Call of the shadows von Okiro (Wenn die Finsternis naht) ================================================================================ Kapitel 18: Das Licht --------------------- ~~ Das Licht ~~ Es wurde immer dunkler um sie herum. Finsternis und Kälte umfingen sie und hüllten ihren Körper ein. Jeder Schritt, den sie tat, schmerzte in ihren Gliedern. Am liebsten würde die Wölfin aufhören zu laufen. Doch sie hatte ein Ziel und das würde sie um jeden Preis erreichen, egal, was passieren würde. Die Kälte kam vom Schnee an ihren Füßen, der in dieser Gegend lag. Schon seit drei Tagen sah sie nichts außer Schnee und ein paar Büsche. Die Erde lag ganz weit unter ihr. Sie konnte sie nur ganz schwach spüren. „Wo bist du nur?“, sagte sie leise. „Ich werde dich finden!“ Das waren die Worte, die sie sich immer in Erinnerung rief und die sie wach hielten. Ohne ein Ziel wäre sie schon längst umgedreht. Doch ihre Vergangenheit war nicht die beste gewesen. Sie hatte in ihrem alten Rudel viel gelitten und musste sich oft durchschlagen. Kurz blickte sie in den Himmel. „Mutter, Großmutter? Geht es euch nun besser, seit ich weg bin?“ Eine Träne rann ihre Wange hinunter. Sie wusste, sie war nicht alleine und ihre Familie denkt an sie. Der Schnee knirschte unter ihren Pfoten, als sie weiterging. Ein heftiger Wind peitschte auf und verfing sich in ihrem Fell. Ihr wurde noch kälter, doch sie biss die Zähne zusammen und ging weiter ihren Weg. Direkt vor ihr war ein großer Berg. Den musste sie erreichen, das hatte sie im Gefühl. Das würde ihr Ziel sein und hoffentlich zu dem Ort bringen, an den sie willkommen war, der ihr das gab, das sie suchte. Sie hatte ihr altes Rudel verlassen, um ihrer Mutter und ihrer Oma keine Bürde mehr im Leben zu sein. Zudem hatte sie das Gefühl, in der Welt gebraucht zu werden. Die Situation spitzte sich immer mehr zu, seitdem die Finsterniswölfe das Land durchstreiften und überall Terror verbreiteten, wohin sie gingen. Das mit anzusehen, tat ihr im Herzen weh und sie musste unbedingt helfen. Zunächst wusste sie nicht wohin, doch dann wachte sie eines Tages auf und spürte, dass sie Richtung Osten musste. Osten war ihr Ziel, doch das hatte einen langen Weg zur Folge. Als Einzelkämpfer hatte man es nie leicht. Doch sie war es gewohnt, zu hungern. Jeden Tag mussten sie, ihre Oma und Mutter kleine Portionen teilen. Diese Tatsache hatte sie aber auch resistenter werden lassen. Den Weg, den sie ging, wurde nun steiler. Der Hügel, auf dem sie sich befand, ging nun wieder bergab. Als die Wölfin die Augen zukniff, konnte sie am Fuße des Hügels eine kleine Baumgruppe finden. >Dort werde ich sicher etwas zum Fressen und etwas Schutz finden.< Jeder Schritt, den sie tat, strengte sie nur noch mehr an. Der Wind blies weiterhin in ihrem Fell und zehrte zusätzlich an ihren Kräften. Ihr Blick war auf die Baumgruppe gerichtet und so achtete sie nicht wirklich auf den Weg. Wäre dies Erde und kein Schnee gewesen, hätte sie die kleine Erhöhung direkt vor ihr sofort bemerkt. Den nächsten Schritt, den sie tat, endete damit, dass sie ausrutschte und im Schnee landete. Durch den Aufprall begann sie, im Schnee zu rutschen und fiel den ganzen Abhang hinunter. Die Wölfin knallte an mehrere Schneeerhöhungen und raubten ihr die Luft. Der Schnee war gefroren und somit keine Falldämpfung. Mehrmals überschlug sie sich und fing sich viele Schrammen und leichte Prellungen ein. Der Hügel war doch höher gewesen, als er zuerst ausgesehen hatte. Nach dem schmerzhaften Fall landete sie dann unsanft auf dem Boden. Der letzte Schlag raubte ihr die ganze Luft. Ihr wurde schwarz vor Augen. >Nein! Du darfst nicht liegen bleiben! Steh auf! Kämpfe! Geh weiter!<, rief ihr Kopf, doch ihr Körper konnte nicht mehr. Ihre Augen schlossen sich. Das Letzte, was sie sah, waren die Gesichter ihrer Oma und ihrer Mutter, die sie enttäuscht anblickten. Sie träumte in der Bewusstlosigkeit. Ihr Traum bestand darin, dass ihr ehemaliges Rudel von dunklen Schatten überfallen wurde. Es waren keine Tiere, sondern einfach nur lebendig gewordene dunkle Flecke. Sie bewegten sich schnell und töteten alle aus ihrem Rudel. Sie fiepte und spürte einen leichten Druck in ihrer Seite. Kurz schlug sie die Augen auf. Lange konnte sie diese aber nicht offen halten, da sie sogleich wieder bewusstlos wurde. Sie sah den Schneeboden und spürte, dass sie sich bewegte, doch ihre Füße gehorchten ihr nicht. Bevor sie darüber nachdenken konnte, umfing sie wieder die Dunkelheit. Dieses Mal träumte sie nichts. Dennoch war es nicht erholend. Ihr Körper war einfach zu schwach. Sie spürte nichts um sich herum. Selbst die Verbindung zu der Erde war abgebrochen. In der Dunkelheit, in die sie gefallen war, hörte sie immer wieder eine Stimme. Mal sagte diese nur ein Wort, doch dann waren es ganze Sätze. In ihrem momentanen Zustand wusste sie nicht, was sie bedeuteten und sie nahm diese nur flüchtig auf. Ihr Körper begann, sich langsam zu regenerieren und zu erholen. Das Erste, was sie in der Welt, in der sie lebte, wieder richtig wahrnahm, war ihre trockene Zunge, die an ihrem Gaumen klebte. Ihr ganzer Mund und Hals war staubtrocken. Da musste die Wölfin schlagartig husten. Ihr Hals tat höllisch weh. Als der Husten geendet hatte, schlug sie langsam die Augen auf. Es war dunkel, woraus sie schloss, dass es Nacht war. Sie ließ ihren Kopf noch auf dem Boden ruhen, um durch die Anstrengung nicht erneut in die Bewusstlosigkeit zu sinken. Von ihrer Position aus beobachtete sie ihre unmittelbare Umgebung. Sie lag zwischen ein paar Bäumen am Fuß des Hügels, den sie hinunter gestürzt war. Sie konnte sich an ihren Aufprall kaum erinnern, aber sie wusste, dass die Bäume nicht nahe des Abhangs standen. So konnte sie sich nicht erklären, wie sie hierherkam. Irgendwann bemerkte sie einen hellen Schein zwischen zwei Bäumen. Sie dachte zunächst, sie würde erneut bewusstlos werden und konzentrierte sich darauf. Das Licht wurde immer größer. Es war ein sanftes Licht, keines, dass in den Augen stach. Es strahlte Wärme und Geborgenheit aus und bald war sie sich sicher, dass sie nicht mehr drohte, bewusstlos zu werden. Bald sah die Wölfin in dem Licht eine Gestalt, die auf sie zuzugehen schien. Immer größer wurde sie, bis die Wölfin die Gestalt als einen anderen Wolf erkannte. Der fremde Wolf ging gemütlich auf sie zu, bis er kurz vor ihr zum Stehen kam. Da hob die Wölfin das erste Mal ihren Kopf und sah den anderen Wolf genauer an. Er war ein großer und mächtiger Wolf. Doch er strahlte etwas Gutmütiges aus und das war nicht das Licht, das ihn umgab, sondern das Lächeln auf seinem Gesicht. Seine Hauptfarbe war weiß, doch seine Brust, die Pfoten und die Schwanzspitze waren gelb. „Na, du bist endlich wach. Du hast mir ganz schöne Sorgen bereitet, doch du bist eine wahre Kämpferin!“ Er stupste sie liebevoll mit der Schnauze an. Normalerweise wäre sie bei dieser plötzlichen Nähe durch einen fremden und so mächtigen Wolf zurückgeschreckt, doch diese Geste strahlte so viel Güte aus, dass sie ihr gut tat. „Bleib liegen. Hier hast du etwas zu fressen.“ Er deutete mit der Schnauze auf den kleinen Haufen direkt vor ihr. Es waren ein paar Beeren. Der weiße Wolf drehte sich um und legte sich neben sie genau auf die Seite, wo der Wind in ihr Fell gefahren war, um sie davor zu schützen. „Nun friss! Du hast sicher Hunger.“ Die Wölfin blickte ihren Retter verwirrt an. „Da... danke“, brachte sie nur heraus. Doch anstatt zu fressen, starrte sie ihn weiter an. Das schien ihn an etwas zu erinnern. „Oh wie unhöflich von mir! Mein Name ist Kito und wie ist deiner?“ „Aria“, hauchte sie. Dieses Wort tat so weh, dass sie sich entschied, doch die saftigen Beeren zu fressen und wand sich diesen zu. „Schön, dich kennen zu lernen, Aria“, lachte Kito und beobachtete seinen Schützling aus gütigen Augen. Am nächsten Tag wachten alle Wölfe in der Höhle auf. Nurik gähnte etwas. Kleine Funken flogen um seinem Mund herum. Doch sie erloschen gleich, bevor sie auf dem Boden aufkamen. „Guten Morgen“, sagte der Feuerwolf und streckte sich genüsslich. Langsam stand jeder auf, auch Verox pfiff zur Begrüßung. Der Adler breitete seine Flügel aus und flog zum toten Fisch, der vor der Höhle lag. Er fraß etwas von den Resten, die die Wölfe vom Vortag übrig gelassen hatten. Die sieben Wölfe machten es ihm gleich und stärkten sich für den Tag. Heute war ihr Aufbruch vom Wasserrudel und die Weiterreise zum Wassertempel. Doch bevor sie aufbrachen, mussten sie mit Rejn reden. Als sie fertig waren, traten alle zusammen aus der Höhle. Verox flog über ihnen und beobachtete sie von oben. Sie gingen den Weg zurück, den sie in die große Höhle gekommen waren, wo der See Rariki lag, den Abhang hinauf und in die kleine Vorhöhle. Dort erwartete sie auch schon Rejn. „Guten Morgen zusammen. Ich nehme an, ihr wollt uns heute schon wieder verlassen?“ Yen trat zum wesentlich kleineren Rudelführer. „Ja, wir werden heute wieder aufbrechen. Wir wollen euch nicht zu viel wegfressen. Doch ein paar Fragen hätten wir dennoch an dich.“ Rejn nickte. „Das habe ich mir gedacht.“ Da blickte er zu Nyrona, Esaila, Nurik und Sikona. „Ihr wollt sicher wissen, was euer Vater hier zu suchen hatte und wohin er nun unterwegs ist?“ Die Geschwister nickten. „Seit er uns vor acht Monden verlassen hat, haben wir nichts mehr von ihm gehört. Wir dachten, er sei verschollen“, erklärte Nurik. „Bitte sag uns, was du weißt.“ „Das werde ich.“ Rejn ging zu den Geschwistern, um mit ihnen direkt zu reden. „Eurem Vater geht es gut. Er sieht von der langen Reise etwas mitgenommen aus. Ihr müsst wissen, dass er alleine unterwegs ist. Ist er schon alleine von eurem Rudel aufgebrochen?“ Nyrona nickte. „Ja, er wollte etwas herausfinden und der Welt gegen die Bedrohung, die uns bevorsteht, helfen. Unsere Mutter und alle anderen männlichen Wölfe sollten das Rudel beschützen.“ „So, wie ich ihn kenne“, sagte Rejn und die anderen blickten den Wasserwolf verwundert an. „Kito und ich kennen uns schon seit Jahren. Er reiste früher sehr viel herum, bevor er Rudelführer wurde, und kam auch hier bei uns vorbei. Damals war ich selbst noch ein junger Rüde und hatte noch keine Ahnung von der Aufgabe, die mir bevorstand. Wir beide haben uns prächtig verstanden. Doch er musste bald wieder weiter. Euer Vater ist ein einzigartiger Wolf. Ich habe noch nie von einem Wolf gehört, der die Welt bereisen wollte, um alles zu sehen. Doch ich schätze, nun hat sich dieser weite Weg für ihn gelohnt. Er kennt sich besser als jeder andere Wolf in Daromi aus und hat sicher sehr viele interessante Orte gesehen.“ Da lachte Sikona. „Wenn du wüsstest, wie viele Geschichten er uns schon von der weiten Welt erzählt hat. Aber, dass er so weit zu euch gereist ist, hat er uns nie erzählt.“ „Ich schätze, er ist noch viel weiter gereist. Doch nun zu seinem letzten Besuch. Er kam vor etwa nicht ganz einem Mond zu uns. Wir nahmen ihn auf und gaben ihm Wärme und etwas zu Fressen. Da berichtete er uns von interessanten Dingen, die wir selbst noch nicht so ganz gespürt hatten. Es soll vom nördlichen Finsternisrudel eine böse Gefahr ausgehen. Kito konnte es sich nicht erklären, was es ist, aber er befindet sich auf dem richtigen Weg, es herauszufinden. Er meinte, es sei keine natürliche Kraft, sondern eine uralte Bosheit, die etwas mit unseren geliebten Göttern zu tun hat. Mehr konnte er mir dazu nicht sagen. Er war schon an vielen Orten und hat die verschiedensten Wölfe aufgesucht. Dadurch, dass er früher so viel herumgekommen war, hat er Freunde in ganz Daromi. Auch meinte er, dass es Wölfe in Daromi gibt, die ebenfalls wie er, gegen diese Bosheit kämpfen wollen. Er meinte, dass man vielleicht bei den Tempeln mehr herausfinden konnte, da diese die Orte der Macht der Götter sind. Dort sind sie uns am nächsten. Doch anstatt selbst zu dem Tempel zu gehen, meinte er, dass diese Aufgabe bereits anderen Wölfen zusteht. Seine bestand lediglich darin, die Wölfe zu warnen und Verbündete zusammenzurufen. Auch mich fragte er, ob ich bereit sei, an seiner Seite zu kämpfen, wenn es so weit ist. Ich gab ihm mein Versprechen, für Daromi zu kämpfen und gleichzeitig auf die Wölfe zu warten, die den Tempel aufsuchten, um ihnen den nötigen Schutz zu bieten. Das habe ich ja jetzt getan.“ Alle hatten bei seiner Erzählung aufmerksam zugehört. Da trat Esaila nach vorne und stupste den alten Wolf freundschaftlich an. „Danke, dass du das von unseren Vater erzählt hast. Jetzt wissen wir zumindest, dass er noch lebt und eine große Aufgabe vor sich hat. Wir vermissen ihn sehr, doch wir wissen, dass wir ihn eines Tages wieder sehen werden.“ „Meine liebe Esaila, das werdet ihr. Euer Vater ist der zähste und beste Wolf, dem ich je begegnen durfte. Er ist ein wahrer Rudelführer mit reinem Herzen und großen Verstand. Ihr könnt stolz auf ihn sein, seine Kinder zu sein!“ „Das sind wir!“, lachte Nurik und seine Schwestern. Da wandte sich Rejn wieder an Yen. „Ihr werdet sogleich zum Tempel aufbrechen nicht wahr?“ Yen nickte. „Gut, dann will ich euch sagen, wo ihr ihn finden werdet. Es ist nicht leicht, dorthin zu gelangen und ich war in meinem ganzen Leben nur einmal dort. Ein harter Weg steht euch bevor, doch ich glaube an euch, dass ihr es schaffen könnt. Wenn ihr aus der Höhle geht, dann haltet euch an der linken Wand der Schlucht. Dort findet ihr bald einen Aufstieg, der euch wieder nach oben bringt. Seit ihr oben angekommen, wendet euch nach Osten. Ihr seht zwei große Berge. Der eine läuft spitz zu und der andere geht mehr in die Breite. Genau zwischen die beiden müsst ihr gehen. Genau dort befindet sich ein riesiger See. Noch größer als Rariki. Dort müsst ihr abtauchen und den Tempel am Fuße des Sees suchen. Der See steckt voller Gefahren. Ich schätze, jetzt, wo die Bosheit in diese Welt kam, noch mehr als je zuvor. Dies ist ein heiliger Ort, das dürft ihr bitte niemals vergessen. Der Wassergott hat dort seine Hallen. Vielleicht habt ihr Glück und ihr werdet auf ihn treffen und euren Weg fortfahren können. Man sagt, der Gott lebe noch tiefer als der Tempel selbst und offenbart sich nur denjenigen, die es würdig sind, ihn zu sehen. Dadurch, dass der Weg zum Tempel so schwer ist, haben wir seit langem keinen Versuch mehr gewagt, ihn aufzusuchen. Deswegen kann ich euch nicht sagen, ob sich der Wassergott wirklich euch zeigt. Doch ich weiß, dass er in dem See lebt, ich selbst habe ihn gespürt als ich dort war. Dieser See hat auch eine Verbindung zu dem Meer um ganz Daromi. Angeblich sollte jedes Gewässer in Daromi ein Teil dieses Sees beinhalten, sodass der Wassergott über alles Wasser aufpassen kann.“ Rejn endete mit seinen Erzählungen. „Mehr kann ich euch nicht auf dem Weg mitgeben. Ihr werdet ein paar Wasserquellen finden, die euch etwas Nahrung geben können. Auch leben ein paar Tiere in den kalten Gegenden. Ihr müsst sie nur finden.“ „Danke Rejn für deine Hilfe“, sagte Yen „Wir werden deine Ratschläge berücksichtigen und hoffentlich heil am Fuß der Berge ankommen. Solltest du irgendwann einmal selbst Hilfe benötigen, so musst du uns nur rufen.“ „Ach, rettet einfach die Welt. Damit ist mir genug geholfen.“ Da fingen alle Wölfe im Raum zu lachen an. „Wenn es nur das ist!“, sagte Yen und drehte sich zu seinen Freunden um. „Wollen wir weiter?“ „Na klar wollen wir das!“, rief Kian voller Tatendrang und sprang hinter Yen aus der Höhle. Als sie draußen waren, drehten sie sich alle um und heulten zum Abschied ein kurzes Lied. „Kinder passt mir bitte auf euch auf! Wenn ihr euren Vater sieht, dann grüßt ihn von mir!“ „Das werden wir!“, rief Nyrona und schloss sich ihrem Rudel an, das schon auf dem Weg war. Wie es Rejn gesagt hatte, hielten sie sich an der linken Wand der Schlucht. Sie kamen unter dem eingefrorenen Abschnitt vorbei, den Sikona etwas erweitert hatte. Als sie draußen waren, kam direkt an der Wand ein kleiner Aufstieg. Diesen folgten sie nach oben. Verox flog langsam seine Kreise immer höher, damit er die Wolfsschar nicht aus den Augen verlor. Der Aufstieg war etwas mühsam. Sie waren zwar gesättigt und bei Kräften, doch die Kälte machte jedem Wolf - bis auf Sikona - Schwierigkeiten. Diese lief allen Wölfen voraus und bahnte sich als Erste einen Weg durch den Schnee. Somit konnten die Wölfe problemlos in ihre Fußspuren treten. Auch setzte sie etwas ihre Kraft ein und bahnte sich eine Presche in den hohen Schnee. Oben angekommen, ruhten sie sich erst einmal aus. Yen ging an den Rand und blickte nach unten. „Wir dürfen niemals vergessen, wo dieses Rudel lebt. Eines Tages kommen wir zurück und werden uns bei ihnen für ihre Hilfe und Gastfreundschaft bedanken. Das sind wir ihnen schuldig“, sagte der schwarze Wolf und drehte sich nach Osten. „Seht ihr die Berge? Ich glaube, das sind die beiden, die Rejn meinte. Lasst uns aufbrechen.“ Die Reise ging weiter Richtung Wassertempel. Keiner wusste, was sie erwartete und, ob sie den Tempel überhaupt fanden. Doch jeden Schritt, den sie auf ihr Ziel zumachen, fühlte sich gut an. Sie wollten endlich an ihrem ersten Ziel ankommen. Zuerst sah es so aus, als würde in dieser eisigen Gegend nichts gedeihen, doch bald kamen sie an ein paar sehr dicken Bäumen vorbei, die zu einem Wald wurden. Es war zwar still in dem Wald, doch ab und zu hörten sie einen Vogel kreischen. „Er sieht vielleicht tot aus, doch er lebt“, sagte Esaila und trat an einen Baum. Diesen berührte sie kurz mit ihrer Schnauze. „Ganz tief drinnen leben diese Bäume und sie sprühen nur so vor Kraft. Sie sind dieses Wetter gewohnt. Wahre Überlebenskünstler“, schwärmte sie. Als sie ihre Schnauze wieder vom Baum entfernte, bildeten sich kleine Schlingpflanzen an der Stelle. Diese bekamen sofort eine kleine Frostschicht. Da lachte die kleine Waldwölfin. „Siehst du, Sikona. Die Kälte ist nicht nur schädigend. Diese Bäume finden sie sogar gut. Wenn die Sonne einmal kommt, freuen sie sich sehr drauf und genießen einen warmen Wintertag.“ Sikona lächelte ihre Schwester an. Sie war immer der Meinung gewesen, dass die Kälte nichts Gutes war, sondern immer nur Zerstörung brachte. Doch in letzter Zeit musste sie feststellen, dass dies gar nicht stimmte. Als Ruki voller Verletzungen zu ihnen stieß, half ihm ihre Kälte, die Schmerzen zu lindern. An warmen Sommertagen schmiegten sich ihre Geschwister an sie, um sich etwas zu kühlen und jetzt dieser Wald, der die Kälte willkommen hieß. „Danke, Schwester. Ich merke, dass Eis doch nicht so böse ist, wie ich dachte. Doch lass uns weitergehen. Vielleicht finden wir hier etwas Wild. Da du nun im Wald bist, kannst du sicher die Bäume fragen, wo wir etwas finden. Vielleicht auch einen Fluss.“ „Geh etwas weiter nach Süden und dann wieder nach Osten. Dann finden wir einen kleinen Bach“, erklärte Esaila ihr und sie machten sich auf den Weg. Bald hatten sie den kleinen Bach erreicht. Kian ging zu Nurik. „Wie geht es dir?“, fragte er diesen. „Es geht. Ging mir schon besser. Langsam gewöhne ich mich an diese Kälte.“ Kian war mit dieser Antwort nicht zufrieden, doch er kannte mittlerweile Nurik und ließ ihn in Ruhe. Dennoch würde er ihn weiterhin beobachten und auch die ganze Zeit hinter ihm laufen. Er selbst mochte das wärmere Wetter auch lieber, doch er ist ja auch kein Feuerwolf, dem die Kälte mehr zu schaffen machte. Am Bach mussten sie die dicke Eisschicht aufbrechen, bevor sie das kalte Wasser vorsichtig trinken konnten. Als sie sich gestärkt hatten, ging ihre Reise durch den Wald weiter. Esaila erklärte ihnen, dass der Wald nicht ausgestorben sei. Es lebten hier Tiere, nur musste man sie, wie Rejn schon sagte, finden. Sie meinte, dass es hier Hasen gab und Füchse. Auch Elche sollten diese Wälder durchstreifen. Zudem gab es in den Kronen der Bäume mehr Vögel, als sie hören konnten. Das beruhigte das kleine Rudel. Bald wurde es dunkel und sie mussten sich einen Unterschlupf suchen. Durch die dicken Bäume wehte kein allzu starker Wind. Als sie einen breiten Baum fanden, machte Sikona eine große Kuhle in den Schnee. Sie legten sich alle zusammengekuschelt hinein. Nurik und Esaila in die Mitte, die anderen außen herum. Sikona legte sich selbstverständlich auf die windige Seite. Da sie wahrscheinlich die einzigen Wölfe hier im Wald waren, brauchten sie keine Wache. Dennoch spitze Sikona während dem Schlafen fein die Ohren. Es war dunkel. Überall, wohin er blickte, war diese Dunkelheit und eine weite Leere. Ein beklemmendes Gefühl kroch langsam seine Beinen hinauf, auf sein Herz zu. Die pure Angst vernebelte seine Sinne. Er vergaß zu atmen und wusste nicht, wohin in dieser unendlichen Weite. Da fiel ihm ein, dass er sich bewegen musste. Wenn er stehen blieb, holte ihn der Tod. So begann er zu laufen. Zuerst langsam, da ihn seine Beine anfangs nicht gehorchen wollten, doch dann immer schneller, bis er in einen gemütlichen Trab verfiel. Die Beklommenheit und die Angst ließ er hinter sich, doch die Dunkelheit blieb. >Ich darf nicht sterben! Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Eine wichtige Aufgabe, die über Leben und Tod entscheidet!<, schoss es ihm durch den Kopf. >Einen Ausweg finden. Irgendwohin!< Seine Schritte beschleunigten sich. Er hatte in dieser Dunkelheit völlig das Zeitgefühl verloren. Wie viele Minuten, Stunden oder vielleicht Jahre sind schon verstrichen, seitdem er losgelaufen war? Er wusste es nicht. Die Dunkelheit war überall und wollte ihn zum Anhalten bringen. Doch davon ließ er sich nicht beirren. Immer weiter ging seine Reise. Irgendwann begannen, Bilder in seinem Kopf aufzutauchen. Zwei kleine Welpen spielten im Wasser und spritzen ihn nass. Ein großer Wolf blickte auf ihn herab und schleckte freundlich über seinen Kopf und sagte irgendetwas, was er nicht verstand. Ein stechender Schmerz durchfuhr seine Pfote, als er das Bild eines anderen Wolfes sah, der ihn gerade in die Pfote biss. Da durchströmte ihn Hass und Verachtung. Kurz darauf sah er ein ganzes Rudel um sich herum stehen, wie sie ihn auslachten und verspotteten. >Nein, es soll aufhören! Ich will das nicht sehen!<, dachte er verzweifelt und schloss während dem Laufen die Augen, in der Hoffnung, die Bilder hörten auf zu erscheinen. Doch dem war nicht so und er beschleunigte seine Schritte. Sein Kopf dröhnte von den ungewollten Bildern und Tränen flossen an seinen Wangen entlang. Er knurrte und biss in die Luft. Er wurde traurig und böse zugleich. Verzweiflung und Zorn durchfluteten sein Herz. Plötzlich erschien ein Licht direkt vor ihm. Kein grelles, sondern ein sanftes Licht. Als er in das Licht sah, verschwanden die Bilder und die Gefühle aus seinem Kopf. Die Tränen versiegten und der Hass verschwand. Nun hatte er ein Ziel und steuerte direkt darauf zu. Er wurde noch schneller, doch er kam dem Licht nicht näher. Es war immer noch weit entfernt. Bald vernahmen seine Ohren ein leises Rauschen. Er spitze die Ohren und wusste, dass jemand versuchte, mit ihm zu reden. Doch das Flüstern kam nur undeutlich an. Mit weiten Sprüngen rannte er weiterhin auf das Licht zu. „Warte! Ich komme!“, rief er verzweifelt. Er hatte irgendwie das Gefühl, dass ihn jemand um Hilfe rief oder das Etwas ihm helfen wollte. „Ich komme zu dir und helfe dir! Warte auf mich!“ Das Licht fing an, zu pulsieren und begann, bei seinen Worten eine sanfte Wärme auszustrahlen. Gleichzeitig erlosch das Flüstern und das Licht wurde schlagartig größer. Dann verebbte es und verschwand. Der Wolf, völlig verwirrt, blieb sofort stehen. Er spitzte erneut die Ohren. „Danke ...“, vernahm er eine leise Stimme. „Wer bist du?“, fragte der Wolf und blickte angestrengt in die Dunkelheit. Da erschien plötzlich direkt vor ihm ein kleines Licht. Es wurde heller und größer. Kurz musste er aufgrund dieser Helligkeit die Augen schließen, doch als er sie wieder öffnete, sah er in ein durchsichtiges Wolfsgesicht mit violetten Augen. Als er blinzelte, war das Bild verschwunden. „Warte auf mich...“, flüsterte die Stimme erneut. „Es tut mir leid...“ Da war der Wolf wieder alleine. Die Dunkelheit kam zurück und das beklemmende Gefühl machte sich erneut auf den Weg zu seinem Herzen. Doch, anstatt weiter zu rennen, blieb der Wolf einfach stehen und ließ dies geschehen. „Ich werde warten!“, schrie der Wolf, als ihn die Dunkelheit völlig einhüllte. Plötzlich wurde Yen die Luft aus dem Brustkorb gedrückt. „Wach endlich auf, du Schreihals!“, rief eine bekannte Stimme. „Was ist nur los mit dir!“ Yen hustete und sog schnell wieder Luft in seine leeren Lungen. „Sikona, geh runter von ihm! Du tust ihm weh!“, rief Nurik und schubste seine Schwester von ihrem gemeinsamen Freund runter. Der schwarze Wolf blickte auf und sah Nurik dankbar an. „Was … ist geschehen?“ „Wir wollten aufbrechen und du bist einfach nicht wach geworden. Da bekamen wir Angst und Sikonas einzige Idee war, auf dir herum zu springen, bis du wach wirst. Na ja, das hat zwar geklappt, aber musste sie dir gleich die Luft abdrücken?“ „Es tut mir leid …. ich habe mir solche Sorgen gemacht“, flüsterte Sikona und kam mit eingezogenen Schwanz und angelegten Ohren zu Yen. Vorsichtig schleckte sie ihm übers Gesicht und winselte. Diese kleine Geste klärte Yens Kopf. Er hatte gerade geträumt und war nicht sofort aufgewacht. „Mir geht es gut. Ich hatte einen bösen Traum. Es tut mir leid, euch Sorgen gemacht zu haben“, sagte er, um seine Freunde nicht zu beunruhigen. Er blickte sich um und sah, dass Esaila, Ruki und Kian fehlten. „Wo sind die drei hin?“ „Jagen, damit wir nicht verhungern.“ Yen nickte und stand vorsichtig auf. Sein Kopf fühlte sich etwas benebelt an. „Wirklich alles in Ordnung?“, fragte Nyrona besorgt. „Ja, es war nur ein böser Traum. Es ist alles okay“, versicherte ihr Yen. Der große Wolf ging ein paar Schritte, um in seine müden Glieder etwas Bewegung zu verschaffen. Er schüttelte verwirrt den Kopf. Dieser Traum war so real gewesen. Irgendwie glaubte er nicht, dass es einfach nur ein Traum gewesen war. Doch darüber wollte er sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen, um seinen Freunden nicht noch mehr Sorgen zu bereiten. Da kam Verox zu ihm geflogen und setzte sich auf seinen Rücken. Besorgt kreischte er und breitete unruhig seine Flügel aus. „Alles in Ordnung, kleiner Freund.“ Da pfiff der Adler und verschwand wieder in den Baumkronen. Sikona ging zu ihrer Schwester. „Ich glaube nicht, dass wirklich alles okay ist ...“ „Du kannst ihn nicht dazu zwingen, dass er dir von seinem Traum erzählt“, meinte Nyrona dann und drehte sich um. „Ich glaube, die anderen kommen.“ Die drei Wölfe kamen mit je einem Hasen im Maul zu der kleinen wartenden Gruppe. „Oh, ihr wart ja recht erfolgreich“, rief Nurik freudig. Die drei Wölfe legten ihre Beute in den Schnee. „Man musste nur das Wild finden. Der Rest ging ganz leicht!“, erklärte Ruki freudig. „Oh, Yen du bist auch wach. Kommt nun alle fressen! Es ist zwar nicht viel, sollte aber vorerst reichen.“ Und da begannen die Wölfe, die drei Hasen zu fressen. Jeder bekam den gleichen Anteil. Als jeder seinen Bauch etwas gefüllt hatte, tranken sie noch am Bach. Dann ging die Reise sofort weiter. Sie wandten sich nach Osten. Trotz der ganzen Bäume konnten sie die Berge deutlich erkennen. Sie waren schon so weit gelaufen, dass diese schon hoch über ihnen aufragten. Sie liefen durch den Wald, der unverändert blieb. Alles war ruhig und sie trafen kaum auf andere Lebewesen. Bald hatten sie sich alle an die Ruhe hier gewöhnt. Kian lief nun direkt neben Nurik, um ihn etwas zu wärmen. Sikona lief auf seiner Windseite, um ihren großen Bruder zu schützen. Immer wieder machten sie eine kurze Pause, um etwas zu trinken und kurz auszuruhen. Als die Nacht anbrach, kuschelten sie sich wieder alle zusammen. Auch Verox kam zu der kleinen Wolfsgruppe und legte sich direkt neben Yen. In dieser Nacht träumte er ruhig. Am nächsten Tag gingen sie gemeinsam auf die Jagd und fanden einen Elch. Nach kurzer Hetzjagd und Einsatz von ihren Fähigkeiten, war der Elch bald gelegt und sie konnten sich die Bäuche vollschlagen. Auch Verox nahm sich dankend ein Stück und verspeiste es neben den Wölfen. Als alle gestärkt waren, ging die Reise weiter. An diesem Tag lichtete sich der Wald und sie konnten sehen, dass sie es nicht mehr weit bis zu den Bergen hatten. Sie mussten nur noch eine Ebene durchqueren und dann befanden sie sich am Fuß der Giganten. Ohne zu zögern, setzten sie ihren Weg fort. Ihr erstes Ziel rückte immer näher. Sikona blickte zu den Bergen hinauf. „Zum Glück ist der See direkt am Fuß der Berge … ich hätte nämlich wenig Lust, noch diese zu erklimmen.“ Da lachte Ruki. „Die findest du schon riesig? Da wo ich herkomme, gibt es weitaus höhere Berge. So hoch, dass man nur an klaren Sommertagen erraten kann, wie weit sie eigentlich in die Höhe ragen.“ Sikona lachte. „Irgendwann musst du mir diese Berge zeigen!“ Ruki nickte ihr liebevoll zu. Als Sikona ihn anblickte, wurde er rot und konzentrierte sich schnell wieder auf seinen Weg. Allen Wölfen wurde bald klar, dass sie ihrem Ziel nicht mehr fern waren. Als die Sonne langsam wieder unterging, wurde die Luft feucht und es wurde etwas wärmer. Dies belebte die Sinne der Wölfe, vor allem Nurik merkte den Wärmeunterschied sogleich. Bald kamen sie an ein paar Bäumen vorbei, die im Schutz der Berge wuchsen. Als sie direkt am Fuße der Berge waren, führte ein schmaler Spalt durch das Gestein. „Ich führte, wir müssen hier durch“, rief Yen und ging vor. Da der Spalt nicht sonderlich breit war, mussten sie hintereinander laufen. Je weiter sie gingen, desto wärmer wurde es. Sikona fing bald an zu hecheln, doch sie freute sich, dass die Kälte nun etwas von ihnen abfiel. Der Spalt führte nicht weit in die Berge hinein. Yen steuerte direkt auf das Licht zu, das immer größer wurde. Aufgrund seiner Größe konnten die Wölfe hinter ihm nur seine Silhouette erkennen. Doch sie folgten ihrem Rudelführer blind. Als Yen am Ausgang ankam, blieb er stehen. Kian, direkt hinter ihm, wäre beinahe in ihn hineingelaufen. „Was ist, Yen?“, sagte er leicht verärgert. „Wow ...“, sagte Yen. „Das müsst ihr euch ansehen. Das ist traumhaft.“ Da ging Yen weiter und ließ alle Wölfe durch den Ausgang. Sie mussten sich erst wieder an das helle Licht gewöhnen und vor allem an die Geräusche, die es an diesem sonderbaren Ort gab. Ein erstauntes Raunen ging durch die Wolfsmenge und sie betrachten gemeinsam die Landschaft vor ihnen. ~~ Das Licht Ende ~~ Geht es Aria bald wieder besser? Hat das kleine Rudel ihr erstes Ziel endlich erreicht? Was erwartet sie an diesem sonderbaren Ort? Ist ein Traum nur dann real, wenn man es sich einbildet, oder, wenn er Wirklichkeit wird? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)