdruck verwandelte sich in ein Lächeln. Kurz blickte er hinter und schenkte dieses Lächeln seinen Freunden. Zuerst waren alle überrascht über diese Reaktion, denn sie alle hatten bemerkt, dass Yen etwas beschäftigte. Doch nun, da sie ihn lachen sahen, stimmte jeder, selbst Kian, in das Lachen mit ein. Die Angst, die der Kampf hinterlassen hatte, war wie weggeblasen. Als Yen seine Augen wieder nach vorne richtete, sah er, dass die Bäume sich lichteten. Überrascht blieb er stehen. War er wirklich so lange in Gedanken gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie schnell sie vorwärts gekommen waren? Yen schüttelte den Kopf. Nein, das kann nicht sein. Als sie in den Wald gekommen waren, hatten sie einen halben Tag gebraucht, um den Wasserfall zu finden. Doch nun waren sie nur ein kurzes Stück gelaufen. Man bedenke auch, dass die Wölfe auf der Suche nach der Seherin gerannt waren. Auch die anderen Wölfe waren stehen geblieben. Alle, außer Esaila, wirkten genauso überrascht wie Yen. Esaila trat vor und sprach: „Ich weiß, was euch durch den Kopf geht. Normalerweise hätten wir erst die Hälfte der Strecke zurück gelegt. Normalerweise … doch dies ist kein normaler Wald. Ich habe es gleich bemerkt, als ich das erste Mal eine Pfote auf den Waldboden gesetzt habe. Er hat irgendetwas Magisches … doch es ist nicht negativ. Oh nein, der Wald, der ganze Wald, scheint einen großen Organismus zu besitzen. Es ist erstaunlich und unbeschreiblich. Doch in dem Wald da ...“ Esaila blickte auf den Boden und legte traurig ihre Ohren an. Sikona trat zu ihr und stupste sie aufmunternd an. „Wir verstehen, was du meinst. Sozusagen kann der Wald bestimmen wohin seine Besucher geführt werden. So etwas Eigenartiges habe ich noch nie erlebt. Er scheint die Seherin sehr zu beschützen. Also kein Grund, traurig zu sein, Esaila! Schließlich warst du es, die uns schlussendlich zu der alten Wölfin geführt hat!“ Die Eiswölfin hoffte, ihrer Schwester neuen Mut gemacht zu haben, doch diese ließ weiterhin die Ohren angelegt. „Nein, das ist es nicht, was mich bekümmert. In dem Wald fehlte mir die Einschränkung! Meine Kraft war so stark, als wäre sie nie schwach gewesen. Erst jetzt ist es mir bewusst. Verstehst du Sikona? Der Wald ist so mächtig, dass er mir selbst seine Energie gegeben hat. Weißt du eigentlich, wie schwach wir geworden sind?“ Tränen standen Esaila in den Augen, als sie ihre Schwester anblickte. Sikona verstand sie. Ihre Elementkraft hatte erst mit der Zeit abgenommen und sie hatten erst später erfahren, was vor sich ging. Esaila hatte mit einem Schlag ihre ursprüngliche Kraft zurück und wusste nun am Besten, wie sehr die Kraft zurückgegangen war. Zwischen den beiden Geschwistern schob sich ein großer Körper. Yen senkte seinen Kopf, um der Waldwölfin in die Augen sehen zu können. „Esaila, das ist kein Grund, um traurig zu sein. Nur, weil dir das Fehlen schlagartig bewusst wird. Bedenke, die Kraft ist nicht alles! Es gibt auch Wölfe, die wie jedes andere Tier 'normal' sind. Ich weiß, dass du nicht so selbstsüchtig denkst, doch was ich damit sagen will: Wir sind nicht machtlos! Umsonst sind wir nicht losgezogen, um dieses Problem zu beheben und umsonst haben wir nicht gegen diese Wölfe gewonnen. Mir ist es egal, wie sehr dieser Wald uns beeinflusst, solange wir alle unser Ziel erreichen. Doch dies ist nicht der richtige Ort für solche Gespräche. Lasst uns etwas weiterziehen und den Wald hinter uns lassen!“ Der letzte Satz war mehr wie ein Befehl als eine Bitte und Yen ging weiter. Esaila stellte langsam ihre Ohren auf und nickte bestimmt. Dann folgten sie und die anderen Yen nach draußen. Kaum hatten sie den Wald verlassen, spürte Esaila, wie ihre Elementkraft nachließ. Doch sie hob entschlossen ihren Kopf und folgte den anderen. Sie war ja nicht alleine. Auch Nurik, Ruki, Nyrona, Sikona und auch Kian spürten das Fehlen schon lange. Die Kraft war nicht gänzlich verschwunden, sondern das Greifen danach ist schwerer geworden. Jede Elementkraft hat einen Ursprung, auf die ein Elementwolf zugreifen kann. Direkt nach dem Wald kam eine weite Ebene. Ganz anders, als sie in den Wald hineingegangen waren. Klar, es war auch eine ganz andere Seite, als die, von der sie gekommen waren. Die sieben Wölfe blieben nicht lange stehen, um den Ausblick zu genießen. Eine friedliche und ruhige Ebene brachte auch gewisse Gefahren mit sich. Sofort wandten sich die sieben nach Südosten. Kian trat neben Yen und lief schweigend neben ihn her. Yen wusste, dass dem gelben Wolf etwas auf der Seele lastete, doch er fragte nicht nach und wartete lieber ab. Doch es dauerte nicht lange und da brach Kian das Schweigen. „Ich habe nicht vor, mich eurem kleinen Rudel anzuschließen, also könnten wir dann Halt machen und wir bereden alles? Der Wald ist schon hinter uns und keiner wäre so blöd, uns auf einer offenen Ebene anzugreifen.“ Yen nickte, denn er verstand. Kian war nur mitgegangen, um ihre Fragen zu beantworten und selbst Antworten zu bekommen. „Ja, okay. Ich verstehe dich. Meine Absicht war nur, uns in Sicherheit zu bringen. Ich schätze ...“ Sofort blieb Yen stehen und rümpfte die Nase. Er zog seine Lefzen nach oben und knurrte leise. Die anderen hatten es auch bemerkt und blieben ebenfalls stehen. „Was ist das?“, fragte Nurik und trat mit hoch erhobenem Kopf neben Yen. Yens Knurren erstarb. „Das, was du hier riechst, ist der Geruch des Todes. Wisst ihr noch, als ich euch von meiner kurzen Reise von den freien Wölfen zu euch ins Rudel erzählt habe? Dort bin ich das erste Mal auf diesen Geruch gestoßen! Es ist genau derselbe!“, sagte er verbittert. „Das ist der Gestank? Das riecht wie verfaultes Fleisch, nasser Erde und Mist zusammen“, stellte Nurik fest. „Ja, da hast du Recht. Überall, wo dieser Geruch ist, werden wir keinen Wölfen und sehr wenig Lebewesen begegnen. Der perfekte Platz, um ungestört zu reden!“ Den letzten Satz sagte er an Kian gewandt. Dieser nickte zustimmend. „Gut, dann lasst uns einen geeignet Platz finden! Ich habe nicht nur etwas mit Kian zu besprechen, sondern mit euch allen. Der letzte Kampf hat mich auf eine Idee gebracht!“ Yen setzte sich sofort in Bewegung und ging weiter. Die anderen folgten ihn etwas verwirrt. Die Ebene wich einzelnen Baumgruppen, die man nicht wirklich als Wald bezeichnen konnte, da sie weit auseinander standen. Yen steuerte eine etwas größere Baumgruppe an und ließ sich neben dem Stamm einer Lärche fallen. Sofort bereute er den kleinen Sturz, denn der Schmerz flammte erneut auf. Yen unterdrückte ein Stöhnen und beobachtete, wie die anderen Wölfe es ihm gleich taten. Der schwarze Wolf blickte jeden von ihnen an, bis sein Blick bei Kian hängen blieb. „Ich glaube wir haben uns noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Yen oder besser gesagt, mein Name, den ich seit drei Monaten habe. Der graue Wolf neben dir heißt Ruki und ist erst seit kurzem ein fester Teil dieses kleinen Rudels. Die anderen vier Wölfe sind Geschwister. Angefangen mit der türkisen Wölfin Nyrona, ihre grüne Schwester Esaila liegt neben ihr. Nurik, den feurigen Wolf, kennst du ja schon und die letzte, blaue Wölfin heißt Sikona.“ Kian nickte jedem vorgestellten Wolf kurz zu. Er brauchte nicht noch einmal seinen Namen zu erwähnen. Dies war unnötige Zeitverschwendung. „Nun, Kian“, fuhr Yen fort. Er wollte die Unterhaltung nicht unnötig hinauszögern. Sie hatten alle etwas Wichtiges zu tun. „Wir wissen ja schon, dass du von einem Adler hergeführt worden bist, aber ich möchte sicher gehen. Wie, 'komisch' war der Adler?“ „Ich konnte ihn nie richtig sehen, als ich ihn das erste Mal traf, war ich beim Fressen und er kreiste kreischend über mich. Soweit ich erkennen konnte, hatte er einen schiefen Schnabel und war zudem auch noch recht klein für ein ausgewachsenes Exemplar.“ Yen nickte bei diesen Worten. „Ja, das ist Verox. Ich bin ihm damals begegnet, als ich alleine auf Futtersuche war. Er wurde von Raben terrorisiert, die, genau wie er, das tote Reh fressen wollten. Ich half ihm dabei, die Raben zu vertreiben.“ Kian blickte ihn verwirrt an, doch er behielt seine Frage für sich. „Zudem hat Verox auch Ruki zu uns geführt und nun auch dich. Wie es scheint, bist du ebenfalls durch unbelebte Gegenden gereist, wie ich.“ Kian nickte. „Ja, um genau zu sein, kam ich aus dem Osten. Mein Rudel, aus dem ich kam, liegt in dieser Richtung und es bestand hauptsächlich aus Lichtwölfen. Das Rudel war sehr klein und das einzige Lichtrudel im Osten von Daromi. Eines Tages beschloss ich, durch das Land zu streifen und, als ich wieder zu meinem Geburtsort zurückkehrte, war niemand mehr da, außer dieser Geruch wie hier. Somit begab ich mich auf die Suche nach dem Rudel und zog nach Westen. Doch ich kam nicht weit und ich traf auf den Adler und auf euch. Ich dachte mir, dass ihr vielleicht etwas wisst, doch ich hielt mich versteckt. Ein paar Tage später kamen diese fremden Wölfe dazu und ich wusste, sie wollten euch Böses. Sie verfolgten eure Spur. Doch ich habe euch aus den Augen verloren und bin dann den anderen gefolgt, die einen Hinterhalt planten, in den ihr dann geraten seid.“ Hier endete sein Bericht und es wurde still. Jeder Wolf schien sich seine eigenen Gedanken zu machen. Ruki war es, der das Schweigen brach. „Aber woher hast du gewusst, dass wir nicht böse sind?“ Ein schelmisches Grinsen stahl sich auf Kians Gesicht. „Möchtest du wirklich die Antwort wissen?“ Ruki nickte langsam. „Nun gut. Ich verrate es dir: Ich habe noch nie sechs Wölfe so unbekümmert und dämlich durch die Gegend laufen sehen. Ich mein, als ich euch das erste Mal getroffen habe, seit ihr wie blöd in die Luft gesprungen und habt die Raben vertrieben, die hinter dem Adler her waren. Und zudem“, sein Grinsen wurde breiter „habe ich noch nie einen so komischen Haufen wie euch gesehen. Selbst bei meiner Reise durch das Land nicht.“ Ruki verschlug es die Sprache und Yen begann bedrohlich zu knurren, doch das Grinsen verschwand nicht von Kians Gesicht. Sikona legte ihren Kopf schief. „Nun, ich weiß zwar nicht, was an uns eigenartig sein soll, aber für mich hört es sich komisch an, wenn ein Wolf sein Rudel verlässt, wieder zurückkommt und dann beschließt, es zu suchen. Zudem einfach einem Adler folgt und dann hinter einem kleinen, angeblich komischen Rudel tagelang hinterherläuft und diesem dann aus der Patsche hilft. Meiner Meinung nach finde ich genau DAS komisch.“ Sikona sprach ruhig und gelassen. Wenn sie eines nicht mochte, dann war es jemand, der ihre Freunde beleidigte. Mit jedem Wort, das die Eiswölfin gesprochen hatte, verflog Kians Grinsen und wich einer mürrischen Grimasse. Zornig stand er auf und wandte sich Sikona zu. Er blickte ihr tief in die Augen. Auch Nurik stand auf und stellte sich beschützend neben seine Schwester. Doch Kian blickte nicht auf. „Hinterfrage niemals mein Tun! Was ich mache, ist allein meine Entscheidung und nicht deine. Ich bin ein Einzelgänger und Kämpfer! Ich mag euer kleines Rudel komisch finden, doch böse nicht! Merk dir das, kleine Wölfin!“ Sikona blickte Kian ruhig in die Augen. Sie fand nicht, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. Zudem brauchte sie sich nicht vor einem Wolf zu fürchten, der kaum größer als sie selbst war. Prompt wandte sich Kian ab und ging zu seinem Platz, um sich wieder hinzulegen. Auch Nurik legte sich wieder hin. Ihm konnte man seine Verwirrung ansehen, doch er sagte nichts. Yen gähnte gelangweilt. Er hatte gedacht, dass Kian auf Sikona losging, doch der gelbe Wolf hatte doch mehr Verstand als blöde Sprüche parat. Als der dunkle Wolf bemerkte, dass Sikona nicht bereit war, etwas zu erwidern, wandte er sich wieder an Kian. „Nun gut, wir kennen nun deine Geschichte. Ich glaube, ich kann dir tatsächlich helfen. Auch, wenn es nicht viel ist. Deinem Rudel ist wahrscheinlich das gleiche passiert, wie den anderen auch. Aus irgendeinem Grund verlassen sie ihre Heimat. Wir vermuten, dass es etwas mit dem großen Finsternisrudel im Norden zu tun hat, dessen Wölfe zur Zeit durch das Land streifen. Sie haben sich einen perfekten Zeitpunkt gewählt. Der Zeitpunkt, an dem die Elementwölfe kaum noch ihre Kräfte einsetzen können.“ Yen sah, wie Kian ihn mit einem Nicken zustimmte. Offenbar hatte auch er kaum noch Elementkraft. „Wir sechs haben uns zusammen getan, um gegen dieses Grauen etwas zu unternehmen“, fuhr Yen fort. “Deswegen waren wir auf dem Weg zu einer Wölfin Namens 'Die Seherin'. Auf diesem Weg hast du uns gefunden. In diesem Wald fanden wir sie und sie hat uns verraten, wie wir den Wölfen helfen können.“ Kian nickte dankend für diese Informationen. „Was genau hat euch die Seherin verraten? Ich meine, wie könnt ihr gegen so ein mächtiges Rudel bestehen?“ Yen sah Kian kurz schweigend an. „Was glaubt ihr? Können wir ihm trauen?“ Die Frage war an die anderen fünf Wölfe gerichtet, die, bis auf Sikona, nur wenig gesagt hatten. Zögerlich blickten sie sich und Kian an. „Natürlich können wir ihm vertrauen!“, rief Sikona froh und überraschte somit alle, selbst Kian. Dem Wolf, der ihr vor ein paar Minuten seine Meinung schroff erläutert hatte, schenkte sie ihr Vertrauen. „Er hat unser aller Leben gerettet!“, sagte sie bestimmt und bekräftigte ihre Meinung damit. Nurik nickte. „Du hast Recht, Schwester! Ohne ihn hätte ich euch nicht mehr. Wir sollten es ihm sagen. Er hat etwas Gut bei uns.“ „Ich finde Sikona und Nurik haben Recht, oder was meinst du, Esaila?“, fragte die älteste der vier ihre Schwester und blickte sie an. Man sah, dass Esaila mit sich kämpfte und es entstand ein kurzes Schweigen. „Ja, gut. Ihr habt Recht. Wir sind ihm etwas schuldig!“, sagte die kleine Waldwölfin dann doch und seufzte. Auch Ruki nickte zustimmend. „Gut, dann vertrauen wir dir, Kian“, erklärte Yen und blickte nun wieder den gelben Wolf an. Er sah, wie Kian Sikona dankend zunickte. Dies war zwar nur eine kleine Geste, doch, wenn man bedachte, wie er und Sikona vorhin miteinander gesprochen hatten, zeigte sie deutlich, dass Kian ein vernünftiger Wolf zu sein schien. „Die Seherin hat auch an uns gezweifelt, was die Sache mit dem mächtigen Nordrudel angeht. Sechs Wölfe sind kein richtig großes Rudel und, wenn wir in ihr Gebiet marschieren, schaden wir den Wölfen, denen wir helfen wollen, mehr, als das wir eine Hilfe gewesen wären. Sie würden binnen ein paar Augenblicken uns ausfindig machen und töten. Doch wir alle haben den Entschluss gefasst, den Wölfen zu helfen. Deshalb hat uns die Seherin eine andere Methode genannt!“ Hier machte Yen eine Pause. Er sah, wie Kian ungeduldig mit seiner rechten Pfote auf den Boden klopfte. Doch er blieb still und hörte lieber Yen zu, der fortfuhr. „Nun, es ist allgemein bekannt, dass die Elementwölfe ihre Kraft von den Elementgöttern haben. Doch, das dürfte auch dir aufgefallen sein, ist diese Kraft beinahe vollständig verschwunden. Die schwachen Elementwölfe können gar nicht mehr auf ihre Quelle zugreifen und den Starken gelingt das nur mit großer Mühe und von kurzer Dauer. Deshalb hat uns die Seherin geraten, den Göttern zu helfen, anstatt direkt gegen den Feind zu kämpfen. Denn es ist offensichtlich, dass das Böse genau diesen Moment ausgenutzt hatte.“ Kian riss die Augen auf und konnte sich nicht mehr zurückhalten. „Den Göttern helfen? Wie stellt ihr euch das vor? Sechs Wölfe wollen sechs Göttern helfen? Das klingt in meinen Ohren total schwachsinnig!“ Bei dieser Reaktion knurrte Yen kurz. „Es mag für dich schwachsinnig erscheinen, doch wir sind vernünftig und entschlossen! Vernünftig, da wir nicht direkt auf das Böse zulaufen und entschlossen, den Göttern und somit den anderen Wölfen indirekt zu helfen! Außerdem solltest du mich zuerst ausreden lassen.“ Kian senkte entschuldigend seinen Kopf. Die Geste sah nicht würdelos aus, sondern zeigte deutlich, dass er es nun akzeptiert hatte. „Bitte, fahre fort“, erklärte er dann und wurde wieder der aufmerksame Zuhörer. „Den Göttern zu helfen, ist eine große Aufgabe, aber zugleich auch sehr schwierig. Deswegen begeben wir uns zu den heiligen Orten, wo die Macht des jeweiligen Gottes am stärksten ist, um herauszufinden, wieso ihre und somit unsere Kraft schwindet. Wir wissen nicht, was uns an solch einen Ort erwartet, doch wir sind bereit diese zu suchen und das Problem zu beseitigen!“ Hier endete Yens Bericht und Kian sammelte das gerade Erfahrene. „Damit“, begann der gelbe Wolf „wird dann vorerst nur den Göttern geholfen, nicht aber den anderen Wölfen! Der Terror wird weitergehen und sogar schlimmer werden. Ist euch das bewusst?“ Yen nickte. „Ja, das ist es und wir sind bereit, das Risiko einzugehen. Dieser Weg hat mehr Chancen auf Erfolg, als der andere. Aber es wird so ja auch nicht nur den Göttern geholfen. Du hast es selbst gesagt: Vorerst nicht, doch je mehr Wölfe ihre Kräfte zurückerlangen, desto stärker werden sie und können zurückschlagen. Solange sie natürlich den Willen dazu haben!“ „Und, wenn sie den nach monatelanger Tyrannerei nicht mehr haben?“, platze es aus Kian heraus und war sich der Wirkung der Aussage sehr wohl bewusst. Die Frage hatte einen bösen Hintergrund: Was ist, wenn ihre Mühen am Ende doch keine Früchte trugen? Doch Yen blieb ruhig und Entschlossenheit flammte in seinem Blick auf. „Wie gesagt, bin ich bereit dieses Risiko einzugehen. Klar werden die Wölfe mit der Zeit ihren Mut verlieren, aber du vergisst, dass es neben uns sechs auch noch andere Wölfe gibt, die gegen das Böse vorgehen wollen. Das beste Beispiel bist du selbst.“ Kian schnaubte genervt, doch in seinem Blick lag Verständnis. „Und zudem hoffen wir alle darauf, auf unserem Weg den Beschützerwolf, von dem in der Legende die Rede ist, zu treffen“, fuhr Yen unbekümmert fort. Bei diesen Worten lachte Kian gehässig auf. „Ihr glaubt an die Legende und an diesen 'Beschützerwolf'! Also bitte. Kein Wolf hat ihn je gesehen. Das ist doch nur eine Gutenachtgeschichte, die die Omis den Welpen im Rudel erzählen. Für mich ist das einfach ein Ammenmärchen.“ Er lachte erneut kurz auf und ignorierte das leise Knurren von Sikona. „Genug davon. Selbst mit diesem 'Beschützerwolf' ist dies eine riskante Reise. Doch, wenn ihr es geschafft habt, was wollt ihr dann unternehmen?“, fragte er dann und blickte in die Runde. Er sah jedem an, dass sie über das 'danach' noch nicht nachgedacht hatten. Alle, bis auf Yen. „Das ist eine gute Frage, Kian. Auch ich habe mir noch nicht allzu viele Gedanken dazu gemacht. Doch ich bleibe auf meinem Weg und versuche die Wolfheit zu retten. Koste, was wolle!“ Bei diesen Worten stand Yen entschlossen auf und die anderen fünf, bis auf Kian, taten es ihm gleich. Sie riefen ihm zustimmend zu und waren froh über diese Worte. Kian betrachtete das Spektakel gleichgültig. Doch nach kurzer Zeit stahl sich ein schelmisches Lächeln auf sein Gesicht und er schüttelte leicht den Kopf. „Ich sehe, ich kann euch nicht umstimmen, auch wenn ich es möchte“, sagte Kian und die anderen Wölfe wurden wieder still. „Doch ich sehe ein, dass dieses Unterfangen momentan tatsächlich das Beste wäre. Den Göttern zu helfen wäre mir nie eingefallen, da ich mit ihnen, bis auf meine Elementkraft, nichts zu tun habe.“ Da trat Yen zu Kian und blickte ihn tief in die Augen. „Nun aus deinen Worten schließe ich, dass du dieser Idee nicht abgeneigt bist. Deshalb frage ich dich, im Interesse von uns allen, ob du dich uns anschließen möchtest, um der Wolfheit zu helfen?“ Kian zögerte etwas, doch dann stand er auf, um größer zu erscheinen. Doch sein Versuch scheiterte. Er war einfach zu klein für Yen. Dennoch blieb er sicher als er sprach. „Nun, auch ich möchte helfen und eurer Vorhaben klingt nicht schlecht. Außerdem habe ich alleine keine Chance, mein Rudel zu finden. Ich werde mich euch anschließen. Aber … „ Weiter kam er nicht, denn er wurde von freudig japsenden und heulenden Wölfen umringt. Nurik stupste ihn mit seiner Nase an. „Ich habe es gewusst!“, sagte der Feuerwolf. „Willkommen bei uns!“ Kian schnaubte. „Lasst mich doch ausreden!“, rief er und es wurde schlagartig still. „Was ich noch sagen wollte ist, dass ich schon immer auf mich selbst aufpassen musste und auch lieber alleine reise. Dies werde ich, so gut es geht, auch fortsetzen, bloß, dass ich in eurer Nähe bleibe! Dennoch danke, dass ich helfen kann“, erklärte Kian mürrisch und drehte sich um. Man sah ihn an, dass er in diesem Moment mit sich selbst kämpfte. Es widerstrebte ihn. Somit entfernte er sich ein Stück und legte sich wieder hin. Nurik wollte zu ihm laufen, doch Yen stellte sich ihm in seinen Weg. „Lass ihn, Nurik. Er ist schon über seinen Schatten gesprungen, indem er uns begleitet. Zwar scheint er einen harten Kern zu haben, doch auch dieser wird irgendwann einmal aufgehen und blühen.“ Nurik nickte verständnisvoll und Yen ging zurück auf seinen Platz an dem Baum, um sich erneut vorsichtig hinzulegen. Die anderen taten es ihm gleich, bis auf Esaila. Die Waldwölfin trat vorsichtig zu Yen. „Darf ich mir jetzt deine Schulter ansehen?“, fragte sie. Yen gab einen brummenden Laut von sich. „Ich würde gern noch etwas mit euch besprechen. Danach darfst du. Oder, besser gesagt: Ich will, dass du sie dir ansiehst. Sie pocht unerträglich.“ Esaila verstand und legte sich auch wieder hin. Neugierig spitzte sie ihre Ohren. „Wie ihr ja wisst, habe ich letztens zu Sikona und Ruki gesagt, sie sollen ein Team bilden, wenn es zu einem Kampf kommt. Beide Elemente ergänzen sich super. Beim letzten Kampf wurden wir alle getrennt, doch Ruki ist zu Sikona geflogen, um ihr zu helfen. Das finde ich gut, da ihr somit zusammen stärker seid. Deshalb ...“ er blickte jeden an. „ … möchte ich, dass auch ihr anderen Teams bildet und miteinander übt. Ich möchte, dass eure Elemente miteinander harmonieren und sich somit gegenseitig perfektionieren. Ich weiß, dass jeder von euch seine Kraft sehr gut kontrollieren kann und somit ein starker Einzelkämpfer ist. Doch zusammen sind wir noch stärker! Unsere Feinde können ihre Kraft vielleicht genauso gut kontrollieren, oder habe ich Recht, Nyrona?“ Die angesprochene Wölfin nickte beschämt mit dem Kopf. „Deshalb will ich euch in Teams aufteilen. Der Feind erwartet bestimmt nie, dass ihr eure Kräfte auch bündeln könnt, wenn ihr schon zusammen kämpft!“ Alle nickten zustimmend, selbst Kian. „Gut, dann möchte ich, dass Esaila und Nyrona miteinander kämpfen. Eure Elemente brauchen einander. Macht euch dies zunutze!“ „Ja, das werden wir!“, sagten beide und grinsten sich fröhlich an. „Das wird dir nicht gefallen Kian, aber ich möchte, dass du dich mit Nurik zusammen tust. Soweit ich gesehen habe, kannst du Blitze nach belieben erschaffen. Also ist dein Element genauso zerstörerisch wie Nuriks. Zusammen seit ihr ein wildes Team“ Yen sah, wie Nurik über beide Ohren strahlte. „Die Idee finde ich klasse! Auf der Lichtung haben wir ganz schön Feuer gemacht. Unsere Elemente sind auch in dem Sinn gut, da sie einander auch schützen. Zerstören gegen Zerstörern! Die beste Verteidigung ist noch immer der Angriff selbst! Ich bin dabei!“, rief Nurik. Kian gab nur ein Brummen von sich. Yen seufzte erleichtert. „Gut, dass wir das geklärt haben! Jetzt kannst du dir meine Schulter anschauen, Esaila!“ Die Waldwölfin nickte und machte sich daran, die Verletzung zu behandeln, indem sie Kräuter aus der Gegend verwendete. Yen legte währenddessen seinen Kopf auf seine Pfoten. „Ähm, Yen?“, fragte Sikona vorsichtig, als dieser seine Augen schloss. Sofort öffnete dieser sie wieder. „Mhm?“, brummte er. „Wenn wir alle in Teams aufgeteilt sind, was machst dann du?“ „Oh achso!“, rief er und hob seinen Kopf. „Nun, da ich keine Elementkraft besitze und ich damit auch der Einzige bin, kämpfe ich entweder alleine oder unterstütze euch. Außerdem bin ich groß und das verschafft mir einen gewissen Vorteil! Und bei Kämpfen sind wir eigentlich immer zusammen. Hilflos bin ich nicht!“ Sikona wedelte nervös mit ihrem Schwanz. „Aber, wenn ...“ Weiter kam sie nicht, da ertönte ein Schrei. Alle bis auf Kian blieben ruhig. Der Blitzwolf fuhr erschrocken hoch und suchte den Himmel ab. Da fingen alle zum Lachen an und sahen, wie ein Adler sich Richtung Boden drehte. „Mhm, doofer Vogel“, brummte Kian und legte sich wieder hin. Er bemerkte nicht, wie Verox von hinten angeschossen kam, seine Flügel wölbte und den Schnabel öffnete. Ein weiterer Schrei ertönte und Kian senkte seinen Kopf aufgrund des schrillen und hellen Klangs neben seinem Kopf. Das Gelächter wurde lauter und Verox glitt auf den Baum hinter Yen. Das erste Mal machte es sich der Adler in der Nähe von den Wölfen gemütlich und begann, sein Gefieder zu putzen. Das Lachen erstarb allmählich. „Siehst du, Sikona. Ich bin auch nicht alleine. Verox und ich haben schon einmal miteinander gekämpft und ich würde es immer wieder aufs Neue tun! Verox sicher auch.“ „Ja, du hast Recht. Ihr seid bestimmt ein wunderbares Team, wenn nicht sogar das Beste von allen. Verox ist schon etwas Besonderes.“ Bei seinem Namen pfiff der Adler fröhlich. Dann machte er es sich bequem für die Nacht und schloss seine kleinen Augen. „Ich fürchte, wir sollten auch etwas schlafen. Die erste Wache mache gleich ich!“, sagte Yen und legte seinen Kopf auf den Boden. Die anderen machten es ihm nach. Alle waren schnell eingeschlafen. Es war ja auch ein anstrengender Tag gewesen. In Yen breitete sich ein warmes Gefühl aus, als er seine Freunde betrachtete. Ein Gefühl, das ihm sagte, dass er nun ein Teil von einem Ganzen war. Er begann zu lächeln. Mit diesem Gefühl schlief auch er bald ein, trotz der Wache, die er eigentlich schieben sollte. Mit einem Lächeln sah er aus, wie ein normaler schlafender Wolf ohne Sorgen und Kummer. Doch, wie es häufig der Fall war, sieht es in seinem Inneren ganz anders aus. ~~Aufbruch Ende~~ Was werden die Wölfe auf ihrem Ziel erreichen? Wird Kian je ganz über seinen Schatten springen? Was für Gefahren bringt der Südosten? Der Aufbruch zu einer unbestimmten Zukunft. Kapitel 14: Weißes Land ----------------------- ~~Weißes Land~~ Gähnend stand Zerisia auf und streckte sich. Sie blinzelte müde und versuchte, ihre Umgebung zu erkennen. Doch das Licht war zu hell und so mussten sich ihre Augen erst an die Umgebung gewöhnen. Langsam konnte sie Umrisse erkennen, die immer klarer wurden. Es war ein herrlicher Morgen, wie fast jeder in diesem Gebiet. Sie befanden sich in einem kleinen Tal, das in einem dichten Wald lag. In dem Wald waren sie schon seit drei Tagen und begegneten nur Bäumen, Sträuchern und Ästen. Doch das war Zerisia egal, solange sie durch die Baumwipfel den Himmel sehen konnte und dieser war momentan hellblau und klar. Zerisia sah sich weiter um und bemerkte, dass sie nicht die einzige Wölfin war, die schon auf den Beinen stand. Ein paar ihrer Begleiter hatten schon die Augen geöffnet, auch, wenn nicht alle schon aufgestanden waren. Gestern hatte sich ein großer Teil von ihnen getrennt, um sich in ihre jeweiligen Gebiete zu begeben. Noch immer waren einige Wölfe hier, die sich aber spätestens morgen von ihnen verabschieden würden. Danach waren sie nur noch zu viert: Sie, Xin, Inark und noch ein weiterer Begleiter, der wahrscheinlich Lumus sein würde, wenn sie auf ihn trafen. „Guten Morgen“, sagte sie knapp und setzte eine mürrische Miene auf. Sie drehte sich um und ging zu ihrem Bruder, der etwas abseits von dem kleinen Rudel saß. „Morgen, Xin“, sagte Zerisia, woraufhin ihr Bruder nur nickte. Sie setzte sich neben ihn und folgte seinem Blick. Dieser war nach Süden gerichtet. Die große Wölfin versuchte, in dem dichten Wald etwas zu erkennen, doch es war totenstill. „Was suchst du?“, fragte sie dann doch und rechnete schon damit, überhaupt keine Antwort zu bekommen. Wenn ihr Bruder etwas war, dann war er sehr ruhig und verschlossen. Er behielt seine Gedanken für sich und mochte es, in Ruhe gelassen zu werden. Dennoch genoss er manchmal die Aufmerksamkeit der anderen Wölfe und sonnte sich darin. „Etwas zu essen“, sagte der schwarze Wolf und wurde wieder still. Zerisia seufzte leise. Wenn ihr Bruder einmal etwas sagte, dann war es kurz und bündig. Ein knapper Befehl musste genügen. Doch Zerisia ließ so nicht mit sich reden. Schließlich war sie seine Schwester. „Du weißt schon, dass nicht einfach ein Reh aus dem Busch auf dich zu springt und du einfach nur zubeißen musst.“ Nun wandte Xin seinen Kopf zu Zerisia und blickte hoch in ihre Augen. „Haha, sehr witzig, Schwester. Vorhin habe ich hier eine kleine Rehherde erblickt. Sie sind noch nicht weg, aber sie wissen, dass wir hier sind. Ich werde ein paar Wölfe mit mir nehmen und eines erjagen. So eine Chance bekommen wir so schnell nicht wieder.“ „Ja, da hast du Recht. In dieser Gegend waren schon lange keine Wölfe mehr.“ Zerisia wartete darauf, dass ihr Bruder aufstand, doch dieser blieb, wo er war. Sie blickte ihn an und sah, dass er seinen Gedanken nachhing. So hatte sie ihren Bruder selten erlebt. Sie stand auf und drehte sich zu den anderen Wölfen, um ihn allein zu lassen. „Warte“, sagte Xin und sie blieb verwundert stehen. Erneut setzte sie sich neben ihn und spitzte die Ohren. „Ja, was gibt es?“, fragte sie vorsichtig und interessiert. Langsam kam ihr die Sache eigenartig vor. Xin schwieg wieder. Als Zerisia begann, ungeduldig zu werden, brach er doch das Schweigen. „Du hast es auch gespürt, oder?“, fragte er leise und sein Auge blickte in die ihren. Xin brauchte nicht mehr zu erklären. Sie wusste, was er meinte und sackte etwas zusammen. „Ja, das habe ich. Wer hat es denn nicht gespürt?“ Ihr Bruder nickte und blickte wieder nach vorne. „Es ist schon eigenartig. So etwas habe ich noch nie erlebt … noch nie an Vater.“ Dass ihr Bruder genau jetzt mit ihr über ihren Vater sprechen wollte, fand Zerisia eigenartig. Sonst sprach er nie mit ihr über solche Dinge. Doch sie und ihre Mutter waren die einzigen, die so nah an ihren Vater herangekommen waren. Doch Zerisia nahm sich Zeit. Auch sie wollte über dieses Thema reden, auch, wenn sie nicht ausgerechnet mit Xin die Sache besprechen wollte. Doch ihre Mutter hatte leider keine Zeit mehr gehabt. „Nun, Wölfe ändern sich einmal. Aber ich gebe dir Recht. Ein Wolf kann sich doch nicht innerhalb so kurzer Zeit so drastisch verändern. Ich meine … seine Nähe jagt mir einen Schauer über den Rücken. Vor ein paar Tagen, als wir direkt vor ihm standen, da ...“ Sie schüttelte sich, um es besser zu veranschaulichen. Xin nickte und beide blickten erneut in den Wald. Beide in Erinnerung an den Tag, den letzten Tag, an dem sie ihren Vater gesehen hatten. Ihre Mutter ging an ihr vorbei. Sie blickte ihre Tochter traurig an und stupste sie kurz aufmunternd, bevor sie ebenfalls die Höhle verließ. Zerisia und Xin gingen in die kleine Höhle. Bevor sie eintraten blickten sich die Geschwister an, nickten und gingen zusammen, Seite an Seite, hinein. Die Höhle, die sie betraten, war stockfinster. Sie konnten kaum einen Meter weit sehen. Doch sie wussten, dass ihr Vater nicht weit von ihnen entfernt auf einem Stein saß. Zerisia spürte seinen musternden Blick auf sich und senkte den Kopf, wie es Sitte war. Das schwere Schnaufen von Taroxon war für einige Zeit das einzige, was sie hörten. „Sohn und Tochter“, begann der große schwarze Wolf. Zerisia unterdrückte den Zwang, sich zu schütteln. Seine Stimme war schon immer tief gewesen, doch sie hatte einen ungewöhnlichen Klang angenommen. „Ihr beide bekommt eine wichtige Aufgabe. Dabei müsst ihr das Rudel für eine gewisse Zeit verlassen und euch zu Orten begeben. Bei dem letzten Ort verweilt ihr, bis ich euch rufen lasse.“ Zerisia blickte auf und langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Keine drei Meter vor ihr saß Taroxon. Sie riss überrascht ihre Augen auf. Nicht die Tatsache, dass ihr Vater ihr so nah war, erschreckte sie, sondern, dass es um ihn herum leicht bläulich schimmerte. Die Wölfin kniff die Augen zusammen und sah noch einmal genauer hin. Ja, sie bildete sich dies nicht ein: Um ihn herum war eine leicht bläuliche Aura, die vorher noch nie dagewesen war. Sie unterdrückte ihre Überraschung, da Ihr Vater nichts bemerken sollte. „Die Orte an die ihr euch begebt, sind die jeweiligen heiligen Orte des Feuers-, Erd-, Luft-, Wasser- und Lichtgottes. Ich habe von den jeweiligen Wölfen, die sich dort schon befinden, erfahren, dass die Götter Schwierigkeiten machen. Sie widersetzten sich ihnen. Deswegen werdet ihr diese Orte auffinden und den Wölfen etwas bringen. In den letzten Orten bleibt ihr selbst und zähmt den jeweiligen Gott!“ Zerisia legte ihre Ohren an und nickte nur. Dieser Gedanke war ihr nicht ganz geheuer. Einen Gott zähmen? Einen elementaren Gott? Sie selbst war doch nur ein Elementwolf. Es hörte sich einfach falsch an, überhaupt einem Gott so gefährlich nah zu kommen. Doch was ihr Vater, ihr Rudelführer, sagte, musste getan werden, auch, wenn es gegen das Göttliche verstieß. Man handelt ja zum Wohle des Rudels. „Xin, du wirst dich zum Wasser-, Licht- und Feuergott begeben. Beim Letzteren verweilst du. Zerisia, deine Aufgabe wird es sein, den Erd- und Luftgott aufzusuchen. Deine heiligen Orte sind mehr versteckt, deswegen bekommst du nur zwei. Wie gesagt, wird dich dann Inark begleiten und Lumus wird sich Xin anschließen, da ihm Feuer nichts ausmacht.“ Zerisia schielte zu Xin herüber, der starr seinen Vater anschaute. Beide nickten. „Gut, dann macht euch für eure Reise fertig. Morgen brecht ihr auf, doch, bevor ihr geht, nehmt dies mit und gibt sie in den Orten, bei denen ihr nicht bleibt, den jeweiligen Wölfen.“ Taroxon hob seine Pfote und schubste etwas von dem Stein herunter, das klirrend auf dem Boden liegen blieb. Die beiden Geschwister standen vorsichtig auf und gingen auf den Gegenstand zu. Beim Näherkommen sahen sie, dass es nicht einer, sondern fünf Gegenstände waren. Um genau zu sein, waren es fünf einfache Ketten, mit jeweils einem schwarzen, groben Stein daran. „Tragt dies und es wird euch gegen die Götter helfen. Ich möchte das ihr dies immer bei euch habt. Ich dulde kein Versagen! Und nun geht und bereitet euch vor!“ Zerisia schluckte und hob vorsichtig zwei der Ketten mit ihrem Maul auf. Sie nickte nur. Kein Wort kam ihr über die Lippen. Sie wusste einfach nicht, was sie sagen sollte. Auch Xin blieb still. Es war ja seine Art, alles ruhig hinzunehmen. Xin nahm die anderen drei Ketten und beide gingen nach draußen, in die etwas hellere Höhle. Als Zerisia außer Hörweite war, seufzte sie leise. Ihr Vater wurde ihr immer unheimlicher. Die Reise selbst war eigenartig für einen Wolf. Sie musste so weit laufen . Doch eine Wahl blieb ihr nicht. Entweder sie befolgte den Befehl oder sie starb hier und jetzt. So schritt sie in ihre Höhle und Xin in die seine, um sich für die Reise fertig zu machen. Noch immer hatte sie das Bild von ihrem Vater in ihrem Kopf, wie er auf dem Stein saß, tiefschwarz und in eine bläuliche Aura gehüllt. „Ich habe das Bläuliche auch bemerkt“, sagte Xin nach einiger Zeit. „Etwas stimmt nicht, doch ich werde seinen Befehl befolgen und das solltest du auch tun. Meine Herrschaft ist noch nicht gefestigt, seitdem Jurikin verstorben ist. Zwar ist sie zum Greifen nah, doch ich werde bei diesem Auftrag nicht versagen. Ich vermute, dass sie ein Test für mich ist, um mich wirklich zu beweisen, so wie Jurikin sich diesen 'Test' unterziehen musste!“ Entschlossenheit brannte in Xins Augen. Ja, so kannte sie ihren kleineren Bruder. In dieser Sache war er fast schlimmer als Jurikin. „Mir ergeht es nicht anders“, erwiderte Zerisia nur und blickte auf ihren Hals herab, wo die zwei Steine baumelten. Sie waren eiskalt und verströmten wie bei ihrem Vater eine schwache eigenartige Aura, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Zerisia versuchte, nicht daran zu denken und blickte wieder zu ihrem Bruder, der nun aufgestanden war und sich Richtung Rudel gedreht hatte. „Wir beide sollten einfach unser Bestes geben und hoffen, dass am Ende alles gut wird. Du bist noch mein einziges Geschwisterteil. Nicht, dass mir viel an meinem Bruder lag, aber in der Familie muss man aufpassen. Zerisia, ich will, dass wir uns am Ende dieser Reise wieder sehen. Wenn ich erst einmal an der Spitze bin, dann brauche ich jemanden an meiner Seite, dem ich vertrauen kann!“ Mit diesen Worten stolzierte er zu den Wölfen, die gerade dabei waren, nacheinander aufzustehen. Zerisia sah ihm schweigend nach. Ein listiges Lächeln bildete sich auf ihren Lippen und sie hätte beinahe laut aufgelacht. Sie kannte ihren Bruder gut genug, um zu wissen, dass ihm diese Worte viel Überwindung gekostet hatten. Er hoffte, dass sie überlebte, nicht nur aus Machtgier, oh nein, sondern auch, dass ihm wirklich etwas an ihr lag. Sie waren ja Geschwister und von außen sah es schon immer so aus, als würde sie Xin lieber haben als Jurikin. Beide ihrer Brüder waren auf ihre Art und Weise eigen. Sie mochte zwar Jurikin viel lieber als Xin, doch auch er war ihr Bruder … nun ihr einziger. Sie schwor sich, dass sie ihr bestes gab, um ihren kleineren Bruder wieder zu sehen. Zumindest ihn. Im Rudel kam plötzlich Bewegung auf. Sie hob ihren Kopf und sah, wie Xin ein paar Wölfe auswählte, um auf die Jagd zu gehen. Das hieß wohl, noch etwas warten, bis die Reise weiter gehen konnte. Sie waren zwar nicht mehr viele, doch sie brauchten dringend etwas zum Fressen. Morgen würden sie sich trennen. Das hieß auch, dass die Futtersuche um einiges schwerer sein wird. Seufzend stand sie auf und gesellte sich zu den anderen, gerade, als Xin mit seinen Wölfen im Wald verschwand. Die Wölfin legte sich unter eine kleine Tanne, um die kühle Luft im Schatten zu genießen. Sie vergewisserte sich, dass die anderen Finsterniswölfe alles unter Kontrolle hatten und schloss die Augen. Sie konnte gar nicht glauben, was ihr Vater von ihnen verlangte. Im Grunde sollten sie mit den Göttern spielen, sie sogar zähmen. Aber konnte man einen Gott zähmen? Und was hatte dies für Auswirkungen? Wölfe allgemein verehrten keine Götter. Sie waren einfach da, das wusste man. Doch jedes Lebewesen war sich bewusst, dass die Elementgötter für das Gleichgewicht der Welt standen und diese zu zähmen, klang ziemlich absurd. Doch Xin hatte Recht. Entweder sie versuchte es oder sie starb. Das wollte sie definitiv nicht. Während sie döste, bemerkte sie nicht, dass sich langsam ein Wolfsschatten näherte. Erst, als eine Brise über die Lichtung strich und ihr den Geruch des Wolfes herantrug, wusste sie, wer ihr Beobachter war. Sie knurrte nur warnend, behielt aber die Augen geschlossen. Eigentlich hatte Zerisia gehofft, wenigstens ein paar Augenblicke alleine zu sein, doch dem war wohl nicht so. Wenn dieser Wolf in ihrem Rudel mit dabei war, dann hatte sie keine Ruhe. Inark beobachtete sie still, doch dann bewegte er sich und legte sich neben sie. Zerisia behielt trotzig ihre Augen geschlossen, was ihn nicht weiter störte. „Ich möchte mich auch nur im Schatten ausruhen“, waren seine einzigen Worte, bevor er seinen Kopf auf seine Pfoten legte und ebenfalls die Augen schloss. „Die Sonne hat es ganz schön in sich, wenn man von Norden kommt.“ Zerisia öffnete verwirrt ein Auge, um zu sehen, ob er wirklich döste. Doch ja, das tat er. Nach seinem gequälten Gesichtsausdruck zu schließen, setzte ihm die Sonne wirklich zu. Irgendwie bekam sie Mitleid mit ihm, doch dies verschwand bald wieder und sie döste weiter. Soll er doch bei ihr im Schatten liegen. Das kümmerte sie nicht, solange er ruhig war. Eine Zeit lang tat sie nichts anderes, als ihren Gedanken weiter nachzuhängen. Von den vergangen Tagen und die Tage, die noch kommen mögen. Sie ließen ihr keine Ruhe. Dass sie in dieser Hinsicht hilflos war, war ihr einziger Gedanke, bevor sie in einen unruhigen Schlaf fiel. Lautes Gejaule und Geknurre weckte sie aus dem Schlaf. Sofort war sie hellwach und öffnete die Augen. Sie sah, dass Inark noch immer neben ihr lag, doch dieser hatte wie sie den Kopf erhoben und blickte auf die Lichtung. Sein Gesicht zeigte ein Lächeln, als er sie anblickte. „Guten Morgen. Hat dich die jubelnde Meute aufgeweckt? Das tut mir Leid. Dabei habe ich gesagt, sie sollten ruhig bleiben!“ Er lachte und stand auf, um zu den anderen Wölfen zu gehen, die sich gerade versammelten. Zerisia beobachtete die Szene perplex. Sie wusste nicht, was vor sich ging. Inark sah ihre verwirrten Gedanken an ihrem Gesichtsausdruck und stupste sie mit seiner Schnauze an. „Na los. Willst du nicht unsere Neuankömmlinge begrüßen?“ Sofort sprang Zerisia auf und ging zu der Wolfsschar. >Das kann nur eines bedeuten!<, dachte sie und zwängte sich durch die Wolfsreihen. Als sie ganz vorne war wehte ihr der Geruch von frischem Fleisch entgegen. Sofort fiel ihr Blick auf die zwei toten Rehe in der Mitte der Lichtung. Doch ihr Blick blieb nicht lange an dem Fressen hängen, da sah sie ihren Bruder und den Wolf neben ihr. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, als sie diesen erkannte. Sofort ging die junge Wölfin auf den Neuankömmling zu. „Hallo Lumus! Lange nicht gesehen!“, sagte sie und grinste ihn an. Auch er begrüßte sie herzlich. Lumus war ein alter Freund der Familie. Er hatte schon auf sie aufgepasst, als sie und ihre Brüder Welpen gewesen waren. Damals hatte Lumus ihnen viel beigebracht, was es hieß, ein Alphatier zu sein, obwohl er selbst keines war. Dadurch entstand ein positives Band zwischen ihm und ihrer Familie. Er gehörte eigentlich schon fast dazu. „Hallo Lumus“, begrüßte ihn nun auch Inark, der direkt hinter Zerisia gegangen war. „Hattest du eine gute Reise?“ Lumus nickte. „Ja, die hatte ich, obwohl sie sehr anstrengend war.“ „Anstrengend, aber gekrönt von Erfolg, wie man sieht“, sagte eine weibliche Stimme. Zerisia spitzte sofort die Ohren und ein erneutes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Direkt aus der Menge schob sich eine schlanke, dunkelblaue Wasserwölfin. „Hallo Rumera! Schön, dass es dir auch gut geht“, begrüßte die Finsterniswölfin ihre ältere Freundin. Rumera war nicht so alt wie Lumus und somit konnten die beiden weiblichen Wölfe eine gewisse Freundschaft zueinander aufbauen. Früher hatten sie viel miteinander gespielt, doch Zerisia wurde sich des bösen Charakters von Rumera schnell bewusst und sie ging auf Abstand. Auch sie wollte nur Macht haben. Nichtsdestotrotz war sie eine treue Gefährtin und noch immer ihre Freundin. Rumera war die einzige Wasserwölfin im Finsternisrudel, was schon sehr eigenartig war. Das hatte den Grund, dass ihre Eltern vor einigen Jahren zu ihnen in den Norden zogen, um dort die wenigen Schneegebirge zu erkunden. Durch ein Naturunglück kamen ihre Eltern ums Leben und Rumera fand man als kleinen Welpen im Schnee liegen. So wurde sie, trotz der Tatsache, dass sie von einem anderen Rudel stammte, aufgenommen. Kleinen Welpen gewährte man einfach Schutz. Rumera passte sich sehr schnell an und es wurde klar, dass sie eine starke Elementwölfin war, die ihre Gabe auch gut und gerne benutzte. Deshalb hatte sie einen wunderbaren Nutzen für das Rudel und durfte auch, nachdem sie ausgewachsen war, bleiben. „Ihr habt sicher Hunger“, fragte Xin Lumus. Dieser schüttelte nur den Kopf. „Nein, wir haben gestern eine reichliche Beute gemacht. Deshalb frisst ihr erst einmal, bevor wir über wesentlichere Dinge reden.“ Gesagt getan. Die hungrige Wolfsmeute stürzte sich auf die toten Rehe. Jeder aß so viel, wie es ging. Eigentlich wollte sich Zerisia nach dem Fressen wieder hinlegen und ausruhen, doch sie war zu aufgeregt auf den Bericht, den Lumus sicher für sie hatte. So versammelten sich Xin, Lumus, Rumera, Inark und sie erneut auf der Lichtung. „Also Lumus, wie war deine Reise durch Daromi?“, fragte Inark und leckte sich die Lefzen sauber. „Die Reise an sich war ohne Probleme, seit du uns verlassen hast, Inark. Wir trafen auf fremde Rudel, brachen ihren Willen und schickten sie mit einigen Wölfen hoch zu euch. Das hat sich anfangs als schwieriger erwiesen, als gedacht, doch wir hatten bald den Dreh raus. Das Überraschende war, dass sich von den Rudeln immer mehr Wölfe uns anschlossen und somit wurden wir in der Zahl auch immer größer, obwohl wir immer wieder Wölfe mit zu euch schicken mussten. Ich habe genau den Bereich durchforstet, den du mir gesagt hast, Inark. Und nun sind wir fertig und wollen zurück zum Rudel, um unseren nächsten Auftrag entgegenzunehmen und um zu erfahren, wohin wir als nächstes gehen sollten. Nicht alle Rudel sind unterworfen.“ Inark nickte. Er war zufrieden mit dem Verlauf und froh, Lumus die Aufgabe überlassen zu haben. „Bei uns verlief auch alles nach Plan“, sagte dann Xin und blickte Lumus an. „Wir haben uns nun auf den Weg gemacht, die Wölfe wieder zu verteilen, da sie bei uns im Rudel zu viele geworden sind. Das Jagen wird immer schwerer.“ Lumus nickte. „Durch die Wälder, durch die wir erneut durchliefen, um zu euch zu kommen, gab es fast kein Wild. Das Land war wie tot. Der Boden fühlte sich komisch an, genau wie die Luft. Ich denke, das wird besser, wenn die jeweiligen Rudel wieder in ihre Gegenden kommen. Aber das ist das, was mir sofort aufgefallen war.“ Zerisia blickte Xin nachdenklich an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Die Umwelt veränderte sich, wenn die Wölfe aus ihren Gebieten verschwanden? War das nur ein Zufall? Oder doch etwas Tiefgründigeres. Sie schüttelte kurz den Kopf. Nein, damit durfte sie sich jetzt nicht befassen. „Nun, das kann auch nur ein Zufall gewesen sein. Eine Hitzewelle oder dergleichen,“ sagte sie dann und räumte somit das Thema zur Seite. „Wir haben Wichtigeres zu besprechen. Sicherlich fragt ihr beiden euch, was Xin und ich bei diesem Rudel zu suchen haben.“ Lumus und Rumera nickten. „In der Tat. Diese Aufgabe hätte jeder Wolf aus unserem Rudel bewältigen können und ich frage mich, wieso der große Herrscher gleich seine zwei Kinder auf Reisen schickt.“ Zerisia wusste, dass Lumus nicht dumm war, und hatte mit so einer Antwort gerechnet. Sie blickte Xin an und dieser nickte ihr kurz zu. Damit gab er ihr sein Einverständnis, die Sache zu erzählen. „Nun, Xin und ich sind mit einem anderen Auftrag geschickt worden. Ihr habt sicher die fünf Amulette um unsere Hälse bemerkt. Diese müssen wir zu den Tempeln der Götter bringen.“ Sie bewegte kurz ihren Hals und die schrecklichen Schmuckstücke klapperten an ihrer Brust. „Das ist unser Auftrag. Doch diesen sollten wir nicht alleine bewältigen. Während ich zum Erd- und Luftgott gehe, wird mich Inark begleiten. Unser Vater hat gemeint, dass du, Lumus, Xin zum Licht- Wasser- und Feuergott begleiten sollst, sobald wir auf euch treffen, was ja nun der Fall ist.“ „Ah okay. Nun, dann habe ich sowohl einen neuen Auftrag erhalten und werde Xin beschützen, so gut es geht.“ Xin knurrte leicht. „Mich braucht keiner zu beschützen. Vater meinte nur, du erweist dich im Gebiet des Feuergottes als nützlich.“ Lumus nahm die kleine Niedermachung gelassen hin. Sich gegen den Sohn des Rudelführers aufzuspielen, war keine gute Idee. „Doch ich frage mich, wer die Expedition weiterhin leiten soll?“ „Das ist eine gute Frage, Lumus. Rumera wird nun deine Stellung einnehmen und zurück zum Rudel laufen. Sie ist mindestens genauso fähig wie du und da dürfte dies kein Problem sein“, gab die schwarze Wölfin von sich und grinste leicht, als sie sah, wie Rumera freudig ihren Schweif hob. Doch die Freude währte nicht lange. „Ab morgen trennen wir uns alle. Ich nehme Inark mit auf meine Reise, während ihr euch auf den Weg in die anderen Gegenden macht. Nur zu zweit hat man eine bessere Chance, eher an seinem Ziel anzukommen. Heute werden wir noch ein bisschen Richtung Süden unterwegs sein und der restliche Teil wird sich von uns absondern.“ Mit dieser Ansage war das Wesentliche gesagt. Zerisia hatte keine große Lust mehr auf eine Unterhaltung und wollte endlich aufbrechen. Kurze knappe Befehle reichten. Da stand Lumus auf. „Bevor wir aufbrechen und uns trennen, möchte ich mit Rumera und Xin unter sechs Augen sprechen.“ Zerisia fuhr erschrocken zusammen und ihr Blick wurde ernst. „Was hast du ihnen zu sagen, was du mir nicht sagen willst, roter Wolf?“ Ihre Stimme klang böse. Sie mochte es nicht, wenn man sie aus Unterhaltungen, die wichtig waren, heraushielt. „Ich bin die Tochter von Taroxon und da habe ich ein Recht darauf, alles zu erfahren, was wichtig für die Reise ist.“ Xin stellte sich zu Lumus und senkte drohend seinen Kopf. „Zerisia, das ist in Ordnung. Wenn Lumus nur mit mir etwas besprechen möchte, dann ist das so. Dann befehle ich, der zukünftige Rudelführer, dir hier zu bleiben, während ich mich mit den beiden Wölfen unterhalte.“ Zerisia schnaubte nur. Gegen ihren Bruder kam sie nicht an. Er stand noch immer über ihr. So gab sie schnell nach, denn auf eine Rauferei hatte sie keine Lust. Somit drehten sich Xin, Lumus und Rumera um und traten abseits in den Wald. Sie kochte innerlich vor Wut und blickte den Wölfen leise knurrend hinterher. Da spürte sie einen sanften Stups in ihrer Seite und sie fuhr laut knurrend herum. Es war Inark gewesen, der sie leicht mit der Pfote berührt hatte und nun vorsichtig zurück wich. „Nimm's deinem Bruder nicht übel“, sagte er sofort und legte seine Ohren an. „Vielleicht ist es besser so, wenn du es nicht weißt und er wollte dich nur beschützen.“ Da stellten sich Zerisias Ohren vorsichtig auf. Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Vielleicht war es zu ihrem eigenen Schutz. Sie nickte Inark dankend zu und blickte erneut auf die Stelle, wo die Wölfe verschwunden waren. Trotz des angeblichen Schutzes wollte sie liebend gerne wissen, was denn diese wichtige Information war. Früher oder später würde sie es schon erfahren, oh ja. Ein schriller Pfiff ertönte und weckte alle Wölfe schlagartig auf. Kian sprang regelrecht von seinem Platz und landete unsanft in einem Busch. „Autsch“, kam es von ihm und Verox pfiff fröhlich, bevor er abhob. Nurik gähnte und ein listiges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Tja, da hätten wir fast verschlafen.“ Er stand auf und streckte sich. Daraufhin ging er zu dem Busch, um nach Kian zu sehen. Der gelbe Wolf kämpfte sich durch das Gestrüpp und gerade, als Nurik nach ihm sehen wollte, streckte er seinen Kopf nach oben. Beinahe berührten sich ihre Nasen. Da musste Nurik lachen und Kian zog mürrisch knurrend seinen Kopf zurück. „Weißt du was, Kian? Du siehst aus wie eine Biene!“ Bei dem Kommentar lachte jeder, selbst Ruki, der eine Abneigung gegenüber diesen Tieren hatte. Kian fand dies natürlich nicht witzig und kämpfte sich nun gänzlich aus dem Busch. „Und du siehst aus wie … wie ein verkümmerter Feuersalamander, der zu viel Sonne genossen hat.“ Sofort wurde es auf der Lichtung still und alle sahen den Blitzwolf an. Nurik trat einen Schritt zurück und tat das, was Kian nie von ihm erwartet hätte: Er lachte erneut und mit ihm alle anderen. Kian verstand die Welt nicht mehr. >Komischer Haufen<, dachte er sich und ging weit vom Busch weg. „Da magst du vielleicht Recht haben, dass unser Feuerwolf etwas verkümmert aussieht, aber Salamander sind gefährlich, genauso wie Bienen,“ sagte Yen und versuchte, ihn etwas aufzumuntern, was ihm auch ein wenig gelang. Kian murrte nur kurz, sonst war er still. Nun standen nacheinander alle Wölfe auf und streckten sich genüsslich. Nach dem Kampf hatte jeder gut geschlafen und war ausgeruht. „Ich denke, wir sollten gleich aufbrechen“, meinte dann Yen und ging Richtung Südosten. „Auf dem Weg könnten wir nach Wasser und Nahrung suchen. Wir können uns auch von Beeren ernähren, wenn es sein muss, aber wir haben schon zu viel Zeit vergeudet. Ihr seht, die Lage ist kritisch.“ Alle nickten und folgten Yen, der sogleich losgesprungen war. Über ihren Köpfen kreiste Verox, der sie nun wirklich zu begleiten schien. Sikona blickte nach oben und beobachtete, wie der Vogel seine Kreise zog. „Schon komisch, dass uns dieser Vogel so freiwillig folgt. Klar, er ist ein Freund von Yen, aber haben Vögel so etwas schon einmal getan?“ Die Frage war eigentlich mehr an sie selbst gerichtet, doch von hinten antwortete ihr Kian, der den Schluss des Gespanns bildete. „Nein, ich wüsste nicht, dass ein Adler jemals dergleichen getan hätte. Vögel und Wölfe gehen sich größtenteils aus dem Weg, außer natürlich, wenn gefräßige Raben unser Fressen stehlen wollen.“ Sikona drosselte ihr Tempo, sodass sie neben Kian herlief. Er war genau so groß wie sie, doch das störte ihr weniger. „Nun, dann haben wir hier einen besonderen Begleiter. Er scheint regelrecht auf Yen fixiert zu sein. Ich wüsste gern, wie ihre erste Begegnung genau abgelaufen war. Gemeinsam gegen Raben kämpfen … einfach so? In einem unbekannten Gebiet? Das hört sich für mich ziemlich … spannend an.“ Kian schnaubte abfällig. „Also so spannend auch wieder nicht. Sie haben es aus Hunger getan oder hast du gestern nicht zugehört?“ Sikona verdrehte die Augen. „Ach, Kian. Ein bisschen fantasieren darf ich doch wohl auch noch. Klar, der Hunger treibt einen an. Vielleicht war dies auch der einzige Grund. Doch, was hält ihn hier? Er kann es uns nicht sagen, da wir seine Sprache nicht verstehen.“ „Das kann ich dir nicht sagen, doch ich frage mich woher ihr seinen Namen wisst?“, fragte Kian dann ganz interessiert. „Yen wusste ihn. Er wusste es einfach und wir glauben ihn“, antwortete Sikona nur und beide verfielen wieder in Schweigen. Während Sikona und Kian sich kurz unterhielten, war Esaila zu Yen getreten, um sich nach seiner Schulter zu erkundigen. Sie sah noch immer ziemlich übel aus, doch sie begann schon zu heilen und das war ein gutes Zeichen. Dennoch machten sie nach einiger Zeit Halt und die Waldwölfin besah sich die Schulter genauer. „Ich glaube, wir machen hier eine kurze Rast und trinken etwas. Du kommst mit in den Bach. Nyrona wird die Wunde so gut es geht ausspülen, während Sikona das Wasser etwas abkühlt. So wie wir es schon einmal gemacht haben.“ Die angesprochenen Wölfe nickten und traten in den Bach. Sikona und Nyrona waren froh über das kühle Nass, das ihnen entgegenschlug und spritzten sich gegenseitig nass. Esaila rief sie zur Ordnung und dann begannen sie, die Wunde zu versorgen. Die anderen drei Wölfe tranken derzeit etwas abseits und legten sich hin. „Das Wetter wird immer angenehmer. Wenn ich daran denke, wie warm es teilweise im Wald war“, sagte Ruki an Nurik gewandt, der daraufhin nur mit den Schultern zuckte. „Also ich fand es im Wald ganz angenehm, aber mir ist es auch schon aufgefallen, dass es hier windiger ist, als an der Stelle, wo wir wachgeworden sind.“ „Das liegt daran“, antwortete Kian den beiden Wölfen, „dass wir immer mehr nach Osten wandern. Dort liegen die Berge und das kalte Land. Kennt ihr euch in eurem eigenen Land nicht aus?“ Nurik wandte sich an den gelben Wolf. „Das kalte Land? Davon habe ich schon einmal gehört. Aber, dass wir uns genau dorthin begeben, davon hatte ich keine Ahnung.“ „Nun weißt du es.“ „Nicht streiten Jungs!“, sagte Esaila und kam mit Yen im Schlepptau zu den drei Rüden zurück. „Das bringt doch nichts.“ Auch sie legten sich kurz hin. Kian murrte kurz und fragte dann: „Wo sind unsere beiden anderen blauen Wölfe? Toben sie sich noch aus?“ „Genau das tun sie“, antwortete Esaila nur und schloss die Augen. Sie lauschte auf die Wasserspiele, die Nyrona und Sikona veranstalteten. Beide sprangen im Wasser umher. Sikona gefror hier und dort das Wasser und Nyrona sprang herum. „Da Sikona als Eiswölfin zu der Gattung der Wasserwölfen gehört, liebt sie das Wasser fast genauso wie Nyrona. Es spendet ihr Kraft und die Kälte lässt sich am einfachsten in Wasser speichern“, erklärte Esaila einfach weiter. „So, wie ich ein Teil eines Erdwolfes bin und ich mich am Boden einfach am sichersten fühle. Deswegen könnte ich nie mit Ruki fliegen. Das Gleiche dürfte bei dir auch der Fall sein, Kian. Du bist von der Abstammung her bei den Lichtwölfen dabei. Weil Blitze spenden in gewisser Weise Licht.“ Kian blieb ruhig liegen und ließ die Worte auf sich wirken. „Ich stamme von niemanden ab. Ich bin ich und nur das zählt.“ Damit war das Thema gegessen. Esaila erhob keinen Einspruch, denn sie hatte keine Lust auf eine Diskussion. Nach einiger Zeit kamen Nyrona und Sikona aus dem Wasser und ihre Reise Richtung Südosten ging weiter. Den ganzen Tag über lief Kian etwas abseits am Ende der Truppe. Alle verstanden, dass er es als früherer Einzelgänger nur so am liebsten hatte. Alle, bis natürlich auf Nurik, dem es nicht in den Sinn kam, alleine auf der Welt herumzulaufen. So gesellte er sich nach ein paar Meilen zu Kian und versuchte, ihn immer wieder in ein Gespräch zu interagieren. Kian reagierte kaum auf die Versuche und antwortete relativ knapp. Doch dies schien den stets gut gelaunten Feuerwolf kaum etwas auszumachen. „Dein Bruder ist wohl ziemlich hartnäckig, wenn es darum geht, Wölfe in unser kleines Rudel einzugliedern, oder?“, fragte Ruki Nyrona, die gerade neben ihm lief. Diese lachte nur. „Oh ja, so ist er nun mal. Er versucht, immer ein Lächeln auf die Lippen anderer zu zaubern, egal, in welcher Situation man sich gerade befindet. Manchmal kann das schon richtig nerven, doch dafür haben wir Schwestern ihn umso lieber, weil er uns so manchen witzigen Moment bereitet hat.“ Ruki blickte erneut nach hinten, bevor er auch Esaila und Sikona kurz betrachtete. „Das ist schon eigenartig, dass vier so unterschiedliche Wölfe aus einem Wurf kommen.“ „Du kommst wohl aus einem reinen Rudel. Da ist das ungewöhnlich. Aber wir vier sind aus einem Gemischtrudel und da ist es normal, dass die unterschiedlichsten Elemente bei einem Wurf dabei sein können. Aber du hast Recht. Dass es gleich bei vier Geschwistern vier so unterschiedliche und eigenartige Elemente sind, ist, glaub ich, schon selten.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber was soll's. Das ist nun mal so!“, sagte sie fröhlich und das Thema war für sie erledigt. Ruki schüttelte über diese Gegebenheit nur den Kopf. Sie liefen bis spät in den Abend, bevor sie anhielten und einen Schlafplatz suchten. Jeder war usgelaugt vom langen Laufen, doch sie wussten, dass sie sich anspornen mussten. Die Zeit wurde knapp. So legten sie sich alle hin und schliefen ein. Selbst Verox kam wieder zu ihnen und machte es sich auf einem nahen Baum bequem. Auch er schien nach dem ganzen Tagesausflug erschöpft zu sein. Keiner hielt in dieser Nacht Wache. Der nächste Tag verlief genauso wie der vorherige: Sie liefen in einem gleichmäßigen Tempo richtig Südosten. Yen führte sie, so gut es mit seiner Schulter ging. Wenn er nicht konnte, übernahm Ruki kurz die Führung. Immer bildete Kian den Schluss, mit Nurik ganz in seiner Nähe. Auch Sikona gesellte sich oft zu den beiden Rüden und machte ihre Späße mit Nurik. Vor allem hier sah man genau, welches Band eigentlich Sikona und Nurik verband, obwohl sie von ihren Elementen so drastisch auseinanderlagen. Kurz bevor die Sonne des zweiten Tages unterging, suchten sie an einem nahen Bach etwas zum Fressen. Dank Rukis guten Spürsinn für Beeren und Esailas Pflanzenkenntnissen fanden sie bald einen großen Busch mit Himbeeren. Zwar war dies kein großes Mahl, doch jeder Wolf überwand seinen Hunger. Verox begnügte sich mit Käfern, die er in der Nähe des Busches fand. Kurz darauf legten sich alle Wölfe hin. „Ich finde es schon komisch, dass hier die Umgebung fast unberührt ist. Ich habe damit gerechnet, auf viel mehr Rudel zu stoßen oder zumindest wieder auf eine tote Gegend wie damals, als ich durch so ein Gebiet gelaufen bin.“ Kian hob den Kopf. „Das liegt daran, dass hier das Land der Wasserwölfe ist. Und Wasserwölfe halten sich nun mal bevorzugt bei Seen oder am Meer auf.“ Yen nickte verständnisvoll. „Na da bin ich gespannt, ob wir wohl einigen Wasserwölfen begegnen werden. Nyrona, das wäre für dich ganz interessant!“ „Oh ja … bis auf die zwei oder drei Wasserwölfe, denen ich bei uns im Rudel begegnet bin, und diese böse Wasserwölfin, habe ich noch nie andere von meiner Gattung gesehen.“ „Dann wird es aber Zeit!“, lachte Sikona und legte sich zum Schlafen hin. Sie schlief recht bald ein. Nurik lächelte und legte sich zu ihr. „Habt ihr auch bemerkt, wie kalt es hier ist? Sikona scheint es richtig gut zu gehen“, flüsterte er und rollte sich zusammen. „Du musst es ja am ehesten fühlen“, sagte Yen. „Aber ja, wir kommen in die kälteren Gegenden. Der Wind ist frisch und es riecht nach Regen. Doch das sollte uns nicht von unserer Reise abschrecken!“ Nurik nickte und legte seinen Kopf auf die Pfoten. Auch er schlief, wie der Rest, bald ein. Die nächsten zwei Tage verliefen wie die ersten. Yens Schulter wurde immer besser, dank Esailas Heilkünsten. Es wurde immer kälter, doch sie trafen auf keine anderen Wölfe. Nyrona begann, die Hoffnung aufzugeben so bald auf einen Wasserwolf zu treffen. Doch die Temperatur veränderte sich nicht nur, sondern auch die Gegend. Es gab immer mehr Tümpel und wasserreiche Stellen. Einmal kamen sie sogar an einen großen See vorbei. Doch dort lebten nur Wasservögel. Doch dies beunruhigte sie kaum. Daromi war groß. Am Abend des vierten Tages nach ihrem Aufbruch bemerkte Ruki etwas ganz anderes. Direkt vor ihnen am Horizont zeichneten sich Hügel ab. Rasch wurde klar, dass das nicht nur kleine Hügel waren, sondern richtige Berge, die viele Meter in den Himmel reichten. Dennoch waren sie einige Meilen von diesen entfernt. An diesem Abend war es auch besonders kühl und die Wölfe kuschelten sich näher zusammen. Vor allem Nurik schien hierbei heißbegehrt zu sein. Nur Sikona lag außerhalb und genoss die kühle Luft. Mitten in der Nacht jedoch hörte Yen ein Kläffen. Sofort sprang er auf und wäre beinahe wieder zurück gefallen, vor das, was er erblickte. Verdutzt sah er in alle Richtungen und auf seine Freunde, doch er hatte sich nicht getäuscht. Bald entdeckte er Sikona, die freudig herumsprang. Sie war der Ursprung des Kläffens gewesen. Nacheinander wachten alle Wölfe auf und jeder war verwirrt. Da rannte Sikona auf sie zu. „Ist das nicht wunderbar?“, rief sie. Und hielt abrupt vor den anderen an. Dabei wirbelte sie das auf, was jeden Wolf verwirrte: Ein weißes Pulver, um genau zu sein, Schnee. „Schneeeee!!!! Überall Schnee!!!“, rief Sikona und sprang in die Luft. „Es begann mitten in der Nacht und wir haben es nicht bemerkt.“ Erneut sprang sie davon. Yen grinste. >Natürlich … wenn es kälter wird, dann muss es auch irgendwann zum Schneien anfangen.< Alle standen auf und Yen trat zu Nurik. „Wie geht es dir denn?“, fragte er den Feuerwolf. Nurik unterdrückte ein Zittern. „Noch geht es mir gut. Dort, wo ich herkomme hat es auch manchmal geschneit und es war auch so kalt. Ich weiß aber nicht, wie lange ich das aushalte. Zum Glück habe ich ein inneres Feuer, das mich etwas warm halten kann. Also so schnell braucht ihr euch keine Sorgen zu machen. Ich freue mich riesig für Sikona, dass sie endlich mal so viel weißes Wunder erleben darf.“ Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Da stand Nyrona neben ihm auf und rannte zu ihrer Schwester. Beide tollten im Schnee und bald gesellten sich auch die anderen dazu. Nurik ging derzeit zu Kian, der auch nicht so recht Lust auf Herumtollen hatte. Doch sie blieben still. Yen hatte sich gerade auf Ruki gestürzt, der sich mit Sikona in den Pfoten aus dem Staub machen wollte, als diese erneut kläffte. „Ruki lass mich runter. Sofort!“ Gesagt getan und Sikona landete im Schnee. Sofort sprang sie wieder auf. „Seht!“, rief sie und deutete mit dem Kopf nach Süden. „Da ist doch jemand.“ Alle Blicke wanderten in die gezeigte Richtung und ja, genau dort auf einem kleinen Schneehügel war eine Wolfsgestalt. Verox pfiff von oben und flog zu den anderen. Er landete neben Yen. „Sikona ...“, sagte der Finsterniswolf, doch es war zu spät. „Hallooooo!!!“, rief die Eiswölfin und rannte auf den fremden Wolf zu. „SIKONA“, rief ihr Yen noch hinterher, doch sie hörte kaum, so sehr freute sie sich auf den Schnee und endlich einen anderen Wolf zu sehen. Der andere Wolf wandte sich derzeit ab und lief den Hügel herunter. Sikona ihm hinterher, ohne zu wissen, was sie erwartete. ~~Weißes Land Ende~~ Wer ist der fremde Wolf? Was bringt Sikona dazu, dem Wolf zu folgen? Wohin führt ihr weiter Weg? Werden sie am Tempel des Wassergottes je ankommen, geschweige denn, ihn finden? Kapitel 15: Der Widerstand -------------------------- ~~Der Widerstand~~ Es war dunkel in der Höhle und es stank nach Moder und Verwesung. Kein Wunder. In dieser Höhle würde jeder Wolf verrückt werden. Das fehlende Licht war wohl nur Finsterniswölfen willkommen. Doch der Wolf war keiner von der finsteren Sorte, der seine Tage in der Dunkelheit verbrachte. In einer Ecke gekauert blickte der Wolf auf den Ausgang oder besser gesagt auf den Felsen, der den Ausgang versperrte. Normalerweise ist ein Fels dieser Größe kein Problem für ihn, doch beseitigte er diesen, brachte er sich selbst in Gefahr. Das wusste er. Der Fels war so groß, dass fünf Wölfe ihn auf die Seite schieben mussten, um hindurch zu kommen. Doch ihm kam selten einer besuchen. Anfangs kamen noch am Tag zwei bis drei Wölfe zu ihm, doch jetzt sah dies anders aus. Die Wölfe, die kamen, brachten ihm selten Futter und noch seltener wollten sie nur mit ihm reden. Denn das was sie wollten waren seine Schreie … seine Schmerzensschreie. Anfangs begnügten sie sich ihm schreckliche Albträume zu bereiten, doch bald hatte er diesen miesen Trick durchschaut und der Schmerz wurde real. Da war es dem Wolf genug und er begann, sich zu wehren. Gegen die Qualen und den Schmerz. Es war Selbstverteidigung und so wirksam, dass ihm ab sofort nur noch alle drei bis vier Tage ein einziger Wolf besuchen kam. Weshalb ihm die Wölfe quälten, war nicht aus Spaß oder Lust. So etwas liegt nicht in ihrer Natur. Sie taten es, um nicht selbst gefoltert zu werden. Genau das wusste der Wolf und ging jedes Mal mit seiner Verteidigung nur so weit, bis sie von ihm abließen. Dieses Prinzip funktionierte, da es keinen normalen Wolf gibt, der seine Macht nicht spürt. Alle bis auf den einen, der ihm, seit er seine Verteidigung begonnen hatte, widerstehen konnte. Doch dies war kein normaler Wolf. Auch der Wolf in der Zelle sah nicht wie ein normaler Wolf aus. Zumindest von der Anatomie her. Er war von mittlerer Größe und Statur, doch das auffälligste an ihm waren die Ohren. Denn er hatte nicht nur zwei, sondern vier Ohren. Zwei kleinere, die vor zwei riesigen Ohren stehen. Alle vier sehen sehr wuschelig aus. Das hat auch einen Grund. Der Wolf kann je nach belieben die Ohren schließen. Auch haben die Ohren verschiedene Funktionen. So können die Größeren jedes noch so kleine Geräusch wahrnehmen und mit den Kleineren die Geräusche filtern oder selbst bei großer Lautstärke sich auf etwas konzentrieren. Sie funktionierten also mehr wie Filter. Dies war eine eigenartige Fähigkeit, die er sich gerne zunutze machte. So verstand er jedes Wort, was vor dem Felsen gesprochen wurde und in unmittelbarer Nähe. Sonst war seine Anatomie eher normal außer seine Fellfärbung. Sie war grün, grau und leicht gelblich. Um den Hals trug er ein Band mit einer metallischen Kapsel daran. Diese verstärkte seine elementaren Angriffe. Denn auch die waren etwas Besonderes. Mit seinen Stimmbändern konnte er jedes mögliche Geräusch verursachen und das in jeder beliebigen Lautstärke. Es ist kein körperlicher Angriff, mehr einer, der sich über den Raum ausbreitet. Doch kann er diesen auch auf einen bestimmten Punkt fixieren. Somit könnte er einfach den riesigen Fels mit einem Schlag zerkleinern. Er selbst bezeichnete sich als Schallwolf. Denn genau das war es, was er tat: Den Schall beherrschen. Dies war eine gefährliche Technik, doch er beherrschte sie perfekt. So ließ er einfach bei seinen Foltern einen so lauten Ton ertönen, dass die feindlichen Wölfe mit eingezogenen Schwänzen und eingeklappten Ohren aus der Höhle verschwanden. Dies brachte sie nicht um, aber er hatte somit seine Ruhe. Doch was er nicht wusste war, dass es hier in diesem verdammten Rudel einen Wolf gab, der seiner Kraft trotzte. Er konnte noch so laut und präzise seinen Schall lenken ... der Wolf widerstand ihm. Dieser trotzige Wolf war genau der schlimmste von all den Wölfen, die ihn bisher besuchen kamen. Der Wolf schnaubte aus und entfachte einen kleinen Wirbel vor seiner Schnauze. Er langweilte sich zu Tode. Er hatte es satt seine Wunden zu lecken und auf den nächsten Besuch des schwarzen Wolfes zu warten. >Von mir aus soll der Wolf nie wieder kommen und ich in dieser Höhle verrecken!< Die Forderungen, die der Gegner wollte, möchte er nie hergeben … denn dies war sein eigenes Leben. Er solle zu den Feinden übertreten. Da er einen starken Willen besaß, war es ihnen bis jetzt noch nicht gelungen, diesen zu zerbrechen. Er war ein freier Wolf und würde lieber sterben, als sich jemanden unterjochen zu müssen, außer sich selbst und seinem Rudel. Doch dieses existierte nicht mehr. Er kam von einem Windrudel, wo fast alle reine Elementwölfe waren. Seine beiden Eltern waren stolze Windwölfe gewesen, die sich immer Sorgen um ihren Sohn gemacht hatten. Er kam als einziger vom Wurf durch und das ohne Flügel. Dabei waren sich alle sicher gewesen, dass er ein Elementwolf war. Nun das war er auch, aber nicht das, was sie sich erhofft hatten. Das Rudel war so stolz, dass sie ihn fast schon als einen Schandfleck angesehen hatten. So kam es, dass er im Rudel nicht als einen von ihnen angesehen wurde, auch wenn sie ihn alle akzeptierten und jeder ihm sein Mitleid entgegen brachte, da er, nicht wie sie, einfach davonfliegen konnte. Anfangs, als junger Wolf, fühlte er sich wie ein Außenseiter. Doch schon bald erkannte er seine wahren Fähigkeiten und lernte sie zu beherrschen. Er schulte sich darin und präsentierte sie stolz seinen Eltern. Diese freuten sich sehr, doch in seinem Inneren wusste er, dass er damit nur noch schlimmer seine Anomalie präsentierte. Denn es gab keinen Wolf wie ihn in ganz Daromi. Doch bald kümmerte ihn dieser Gedanke nicht mehr. Er sah schnell ein, dass er etwas Besonderes war und dass er seine Fähigkeiten zum Wohle der Wolfheit nutzen musste. So verabschiedete er sich von seinem Rudel, damit es ohne seine Last leben konnte und dass er die Welt, in der er lebte, endlich einmal richtig sah. Er traf auf viele Wölfe und viele Gegenden. Es war nicht immer leicht, doch nie verlor er sein Ziel aus den Augen: Die Welt besser zu verstehen. Und so lernte er das Überleben kennen. Die Gegenden die er bereiste, faszinierten ihn und er lernte von Mutter Natur sehr viel. Auch traf er auf interessante Wölfe, die ihn willkommen hießen, aber auch, die ihn von ihren Revieren verjagten. Somit lernte er nicht nur die Natur, sondern auch seine Artgenossen besser kennen. Es gab so viele verschiedene Arten von Wölfen, genauso viele wie es Sandkörner in der großen Wüste gab. Sein Verständnis für die Wölfe wuchs und somit konnte er sein Verhalten zu anderen anpassen. Somit wusste er gleich, dass die Wölfe, die ihn am Anfang quälten, nicht wirklich weh tun wollten. Er verstand sie und fühlte sogar mit ihnen. Deswegen verscheuchte er sie nur. Doch bei einem Wolf wusste er genau, dass er ihn leiden sehen wollte. Er wollte ihn auseinandernehmen. Je länger er hier blieb, desto gefährlicher wurde es für ihn. Der grau-grüne Wolf seufzte. Er hatte keine Lust, hier zu vergammeln. Dies war sein letzter Gedanke, bevor er einschlief: Wann würde er endlich die Welt wieder betreten, in der er aufgewachsen war? Die Vögel beobachten, die Fische studieren? Er hatte einen traumlosen Schlaf und wurde sehr unsanft geweckt. Der Boden begann zu wackeln und rüttelte ihn wach. Als er seinen Kopf hob, wusste er, was los war. Der Wolf blickte genervt zur Decke und horchte darauf, wie der Fels vor ihm verschoben wurde. Nur einen Spalt breit, doch das reichte, sodass der Wolf eintreten konnte, der ihn besuchen kam. Der Besucher trat vollständig ein, bis der Fels wieder verschoben wurde und sich die Düsternis wieder breit machte. Da blickte der Schallwolf von der Decke zu dem anderen Wolf. Er war riesig. Mehr als das doppelte von ihm. Doch das ließ ihn nicht einschüchtern, auch wenn er wusste, wen er da vor sich hatte. Oh ja, dass wusste er genau. „Steh auf, Nobu!“, sprach der schwarze Riesenwolf zu seinem Gefangenen. Nobu seufzte genervt, als er seinen Namen hörte. Wieso hatte er einem der Wächter nur seinen Namen verraten? Namen verliehen Macht. Somit stand der Schallwolf auf, ließ aber dabei sein Gegenüber nicht aus den Augen. „Was hast du vor Taroxon!“, sagte er gehässig. Dieser grinste nur und trat näher. Da konnte Nobu deutlicher Taroxon erkennen. Der große Wolf hatte sich in den letzten Wochen sehr verändert. Die bläuliche Aura war ihm ja schon zuvor aufgefallen, doch diese wurde mit jedem Tag stärker und unheimlicher. Sie leuchtete nicht, sondern es sah so aus, als würde sie die Dunkelheit verschlingen. Doch das war noch das geringste, was sich an dem mächtigen Finserniswolf verändert hatte. An seinen Schultern hoben sich komische Wölbungen ab, die immer deutlicher wurden. Auch bekam er seltsame blaue Streifen auf dem Körper und seltsames bläuliches Fell wuchs ihm an den Vorderbeinen. Zudem schien er mit jedem Tag noch größer zu werden. All dies durfte der Schallwolf beobachten und er wusste, dass dies noch nicht alles an Veränderungen war. Das, was er vor sich hatte, war kein Wolf mehr. Es war zu grauenvoll. Das, was die Wölfe ausmachte, waren friedliebende Tiere. Nicht so grauenvoll wie dieses hier. >Das ist kein Tier … das ist ein Monster!<, dachte sich Nobu und blieb ganz ruhig stehen, als Taroxon immer näher zu ihm trat. Als er direkt vor ihm stand, sank er seinen Kopf und knurrte drohend. Nobu blieb weiterhin stehen, auch wenn ihm ein Schauer den Rücken entlangfuhr. Das was er nicht zeigen durfte, war Angst. Damit verschaffte er seinem Gegenüber nur einen Vorteil in diesem geistigen Match. „Was ich vorhabe, fragst du? Nun, das wie immer. Ich möchte deinen Willen und den werde ich bald bekommen Nobu. Sieh dich nur an. Du bist nur noch eine kümmerliche Abstammung deiner selbst. Nicht mal deine Eltern wollten dich haben!“ Nobu wandte sich ab. „Das ist keine Schande, sondern eine Stärkung gewesen. Dank diesem Verhalten bin ich raus in die Welt und habe sie mit eigenen Augen gesehen. Leid und Glück gehen Hand in Hand und meinen Willen bekommst du nicht. Niemals!“ Da ging er schon zu weit und lag mit einem Mal rückwärts auf dem Boden. Ein harter Prankenhieb von Taroxon hatte ihn getroffen. Nobu schüttelte sich und stand auf. Es war nicht das erste Mal, dass er so eingeschüchtert wurde. Schmerzen bedeuten ihm gar nichts. Mit seinen giftgrünen Augen fixierte er den größeren Wolf und blickte neckisch. Doch Nobu schwieg. Er wusste, dass Worte nichts brachten. Alle vier Ohren legte er an und behielt den Blick bei. „Ich bewundere dich, Nobu. Dich und deine Dickköpfigkeit!“ Und wieder ging Taroxon auf Nobu los. Doch dieses Mal wich der kleinere Wolf geschickt aus. Er war darauf vorbereitet gewesen. Doch Taroxon lachte nur und probierte es erneut. Dieses Mal täuschte er nur einen Angriff vor und stürzte sich dann auf ihn. Dabei traf er Nobu am hinteren rechten Bein. Daraufhin stürzte Nobu in den Dreck, doch rappelte sich wieder auf. Während diesem Spiel haben sie sich 90° in der Höhle gedreht und standen sich weiterhin gegenüber. Taroxon lachte noch immer in sich hinein und stellte sich zu seiner vollen Größe auf. Da bemerkte Nobu etwas eigenartiges. Etwas, was in der sonst so dunklen Höhle nicht stimmte: Einen Schimmer. Unbemerkte blinzelte Nobu zum Ausgang. Ja, da sah er es: Den Spalt. Die Wölfe hatten den Fels nicht richtig zu geschoben. Seine Augen blitzen auf und er bekam eine Idee. Jetzt musste er schnell handeln. So eine Chance bekam er nie wieder. „Hey Taroxon. Wieso hast du es eigentlich so auf mich abgesehen? Ich mein, du großer dummer Bär kannst dich ja nicht mal richtig bewegen!“ Er wusste, das er zu weit ging, doch dies war ihm nur Recht. Taroxon hörte mit dem Lachen auf und knurrte. „Dummer Bär?“, fragte er und duckte sich für einen Sprung. Nobu hatte nur diese eine Chance und hoffte, sie nicht zu verpassen. Ergriff er sie nicht, … würde er den morgigen Tag nicht erleben. In seiner Kehle ballte er Luft, die er zusammen drückte. Es dauerte nicht mehr lange. An Taroxons Hinterläufern erkannte er, dass er zum Absprung bereit war und sich schon abdrückte. Nobu warf sich auf den Boden und wich mit einer geschickten Rolle aus. Dann sprang er wieder auf und rannte geradewegs zum Ausgang. Taroxon war gerade dabei, seinen viel zu wilden Sprung abzufedern, als Nobu seinen Schall los ließ und der Fels zersprang. Nobu war direkt am Felsen, als dies geschah. Doch er kam heil nach draußen und rannte an einem verdutzten Wolf vorbei, der sich sogleich verzog. Erneut sammelte Nobu Luft, blieb stehen und schleuderte den Schall auf die Decke, sodass das Gebilde einstürzte. Taroxon war vergessen und weit hinter ihm. Nun galt es, heil aus dieser Höhle und aus diesem Gebiet zu entkommen und das ohne die ganze Höhle einstürzen zu lassen. Er wollte nicht das Zuhause vieler Wölfe zerstören. So rannte er den Gang weiter und hörte auf die Naturgeräusche außerhalb der Höhle. So war es für ihn einfacher, den Weg zu finden. Auf seinem Weg kamen ihm Wölfe entgegen, die panisch flohen. Keiner kümmerte sich um ihn, denn es gab hier viele Wölfe verschiedener Abstammungen. Somit nutze er geschickt die panische Verwirrung. Er half sogar einigen Wölfen die Richtung zu deuten, die komplett die Orientierung verloren hatten. Sie folgten ihm bereitwillig. Kurz vor dem Ausgang musste er einen Felsen ausweichen, der neben ihm einem Wolf das Bein einquetschte. Heulend fluchte der Wolf auf. Da blieb Nobu stehen, drehte sich um und beseitigte den Felsen mit einem geschickten Schall. Dann trat er neben den schwarzen Wolf und half ihn hoch. „Danke“, murmelte er und beide traten hinaus ins Tageslicht. Doch anstatt stehen zu bleiben, führte Nobu den Wolf an den nahen Waldrand, damit dieser in Sicherheit war. Dort setzte er ihn behutsam an einem Baum ab. „Hier dürfte es sicher sein vor den ganzen Lawinen“, sagte Nobu und betrachtete den schwarzen Wolf. Er war jünger als Nobu und noch kleiner. Also noch ein Jungwolf. Doch er strotze vor Kraft und blickte ihn mit freundlichen, doch schmerzerfüllten Augen an. Nobu stupste ihn freundlich an. „Hey, komm schon. Dein Bein wird wieder. Du darfst es nicht zu sehr belasten!“ Doch Nobu wusste, dass er nie wieder richtig laufen konnte. „Danke“, sagte der schwarze Wolf dann doch. „Du hast mir das Leben gerettet. Ich bin dir was schuldig!“ Da lachte Nobu. „Nein, das bist du mir nicht. In der Not hilft man doch einander oder? Aber jetzt muss ich leider fort!“ Da drehte sich Nobu um und wollte gehen, doch ein leises „Warte!“ ließ ihn anhalten und er wandte sich um. „Ja?“, fragte Nobu freundlich. „Mein Name ist Seitz. Wie lautet deiner? Dass ich dir irgendwann einmal etwas zurückzahlen kann.“ Der Wolf war wirklich hartnäckig, doch Nobu machte dies nichts aus. Ganz nah ging er an den Wolf heran, stupste ihn nochmal sachte an und sagte: „Mein Name ist Nobu. Nobu der Schallwolf. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit dir!“ Da grinste der Schwarze und er wusste, mit wem er es zu tun hatte. Sein Grinsen wurde breiter und er rief: „Nun dann gute Reise wünsche ich dir. Raus aus dem Höllenloch!“ Und da lachten beide. Nobu war dankbar, dass er ihn nicht verriet. So waren sie quitt. Er hätte ihm seinen Namen nicht sagen brauchen, doch irgendwas in Nobu sagte ihm, dass er ihm trauen konnte. So drehte sich der Schallwolf nun gänzlich um und jagte in den Wald hinein. Weg von der Panik und der Höhle, die langsam einstürzte. Als er schon einige Meilen hinter sich gelegt hatte, wurde er langsamer. Seine feinen Ohren vernahmen einen wütendes Donnern und da wusste er, dass es noch lange nicht mit Taroxon zu Ende war. Erschöpft suchte er sich eine Schlafkuhle, wo er die Nacht verbringen konnte. Heute würde ihn keiner mehr verfolgen und er brauchte dringend Ruhe. Bald fand er eine und kuschelte sich ins Gras. Augenblicklich war er eingeschlafen, endlich wieder in der freien Natur. Um Sikona wirbelte der Schnee auf, als sie auf den fremden Wolf zuraste. Sie wusste nicht, was sie erwartete, doch sie hatte ein paar Fragen an ihn und wollte diesen Wolf unbedingt kennen lernen. Als sie am Hügel angekommen war, blickte sie nach unten. Ja, genau dort waren seine Fußspuren. Da drehte sie sich um und wedelte mit der Rute. „Kommt ihr nach?“, fragte sie und war schon wieder weg. Die Fußspuren führten steil nach unten und sie konnte den Wolf gar nicht mehr sehen. Doch das kümmerte sie nicht, sondern sie raste vergnügt weiter. Der Hügel entpuppte sich als eine Art Schlucht. Sie hatten gar nicht bemerkt, dass sich zu ihrer linken Seite eine so tiefe Furche im Boden öffnete. Die Wände wurden steiler und so entschied sich Sikona langsamer zu laufen und schlussendlich auf ihre Freunde zu warten. Diese trafen nacheinander ein. Zuerst Ruki, der ihr hinterher geflogen war, dann Yen und Nyrona. Esaila, Nurik und Kian bildeten den Schluss. „Was sollte das, Sikona? Jetzt weiß jedes Lebewesen im Umkreis von fünf Meilen, dass wir hier sind!“ Yen war wirklich wütend, doch er konnte es ihr nicht verübeln. Er war auch froh, endlich mal andere Wölfe zusehen. Doch sie wusste nicht, ob dies freundliche oder feindliche Wölfe waren. Sikona wurde ganz klein und verkroch sich fast im Schnee. „Tut mir leid, Yen. Aber er strahlte etwas freundliches aus und ich … konnte mich nicht mehr halten.“ Ruki landete neben ihr. „Schon gut, Sikona. Wir sind dir nicht böse. Aber ab jetzt müssen wir bedacht vorgehen, ja?“ Sikona blickte hoch zu Yen und sah, dass er ihr nicht mehr böse war. „Danke. Ja, okay. Lasst uns besprechen, wie wir weiter verfahren.“ Alle Wölfe kamen zusammen. Esaila ging zu Nurik, um ihn etwas zu wärmen. Die Gegend machte ihn so sehr zu schaffen, dass er das erste Mal in seinem Leben so richtig fror. „Also, so wie es aussieht, ist dieser Wolf nach unten in die Schlucht gelaufen. Dort wird auch seine Höhle liegen. Eigentlich sollten wir fremden Wölfen aus dem Weg gehen, doch ich möchte mich etwas über die Lage hier informieren. Deswegen sollten wir uns ihnen vorsichtig nähern. Was meint ihr war dieser Wolf für eine Art?“ Nyrona stand auf und sah sich die Pfotenabdrücke genauer an. „Wasserwolf, eindeutig. Da sind kleine Anzeichen von Membranen zwischen den Pfotenballen.“ Zur Demonstration öffnete sie ihre Pfote etwas und jeder konnte ihre Membranen sehen. „Also ein Wasserwolfrudel. Gut, das sind friedliche Artgenossen, aber es kann dennoch Ausnahmen geben. Wir müssen uns mit Vorsicht nähern. Ich weiß nicht, wie weit die Wölfe von Taroxon gekommen sind. Am besten schicken wir einen Spähtrupp aus, der die Gegend erkundet.“ Da blickte er zu Ruki und Sikona. „Ich glaube, das wäre eine perfekte Aufgabe für euch zwei. Vier Augen sind besser als zwei und so könnt ihr schon etwas üben. Was haltet ihr davon?“ Sikona war sofort Feuer und Flamme und lief schon zu Ruki. „So gut wie erledigt!“, rief sie freudig. Ruki sprang in die Luft, kam ganz nah zu Sikona und hob sie hoch. Vorsichtig flog er in die Schlucht hinein. Sikona war dieses Mal ganz still und konzentriert. Sie wollte diese Aufgabe unbedingt sehr gut erledigen. Es wurde etwas dunkler, je tiefer sie flogen. Bald merkten beide, dass der Boden nicht mehr weit war und somit mussten sie sich für eine Richtung entscheiden. Sie entschieden sich nach Osten zu fliegen, wo die Schlucht schmaler wurde. Kurz darauf kamen sie ans Ende der Schlucht. Sie sahen keinen Wolf oder irgendein Lebewesen, nur ein kleiner Eingang zu einer Höhle im Felsen. „Ah, das muss ihre Höhle sein. Siehst du die Pfotenspuren im Schnee?“, rief Sikona zu Ruki, der bestätigend nickte. „Los, lass uns umkehren.“ Als sie wieder bei den anderen waren, berichteten sie von ihrem Spähausflug. „Gut gemacht ihr zwei. Nun wissen wir in welche Richtung wir laufen müssen. Doch bedenkt, dass ist nicht unser Gebiet. Die Wölfe hier kennen sich viel besser aus und wir haben nur einen Eis- und einen Wasserwolf unter uns!“ Alle nickten und schon marschierten sie nach Osten los. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit für Sikona, bis sie unten angekommen waren. Am liebsten hätte sie Ruki gebeten jeden von ihnen nach unten zu fliegen. Doch spätestens, wenn Nurik an der Reihe gewesen wäre, hätte es Probleme gegeben. Bei ihr und ihren Schwestern wäre das nicht der Fall gewesen. Außer, dass Esaila lieber festen Boden unter den Pfoten hatte und Nyrona abrutschen könnte, ist Sikona die Einzige, die mit Ruki fliegen konnte. Yen war zu groß und Kian einfach nur zu mürrisch. So liefen sie im vorsichtigen Marsch nach unten. Als sie endlich den Boden erreicht hatten, war es fast komplett dunkel. Dank Nuriks Ausstrahlung konnten sie noch etwas sehen. „Ich glaube nicht, dass es ratsam wäre jetzt in die Höhle zu laufen“, sagte Kian und blickte nach Osten, wo er kaum etwas erkennen konnte. „Sie könnten uns einfach angreifen, ohne, dass wir es wollten und wir eine Chance hätten, uns zu erklären.“ Yen nickte. „Ja, darum schlage ich vor, dass wir uns hier eine kleine Nische in der Wand suchen und uns ausruhen bis morgen früh, wenn es heller ist.“ Keiner erteilte einen Widerspruch. Alle waren erschöpft und wollten sich nur noch hinlegen. Als Sikona sah, wie sehr Nurik mit der Kälte kämpfte, trat sie zu ihm. „Komm ich vertreib etwas die Kälte bei dir.“ Sie hatte nicht nur die Macht Kälte zu erzeugen, sondern sie auch zu kontrollieren. Somit strahlte sie angenehme 0° aus und hoffte Nurik vor einem Kälteschauer zu bewahren. Dann legten sich alle hin, selbst Verox kam von den Wolken herunter und legte sich in die Nähe von Yen. Ruki, der die meiste Zeit geflogen war, übernahm die erste Wachschicht. Bald schliefen alle ein. Auch Nurik, dem es bei Sikona nun besser ging. Dennoch schlief von allen wohl Sikona am besten. Die Kälte fühlte sich an wie ein warmer Schauer. Ruki blieb wachsam und lag vor allen anderen. Er spitze die Ohren, doch es waren viele neue Geräusche dabei. Oft hörte er ein Knacksen und dachte zuerst, da näherte sich ihnen etwas, doch dann musste er erleichtert feststellen, dass dies nur das Knacksen des Eises war, dass sich langsam bewegte. Nach einiger Zeit schloss er etwas die Augen, doch dann wurde er schlagartig von einer kleinen Windwehe getroffen und sofort sprang er auf. Hier unten wehte kaum Wind. Sofort senkte er seinen Kopf und knurrte. Erneut kam der Wind zu ihm und trug dieses Mal einen Geruch mit sich. „Wacht auf!“, sagte er und stupste Yen mit der Schnauze an. Dieser war sogleich hellwach und stellte sich neben seinen Freund. Langsam erwachten alle anderen, auch Sikona die sich verschlafen umblickte. Bei der nächsten Windböe konnten sie alle es riechen: Jemand war hier und war nicht alleine. „Sie machen keinen Hehl daraus, im Stillen zu uns zu kommen“, meinte Ruki, denn er wusste, dass diese Wölfe den Wind verursachten, indem sie angerannt kamen. „Nein, wieso sollten wir auch. Dies ist unser Gebiet“, erklang eine tiefe Stimme direkt vor ihnen. Nurik trat neben Ruki, um die Gegend etwas besser zu erleuchten. Vor ihnen konnten sie nun drei schleierhafte Gestalten erkennen. „Ihr greift uns lieber nicht an. Wir sind euch zahlenmäßig überlegen“, sagte die Stimme erneut. „Ich denke, wir glauben ihm einfach mal“, knurrte Ruki. „Wir wissen nicht, ob er blufft. Sie hätten uns auch gleich angreifen können, also macht nichts unüberlegtes.“ „Was wollt ihr hier in unserem Gebiet, fremde Wölfe. Wieso verfolgtet ihr einen meiner Rudelmitglieder?“, wollte die Stimme sogleich wissen. Yen hob seinen riesigen Kopf und trat einen Schritt nach vorne. „Wir wollen euch nichts böses und kommen in Frieden. Es tut uns leid, wenn wir eure Ruhe gestört haben. Doch wir haben einige Fragen.“ „Woher sollten wir wirklich wissen, dass ihr nicht diejenigen seit, die die Rudel zerstören?“ Misstrauen klang eindeutig in dieser Stimme mit. Yen konnte es verstehen. Ein Rudelführer versuchte stets sein Rudel zusammenzuhalten. „Hätten wir gleich euer Rudel gewollt, wären wir auf direkten Weg zu euch gekommen und hätten keine Sekunde ausgelassen, um euch anzugreifen.“ Dies war eine schlaue Bemerkung und daraufhin entstand eine kurze Stille. Yen hoffte sogleich, das Misstrauen gebrochen zu haben, doch da irrte er sich. „Wieso sollte ich einem Wolf glauben, dessen Fell genauso dunkel ist, wie das der Herumstreifer?“ Yen seufzte. „Mein Fell ist nicht komplett schwarz. Falls ihr das nicht richtig erkennen könnt, hab ich auch weiße Stellen! Ich habe noch nie von einem Finsterniswolf gehört, der weißes Fell hat.“ Da hörte er ein spöttisches Lachen. „Da hast du allerdings Recht. Nun sagt mir, wie ihr heißt!“ Jetzt grinste Yen. „Na bitte! Mein Name ist Yen von keine-Ahnung-woher. Das neben mir ist Ruki ein Windwolf und kommt aus dem weiten Westen. Dahinter steht Kian aus dem Süden. Der Adler heißt Verox und ist mein Freund. Die anderen vier sind Geschwister und heißen Nyrona, Esaila, Nurik und Sikona und kommen aus dem westlichen Gemischtrudel unter der Führung von Kito.“ Als er dies sagte, kam Unruhe in die Wölfe vor ihnen. Es waren tatsächlich mehr, als sie sehen konnten. „Von Kito sagst du? Sind das seine Kinder?“ „Ja, das sind wir!“, sagte nun Nurik und trat vor. „Kommt her Schwestern.“ Sie taten wie geheißen. Nurik strahlte eine solche Ausstrahlung aus, dass er 10 Meter weit leuchtete. „Ahhh, ich kann es erkennen. Du hast das gleiche Feuer in den Augen wie dein Vater. Gut, ich glaube euch. Bedankt euch bei den vier Welpen! Das westliche Gemischtrudel ist uns sehr wohl bekannt, vor allem Kito ist ein alter Freund von mir. Wir werden euch zu unserer Höhle führen, denn bald kommt die Zeit, wo es hier kein Wolf aushält. Es wird zu kalt. Dass ich euch glaube, heißt noch lange nicht, dass ich euch vertraue!“ Der letzte Satz war eher eine Warnung und somit kamen alle zusammen. Verox erhob sich kreischend in die Lüfte, doch er blieb in der Nähe. Sie hörten, wie sich um sie herum Wölfe regten und da wurden sie auch schon flankiert. Nyrona japste erfreut. Es waren alles Wasserwölfe. Der Rudelführer kam auf Yen zu. Es war ein groß gewachsener Wasserwolf, der mehr grünliches Fell hatte, als Nyrona. Dennoch reichte er Yen nur bis zur Brust. Dies hielt ihn aber nicht auf, stolz voranzuschreiten. Direkt vor ihm blieb er stehen. „Mein Name ist Rejn, vom östlichen Wasserrudel aus der Schlucht. Nun folgt mir bitte!“ Gesagt getan. Sie folgten dem Führer schweigend. Es war komisch, in einem fremden Gebiet zu sein. Langsam kroch die Kälte in jeden Knochen. Alle außer Sikona begannen zu zittern. Dem Anführer fiel dies auf und blickte Sikona neugierig an. „Du musst Sikona sein, die Eiswölfin. Eine von zwei seltenen Elementen aus dem Wurf von Kito und Marika!“ Sikona blickte Rejn verwirrt an. „Woher kennt ihr euch so gut aus?“ Da lachte Rejn das erste Mal richtig herzlich. Von da an wussten sie, dass er nur so streng war, da er ihnen anfangs lieber mit Vorsicht begegnet war. „Nun, er hat es mir vor vier Monden selbst erzählt“, erklärte Rejn und ging an die Spitze der kleinen Formation. Da blickten sich die Geschwister zuerst verwirrt und dann freudig an. Ihr Vater lebte oder hatte dies zumindest vor vier Monden getan. Freude kam auf und sie marschierten mit erhobenen Ruten hinter den Wasserwölfen her. ~~Der Widerstand Ende ~~ Wird Nobu seinen Weg finden? Was erwartet die Gruppe bei den Wasserwölfen? Wieso war Kito vor vier Monden bei Rejn? Eine Reise ins Ungewisse, auf beiden Seiten. Kapitel 16: Die Begegnung ------------------------- ~~Die Begegnung~~ Am nächsten Tag wurde er vom Zwitschern der Vögel geweckt, die um ihn herum flogen. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. >Es ist herrlich, wieder in der freien Natur zu sein!< Langsam erhob er sich von seiner Schlafkuhle. Er war gestern Nacht nicht weit gekommen. Ihm war es zu gefährlich, hier in dieser Gegend zu bleiben. Wenn Taroxon sein Fehlen bemerkte, so konnte er sich wahrlich vorstellen, dass dieser einen Suchtrupp organisieren würde, sobald sich wieder alles im Rudel beruhigt hatte. So wandte er sich Richtung Süden, in die Mitte von Daromi. Dort musste es doch noch nette Wölfe geben! Doch das Laufen bereitete ihm Schmerzen. Die Gefangenschaft war kein Zuckerschlecken gewesen. Dennoch hatte er dort den ganzen Tag nur gelegen. Jetzt, da er durch den Wald lief, spürte er jeden einzelnen Muskel und Knochen. Seine Gliedmaßen reagierten nicht so flott, wie er es gewohnt war und auch hatte er sehr viel von seinem Gewicht einbüßen müssen. Die nächste Hürde war, dass er unterwegs etwas zum Fressen finden musste. Sein Magen war schon seit Tagen leer. Doch er war ein Überlebenskünstler. Wenn man nur durch fremde Gebiete herum streift, konnte man schlecht große Jagd machen. So hatte er auch gelernt, sich von der Umgebung zu ernähren. Zwar war es ungewohnt, dass ein Wolf Pflanzen fraß, doch diese konnte er genauso verdauen wie Fleisch, auch wenn er häufig schon die ein oder andere falsche Pflanze erwischt hatte. Somit hielt er, als er durch den Wald lief, Ausschau nach Essbarem. Um ihn herum waren hohe breite Bäume, die kaum Licht durch ihr riesiges Blätterdach warfen. Da hatten natürlich die unteren, kleineren Pflanzen kaum eine Chance zu überleben. Nobu wusste auch, dass er hier bei diesen Bäumen Gefahr lief, leicht entdeckt zu werden. Sie standen nicht so nah, dass man sich leicht zwischen ein paar hätte verstecken können. >Ein undankbares Land für mich<, dachte Nobu seufzend. Doch es half alles nichts. Er musste hier durch. Früher war er schon einmal hier gewesen und wusste, dass der Wald sich bald lichten würde und es dort einfacher war, etwas Essbares zu finden. Von Moos, Rinde und Laub wollte sich Nobu nicht ernähren. Dennoch spitze er die Ohren nach hinten. Dank seines hervorragenden Gehörs macht es für andere Wölfe fast unmöglich sich anzuschleichen. Er konnte sie schon meilenweit hören, wenn er sich anstrengte. Die Umgebung beruhigte ihn und somit genoss er es, endlich wieder in der freien Natur zu sein. Somit vergaß er bald seinen geschundenen Körper und die Wölfe hinter sich. Ein Grinsen stahl sich sogar gelegentlich auf seine Lefzen. Immer flotter kam er voran. Das Gelände war eben und trocken. Irgendwann fiel er in einen vorsichtigen Trab. Seine Muskeln protestierten zwar, doch er wusste, wenn er sie nicht anstrengte, würde er nie wieder zu seiner alten Kraft zurück finden. Außerdem konnte etwas Schmerz nicht schaden. Bald hörte er mit seinen größeren Ohren ein Rauschen. Sogleich wusste er, dass dies nur eines zu bedeuten hatte: Ein Fluss! Leider war das Rauschen noch weit entfernt. Durch jahrelanges Üben hatte er gelernt, mit seinen großen Ohren die Entfernungen der Geräusche zu deuten. Nützlich war diese Fähigkeit für das Überleben allemal. Nobu wusste, wenn er immer Richtung Süden lief, kam er an diesen Fluss. Wo so große Bäume wuchsen, mussten auch genügend Wasser sein. Bald konnte er nicht mehr lange im Trab laufen und fiel wieder in ein leichtes Schritttempo. Die Sonne stand bald an ihrem höchsten Punkt, als die Bäume immer breiter wurden und die Wurzeln immer größer, sodass sie kleine Höhlen bildeten und das Gestrüpp unter den Bäumen immer dichter. Das Rauschen wurde nun stetig lauter. Endlich kam er dem Fluss näher und seine Chancen, etwas Essbares zu finden, stiegen. An einem Busch Brombeeren blieb er stehen. Sofort stürzte er sich auf die Beeren. Der rote Saft lief von seiner Schnauze und hing sich in seinem Fell fest. Bald schon war der Wolf an manchen Stellen rot gefärbt. Nobu kümmerte dies wenig. Die Beeren waren saftig und schmeckten sogar. Da musste er sich einfach vollfressen. Als er sein Mahl beendet hatte, schleppte er sich vollgefressen weiter Richtung Fluss. Dieser war nicht mehr weit entfernt. Dort angekommen, spitzte Nobu vorsichtig die Ohren. Der Fluss war so laut, dass sich leicht Gegner an schleichen konnten, die das rauschende Geräusch leider übertönte. Dennoch wagte sich Nobu dicht an den Fluss heran und ging einige Meter vorsichtig hinein, um noch sicheren Stand zu haben. Das kühle Wasser umspülte seine Beine und säuberten den gröbsten Dreck. Vorsichtig begann der Schallwolf zu trinken. Als er fertig war, ging er aus dem Wasser und legte sich unter einen nahen Busch. Nicht das beste Versteck, doch das beste in seiner momentanen Lage. Vorsichtig begann Nobu, sich sauber zu machen. Der ganze Dreck von der Gefangennahme hing noch in seinem Fell und auch der rote Beerensaft. Alles hatte der Fluss nicht wegspülen können und auch seine Putzversuche lösten nicht den schlimmsten Dreck. Dennoch sah er danach viel besser aus. Nicht mehr wie ein wandelnder dreckiger Geist. Da es sich mit vollem Magen kaum weit laufen ließ, entschied sich Nobu dazu, ein kleines Schläfchen zu machen. Er fühlte sich sicher und geborgen und bald war er eingeschlafen und träumte. In seinem kurzen Traum sah er zwei Wölfe. Beide waren dunkel und spielten miteinander auf einer Wiese. Er kannte sie nicht, doch träumte er nicht das erste Mal von ihnen. Erst vor Kurzem hatte er beide schon einmal auf einen Berg steigen sehen. Damals hatte er beide von oben beobachtet, wie ein Vogel auf dem Wind, doch dieses Mal war es so, als würde er im Gras auf der Lauer liegen und beiden zusehen. Es war ein fröhliches und vertrautes Gerangel. Also kannten sich beide gut. Es kam ihm so vor, als würde er beiden schon seit Stunden zuschauen und sich von ihren Spielen angezogen fühlen, doch traute er sich nicht, mitzumachen. Irgendwann begann das Gras in seiner Nase zu kitzeln und da musste er niesen. Plötzlich wachte er auf und beobachtete noch, wie ein Eichhörnchen davon hüpfte. >Diese Tiere waren schon immer dreist gewesen!< Hatte es einfach mit seinem Schwanz vor seiner Nase herum gewedelt. Oder besser gesagt, es ging auf Futtersuche! Egal, jetzt war er wach und konnte weiter laufen. Seine Beine gehorchten ihn schon viel besser. Vorsichtig spähte er in den Himmel. Es war schon fast Abend. Dies war ein gutes Zeichen. In der Nacht fühlte er sich sicherer. So lief er in die Abenddämmerung hinein und folgte dem Fluss. Er lief entgegen der Strömung, in der Hoffnung, bald eine Stelle zu finden, die nicht so tief war. Zwar konnte er schwimmen, doch wollte er nicht, dass die Strömung ihn mitriss. Es dauerte lange, bis er endlich eine gefunden hatte. Die Nacht war hereingebrochen, als er vorsichtig ins Wasser watete. Immer tiefer ging es, bis das Wasser ihm bis zum Hals reichte. Dennoch konnte er am tiefsten Punkt noch stehen. Schnell watete er ans andere Ufer. Dort schüttelte er das nasse Grauen aus seinem Fell. Er folgte dem Fluss ein Stück, bis er eine dichte Baumgruppe erreichte. Er ging etwas weiter hinein. Langsam wurde er müde und musste sich ausruhen. Die anderen Wölfe werden ihn hier sicher nicht finden. Nobu buddelte sich an einer großen Buche eine Kuhle in die Erde, damit er vor Wind und Wetter etwas geschützt war. Eine Höhle würde er bevorzugen, doch die fand sich im Wald selten. Als die Kuhle tief genug war, suchte er seine Umgebung erneut nach Essen ab, doch fand er dieses Mal nichts Gutes. In der Kuhle machte er es sich gemütlich, spitze seine großen Ohren und versuchte zu schlafen. Dies gelang ihm auch bald. Der Marsch machte Nobu zu schaffen. Doch sein Schlaf dauerte nicht lange, da wurde er von einem seltsamen Geräusch geweckt. Sofort hob er den Kopf und lauschte in die Richtung. Nein, er täuschte sich nicht. Es war ein Gelächter und zwar von zwei Wölfen. Vorsichtig erhob er sich und ging geduckt zum Baum. Beide Wölfe waren noch weit weg. Sein Gehör hatte ihn rechtzeitig gewarnt. Nobu überlegte, ob er gleich davonlaufen oder warten und sich ihnen stellen sollte. Er blieb noch etwas hinter dem Baum und lauschte. Es war komisch, dass sie lachten und nicht versuchten, sich still an ihn heranzuschleichen. Da beschloss Nobu, beide Wölfe vorbeiziehen zu lassen und zu beobachten. Doch die Rechnung ging nicht auf. Die beiden Wölfe steuerten genau auf sein Versteck zu. Nun sah er keinen Ausweg. Er war in einer Zwickmühle. >Wäre ich doch schon eher geflohen, ich Dummkopf!< Mit einem Knurren sprang er hinter dem Baum hervor, direkt vor die beiden Wölfe. Diese beiden wurden sofort still und blickten zu Nobu. Beide waren vom Fell her fast schwarz wie Finsterniswölfe. Nobu duckte sich tief auf den Boden, stellte sein Fell auf und knurrte aus tiefster Kehle. >Sie waren doch hinter mir her!< Eine von den beiden Wölfinnen, ja es waren Weibchen, war kleiner als die andere. Sie hatte einen braunen Unterkiefer, braune Ohren und einen ebenso farbigen Hals. Im Gegensatz dazu waren ihre Hinterläufe rot. Die größere Wölfin hatte ganz im Gegensatz zur Kleineren einen braunen Kopf und einen braunen Nacken. All ihre Füße waren rot und ihr Schweif grau. Dass beide Wölfe fast die selben Farben hatten, schloss Nobu, dass es sich um Geschwister handelte.Um genau zu sein, um Geschwister eines Finsternisrudels mit feurigen Genen. Ein Grund mehr, kritischer zu sein. Nobu machte einen bedrohlichen Schritt nach vorne. Sofort zog die kleinere Wölfin den Schwanz ein und trat einen Schritt zurück. Die andere blieb stehen. „Yolja, was ist das für ein Wolf?“, wollte sie dann wissen und wandte den Kopf zu ihrer kleinen Gefährtin. „Ich rieche Angst.“ „Ich weiß es nicht. Er sieht ziemlich mitgenommen aus, ist grau und grün und das Eigenartigste an ihm ist, dass er zwei Ohren mehr hat. Zudem sieht er noch sehr bedrohlich aus, was du ja wohl am Knurren hören kannst. Ich glaube, wir sind in sein Gebiet eingedrungen.“ Da stutzte Nobu und sein Blick fixierte sich auf die größere Wölfin, die wieder nach vorne blickte. So etwas hatte er noch nie bei einem jungen Wolf gesehen: Ihre Augen blickten leer zu ihm, sie waren trüb. Es traf Nobu wie ein Schlag. Die größere Wölfin war blind. Einer blinden Wölfin konnte Nobu nichts tun und so lockerte er seine drohende Stellung. Das Knurren stellte er ganz ein und richtete sich etwas auf. Dennoch traute er ihnen noch nicht ganz. „Wer seid ihr?“, wollte Nobu dann wissen. Die Wölfin namens Yolja drehte verwirrt den Kopf. „Wohl eher können wir dich fragen, wer du bist und was du hier zu suchen hast. Sei nicht so unhöflich. Außerdem bist du verletzt und wir in der Überzahl.“ >Na, jetzt werden sie auch noch frech!<, dachte Nobu und fragte: „Kommt ihr vom nördlichen Finsternisrudel? Wenn ja, werdet ihr mich definitiv nicht bekommen!“ „Nun hör mal, du frecher Wolf“, begann die andere Wölfin. „Wir streifen hier schon seit langem herum und wir gehören definitiv nicht zu diesem dreckigen Pack Finsterniswölfe! Dies war früher unser Gebiet, bevor es uns streitig gemacht wurde. Eigentlich hatten wir kein richtiges Gebiet, da wir nur zu zweit sind, doch wir kennen jeden Winkel dieses Stückchen Landes und du gehörst hier nicht rein. Also stelle keine so dummen Fragen.“ Nun war Nobu verwirrt. „Ihr überlebt nur zu zweit und das schon euer Leben lang? Ihr lebt neben einem der größten Rudel, die es gibt?“ „Ja, bis vor kurzem schon, doch was geht dich das an. Was hast du hier zu suchen und wieso bist du gleich so aggressiv zu einer kleinen Wölfin und einer Blinden?“ Nach dieser Predigt fühlte sich Nobu schlecht und er gab nun gänzlich seine bedrohliche Pose auf. Die beiden Wölfinnen wollten ihm nichts Böses. Eher im Gegenteil: Sie waren genauso arm dran wie er. „Nun ...“, begann er. „Es tut mir leid. Ich wollte nicht gleich so unhöflich sein. Doch ihr müsst wissen, ich werde verfolgt.“ Yolja schnaubte. „Okay, dir sei verziehen. Doch von uns wirst du definitiv nicht verfolgt. Wer sind denn deine Verfolger und wieso?“ Nobu überlegte kurz, ob er ihnen alles sagen sollte, beschloss aber dann, dass es nicht schaden könnte. Sie waren wie er: Streuner. „Ich werde es euch erzählen. Lasst uns etwas zu der Baumgruppe gehen, sonst fühle ich mich so ungeschützt.“ Der graue Wolf drehte sich um, ging zu den Bäumen und legte sich erschöpft in seine Kuhle bei den Wurzeln. Yolja und ihre Schwester folgten ihm und machten es sich in seiner Nähe gemütlich. „Ich denke, ich fange damit an, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Nobu. Ich bin schon lange ein Streuner. Als ich bei meinem Geburtsrudel zu Besuch war, wurde dieses vom nördlichen Finsternisrudel angegriffen. Sie wüteten, es war … grauenvoll.“ Nobu wollte nicht dran denken. Die Erinnerung war noch zu frisch. „Ich kämpfte, doch es nützte nichts. Anstatt mich zu töten, nahmen sie mich gefangen. Sie brachten mich zu ihrem nördlichen Sitz und sperrten mich ein. Tage, Wochen, Monate, ich weiß nicht, wie lange ich eingesperrt war. Ich wurde gefoltert. Man erkannte meine Fähigkeiten und wollte mich auf ihre Seite ziehen. Zuerst freundlich, doch dann mit Gewalt. In die Details möchte ich nicht gehen. Gestern ergab sich meine Chance, endlich zu fliehen. Ich stiftete Chaos in dem Rudel und machte mich aus dem Staub. Nun habe ich Angst, verfolgt zu werden, was ich sicher werde. Deswegen habe ich euch verdächtig. Es tut mir leid, wenn ich das ohne Grund getan habe.“ Die beiden Wölfinnen hatten gespannt zugehört. Es dauerte, bis jemand das Wort ergriff. „Oh, dass tut mir leid.“ Yolja senkte ihren Kopf. „Weißt du, mir und meiner Schwester Solijia ist etwas Ähnliches passiert. Nur, dass unser Rudel nicht erst vor kurzem ausgelöscht wurde, schon direkt nach unserer Geburt.“ „Na, dann haben wir ja etwas gemeinsam.“ Nobu legte seinen Kopf auf seine Vorderpfoten. „Bin ich froh das ihr keine bösen Absichten habt.“ Langsam wurde Nobu müde. Seine Augen wurden schwerer, bis er etwas zu dösen anfing. Da hörte er ein leises Räuspern. „Dir geht es nicht gut? Hast wohl viel durchgemacht.“ Yolja war, ohne, dass Nobu es gemerkt hatte, ein Stück zu ihm gerutscht. Da hob der graue Wolf wieder den Kopf und spitzte alle Ohren. „Nein, ich bin etwas angeschlagen. Doch das hält mich nicht auf, so schnell es geht nach Süden zu fliehen.“ Erst da bemerkte Nobu den seltsamen Blick der schwarzen Wölfin. „Wow … das sind wirklich vier Ohren.“ Ein Grinsen stahl sich auf Nobus Gesicht und er klappte die größeren Ohren nach hinten. „Die kann ich sogar unabhängig voneinander bewegen.“ Yolja kroch ein Stück näher. „Kann ... kann ich mal mit der Nase dran … schnuppern?“ Da lachte Nobu laut auf. „Klar, aber beiß sie mir nicht ab.“ Er neigte den Kopf, Yolja kroch ganz nah und beschnupperte vorsichtig seine Ohren. „Jap, sind echt. Sag mal, was kannst du damit machen?“ „Ich höre mit den Größeren besser als andere Wölfe, die Kleineren sind dafür da, dass ich laute Geräusche einfach ausschalten kann. So kann sich schwer ein Wolf an mich heranschleichen. Sie sind auch der Grund, weshalb ich euch schon erwartet habe.“ Yolja stand auf und legte sich wieder neben ihre Schwester. „Solijia hat auch ein unglaublich gutes Gehör. Das kam aber durch ihre Blindheit. Wenn ein Organ ausfällt, schult man automatisch ein anderes und es wird sensibler.“ Nobu nickte. „Ich verstehe.“ Er wandte sich an Solijia. „Bist du schon seit der Geburt blind?“ „Ja, bin ich. Meine Welt ist schwarz und grau. Doch das schadet mir nicht, solange ich meine anderen Sinne habe. Das musst du am besten wissen. Deine Augen bedeuten dir weniger als deine Ohren.“ Erneut lachte Nobu. „Ja und meine Stimme, denn mit dieser kann ich kämpfen.“ Yolja legte verwirrt ihren Kopf schräg. „Heulst du so grauenvoll?“ „Nein, das nicht. Ich kann mit meiner Stimme unterschiedlich laute Geräusche erzeugen. Zudem kann ich jedes Geräusch imitieren. Als ich geflohen bin, habe ich sozusagen einen Schall genau an eine bestimmte Stelle am Felsen platziert. Und diese Kraft kann ich überall einsetzen.“ Nobu dachte an den Felsen, der zerschmettert war, wie die ganze Höhle erbebte und die Wölfe im Chaos geflohen sind. >Wie es wohl Seitz ergangen ist?<, fragte sich Nobu und dachte dabei an den Wolf, den er bei der Flucht geholfen hatte. Dieser gehörte zwar zum feindlichen Rudel, aber nicht jeder Wolf war gleich und, da Nobu ein weiches Herz hatte, konnte er Seitz unmöglich in der einstürzenden Höhle liegen lassen. „Das erklärt natürlich auch, wieso du so wichtig für dieses Rudel warst“, schloss Yolja nach der Erklärung. „Ein gefährlicher Wolf auf freien Pfoten wird mehr gefürchtet als ein eingeschlossener. Sie wollten dich sicher für ihre Sache gewinnen.“ „Ja, das wollten sie, doch sie bekamen meinen Willen nicht. Ich unterwerfe mich nicht solchen Wölfen mit solch widerlichen Weltansichten!“ Ein Knurren kam seine Kehle hoch, doch er unterdrückte es. Der graue Wolf hatte so einen Hass auf seine Peiniger. Doch seine Rache wird später kommen. Seine sonst so friedliche Art kam da in den Hintergrund. Er duldete es nicht, dass die Welt, die er so liebte, aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Kurz schüttelte er seinen Kopf. „Doch was ist mit euch beiden? Ihr lebt hier, ganz in der Nähe dieses Rudels und ihr habt keine Angst, erwischt zu werden?“ „Doch, das haben wir. Aber wer kümmert sich denn schon um zwei einsame Wölfinnen, eine darunter blind? Wir stellen keine Bedrohung dar. Doch dieses Rudel schon. Früher hatten wir mehr in den Bergen gelebt. Etwas östlich vom nördlichen Finsternisrudel. Doch dann begannen die Raubzüge und wir mussten uns nach Süden begeben. Immer weiter wurde unser kleines bescheidenes Gebiet verdrängt. Doch verlassen haben wir das Gebiet nie gänzlich.“ Das kam Nobu komisch vor. Sein Leben bestand nur aus Wandern und Auskundschaften. Er kannte kein anderes Leben. Immer etwas Neues entdecken, das war sein Leben. „Aber warum habt ihr nie euer Gebiet ganz verlassen? Ich meine, ihr lebt neben einer Bedrohung. Das wisst ihr doch genauso gut wie ich!“ Da wurden beide Wölfe still. Yolja blickte zu ihrer Schwester und seufzte. „Nun, du musst wissen, wir beide kennen nichts anderes. Hier ist das Gebiet, wo wir geboren wurden und auch das Gebiet, wo wir uns beide wieder getroffen haben. Als wir noch Welpen waren, wurden wir beide getrennt. Solijia wurde einer anderen Wölfin zugeschoben, weil unsere Mutter kaum Milch hatte. Diese Wölfin wurde kurz darauf aus dem Rudel verbannt und nahm sie mit. Wir fühlen uns hier wohl, auch mit dieser Bedrohung. Außerdem, wie sieht denn die Welt da draußen aus? In jedem Teil des Landes gibt es andere Bedrohungen. Also nenne uns einen Grund, wieso wir von hier fort gehen sollten.“ Nobu wusste, dass es stimmte und schloss erschöpft die Augen. „Ja, ihr habt recht.“ Dennoch wäre eine Begleitung besser als keine. Er war jahrelang ein Einzelgänger gewesen, doch in diesen harten Zeiten wäre es besser, nicht alleine durch die Weltgeschichte zu laufen. Als er beinahe einschlief, kam ihm eine Idee. Er öffnete die Augen. Yolja und Solijia lagen beide zusammengerollt unter einem nahen Baum. „Ich kenne jemanden, bei dem ihr sicher wärt. Also noch sicherer als irgendwo anders.“ Beide Wölfinnen horchten auf. „Sie ist eine alte Wölfin. Doch ihr Alter hat nichts mit ihrem Können zu tun. Blind ist sie schon lange, wenn nicht sogar schon ihr ganzes Leben lang, so wie du Solijia. Sie lebt in einem alten, großen und geheimnisvollen Wald. Dieser Wald wird „Wald der Unendlichkeit“ genannt. Seinen Namen verdankt er dadurch, dass jeder, der sich in dem Wald aufhält, ein anderes Zeitgefühl bekommt. Der Wald hält jeden Wolf so lange gefangen, wie er will. Sucht man ein bestimmtes Ziel, kann der Wald es selbst bestimmen, ob man es erreicht oder nicht. Genau in der Mitte dieses Waldes hat diese Wölfin ihre Höhle. Es scheint so, als würde der Wald sie beschützen. Ich finde, ihr solltet dorthin gehen. Sie ist eine herzensgute Wölfin, auch wenn sie es nicht immer zeigt. Doch kann man von ihr wahnsinnig viel lernen und gleichzeitig schützt einen der Wald der Unendlichkeit.“ Nach seiner Ansprache wurde es still. Beide Wölfinnen blickten sich an und schienen über sein Angebot nachzudenken. Nobu war dies nur Recht. Er wollte den beiden nur helfen. „Und wenn ihr wollt, bringe ich euch persönlich zu der Wölfin. Ich war schon dreimal bei ihr und ich kenne mich in ganz Daromi aus. Zu ihr wäre sowieso mein nächster Weg gewesen.“ Erneut überlegten die Geschwister. „Dein Angebot hört sich gut an, Nobu. Lass uns die Nacht darüber schlafen. Du musst wissen, wir sind nie weit von diesem Gebiet entfernt gewesen. Hier ist unsere Heimat. Aber es stimmt, was du gesagt hast. Es wird immer gefährlicher für uns“, meinte Solijia dann und legte ihren Kopf auf die Vorderpfoten. „Nur keine Hektik. Morgen früh werde ich aber schon wieder weiterlaufen. Ich habe Angst, dass mich meine Verfolger bald einholen werden.“ Auch Nobo legte sich zum Schlafen hin. Yolja blieb weiterhin wach. „Du musst keine Wache halten. Meine Ohren sind auch in der Nacht scharf und seltsame Geräusche wecken mich. Ich bleibe wachsam, vertraue mir.“ Yolja nickte und schon bald war sie wie ihre Schwester eingeschlafen. Es dauerte nicht lange, da folgte Nobu ihrem Beispiel. Diese Nacht schlief er richtig gut. Die Vögel zwitscherten, bis die Uhus am Abend ihr Lied fortsetzten. Doch Nobu störte dies nicht und so schlummerte er beruhigt weiter. Am nächsten Morgen wurde er von Flüstern geweckt. Verwirrt öffnete er ein Auge und sah, dass sich die beiden Schwestern leise unterhielten. Damit er nicht lauschte, schloss er seine beiden Ohren und tat so, als würde er weiterschlafen. Irgendwann wurde er durch leichtes Stupsen geweckt. Yolja stand über ihm. „Guten Morgen, du Schlafmütze. Es ist schon lange hell.“ Nobu streckte sich und gähnte. „Oh, danke. Der Schlaf tat richtig gut.“ „Das hat man gesehen“, lachte Yolja und ging zu ihrer Schwester. „Wir haben uns entschieden, mit dir zu gehen. Wir vertrauen dir und außerdem brauchst du Hilfe und wir können dich nicht alleine durch die Welt streifen lassen. Wo sollst du denn was zu Fressen jagen?“ Da lachte Nobu. „Ich bin ein Überlebenskünstler. Ich brauche nicht zu jagen, um satt zu werden. Die Natur gibt mir das, was ich brauche. Seht her.“ Nobu ging an den Baumstamm, wo ein komisches Farngewächs wuchs. „Diese Pflanze kann man einfach essen. Sie schmeckt leicht bitter, sättigt aber!“ Damit die beiden ihm glaubten, biss er sich ein Stück ab und kaute darauf herum. „Seht, nicht giftig.“ Er blickte zu den Geschwistern, die neugierig ihre Köpfe zu ihm wandten. „Das ist nicht dein Ernst, dass du Pflanzen frisst?“, fragte Solijia. „Doch. Wenn man alleine unterwegs ist, ist das irgendwann notwendig. Aber ich verlange es nicht von euch.“ Da ging Yolja zu dem Baum und nahm vorsichtig ein Blatt ins Maul. Sie kaute erst zögernd darauf herum und schluckte es dann. „Also, schlecht ist es nicht. Meine Leibspeise wird es dennoch nicht. Ich bin dafür, dass wir unterwegs jagen. Das geht ganz leicht, wenn wir etwas finden. Du wirst schon sehen. Denn auch ich habe eine besondere Fähigkeit.“ Nobu legte neugierig den Kopf auf die Seite. „Auch eine Fähigkeit, so wie ich den Schall beherrschen kann? Bist du ein Elementarwolf?“ „Jap, ich bin einer, doch ich beherrsche weder das Licht, die Erde, das Wasser, die Finsternis, das Feuer noch die Luft. Lass es mich dir zeigen. Pass gut auf.“ Grinsend trabte Yolja an Nobu vorbei und ging zu einer kleinen Blume. Es war ein Löwenzahn, der noch seine Samen trug. Sie beugte sich ganz weit nach unten und pustete mit voller Kraft die Samen vom Stängel. Einige flogen schnell auf Nobu zu. Aus Reflex schloss er die Augen. „Ich hab gesagt, du solltest gut aufpassen. Mach nun die Augen auf.“ Nobu tat, wie ihm geheißen und öffnete die Augen. Was er sah, erstaunte ihn so sehr, dass er einen Schritt nach hinten gehen musste, um das alles zu begreifen. Direkt vor ihm waren die Samen des Löwenzahns. Doch anstatt am Boden zu liegen, schwebten sie in der Luft. Sie flogen noch immer auf ihn zu, doch in einem ganz eigenen Tempo. Als würde ihre Zeit langsamer verlaufen. Nobu ging um die Samen herum und bestaunte den langsamen Flug, bis sie nahe dem Boden waren. Dort ließ die Kraft nach und sie schwebten im normalen Tempo auf den Boden, genau dorthin wo Nobu vorher stand. „Das war … fantastisch! Du kannst die Zeit anhalten. Und das auf ein bestimmtes Objekt konzentriert. Das ist ja eine unglaubliche Fähigkeit!“ Nobu war hin und weg und sah die kleine Wölfin nun aus ganz anderen Augen. Diese grinste ihn an. „Ja, die Zeit untersteht mir. Ich bin eine Zeitwölfin, eine Abspaltung von der Finsternis. Meine Kraft ist beschränkt. Ich kann nicht dauerhaft die Zeit anhalten. Es strengt mich immens an, die Zeit direkt anzuhalten. Der Lauf der Zeit lässt sich schwer stoppen und für immer schon gar nicht. Doch ich habe gelernt, meine Fähigkeit auszuweiten und Dinge einfach zu verlangsamen ist auch schon nützlich genug. Zwar ist es unfair bei der Jagd, auf solche Tricks zurück zu greifen, doch der Stärkere gewinnt!“ Da ging sie wieder zu ihrer Schwester, die der ganzen Unterhaltung am Boden liegend gelauscht hatte. „Kannst du das auch bei Wölfen anwenden?“, fragte Nobu sie. „Ja, kann ich. Auf alles Erdenkliche. Doch, je größer die Sache oder mein Radius, desto größer auch die Kraftanstrengung. Das ist ja wohl logisch. Wenn du einen großen Schall ausstoßen willst, brauchst du auch genügend Kraft. Da stoßen unsere Fähigkeiten an ihre Grenzen. Außerdem habe ich mit einem großen Lebewesen richtig Schwierigkeiten. Ich bin schon froh, wenn der Hase vor mir nicht ganz so schnell läuft, wie er eigentlich möchte.“ Nobu verstand. „Dann werden wir so also schon mal nicht verhungern. So habt ihr euch also euer Futter erjagt. Gar nicht so eine schlechte Idee.“ Nun stand Solijia auf. „Ich fürchte, unsere Zeit läuft langsam davon. Wenn wir jetzt nicht langsam aufbrechen, tun wir es vielleicht gar nicht mehr.“ Der graue Wolf nickte. „Du hast Recht. Noch bin ich nicht sicher. Lasst uns sofort aufbrechen. Wir haben genug geredet.“ Da wandte er sich Richtung Westen und verließ die kleine Baumgruppe. Yolja und Solijia folgten ihm. Zuerst ging Nobu einen vorsichtigen Schritt, bis er in einen gemütlichen Trab fiel. Er wollte seinen Körper nicht überanstrengen, doch er wollte so weit weg wie möglich. Hinter ihm hörte er seine beiden neuen Freunde. Er hoffte, dass er den ganzen Weg bis zum Wald der Unendlichkeit gut auf sie aufpassen konnte. Es war ein langer Weg, doch den nahm er gerne auf sich. Schließlich hätte ihn sein Weg sowieso dorthin geführt. So gingen die drei Wölfe ihren Weg und hofften, unbeschadet ihr Ziel zu erreichen. ~~Die Begegnung Ende~~ Werden Nobu und seine beiden Begleiterinnen unbeschadet ihr Ziel erreichen? Was erwartet sie im Wald der Unendlichkeit? Wird der Wald ihnen die Durchquerung erlauben oder sie in seiner eigene Zeit gefangen halten? Läuft ihnen die Zeit davon oder verändert sich der Lauf der Zeit? Eure Oki Kapitel 17: Das östliche Wasserrudel ------------------------------------ ~~Das östliche Wasserrudel~~ Die sechs Wölfe folgten Rejn, der sofort den Weg nach Osten einschlug. Sie befanden sich am Grunde einer Schlucht, die sowohl nach Osten als auch nach Westen ging. Im Osten befand sich die Höhle des östlichen Wasserrudels. Da Rejn der zusammengewürfelten Truppe noch immer nicht voll vertraute, kreisten die anderen Wasserwölfe sie ein und eskortierten sie. „Sie trauen uns wirklich nicht“, schnaubte Nurik. „Das ist gemein ...“ „Halt deinen Mund und folge ihnen. Sonst wirst du erleben, wie sehr sie uns trauen“, sagte Kian mürrisch, der keine Lust auf eine lange Diskussion hatte. Man sah ihm an, dass er es gar nicht mochte, ein Gefangener zu sein. Doch er fügte sich wie alle anderen. Die Schlucht wurde immer schmaler und bedrückender. Ein kurzes Stück mussten sie sogar hintereinander laufen, da ein großer Eisbrocken den Weg versperrte. Man sah, dass Wölfe einen Durchgang gebuddelt hatten. Sikona blieb mitten unter dem Eisbrocken stehen. Der fremde Wolf hinter ihr wäre beinahe in sie hineingelaufen. „Hey, was machst du da? Lauf weiter!“, fluchte er, doch Sikona kümmerte dies nicht. Sie blieb einfach stehen und hörte auf die Umgebung. Der Eisbrocken war riesig. Ein Wunder, dass die Wasserwölfe einen Durchgang buddeln konnten. „Verschwindet von hier!“, rief sie. „Ich versuche, den Eisbrocken wegzubekommen.“ Rejn, der ganz vorne in der Reihe lief, drehte sich zu Yen um. Dieser nickte. „Sie ist doch eine Eiswölfin. Sie kann euch helfen.“ Da verschwanden alle Wölfe. Es dauert etwas, da alle an den Eingang oder an den Ausgang liefen. Als die Eiswölfin alleine war, fing sie mit ihrem Vorhaben an. Sie tastete nach dem Eis. Es bestand eine tiefe Verbindung zwischen ihnen. Sie spürte jeden Eiskristall, jede einzelne Schneeflocke. Sie konzentrierte sich darauf, den Eisbrocken zusammen zu drücken. Das Eis sollte einen größeren Durchgang schaffen, wo mehr als nur ein Wolf nebeneinander laufen konnte. Sie wollte von der einen bis zur nächsten Wand das Eis an die Decke drücken. Somit wäre die Decke auch stabiler. Sikona konnte aber nur das Eis in ihrer unmittelbaren Nähe am besten erreichen und bearbeiten. Sie begann langsam, die Kristalle zusammen zu drücken. Bald schnaufte sie erheblich, doch die Wand neben ihr gab nach, doch nicht so weit, wie sie wollte. Das Eis stemmte sich bald gegen ihren Willen, da es zu sehr zusammen gepresst wurde. Die Eiswölfin schnaubte, da sie es nicht bis zur anderen Seite schaffte. Sie konnte gerade mal Platz für einen weiteren Wolf neben ihr schaffen. Da ihre Konzentration langsam nachließ, ging sie dazu über, die Kuhle, die nun entstanden war, auszuweiten, sodass vom Eingang bis zum Ausgang immer zwei Wölfe nebeneinander herlaufen konnten. Dies gelang ihr, doch dann legte sie sich erschöpft hin. Sie machte die Augen wieder auf und betrachtete ihr Werk. Die Decke glänzte und war stabil. Etwas enttäuscht stand sie dann auf. „Tut mir leid. Ich konnte sie nicht weiter dehnen. Die Eismaßen sind mir zu groß.“ „Das macht nichts. Das hilft uns schon wesentlich weiter. Und nun kommt, wir müssen nun zur Höhle“, meinte Rejn und ging wieder an die Spitze. Esaila ging an Sikona vorbei. „Hast du gut gemacht, Sikona. Jeder von uns hat seine Grenzen. Du hattest noch nie mit so viel Schnee und Eis zu tun.“ „Da hast du Recht“, meinte dann die Eiswölfin und fasste dann wieder Mut. Sie würde lernen müssen, ihre Kräfte zu verbessern! Sie wollte unbedingt besser werden und auch riesige Schneemassen beherrschen können. In ihrer Heimat gab es kaum Schnee, geschweige denn Eis. Alle Wölfe stapften durch den Schnee. Nurik hatte sich langsam an das kalte Nass unter seinen Pfoten gewöhnt. Der Schnee schmolz unter seinen Pfoten etwas, da er eine konstant heiße Körpertemperatur hatte. Auch Kians Pfoten waren etwas nass. Zwischen seinen Pfotenballen zuckten kleine Blitze, die den Schnee ebenfalls schmelzen ließen. Doch ihm machte die Kälte weniger aus als seinem Freund. Die Felsspalte wurde immer schmaler, bis sie nur noch ein paar Meter breit war. Am Ende angekommen, öffnete sich eine große Höhle in der Spalte. „Dort ist unser Zuhause“, sagte Rejn und ging voraus. „Lässt sich leicht verteidigen. Doch wenn es einmal ein Erdbeben gibt und den Eingang zuschüttet, ist dies nicht ganz so toll“, meinte Yen zum Rudelführer. Rejn nickte. „Ja, du hast Recht. Seit ich hier lebe, ist dies schon viele Male passiert. Der Schnee fängt leicht zu rutschen an, sobald das Wetter etwas wärmer wird. Dann krachen die Massen vor den Eingang und wir müssen uns den Weg frei buddeln oder ihn mit unserer Elementkraft frei kriegen. Leider haben wir keine Eiswölfin unter uns. Doch wir haben es immer wieder geschafft. Sobald das Wetter zu tauen anfängt, bespritzen die Wasserwölfe die Wände fleißig mit Wasser, um den Prozess zu verlangsamen.“ „Ah, das ist eine schlaue Technik. Somit trocknet das Wasser und hält den viel schneller schmelzenden Schnee etwas auf.“ „Genau, du hast es verstanden, Yen. Doch nun lasst uns hinein gehen. Es ist drinnen wärmer, als ihr denkt.“ Alle Wölfe betraten die Höhle. Es war eine kleine Vorhöhle. Sie sah aus wie jede andere auch. Doch im hinteren Teil öffnete sich wieder ein Spalt, der etwas versteckt lag. Der Spalt war weit genug vom Eingang weg, um nicht Gefahr zu laufen, ebenfalls von den Schneemassen verschüttet zu werden. Rejn ging mal wieder als erstes. Nach ihm folgten die sieben Jungwölfe. Auf der anderen Seite angekommen, blieben alle wie angewurzelt auf einer Plattform stehen. Sie betrachteten die riesige Höhle vor ihnen. Diese war ein großer Hohlraum im Felsen. Die Spalte hinter ihnen bot kaum genug Licht, um die ganze Höhle zu erleuchten, doch dies war nicht nötig. Überall an den Wänden hingen leuchtende Kristalle, die die Höhle erhellten. Die Kristalle hatten die verschiedensten Farben und Formen. Es gab große und kleine, hell leuchtende und blasse. Selbst am Boden befanden sich die Kristalle. „Wow ...“, sagte Esaila nun endlich und brach somit die Stille. „Das ist ja fantastisch.“ „Nun verstehe ich, warum ihr hier wohnt“, meinte Yen und trat zu Rejn. „Das ist ja atemberaubend.“ Der alte Wolf lachte. „Ihr habt noch nicht das Beste gesehen. Nun kommt weiter, ich will euch noch mehr zeigen.“ Somit machten sie sich an einen kleinen Abstieg zum Höhlenboden. Überall kamen Wölfe aus den Spalten und hinter Felsen und Lichtkristallen hervor, um neugierig die Besucher zu betrachten. „Ihr seid ja richtig viele!“ „Nun, das liegt daran, dass wir das einzige Rudel hier in der Nähe sind. Unser Gebiet ist riesig und deswegen beherbergen wir hier viele Wölfe.“ „Wie ernährt ihr nur so viele?“, wollte Yen weiterhin wissen. „Jetzt warte doch mal mit den ganzen Fragen ab. Du wirst es schon sehen!“ Rejn führte sie an eine der Wände. Dort war eine erneute Spalte. Diese war aber kleiner als die letzte und sie mussten wieder alle hintereinander herlaufen. Bald merkten alle Wölfe, dass es wärmer wurde. Nurik stöhnte erleichtert auf. Er spürte wieder all seine Glieder. Die Kälte ließ ihn etwas langsamer werden, doch nun strömte wieder etwas mehr Leben in ihn. Am anderen Ende war es angenehm warm. Eine Dampfwolke begrüßte sie, als sie aus der Spalte traten. Auch die nächste Höhle war mit Kristallen ausgestattet, doch nicht nur dies. Ein riesiger See bedeckte den Großteil des Bodens. Dampf stieg von diesem See aus. „Dies ist Rariki. Rariki ist eine heiße Quelle und spendet uns die Wärme, die wir brauchen. In ihr leben die verschiedensten Lebewesen. Auch diese kommen hierher, um sich zu wärmen. Von diesen Lebewesen ernähren wir uns zusätzlich. In eine unserer Legenden heißt es, dass Rariki ein Geschenk des Wächters des Wassers an das östliche Wasserrudel sei, als ein Held dem Wächter bei einer wichtigen Aufgabe half.“ Das kleine Rudel staunte. Selbst Kian war verwundert über diese herrliche Pracht. Alles glitzerte, doch dies war kein unangenehmes Glitzern, sondern eher das vieler kleiner Sterne. „Das ist wirklich ein Geschenk des Wächters“, meinte der Blitzwolf und sprach damit allen aus der Seele. „Hier wohnen auch die meisten Wölfe, weil es einfach wärmer ist. Überall an den Wänden sind Höhlen. Dort schlafen wir. Jede kleine Familie hat sein eigenes kleines Reich“, erklärte Rejn. „Auch ihr werdet hier eine Höhle bekommen, wo ihr die Nacht verbringen könnt. Bei der Kälte und dem Wind lass ich euch nicht draußen schlafen! Ihr findet in dieser Gegend nicht so leicht einen Unterschlupf.“ „Vielen Dank, Rejn. Doch ich habe eine Frage“, meinte Yen und drehte sich zu dem kleineren Wasserwolf um. „Wenn ihr so viele Wölfe beherbergt, wie kann denn da eine Rangordnung herrschen. Das ist ja das größte Rudel, das ich bis jetzt gesehen habe.“ „Das stimmt. Wir sind eines der größten, wenn nicht sogar das größte Rudel in Daromi. Das liegt daran, dass unser Gebiet riesengroß ist und es einfach wenig Quellen und wenig Wild gibt. Deswegen zog es die Wölfe hierher. Sie bildeten ein großes Rudel und wir wählen unseren Anführer, sobald einer stirbt. Doch untereinander können die Wölfe einzelne Gruppen bilden. Das heißt, es gibt verschiedene Familien, die ohne Angst auf Verbannung Nachwuchs bekommen können. So steigt unsere Zahl kontinuierlich an oder bleibt gleich. Das Leben hier ist hart, doch der See hält uns am Leben und somit haben wir unsere Lebensweise im Vergleich zu den anderen Wolfsrudeln geändert. Unsere Lebensart unterschiedet sich von eurer gänzlich. Ihr fragt euch sicher, wie sich ein Anführer ohne Machtkampf behaupten kann. Ganz einfach: Vor jeder Wahl kommen diejenigen zusammen, die meinen, das Zeug zum Anführer zu haben. Sie treten in einem fairen Kampf gegeneinander an. Nur eine bestimmte Anzahl schafft es in die nächste Runde: Die Schlusswahl. Hierbei entscheidet das ganze Rudel mittels einer Wahl, wer der neue Anführer werden soll.“ Alle hatten aufmerksam zugehört und waren etwas erstaunt über die ganz neuen Regeln in diesem Rudel. Doch jeder war schlau genug, diese nicht in Frage zustellen. Man wollte den Gastgeber ja nicht beleidigen. Als Rejn weiter Richtung See gehen wollte, kam ein kleiner Wolf aufgeregt zu ihnen gerannt. „Rudelführer Rejn! Rudelführer!“ Er blieb hechelnd vor ihm stehen. „Was ist denn, Ket?“, fragte dieser geduldig und ließ den jüngeren Wolf erst wieder zu Atem kommen. Als Ket wieder reden konnte, kam ein Wasserfall aus Wörtern aus ihm heraus: „In der Eingangshalle, da ist etwas komisches vorgefallen. Wir wollten gerade den Felsen wieder vorschieben, da hat sich ein Schatten durch den letzten Spalt hineingeschoben und flog Richtung Decke. Wir sind alle ziemlich erschrocken und haben nachgesehen, um was es sich bei dem Schatten handelte, aber ihr werdet es mir nicht glauben: Es ist ein Vogel, ein Adler, um genau zu sein. Sie müssen mir glauben, Rudelführer!“ Dieser legte den Kopf schief. „Ein Adler sagst du? Wie kann das denn in dieser Gegend sein?“ Da trat Yen zu Ket. „Oh, ich glaube, der gehört auch noch zu unserer Truppe. Ist der Adler etwas kleiner und hat einen krummen Schnabel?“ „So genau konnte ich das nicht erkennen, aber klein ist er schon“, meinte Ket und war nun selbst verwundert. „Dann ist das Verox, ein guter Freund unseres Rudels. Ich bitte um Verzeihung, falls er Ärger gemacht hat. Er ist eigentlich ein recht ruhiger Kerl, aber ihm tut die Kälte wahrscheinlich auch nicht so gut.“ Rejn legte den Kopf schief. „Ein Adler begleitet euch? Das ist ja sonderbar. Wieso tut er denn das?“ „Nun, um genau zu sein, wissen wir das selbst nicht. Er ist schon eine ganze Weile bei uns. Er hat sogar einen unserer Mitglieder zu uns geführt. Nicht wahr, Ruki? Verox brachte dich zu uns!“ Ruki nickte. „Das ist ja seltsam“, meinte Rejn. „Doch, wenn er ein Freund ist, dann darf er ruhig hier bleiben. Ein Adler ist uns genauso willkommen, solange er keinen Unsinn treibt.“ „Nein, das tut er definitiv nicht. Ich werde ihn dann zu uns in die Nähe holen. Verox ist ein guter Freund.“ Rejn nickte, drehte sich um und ging den kleinen Weg zum See nach unten, die anderen Wölfe folgten ihm. Alle beobachteten das Glitzern auf dem See. Sikona und Nyrona konnten gar nicht die Augen von dem Gewässer abwenden und so geschah es, dass Sikona ausrutschte und hinfiel. Sie sprang sofort wieder hoch, doch Ruki hatte es bemerkt und kam zu ihr. „Alles in Ordnung, Sikona? Tut dir was weh?“ Die Eiswölfin bemerkte sofort den beunruhigten Unterton in der Stimme ihres Freundes. Sie stupste ihn aufmunternd an der Schulter an. „Keine Angst. So was passiert mir ständig. Mir geht es gut. Danke Ruki.“ Ruki nickte erleichtert und die beiden Wölfe folgten dem Rest nach unten. Da der Windwolf seine Freundin nicht ungeschützt lassen wollte und Angst hatte, sie würde erneut stolpern und dieses Mal den ganzen Weg nach unten purzeln, lief er ganz nah neben ihr, um sie, wenn möglich, aufzufangen. Bald waren sie am Ende des Weges angekommen. Vor ihnen erstreckte sich ein kleiner Strand aus Steinen und Kies. Anstatt auf den See zuzugehen, führte Rejn die Wölfe an eine der Wände zu einer Höhle. Je näher sie der Wand kamen, desto mehr Wölfe trafen sie. Es gab viele junge Wölfe unter ihnen. Sie sprangen umher und kämpften kleine Machtspielchen gegeneinander. Einmal rannte eine kleine Gruppe von Wasserwölfen an ihnen vorbei Richtung See. Hinter ihnen kamen zwei ältere Wölfe. „Nicht so schnell! Ihr erschreckt ja noch die ganzen Fische, die wir jagen sollen! Ach, diese Jugend von heute! Immer so stürmisch und aufgeregt. Waren wir auch so?“ „Ich finde, wir waren sogar noch schlimmer“, lachte sein Partner, als sie an dem kleinen Rudel von Yen vorbeigingen. „Ja, unsere Welpen lernen schnell das Fischen. Sogar viel eher als das Jagen. Hier in der Gegend gibt es wenig Wild. Deswegen trainieren wir die Welpen mit so genannten Puppen für die Jagd. Nur die besten unter ihnen werden dann ausgewählt, ihr Können auch draußen unter Beweis zu stellen. Ihr müsst wissen, wir können es uns nicht leisten, lange draußen bei der Jagd zu sein, da es so wenig Wild in der Gegend gibt“, erklärte Rejn den anderen bereitwillig. „Dafür lernen sie alle zu fischen. Rariki ist mit vielen Flüssen unterirdisch verbunden, wodurch auch viele Fische ihren Weg ins Warme finden.“ „In unserem Rudel ist eher das Jagen die Spezialität. Wir haben keinen so großen See in unserem Revier. Doch, wenn es darum geht, ein bisschen Fisch zu besorgen, sind meine Schwester und ich ein sehr gutes Team. Nicht wahr, Sikona?“, rief Nyrona ihrer Schwester zu, die bestätigend nickte. „Deswegen würden wir beide gerne auch hier in dem See fischen, wenn es für dich okay ist. Somit würden wir unseren Hunger selbst stillen und keine Hilfe von deinen Wölfen benötigen.“ „Ja, das geht in Ordnung. Schwimmt im See und lernt ihn kennen. Ihr werden schon sehen, dass dies ein besonderer Ort ist.“ Als sie bei der Höhle angekommen waren, verließ sie Rejn. „Wir sehen uns morgen!“, sagte er noch zu den Wölfen und verschwand Richtung See. Das kleine Rudel betrat die Höhle und blickte sich neugierig um. Sie bot jeden Schutz, den eine normale Höhle im Freien auch bot und sie war für die sieben Wölfe ausreichend groß. Nurik ging in die Mitte der Höhle und legte sich auf den Boden .“Ich ruhe mich jetzt erst einmal aus. Die Kälte draußen ist ja grauenhaft.“ Esaila kuschelte sich an ihren Bruder und legte ihren Kopf auf seine Pfoten. Sie schloss die Augen und war auch bald eingeschlafen. Nurik bettete seinen Kopf auf den Körper seiner Schwester. Schon bald war auch er eingeschlafen. Die restlichen Wölfe gingen wieder nach draußen. „Ich werde mich etwas in der Höhle umsehen. Diese kleinen Kristalle werde ich mir mal genauer anschauen.“ Und da verschwand Kian. Yen, Sikona, Nyrona und Ruki gingen Richtung See. Dort angekommen, sprang Nyrona gleich hinein. „Ich komme gleich nach, Nyrona“, rief ihr Sikona noch entgegen. „Ruki, was dagegen, wenn wir noch etwas trainieren? Hier gibt es viel Wasser, das ich leicht einfrieren kann und ich kann sogar ein paar Hindernisse erschaffen.“ „Klar, warum nicht?“ Da ließ der Windwolf seine Flügel erscheinen. Er sprang in die Luft und flog ein paar Kreise. Sofort kamen ein paar Wölfe staunend angerannt. Vor allem die kleinen Welpen waren sehr interessiert. Als Ruki seine Proberunde beendet hatte, wurde er von Welpen umringt, die wissen wollten, ob sie auch solche Dinger aus ihrer Seite wachsen lassen können oder, ob Ruki sie nicht mal mitnehmen könnte. Sikona lachte. „Man sieht ihm richtig an, dass es ihm unangenehm ist, so umringt zu sein. Ich glaube, ich werde ihn mal retten gehen. Was wirst du nun machen, Yen?“ Yen blickte von Ruki zu seiner Freundin. „Ich glaube, ich werde zu Verox gehen und versuchen, ihn in unsere Höhle zu bringen. Er kann ja nicht in der Eingangshöhle bleiben. Gut, dass er überhaupt uns hierher gefolgt ist. Er muss gewusst haben, dass die anderen Wölfe uns wohin bringen. Der kleine Adler erstaunt mich immer wieder.“ „Er hat unser kleines Rudel halt richtig lieb gewonnen, würde ich sagen. Solange er keine Probleme macht, kann er ruhig bei uns bleiben. Ich merke, dass er bestimmt ein treuer Freund wird. Zu dir scheint er eine besondere Verbindung zu haben. Irgendwann wird er uns schon sagen, warum er hier ist, auch wenn er unsere Sprache nicht spricht.“ Sikona lachte und ging zum See. „Aufpassen, ihr Kleinen. Schaut mal her!“, rief sie und trat ein paar Schritte ins Wasser. Sofort formten sich Eisblumen auf der stillen Oberfläche und verzierten den See. Erstaunt über diese Schönheit rannten die jungen Wölfe alle nun zu Sikona. Diese fror einen Großteil des Sees ein. Die jungen Wölfe traten auf die Eisfläche und rutschten lachend aus. Da waren sie eine zeitlang beschäftigt. Sikona ging nun zu Ruki, der seine Flügel ruhig an den Körper gelegt hatte. „Danke, Sikona. Du bist meine Rettung.“ Die Eiswölfin lachte. „Keine Ursache, Ruki. Du musst nicht gleich rot werden, wenn du Aufmerksamkeit bekommst.“ „Was? Wie bitte?“ rief Ruki leicht entrüstet. Sikona kicherte. „Schon irgendwie süß.“ Da blickte Ruki seine Freundin entsetzt an. Doch es dauerte nicht lange, da gewann er wieder seine Fassung, schwang sich in die Luft und packte Sikona im Flug. Es ist das erste Mal, dass dieses Manöver auf Anhieb klappte. Sikona kicherte erfreut. „Du brauchst gar nicht so viel zu kichern!“, rief Ruki und ließ sie direkt über den See fallen. Ein kleiner erschrockener Aufschrei entfloh Sikonas Maul und sie platschte ins Wasser. Es dauerte nicht lange, da tauchte sie wieder auf. Ruki war ihrem Flug gefolgt und wartete über der Wasseroberfläche auf seine Freundin. Sikona spuckte Ruki Wasser ins Gesicht. „Wie konntest du nur! Da rettet man dir das Leben und dann wird man einfach ins Wasser geschmissen!“ Ruki lachte noch immer. „Ja, so ist das halt, wenn man frech wird. Aber hast du gesehen? Ich konnte dich während dem Flug greifen!“ Da lachte auch Sikona. „Ja, stimmt! Los, lass uns weiter trainieren.“ Da sprang sie aus dem Wasser und landete auf einer Eisscholle, die unter ihren Füßen erschien. Sie schüttelte ihr Fell aus und wartete darauf, dass Ruki sie griff. Am Seeufer hatte Yen das Geschehen lächelnd beobachtet. Ihn freute es, dass seine Freunde sich so gut verstanden. Einige müssten noch warm miteinander werden, wie Kian, und andere mussten sich von Wunden erholen, so wie er selbst mit seiner Schulter. Doch im Großen und Ganzen verstand jeder den Ernst ihrer Lage und dennoch machte jeder das beste daraus und lebte das Leben weiter, das sie auch vorher hatten, nur mit größeren Pflichten. Er selbst wüsste manchmal gerne, was für ein Leben er vorher gelebt hatte. Doch er vermisste es gar nicht mit den tollen Freunden, die er gefunden hatte. Yen beobachtete noch eine Weile, wie Sikona Eisbrocken vom See auf Ruki zufliegen ließ, während sie beide in der Luft waren. Es war gut, dass sie miteinander trainierten. Die beiden Wölfe waren neben Verox ihr einziger Schutz in der Luft und sie bildeten ein wahrhaft gutes Team. Der schwarze Wolf drehte sich um und ging in die Richtung, aus der sie alle gekommen waren. Die Eingangshalle war von allen Wölfen verlassen, als Yen sie betrat. Es wurde zunehmend kühler und alle Wölfe zogen sich zu später Stunde in ihre Höhlen zurück. Es war auch dunkler als in der großen Höhle. „Verox?“, fragte Yen vorsichtig in die Dunkelheit. Ein leises Kreischen ertönte, gefolgt von einem Luftzug. Yen trat einen Schritt nach vorne. Kurz darauf knallte der Adler gegen Yens Kopf. Beide landeten durch den Aufprall am Boden. Erst einmal musste sich Yen von dem Sturzflug seines Freundes erholen. Als er wieder etwas klarer sehen konnte, stand er langsam kopfschüttelnd auf. Direkt vor ihm tat es ihm der Adler gleich. Dieser pfiff entschuldigend. „Was war das denn, du verrückter Vogel?! Wolltest du auf meinen Kopf landen, oder was?“ Verox legte seinen Kopf schief und plusterte sich kurz auf. „Dann warne mich das nächste Mal vor, wenn du so ein Manöver planst! So sind wir aber kein gutes Team und das anpeilen musst du noch gut lernen.“ Nun drehte der Adler beschämt den Kopf auf die Seite und pfiff empört. „Wie? Ich hätte mich nicht bewegen dürfen, dann hätte das schon geklappt?“ Erneut pfiff Verox und hüpfte auf Yen zu. Dieser legte sich auf den Boden. Er war erstaunt, dass Verox auf einmal so nah an ihn herankam und auch auf seinen Kopf landen wollte. Der Adler vertraute sich ihm langsam an. >Vielleicht liegt es daran, dass ich nun alleine bin.< Yen war dankbar, dass sein kleiner Freund auf ihn zukam und somit die Freundschaft noch festigte. Sie beide hatten schon viel miteinander durchgemacht. Da sprang der kleine Adler zwischen seine Schulterblätter und krallte sich vorsichtig in sein dickes Fell. Es war sicherer, wenn Yen den Adler trug, als dass dieser durch die Höhle flog und jeden Wolf erschreckte. Anscheinend war Verox eh zu schwach, um noch großartig zu fliegen. Die Strapazen draußen und die Aufregung, alleine in dieser Höhle zu sein, hatten ihn erschöpft. Yen stand vorsichtig auf. Der Adler wackelte etwas und breite seine Flügel aus, damit er besser das Gleichgewicht halten konnte. Als Yen stand, vergewisserte er sich, dass Verox sicher saß und trat dann zurück in die große Halle. Der Adler pfiff erstaunt, blieb aber ruhig sitzen. „Ist atemberaubend, nicht wahr? Hier lebt das ganze östliche Wasserrudel. Weißt du, wie viele Wölfe hier leben? Das müssen über 100 Wölfe sein!“ Erneut pfiff Verox, als verstünde er ihn. Yen begann langsam zu glauben, dass der Adler dies auch wirklich tat. Sie gingen gemütlich zu der Höhle, die ihnen gehörte. Allen Wölfen, denen er begegnete, blickten verwundert auf den Greifvogel. Doch keiner sagte etwas und der Adler ließ sich auch nicht stören. Als sie in der Höhle angekommen waren, drehte Yen seinen Kopf. „Hier darfst du die Nacht verbringen. Weck bitte Esaila und Nurik nicht, ja?“ Verox breitete seine Flügel aus und flog auf einen kleinen Felsvorsprung an der Höhlenwand. Dort putze er sein Gefieder für die Nachtruhe. „So ist es gut. Ich werde die anderen holen.“ Da drehte sich Yen um und ging erneut zum See. Dort fand er Ruki und auch Kian nebeneinander am Ufer liegen. Beide beobachteten die Geschwister im Wasser. Sie spielten miteinander und hatten ihren Spaß. Sie plantschten und sprangen umher. Sikona war die meiste Zeit auf ihren Eisschollen, die aber bald durch die Wärme des Wassers verschwanden. Dann tauchten beide Wölfinnen gemeinsam unter. Sie blickten auf wunderbare bunte und komische Formen im Wasser und schwammen daran vorbei. Überall waren kleine Fischschwärme und flitzten beim Anblick der beiden Wölfinnen davon. Da Sikona von den Wasserwölfen abstammte, konnte sie länger als gewöhnliche Wölfe unter Wasser bleiben. Ihre Schwester Nyrona hatte auf Dauer keine Probleme. Sie musste nur selten Luft holen. Somit machten sich beide Wölfinnen auf den Weg nach unten, zu den Tiefen des Sees. Je weiter sie schwammen, desto dunkler wurde es um sie herum. Doch das machte ihnen nichts aus. Sie beide hatten einen guten Blick. Nyrona schwamm zu ihrer Schwester und nickte mit dem Kopf, dass diese ihr folgen sollte. Sikona ließ sich dies nicht zweimal sagen und schwamm ihrer Schwester hinterher. Nyrona schwamm ihrer Schwester nicht zu weit voraus und wartete geduldig auf sie. Sie folgten einer kleinen Wand bis kurz vor einer Höhle. Mit dem Kopf deutete Nyrona hinein und machte eine weit ausholende Geste. Da verstand Sikona: Ihre Schwester hatte eine große Beute gefunden, die in dieser Höhle wohnte. Sie nickte und beide schwammen vorsichtig näher. Nyrona schwamm an eine der Seiten der Höhle und Sikona etwas abseits. Da bewegte Nyrona das Wasser schlagartig hin und her. Diese Taktik funktionierte immer, so auch dieses Mal. Der Bewohner der Höhle schoss plötzlich aus Angst vor einem Einsturz aus seiner Behausung. Es war ein riesiger Wels. Sofort schwamm Nyrona hinterher. Der Fisch war schnell. Sikona konzentrierte sich, als der Fisch direkt auf sie zu schwamm, und ließ Eiswände vor dem Fisch auftauchen, die ihn zur Umkehr zwangen. Unter Wasser Eis zu erzeugen war sehr schwierig. Sie konnte es nur direkt in ihrem Umfeld tun und meistens nur sehr kleine dünne Platten erzeugen, die bald verschwanden. An dieser Technik musste sie noch viel üben. Egal, ob ein Wolf ein Element hatte, dies hieß nie, dass er auch wirklich in der Lage war, es gut zu beherrschen. Es steckte viel Übung dahinter und die vier Geschwister waren noch jung und unerfahren. So schwamm der Fisch wieder direkt auf Nyrona zu, die ihn in einen Strudel trieb und sich dort auf ihn stürzte. Sikona schwamm in der Zeit wieder nach oben, da ihr die Luft ausging. Ihre Schwester folgte bald. Am Ufer angekommen, zogen sie beide den großen Fang aus dem Wasser. Die drei Jungs halfen ihnen das restliche Stück. „Wow, da habt ihr ja wahrlich einen riesigen Fang gemacht!“, lobte Ruki die beiden. Nyrona und Sikona blickten sich grinsend an. „Danke, Ruki. Dies war unser bisher größter Fang“, sagte Sikona und half, den Fisch in die Höhle zu tragen. Dort erwarteten sie auch schon Nurik und Esaila. Beim Anblick des Wels sprangen sie beide auf und lobten ihre Schwestern. „Wenn es ums Fischen geht, seid ihr zwei ein tolles Team!“, sagte Nurik und stupste Nyrona und Sikona liebevoll an. An dieser Geste sah man, wie sehr Nurik seine Schwestern liebte. Auch Esaila kam dazu und alle vier fingen plötzlich zu lachen an. Da sprang Sikona Esaila an und warf sie zu Boden. Gleich darauf stürzte sich Nyrona auf Nurik und es gab einen kleinen verspielten Kampf unter ihnen. Ruki ließ es sich nicht zweimal sagen und warf sich dann auf alle vier Wölfe und lachte mit ihnen. Yen und Kian schauten dem Spektakel zuerst skeptisch zu. „Nun, also ich weiß ja nicht, wie es dir geht, Kian … aber … AUF IN DEN KAMPF!!!“ Und da war nun auch Yen in dem Gemenge. Nurik sprang aus der Gruppe und griff Kian an. Dieser war nun gezwungen, das Spiel mitzuspielen. Auch er fing nach einiger Zeit an zu lachen. Es schien, als sei das Eis ein kleines Stückchen geschmolzen, das er sonst so über seine Gefühle legte. Nurik war froh, dass sein Freund sich dies gefallen ließ und nun tobten alle zusammen und warfen und schubsten sich, bissen sich spielerisch und knurrten kurz. Selbst Verox stürzte sich von der Decke und pfiff aufgeregt. Er flog immer wieder um die Wölfe herum und ermutigte sie mit seinem Pfeifen. Von außen sah es so aus, als würden die Wölfe sich seit Jahren kennen und einfach nur toben, doch die sechs wussten es besser. Sie hatten einen langen Tag hinter sich und nun mussten sie einfach ein bisschen Spaß haben. Man könnte sagen, dass sie sich langsam alle aneinander gewöhnten und die Reise, die vor ihnen lag, akzeptierten. Auch wussten sie, dass sie eine Zeit lang miteinander auskommen mussten. Sie erkundeten die Welt zusammen und versuchten, ein großes Ziel zu erreichen, da musste das Rudel zusammen halten. Dies wurde allen nun endlich gänzlich klar. Nach einiger Zeit lagen die Wölfe erschöpft am Boden. Sie lachten noch immer, doch keiner hatte mehr Kraft. „Man, hat das Spaß gemacht“, brachte Yen dann doch heraus und beobachtete Verox, wie er zu seiner Nische zurückflog und seinen Kopf unter den Flügel steckte. „Wisst ihr … ich bin dankbar für diese Reise mit euch“, erzählte der schwarze Wolf weiter. „Ihr habt mich aufgenommen, obwohl ihr mich gar nicht kanntet, seid bereit mit mir bis zu den unmöglichsten Orten zu reisen und die Gefahren dort zu bestehen. Und für was dies alles? Wegen einer Prophezeiung, von der wir noch nicht einmal genau wissen, ob sie wahr ist.“ Er hob seinen Kopf vom Boden ab und blickte zu jedem seiner Gefährten. Alle sahen ihn neugierig an. „Jetzt hatten wir eine kurze vergnügte Zeit. Wir dürfen dies nicht vergessen, wie viel Spaß wir auch haben können, auch, wenn die Situation zu diesem Zeitpunkt ziemlich ernst zu nehmen ist. Sollte einer von euch jemals alleine in Schwierigkeiten geraten und nicht mehr wissen, wohin, so müsst ihr euch an die Zeiten erinnern, wo wir ausgelassen gespielt haben und dann wisst ihr, dass ihr Freunde habt, die auf euch zählen und euch überall aus der Patsche helfen. Denn ihr seid meine Freunde geworden und ich würde alles für euch tun, um euch zu helfen. Dies sage ich deswegen, weil der Weg vor uns immer härter wird. Er wird steinig und steil, doch wir müssen uns gegenseitig den Rücken stärken und zusammenhalten! Deswegen frage ich noch einmal euch alle: Seid ihr bereit, mit mir diesen Weg zu beschreiten? Mit mir bis ans Ende dieser Reise zu gehen und euer Bestes zu geben? Ich erwarte nicht, dass ihr für mich zu weit geht und ihr könnt jederzeit gehen, doch ich möchte mich auf euch verlassen und somit könnt ihr euch auch auf mich verlassen. Können wir uns in dieses Abenteuer stürzen?“ Während Yen geredet hatte, verfiel seine Stimme in eine wunderbare herrschaftliche und ruhige Tonlage. Man hörte einen Rudelführer heraus, der sowohl mit dem Kopf als auch mit dem Herzen dachte. Allen Wölfen stellten sich bei diesen Worten die Haare auf und sie legten ihre Köpfe flach auf den Boden. Yen war ihr Anführer und sie zeigten somit ihren Respekt. Als Yen geendet hatte, stand zuerst Sikona auf, stupste Nurik an und ging zu Yen. Nurik sprang seiner Schwester hinterher und bald folgten alle anderen Wölfe, auch Ruki und Kian. Sie bildeten einen Kreis um Yen, der noch immer auf dem Boden lag. „Dies ist unsere Antwort, Yen!“, Sikona stupste ihren Freund an, hob ihren Kopf und begann zu heulen. Ihre helle angenehme Stimme machte den Anfang von einem ganzen Chor Wolfsstimmen. Alle stimmten mit ein und ergänzten Sikonas wunderbaren Gesang. In der Höhle schallte das Geheul nach draußen und trug sich in die große Höhle hinaus. Viele Wölfe drehten sich zu der Höhle um und blickten neugierig zu der Öffnung. Yen war von dieser Geste seiner Freunde richtig überrascht. Nach kurzer Zeit stand auch er auf und verfiel ebenfalls in das Geheul, während Verox schrille Pfiffe von sich gab. Die sieben Wölfe heulten noch einige Zeit lang weiter, bis sie langsam immer leiser wurden und dann ganz aufhörten. Erneut lachten sie alle. „Danke, meine Freunde“, sagte Yen und stupste jeden an. „Du bist ein guter Rudelführer!“, meinte Ruki. „Wir werden dir folgen und diese Aufgabe zu Ende bringen. Jeder wird seinen Teil dazu beisteuern und du kannst dich auf uns verlassen!“ „Dann gehen wir alle durch dick und dünn?“ „Und noch viel weiter!“, rief Nurik und erneut lachten alle. Dann wandten sie sich dem großen Wels zu und begannen zu fressen. Sie mussten sich für die harte Zeit stärken, die ihnen noch bevorstand. Doch alle wussten, nun würde es kein Zurück mehr geben und das war auch gut so. ~~Das östliche Wasserrudel Ende~~ Wie wird es die nächsten Tage um die sieben Wölfe stehen? Wird das Land, in dem sie kommen immer kälter und unbarmherziger? Finden sie in diesem eisigen Land den Tempel? Eine Flocke ist nur der Beginn eines Schneesturms. Kapitel 18: Das Licht --------------------- ~~ Das Licht ~~ Es wurde immer dunkler um sie herum. Finsternis und Kälte umfingen sie und hüllten ihren Körper ein. Jeder Schritt, den sie tat, schmerzte in ihren Gliedern. Am liebsten würde die Wölfin aufhören zu laufen. Doch sie hatte ein Ziel und das würde sie um jeden Preis erreichen, egal, was passieren würde. Die Kälte kam vom Schnee an ihren Füßen, der in dieser Gegend lag. Schon seit drei Tagen sah sie nichts außer Schnee und ein paar Büsche. Die Erde lag ganz weit unter ihr. Sie konnte sie nur ganz schwach spüren. „Wo bist du nur?“, sagte sie leise. „Ich werde dich finden!“ Das waren die Worte, die sie sich immer in Erinnerung rief und die sie wach hielten. Ohne ein Ziel wäre sie schon längst umgedreht. Doch ihre Vergangenheit war nicht die beste gewesen. Sie hatte in ihrem alten Rudel viel gelitten und musste sich oft durchschlagen. Kurz blickte sie in den Himmel. „Mutter, Großmutter? Geht es euch nun besser, seit ich weg bin?“ Eine Träne rann ihre Wange hinunter. Sie wusste, sie war nicht alleine und ihre Familie denkt an sie. Der Schnee knirschte unter ihren Pfoten, als sie weiterging. Ein heftiger Wind peitschte auf und verfing sich in ihrem Fell. Ihr wurde noch kälter, doch sie biss die Zähne zusammen und ging weiter ihren Weg. Direkt vor ihr war ein großer Berg. Den musste sie erreichen, das hatte sie im Gefühl. Das würde ihr Ziel sein und hoffentlich zu dem Ort bringen, an den sie willkommen war, der ihr das gab, das sie suchte. Sie hatte ihr altes Rudel verlassen, um ihrer Mutter und ihrer Oma keine Bürde mehr im Leben zu sein. Zudem hatte sie das Gefühl, in der Welt gebraucht zu werden. Die Situation spitzte sich immer mehr zu, seitdem die Finsterniswölfe das Land durchstreiften und überall Terror verbreiteten, wohin sie gingen. Das mit anzusehen, tat ihr im Herzen weh und sie musste unbedingt helfen. Zunächst wusste sie nicht wohin, doch dann wachte sie eines Tages auf und spürte, dass sie Richtung Osten musste. Osten war ihr Ziel, doch das hatte einen langen Weg zur Folge. Als Einzelkämpfer hatte man es nie leicht. Doch sie war es gewohnt, zu hungern. Jeden Tag mussten sie, ihre Oma und Mutter kleine Portionen teilen. Diese Tatsache hatte sie aber auch resistenter werden lassen. Den Weg, den sie ging, wurde nun steiler. Der Hügel, auf dem sie sich befand, ging nun wieder bergab. Als die Wölfin die Augen zukniff, konnte sie am Fuße des Hügels eine kleine Baumgruppe finden. >Dort werde ich sicher etwas zum Fressen und etwas Schutz finden.< Jeder Schritt, den sie tat, strengte sie nur noch mehr an. Der Wind blies weiterhin in ihrem Fell und zehrte zusätzlich an ihren Kräften. Ihr Blick war auf die Baumgruppe gerichtet und so achtete sie nicht wirklich auf den Weg. Wäre dies Erde und kein Schnee gewesen, hätte sie die kleine Erhöhung direkt vor ihr sofort bemerkt. Den nächsten Schritt, den sie tat, endete damit, dass sie ausrutschte und im Schnee landete. Durch den Aufprall begann sie, im Schnee zu rutschen und fiel den ganzen Abhang hinunter. Die Wölfin knallte an mehrere Schneeerhöhungen und raubten ihr die Luft. Der Schnee war gefroren und somit keine Falldämpfung. Mehrmals überschlug sie sich und fing sich viele Schrammen und leichte Prellungen ein. Der Hügel war doch höher gewesen, als er zuerst ausgesehen hatte. Nach dem schmerzhaften Fall landete sie dann unsanft auf dem Boden. Der letzte Schlag raubte ihr die ganze Luft. Ihr wurde schwarz vor Augen. >Nein! Du darfst nicht liegen bleiben! Steh auf! Kämpfe! Geh weiter!<, rief ihr Kopf, doch ihr Körper konnte nicht mehr. Ihre Augen schlossen sich. Das Letzte, was sie sah, waren die Gesichter ihrer Oma und ihrer Mutter, die sie enttäuscht anblickten. Sie träumte in der Bewusstlosigkeit. Ihr Traum bestand darin, dass ihr ehemaliges Rudel von dunklen Schatten überfallen wurde. Es waren keine Tiere, sondern einfach nur lebendig gewordene dunkle Flecke. Sie bewegten sich schnell und töteten alle aus ihrem Rudel. Sie fiepte und spürte einen leichten Druck in ihrer Seite. Kurz schlug sie die Augen auf. Lange konnte sie diese aber nicht offen halten, da sie sogleich wieder bewusstlos wurde. Sie sah den Schneeboden und spürte, dass sie sich bewegte, doch ihre Füße gehorchten ihr nicht. Bevor sie darüber nachdenken konnte, umfing sie wieder die Dunkelheit. Dieses Mal träumte sie nichts. Dennoch war es nicht erholend. Ihr Körper war einfach zu schwach. Sie spürte nichts um sich herum. Selbst die Verbindung zu der Erde war abgebrochen. In der Dunkelheit, in die sie gefallen war, hörte sie immer wieder eine Stimme. Mal sagte diese nur ein Wort, doch dann waren es ganze Sätze. In ihrem momentanen Zustand wusste sie nicht, was sie bedeuteten und sie nahm diese nur flüchtig auf. Ihr Körper begann, sich langsam zu regenerieren und zu erholen. Das Erste, was sie in der Welt, in der sie lebte, wieder richtig wahrnahm, war ihre trockene Zunge, die an ihrem Gaumen klebte. Ihr ganzer Mund und Hals war staubtrocken. Da musste die Wölfin schlagartig husten. Ihr Hals tat höllisch weh. Als der Husten geendet hatte, schlug sie langsam die Augen auf. Es war dunkel, woraus sie schloss, dass es Nacht war. Sie ließ ihren Kopf noch auf dem Boden ruhen, um durch die Anstrengung nicht erneut in die Bewusstlosigkeit zu sinken. Von ihrer Position aus beobachtete sie ihre unmittelbare Umgebung. Sie lag zwischen ein paar Bäumen am Fuß des Hügels, den sie hinunter gestürzt war. Sie konnte sich an ihren Aufprall kaum erinnern, aber sie wusste, dass die Bäume nicht nahe des Abhangs standen. So konnte sie sich nicht erklären, wie sie hierherkam. Irgendwann bemerkte sie einen hellen Schein zwischen zwei Bäumen. Sie dachte zunächst, sie würde erneut bewusstlos werden und konzentrierte sich darauf. Das Licht wurde immer größer. Es war ein sanftes Licht, keines, dass in den Augen stach. Es strahlte Wärme und Geborgenheit aus und bald war sie sich sicher, dass sie nicht mehr drohte, bewusstlos zu werden. Bald sah die Wölfin in dem Licht eine Gestalt, die auf sie zuzugehen schien. Immer größer wurde sie, bis die Wölfin die Gestalt als einen anderen Wolf erkannte. Der fremde Wolf ging gemütlich auf sie zu, bis er kurz vor ihr zum Stehen kam. Da hob die Wölfin das erste Mal ihren Kopf und sah den anderen Wolf genauer an. Er war ein großer und mächtiger Wolf. Doch er strahlte etwas Gutmütiges aus und das war nicht das Licht, das ihn umgab, sondern das Lächeln auf seinem Gesicht. Seine Hauptfarbe war weiß, doch seine Brust, die Pfoten und die Schwanzspitze waren gelb. „Na, du bist endlich wach. Du hast mir ganz schöne Sorgen bereitet, doch du bist eine wahre Kämpferin!“ Er stupste sie liebevoll mit der Schnauze an. Normalerweise wäre sie bei dieser plötzlichen Nähe durch einen fremden und so mächtigen Wolf zurückgeschreckt, doch diese Geste strahlte so viel Güte aus, dass sie ihr gut tat. „Bleib liegen. Hier hast du etwas zu fressen.“ Er deutete mit der Schnauze auf den kleinen Haufen direkt vor ihr. Es waren ein paar Beeren. Der weiße Wolf drehte sich um und legte sich neben sie genau auf die Seite, wo der Wind in ihr Fell gefahren war, um sie davor zu schützen. „Nun friss! Du hast sicher Hunger.“ Die Wölfin blickte ihren Retter verwirrt an. „Da... danke“, brachte sie nur heraus. Doch anstatt zu fressen, starrte sie ihn weiter an. Das schien ihn an etwas zu erinnern. „Oh wie unhöflich von mir! Mein Name ist Kito und wie ist deiner?“ „Aria“, hauchte sie. Dieses Wort tat so weh, dass sie sich entschied, doch die saftigen Beeren zu fressen und wand sich diesen zu. „Schön, dich kennen zu lernen, Aria“, lachte Kito und beobachtete seinen Schützling aus gütigen Augen. Am nächsten Tag wachten alle Wölfe in der Höhle auf. Nurik gähnte etwas. Kleine Funken flogen um seinem Mund herum. Doch sie erloschen gleich, bevor sie auf dem Boden aufkamen. „Guten Morgen“, sagte der Feuerwolf und streckte sich genüsslich. Langsam stand jeder auf, auch Verox pfiff zur Begrüßung. Der Adler breitete seine Flügel aus und flog zum toten Fisch, der vor der Höhle lag. Er fraß etwas von den Resten, die die Wölfe vom Vortag übrig gelassen hatten. Die sieben Wölfe machten es ihm gleich und stärkten sich für den Tag. Heute war ihr Aufbruch vom Wasserrudel und die Weiterreise zum Wassertempel. Doch bevor sie aufbrachen, mussten sie mit Rejn reden. Als sie fertig waren, traten alle zusammen aus der Höhle. Verox flog über ihnen und beobachtete sie von oben. Sie gingen den Weg zurück, den sie in die große Höhle gekommen waren, wo der See Rariki lag, den Abhang hinauf und in die kleine Vorhöhle. Dort erwartete sie auch schon Rejn. „Guten Morgen zusammen. Ich nehme an, ihr wollt uns heute schon wieder verlassen?“ Yen trat zum wesentlich kleineren Rudelführer. „Ja, wir werden heute wieder aufbrechen. Wir wollen euch nicht zu viel wegfressen. Doch ein paar Fragen hätten wir dennoch an dich.“ Rejn nickte. „Das habe ich mir gedacht.“ Da blickte er zu Nyrona, Esaila, Nurik und Sikona. „Ihr wollt sicher wissen, was euer Vater hier zu suchen hatte und wohin er nun unterwegs ist?“ Die Geschwister nickten. „Seit er uns vor acht Monden verlassen hat, haben wir nichts mehr von ihm gehört. Wir dachten, er sei verschollen“, erklärte Nurik. „Bitte sag uns, was du weißt.“ „Das werde ich.“ Rejn ging zu den Geschwistern, um mit ihnen direkt zu reden. „Eurem Vater geht es gut. Er sieht von der langen Reise etwas mitgenommen aus. Ihr müsst wissen, dass er alleine unterwegs ist. Ist er schon alleine von eurem Rudel aufgebrochen?“ Nyrona nickte. „Ja, er wollte etwas herausfinden und der Welt gegen die Bedrohung, die uns bevorsteht, helfen. Unsere Mutter und alle anderen männlichen Wölfe sollten das Rudel beschützen.“ „So, wie ich ihn kenne“, sagte Rejn und die anderen blickten den Wasserwolf verwundert an. „Kito und ich kennen uns schon seit Jahren. Er reiste früher sehr viel herum, bevor er Rudelführer wurde, und kam auch hier bei uns vorbei. Damals war ich selbst noch ein junger Rüde und hatte noch keine Ahnung von der Aufgabe, die mir bevorstand. Wir beide haben uns prächtig verstanden. Doch er musste bald wieder weiter. Euer Vater ist ein einzigartiger Wolf. Ich habe noch nie von einem Wolf gehört, der die Welt bereisen wollte, um alles zu sehen. Doch ich schätze, nun hat sich dieser weite Weg für ihn gelohnt. Er kennt sich besser als jeder andere Wolf in Daromi aus und hat sicher sehr viele interessante Orte gesehen.“ Da lachte Sikona. „Wenn du wüsstest, wie viele Geschichten er uns schon von der weiten Welt erzählt hat. Aber, dass er so weit zu euch gereist ist, hat er uns nie erzählt.“ „Ich schätze, er ist noch viel weiter gereist. Doch nun zu seinem letzten Besuch. Er kam vor etwa nicht ganz einem Mond zu uns. Wir nahmen ihn auf und gaben ihm Wärme und etwas zu Fressen. Da berichtete er uns von interessanten Dingen, die wir selbst noch nicht so ganz gespürt hatten. Es soll vom nördlichen Finsternisrudel eine böse Gefahr ausgehen. Kito konnte es sich nicht erklären, was es ist, aber er befindet sich auf dem richtigen Weg, es herauszufinden. Er meinte, es sei keine natürliche Kraft, sondern eine uralte Bosheit, die etwas mit unseren geliebten Göttern zu tun hat. Mehr konnte er mir dazu nicht sagen. Er war schon an vielen Orten und hat die verschiedensten Wölfe aufgesucht. Dadurch, dass er früher so viel herumgekommen war, hat er Freunde in ganz Daromi. Auch meinte er, dass es Wölfe in Daromi gibt, die ebenfalls wie er, gegen diese Bosheit kämpfen wollen. Er meinte, dass man vielleicht bei den Tempeln mehr herausfinden konnte, da diese die Orte der Macht der Götter sind. Dort sind sie uns am nächsten. Doch anstatt selbst zu dem Tempel zu gehen, meinte er, dass diese Aufgabe bereits anderen Wölfen zusteht. Seine bestand lediglich darin, die Wölfe zu warnen und Verbündete zusammenzurufen. Auch mich fragte er, ob ich bereit sei, an seiner Seite zu kämpfen, wenn es so weit ist. Ich gab ihm mein Versprechen, für Daromi zu kämpfen und gleichzeitig auf die Wölfe zu warten, die den Tempel aufsuchten, um ihnen den nötigen Schutz zu bieten. Das habe ich ja jetzt getan.“ Alle hatten bei seiner Erzählung aufmerksam zugehört. Da trat Esaila nach vorne und stupste den alten Wolf freundschaftlich an. „Danke, dass du das von unseren Vater erzählt hast. Jetzt wissen wir zumindest, dass er noch lebt und eine große Aufgabe vor sich hat. Wir vermissen ihn sehr, doch wir wissen, dass wir ihn eines Tages wieder sehen werden.“ „Meine liebe Esaila, das werdet ihr. Euer Vater ist der zähste und beste Wolf, dem ich je begegnen durfte. Er ist ein wahrer Rudelführer mit reinem Herzen und großen Verstand. Ihr könnt stolz auf ihn sein, seine Kinder zu sein!“ „Das sind wir!“, lachte Nurik und seine Schwestern. Da wandte sich Rejn wieder an Yen. „Ihr werdet sogleich zum Tempel aufbrechen nicht wahr?“ Yen nickte. „Gut, dann will ich euch sagen, wo ihr ihn finden werdet. Es ist nicht leicht, dorthin zu gelangen und ich war in meinem ganzen Leben nur einmal dort. Ein harter Weg steht euch bevor, doch ich glaube an euch, dass ihr es schaffen könnt. Wenn ihr aus der Höhle geht, dann haltet euch an der linken Wand der Schlucht. Dort findet ihr bald einen Aufstieg, der euch wieder nach oben bringt. Seit ihr oben angekommen, wendet euch nach Osten. Ihr seht zwei große Berge. Der eine läuft spitz zu und der andere geht mehr in die Breite. Genau zwischen die beiden müsst ihr gehen. Genau dort befindet sich ein riesiger See. Noch größer als Rariki. Dort müsst ihr abtauchen und den Tempel am Fuße des Sees suchen. Der See steckt voller Gefahren. Ich schätze, jetzt, wo die Bosheit in diese Welt kam, noch mehr als je zuvor. Dies ist ein heiliger Ort, das dürft ihr bitte niemals vergessen. Der Wassergott hat dort seine Hallen. Vielleicht habt ihr Glück und ihr werdet auf ihn treffen und euren Weg fortfahren können. Man sagt, der Gott lebe noch tiefer als der Tempel selbst und offenbart sich nur denjenigen, die es würdig sind, ihn zu sehen. Dadurch, dass der Weg zum Tempel so schwer ist, haben wir seit langem keinen Versuch mehr gewagt, ihn aufzusuchen. Deswegen kann ich euch nicht sagen, ob sich der Wassergott wirklich euch zeigt. Doch ich weiß, dass er in dem See lebt, ich selbst habe ihn gespürt als ich dort war. Dieser See hat auch eine Verbindung zu dem Meer um ganz Daromi. Angeblich sollte jedes Gewässer in Daromi ein Teil dieses Sees beinhalten, sodass der Wassergott über alles Wasser aufpassen kann.“ Rejn endete mit seinen Erzählungen. „Mehr kann ich euch nicht auf dem Weg mitgeben. Ihr werdet ein paar Wasserquellen finden, die euch etwas Nahrung geben können. Auch leben ein paar Tiere in den kalten Gegenden. Ihr müsst sie nur finden.“ „Danke Rejn für deine Hilfe“, sagte Yen „Wir werden deine Ratschläge berücksichtigen und hoffentlich heil am Fuß der Berge ankommen. Solltest du irgendwann einmal selbst Hilfe benötigen, so musst du uns nur rufen.“ „Ach, rettet einfach die Welt. Damit ist mir genug geholfen.“ Da fingen alle Wölfe im Raum zu lachen an. „Wenn es nur das ist!“, sagte Yen und drehte sich zu seinen Freunden um. „Wollen wir weiter?“ „Na klar wollen wir das!“, rief Kian voller Tatendrang und sprang hinter Yen aus der Höhle. Als sie draußen waren, drehten sie sich alle um und heulten zum Abschied ein kurzes Lied. „Kinder passt mir bitte auf euch auf! Wenn ihr euren Vater sieht, dann grüßt ihn von mir!“ „Das werden wir!“, rief Nyrona und schloss sich ihrem Rudel an, das schon auf dem Weg war. Wie es Rejn gesagt hatte, hielten sie sich an der linken Wand der Schlucht. Sie kamen unter dem eingefrorenen Abschnitt vorbei, den Sikona etwas erweitert hatte. Als sie draußen waren, kam direkt an der Wand ein kleiner Aufstieg. Diesen folgten sie nach oben. Verox flog langsam seine Kreise immer höher, damit er die Wolfsschar nicht aus den Augen verlor. Der Aufstieg war etwas mühsam. Sie waren zwar gesättigt und bei Kräften, doch die Kälte machte jedem Wolf - bis auf Sikona - Schwierigkeiten. Diese lief allen Wölfen voraus und bahnte sich als Erste einen Weg durch den Schnee. Somit konnten die Wölfe problemlos in ihre Fußspuren treten. Auch setzte sie etwas ihre Kraft ein und bahnte sich eine Presche in den hohen Schnee. Oben angekommen, ruhten sie sich erst einmal aus. Yen ging an den Rand und blickte nach unten. „Wir dürfen niemals vergessen, wo dieses Rudel lebt. Eines Tages kommen wir zurück und werden uns bei ihnen für ihre Hilfe und Gastfreundschaft bedanken. Das sind wir ihnen schuldig“, sagte der schwarze Wolf und drehte sich nach Osten. „Seht ihr die Berge? Ich glaube, das sind die beiden, die Rejn meinte. Lasst uns aufbrechen.“ Die Reise ging weiter Richtung Wassertempel. Keiner wusste, was sie erwartete und, ob sie den Tempel überhaupt fanden. Doch jeden Schritt, den sie auf ihr Ziel zumachen, fühlte sich gut an. Sie wollten endlich an ihrem ersten Ziel ankommen. Zuerst sah es so aus, als würde in dieser eisigen Gegend nichts gedeihen, doch bald kamen sie an ein paar sehr dicken Bäumen vorbei, die zu einem Wald wurden. Es war zwar still in dem Wald, doch ab und zu hörten sie einen Vogel kreischen. „Er sieht vielleicht tot aus, doch er lebt“, sagte Esaila und trat an einen Baum. Diesen berührte sie kurz mit ihrer Schnauze. „Ganz tief drinnen leben diese Bäume und sie sprühen nur so vor Kraft. Sie sind dieses Wetter gewohnt. Wahre Überlebenskünstler“, schwärmte sie. Als sie ihre Schnauze wieder vom Baum entfernte, bildeten sich kleine Schlingpflanzen an der Stelle. Diese bekamen sofort eine kleine Frostschicht. Da lachte die kleine Waldwölfin. „Siehst du, Sikona. Die Kälte ist nicht nur schädigend. Diese Bäume finden sie sogar gut. Wenn die Sonne einmal kommt, freuen sie sich sehr drauf und genießen einen warmen Wintertag.“ Sikona lächelte ihre Schwester an. Sie war immer der Meinung gewesen, dass die Kälte nichts Gutes war, sondern immer nur Zerstörung brachte. Doch in letzter Zeit musste sie feststellen, dass dies gar nicht stimmte. Als Ruki voller Verletzungen zu ihnen stieß, half ihm ihre Kälte, die Schmerzen zu lindern. An warmen Sommertagen schmiegten sich ihre Geschwister an sie, um sich etwas zu kühlen und jetzt dieser Wald, der die Kälte willkommen hieß. „Danke, Schwester. Ich merke, dass Eis doch nicht so böse ist, wie ich dachte. Doch lass uns weitergehen. Vielleicht finden wir hier etwas Wild. Da du nun im Wald bist, kannst du sicher die Bäume fragen, wo wir etwas finden. Vielleicht auch einen Fluss.“ „Geh etwas weiter nach Süden und dann wieder nach Osten. Dann finden wir einen kleinen Bach“, erklärte Esaila ihr und sie machten sich auf den Weg. Bald hatten sie den kleinen Bach erreicht. Kian ging zu Nurik. „Wie geht es dir?“, fragte er diesen. „Es geht. Ging mir schon besser. Langsam gewöhne ich mich an diese Kälte.“ Kian war mit dieser Antwort nicht zufrieden, doch er kannte mittlerweile Nurik und ließ ihn in Ruhe. Dennoch würde er ihn weiterhin beobachten und auch die ganze Zeit hinter ihm laufen. Er selbst mochte das wärmere Wetter auch lieber, doch er ist ja auch kein Feuerwolf, dem die Kälte mehr zu schaffen machte. Am Bach mussten sie die dicke Eisschicht aufbrechen, bevor sie das kalte Wasser vorsichtig trinken konnten. Als sie sich gestärkt hatten, ging ihre Reise durch den Wald weiter. Esaila erklärte ihnen, dass der Wald nicht ausgestorben sei. Es lebten hier Tiere, nur musste man sie, wie Rejn schon sagte, finden. Sie meinte, dass es hier Hasen gab und Füchse. Auch Elche sollten diese Wälder durchstreifen. Zudem gab es in den Kronen der Bäume mehr Vögel, als sie hören konnten. Das beruhigte das kleine Rudel. Bald wurde es dunkel und sie mussten sich einen Unterschlupf suchen. Durch die dicken Bäume wehte kein allzu starker Wind. Als sie einen breiten Baum fanden, machte Sikona eine große Kuhle in den Schnee. Sie legten sich alle zusammengekuschelt hinein. Nurik und Esaila in die Mitte, die anderen außen herum. Sikona legte sich selbstverständlich auf die windige Seite. Da sie wahrscheinlich die einzigen Wölfe hier im Wald waren, brauchten sie keine Wache. Dennoch spitze Sikona während dem Schlafen fein die Ohren. Es war dunkel. Überall, wohin er blickte, war diese Dunkelheit und eine weite Leere. Ein beklemmendes Gefühl kroch langsam seine Beinen hinauf, auf sein Herz zu. Die pure Angst vernebelte seine Sinne. Er vergaß zu atmen und wusste nicht, wohin in dieser unendlichen Weite. Da fiel ihm ein, dass er sich bewegen musste. Wenn er stehen blieb, holte ihn der Tod. So begann er zu laufen. Zuerst langsam, da ihn seine Beine anfangs nicht gehorchen wollten, doch dann immer schneller, bis er in einen gemütlichen Trab verfiel. Die Beklommenheit und die Angst ließ er hinter sich, doch die Dunkelheit blieb. >Ich darf nicht sterben! Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Eine wichtige Aufgabe, die über Leben und Tod entscheidet!<, schoss es ihm durch den Kopf. >Einen Ausweg finden. Irgendwohin!< Seine Schritte beschleunigten sich. Er hatte in dieser Dunkelheit völlig das Zeitgefühl verloren. Wie viele Minuten, Stunden oder vielleicht Jahre sind schon verstrichen, seitdem er losgelaufen war? Er wusste es nicht. Die Dunkelheit war überall und wollte ihn zum Anhalten bringen. Doch davon ließ er sich nicht beirren. Immer weiter ging seine Reise. Irgendwann begannen, Bilder in seinem Kopf aufzutauchen. Zwei kleine Welpen spielten im Wasser und spritzen ihn nass. Ein großer Wolf blickte auf ihn herab und schleckte freundlich über seinen Kopf und sagte irgendetwas, was er nicht verstand. Ein stechender Schmerz durchfuhr seine Pfote, als er das Bild eines anderen Wolfes sah, der ihn gerade in die Pfote biss. Da durchströmte ihn Hass und Verachtung. Kurz darauf sah er ein ganzes Rudel um sich herum stehen, wie sie ihn auslachten und verspotteten. >Nein, es soll aufhören! Ich will das nicht sehen!<, dachte er verzweifelt und schloss während dem Laufen die Augen, in der Hoffnung, die Bilder hörten auf zu erscheinen. Doch dem war nicht so und er beschleunigte seine Schritte. Sein Kopf dröhnte von den ungewollten Bildern und Tränen flossen an seinen Wangen entlang. Er knurrte und biss in die Luft. Er wurde traurig und böse zugleich. Verzweiflung und Zorn durchfluteten sein Herz. Plötzlich erschien ein Licht direkt vor ihm. Kein grelles, sondern ein sanftes Licht. Als er in das Licht sah, verschwanden die Bilder und die Gefühle aus seinem Kopf. Die Tränen versiegten und der Hass verschwand. Nun hatte er ein Ziel und steuerte direkt darauf zu. Er wurde noch schneller, doch er kam dem Licht nicht näher. Es war immer noch weit entfernt. Bald vernahmen seine Ohren ein leises Rauschen. Er spitze die Ohren und wusste, dass jemand versuchte, mit ihm zu reden. Doch das Flüstern kam nur undeutlich an. Mit weiten Sprüngen rannte er weiterhin auf das Licht zu. „Warte! Ich komme!“, rief er verzweifelt. Er hatte irgendwie das Gefühl, dass ihn jemand um Hilfe rief oder das Etwas ihm helfen wollte. „Ich komme zu dir und helfe dir! Warte auf mich!“ Das Licht fing an, zu pulsieren und begann, bei seinen Worten eine sanfte Wärme auszustrahlen. Gleichzeitig erlosch das Flüstern und das Licht wurde schlagartig größer. Dann verebbte es und verschwand. Der Wolf, völlig verwirrt, blieb sofort stehen. Er spitzte erneut die Ohren. „Danke ...“, vernahm er eine leise Stimme. „Wer bist du?“, fragte der Wolf und blickte angestrengt in die Dunkelheit. Da erschien plötzlich direkt vor ihm ein kleines Licht. Es wurde heller und größer. Kurz musste er aufgrund dieser Helligkeit die Augen schließen, doch als er sie wieder öffnete, sah er in ein durchsichtiges Wolfsgesicht mit violetten Augen. Als er blinzelte, war das Bild verschwunden. „Warte auf mich...“, flüsterte die Stimme erneut. „Es tut mir leid...“ Da war der Wolf wieder alleine. Die Dunkelheit kam zurück und das beklemmende Gefühl machte sich erneut auf den Weg zu seinem Herzen. Doch, anstatt weiter zu rennen, blieb der Wolf einfach stehen und ließ dies geschehen. „Ich werde warten!“, schrie der Wolf, als ihn die Dunkelheit völlig einhüllte. Plötzlich wurde Yen die Luft aus dem Brustkorb gedrückt. „Wach endlich auf, du Schreihals!“, rief eine bekannte Stimme. „Was ist nur los mit dir!“ Yen hustete und sog schnell wieder Luft in seine leeren Lungen. „Sikona, geh runter von ihm! Du tust ihm weh!“, rief Nurik und schubste seine Schwester von ihrem gemeinsamen Freund runter. Der schwarze Wolf blickte auf und sah Nurik dankbar an. „Was … ist geschehen?“ „Wir wollten aufbrechen und du bist einfach nicht wach geworden. Da bekamen wir Angst und Sikonas einzige Idee war, auf dir herum zu springen, bis du wach wirst. Na ja, das hat zwar geklappt, aber musste sie dir gleich die Luft abdrücken?“ „Es tut mir leid …. ich habe mir solche Sorgen gemacht“, flüsterte Sikona und kam mit eingezogenen Schwanz und angelegten Ohren zu Yen. Vorsichtig schleckte sie ihm übers Gesicht und winselte. Diese kleine Geste klärte Yens Kopf. Er hatte gerade geträumt und war nicht sofort aufgewacht. „Mir geht es gut. Ich hatte einen bösen Traum. Es tut mir leid, euch Sorgen gemacht zu haben“, sagte er, um seine Freunde nicht zu beunruhigen. Er blickte sich um und sah, dass Esaila, Ruki und Kian fehlten. „Wo sind die drei hin?“ „Jagen, damit wir nicht verhungern.“ Yen nickte und stand vorsichtig auf. Sein Kopf fühlte sich etwas benebelt an. „Wirklich alles in Ordnung?“, fragte Nyrona besorgt. „Ja, es war nur ein böser Traum. Es ist alles okay“, versicherte ihr Yen. Der große Wolf ging ein paar Schritte, um in seine müden Glieder etwas Bewegung zu verschaffen. Er schüttelte verwirrt den Kopf. Dieser Traum war so real gewesen. Irgendwie glaubte er nicht, dass es einfach nur ein Traum gewesen war. Doch darüber wollte er sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen, um seinen Freunden nicht noch mehr Sorgen zu bereiten. Da kam Verox zu ihm geflogen und setzte sich auf seinen Rücken. Besorgt kreischte er und breitete unruhig seine Flügel aus. „Alles in Ordnung, kleiner Freund.“ Da pfiff der Adler und verschwand wieder in den Baumkronen. Sikona ging zu ihrer Schwester. „Ich glaube nicht, dass wirklich alles okay ist ...“ „Du kannst ihn nicht dazu zwingen, dass er dir von seinem Traum erzählt“, meinte Nyrona dann und drehte sich um. „Ich glaube, die anderen kommen.“ Die drei Wölfe kamen mit je einem Hasen im Maul zu der kleinen wartenden Gruppe. „Oh, ihr wart ja recht erfolgreich“, rief Nurik freudig. Die drei Wölfe legten ihre Beute in den Schnee. „Man musste nur das Wild finden. Der Rest ging ganz leicht!“, erklärte Ruki freudig. „Oh, Yen du bist auch wach. Kommt nun alle fressen! Es ist zwar nicht viel, sollte aber vorerst reichen.“ Und da begannen die Wölfe, die drei Hasen zu fressen. Jeder bekam den gleichen Anteil. Als jeder seinen Bauch etwas gefüllt hatte, tranken sie noch am Bach. Dann ging die Reise sofort weiter. Sie wandten sich nach Osten. Trotz der ganzen Bäume konnten sie die Berge deutlich erkennen. Sie waren schon so weit gelaufen, dass diese schon hoch über ihnen aufragten. Sie liefen durch den Wald, der unverändert blieb. Alles war ruhig und sie trafen kaum auf andere Lebewesen. Bald hatten sie sich alle an die Ruhe hier gewöhnt. Kian lief nun direkt neben Nurik, um ihn etwas zu wärmen. Sikona lief auf seiner Windseite, um ihren großen Bruder zu schützen. Immer wieder machten sie eine kurze Pause, um etwas zu trinken und kurz auszuruhen. Als die Nacht anbrach, kuschelten sie sich wieder alle zusammen. Auch Verox kam zu der kleinen Wolfsgruppe und legte sich direkt neben Yen. In dieser Nacht träumte er ruhig. Am nächsten Tag gingen sie gemeinsam auf die Jagd und fanden einen Elch. Nach kurzer Hetzjagd und Einsatz von ihren Fähigkeiten, war der Elch bald gelegt und sie konnten sich die Bäuche vollschlagen. Auch Verox nahm sich dankend ein Stück und verspeiste es neben den Wölfen. Als alle gestärkt waren, ging die Reise weiter. An diesem Tag lichtete sich der Wald und sie konnten sehen, dass sie es nicht mehr weit bis zu den Bergen hatten. Sie mussten nur noch eine Ebene durchqueren und dann befanden sie sich am Fuß der Giganten. Ohne zu zögern, setzten sie ihren Weg fort. Ihr erstes Ziel rückte immer näher. Sikona blickte zu den Bergen hinauf. „Zum Glück ist der See direkt am Fuß der Berge … ich hätte nämlich wenig Lust, noch diese zu erklimmen.“ Da lachte Ruki. „Die findest du schon riesig? Da wo ich herkomme, gibt es weitaus höhere Berge. So hoch, dass man nur an klaren Sommertagen erraten kann, wie weit sie eigentlich in die Höhe ragen.“ Sikona lachte. „Irgendwann musst du mir diese Berge zeigen!“ Ruki nickte ihr liebevoll zu. Als Sikona ihn anblickte, wurde er rot und konzentrierte sich schnell wieder auf seinen Weg. Allen Wölfen wurde bald klar, dass sie ihrem Ziel nicht mehr fern waren. Als die Sonne langsam wieder unterging, wurde die Luft feucht und es wurde etwas wärmer. Dies belebte die Sinne der Wölfe, vor allem Nurik merkte den Wärmeunterschied sogleich. Bald kamen sie an ein paar Bäumen vorbei, die im Schutz der Berge wuchsen. Als sie direkt am Fuße der Berge waren, führte ein schmaler Spalt durch das Gestein. „Ich führte, wir müssen hier durch“, rief Yen und ging vor. Da der Spalt nicht sonderlich breit war, mussten sie hintereinander laufen. Je weiter sie gingen, desto wärmer wurde es. Sikona fing bald an zu hecheln, doch sie freute sich, dass die Kälte nun etwas von ihnen abfiel. Der Spalt führte nicht weit in die Berge hinein. Yen steuerte direkt auf das Licht zu, das immer größer wurde. Aufgrund seiner Größe konnten die Wölfe hinter ihm nur seine Silhouette erkennen. Doch sie folgten ihrem Rudelführer blind. Als Yen am Ausgang ankam, blieb er stehen. Kian, direkt hinter ihm, wäre beinahe in ihn hineingelaufen. „Was ist, Yen?“, sagte er leicht verärgert. „Wow ...“, sagte Yen. „Das müsst ihr euch ansehen. Das ist traumhaft.“ Da ging Yen weiter und ließ alle Wölfe durch den Ausgang. Sie mussten sich erst wieder an das helle Licht gewöhnen und vor allem an die Geräusche, die es an diesem sonderbaren Ort gab. Ein erstauntes Raunen ging durch die Wolfsmenge und sie betrachten gemeinsam die Landschaft vor ihnen. ~~ Das Licht Ende ~~ Geht es Aria bald wieder besser? Hat das kleine Rudel ihr erstes Ziel endlich erreicht? Was erwartet sie an diesem sonderbaren Ort? Ist ein Traum nur dann real, wenn man es sich einbildet, oder, wenn er Wirklichkeit wird? Kapitel 19: Dem Ziel so nah --------------------------- ~~Dem Ziel so nah~~ Die Morgensonne kitzelte Aria in der Nase, sodass sie mit einem lauten Niesen erwachte. >Diese Kälte bringt mich irgendwann noch um<, dachte sie und rieb ihre Nase an ihrer Pfote. Als das Kribbeln weg war, blickte sie sich um. Sie war alleine bei einer kleinen Baumgruppe. Doch das beunruhigte sie nicht. Kito, der Wolf, der sie gefunden hatte, war sicher in der Umgebung. Er hatte ihr versprochen, so lange bei ihr zu bleiben, bis sie sich fit genug fühlte, ihren Weg fortzusetzen. Heute war der Tag, an dem Aria aufbrechen würde. Dank Kito konnte sie neue Kraft schöpfen, trotz des kalten und rauen Landes, wo sie sich befand. Die Baumgruppe bot reichlich Schutz vor den Wettereinflüssen und somit konnte sie in Ruhe genesen. Kito brachte ihr immer eine Kleinigkeit zum Fressen. Es war nicht viel, aber es reichte für sie beide. Aria stand auf und streckte sich genüsslich. Ihre müden Muskeln taten ihr weh. Vorsichtig trottete sie zu der kleinen Wasserkuhle, die sie in den Schnee und den Boden gebuddelt hatten. Dort trank sie vorsichtig das kühle Nass. „Ach, du bist auch schon wach?“, sagte eine sanfte Stimme direkt hinter ihr. Als Aria sich umdrehte, erblickte sie Kito, der sie gutmütig anlächelte. Sein Lächeln hatte etwas vertrautes und beruhigendes. Man musste diesem Wolf einfach vertrauen. Aria bereute es nicht, sich in seinen Schutz begeben zu haben. Kito half ihr wieder auf die Beine und sorgte dafür, dass sie schnell wieder gesund wurde. Der weiße Wolf war sehr groß und muskulös. Sein Fell war ohne Makel und hatte keine Verschmutzungen, noch wurde es von Narben verunstaltet. Dennoch, so wusste Aria, hatte er sehr viele Kämpfe bestritten. „Ja, ich konnte nicht mehr schlafen. Meine Muskeln tun weh und ich möchte heute wieder zu meinem Ziel aufbrechen. Ich bin schon viel zu lange hier“, meinte Aria und ging zu Kito. Vor den Füßen des männlichen Wolfes lagen ein paar Wurzeln. Eine nahm sie vorsichtig in das Maul und aß sie. „Das ist der dritte Tag, den du hier verbracht hast, und du sagst, du bist schon zu lange hier? Dein Körper brauchte Zeit zur Regeneration und dein Aufenthalt hier war auch gut so, sonst wärst du jetzt nicht so fit!“ Er stupste sie freundschaftlich mit der Nase an. „Bevor du aber deines Weges gehst, würde ich mich gerne etwas mit dir unterhalten. Ich freue mich immer, neue Wölfe kennen zu lernen und ihre Geschichte zu hören. Es sei denn, du willst sie mir nicht erzählen.“ Aria aß ihre Wurzel auf und überlegte. Doch dann nickte sie. „Klar, ich erzähle sie dir. Du hast mir geholfen, so ist das ein kleiner Anteil, den ich dir damit zurückzahlen kann.“ Da lachte Kito. „Du musst mir rein gar nichts zurückzahlen, kleine sture Wölfin. Leider haben die Wölfe verlernt, etwas für jemanden zu tun, ohne eine Entschädigung dafür zu bekommen. Wir beide sind quitt und du schuldest mir gar nichts. Es ist selbstverständlich, dass ich dir geholfen habe. Mich freut es, dass du nach so kurzer Zeit wieder den Willen hast, weiterzugehen. Ich werde dich auch nicht aufhalten.“ Aria war dankbar für Kitos Hilfe und legte sich nahe eines Baumes in den Schnee. „Gut, dann erzähle ich dir ein bisschen von mir.“ Kito legte sich neben sie und bettete seinen Kopf auf seine Pfoten. Seine Ohren waren gespitzt. „Ich komme vom westlichen Teil Daromis und stamme aus einem Erdrudel. Leider wurde ich nicht unter den besten Sternen geboren. In meinem alten Rudel herrschte strickte Hierarchie und nur die Alphas durften Welpen bekommen. Doch meine Mutter verliebte sich in einen anderen fremden Wolf. Sie verstanden sich sehr gut und so geschah es, dass meine Mutter ungewollt trächtig wurde. Meine Mutter war sich der Gefahr bewusst, in die sie sich begab und erzählte nur meiner Oma von den Kindern, die sie unter dem Herzen trug. Nach ein paar Wochen kam dann ich als Einzelkind zur Welt. Leider erfuhren bald die Alphas von meiner Mutter und dem unerlaubten Welpen und somit begann der Alptraum. Meine Oma, Mutter und ich wurde von den Rudelanführern gequält und sie versuchten oft, mich umzubringen. Doch zusammen trotzten wir allen Gefahren und meine Mutter und Oma zogen mich groß. Leider wusste ich immer, dass ich nie wirklich willkommen in diesem Rudel sein werde und als ich dann alt genug war, um auf mich selbst aufzupassen, entschied ich mich, mein eigenes Rudel zu suchen oder eines zu gründen. Somit war ich meiner Oma und meiner Mutter keine Last mehr und sie konnten in Frieden im Rudel weiter leben. Doch dies war nicht der einzige Grund, warum ich ging. Meine Oma erzählte mir immer wieder eine Geschichte von einem bestimmten Wolf, der irgendwann das Land Daromi vor dem Untergang bewahren soll. Da es momentan in Daromi nicht gerade sicher ist, habe ich beschlossen, mich auf die Suche nach diesem Wolf zu begeben. So führte mich mein Weg nach Osten, in dieses kalte Land, in der Hoffnung, diesen Wolf bald zu finden und ihm auf seinem Weg zu unterstützen.“ Kito hatte die ganze Zeit ruhig zugehört. „Du hattest es wirklich nicht leicht, kleine Aria. Du sagtest, du bist von einem Erdrudel. Bist du ein Erdwolf?“ Aria nickte. „Nun, das dachte ich mir fast. Es tut mir leid, dass dich die Alphas so schrecklich behandelt haben. Leider gibt es nicht in jedem Teil von Daromi gutmütige Wölfe. Ich selbst bin der Alpha eines Gemischtrudels und Vater von vier wunderbaren Kindern. Alle Kinder haben unterschiedliche Elemente. Meine Gefährtin ist eine normale Wölfin, hatte aber die Gene von Feuerwölfen in sich.“ Da horchte Aria neugierig auf. „Deine Kinder haben alle unterschiedliche Elemente? Wie kommt es dazu und welche sind denn das?“ „Nun, in Gemischtrudeln ist das gar nicht so selten, dass in einem Wurf unterschiedliche Elemente vorkommen. Ich habe drei Töchter und einen Sohn. Die Erstgeborene ist eine Wasserwölfin, dann kommt eine Waldwölfin, mein Sohn hat das Element Feuer in sich und die zuletzt Geborene ist eine Eiswölfin.“ „Eine Wald- und eine Eiswölfin? Wie kann das sein? Soweit ich weiß, gibt es nur die sechs Elemente: Feuer, Wasser, Erde, Luft, Licht und Finsternis“, meinte Aria dann fragend. „Ja, da hast du vollkommen Recht. Nur kann es zu genetischen Veränderungen kommen, vor allem, wenn verschiedene Elemente zugleich in einer Genfolge sind. Ich selbst bin ein Lichtwolf und da meine Gefährtin Feuerwolfsblut in sich hatte und wir beide von einem Gemischtrudel abstammten, war es klar, dass verschiedene Elemente zustande kommen. Doch ich glaube nicht, dass es das Wald- oder Eiselement noch einmal in ganz Daromi gibt.“ „Warum glaubst du das?“, fragte Aria weiterhin neugierig. „Nun, ich denke, dass diese besonderen Elemente noch eine Bedeutung haben. Sie sind auf ihre Art sehr gefährlich und eigenartig, aber nicht mächtiger als die Standartelemente. Diese Abzweigungen ziehen ihre Kraft von den Elementen, von denen sie eigentlich abstammen. Wald zum Beispiel ist eine Abstammung von Erde und Eis von Wasser. Meine beiden Töchter fühlen sich in den jeweiligen Gegebenheiten fast genauso wohl, wie die reinen Elementwölfe.“ Aria verstand langsam. „Es war nicht ganz leicht diese unterschiedlichen Wölfe großzuziehen, oder?“ Kito lachte. „Oh nein, das war es ganz und gar nicht. Stecke mal einen Feuerwolf zu einem Eiswolf und lass sie miteinander spielen. Oft haben meine Gefährtin Marika und ich in die Spiele eingreifen müssen, da wir Angst hatten, dass sie sich gegenseitig weh taten. Doch, weil sie so unterschiedliche Elemente haben, passen sie besonders gut aufeinander auf. Es ist sehr erstaunlich, wie mein Sohn auf seine jüngere Schwester aufgepasst hat, wenn die Sonne mal wieder zu stark war. Er nahm ihr ein Teil der Wärme und nahm sie in sich auf. So eine Eigenschaft habe ich noch nie bei einem Feuerwolf gesehen.“ Die Erdwölfin sah in dem Gesicht von Kito, wie stolz er auf seine Kinder war und sie wusste, dass er ein sehr guter Vater war. Doch da kam ihr eine erneute Frage. „Warum bist du von deinem Rudel gegangen? Du bist doch der Alpha und hast sicher viel Verantwortung.“ „Da hast du Recht. Das habe ich. Aber ich finde, ich habe auch eine Verantwortung gegenüber dem Land Daromi und, da ich viele Wölfe kenne, wollte ich auch wissen, wie es ihnen geht. Zudem bin ich wie du auf der Suche nach dem prophezeiten Wolf und hoffe, dass mir meine Freunde weiterhelfen können.“ Aria sah traurig auf den Boden. „Wie schlimm steht es um Daromi, wenn sich schon mehrere Wölfe auf den Weg machen, um diese Welt zu retten?“ Kito stupste sie freundlich an. „Es steht schlimm um Daromi, ja, aber so schlimm ist es definitiv noch nicht. Du musst wissen, das Böse ist erst im Anmarsch. Es ist noch nicht gänzlich in Daromi angekommen. Das spüre ich. Unsere Elementkraft geht zwar zurück, weil sich die Götter komisch verhalten, aber sie leben noch und sind für uns Lebewesen da. Das Chaos ist noch weit entfernt, aber … „ Da blickte Aria zu Kito, der auf den Schnee starrte, als würde 100 Meter weiter unten irgendetwas liegen. „Aber?“, fragte sie dann vorsichtig. Da schüttelte Kito den Kopf. „Ach nichts. Wir müssen uns noch keine allzu großen Gedanken bezüglich unserer Welt machen. Zusammenhalt ist nun wichtig und ich habe schon einen weiten Weg hinter mir und mit vielen Wölfen geredet, die mir helfen werden, zusammen gegen das Böse standzuhalten. Zusammen sind wir stark!“ Aria nickte. Sie vertraute einfach dem weißen Wolf. Er war viel älter als sie und somit auch erfahrener. „Nun, wenn du schon einen so weiten Weg hinter dir hast, wohin wirst du als nächstes gehen, Kito?“, fragte Aria und blickte den weißen Wolf neugierig an. „Ich war gerade bei dem hier ansässigen Wasserrudel. Selbst so weit draußen merken sie die Veränderung im Land. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass sie sehr nah an der Wohnstätte eines unserer Götter leben. Mein Weg wird mich weiter Richtung Mitte von Daromi führen. Dort besuche ich eine alte Freundin und dann habe ich nur noch ein Ziel: Den Süden. Dort war ich noch nicht und da wohnen auch ein paar Freunde von mir.“ Aria blickte Kito verwundert an. „Wohnstätte eines Gottes? Haben unsere Götter in Daromi Wohnstätten?“ Kito nickte. „Ja, das haben sie. Es sind besondere Plätze, wo ihre Präsenz sehr deutlich zu spüren ist. Nur können nicht alle Wölfe sie erreichen, da sie gut versteckt liegen und auch von einer Art Zauber verborgen werden. Bevor ich hierher kam, habe ich mir die Wohnstätte des Wassergottes angeschaut. Leider kam ich nicht sonderlich weit und musste umdrehen. Dadurch, dass die Götter so schwach sind, konnte ich den Ort der Stätte sehr einfach finden, aber es ist ohne Hilfe unmöglich, zu den jeweiligen Stätten zu gelangen. Zudem ist es nicht meine Aufgabe, mich um die Götter zu kümmern.“ Die Erdwölfin verstand. „Wenn du einen kleinen Tipp von mir brauchst, wohin du als nächstes gehen sollst, so wende dich an das Wasserrudel hier in der Gegend. Vielleicht hat sich in der Zeit, seitdem ich von dem Rudel aufgebrochen bin, schon wieder etwas getan.“ „Danke, Kito. Das werde ich machen. Ich fürchte, ich werde sogleich aufbrechen, solange die Sonne noch scheint.“ Da standen die beiden Wölfe auf. Kito trat an Aria und stupste sie freundlich an. „Ich hoffe du findest bald dein Ziel, kleine Wölfin. Wenn du den Wolf der Bestimmung gefunden hast, so richte ihm aus, dass er nicht alleine ist. Es gibt Wölfe im ganzen Land, die sich darauf vorbereiten, neben ihm in die Schlacht zu ziehen, falls es soweit kommt. Darum muss er sich nicht kümmern. Das werde ich machen.“ „Ich werde es ihm ausrichten. Für dich hoffe ich, dass du bald zu deiner Familie zurückkehren kannst. Lass sie nicht zu lange warten. Sie vermissen ihren Alpha sicherlich.“ Kito blickte Aria mit traurigen Augen an. Sie wusste, dass er seine Familie sehr vermisste. Doch im Leben musste man manchmal Dinge tun, die einem nicht so passten, um für das Wohl aller zu kämpfen. Aria drehte sich um und ging Richtung Osten. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen und drehte sich erneut um. In der Mitte der Baumkronen stand stolz Kito. Um ihn herum leuchtete die kleine Baumgruppe in einem sanften Licht. „Danke für alles, Kito. Ich hoffe, wir werden uns wieder sehen.“ „Im Leben begegnet man sich immer zweimal, kleine Wölfin. Da bin ich ganz zuversichtlich.“ Bei diesen Worten drehte sich auch der Lichtwolf um und ging in die entgegengesetzte Richtung. Aria sprang den Hang nach oben. Vorsichtig darauf bedacht, ihre schmerzenden Muskeln noch nicht zu sehr zu beanspruchen. Das Land um sie herum war weiterhin weiß und undefinierbar. Doch davon ließ sie sich nicht beirren und wanderte weiter Richtung Osten. Immer wieder machte die Erdwölfin kurze Pausen, in denen sie sich etwas ausruhte. Sobald sie an einer kleinen Baumgruppe vorbeikam, suchte sie nach etwas Essbarem und wurde auch fündig. Sie aß Wurzeln und grub immer nach kleinen Wasserstellen. Dadurch, dass in diesem Land die Sonne keine Kraft hatte, bekam man durch den kalten Wind schnell Durst. Zwischen einer Baumgruppe fand sie dann einen Ort zu schlafen, wo sie sich bis zum nächsten Tag ausruhen konnte. Am nächsten Tag lief sie durch. Bald kam sie an eine große Schlucht. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie den weiten Weg nach unten gehen musste und sie fand auch bald einen kleinen Abstieg. Wolfspfoten im Schnee verrieten ihr, dass vor kurzen Wölfe hier gewesen waren. Sie schnüffelte, um Gerüche auszumachen, doch es war schon zu lange her, als die Wölfe hier vorbeigekommen waren. Mit neuer Hoffnung im Herzen machte sie sich auf den Weg nach unten. Der Abstieg verlief ohne Probleme und war kürzer, als er von oben aussah. Unten angekommen, verfolgte sie die Spuren im Schnee. Bald fand sie heraus, dass es weitaus mehr als nur zwei Wölfe gewesen waren. Die Pfoten waren unterschiedlich groß. Aria schätze auf fünf oder sechs Wölfe. „Was machst du hier?“, fragte eine unfreundliche Stimme. Aria erschrak und drehte sich um. Dort stand ein grauer Wolf in bedrohlicher Stellung, jederzeit bereit, auf sie zu springen. Die Erdwölfin trat ein paar Schritte zurück. Eigentlich passte ihr dieser unfreundliche Umgang überhaupt nicht, doch sie entschied sich, freundlich zu bleiben. „Hallo, mein Name ist Aria. Ich suche nach dem östlichen Wasserrudel, das hier angeblich lebt.“ Wie sie gehofft hatte, veränderte der Wolf seine Stellung und hob neugierig den Kopf. „Mein Name ist Ket und ich komme vom östlichen Wasserrudel. Was führt dich hierher, Aria?“ Vorsichtig trat Aria ein paar Schritte auf Ket zu. Er wirkte beim näheren Betrachten etwas unsicher. Dennoch blieb sie vorsichtig. „Ein guter Freund hat mir den Weg hierher gezeigt. Ich soll zu euch gehen und um Hilfe bitten. Mein Freund heißt Kito.“ Da spitzte Ket die Ohren. „Kito, sagtest du? Wenn das stimmt, was du sagst, dann bist du auch eine Freundin.“ Ket kam zu ihr und beschnupperte sie. Aria tat es ihm gleich. Es war eine freundliche Geste und zeugte von Neugier. „Nun, würdest du mich bitte zu deinem Rudel führen, Ket?“, fragte Aria vorsichtig. „Oh, natürlich. Dir ist sicher kalt. Komm mit.“ Da führte Ket sie zum Wasserrudel. Ihr Weg war etwas länger als gedacht, doch am Ende des Tages erreichten sie endlich ihr Ziel. Vor einem Felsen heulte Ket kurz auf. Bald bewegte sich der Fels und sie schlüpften durch den kleinen Spalt. Als sie drinnen waren, blickten die anderen Wölfe Aria neugierig an. Aber auch Aria war verwundert über ihre Gastgeber. Sie besaßen ein kurzes nasses Fell und sonderbare blaue Färbungen. Aria beschloss, dass dies wohl Wasserwölfe waren. Um nicht unhöflich zu wirken, wandte sie sich kurze Zeit später an Ket. „Ich habe ein paar Fragen an euch. Wem darf ich diese stellen?“ „Das klärst du am besten mit Rejn, unseren Rudelführer. Er ist ein alter Freund von Kito.“ Da führte Ket sie in eine größere Höhle. Sie war erstaunt von ihrer Herrlichkeit, mit dem riesigen See in der Mitte und den Kristallen an den Wänden. „Wow ...“, sagte sie und Ket lachte kurz auf. Ohne Worte führte der junge Wolf sie zu einer kleinen Nische direkt in der Nähe. „Alpha Rejn. Ich habe hier eine Besucherin für dich. Sie ist eine Freundin von Kito“, rief der kleine Wolf vorsichtig in die Nische. Zuerst rührte sich niemand, doch dann tauchte in der hinteren Ecke eine Gestalt auf. Der Wolf war ebenfalls ein Wasserwolf. Das erkannte sie, als er aus den Schatten heraus trat. „Wer behauptet, ein Freund von Kito zu sein?“ Aria trat vor und senkte den Kopf, um ihre Unterwürfigkeit zu demonstrieren. „Ich bin die Freundin von Kito. Mein Name ist Aria und ich komme aus dem Westen. Ich habe ein paar Fragen an dich. Ich traf Kito vor ein paar Tagen weiter westlich von hier. Er gab mir den Rat auf den Weg, nach euch zu suchen, um mir bei meiner Suche weiterzuhelfen.“ Rejn blickte die Erdwölfin an. „So so … eine Erdwölfin also. Was führt dich den weiten Weg nach Osten? Komm, wir werden sehen, ob ich dir helfen kann.“ Rejn drehte sich wieder um und ging in die Nische hinein. Aria folgte ihm. Als sich der große Wasserwolf hinlegte, tat sie es ihm gleich. Sie wollte nicht in einer höheren Stellung sein als er. Neugierig musterte er die junge Wölfin. „Du bist schon mein dritter Besuch in so kurzer Zeit. Ungewöhnlich, da es normalerweise Jahre dauert, bis wir mal Besucher bekommen.“ „Der dritte Besucher?“, fragte Aria neugierig. „Ja, genau. Kito war vor einem Mondzyklus bei uns. Bei seiner Rückkehr Richtung Westen musst du ihm begegnet sein.“ Aria nickte. „So war es.“ Rejn fuhr mit seiner Erklärung fort. „Und vor fünf Tagen haben wir hier sieben Wölfe beherbergt.“ Bei diesen Worten spitze Aria die Ohren. Sieben Wölfe? Das mussten die vielen Pfotenabdrücke im Schnee gewesen sein, die sie gefunden hatte. „Doch erzähle mir, was dich hierher führt.“ Und so erzähle Aria ihm von ihrer Suche nach dem Wolf aus der Prophezeiung, dem langen Weg, den sie dafür auf sich genommen hatte und, wie sie Kito traf, der ihr geraten hatte, nach dem östlichen Wasserrudel zu suchen. Als sie mit ihren Erzählungen fertig war, stand Rejn auf. „Nun, Aria. Ich werde dir Antworten geben, so gut ich kann. Du hast Glück. Die sieben Jungwölfe, die vor dir da waren, waren ebenfalls auf der Suche nach der Erfüllung der Prophezeiung. Ich denke, wenn du dich ihnen anschließt, wirst du die besten Chancen haben, dein Ziel zu erreichen. Zusammen seid ihr stark und, was Daromi in so einer schweren Zeit unbedingt braucht, ist Zusammenhalt! Ich würde dir raten, dass du dich diesem kleinen Wolfsrudel anschließt und ihnen bei ihrer Aufgabe hilfst.“ Aria konnte es nicht fassen. Es gab Wölfe mit dem gleichen Ziel und sie waren ganz in der Nähe. Sie beschloss diese sieben Wölfe zu finden und, sofern sie es erlaubten, sich ihnen anzuschließen. Alleine war es schwer, sich durchzuschlagen. „Kannst du mir sagen, wohin die Wölfe gegangen sind, als sie aufbrachen?“, fragte Aria vorsichtig. Rejn nickte. „Ja, das kann ich. Sie sind weiter Richtung Osten gegangen, zur Wohnstätte unseres geliebten Wassergottes. Dort versuchen sie herauszufinden, was mit unserem Gott los ist. Wenn du dich weiter Richtung Osten wendest, wirst du früher oder später auf sie stoßen. Den Weg, den sie nach Osten gegangen sind, werden sie auch wieder zurückgehen müssen.“ Die Erdwölfin war Rejn sehr dankbar. Endlich hatte sie einen Anhaltspunkt und diese Chance wird sie definitiv ergreifen. Er erklärte ihr noch, wie sie die Ruhestätte des Wassergottes finden konnte. „Danke Rejn. Ich werde mich auf den Weg weiter nach Osten begeben und ich hoffe, dass ich die Wölfe finde.“ Der Wasserwolf nickte und stand auf. „Doch bevor du gehst, ruhe dich hier etwas aus. Stärke dich und schlafe ruhig. Dein Weg wird weiterhin sehr steinig sein.“ So zeigte Rejn ihr eine ruhige Ecke zum Schlafen und befahl seinen Rudelmitgliedern, ihr einen Fisch zu fangen, den Aria am nächsten Tag verspeiste. Am nächsten Morgen kam Ket zu ihr. „Ich soll dich zum Höhlenausgang begleiten“, meinte der ruhige Wolf. „Kommst du mit?“ Aria folgte dem Wolf zum Felsen. Dieser wurde wieder von den Wasserwölfen auf die Seite geschoben. Bevor Aria ihren Weg fortsetzte, drehte sie sich noch einmal um. „Richte Rejn meinen Dank aus. Ich werde diese Großzügigkeit niemals vergessen.“ „Ich werde es ihm ausrichten. Viel Glück auf deinem Weg.“ Bei diesen Worte drehte sich Aria um und ging ihres Weges. Als alle sieben Wölfe durch den Spalt getreten waren, ergab sich vor ihnen ein traumhafter und fast schon unrealer Anblick. Direkt vor ihnen war ein tropenähnlicher Wald inmitten eines Kessels. Überall gab es Blumen und Bäume, in denen Insekten und Vögel hausten. In der Mitte des Kessels lag ein großer See. Der See strahlte ein sanftes Licht aus und erleuchtete den Kessel von innen. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, meinte Nyrona und trat weiter nach vorne. Sie standen auf einem kleinen Steinsims, der an der rechten Seite weiter nach unten ging. Von ihrer Position aus konnten sie über den ganzen Kessel blicken. Die sieben Wölfe ließen den Ort auf sich wirken. Der Ort sah so aus, als würde er nicht zu den Gegebenheiten außerhalb des Kessels gehören. Draußen gab es Schnee und kalte Winde, doch hier war es fast schon tropisch warm. „Der Ort lebt …“, sagte Esaila und trat nach vorne. „Doch hier stimmt etwas nicht. Die Bäume und Pflanzen sind betrübt und schwach. Hier fehlen jegliche Farben an den Blumen, die hier blühen. Mit dem Wassergott stimmt also wirklich etwas nicht.“ „Dann lasst uns sofort zu diesem See gehen!“, sagte Yen. Der große schwarze Wolf ging als erster den Weg nach unten. Alle anderen folgten ihm leise. Je weiter sie in die Mitte des Ortes gingen, desto bedrückender wurde die Stimmung. Die Vögel zwitscherten nur schwach, der Wind, der ihnen um die Schnauzen wehte, fühlte sich tot und trocken an. Sie mussten nicht weit laufen, da kamen sie an einen steinigen Strand, der am Ufer des Sees endete. Der See erschien von Nahem noch größer. Nyrona trat vorsichtig ins Wasser. „Wie tot ...“, sagte sie traurig und ging weiter hinein. „Nyrona und Sikona. Ihr habt die Aufgabe, euch im See etwas umzublicken. Sobald ihr etwas gefunden habt, kommt zurück. Wir anderen schauen hier nach einem Eingang zur Ruhestätte“, befahl Yen und trat zu Ruki. „Du fliegst bitte über den Kessel. Vielleicht findest du aus der Luft etwas. Sobald ihr etwas gefunden habt, heult ihr.“ Alle haben verstanden und sie teilten sich auf. Ruki ließ seine Flügel erscheinen und schwang sich in die Luft. Nyrona und Sikona verschwanden in den toten See. Der See war dunkel, doch dank der verbesserten Augen unter Wasser, konnten die beiden Wölfe alles gut erkennen. Inmitten des Sees befand sich ein tiefer Abgrund, der weiter nach unten führte. Die beiden Schwestern schwammen hinein. Nyrona bewegte sich sehr schnell im Wasser vorwärts und Sikona erschuf immer wieder kleine Eisplatten, an denen sie sich abstoßen konnte, um mit ihrer Schwester mitzuhalten. Sie konnten zwar nicht miteinander reden, doch sie verständigten sich mit Körpersprache. So wies Nyrona ihrer Schwester an, an der Wand nach etwas Ausschau zu halten, während sie weiter nach unten schwamm. Die anderen Wölfe außerhalb des Wassers verteilten sich und suchten den ganzen Wald ab. Doch keiner hatte Erfolg. Esaila versuchte mit den Pflanzen zu reden, doch keine wollte ihr so recht antworten. Ruki suchte an der Wand des Kessels, doch fand auch er keinen Eingang. Frustriert flog er an das Ufer des Sees zurück und hoffte, dass seine Freunde etwas gefunden hatten. Während dem Flug Richtung Ufer ertönte ein Geheul. Es waren Sikona und Nyrona. Sie hatten etwas gefunden. Der Windwolf beschleunigte seine Flügelschläge und landete sicher neben den nassen Wölfinnen. „Habt ihr etwas gefunden?“, fragte er neugierig. „Ja, aber das erzählen wir, wenn alle da sind.“ Es dauerte etwas, bis die restlichen Wölfe zu ihnen stießen. Der Kessel war größer als erwartet. Als alle da waren, begann Nyrona zu berichten „Wie ich vermutet habe, liegt die Ruhestätte am Grunde des Sees. Es ist ein sonderbarer Ort und ich habe den Eingang nur daran erkannt, weil um ihn herum kein Wasser existiert. Ich bin bis auf den Grund geschwommen und habe eine riesige Luftblase entdeckt, die den Eingang zur Ruhestätte umfasst. Der Weg führt also durch den See. Ich habe auch gleich ausprobiert, ob man in dieser Luftblase gut atmen kann und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie so etwas existieren kann.“ Yen nickte. „Gut gemacht, ihr alle. Jetzt müssen wir uns nur noch überlegen, wie wir da runter kommen.“ Da trat Sikona vor. „Ich würde sagen, wir ruhen uns hier noch einmal ordentlich aus. Nyrona und ich machen uns Gedanken, wie wir euch da runter bringen.“ Die Wölfe suchten sich einen ruhigen Ort. Sikona und Nyrona blieben am See. Da es hier nur Vögel gab, entschieden sie sich, sich von den Beeren zu ernähren. Ruki zeigte ihnen geschmackvolle Sorten und bald waren alle von den süßen Beeren gesättigt. Es begann langsam zu dämmern, als die beiden Wölfinnen zu den anderen stießen. „Wir haben eine Idee“, sagte Nyrona. „Doch dazu morgen mehr.“ So schliefen alle Wölfe zusammengekuschelt ein. Bei diesem ruhigen Ort brauchten sie keine Wache. Mitten in der Nacht wachte Sikona auf und bemerkte, dass Yen fehlte. Dieser saß weiter abseits und blickte auf den See. Verox saß neben ihm und plusterte sich auf, als er Sikona sah. „Kannst du nicht schlafen?“, fragte sie den großen schwarzen Wolf vorsichtig. „Nein …“, sagte Yen nach einer kurzen Pause. „Stimmen in meinem Kopf halten mich wach.“ Sikona blickte ihren Freund verwundert an. Sie glaubte ihm und hielt ihn nicht für verrückt. „Was sagen die Stimmen denn?“, fragte sie vorsichtig und hoffte darauf, dass ihr Freund ihr vertraute. Yen blickte sie erstaunt an. Er hatte damit gerechnet, dass sie ihn für verrückt hielt. Dankbar, dass dem nicht so war, sagte er: „Sie schreien, ich soll ihnen zu Hilfe kommen. Weißt du, ich habe schon lange immer mal wieder Alpträume. Mal sind sie da, mal nicht. Und immer ruft da jemand um Hilfe. Da ist ein Licht, das ich nicht erreichen kann. So sehr ich mich auch bemühe, ich komme nicht hin!“ Verzweifelt legte sich der große Wolf hin. „Je näher wir dieser Stätte kamen, desto lauter wurden die Stimmen.“ Sikona legte sich neben Yen und begann, ihm das Fell abzuschlecken. „Ich glaube dir, Yen. Vielleicht sind es die Götter oder die Stimmen der Wölfe, die uns brauchen. Du bist ein guter Wolf. Auch Verox weiß das. Danke, dass du mir das erzählt hast. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, was mit dir los ist. Letztens, als ich dich gar nicht wach bekommen hatte, hattest du da einen solchen Alptraum?“ Yen nickte. „Ja, hatte ich. Bitte sag kein Wort zu den anderen.“ „Versprochen“, sagte Sikona und legte ihren Kopf auf seinen Rücken. Die beiden Wölfe blieben bis zum Morgengrauen still. Als die ersten Sonnenstrahlen über den Kessel schienen, gingen sie zu den anderen Wölfen, um sie zu wecken. Sobald alle aufgestanden waren, gingen die Wölfe zurück an den See. Nyrona begann, den anderen zu erklären, wie sie zum Eingang kamen. „Wir werden euch alle einzeln nach unten bringen. Sikona und ich können immer nur einen Wolf mitnehmen. Damit ihr aber nicht völlig ohne Sauerstoff seid, wird Ruki euch eine kleine Luftblase um den Kopf erschaffen. Wir haben es gestern noch ausprobiert und festgestellt, dass die Blase nicht lange hält, doch das dürfte genügen, um auf den Seegrund zu kommen.“ „Ist das nicht etwas zu gefährlich?“, fragte Nurik vorsichtig. Seine Schwestern wussten, wie sehr er es hasste, in tiefe Gewässer zu tauchen. „Es ist der einzige Weg, Nurik“, sagte Yen und Sikona trat zu ihrem Bruder. „Keine Angst, wir bringen dich sicher nach unten!“, erklärte sie ihm. Nurik schluckte kräftig und blickte seiner Schwester tief in die Augen. Diese schleckte ihm fürsorglich über das Gesicht. Daraufhin nickte der Feuerwolf und Sikona ging wieder zur ihrer Schwester. „Welche Wölfe wollen die Ersten sein?“, fragte Sikona neckisch und wartete ab. ~~Dem Ziel so nah Ende~~ Wird Aria bald an ihrem Ziel sein? Erreichen die sieben Wölfe sicher den Seegrund? Was erwartet sie in der Ruhestätte des Wassergottes? Kann man einer Gottheit überhaupt helfen? Kapitel 20: Der Wassergott -------------------------- ~~Der Wassergott~~ Das kleine Rudel von Yen stand am See, der die letzte Hürde zum Tempel des Wassergottes zu sein schien. Der Tempel lag am Grunde des Sees und war mit einer Luftkuppel umschlossen. Die sieben Wölfe hatten die Idee, mit Hilfe von Nyrona, Sikona und Ruki auf den Grund des Meeres zu schwimmen. Keiner der Wölfe konnte so lange die Luft anhalten, wie die Eis- und Wasserwölfin. Sikona blickte fragend in die Runde. „Nun, wer fängt an?“ Da trat Yen nach vorne. „Ich fange an.“ Nyrona nickte. „Gut, dann komm mit ins Wasser. Ruki? Sikona? Würdet ihr mir bitte helfen?“ Die vier Wölfe traten nach vorne ins Wasser. Sikona und Nyrona sprangen ins kalte Nass. Yen blieb neben Ruki stehen. Der graue Wolf lächelte den etwas größeren Wolf neben sich an. „Du musst noch ein bisschen weiter rein ins Wasser. So kannst du nicht schwimmen.“ Daraufhin brummte Yen kurz und warf sich in die Fluten. Dabei erzeugte er eine so große Welle, dass Ruki nun selbst komplett nass war. Sikona und Nyrona schwammen ganz dicht an Yen heran. „Bitte hört mir alle zu. Ihr müsst unter Wasser genau das gleiche tun wie Sikona. Sie wird unter Wasser Eisschollen erschaffen, an denen ihr euch abstoßen müsst. Somit kommt ihr schon mal schneller durch das Wasser, als wenn ihr nur schwimmen würdet. Sikona passt natürlich auf euch auf, dass ihr die Schollen auch ja richtig erwischt. Ich hingegen schwimme die ganze Zeit neben euch her und bringe das Wasser um euch herum in Schwung. Es ist schwer zu erklären, aber dadurch beschleunige ich den ganzen Prozess noch zusätzlich. Wir haben es gestern mehrmals getestet und mit dieser Technik ist man in wenigen Minuten am Meeresboden. Keine Sorge wegen der Luftblase um euren Kopf. Sie wird dank Ruki halten.“ Mit diesen Worten tauchte die Wasserwölfin ab. Ein klitschnasser Ruki trat zu Yen. „Bitte tauche nun unter.“ Yen holte automatisch tief Luft. Während er seine Lungen mit dem kostbaren Gut füllte, spürte er einen sanften Windhauch um seinen Kopf. Als er abtauchte, folgte ihm der Windhauch und umschloss ihn. So entstand die Luftblase. Sikona tat es ihrem Freund gleich und tauchte ebenfalls nach unten. Mit ihrem Kopf zeigte sie in Richtung des Meeresgrundes. Yen folgte ihren Blick und konnte ihr Ziel vage erkennen. Dieser nickte seiner Freundin zu. Sie konnten mit ihrer kleinen Reise beginnen. Sikona erschuf die erste Eisscholle. Sofort schwamm sie darauf zu und stemmte sich ab. Gleichzeitig begann das Wasser sich um Yen herum zu bewegen und er wurde schon automatisch auf die Eisscholle hingezogen. >Das muss Nyrona sein<, dachte sich der schwarze Wolf und tat es der Eiswölfin nach. Er schoss durch das Wasser wie ein Aal. Direkt vor ihm war die nächste Eisscholle, an der er sich wie bei der ersten abstieß. Das Wasser floss durch sein Fell und zog ihn mit. Es war kein Reisen, sondern eher wie ein Führen. Anfangs fühlte er sich unsicher, doch je mehr Schollen kamen, desto mehr fand er Vertrauen und wurde richtig schnell. Sikona blickte bei jedem Sprung zu Yen nach hinten, um sich zu vergewissern, dass er auch mitkam. Ihre anfänglichen Bedenken wurden sofort weggewischt, als sie das Grinsen auf seinem Gesicht sah. Yen erfuhr in diesem Moment, wie herrlich es war, ein Element zu beherrschen und lernte die Kraft des Wassers und des Eises zu schätzen. Wasser leitete einen auf den richtigen Pfad. Es zerstörte weder, noch erschuf es etwas Neues. Wasser war eher wie ein Begleiter durch die Welt und war lebensnotwendig. Die Luftblase um seinen Kopf hielt bis zum Seegrund. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto verwunderter wurde er. Yen verstand nun Nyronas Worte vom gestrigen Tag. Direkt am Grund gab es eine große Luftkuppel, die sich um einen Riss in der Wand erhob. Direkt vor der Kuppel wurden sie langsamer und Sikona hörte auf, Eisschollen zu erzeugen. Langsam schwammen sie auf den Boden zu. Yen konnte den weichen Kies unter seinen Pfoten spüren, als sie direkt über den Boden schwammen. Sikona ging vor und trat ohne Komplikationen durch die Luftblase. Daraufhin tat es ihr Yen gleich und trat ebenfalls vom Nassen ins Trockene. Die Blase um seinen Kopf verschwand augenblicklich und der darauffolgende Atemzug, den er tat, roch nach Salz und Sand. „Wow, es funktioniert wirklich“, sagte Yen und blickte seine Freundin an. „Klar, was dachtest du denn? Dass wir euch Schwachsinn erzählt haben?“, sagte Nyrona, die ebenfalls in die Luftkuppel gekommen war. Yen schüttelte den Kopf. „Nein, das habe ich nicht gedacht, sondern eher, dass das Atmen hier unten ziemlich beschwerlich wäre. Das ist aber nicht der Fall. Es riecht wie am Meer.“ „Das stimmt. Es ist ein eigenartiger Ort und er flößt mir Respekt ein“, meinte Sikona dann und blickte zu dem Riss an der Wand. „Dort ist unser erstes Ziel. Ich hoffe, wir finden einen Weg, dem Wassergott zu helfen.“ Yen nickte. „Ich werde hier auf alle warten. Bringt ihr den Rest?“ Die Schwestern gaben keine Antwort, sondern gingen wieder ins Wasser. Yen blickte sich weiterhin etwas um. Die Luftkuppel war nicht sonderlich groß. Sie überdeckte den Riss an der Wand gerade so. Außer weißen Kies gab es am Boden nichts zu entdecken, doch er musste Sikona zustimmen. Dieser Ort hatte etwas Unheimliches, das einem einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Der schwarze Wolf ging vorsichtig zum Riss und schnupperte den Eingang ab. Er konnte nichts Verdächtiges riechen. Kurz blickte er in die Dunkelheit, doch er entschloss sich dazu, sich etwas weiter weg hinzulegen und auf die anderen zu warten. Sein Blick war auf den Eingang gerichtet, um mögliche Gefahren sofort zu entdecken. Der nächste Wolf, der ankam, war Kian, der sich wortlos zu Yen legte. Nach dem Blitzwolf kam Esaila, die leicht zitterte. „So etwas mache ich so schnell nie wieder. Ich spüre hier unten keine Pflanzen!“ Da musste Yen lachen. „Keine Angst, hier werden wir nicht lange bleiben.“ Auch Esaila legte sich neben Yen und blickte zum dunklen Eingang. „Da soll der Wassergott wohnen? Ein gruseliger Ort.“ Danach drehte sie sich zu Nyrona und Sikona um. „Passt auf Nurik auf. Er ist der Nächste. Ihm geht es wirklich nicht gut, bei dem Gedanken, hier runter zu kommen und ist schon panisch. Aber er sieht das natürlich viel zu eng, schließlich ist es nicht das erste Mal, dass er nass wird.“ „Er wird heil ankommen“, sagte Sikona fest und schwang sich wieder ins Wasser. An der Wasseroberfläche angekommen, erwarteten sie schon Ruki und Nurik. „Komm, Bruder“, sagte Nyrona freundlich. „Die anderen warten schon auf dich.“ „Können die nicht noch ein bisschen länger warten? So bis morgen oder übermorgen? Oder wollt ihr das nicht alleine machen!?“ „Ach, Nurik höre schon auf. Wir brauchen dich da unten und zwar heute noch. Die anderen verhungern ja!“, sagte Nyrona schon etwas strenger. „Alle kamen unten heil an, also wirst du das auch. Wir lassen dich nicht im Stich.“ „Das weiß ich. Aber ...“, weiter kam der Feuerwolf nicht. Da trat Sikona zu ihrem Bruder. „Nurik, ich werde auf dich aufpassen. Du musst nur genau das tun, was ich mache. Das kannst du doch?“ „Ja, Sikona. Das kann ich. Aber du weißt, ich mag Wasser nicht so gern. Vor allem nicht, wenn es so tief und kalt ist.“ Die eisblaue Wölfin nickte. „Ich verstehe dich da sehr gut. Weißt du noch was wir uns vor Jahren versprochen haben? Wir passen aufeinander auf, egal was kommt, egal wo wir uns befinden, egal was die Zukunft von uns verlangt. Ich gehe mit dir in den tiefsten Vulkan und du mit mir in den kältesten Eisgletscher. Ich bin bei dir und auch Nyrona schwimmt immer hinter dir. Sie deckt dir den Rücken.“ Nurik blickte tief in die Augen seiner Schwestern. Sikona sah, wie die Augen ihres Bruders langsam wieder klarer wurden. Dann nickte er und trat ins Wasser. Direkt vor Ruki blieb er stehen. Der Windwolf nickte auch ihm zu. „Soll ich noch andere Körperteile von dir mit einer Luftblase umhüllen?“ „Nein, das brauchst du nicht. Ich bin schon öfters nass geworden und mein Schwanz und meine Mähne haben sich danach immer wieder entzündet. Es würde mich nur aufhalten. Es sieht zwar so aus, als würden Mähne und Schwanz gänzlich aus Feuer sein, aber das ist nicht der Fall.“ Ruki nickte erneut. „Gut, dann lass uns anfangen.“ Nurik ging weiter in den See und tauchte unter. Dampf blendete Rukis Augen, der von Nuriks Körper ausging. Doch Ruki bildete sofort die Luftblase um Nuriks Kopf, sodass der Feuerwolf normal weiteratmen konnte. Nurik beruhigte sich soweit, dass er keine erneute Panikattacke bekam, denn jetzt konzentrierte er sich voll und ganz auf Sikona, die direkt vor ihm schwamm. Diese lächelte ihn freundlich an und erschuf die erste Eisscholle. Sofort stieß sich die Eiswölfin an der Scholle ab und erschuf die nächste. Ein kleiner Strom ermöglichte es ihm, weite Sprünge unter Wasser zu machen. Nurik nahm nochmal tief Luft, bekämpfte die aufkommende Angst und tat es seiner Schwester gleich. Er hasste Wasser und dann ging es bei dieser Mission auch noch darum, nach unten zu tauchen, anstatt zur rettenden Wasseroberfläche. Der Feuerwolf schaltete alles um sich herum ab und konzentrierte sich nur auf seine jüngere Schwester, die immer direkt vor ihm blieb und auf ihn aufpasste. Die Schollen waren sehr glatt und so geschah es, dass er auf halbem Weg den Halt verlor und ausrutschte. Er ruderte unkontrolliert und panisch im Wasser herum, versuchte zu schreien, doch kein Laut kam aus der Blase heraus. Es dauert nicht lange, da war Nyrona direkt neben ihm und stabilisierte seinen Körper. Nyrona blickte ihn fragend an und Nurik beruhigte sich sofort wieder. Er war in Sicherheit und er wusste, dass ihn seine Schwestern immer helfen würden. Die Eisscholle direkt vor ihm begann schon zu schmelzen. Schnell setzte er wieder zum Sprung an, der dieses Mal auch glückte. Nurik kam ohne weitere Probleme am Meeresgrund an. Dort trat er in die große Luftkuppel und die Blase um seinen Kopf verschwand. Jetzt fühlte er sich gleich wieder besser. Allerdings hatten ihn die Aufregung und der Weg nach unten erschöpft. Das Fell an seinem Rücken und an seinem Schwanz begann sofort wieder wie Feuer zu lodern. Sikona stand direkt neben ihm und stupste in an. „Das hast du sehr gut gemacht, Bruderherz“, meinte sie sehr stolz zu ihm. Nurik lächelte seine Schwester erschöpft an. „Danke, dass ihr so gut auf mich aufgepasst habt. Ohne euch hätte ich das nicht geschafft. Aber eines muss ich schon sagen. Die Unterwasserwelt sieht sehr interessant aus. Diese ganzen Fische!“ Da musste Sikona lachen. „Ja, mein Lieber. Auch im Meer existiert Leben.“ Die anderen Wölfen versammelten sich um Nurik. Sie freuten sich, dass er ohne große Probleme bei ihnen angekommen war. „So wir müssen nun den letzten Wolf holen. Ruki wartet sicher schon ungeduldig auf uns“, meinte Sikona dann und verschwand wieder in den Tiefen des Sees. Nurik beobachtete neugierig, wie seine beiden Schwestern in der Ferne des Wassers verschwanden. Dann beschnupperte er den Boden. „Hier riecht es ja gar nach Fisch“, meinte er dann. „Fisch riecht ja auch nur, wenn er alt ist“, sagte Kian mürrisch. „Hat man dir das nicht als kleiner Welpe beigebracht?“ Nurik, der die bösen Worte nicht ganz verstand, sagte: „Als Welpe hatte ich nicht viel mit Wasser und dessen Bewohnern zu tun.“ Kian verdrehte die Augen und legte sich wieder hin. Der Blitzwolf mochte es auch nicht, so tief unter Wasser zu sein. Sollte es zu Problemen kommen, so hatten die Wölfe keine Möglichkeit, mal schnell von diesem Ort zu verschwinden. Er hätte immer gerne einen sicheren Fluchtweg gehabt. Doch dies ließ sich nun nicht ändern und er saß mit den anderen Wölfen hier mehr oder weniger fest. Nun gab es kein zurück mehr. Nach kurzer Zeit kam dann auch der letzte Wolf beim Rudel an. Ruki trat in die Luftkuppel und schüttelte sich ausgiebig. Er hatte seine Flügel erscheinen lassen, um so besser durch das Wasser zu kommen. „Wow, das hat richtig Spaß gemacht. Habt ihr gesehen was für ein Tempo ich drauf hatte?“, sagte Ruki begeistert und blickte Nyrona und Sikona an. Die beiden lachten. „Oh ja, das haben wir gesehen. Du hast Sikona beinahe eingeholt. Sie hätte es fast nicht geschafft, die Schollen im richtigen Moment zu erschaffen“, sagte Nyrona und ging zu den anderen Wölfen. Sowohl die Eiswölfin als auch die Wasserwölfin waren erschöpft. Es war sehr anstrengend gewesen, alle Wölfe heil nach unten zu bringen. Zudem schwand auch ihre Elementkraft immer mehr. Sie waren so nah am Wassertempel, doch die Kraft schien hier genauso schwach zu sein, wie in jedem anderen Teil von Daromi auch. Als Sikona sich schüttelte, flogen kleine Eiskristalle von ihrem Fell weg. „Ist dir kalt Sikona?“, fragte Ruki besorgt. Seine Freundin blickte ihn verwirrt an. „Mir und kalt?“, fragte sie. „Nein, mir ist nicht kalt. Das passiert immer, wenn ich im Wasser war. Meine Körpertemperatur ist von vornherein etwas kälter als die von normalen Wölfen. Ist dir das noch nie aufgefallen?“ „Doch, aber ich dachte immer, das machst du mit Absicht und das ist kein Dauerzustand“, erklärte Ruki. „Das ist so wie bei dir. Du spürst dafür den Wind eher durch dein Fell fahren, als ich.“ Ruki nickte und verstand. „Das sich deine Eltern, als du auf die Welt kamst, keine Sorgen gemacht haben?“ „Natürlich haben sie sich Sorgen gemacht. Sie dachten ich erfriere und unterliege einer seltsamen Krankheit. Deswegen hat mir meine Großmutter diesen Anhänger geschenkt und nicht Nurik, wie es normalerweise der Fall gewesen wäre. Halte mal deine Nase dagegen, dann wirst du spüren, dass er vor Wärme pulsiert.“ Ruki näherte sich Sikona vorsichtig und hielt seine Schnauze an den Zahnanhänger. Sofort spürte er eine sanfte Wärme. „Du hast Recht. Er ist warm. Das ist mir noch nie zuvor aufgefallen und Nurik sollte ihn ursprünglich bekommen?“ Sikona nickte. „Ja, es ist Tradition in meinem Rudel, dass immer ein Feuerwolf der nächsten Generation diesen Anhänger bekommt. Nurik hätte ihn von mir bekommen, nachdem wir alle sicher waren, dass ich nicht in Lebensgefahr schwebe, doch er meinte, dass er bei mir besser aufgehoben wäre und ich somit immer eine kleine Erinnerung an meinen Bruder bei mir trage. Somit weiß ich, dass ich in dieser kalten Welt auch einen warmen Funken an meiner Seite habe.“ „Das ist echt lieb von Nurik. Ihr beide versteht euch besonders gut nicht?“ Sikona nickte erneut. „Ja, das hängt damit zusammen, dass unsere Elemente so gegensätzlich sind!“ „Ich finde es erstaunlich, wie ihr euch respektiert und beschützt.“ Sikona blickte ihn in die Augen und wollte gerade etwas sagen, doch da wurde sie von Kian unterbrochen: „Hey Turteltauben, wie wäre es, wenn wir mal reingehen?“ Sikona und Ruki beendeten ihr Gespräch und folgten den anderen in die Höhle. Ruki würde dieses Gespräch aber nie vergessen und hoffte, Sikona irgendwann nochmal darauf ansprechen zu können. Yen ging als erster durch den kleinen Höhleneingang. Dieser war zwar breit, aber es konnten nicht zwei Wölfe nebeneinander laufen. Bald verschwand das bisschen Licht und die Wölfe waren im Dunkeln. Der schwarze Wolf blieb kurz stehen, sodass sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Zum Glück hatte er noch andere gute Sinne außer seine Augen. Seine Ohren waren nach vorne gerichtet und seine Nase funktionierte sowieso besser als seine Augen. Wölfe sahen mehr mit dem Geruchs- als mit dem Sehsinn. Als die Gruppe in die Höhle getreten war, hatte er bemerkt, dass es mehr nach Seetang und Salz roch. Bei der genauen Betrachtung der Höhlenwände fiel ihm auf, dass sie natürlichen Ursprungs waren und nicht künstlich angelegt waren. Zudem spürte Yen, ein Ziehen in seiner Brust, seitdem er den Seeboden berührt hatte. Es schmerzte nicht, oder war unangenehm, sondern es war eher vertraut, so als hätte er dieses Gefühl schon immer gehabt. Doch er ließ sich nicht beirren. Kurz blickte er zurück zu seinen Freunden. Esaila war direkt hinter ihm. Er war froh, solche Freunde gefunden zu haben. Sie hatten zwar keine Rangfolge in ihrem Rudel, was er sehr gut fand, doch sahen ihn die anderen schon eher als eine Art Alpha an. Er selbst hatte einen großen Beschützerinstinkt für alle entwickelt und wollte seine Freunde gar nicht mit in die Höhle nehmen. Doch er wusste, dass sie ihn niemals alleine gehen ließen. So ging er entschlossenen Schrittes weiter ins Höhleninnere. Alle wollten herausfinden, was mit dem Wassergott war und wieso die Kräfte langsam verschwanden. Der Gang wurde bald breiter, sodass auch mehr Wölfe nebeneinander herlaufen konnten, bis sie in einen kleinen Raum kamen. Dort blieben die Wölfe stehen und blickten sich um. Der Raum war heller, als die Gänge. Als Yen nach oben blickte, konnte er einen Kristall sehen, der ein sanftes Licht verströmte. Es war genauso ein Kristall, wie die, die sie schon in der Höhle der Wasserwölfe gesehen hatten. „Nun, was machen wir jetzt? Hier gibt es zwei Wege“, sagte Nurik, der zu den beiden Eingängen blickte. „Welchen sollten wir nehmen? Oder sollten wir uns aufteilen?“ Sikona und Kian waren in dieser Zeit schon jeweils in einem der Gänge verschwunden, um sich kurz umzublicken. Als Sikona fertig mit ihrer kleinen Erkundung war, ging sie zum Blitzwolf, um die Höhlen zu vergleichen. „Beide riechen gleich und sind wieder dunkel. Es ist also egal ...“, weiter kam die Eiswölfin nicht, da begann die Erde zu beben und Steine flogen von der Decke auf sie nieder. Sikona versuchte noch, durch die fallenden Steine zu springen, doch da wurde sie von Kian aufgehalten. „Spinnst du?“, schrie er sie an. „Komm da gefälligst weg!“ Da folgte Sikona dem Blitzwolf in Sicherheit. Die anderen Wölfe rannten in die entgegengesetzte Richtung und drängten sich an die Höhlenwand. Doch in dem kleinen Raum blieben alle Steine an der Decke. Nur der Durchgang, den Kian und Sikona genommen hatten, war verschüttet. So schnell wie das Beben angefangen hatte, so schnell hörte es auch wieder auf. Yen und Nurik sprangen sofort ihren Freunden zur Hilfe. „Sikona! Kian!“, schrie Nurik und versuchte verzweifelt, die Steine aus dem Weg zu räumen. „Antwortet uns, wenn ihr uns hört.“ „Nurik, sei mal still“, sagte Yen und spitzte die Ohren. „Ich kann sie hören. Sie sind also nicht tot.“ Yen trat vorsichtig über die Steine, bis er fast an der Decke war. „Kian?“, fragte er etwas lauter. „Ja, Yen?“, kam sofort von der anderen Seite. „Geht es dir und Sikona gut?“ „Nur einen kleinen Schock sonst nichts. Es sind nur hier die Steine von der Decke gefallen. So wie es aussieht hat sich Nuriks Frage beantwortet. Da wir nicht alle Steine wegschieben können, werden Sikona und ich uns einen anderen Weg suchen. Wir werden euch schon finden, keine Angst. Sag bitte Nurik, dass ich gut auf seine Schwester aufpassen werde. Er braucht sich keine Sorgen zu machen.“ Yen wünschte seinen beiden Freunden noch Glück und wand sich dann an Nurik. Er richtete Nurik die Worte von Kian aus. Dieser nickte. „Ich werde mich später bei ihm bedanken.“ Sobald sich alle wieder beruhigt hatten, gingen die Wölfe durch den anderen Höhlendurchgang weiter. Kian und Sikona gingen auch ihres Weges. „Na toll... jetzt sind wir von den anderen getrennt“, sagte Sikona nach einiger Zeit. „Ob wir sie je wieder finden?“ „Natürlich werden wir das. Hier muss irgendwo ein Ausgang sein.“ Kian war eigentlich nicht der Typ dafür, andere Wölfe aufzumuntern. Doch irgendwie respektierte er diesen lieben Umgang, den der Feuer- und Eiswolf miteinander hatten, auch wenn ihm manchmal Nurik auf die Nerven ging. „Komm, wir müssen schnell weiter.“ Sikona folgte ihm ohne ein weiteres Wort. Kians Worte ließen sie optimistischer denken und wieder Hoffnung schöpfen. Ihr Weg führte nur den Gang entlang und kein weiterer Raum folgte. Somit blieben die beiden im Dunkeln. Nach einiger Zeit legten sie eine kleine Pause ein und ruhten ihre Pfoten aus. Irgendwann war die Stille für Sikona erdrückend und sie versuchte, mit dem sonst so schweigsamen Wolf eine Unterhaltung anzufangen. „Du Kian ... du hast mal erzählt, du kommst aus dem Osten. Wir sind ja jetzt im östlichsten Teil von Daromi. Wo genau von hier aus gesehen hatte dein Geburtsrudel sein Revier? War das dann auch ein Gemischtrudel?“ Kian blickte die Eiswölfin mit seinen kühlen blauen Augen an. Er wusste nicht, ob er auf diese Fragen antworten sollte. Eigentlich hatte er keine große Lust, sich die Zeit mit Fragen tot zu schlagen, doch Sikona war gerade über einen kleinen Schock hinweg und da war es auch in seinem Interesse, die Stimmung etwas zu lockern. So schüttelte er den Kopf. „Nein, das war kein Gemischtrudel, sondern ein reines Lichtrudel.“ Diese Aussage verwirrte Sikona etwas. „Ein Lichtrudel im Osten von Daromi?“ Kian schwieg auf diese Feststellung und drehte seinen Kopf von Sikona weg. Er wollte über das Thema nicht weiter reden. Zwar kam einem Sikona häufig etwas unterbelichtet vor, doch vormachen konnte man ihr nichts. Ihr fiel auf, dass Kian etwas verborgen hielt und nicht darüber reden möchte, doch sie wollte nicht, dass er dachte, ihr würde das entfallen sein. „Nun gut. Ich weiß, dass da irgendwas ist, über das du nicht sprechen möchtest. Das verstehe ich. Wir wollen dir alle nur helfen.“ Da legte die Eiswölfin ihren Kopf auf ihre Pfoten und schloss etwas die Augen. Sikona hatte gehofft, mit Kian ein bisschen reden zu können. Doch er war sehr verschlossen, dies hatte sie schon von Anfang an bemerkt. Diese Tatsache machte sie etwas traurig, da sie alle nette Wölfe waren. Doch am Grundcharakter eines Wolfes kann man nichts ändern. Die Eiswölfin döste etwas vor sich hin, als Kian sie ansprach. „Sikona? Bist du wach?“ Die Angesprochene öffnete die Augen und sah den Blitzwolf an. „Ja, Kian? Wollen wir schon weiter?“ „Ja, gleich, aber vorher möchte ich dir noch etwas erzählen. Ich erzähle das jetzt nur dir, weil ich denke, dass ich dir vertrauen kann und ich nicht will, dass durch irgendwelche Missverständnisse Unmut aufkommt.“ Sikona nickte. „Du kannst mir vertrauen, Kian.“ „Gut. Du musst wissen, damals, als ich zu euch gestoßen bin, habe ich euch angelogen. Ich komme nicht aus dem Osten. Ich war noch nie hier. Ursprünglich komme ich aus dem Süden, wie schon gesagt, aus einem Lichtrudel. Dort wuchs ich unter einem sehr strengen Rudelführer auf, der auch mein Vater war. Ich war damals das einzige Kind in der Familie und musste also einen gewissen Stand im Rudel bewahren. Doch das konnte ich nicht, da ich kein Lichtwolf war. Fast alle anderen Wölfe waren dem Element Licht wohl gesonnen. Es hat über ein Jahr gedauert, bis ich herausfand, dass ich kein Licht, sondern Blitze beherrschen konnte. An diesem Tag erinnere ich mich noch gut. Blitze sind kein friedliches Element. Sie bringen Katastrophen und Zerstörung und so war es auch, als sich das erste Mal meine Kraft gezeigt hatte.“ Sikona hörte Kian aufmerksam zu. Sie hatte den gelben Wolf noch nie so viel erzählen gehört. Doch sie wusste, das, was er jetzt preis gab, erzählte er nur ein einziges Mal. „Ich war in unserer Höhle und zudem ziemlich aufgebracht, da fing mein Fell zum Knistern an. Meine Mutter rief mir noch zu, ich solle mich beruhigen, doch diese Beschwichtigungen haben es nur noch schlimmer gemacht. Du musst wissen, dass mein Vater immer einen Lichtwolf in mir sehen wollte, doch das war ich nicht und ich konnte auch mit dem Element Licht nichts anfangen. Doch er hörte nie auf, mir unmögliche Aufgaben zu stellen. Da wurde ich sauer, entlud eine große Ladung Blitze und hätte uns beinahe alle in der Höhle eingesperrt, da ich einen Erdrutsch verursacht hatte. Zum Glück hatten wir noch einen Hinterausgang, der unversehrt blieb. Da habe ich meine eigentlichen Fähigkeiten entdeckt und fasste einen Entschluss. Ich verließ am darauffolgenden Tag das Rudel, um meiner Familie keinen weiteren Schaden zuzufügen und selbst an meinen Fähigkeiten zu feilen. Zudem war ich damals schon lieber ein Einzelkämpfer und mein Vater wollte mich sowieso aus dem Rudel schmeißen. Es war zwar nichts Schlimmes passiert, da die Höhle eh etwas brüchig war, doch, wenn ich mich nicht unter Kontrolle habe, könnte ich tatsächlich eine Gefahr darstellen. So ging ich, lernte meine Fähigkeiten kennen und vor allem zu kontrollieren. Ich bin noch weit davon entfernt, sie effektiv einzusetzen, doch ich habe die volle Kontrolle über mich erlangt.“ Kian machte eine kurze Pause. „Konntest du mir bis dahin folgen?“ Sikona nickte nur und hörte ihrem Freund weiterhin zu. „Als ich nach drei Jahren zu meinem Rudel zurückkehrte, war nichts mehr davon übrig. Alle starben bei einem Waldbrand. Ich fand ihre verkohlten Leichen in der Nähe der Höhle und in der Höhle selbst. Keiner war übrig geblieben und der Wald roch nach Tod und Verderben. Da beschloss ich, den Wolf aus der Legende zu finden, denn ich wusste, wenn die Lichtwölfe in meinem Rudel über ihre volle Kraft verfügt hätten, wären sie irgendwie davongekommen.“ Damit endete Kians Geschichte und er drehte seinen Kopf wieder weg. Was Sikona nun von ihm dachte, war ihre Sache. „Das ist keine schöne Geschichte und es tut mir Leid um dein Rudel.“ Kian blieb weiterhin liegen. „Ich finde es nicht schlimm, dass du uns angelogen hast. Das war eine Notlüge und das verstehe ich. Ich würde auch keinem fremdem Haufen Wölfe trauen, die mich ausfragen. Die anderen werden von mir nichts erfahren. Es ist deine Sache, wem du alles die Wahrheit erzählst, aber danke, dass du sie mir erzählt hast. Weißt du, manchmal ist es besser, über gewisse Dinge zu reden, als zu versuchen, sie zu ersticken. Ich hoffe, dir geht es nun etwas besser.“ Mehr sagte sie zu all dem nicht und blickte noch immer Kian an, der weiterhin den Kopf von ihr weggedreht hatte. Irgendwann legte auch sie sich wieder hin. „Danke, Sikona“, sagte Kian und stand auf. „Ich denke, wir sollten weitergehen.“ Sikona stand ebenfalls auf und folgte dem gelben Wolf. Sie wusste, dass sie ihrem Freund eine große Hilfe war, auch wenn er es nicht anmerken ließ. So war Kian eben: Verschwiegen und ein Einzelgänger, doch auch ein Einzelgänger brauchte Freunde. Der Gang blieb weiterhin schmal, aber nicht dunkel. An den Wänden erschienen leuchtende Kristalle, die ihren Weg erhellten. Somit kamen sie auch schneller voran. Nach einiger Zeit kam ein kleiner Windstoß durch den Tunnel. „Ich glaube, wir haben den Ausgang bald erreicht“, sagte Kian und fiel in einen leichten Trab. Sikona folgte ihm und sie hoffte, am Ende ihr Rudel wieder zu finden. Die Kristalle an der Wand wurden immer mehr und der Gang immer breiter. Irgendwann trug der Windstoß ein paar Stimmen mit. „Das sind sicher die anderen!“, rief Sikona und sie rannte los, dicht gefolgt von Kian. Der Gang endete in einem riesigen Raum, umgeben von vielen Kristallen, die alle Schatten in die Ecken trieben. Ganz in der Nähe ihres Ausganges lagen ihre Freunde. „Nurik!“, rief Sikona und rannte zum Feuerwolf. Dieser sprang sofort auf und begrüßte seine Schwester ausgiebig. „Schön, dass du wieder da bist“, sagte der Feuerwolf und schleckte Sikona über die Schnauze, woraufhin eine kleine Dampfwolke aufstieg. Dann drehte er sich um und blickte Kian an. „Danke, dass du auf sie aufgepasst hast. Du hast was gut bei mir.“ „Lass stecken. Du bist mir nichts schuldig.“ Kian wandte sich an Yen und fragte ihn, wie sie zu dieser Höhle gekommen und wie lange sie schon hier waren. „Ich kann es schlecht sagen, wie lange wir schon warten. Aber noch nicht all zu lange. Der Gang den wir nahmen, wurde irgendwann breiter und bald floss ein kleiner Bach neben uns entlang. Da wussten wir, dass dieser Bach in etwas Größeres münden musste und sind diesem bis hierher gefolgt. Da es hier viele kleine Höhlen gibt, war unsere Hoffnung, dass ihr irgendwann aus einer dieser Höhlen auftauchen würdet. Und hier seid ihr. Hattet ihr Probleme?“ Kian schüttelte den Kopf. „Nein, alles lief wunderbar.“ Yen drehte sich um und blickte sich in der Höhle um. Der Raum war riesig und ausgiebig beleuchtet. Der Bach, dem sie hierher gefolgt waren, endete in einem See, der in der Mitte der Höhle lag. Rundherum flossen mehrere kleine Bäche in den See hinein, die aus unterschiedlichsten Richtungen kamen. Viele flossen von der Decke oder aus der Wand. Doch das eigenartigste an der Höhle war die Konstellation in der Mitte des Raumes. Dort war ein Gebilde aus Stein, an dessen Balken und Säulen überall die Kristalle hingen. „Ich fürchte, wir müssen über den See zu dieser Konstellation“, meinte Yen dann und blickte seine Freunde an. „Los, lasst uns rüberschwimmen.“ Nurik war zwar von dieser Aktion nicht gerade begeistert, doch er wollte seine Freunde jetzt so kurz vorm Ende nicht im Stich lassen. So ging das kleine Rudel zum See. Am See selbst gab es keinen Strand, sondern er befand sich mehr in einem Kessel. Die Wasser- und Eiswölfin gingen zuerst ins Wasser. Es war kalt, doch erträglich. Die anderen folgten ihnen wortlos und zusammen schwammen sie zu der Insel in der Mitte des Sees. Dort angekommen, schüttelten sie sich das kalte Nass aus dem Fell und blicken sich um. Hier waren die meisten Kristalle, die in allen Farben leuchteten. „Hier muss es sein“, meinte Nyrona. „An diesem Ort pulsiert das Wasser vor Macht.“ Vorsichtig suchten die Wölfe nach Hinweisen auf den Wassergott. Doch es gab hier nichts zu finden außer Steine und Wasser. Nyrona und Sikona standen in der Mitte der Insel. „Glaubst du, wir müssen irgendetwas machen?“, fragte Nyrona ihre Schwester. „Ich weiß es nicht. Es ist hier alles so... gleich.“ Nyrona kam zu ihrer Schwester. „Das wäre irgendwie sehr einfalls- ...“, doch weiter kam Nyrona nicht, da plötzlich alle Kristalle noch heller leuchteten. Erschrocken blieb sie stehen und blickte an sich herunter. Sie war in ein kleines Wasserrinnsal getreten, das nun in allen Farben leuchtete. Das Rinnsal floss in Sikonas Richtung, wo es an einem Stein endete. Um diesen war ebenfalls ein kleines Wasserrinnsal. Überall auf der Insel leuchteten schmale Wasserstraßen. Doch nicht nur dieses Wasser leuchtete, sondern auch der See. Überall waren die Kristalle an der Wand im See angebracht, die pulsierten und Licht spendeten. Erschrocken rannten alle Wölfe zu Yen und bildeten einen Kreis. „Was ist passiert?“ fragte der schwarze Wolf Nyrona, doch diese konnte nur den Kopf schütteln. Da begann die Insel zu beben. „Wer wagt es, mein Heiligtum zu betreten? Welcher Feind stört meine Ruhe?“, rief eine tiefe dröhnende Stimme. Der Boden bebte immer heftiger „Seht dort!“, rief Esaila und zeigte mit ihrer Schnauze auf das Wasser. Dort blubberte und spritzte es. Plötzlich brach aus dem Wasser eine riesige Gestalt, die über die Insel flog und mit seinem großen, vor Wut verzerrtem Auge, das kleine Rudel anblickte. Das Wesen tauchte auf der anderen Seite der Insel wieder im Wasser ab. „Sah das jetzt nur ich, oder habt ihr diesen riesigen Wal auch gesehen?“, fragte Ruki die anderen. „Nein, du hast keinen Geist gesehen, Ruki. Dieser Wal ist echt.“ Da begann erneut die Stimme zu ihnen zu sprechen. „Wer meine Ruhe stört, muss bestraft werden.“ ~~Der Wassergott Ende~~ Wie wird der Wassergott zu besänftigten sein? Schaffen es die Wölfe, gegen ihn zu bestehen? Was hat den Gott überhaupt so rasend vor Wut gemacht? Viele ungeklärte Fragen, die im Wasser verschwimmen. Kapitel 21: In der Zwischenwelt ------------------------------- ~~In der Zwischenwelt~~ Kaum hatte der Wal sich aus dem Wasser bewegt, wurde es Yen ganz schwindlig. Er drehte sich noch zu Nurik, um diesen zu warnen, dass er bald umkippte, doch es war zu spät. Das Letzte, das er noch vernahm, war ein schriller Adlerschrei. Es war dunkel und er konnte nichts sehen. Kein Licht erhellte den Raum, in dem er sich befand. Der Wolf rief nach seinen Freunden, doch keiner hörte ihn und der Ruf verschwand in der Dunkelheit. Kein Geruch war zu vernehmen, an dem er sich hätte orientieren können. Es war vergebens. Dieses Mal legte sich der Wolf auf den kalten Boden und wartete. Die Dunkelheit kroch seine Glieder nach oben und sofort begannen wieder die schrecklichen Bilder auf ihn einzuwirken. Genauso wie das letzte Mal. Doch er hatte keinen Elan, um zu laufen. Dieses Mal erschien kein Licht, um ihm zu helfen und somit ließ er die Dunkelheit an sich heran. Ihm fiel plötzlich ein, dass er eine Aufgabe zu bewältigen hatte und all seine Freunde in unmittelbarer Gefahr schwebten. Der Wassergott griff sie an. Sofort sprang er auf und heulte. Die Dunkelheit flog durch den kraftvollen Schrei von ihm ab und sein Herz wurde leichter. Wenn er jetzt aufgab, dann hatten seine Freunde niemanden mehr, der sie beschütze. Er hoffte, seine Freunde erhörten ihn und das taten sie auch. Ein schriller Pfiff ertönte und neben seinem Kopf spürte er einen leichten Luftzug. Direkt vor dem großen schwarzen Wolf landete ein Adler. Das Gefühl der Beklommenheit verschwand endgültig. „Verox?“, fragte der schwarze Wolf verwundert. Der Adler pfiff freundschaftlich und breitete zum Gruß seine Flügel aus. „Was machst du hier?“ Diese Frage beantwortete Verox nicht, sondern schwang sich in die Luft und kreiste um ihn herum. Dann flog er davon und wieder zurück. „Ich soll dir folgen?“ Erneut ertönte ein zustimmendes Pfeifen und so fiel der Wolf in einen leichten Trab. Der Adler flog direkt über seinem Kopf und wies ihm dem Weg. Seine Schritte wurden dabei immer schneller, bis der Wolf mit großen Sprüngen hinter dem Adler rannte. Er spürte, es war dringend und sein Freund würde ihn nicht im Stich lassen. Vieles konnte er sich nicht erklären, doch er hoffte, bald eine Antwort auf seine Fragen zu finden. Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte direkt vor ihnen ein Licht auf. Er kannte dieses vertraute Leuchten und hoffte, endlich dem Licht etwas näher zu kommen. Mit Verox Hilfe wuchs das Licht allmählich, bis der Adler nach vorne flog und direkt in das Licht eintauchte. Der Wolf blieb stehen und wartete ab. Das Licht pulsierte, wurde kleiner und kleiner, doch dann explodierte es und erhellte den Raum. Verox kam aus der Lichtkugel direkt auf ihn zugeflogen. Er landete auf seinen gewohnten Platz zwischen seinen Schulterblättern. Vorsichtig krallte er sich in den Wolfspelz. Das Licht pulsierte vor Kraft und Wärme. Vorsichtig trat der Wolf näher und wartete ab, was passierte. Nach ein paar Augenblicken trat eine Gestalt aus dem Lichtkegel auf die beiden Tiere zu. Die Gestalt war mehr ein Schemen. Als der Schemen näher kam, konnte man eine wolfsähnliche Struktur erkennen. Als er in das Gesicht des fremden Wolfes sah, wusste er, dass dies das Gesicht war, das ihm das letzte Mal, als er in der Dunkelheit war, angeblickt hatte. Gütige violette Augen blickten ihn an, als der fremde Wolf direkt vor ihm stehen blieb. „Endlich hast du es soweit geschafft. Du und dein Freund sind endlich zu mir gekommen.“, sagte die Gestalt mit einer leisen Stimme. Die Stimme hatte etwas Unheimliches an sich. Trotz der geringen Lautstärke drang sie in jede seiner Poren ein und verursachte eine Gänsehaut auf seinem Rücken. „Wer bist du?“, fragte der Wolf unsicher. Er wusste nicht, ob er sich in Sicherheit oder in Gefahr befand. „Keine Angst, junger Wolf. Ich will dir nichts Böses tun. Wer ich bin, fragst du? Nun, ich habe viele Namen und doch auch keinen. Doch nenne mich Shiera, wenn du willst. Und wer bist du?“ Da hob der Wolf den Kopf. „Du holst mich her und weißt nicht, wer ich bin?“ Shiera lachte auf diese Worte. Ihr Lachen war noch beängstigender als ihre Stimme. „Natürlich weiß ich wer du bist. Doch ich möchte, dass du mir einen Namen nennst und mir sagst, wer du bist.“ „Einen Namen nennen?“, fragte er noch verwirrter. „Oh, ich glaube, ich muss mich deutlicher ausdrücken. Du bist nicht nur der Wolf, der du jetzt bist. Du weißt selbst, dass du erst vor kurzem deinen neuen Namen bekommen hast und wir beide wissen, dass dies nicht dein Geburtsname ist. All die Bilder, die du auf dem Weg hierher gesehen hast, waren von deiner Vergangenheit, die dir entfallen ist. Du blockst sie ab, lässt sie nicht zu. Du hast Angst vor der Dunkelheit und der angeblichen Gefahr, die sie mit sich bringt. Doch sie ist genauso ein Teil von dir, wie dein Kopf oder dein Herz. Du bist ein Wolf der Dunkelheit, aber du bist es wiederum auch nicht.“ Er verstand noch weniger als davor. „Also gut. Mein Name ist Yen. So nennen mich meine Freunde, seitdem ich diesen Sturz überlebt habe.“ „Gut, Yen. Das ist ein passender Ersatz für deinen wahren Namen.“ „Du kennst meinen wahren Namen?“, fragte Yen neugierig. Jetzt hatte er vielleicht endlich die Chance, mehr über seine Vergangenheit zu erfahren. Shiera nickte und trat einen Schritt auf ihn zu. Doch da ertönte ein lautes Zischen und ihre Pfote zuckte zurück. „Ich kann nicht näher zu dir und du nicht näher zu mir. Das Böse lässt es nicht zu. Genauso wenig kann ich dir deinen wahren Namen sagen. Den wirst du von jemand anderem erfahren und auch, wer du vor deinem jetzigen Leben warst. Doch es spielt keine Rolle, wer du warst, sondern, wer du jetzt bist.“ Yen ließ enttäuscht seinen Kopf hängen, doch dann fasste er neuen Mut durch Shieras Worte. Er würde also noch jemanden anderen treffen, der ihn kannte. „Sei nicht enttäuscht, junger Wolf.“ Yen schüttelte den Kopf. „Das bin ich nicht.“ Da blickte er Shiera wieder in die Augen. „Was bist du, Shiera? Bist du ein Gott?“ Da lachte die schemenhafte Gestalt erneut. „Oh nein, ich bin kein Gott. Es gibt nur die sechs Götter von Wasser, Feuer, Erde, Luft, Finsternis und Licht. Ich hingegen bin etwas völlig anderes. Ich bin da und doch existiere ich auch nicht. Diese Welt, wo du dich gerade befindest, ist die Welt, von der aus ich die Geschehnisse deiner und der anderen Welten, die es gibt, beobachte.“ Je mehr sich Yen mit Shiera unterhielt, desto ratloser wurde er. Doch er entschloss sich, nicht weiter darüber nachzudenken. „Gut, Shiera. Ich weiß zwar noch nicht, was das zu bedeuten hat, doch ich weiß, dass du mich zu dir gerufen hast. Warum brauchst du meine Hilfe?“ „Ist das nicht offensichtlich? Die Götter in deiner Welt werden von einem Dämon heimgesucht und laufen Amok. Eure elementare Kraft nimmt mit jedem Tag weiter ab und die Götter beginnen langsam zu sterben. Vor langer Zeit haben die Götter eine Prophezeiung in die Welt gesetzt, die sich jetzt ereignen soll. Der Wolf aus dieser Prophezeiung bist du, Yen. Du musst den Göttern zu ihrer alten Kraft verhelfen und mit ihnen zusammen den Dämon aus eurer Welt vertreiben. Die Götter gaben dir einen kleinen Wegweiser. Dein gefiederter Freund wurde von den Göttern gesandt, um dich auf deinem Weg zu begleiten und dir zu helfen. Da aber die Götter nicht damit gerechnet hatten, dass ihre Kraft so schnell abnehmen würde, konnte keiner durch Verox mit dir Kontakt aufnehmen. Doch da kam ich. Der Dämon hat nicht damit gerechnet, dass auch ich mich mit einmischen würde und er kann mir nichts anhaben. Er hat mich nur geschwächt, da er auch die Götter schwächt. Ich beziehe meine Kraft aus der gleichen Quelle wie sie, musst du wissen. Doch dank Verox Kooperation ist es mir endlich gelungen, dich hierher zu bringen.“ Yen verstand nun alles besser. Er blickte zu Verox nach hinten und dieser Pfiff freundlich zurück. „Er ist ein ganz normaler Adler und hat dich wirklich gern. Es ist gut, dass ihr euch beide so super versteht. Er ist ein wahrer Freund und ich denke, ihr werdet zusammen viel erleben. Bitte behandle ihn nicht als etwas Göttliches, denn das ist er nicht. Er tut genau das, was ihm seine Instinkte sagen“, meinte Shiera freundlich und lächelte sie beide an. „Das werde ich“, sagte Yen. „Doch wie kann ich dir und den Göttern helfen?“ „Gut, dass du das fragst. Dir ist bewusst, dass es von jedem Element eine Abzweigung gibt. In deinem kleinen Rudel sind selbst drei solcher Wölfe.“ Yen nickte. „Eis, Blitz und Wald.“ „Ihr dürft den Wassergott nicht verletzten, geschweige denn umbringen. Er wird von dem Dämon geblendet. Die Wasserwölfin und die Eiswölfin in deinem Rudel müssen versuchen, ihn zu besänftigen. Sie müssen zu seinem Heiligtum gelangen, um ihn somit zu zwingen, mit ihnen zu reden. Dies gelingt nur, indem sie ihre Kräfte vereinen. Auf einen anderen Weg kommen sie nicht an seinen größten Schatz heran. Alle Götter haben etwas in ihrem Besitz, das sie beschützen und ihnen die Kraft aus der Quelle gibt, aus der auch ich meine Kraft erhalte. Nur so könnt ihr es schaffen, den Gott zu besänftigen. Ihr müsst ihm verständlich machen, dass ihr ihm helfen wollt. Dies wird nicht leicht, da der Dämon sich schon sehr weit in seinen Kopf gefressen hat. Doch sobald er euch zuhört, wird der Dämon vom Wassergott ablassen.“ Während Shiera ihm ihre Strategie erklärte, wurde ihr Schemen immer schwächer und ihre Stimme immer leiser. „Ich habe keine Kraft mehr, um mit dir zu reden. Ich danke dir, dass du zu mir gekommen bist. Bitte habe keine Angst vor mir, denn ich kann dir nichts zuleide tun. Es existiert ein Wolf in eurer Welt, mit dem du leichter Kontakt zu mir aufnehmen kannst. Ich hoffe, dieser Wolf wird bald zu euch stoßen und ich kann dir besser helfen. Nun Lebewohl, Yen.“ Mit diesen Worten verschwand Shiera im Nichts und nahm das Licht mit sich. Die Dunkelheit drückte mit gewaltiger Kraft auf seinen Körper, sodass er erst einmal nach Luft schnappen musste. Doch da knurrte er und Verox auf seinem Rücken schrie schrill auf. Er versuchte, wie Shiera ihm erklärt hatte, die Dunkelheit in seinem Körper aufzunehmen und sie anzuerkennen, doch es funktionierte nicht. Nach einiger Zeit vernahm er einen leisen Schrei. Jemand rief nach ihm. Verox schwang sich in die Luft und zerrte ihn zurück in die Realität. Yen lag auf dem nasskalten Boden und neben ihm war Ruki, der die ganze Zeit seinen Namen schrie. Als er die Augen aufschlug, verstummte der Windwolf. „Gott sei Dank bist du wieder da. Wir dachten schon, wir hätten dich verloren!“, rief der Windwolf und stupste Yen aufmunternd an. „Wie lange war ich weggetreten?“, fragte Yen und stand vorsichtig auf. Seine Beine gehorchten ihm noch nicht so recht, doch dies änderte sich bald. „Nur für kurze Zeit, doch wir hatten alle Angst um dich. Du bist plötzlich umgefallen.“ Yen kam die Zeit in diesem Raum viel länger vor. Er war froh, dass doch nicht so viel Zeit verstrichen war. Schnell überblickte er die Situation. Der Wassergott befand sich im Wasser und um sie herum war eine schützende Eisschicht. Sikona musste sie geschaffen haben, als er weggetreten war. „Der Wassergott greift uns die ganze Zeit mit Wasser an. Wir müssen sofort etwas tun“, meinte Kian zu ihm. Yen nickte und sagte: „Ich weiß, was wir tun müssen. Wo sind Nyrona und Sikona?“ Sikona stand direkt an der Eiswand und tat ihr Bestes, sie noch weiter zu verstärken. Ihr Fell war nass vom Wasser und jeder Muskel war zum zerreißen angespannt. Nyrona stand direkt neben ihr und bespritzte die Eisschicht mit Wasser, das sofort gefror. Yen trat zu den beiden Geschwistern. „Könnt ihr mir kurz zuhören? Ich habe einen Plan.“ Ohne ein Wort drehten sich die beiden Wölfinnen zu ihm um und horchten ihm zu. Er erklärte ihnen genau das, was Shiera ihm geraten hatte. „Wir anderen werden versuchen, den Wassergott abzulenken, sodass ihr ohne Probleme nach seiner Quelle suchen könnt. Ihr müsst sie unbedingt finden, egal, was hier bei uns passiert. Ihr seid unsere einzige Chance. Habt ihr verstanden?“ Dies war keine Bitte, sondern ein Befehl und Nyrona und Sikona nickten. Sikona blickte ihre Schwester an. „Ich erschaffe ein Loch. Von dort aus rennen wir ins Wasser und tauchen unter. Wahrscheinlich ist dort die Quelle vom Wassergott.“ Nyrona nickte und stellte sich direkt vor die Wand. „Yen, die Wand wird nicht mehr lange halten. Ihr müsst auch aus der Kuppel verschwinden und euch verstecken. Bleibt nicht an einem Fleck, sonst bietet ihr ein zu leichtes Ziel“, sagte Sikona zu ihrem Freund und ging zu ihrer Schwester. Mit einer weiteren Kraftanstrengung drückte sie ihre Schnauze gegen die Wand. Zuerst sah es so aus, als würde das Eis nicht nachgeben, doch dann zerbarst es und ein kleiner Tunnel erschien. Sikona schnaufte schwer und trat als erste durch, dann folgte ihr Nyrona. „Du siehst sehr erschöpft aus, Sikona.“ Die Eiswölfin nickte nur und lief los Richtung Rand. Die Eiskuppel zu formen und aufrecht zu erhalten hatte ihr vieles an Kraft gekostet. Sie hatte mal wieder sehr deutlich ihre Grenzen gespürt. In den Moment fiel ihr ihr Vater ein. Er war ein sehr starker Elementwolf, da er schon jahrelang geübt hatte. Von klein auf hatte er sie und ihre anderen Geschwister in der elementaren Kraft gefördert und mit ihnen geübt. Noch lange sind sie nicht so gut wie er, doch sie schwor sich, sollte dieser Kampf vorbei sein, würde sie ihr tägliches Training wieder aufnehmen! Am Rand der Insel angekommen, sprang sie sofort ins Wasser. Der Wassergott war auf der anderen Seite der Insel und hatte sie anscheinend noch nicht bemerkt. Noch immer spritze er Wasser auf die Eiskuppel. Nyrona folgte ihr und beide tauchten in die Tiefe. Zuerst konnten die beiden Wölfinnen im Wasser nichts erkennen. Doch dann klarte sich ihr Blick auf. Mit der Pfote deutete Nyrona nach unten und Sikona nickte. Sie schwammen an der Wand der Insel entlang. Die Insel erstreckte sich sehr weit in die Tiefe. Es war so dunkel, dass sie das Ufer, von dem sie gekommen waren, nicht erkennen konnten. Je tiefer sie schwammen, desto dunkler wurde es. Sie merkten sehr schnell, dass in dem großen See weder Fische schwammen, noch Pflanzen wuchsen. Nyrona blickte zu ihrer Schwester nach hinten und blieb kurz stehen. Mit der Pfote deutete sie auf eine Stelle an der Wand. Die Eiswölfin folgte ihr sofort. Beide drückten sich an die Wand in die Schatten. Nyrona konnte viel besser die Schwingungen im Wasser spüren. Somit hatte sie den Wassergott rechtzeitig bemerkt, der knapp über ihre Köpfe hinweg schwamm. Der Gott hatte den Körper eines großen Wals. Sein weißer Bauch stach deutlich in der Dunkelheit hervor. Als Sikona sich zu ihrer Schwester umdrehte, bemerkte sie einen seltsamen Stein in der Wand. In der Mitte war ein kleines Flackern zu sehen. Ihr blieb keine Zeit, ihn näher zu betrachten, da Nyrona schon wieder weiter geschwommen war. Beide schwammen immer tiefer, bis sie fast nichts mehr erkennen konnten. Sikona konnte nur noch so weit sehen, wie ihre Schwester schwamm. Dennoch blickte sie sich immer wieder um. So geschah es, dass sie gegen ihre Schwester prallte, als diese stehen blieb. Sikona blickte sie fragend an. Mit dem Kopf deutete Nyrona in eine Richtung: Auf die Steinsäule. Sikona vertraute auf ihre Schwester und folgte ihr. Sie kamen an die Stelle, an der die Säule eigentlich hätte sein sollen, doch dort erstreckte sich nun Wasser. Jetzt konnte die Eiswölfin auch die Schwingungen im Wasser spüren und als sie nach vorne blickte, konnte sie ein sanftes Schimmern erkennen. Sofort wurden die beiden Schwestern schneller und schwammen direkt auf das Licht zu. Als sie näher kamen, konnten sie sehen, dass das Licht von einer bläulichen Quelle ausging. Doch die Quelle konnten sie nicht richtig ausmachen, da ein Strudel aus Wasser und Eis die Sicht versperrte. Jetzt wussten die beiden Schwestern, warum nur sie dem Wassergott helfen konnten. Das in der Mitt, war seine Quelle und diese wurde von Wasser und Eis gleichermaßen beschützt. Um an die Quelle heranzukommen, mussten Eis und Wasser zusammen helfen. Die beiden Schwestern nickten sich zu. Die Zeit wurde knapp. Sikona konnte nicht mehr lange unter Wasser bleiben, doch die Eiswölfin ließ sich nichts anmerken und schwamm direkt vor den Strudel. Direkt neben ihr, Schulter an Schulter, verharrte Nyrona. Die Geschwister schlossen die Augen und konzentrierten sich auf die Energie vor ihnen. Plötzlich zuckte Nyrona schmerzhaft zurück und auch Sikona wurde von einem Energieschwall getroffen. Doch beide fingen sich wieder. So schnell konnten sie nicht das Eis und das Wasser greifen. Nun wurde die Zeit wahrlich knapp, denn es bedeutete, dass sie sich langsam herantasten mussten. Somit schlossen beide Wölfinnen die Augen und kehrten in ihr Inneres. Dort war ihr Energiefluss, der der Ursprung der Elementkraft war. Bei jedem Elementwolf war er unterschiedlich gut ausgeprägt. Es gab auch Wölfe, die mit ihrer Kraft nicht umgehen konnten. Viele wurden deswegen getötet, da sie eine Gefahr für das Rudel und für sich selbst darstellten. Den Zugriff auf die Kraft konnte man trainieren. Entdeckte man den Elementfluss, bedeutete dies viel Arbeit und Training. Den Geschwistern wurde schon im Welpenalter klar, dass hinter ihrem Herzen noch eine weitere Kraft schlummerte. Durch ihren Vater hatten sie gelernt, sie zu beherrschen. Dennoch waren sie weit davon entfernt, ihre Kräfte gut einsetzen zu können. Als Nyrona ihren Fluss deutlich spüren konnte, ließ sie sich in ihn fallen. Das vertraute Gefühl umgab sie und wärmte ihr Herz. Sofort spürte sie jeden Muskel und jede Faser ihres Körpers. Sie war angespannt und leicht unruhig, doch diese Gefühle ignorierte die Wasserwölfin. Sie begann den Fluss weiter über ihren Körper hinaus auszudehnen. Diese Übung glich einer Meditation. Elementwölfe können fast immer über ihre Kräfte verfügen. Normalerweise zapfen sie nur einen Teil ihres Flusses an, um daraus dann etwas zu bewirken. Sich in den Fluss fallen zu lassen, hat etwas vertrautes an sich, doch die Wölfe mussten aufpassen, sich darin nicht zu verlieren und sich nicht zu sehr mitreißen zu lassen. Häufig führte dies zu einem Kurzschluss, der sich bei jedem Wolf anders äußerte. Somit ließ sich Nyrona weiter vom Fluss tragen. Bald konnte sie durch diese Energie ihre Schwester direkt neben sich spüren. Sie wusste, dass auch Sikona das gleiche mit ihrem Elementfluss tat. Direkt vor ihr konnte sie die wabernde Energie des Strudels spüren. Er war reißend und zornig. Genauso wie der Wassergott. Dies ließ Nyrona vermuten, dass der Strudel auch seine Erschaffung war. Nyrona spürte, dass hier zwei unterschiedliche Elemente waren: Wasser und Eis. Den Strudel konnten sie also nur zusammen stoppen, ansonsten würde er einfach weiter bestehen und sie wieder mitreißen. Nyrona wusste, dass sie nicht einfach so den Strom aufhalten konnten. Zuerst mussten sie mit ihm fließen. Zuerst näherte sie sich weiterhin vorsichtig mit ihrem Bewusstsein der Energie des Strudels. Schon bei den ersten Annäherungsversuchen spürte sie ein schmerzhaftes Zerren in ihrem Fluss. Doch die Wasserwölfin biss die Zähne zusammen und wagte sich weiter vor. Sie passte sich vorsichtig an und floss langsam mit dem Strom. Plötzlich riss sie die fremde Energie des Wassers mit und zog sie in die Tiefe. Die Wasserwölfin wollte sofort die Annäherung abbrechen, doch dann spürte sie, dass der fremde Energiefluss sie aufgenommen hatte und mitzog. Sie ließ es zu, weil eine andere Möglichkeit hatte sie nicht. >Hoffentlich ist Sikona auch so weit<, dachte sich Nyrona und wünschte, irgendein Zeichen von ihrer Schwester zu vernehmen, aber in dieser Meditation konnten sich beide kaum bewegen. Sie musste darauf hoffen, dass Sikona ebenfalls im Fluss des Eises gelandet war. Nun mussten beide Schwestern zusammen helfen, und den Fluss mit einem Mal stoppen. Nyrona ging nochmal tief in ihr Inneres, ballte ihre Kraft und befahl dem Wasser, stehen zu bleiben. Zuerst wehrte sich das Wasser dagegen, doch dann gehorchte es ihrem Befehl. Sofort zerrte der fremde Fluss an ihrer Energie. Sie spürte, wie diese drastisch abnahm. Doch sie biss die Zähne zusammen und hielt den reißenden Fluss weiterhin auf. Da öffnete sie die Augen und sah, dass auch Sikona das Eis zum Stillstand gebracht hatte. Nyrona blickte zu ihrer Schwester, die deutlich geschwächt war. Sikona nickte und sofort schossen die Geschwister auf den nun reglosen Strudel zu. Es kostete beiden viel Energie, diesen Stillstand aufrecht zu erhalten. Nyrona schoss als Erste durch und sah direkt vor ihr das blaue Licht. Da verließ sie die Kraft und sie musste den Strudel loslassen. Sikonas Kraft hatte vor ihr abgenommen, denn genau, als Sikona durch den Strudel schwamm, begann das Eis, sich wieder zu drehen. Mit einer letzten rettenden Kraftanstrengung schwamm Sikona in Sicherheit, doch das Eis erfasste ihre Pfote und zerrte sie nach unten. Sofort war Nyrona zur Stelle und biss in den Nacken ihrer Schwester. Mit kräftigen Schwimmbewegungen half sie Sikona, wieder ins Gleichgewicht zu kommen und beförderte sie vom Strudel weg. Nyrona hatte kaum noch Energie, doch mit einem letzten Kraftakt schwamm sie auf das blaue Licht zu. Sikona paddelte unbeholfen mit, doch ihre linke Pfote war durch das Eis verletzt worden und blutete. Jede Bewegung schmerzte. Als die beiden Schwestern vor dem blauen Licht waren, konnten sie das starke pulsieren spüren. Sofort war jede Sorge vergessen und sie umfing ein wütendes Gefühl. Das Licht dehnte sich aus und überschwemmte die Geschwister. Sofort war das Wasser und die Welt um sie herum verschwunden. Das Licht hatte sie in eine andere Welt verschluckt. Sikona holte tief Luft. Sie hätte es nicht mehr an die Wasseroberfläche geschafft und war froh um die kurze Atempause. „Alles gut bei dir?“, fragte Nyrona besorgt und blickte die verletzte Pfote ihrer Schwester an. „Ja, alles gut. Das kann sich Esaila später ansehen. Jetzt müssen wir erst mal zum Wassergott vordringen!“ Nyrona nickte und half ihrer Schwester auf. Der Ort, an dem sie sich befanden, war seltsam. Überall war ein leises Flüstern zu hören, das mal lauter, mal leiser wurde und aus verschiedenen Richtungen zu kommen schien. Das Flüstern wurde schnell lauter und dämmerte in ihren Ohren. Bald konnten sie einzelne Textabschnitte hören. -Was macht ihr hier. Wem wollt ihr Böses tun. Lasst mich in Ruhe. Ich bin ein Gott. Verschwindet aus meinem Reich. Ich werde euch weh tun. Ich werde euch töten.- Die Geschwister zuckten zusammen bei diesem Energieschwall an Emotionen. „Argh!“, rief Nyrona. „Wie sollen wir das schaffen?“ „Wir müssen unsere Kräfte bündeln und mit gemeinsamer Stimme sprechen. Schwester, finde meinen Fluss, genauso, wie ich deinen finden muss. Wir müssen es versuchen.“ Nyrona nickte und drang wieder in ihr Inneres. Dieser Ort hatte etwas Eigenartiges an sich und dies wirkte sich auch auf ihre elementare Kraft aus. Sofort fand sie ihren eigenen Fluss und konnte ihn ausweiten. Hier war ihre Kraft viel stärker als draußen in der Welt aus der sie kamen. Sie weitete wieder ihre Kraft aus und drehte sich zu Sikona um. Nun konnte auch sie bei ihr eine deutliche Energie spüren. Vorsichtig näherte sie sich ihr. Der Fluss von Sikona war kalt und eisig, genauso wie ihrer reißend war. Trotz der Kälte hieß sie die fremde Energie willkommen und Nyrona ließ sich in ihr fallen. Sie verbanden sich. Plötzlich konnte Nyrona spüren, was ihre Schwester fühlte. Ihre Pfote tat höllisch weh und noch immer war Sikona sehr geschwächt. Doch dieser Ort gab ihnen beiden eine seltsame Kraft. Nyrona öffnete wieder ihre Augen, als sie Sikona deutlich neben sich spüren konnte. Aus beiden Mäulern sprachen die Wölfinnen die selben Worte: „Wassergott! Höre uns zu! Wir wollen dir nichts Böses oder dir schaden. Du musst zur Besinnung kommen. Wir sind hier, um dir zu helfen!“ Plötzlich drückte eine fremde, bösartige Energie gegen die beiden Wölfinnen. Beide heulten vor Schmerz auf, doch die Verbindung blieb bestehen. >Nyrona? Dies muss der Dämon sein, der vom Wassergott Besitz ergriffen hat! Lass ihn uns unterdrücken<, war Sikonas Stimme in ihrem Inneren zu hören und sofort wandte sich Nyrona an die böse Energie und drückte zurück. Zusammen mit Sikona umhüllten sie das Böse und sie drückten ihre Kräfte zusammen. Doch der Dämon war zu stark und sie schafften es nicht. „Wassergott, wir brauchen deine Hilfe! Bitte gewähre uns einen Teil deiner Kraft“, riefen die Schwestern aus einem Maul. „Wir wollen dir helfen!“ Als die Wölfinnen kurz vor dem Aufgeben waren, ertönte ein lieblicher Klang, der immer heller wurde. Der Klang durchfuhr ihre Körper und stärkte sie erneut. Zudem gab er ihnen eine unerschütterliche große Menge an Energie und zusammen schafften sie es, den Dämon zu unterdrücken. Er wehrte sich vergeblich und wurde von der geballten Kraft einfach ausgelöscht. So schnell, wie die Energie gekommen war, hörte sie auch wieder auf, in ihre Körper zu fließen. Mit dem Verebben der Energie, verschwand auch die Verbindung zwischen den beiden Wölfinnen. Beide brachen erschöpft zusammen. Das blaue Licht verschwand gänzlich. „Haben wir es geschafft?“, keuchte Sikona und blickte zu ihrer Schwester. „Ich denke schon“, sagte diese. Plötzlich kam das Licht zurück und breitete sich im ganzen Raum aus. „Sikona und Nyrona?“, fragte eine sanfte Stimme. „Ich bin euch zu großem Dank verpflichtet.“ Die beiden Wölfinnen richteten sich wieder auf und blickten sich an. Ein Lächeln stahl sich in ihre Gesichter. „Ihr habt mich aus diesem schrecklichen Delirium gerettet“, sprach die fremde Stimme weiter. Die zwei Wölfinnen blickten in das sanfte Licht, das direkt vor ihnen schwebte. „Ich bin der Wassergott dieser Welt.“ „Wir hätten das nicht ohne dich geschafft“, sagte Nyrona zu dem Licht. „Hast du auch einen Namen?“ „Ich habe viele Namen und doch auch keinen. Ihr könnt mich aber Rishui nennen. Doch genug mit der Vorstellung. Ich bringe euch hier weg, da ihr hier nicht lange sein könnt. Sonst schadet euch diese Zwischenwelt.“ Um die beiden Wölfinnen wurde es dunkel und sie spürten, wie sie in einen sanften Sog gezogen wurden. Sie ließen sich treiben, da sie auch keine Kraft mehr besaßen, dagegen anzukämpfen. Plötzlich spürten sie Boden unter den Füßen und die Welt um sie herum bekam wieder Farbe. Sie befanden sich wieder auf der Insel. Beide brachen auf der Stelle zusammen und da hörten sie schon Esaila erschrocken aufjaulen. „Nyrona! Sikona! Geht es euch gut?“, fragte die Waldwölfin und rannte zu ihren Geschwistern. Sikona hob erschöpft ihren Kopf. „Ja, uns geht es gut. Wie geht es euch? Ist jemand verletzt?“ Esaila kam bei ihren Schwestern an. Mit ihrem Ruf hatte sie auch die anderen Wölfe angelockt. Erst jetzt bemerkten die beiden blauen Wölfe, dass es um sie herum wieder ruhiger geworden war. „Alle sind mehr oder weniger unbeschadet. Nichts Schlimmes“, erklärte Esaila ihnen ruhig. Sie musterte ihre beiden Geschwister und stellte fest, dass Sikonas Pfote blutete. Sofort machte sich die Waldwölfin daran, die Wunde zu versorgen. Sie begann, sie zu säubern und nahm ein Blatt aus ihrer Kette und legte sie über die Wunde. Die Blutung stoppte sofort und der Schmerz verging. Yen trat zu Esaila und stupste sowohl Sikona als auch Nyrona sanft an. „Das habt ihr sehr gut gemacht.“ „Danke“, sagte Nyrona und auch alle anderen Wölfe ihres kleinen Rudels waren bei ihnen angekommen. „Es war, wie du gesagt hast. Wir haben die Quelle des Wassergottes gefunden. Es war nicht leicht, den bösen Dämon zu vertreiben, aber der Gott half uns und somit konnten wir ihn befreien!“ Yen nickte und wollte gerade etwas sagen, doch seine Worte gingen im Wasserplatschen unter. Am Ufer sprang der große Wal aus dem Wasser, direkt auf sie zu. Die Wölfe duckten sich schon, doch ein helles Licht versperrte ihre Sicht. Dann ertönte eine sanfte Stimme: „Ich bin euch allen zu großen Dank verpflichtet und möchte mich bei euch für die Unannehmlichkeiten, die ich verursacht habe, entschuldigen.“ Als die Wölfe wieder die Augen öffneten, erblickten sie eine wunderschöne Wasserwölfin, die direkt vor ihnen stand. Sie war wesentlich größer als sie alle und strahlte eine stolze Würde aus. „Ihr dürft mich Rishui nennen und ich bin der Wassergott dieses Landes.“ Yen trat vor die anderen und stellte sich als Rudelführer vor. Rishui nickte ihm zu. „Ich weiß, wer du bist, schwarzer Wolf. Du strahlst eine eigenartige Aura aus. Dein Schicksal ist mit diesem Land und uns Göttern verwoben. Es war deine Bestimmung, hierher zu kommen und ich spüre Shieras Spuren an dir. Ich danke vor allem dir und der Eis- und Wasserwölfin in deinem Rudel, dass ihr mich befreit habt. Ihr müsst wissen, dass der Dämon alle Götter in die Irre geführt und somit Besitz von ihnen ergriffen hat. Ich wurde wahnsinnig und nahm nichts mehr um mich herum wahr. Ich konnte nichts dagegen unternehmen. Doch ihr habt mich wieder in das Licht geführt und nun werde ich versuchen, euch zu helfen. Es wird noch dauern, bis ich wieder zu meiner alten Stärke zurückgefunden habe, aber ihr habt meinen Segen und solltest du mich im letzten Kampf brauchen, werde ich dir helfen, Rudelführer.“ Yen wusste durch Shiera, dass er der Wolf aus der Prophezeiung war. Nun erfuhren es auch seine Freunde, die bei den Worten des Wassergottes erstaunte Laute von sich gaben. Doch keiner sagte etwas. „Danke, Rishui. Deine Kraft werde ich irgendwann in Anspruch nehmen.“ Rishui nickte und blickte sich neugierig um. „Ihr seit schon ein komisches Rudel. Ich sehe vier Geschwister mit unterschiedlichen Elementen. Einen Windwolf und einen Blitzwolf mit einer schweren Vergangenheit und dich als Rudelführer, der wohl wankelmütigste unter allen.“ Da lachte der Wassergott. Das Lachen klang wie ein munteres Plätschern in einem Bach. „Einem besseren Rudel kann man das Schicksal Daromis nicht in die Pfoten legen und das meine ich ernst. Dieses Land braucht solche Wölfe wie euch.“ Rishui trat näher an die Wölfe heran. Esaila ging vorsichtig ein paar Schritte zurück. „Keine Angst kleine Wölfin“, sagte der Gott. „Ich tue euch nichts. Ich will euch nur näher betrachten.“ Der Gott blieb direkt vor den vier Geschwistern stehen und betrachtete sie eingehend. „Das ist eigenartig. Ihr stammt aus einem gewöhnlichen Gemischtrudel mit tiefen Wurzeln ab. Aber an drei Wölfen sehe ich etwas Göttliches und an einer nicht. Wie sind eure Namen, Feuerwolf und Waldwolf?“ „Mein Name ist Nurik und das ist Esaila“, stellte sich Nurik vor und trat näher an Rishui heran. Dem Gott störte die Nähe des Feuerwolfes nicht. „Nurik, du trägst einen Reif aus Metall um dein Bein. Dieses Metall stammt vom Erdgott ab. Er hat es selbst geschmiedet und ein Hauch seiner Selbst ist mit diesem Reif verbunden. Genauso ist es mit Esailas Halskette. Das dünne Band, an dem du deine Blätter befestigt hast, ist aus den sanften Winden des Windgottes entstanden. Sikonas Anhänger ist ein Zahn vom Feuergott. Deswegen pulsiert er so von Wärme, weil er direkt vom Körper des Gottes abstammt. Diese drei Gegenstände sind besondere Geschenke der Götter an euch Wölfe. Dass drei dieser Geschenke an euer Rudel gingen, ist entweder Zufall oder Schicksal. Nur Nyrona besitzt kein Geschenk eines Gottes, aber ich möchte ihr eines machen. Nyrona, darf ich?“ Die Wasserwölfin blickte den Gott verwirrt an. Erst, als Sikona sie sanft in die Seite stupste, zuckte sie erschrocken zusammen und nickte. „Ja, natürlich. Sehr gerne.“ Nyrona wollte aufstehen, doch ihre Beine versagten ihr den Dienst. „Bleib liegen, Nyrona. Für mein Geschenk musst du nicht aufstehen.“ Wieder ertönte ein plätscherndes Kichern. „Ich gab den Wölfen Daromis noch kein Geschenk. Du sollst die Erste sein, die eines bekommt und es soll nur dir gehören, als Dank für deine große Hilfe.“ Mit diesen Worten beugte sich Rishui zu Nyrona und berührte mit ihrer Schnauze vorsichtig die Stirn der Wasserwölfin. Ein helles Licht entstand bei dieser Berührung und erneut mussten alle Wölfe die Augen schließen. Als sie sie wieder öffneten, sahen sie, wie Rishui lächelnd vor Nyrona stand. Diese blickte an ihrem Körper hinab und ihre Augen strahlten vor Freude. „Wow, du siehst hübsch aus, Schwester“, sagte Nurik und betrachtete die schwarzen Markierungen auf dem Fell von Nyrona. An ihren Beinen, Rücken, Schwanz und Gesicht hatte die Wasserwölfin schwarze runde Markierungen, die nicht zu aufdringlich sondern eher sanft waren. „Dieses Geschenk kannst du zumindest nicht im Wasser verlieren“, erklärte der Wassergott fröhlich. „Du siehst schön aus und du hebst dich nun von den anderen Wasserwölfen ab.“ „Danke, Rishui“, sagte Nyrona voller Stolz und konnte ihr Glück noch gar nicht glauben. „Es gibt nichts zu danken, kleine Wölfin.“ Da drehte sich der Gott wieder zu Yen um. „Ich werde euch alle jetzt wieder an die Oberfläche bringen. Ihr habt hier getan, was ihr konntet. Wenn ihr meine Hilfe benötigt, so werde ich euch beistehen.“ Yen bedankte sich bei dem Wassergott. Dieser stellte sich direkt vor die kleine Gruppe und schloss die Augen. Erneut wurde es hell um sie herum und, als sie die Augen wieder öffneten, befanden sie sich wieder draußen, im Kessel direkt vor dem riesigen See. Die Wölfe blickten sich alle an und da begann Ruki zu lachen. Mit seinem Lachen steckte er alle anderen an, auch Kian. Die Strapazen des letzten Tages fielen mit einem Schlag von allen ab. Sie waren alle froh, diese erste Etappe geschafft zu haben. Nach einiger Zeit rief Yen alle zusammen. „Nun, wir dürfen uns nicht ausruhen. Es warten noch immer fünf Götter auf unsere Hilfe. Dies war erst die erste Etappe gewesen. Ich bin stolz auf euch, dass ihr mit mir bis hierhin gegangen seit und mit mir dieses Abenteuer übersteht. Das, was der Wassergott euch erzählt hatte, stimmt. Während ich bewusstlos am Boden lag, suchte mich ein höheres Wesen auf: Ihr Name war Shiera. Sie ist kein Gott, sondern eher ein Zwischenwesen, das Daromi und den Göttern helfen möchte. Shiera erzählte mir, ich sei der Wolf aus der Prophezeiung, doch ich möchte, dass ihr mich weiterhin als den ansieht, der ich für euch bin: Yen, ein gewöhnlicher schwarzer Wolf.“ „Du wirst niemals ein anderer Wolf für uns sein. Du kannst auf uns zählen“, sagte Kian, der schon irgendwie geahnt hatte, dass der Wolf aus der Prophezeiung Yen sein musste. Genau das wollte Yen hören. „Lasst uns aufbrechen und dieses karge Land hinter uns lassen!“ Da fingen alle freudig zum Jaulen an. Sie alle waren gespannt auf die Abenteuer, die noch vor ihnen lagen. Vorsichtig machten sie sich wieder auf den Weg aus dem Kessel heraus. Nurik stützte Nyrona und Ruki half Sikona, den schweren Weg zu beschreiten. Beide Wölfinnen waren noch ziemlich schwach auf den Beinen. Somit ließen sie das Heiligtum des Wassergottes hinter sich. Über ihnen vernahmen sie Vogelgezwitscher und das leise Rascheln der Blätter im Wind. Langsam kehrte wieder das Leben zurück in das Tal zurück. Der Weg durch die Eislandschaft war beschwerlich und hart. Aria folgte der Beschreibung von Rejn und folgte den beiden Bergen in der Ferne. Sie war schon sehr weit gekommen und die Berge ragten direkt vor ihr auf. Der Wald, in dem sie sich befand, lichtete sich bereits. „Ich muss es bald geschafft haben“, redete Aria mit sich selbst. Ihre Stimme war das Einzige, das sie daran erinnerte, dass sie noch lebte. In dieser kalten eisigen Welt gab es kaum Leben. Zielstrebig ging sie weiter ihren Weg, bis sie irgendwann direkt vor sich Stimmen hörte. Es war ein windiger Tag und die Stimmen wurden direkt zu ihr getragen. Sie kamen von den beiden Giganten, wo das Heiligtum liegen musste. Die Erdwölfin kannte diese Stimmen nicht, doch da fasste sie neuen Mut und rannte auf die Berge zu. Der Schnee wirbelte, aufgewühlt durch ihren schnellen Schritt, hoch, doch das kümmerte sie nicht. Wenn es die Wölfe waren, die sie suchte, dann würden diese sie nicht angreifen. Sie erklomm einen kleinen Hügel und, als sie vom obersten Punkt in die kleine Mulde nach unten blickte, sah sie das kleine Rudel: Es waren sieben Wölfe, genau wie Rejn gesagt hatte. Da hob die Erdwölfin den Kopf und heulte als Begrüßung ein freudiges Lied in den Himmel. Zunächst war ihr Heulen alleine, doch dann schloss sich eine Stimme, dann mehrere ihrem Geheul an und hießen sie in ihren Reihen willkommen. Aria hat endlich das gefunden, wonach sie so lange gesucht hatte: Ein Rudel. ~~ In der Zwischenwelt Ende ~~ Wie wird sich Aria in das Rudel einfinden? Wohin geht die Reise als nächstes? Lässt der Dämon diese erste Niederlage einfach so auf sich sitzen? Die Dunkelheit wurde vertrieben, doch nicht zerstört. Kapitel 22: Erde ---------------- ~~Erde~~ Als das kleine Rudel den Kessel verlassen hatte, hörten sie in der Nähe ein Heulen. Sofort spitzten alle die Ohren und blickten nach vorne. Sie konnten einen einsamen Wolf mitten in der Schneelandschaft erblicken. Aus dem Geheule konnten sie hören, dass der Wolf mit friedlichen Absichten kam. Unsicher blickten sich alle Wölfe zu Yen um. Dieser nickte. „Los, lasst uns zu diesem Wolf gehen.“ Da machten sie sich auf den Weg in Richtung des Fremden. Als der andere Wolf sah, dass sie sich auf ihn zubewegten, begann er auf sie zu zurennen. Unbeirrt ging die kleine Gruppe weiter auf den Wolf zu, bis dieser nur noch wenige Meter entfernt war. Da blieben alle stehen und Yen stellte sich an die Spitze der kleinen Gruppe. Jetzt konnten sie den fremden Wolf besser erkennen. Der Wolf entpuppte sich als Wölfin. Die Wölfin war hauptsächlich braun, doch hatte sie auch rote, graue und schwarze Färbungen in ihrem Fell. Als die Wölfin vor Yen stand, senkte sie vorsichtig ihren Kopf, als Zeichen der Unterwerfung. Yen stand mit erhobenen Kopf da und blickte auf die Fremde herab. „Du musst dich nicht so in den Schnee schmeißen. Hier will dir keiner etwas Böses.“ Zögerlich erhob sich die Wölfin wieder. „Wer bist du?“, fragte Yen und trat einen Schritt auf die Wölfin zu, um kurz an ihr zu schnuppern. Diese blieb wie erstarrt stehen. Yen wusste, dass seine Größe auf andere Wölfe furchterregend wirken konnte. Deswegen zog er sich nach einem kurzen Moment wieder zurück. „Mein Name ist Aria“, stellte sich die braune Wölfin vor. „Ich glaube, ihr seid das Rudel, dass ich gesucht habe.“ Yen drehte seinen Kopf zur Seite. „Du hast uns gesucht?“ Aria nickte. „Ja, seit ich von meinem Zuhause fortgegangen bin, war ich auf der Suche nach dem einen Wolf, der das Land wieder in Gleichgewicht bringen sollte. Dann hörte ich von einem Rudel, das den Göttern helfen wollte und ich habe mich auf die Suche nach diesem Rudel begeben. Das Wasserrudel hier in der Gegend hat mir dann den Tipp gegeben, in diese Richtung zu laufen und ich würde ein Rudel finden, das sich auf den Weg gemacht hat, um dem Wassergott zu helfen.“ Yen nickte. „Ja, da bist du bei uns genau richtig. Aber warum genau zu uns?“ „Weil ich auch der Welt und den Göttern helfen möchte und hoffte, diesen Wolf so treffen zu können.“ Da verstand Yen. „Ich nehme an, du hast einen weiten Weg hinter dir.“ Aria nickte. „Einen sehr weiten Weg.“ Yen lächelte die Wölfin verständnisvoll an. „Dann hat deine Suche, dieses Rudel zu finden, hier ein Ende. Wenn du willst, kannst du gerne mit uns mitreisen. Sollte ich aber merken, dass du von unseren Feinden bist und uns Böses willst, wird das Konsequenzen haben.“ Der schwarze Wolf wollte nicht bedrohlich wirken, doch bei diesen Worten legte Aria automatisch die Ohren an und senkte etwas den Kopf. Durch diese Geste wusste er, dass Aria keine Feindin sein konnte. „Herzlich Willkommen in dem wohl verrücktesten Rudel, dass du je in Daromi gesehen hast oder sehen wirst.“ Da stellte sich Aria wieder freudig auf und nickte. „Danke, ich werde mich sicher wohl bei euch fühlen.“ Yen trat auf die Seite, um alle vorzustellen, dann wandte er sich wieder der Wölfin zu. „Wie erschöpft bist du? Wir hatten vor, noch ein bisschen in die Richtung zu laufen, aus der du gekommen bist. Du bist sicher auch durch diesen kleinen Wald gelaufen. Wir hoffen, dort etwas Schutz zu finden. Sikona und Nyrona sind ziemlich erschöpft und Sikona ist an ihrer Pfote verletzt. Meinst du, du schaffst das bis dahin?“ Aria nickte. „Klar schaffe ich das.“ Yen nickte und trat an die Spitze des kleinen Rudels. Er hätte gern länger mit Aria geredet, doch dafür hatten sie jetzt keine Zeit. Es war wichtig, dass sie vor Einbruch der Dunkelheit diesen kargen Wald erreichten. Noch immer brauchten Nyrona und Sikona eine gewisse Stütze. Sie alle wechselten sich ab und als Yen dran war, Nyrona zu stützen, nutzte er gleich die Gelegenheit. „Ihr habt das da unten wirklich gut gemacht. Kannst du mir erklären, wie ihr das angestellt habt?“ Nyrona erzählte dem schwarzen Wolf, wie sie und Sikona dem Wassergott helfen konnten. Als sie in der Zwischenwelt angekommen war, unterbrach Yen ihren Redefluss. „Wie hat sich diese Zwischenwelt denn angefühlt? War sie für dich Realität oder eher wie ein Traum?“ Bei dieser Frage musste Nyrona überlegen. „Nun es war definitiv keine Realität, aber ich wusste, wenn mir in dieser Welt etwas passierte, würde das auch meinem Körper in der realen Welt schaden. Es war wie ein großer Raum und meine Sinne waren geschärft. Zudem hörte ich ein leises Flüstern. Ich konnte die Emotionen des Wassergottes deutlich spüren. Er war zwar nicht zu sehen, aber es fühlte sich so an, als würde er direkt neben mir stehen, oder um mich herum sein. Ich kann es schlecht erklären. Diese Welt war so seltsam und doch so vertraut. Überall waren diese Gefühle.“ Da brach Nyrona ab und Yen konnte deutlich sehen, wie sie versuchte, sich an diesen Ort zu erinnern und wie sie in dieser Erinnerung festsaß. „Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich war an diesem Ort auch schon einmal.“ Da blieb Nyrona stehen. „Du warst dort auch schon einmal?“ Yen nickte und machte keine Anstalten, stehen zu bleiben. Nyrona musste ihm folgen. „Los, lass uns weitergehen.“ Da verstand Nyrona, dass er darüber nicht reden mochte. Die Wasserwölfin entschied sich dazu, ihre Geschichte weiterzuerzählen. Yen hörte nur mit halbem Ohr zu und erinnerte sich an die Unterhaltung mit Shiera. Direkt vor ihm lief Aria. >Sie sucht den einen Wolf, aber der eine Wolf, das bin ich<, dachte sich der schwarze Wolf und legte seine Ohren an. >Ich muss es ihnen allen sagen.< Endlich hatten seine wirren Träume einen Sinn. Die Stimme die ihn immer um Hilfe gerufen hatte, war Shiera gewesen, das Zwischenwesen, wie er sie nun nannte. Sie war kein Gott, aber auch kein Lebewesen. Sie war ihm so fremd, aber doch auch so vertraut. Yen blickte in den Himmel und sah, dass über ihnen Verox flog. Seinen Freund sah er nun mit ganz anderen Augen. Der Adler musste den Blick und seine Gedanken erahnt haben, denn plötzlich legte der Adler sich in einen Sturzflug und schoss über Yens Kopf hinweg. Nyrona zuckte erschrocken zusammen, doch sie blieb nicht stehen. Yen knurrte leise. Er wusste, was Verox ihm mit dieser Geste sagen wollte. Er sollte ihn nach all dem nicht anders sehen, als davor. Das würde dem schwarzen Wolf zwar schwer fallen, doch Shiera hatte es ihm ja bereits erklärt. Der kleine Adler handelte nach seinen Instinkten und er war froh, dass er so einen treuen Freund hatte. Er wusste, dass Verox ihm nie im Stich lassen würde, obwohl sie sich noch nicht all zu lange kannten. Zumindest die Zeit, an die er sich erinnern konnte. „Wir haben es bald geschafft“, sagte Nyrona neben ihm und riss ihn somit aus seinen trüben Gedanken. Als Yen wieder nach vorne blickte, konnte er den Wald schon deutlich erkennen. Bald würden sie ihn erreicht haben. „Nur noch ein bisschen Nyrona. Wenn du willst, trage ich dich das letzte Stück.“ Er ließ die Wasserwölfin gar nicht erst zu Wort kommen, drehte sich zu Ruki um und sagte: „Ruki, meinst du, du kannst Sikona das letzte Stück auf deinem Rücken tragen? Du schaffst es doch auch, sie in der Luft zu halten oder?“ In Rukis Gesicht blitze kurz die Verwunderung auf, doch dann nickte er. „Klar kann ich sie tragen.“ Da trat der Windwolf langsam zu Sikona. Diese klemmte schüchtern ihren Schwanz zwischen die Beine. Ruki war so höflich über diese Geste hinwegzusehen und ging hinter die Eiswölfin, duckte sich unter sie hindurch und hob sie somit mit Schwung auf seinen Rücken. Sikona entfloh dabei ein kleiner Japser. Ruki blickte besorgt nach hinten. „Passt bei dir alles?“ Hektisch nickte Sikona mit dem Kopf. „Ja, alles gut.“ Da grinste Ruki und machte ein paar Probeschritte. Als er sicher war, dass Sikona nicht herunterfallen konnte, drehte er sich zu Yen um. Dieser hatte Nyrona auf die gleiche Weise auf die Schultern gehoben. Man sah Nyrona an, dass sie den plötzlichen Höhenunterschied deutlich merkte. „Wow, bist du groß Yen.“ Da fingen alle zum Lachen an. „Sikona ist es zumindest durch Rukis Flugstunden gewohnt, so hoch oben zu sein,“ meinte dann Kian. Dieser drehte sich zu Aria um. „Wie du siehst: Ein ganz verrücktes Rudel. Ich dachte mir auch am Anfang, wo ich hier hin geraten bin, aber mittlerweile gehöre ich zu diesem Haufen dazu.“ Lachend drehte sich der Blitzwolf wieder um und folgte Yen weiter Richtung Wald. Aria war sichtlich verwirrt über diese herzliche Art, wie alle miteinander umgingen. Yen war der Rudelführer des kleinen Trupps, doch ging er mit seinen untergebenen Wölfen genauso um, als ob sie seine Freunde wären. Dies war eine ganz andere Art von Hierarchie, die sie eigentlich von ihrem Geburtsrudel her nicht kannte. Irgendwie erleichterte sie diese Tatsache immens und die Wölfin beeilte sich, dem kleinen Rudel zu folgen. Sie erreichten den Wald in der Dunkelheit. Dadurch, dass Sikona und Nyrona getragen wurden, kamen die Wölfe viel schneller voran. Somit konnten sie sich noch eine gemütliche Stelle zum schlafen suchen und ein Teil von ihnen ging zur Jagd. Sikona und Nyrona wurden bei einem Baum abgelegt und betrachteten das Treiben. Esaila und Aria waren bei den beiden geblieben. Die Waldwölfin begann, an einer Stelle unter einem großen Baum die Erde auszugraben, damit sich alle in die Kuhle legen konnten. Aria beobachtete sie zuerst neugierig. „Esaila, geh mal bitte zur Seite.“ Verwirrt blickte Esaila zu Aria. Ohne ein Wort ging Esaila ein paar Schritte vom Baum weg. Sie beobachtete Aria, die die Augen geschlossen hatte. Plötzlich bebte der Boden und Erde löste sich von der Stelle, an der Esaila die Kuhle ausheben wollte. Die Erde schwebte in die Luft, bewegte sich ein Stück zur Seite und fiel wieder zu Boden. Mit einem kurzen Keuchen öffnete Aria wieder die Augen. „Ist das so Recht?“, fragte Aria. Die drei Geschwister blickten mit aufgerissenen Augen auf die Kuhle. „Ja … es ist perfekt“, sagte Esaila, die ihren Blick von der Kuhle zu Aria wandern ließ. „Wie hast du das gemacht? Bist du ein Erdwolf?“ Aria nickte. „Ja, ich bin eine Erdwölfin.“ „Wir hatten in unserem Gemischtrudel auch einen Erdwolf, aber der war nicht so mächtig und konnte nicht solche Massen an Erde bewegen“, erklärte Nyrona. Da lachte Aria. „Ach, ich kann noch größere Mengen an Erde bewegen. Ich übe regelmäßig, um meine Verbindung mit der Erde zu verbessern.“ „Das ist sehr gut. Nur wer übt, wird besser“, sagte Esaila und legte sich in die Kuhle. Sikona und Nyrona standen vorsichtig auf und gingen zu ihrer Schwester. „Wie geht es deiner Pfote?“, fragte Esaila die Eiswölfin. „Sie tut sehr weh und pocht. Ich kann kaum auftreten“, sagte Sikona und legte sich vorsichtig hin. Da stand Esaila auf und ging zu Sikona, um sich die Pfote nochmal genauer anzusehen. „Das Wasser und das Eis hat dich ordentlich am Pfotenballen erwischt. Das war wie ein sauberer Schnitt. Zum Glück hat es aufgehört zu bluten, aber die Kruste ist sehr dünn. Damit es ordentlich heilt, müssen wir sie nochmal weg machen und reinigen. Sobald die anderen da sind, werde ich nach Kräutern für einen Umschlag suchen. Nyrona kann sicher ein bisschen Wasser aus der Luft ziehen, um die Wunde dann zu reinigen.“ Nyrona nickte. „Natürlich mache ich das, aber jetzt werde ich ein kurzes Nickerchen einlegen. Ich bin ziemlich erschöpft.“ Mit diesen Worten war die Wasserwölfin schon eingeschlafen. Die Idee von Yen, sie beide zu tragen, war gut gewesen. Sie hätten es nicht rechtzeitig bis hierher geschafft. Auch Sikona legte ihren Kopf auf die Pfoten und versuchte, ein bisschen zu schlafen. Erst als die Sonne fast ganz untergegangen war, kamen die anderen Wölfe mit ihrer Beute zurück. Nurik und Yen trugen jeweils einen Hasen im Maul. Dies war alles, was die Wölfe an diesem Tag gefangen hatten. Nyrona und Sikona wachten auf und alle machten sich über die Hasen her. Als nichts mehr von ihnen übrig war, verschwand Esaila im Wald, um ein paar Kräuter zu suchen. Die Waldwölfin kehrte bald wieder mit ihrem Fund im Maul zurück. Sie legte die Kräuter direkt neben Sikona und begann, sie zu zerkauen und auf ein Blatt zu spucken, sobald sie eine breiige Konsistenz angenommen hatten. „Nyrona und Yen, könnt ihr mir bitte helfen?“ Die beiden angesprochenen Wölfe nickten. Yen übernahm die Aufgabe, Sikona ruhig am Boden zu halten und stellte eine Pfote auf ihren Körper. Langsam begann Esaila die Kruste an Sikonas Pfote zu lösen. Diese winselte kurz auf, doch hielt sie tapfer still. Sobald die Kruste weg war, begann es wieder zu bluten. Nyrona begann das Wasser aus der Luft zu ziehen und die Wunde zu reinigen. Diese kleine Tätigkeit strengte sie sehr an und nach ein paar Augenblicken legte sie sich wieder erschöpft hin. „Danke Nyrona“, sagte Esaila und legte die zerkauten Kräuter auf Sikonas Pfote. Da knurrte Sikona kurz auf und zuckte zusammen. Sofort hielt Yen sie ruhig am Boden, ließ sie aber gleich wieder los, als sie aufhörte, sich zu wehren. Die Blutung ließ langsam nach. „Autsch, das brennt!“, klagte die Eiswölfin und sofort kühlte sich die Luft um sie herum ab. Instinktiv versuchte sie, das Brennen zu kühlen. „Du hast es schon geschafft. Diese Kräuter müssen jetzt etwas einwirken und dann hoffe ich, dass die Wunde gut verheilt.“ Sikona nickte und legte ihren Kopf wieder auf ihre Pfoten und Yen erlöste Sikona von seiner Fixierung. Erst da bemerkte er die perfekte Kuhle, in der sie sich befanden. „Wer hat die denn gegraben?“ „Das war ich“, sagte Aria. „Ich bin eine Erdwölfin und somit war es für mich ein Leichtes, ein bisschen Erde zu bewegen.“ Yen blickte erstaunt ihr neues Rudelmitglied an. „Wir sind ein sehr zerstreuter Haufen. Gut, dass wir so viele Wölfe mit so vielen Fähigkeiten haben.“ Aria blickte ihn verdutzt an. „Was für Elemente sind denn alles hier? Ich sehe einen Wasserwolf und ich glaube Ruki ist ein Windwolf.“ Ruki nickte. „Ja, das bin ich.“ Da lachte Yen. „Du musst wissen, ich bin der einzige Wolf hier, der kein Element in sich hat. Kian ist ein Blitzwolf, Esaila eine Waldwölfin, Sikona eine Eiswölfin und Nurik ein Feuerwolf.“ Da musste auch Aria lachen. „Ich bin erstaunt. Meine Lehrerin hat mir immer von den Elementen erzählt, aber dass ich einmal so viele auf einen Ort sehe, hätte ich nie gedacht.“ „Die Welt verändert sich. Da darf man nicht mehr so engstirnig denken“, meinte Yen dann etwas ernster. „Ich muss mit euch allen reden, bevor wir schlafen.“ Alle Wölfe blickten verwirrt zu Yen. Dieser legte sich vor ihnen hin und sah jeden Einzelnen an, bevor er zu sprechen begann. „Ich bin froh, dass ich euch alle in dieser Höhle dabei hatte. Ich hätte es nicht geschafft, gegen den Wassergott zu bestehen. Es war sehr gefährlich. Ich möchte euch sagen, dass ihr jederzeit das Rudel verlassen könnt. Ich wäre der Letzte, der euch deswegen böse wäre. Dies ist meine Aufgabe und nicht eure.“ „Aber Yen“, sagte Nurik, „das ist doch nicht deine Aufgabe, den Göttern zu helfen!“ Yen nickte. „Doch, das ist sie. Ihr wisst alle, dass ich ohnmächtig geworden bin, als der Wassergott erschienen ist. Ich war nicht nur einfach ohnmächtig, ich war in einer anderen Dimension. In letzter Zeit haben mich Alpträume heimgesucht, doch dies waren alles keine Alpträume. Ein Wesen hat versucht, Kontakt zu mir herzustellen und in diesem Moment, wo das Göttliche direkt in meiner Nähe war, hat dieses Wesen es geschafft, eine direkte Verbindung zu mir aufzubauen. Das Wesen war etwas völlig anderes als unsere Götter. Ich fühlte mich wohl in seiner Gegenwart, doch zugleich wollte ich auch vor diesem Wesen fliehen. Es stellte sich als Shiera vor, als ein Zwischenwesen, das eigentlich nicht existiert, es aber andererseits mit dieser Welt verwoben ist. Shiera ist kein Gott, aber sie möchte den Göttern helfen, sich von den Fängen des Dämons zu befreien, der Daromi und die Götter befällt. Die Götter haben einen Gesandten nach dem Wolf aus der Prophezeiung geschickt, doch leider konnten sie ihn nicht ausreichend genug kontrollieren. Somit übernahm dies Shiera.“ In diesem Moment stürzte Verox mit einem Kreischen vom Himmel und landete neben Yen auf dem Boden. Dort breitete er die Flügel zum Gruß aus und stieg vorsichtig auf Yens Rücken, um sich dort zu putzen. „Verox ist dieser Gesandter. Er handelte instinktiv, um mich zu finden und mir zu folgen. Er ist ein ganz gewöhnlicher Adler, doch seine Instinkte sind ein bisschen anders, als die von seinen Artgenossen.“ Da pfiff Verox beleidigt. Yen lachte und blickte den Adler an. „Schon gut, mein Freund. Tut mir Leid.“ Er richtete den Blick wieder zu seinen Freunden, die weiterhin still der Erzählung folgten. „Nun, was ich euch sagen wollte … Shiera erklärte mir, dass ich der Wolf aus dieser Prophezeiung sei und es meine Aufgabe sei, die Götter zu retten. Doch ich kann dies nicht alleine. Von jedem Element brauche ich Unterstützung. Sowohl das Haupt- als auch Nebenelement müssen zusammenarbeiten, um zum jeweiligen Gott vorzudringen. Dies haben Nyrona und Sikona wunderbar gemeistert. Auch die anderen Götter können wir so erreichen.“ Er legte eine kurze Pause ein und noch immer blieben seine Freunde ruhig und aufmerksam. „Ich hoffe, ich habe euch mit dieser Geschichte nicht schockiert und kann weiterhin auf eure Unterstützung hoffen.“ Da schwieg Yen. Er hatte zu diesem Thema nichts mehr zu sagen. Zuerst blieb es still im Rudel, doch dann stand Kian auf. „Weißt du Yen, wir folgen dir bedingungslos bis ans Ende der Welt und du wusstest nicht, dass wir höchstwahrscheinlich vermutet haben, dass du dieser Wolf aus der Prophezeiung bist? Insgeheim haben wir es alle gewusst. Du bist unser Freund, auch wenn du eine große Aufgabe vor dir hast. Auch Verox ist noch immer ein normaler Adler für mich. Ich werde dir weiterhin folgen, weil du meine Fähigkeit spätestens beim Lichtgott brauchen wirst.“ Dankbar für diese Ansage nickte Yen dem Blitzwolf zu. Er hatte nicht damit gerechnet, dass dieser zuerst das Wort ergriff, so ruhig wie Kian sich immer gab. „Auch ich werde dir weiterhin folgen“, rief Sikona in die Menge und alle anderen folgten ihr. „Wir glauben schließlich an dich, Yen!“, meinte dann Ruki lachend. Da lachte Yen. „Danke euch allen. Ich werde euch nicht enttäuschen und mit Verox zusammen werden wir es schaffen!“ Erneut pfiff der Adler und breitete demonstrativ seine Flügel aus. Dann faltete er sie zusammen und steckte seinen Kopf unter seinen rechten Flügel. Yen drehte sich zu Aria um und fragte sie, woher sie denn stammte. Da legte die Erdwölfin die Ohren an. Zuerst sah es so aus, als würde Aria nicht erzählen wollen, woher sie kam, doch dann begann sie zu reden: „Ich komme aus dem westlichen Teilen Daromis, von einem kleinen Erdrudel. Im Westen war es leider so, dass man kaum Nahrung gefunden hat. Das Gebiet meines Rudels grenzte an das Vulkangebiet der Feuerwölfe an. Somit war es klar, dass es auch bei uns kaum Nahrung gab. Wir mussten ständig Hunger leiden. Mein Rudelführer namens Nedron verbot es, seinen Rudelmitgliedern Welpen zu bekommen, doch meine Mutter, die nicht die Alphawölfin war, hielt sich nicht an dieses Verbot. Sie und meine Oma beschützten mich vor Nedrons Boshaftigkeit und ich wurde im Rudel geduldet, aber mehr auch nicht. Meiner Familie und mir wurde nur mit Hass begegnet. Doch bald entdeckte ich, dass ich ebenso ein Erdwolf war, wie die meisten aus meinem Rudel. Das Problem war, dass mich aber keiner unterrichten wollte. Doch eines Tages bekam ich eine Lehrmeisterin, die mich in den Elementen unterrichtete. Von ihr habe ich alles gelernt, was ich heute weiß. Eines Tages war aber der Zeitpunkt gekommen, an dem ich gehen musste und so entschied ich mich meinem Land zu helfen. Auch wir haben im Westen bemerkt, dass das Leben schwieriger wurde und etwas Böses vor sich geht.“ Da endete Aria und blickte traurig zu Boden. Yen wusste, dass zwar viel mehr hinter ihrer Geschichte steckte, aber er wollte sie nicht drängen, mehr zu erzählen. Das bisschen, was sie erfahren hatten, reichte aus. „Danke, Aria. Noch einmal möchte ich dich hier willkommen heißen“, sagte Yen und legte seinen Kopf auf die Pfoten. „Ich glaube, wir sollten langsam schlafen. Wir brauchen keine Wache“, meinte der schwarze Wolf und schloss die Augen. Da standen alle anderen Wölfe auf und legten sich um ihren Rudelführer. Kurz war Yen erstaunt, doch er war um die Nähe seiner Freunde froh. Ruki stupste ihn aufmunternd an. „Danke“, sagte Yen verschlafen und schloss wieder die Augen. Diese Nacht konnte der große schwarze Wolf friedlich und ohne Alpträume schlafen. Eine kühle Brise wehte in dem Tal, in dem sie sich befanden. Es war ein dichter Wald, der nur so von Leben sprühte. Doch dies alles kümmerte den kleinen schwarzen Wolf nicht, als er in eine Höhle ging. Direkt hinter ihm folgte sein stiller Begleiter. Es war ein größerer Wolf. Eine vertraute Spur hatte ihn in diese Höhle geführt. Doch der Geruch, der ihm jetzt entgegenschlug, verursachte nur Ekel in ihm. Es roch nach Verwesung. Der kleine Wolf blieb in der Höhle stehen und blickte auf den Wolfsleichnam vor ihm. Der Wolf hatte einen schlanken sehnigen Körper und war mit schwarzen Fell, das nur ab und zu von braunen Flecken unterbrochen wurde, bedeckt. „Ich vermute, ihn hat eine Krankheit dahingerafft“, sagte der größere Wolf. Der Kleine nickte nur und drehte sich wieder um, um die Höhle zu verlassen. Der Geruch war widerlich. Draußen angekommen, setzte er sich und blickte in den Wald hinein. „Diesen Teil der Mission konnten wir schon mal nicht erfolgreich ausführen“, knurrte der kleine schwarze Wolf wütend und grub seine Krallen in die Erde. Er war wütend auf seinen ersten Misserfolg. Da blickte er auf die drei Ketten um seinen Hals. Eine dieser Ketten hätte er diesem Wolf geben müssen, um ihm somit die Kraft zu geben, den hier ansässigen Wassergott zu bändigen. „Xin, dass ist wohl nicht deine Schuld, dass dieser Wolf vor deinem Eintreffen verstorben ist“, sagte der andere Wolf, dessen Fell leuchtend rot war. Der rote Wolf setzte sich neben Xin. „Ich weiß Lumus, aber wir waren zu langsam. Spürst du es denn nicht? Der Wassergott ist wieder erwacht, ohne das wir vorher die Chance hatten, ihn zu zähmen! Jetzt haben wir keine Möglichkeit mehr, seine Kraft zu stehlen.“ Lumus nickte. „Ja, ich weiß, was du meinst. Doch es sind noch vier weitere Götter, die du und Zerisia bestehlen müssen. Ein Gott kann nicht gegen vier andere bestehen!“ Der schwarze Wolf wusste, dass Lumus ihn nur aufmuntern wollte. Doch Xin schüttelte den Kopf. „Lass uns von hier verschwinden. Komm, wir gehen zu diesem See und schauen uns noch etwas um. Dann möchte ich so schnell wie möglich von hier verschwinden und mich auf die Suche nach dem Lichtgott begeben.“ Da stand Xin auf und ging Richtung Osten, wo der See lag. Er kämpfte sich durch das dichte Gestrüpp. Er war so wütend auf sich selbst. Noch nie hatte er eine Mission nicht erfolgreich ausführen können und da er irgendwann der nächste Rudelführer werden würde, war ein Versagen nicht gut zu heißen. Als sie beim See ankamen, blickten sie auf die spiegelglatte Wasseroberfläche. Es war ein schöner und ruhiger Tag. Xin trat näher an den See und begann, an dessen Ufer entlangzulaufen. Bald entdeckte er eine aufgewühlte Stelle im Sand. Er beschnupperte die Stelle, doch die Gerüche der Wölfe waren schon fast verflogen. Er schätzte, diese Wölfe waren mindestens vor fünf Tagen hier gewesen. „Was glaubst du, wer das war?“, fragte er Lumus, der direkt neben ihm stand. „Ich kann es dir nicht sagen.“ Da begann Xin zu knurren und seine Nackenhaare stellten sich auf. „Wehe, es war diese Missgeburt von einem Wolf! Dann bringe ich ihn eigenhändig um!“ Lumus wusste sofort, wen Xin mit seiner Ansprache meinte. Als sie sich vor über einer Mondphase von Zerisia und Inark getrennt hatten, hatte Lumus dem kleineren Bruder erzählt, wem er auf seiner Reise begegnet war. Natürlich war sich Lumus nicht völlig sicher gewesen, dass es Jurikin war, den er im Wald der Unendlichkeit gesehen hatte, da dieser völlig anders war, als der Jurikin, den er kannte. Doch dieser Wolf hatte genau wie Jurikin ausgesehen. Xin drehte sich wütend um und verschwand wieder im Wald. Lumus betrachtete den aufgewühlten Sand erneut und konnte keine Anzeichen von Jurikin erkennen. Er wusste nur, dass hier vor ein paar Tagen ein kleines Rudel von Wölfen war. Es könnten auch Wölfe aus dem hier in der Nähe ansässigen Wasserrudels gewesen sein, die ab und zu ihren Weg hierher wagten. Der Lavawolf entschied sich, Xin in den Wald zu folgen. Er hatte ja die Aufgabe, diesen zu beschützen. „Wir werden sofort aufbrechen und uns zum Lichtgott begeben. Ich weiß nicht, wieso mein Vater mir aufgetragen hat, diese Götter ausfindig zu machen. Soweit ich weiß, befinden sich der Lichtgott im Westen und der Feuergott im Süden Daromis. Zwei völlig andere Richtungen.“ „Nun“, sagte Lumus, „ Zerisia muss ihre Götter noch suchen. Von ihnen ist nicht bekannt, wo sich ihre Ruhestätten befinden. Außerdem kommen zwei Wölfe schneller voran, als ein ganzes Rudel.“ Xin schnaubte und musste Lumus Recht geben. Sie werden es schon rechtzeitig schaffen. Er hoffte, dass dieses andere Rudel nicht vor ihnen bei den Ruhestätten eintreffen würde. Somit machten sich Xin und Lumus auf dem Weg aus dem Tal hinaus. Sofort schlug ihnen die Kälte dieser Gegend entgegen. Vor allem Lumus hatte mit dem Schnee und der Kälte zu kämpfen, da sein Gemüt eher dem Feuer glich. Seine Beine waren bis zum Bauch mit einer grauen versteinerten Kruste bedeckt. Das restliche Fell an seinem Körper war rötlich und orange. Je nachdem wie niedrig die Temperatur von Lumus war, desto mehr verkrustete sein restliches Fell. Lumus kann seinen Körper erhitzen, wobei die Kruste schmolz und zu Lava wurde. Somit kann er an seinem ganzen Körper Lava entstehen lassen. Kühlte eine Stelle aus, verhärtete sie sich wie Lavagestein. Dies hatte zur Folge, dass sich seine Bewegungen verlangsamten, da das Gestein schwerer war, doch auch bietet ihm dieses Gestein einen gewissen Schutz und man konnte ihn an diesen Stellen nicht so einfach verletzen. Xin lief vor Lumus durch den Schnee, um seinem alten Freund den Weg zu bahnen. Bald trafen sie auf den spärlichen kleinen Wald und ruhten sich kurz aus. „Meinst du, ich sollte Vater eine Nachricht zukommen lassen, dass dieser Wolf gestorben ist?“, fragte Xin Lumus um Rat. Lumus nickte. „Ja, sobald wir wieder auf eines unserer Rudel stoßen, müssen wir einen Botschafter zu deinem Vater schicken. Es ist ja nicht deine Schuld gewesen.“ Xin nahm diese Tatsache hin und ruhte sich etwas aus. Als die Sonne untergegangen war, machten sie sich wieder auf dem Weg Richtung Nordwesten. Sie hatten beschlossen, hauptsächlich im Dunkeln zu reisen, um so zu vermeiden, anderen Wölfen zu begegnen. Die Wölfe in diesem Gebiet waren noch frei vom Einfluss des Finsternisrudels. Rumera, die nun die Aufgabe bekommen hatte, neue Rudel zu rekrutieren, war auf dem Weg in den Westen gewesen. Daromi ist ein großes Land voller eigensinniger Rudel. Doch wenn es jemand schaffte, die Rudel zu unterjochen, dann war es Rumera. Sie begegneten keinem anderen Wolf in dieser Nacht und legten sich am Tag im Schutz einer kleinen Baumgruppe schlafen. Irgendwann fühlte Xin einen sanftes Stupsen und wurde sofort wach. Lumus hatte ihn geweckt. Der Lavawolf stand direkt vor Xin und spähte in den Wald. Zuerst wusste Xin nicht, was seinen Freund beunruhigte, doch dann hörte er es auch: Stimmen und ein Rascheln im Unterholz. „Dort sind sie. Gleich hier vorne. Ein roter und ein schwarzer Wolf“, sagte eine unbekannte Stimme, die immer näher kam. Lumus drehte sich zu Xin um und deutete mit seiner Schnauze an, dass sie weitergehen mussten. So leise wie es ging, stand Xin auf und sie verschwanden weiter im Wald, weg von der unbekannten Stimme. Als sie dachten, sie bewegten sich weiter von der Stimme fort, brachen aus dem Unterholz drei Wölfe hervor und versperrten ihnen den Weg. Am Körperbau und an der Fellfärbung erkannte Xin sie als Wasserwölfe. „Verdammt“, sagte Xin. „Lauf!“ Da brachen Lumus und Xin nach rechts aus. Sie waren in einen Hinterhalt geführt worden. Es war dumm von ihnen gewesen, gedacht zu haben, dass sie keinem anderen Wolf auffallen würden. Vor ein paar Tagen hatten sie dieses Gebiet schon passiert und hatten somit die hier ansässigen Wölfe bereits auf sich aufmerksam gemacht. Doch Xin verscheuchte diese Gedanken und konzentrierte sich auf die Flucht. Diese Wölfe waren ihnen garantiert nicht freundlich gesinnt. Lumus folgte dicht hinter ihm. Plötzlich schoss direkt vor ihnen eine Wasserfontäne hoch. Xin konnte ihr nur knapp ausweichen, doch ein paar Spritzer durchnässten sein Fell. Er sprang über eine Wurzel und wäre beinahe im Schnee ausgerutscht. Seine kurzen Beine fingen sich sogleich wieder und er rannte weiter. Auf einen Kampf konnte er sich nicht einlassen. Xin neigte nicht dazu, sich zu überschätzen. Da sprang erneut ein Wolf aus dem Unterholz und versperrte ihm den Weg. Xin bremste vor ihm ab und wusste nicht, wohin er fliehen sollte. Da rannte Lumus an ihm vorbei. Der Lavawolf glühte vor Hitze und schmolz den Schnee unter seinen Pfoten. Er stürzte sich auf den Wasserwolf, der versucht hatte, den größeren Wolf mit einer erneuten Wasserfontäne abzuschütteln. Doch vergebens. Lumus brach durch das Wasser durch und stürzte sich auf den anderen Wolf. Seine Klauen gruben sich in dessen Fell und Lava begann an der Seite des anderen Wolfes herunterzufließen. Dieser jaulte schmerzerfüllt auf. Lumus hatte keine Zeit seinen Angriff fortzusetzen, da griffen ihn zwei neue Fontänen an. Dieses Mal waren sie größer und stärker. Nur knapp konnte er dem Wasser entkommen und stürmte wieder auf Xin zu. „Du musst sie verwirren!“, rief der Lavawolf nur und beide stürzten wieder in die andere Richtung. Xin war ein Finsterniswolf, mit gut ausgeprägten Fähigkeiten. Einer seiner Fähigkeiten war es, Illusionen zu erschaffen. Somit konzentrierte sich der schwarze Wolf und überlegte, wie er die Wasserwölfe täuschen konnte. Er durfte nicht stehen bleiben und somit musste er sich während des Laufens konzentrieren und nach seiner Finsternis greifen. Anfangs gelang es ihm nicht, da sich sein Herz nicht beruhigen wollte, doch dann hatte er es geschafft und warf sich in den Fluss der Finsternis. Diese umschlang ihn und hieß ihn willkommen. Dann brach es aus ihm heraus und um ihn herum waberte die Finsternis. Xin und Lumus rannten weiter. Irgendwann begannen ihre Umrisse zu verschwimmen und aus ihren Körpern lösten sich neue Schemen, die exakt wie sie selbst aussahen. Diese rannten nun neben ihnen her. Hinter ihnen waren die aufgewühlten Stimmen der Wasserwölfe zu hören. Xin konzentrierte sich erneut und schickte die Schemen weiter Richtung Norden, während er und Lumus nach Westen umdrehten. Nun folgten sie einen kleinen Bach, wo sie ihren Geruch verstecken konnten. Der schwarze Wolf blieb weiterhin konzentriert und lenkte die Schemen von ihnen weg. Als er nach hinten lauschte, bemerkte er, dass die Stimmen der Wasserwölfe leiser geworden waren. Sie hatten sie abgeschüttelt. Langsam ließ seine Kraft nach und der Kontakt zu den Schemen verschwand. Jetzt war ihre Flucht aufgeflogen. Doch Xin und Lumus rannten weiter. Sie durften nicht in der Nähe bleiben, sondern mussten weit weg. Sie rannten den ganzen Tag durch, bis hinein in die Dämmerung. Den Wald hatten sie schon weit hinter sich gelassen und der Fluss begann nun, Richtung Norden zu fließen. Die beiden Wölfe folgten diesem weiter, bis sie es bei Einbruch der Nacht endlich wagten, stehen zu bleiben. Keuchend stillten sie ihren Durst und legten sich neben einer kleinen Felsgruppe nieder. „Ich bleibe erst mal wach und halte Wache. Du kannst schlafen. Das war ganz schön knapp“, sagte Lumus und legte sich vor Xin. Xin schnaubte nur. „Wir können nicht drauf vertrauen, dass uns jedes Rudel freundlich gesinnt ist. Sicher haben die anderen Rudel schon erfahren, was wir mit den anderen angestellt haben.“ Lumus nickte und Xin legte sich schlafen. Nach dieser anstrengenden Hetzjagd tat ihm alles weh, doch er schlief sofort ein. Heute war kein Glückstag für ihn gewesen und dies war erst der Anfang seiner Mission. ~~ Erde Ende ~~ Wohin führt der Weg von Yen und seinem Rudel als nächstes? Werden sie es schaffen, die Götter vor den Finsterniswölfen zu erreichen? Wird Xin seine Aufgabe bestehen können? Die Dunkelheit verbirgt so viele Fragen in sich, doch wird sie die Antworten teilen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)