Eins plus eins macht drei! von Rabenkralle ================================================================================ Kapitel 53: Eine unerwartete Frage ---------------------------------- Kapitel 53: Eine unerwartete Frage Shikamaru beobachtete, wie der große Zeiger auf die Acht wanderte. Zwanzig vor sieben … Mit Erinnerungen konnte man die Zeit natürlich auch totschlagen. Er wunderte sich ohnehin, dass er seit gestern so viel in der Vergangenheit herumwühlte. Es hieß doch, dass das Leben erst an einem vorbeizog, wenn man im Sterben lag, aber es war ihm neu, dass er diesen Zeitpunkt schon erreicht hatte. Tja, vielleicht war das so was wie eine Vorahnung. Wahrscheinlich lauerte ihm Kankurou auf dem Weg zum Bad auf und murkste ihn heimtückisch ab. Er gähnte. Weil er ihn dafür hasste, dass Temari wegen ihm weggezogen war. Oder weil es ihm nicht passte, dass er seine Schwester geschwängert hatte, aber vorerst nicht heiraten wollte. Oder aus welchem Grund auch immer. Irgendeine dämliche Begründung fand er sicher, um seinen Tod zu rechtfertigen. Ach, Quatsch, so weit kam es nicht. Kankurou war wie der Rest der Familie gruselig und er musste damit rechnen, dass er ihn verprügelte oder so, aber so weit, dass er ihm eine Reise ins Jenseits ohne Rückticket schenkte, würde er nicht gehen. Dafür sorgte Temari schon. Er musste sich nur für die Dauer des Aufenthalts mit ihr gut stellen, dann war er auf der sicheren Seite. Shikamarus Augen verfolgten wieder den Sekundenzeiger und es schien ihm, als würde er sich im besten Fall in Zeitlupe bewegen. Im Urlaub früh wach sein, war mit das Langweiligste, das ihm je untergekommen war. Jetzt bereute er, dass er kein Shōgibrett mitgenommen hatte. Gefühlte tausend Kilo Gepäck hatte er hierher geschleppt, aber so etwas Wichtiges hatte er vergessen. Nicht, dass es einen großen Reiz auf ihn ausübte, gegen sich selbst zu spielen, doch das war immer noch unterhaltsamer als dem Verlauf der Zeit zuzusehen. Er wandte sich von der Uhr ab und obwohl es ihm widerstrebte, stand er auf und ging zu dem runden Fenster herüber. Das kleine Stück vom Himmel, das er sehen konnte, war blau und er konnte nicht den Hauch einer Wolke ausmachen. Wie der merkwürdige Baustil der Gebäude war die Wüste nicht sein Ding. Es war trocken, tagsüber viel zu heiß und wer hatte schon Lust, dauerhaft auf den Wasserverbrauch zu achten? Von seiner nervigen Mutter abgesehen, war er in den richtigen Platz hineingeboren worden. Die Bettdecke raschelte. „Du bist schon wach?“, fragte Temari müde. Sie setzte sich auf und rieb sich die Augen. „Träum ich etwa noch?“ Shikamaru schüttelte den Kopf und musterte sie. „Du siehst nicht gerade ausgeschlafen aus“, bemerkte er. „Kein Wunder, wenn man nicht einschlafen kann“ – sie hielt sich die Hand vor den Mund und gähnte – „und dann auch noch gefühlt jede Viertelstunde aufwacht, weil man aufs Klo muss.“ Sie schlug die Decke zurück und stand auf. Sie trug eins von Kankurous alten, ausgefransten T-Shirts, das sie sich von ihm zum Schlafen geliehen hatte. Es war furchtbar gespannt im Bauchbereich und auf merkwürdige Weise fiel ihm jetzt erst auf, wie sehr ihr Bauch in den letzten Wochen gewachsen war. Sie ging zur Tür, drückte die Klinke herunter und warf einen Blick zurück über ihre Schulter. „Heute kommst du mir übrigens nicht so davon wie gestern“, sagte sie mit einem Lächeln. „Heute zeig ich dir jede Ecke. Und wenn es bis in die Nacht dauert.“ „Wenn das eine Drohung sein soll, wirkt sie bei mir nicht“, erwiderte er. „Du ächzt doch spätestens, wenn du den Mittagsschlaf ausfallen lassen musst“, stichelte Temari. Dann lachte sie und verließ das Zimmer. --- Shikamaru ächzte nicht. Nicht mal im Geringsten. Klar, die Hitze war alles andere als angenehm, aber im Vergleich zu gestern konnte er sie durchaus ertragen. Der Dauerschlaf, den er am Vortag gehalten hatte, zahlte sich aus. Dafür sah seine Freundin umso weniger fit aus. Ihre Haut wirkte im grellen Sonnenlicht fahl und die Helligkeit ließ die Schatten unter ihren Augen noch dunkler erscheinen. Und ihre Stirn glänzte ein wenig. „Ich glaube, du könntest einen Mittagsschlaf vertragen“, merkte er an, wusste aber nicht so recht, ob er wie sie am Morgen amüsiert darüber sein sollte. „Gibt’s nicht“, protestierte sie. „Wir haben einen Tag verloren und einen strengen Zeitplan.“ „Wir sind im Urlaub und nicht auf einer Mission. Wir haben keinen Zeitplan.“ Temari seufzte. „Doch“, widersprach sie. „Wir müssen uns in spätestens elf Tagen auf den Rückweg machen.“ „Und elf Tage reichen nicht, um mir deine Heimat zu zeigen?“, erwiderte er. „So viel zu sehen gibt es hier auch wieder nicht.“ Sie antwortete nicht. „Kann es sein, dass du irgendwie deprimiert bist?“, fragte er. „Ich meine, du zählst die Tage jetzt schon rückwärts, obwohl wir erst seit vorgestern hier sind.“ „Ja, ein bisschen vielleicht“, gab sie zu. „Ich bin hier geboren und aufgewachsen, musste plötzlich wegziehen und komme frühestens in zwei Jahren wieder hierher. Es wäre seltsam, wenn ich nicht deprimiert wäre.“ Und er war verantwortlich dafür. Großartig. „Tut mir leid“, meinte Shikamaru. „Muss es nicht“, erwiderte sie mit einem Schulterzucken. „Mir war schon bewusst, dass ich das tun muss, falls ich schwanger werde, als ich diese Beziehung mit dir eingegangen bin.“ Der Satz ging direkt an sein schlechtes Gewissen und hinterließ kein gutes Gefühl dort. „Mach dir mal keine Gedanken“, setzte Temari nach. „In einer Fernbeziehung muss immer jemand Kompromisse eingehen, wenn es ernst wird.“ Und er hatte es nicht getan. Nicht mal im Ansatz war er irgendwie auf sie zu gegangen. Verdammt. „Ich wusste von deinen Verpflichtungen und diesem ganzen Kram und hab mich trotzdem auf dich eingelassen“, fuhr sie fort, „also bin ich selbst Schuld.“ „Bist du nicht“, warf er ohne Sinn ein, nur um ihren Monolog zu unterbrechen. „Doch, bin ich. Ich hab schließlich beschlossen, gefühlsduselig zu werden und mich in dich zu verlieben.“ „Beschlossen?“ Sie seufzte. „Ach, du weißt schon, was ich meine. Oder was war dein Grund, dich auf die Reinkarnation deiner Mutter einzulassen?“ „Du bist nicht mal annähernd die Reinkarnation meiner Mutter“, legte er fest. „Ich hoffe, das weißt du.“ „Und ich hoffe, dass du das wirklich so siehst und es nicht nur sagst, damit ich Ruhe gebe.“ „Warum sollte ich?“ Sie lachte nur und setzte sich auf die nächste Steinbank. „Holst du mir ein Eis?“ „Klar“, sagte er. „Und welche Sorten?“ „Du müsstest mich doch inzwischen kennen, oder?“, erwiderte sie und lächelte. „Wenn du die Falschen holst, hau ich’s dir um die Ohren.“ Da es ihm so vorkam, dass er in diesem Moment nicht das Recht hatte, mit ihr zu diskutieren, antwortete er ihr nicht und schlug den Weg zur der Eisdiele ein, an der sie eben vorbei gegangen waren. --- Temari lehnte sich zurück und schaute in den Himmel. Er war in einem strahlendem Blau und wie die meiste Zeit stand nicht ein Wölkchen am Himmel. Sie schmunzelte. Es war ein Aspekt, der die Tatsache, dass sie Shikamaru gefragt hatte, ob er es sich vorstellen könnte, zu ihr zu ziehen, zur absoluten Dummheit machte. Ein Leben ohne seine heißgeliebten Wolken … Das ging doch nicht. Sie beobachtete einen Falken, der dort oben seine einsamen Runden zog. Ja, sie würde ihre Heimat definitiv vermissen, doch sie wusste, wofür sie es tat und hatte sich damit abgefunden. In ihrem Bauch ruckelte es und sie spürte ein paar Tritte in Richtung Niere. Sie waren noch sanft genug, dass es nicht unangenehm war, aber viel fehlte bis dahin nicht mehr. Sie platzierte ihre Hände um den Nabel und merkte so von außen, wie die winzigen Hände ihrer ungeborenen Tochter von innen gegen die Bauchdecke drückten. Nach der Ruhe der letzten Tage war es ein wenig befremdlich, aber schön. Sie hatte sich wegen ihrem Egoismustrip zu viele Gedanken gemacht und es beruhigte sie, dass es ihrem Kind nach der langen Reise offensichtlich so gut ging. Temaris Blick lichtete sich. Der Falke war aus ihrem Sichtfeld verschwunden und nun erstreckte sich weit über ihrem Kopf nur noch ein schönes, aber ödes Blau. Ohne etwas, auf das man seine Augen fixieren konnte, war der Himmel wirklich langweilig. Sie schmunzelte. Für Menschen wie Shikamaru, die diesem Hobby nachgingen, war Sunagakure wirklich der falsche Ort. „Temari?“ Automatisch wandte sie sich um. Sie fragte sich einen Moment, woher sie die Stimme und die Person, zu der sie gehörte, kannte, dann … Na, toll. Gestern hatte sie sich erst seit Ewigkeiten wieder seinen Brief angeguckt und heute stand ihr Ex, den sie mindestens genauso lange nicht gesehen hatte, hinter ihr. Was für ein Zufall. „Manabu“, erwiderte sie mit einem gezwungenen Lächeln. „Wie nett.“ Sie empfand die Begegnung alles andere als nett. Und zwar, weil sie wusste, wie sie ablaufen würde. Er würde erst einen Smalltalk starten, zwischendrin immer mal wieder betonen, dass er sie vermisste und sie zum Schluss fragen, ob sie sich nicht doch vorstellen könnte, die Beziehung wieder aufzunehmen. Zumindest war es die letzten drei Male genau so abgelaufen. Er warf ihr ein breites Grinsen zu – das nett hatte er allem Anschein nach zu wörtlich genommen –, ging um die Bank herum … und stockte. Temari war einen Augenblick lang von seiner Reaktion überrascht, dann wurde ihr klar, dass es auf gar keinen Fall wie die letzten Male verlaufen würde. Im besten Fall schüttelte er ihr in Anbetracht ihres überdeutlichen Babybauchs kurz die Hand und verzog sich dann wieder. Hoffte sie. Ihr Exfreund sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein und stieß ein „Wow!“ aus. Sie schaute ihn nur mit neutralem Gesichtsausdruck an und sagte nichts. „Du bist schwanger?“, fragte er und seinem Tonfall schwang eine Prise Enttäuschung mit. „Ja“, sagte sie. „Wer ist denn der glückliche Vater?“ „Kennst du nicht.“ Manabus Blick erhellte sich. „Oder bist du etwa wieder Single?“ Hoffte er tatsächlich, dass sie ihm in den Fall den Ersatzvater spielen lassen würde? Gott, das konnte doch nicht sein Ernst sein! Den Kerl in den Wind zu schießen war die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen. Und vorher ein paar Mal mit ihm zu schlafen war eine weniger Gute gewesen. „Nein“, legte sie fest. „Wenn ich sage, dass du ihn nicht kennst, kennst du ihn nicht.“ „Sicher?“ „Er ist aus Konoha.“ „Sicher, meine Liebe …“ Er setzte sich zu ihr, berührte sie an der Schulter und sie verspürte den Wunsch, ihm eine zu scheuern. Nur weil sie vor vier Jahren eine kurze Zeit lang mit ihm zusammen gewesen war, gab ihm nicht das Recht, sie wie eine Freundin zu behandeln. Temari packte ihn am Handgelenk und zog seine Hand von sich herunter. „Behalt deine Finger bloß bei dir!“, sagte sie mit Nachdruck. „Den engsten Körperkontakt haben wir lange hinter uns und es reizt mich nicht mal ansatzweise, ihn in irgendeiner Form wiederaufleben zu lassen.“ Manabus Grinsen verschwand. „Das ist wohl eindeutig.“ „War ich das früher etwa nicht?“, entgegnete sie. „Immer wenn wir uns zufällig über den Weg laufen, versuchst du es wieder. Dass dich die Tatsache, dass ich bald Mutter werde, nicht mal abschreckt, finde ich bemerkenswert.“ „Du warst eben meine große Liebe“, sagte er und lächelte traurig. Sie fühlte sich unwohl und gab ihre Abwehrhaltung auf. Sie hatte ihn nicht einmal annähernd so gesehen. „Es tut mir leid, dass du es nach vier Jahren immer noch nicht geschafft hast, über mich hinweg zu kommen, aber wenn du ehrlich bist, haben wir nie zusammen gepasst.“ Ihr Exfreund blinzelte sie an. Er schien wirklich keine Ahnung zu haben, worüber sie redete. „Du bist der totale Romantiker“, fuhr Temari als Erklärung fort. „Ich nicht. Ich steh nicht drauf, wenn man mir jeden Tag tausend Liebesgeständnisse macht und mir kitschige Briefe schreibt, die im Bestfall Lachanfälle oder Erbrechen bei mir auslösen. Ich möchte nicht zu jeder Gelegenheit mit Blumen und Geschenken überhäuft werden und Händchen haltend durchs Dorf spazieren.“ Sie legte eine Pause ein, musterte ihn und setzte nach: „Und vor allem wollte ich nie nach ein paar Wochen Spaß schon meine Zukunft verplanen.“ „Spaß?“ Er sah aus, als brach er gleich in Tränen aus, aber das beeindruckte sie nicht. „Spaß“, bestätigte sie. „Es tut mir irgendwie leid, das zu sagen, aber mehr war es nie für mich. Und als du angefangen hast, so zu klammern, war es nicht einmal mehr das für mich.“ „Ist das dein Ernst?“, fragte er. „Absolut“, erwiderte sie. „Sex hat für mich nicht automatisch etwas mit Liebe zu tun. Und ich weiß nicht nur von deinem Fall, wovon ich spreche.“ Manabu sah sie wie ein geprügelter Hund an und sie bekam Gewissensbisse. Sie bereute es, dass sie ihm das nicht schon vor Langem so klar gesagt hatte. „Sieh es mal so“, sprach sie weiter. „Du bist romantisch, aufopfernd, eine naive Person, die von der einzig wahren Liebe träumt. Aber ich bin eine unromantische Realistin und somit das genaue Gegenteil. Wir beide waren nie kompatibel miteinander und werden es auch niemals sein.“ Temari sah, wie ein Lächeln über sein Gesicht huschte. Nicht, dass sie sich großartig um ihn scherte – bis gestern hatte sie in den letzten Monaten nicht einen Gedanken an ihn verschwendet –, aber dass er es vielleicht doch eingesehen hatte, erleichterte sie ein wenig. „Das hast du aber nett gesagt.“ „Man tut, was man kann.“ Sie winkte ab. „Ich hab einfach keine Lust, dass du mir noch jahrelang nachtrauerst und deshalb allein enden musst. Irgendwo da draußen gibt es eine Frau, der diese Kitschkacke gefällt und die somit die Richtige für dich sein wird.“ „Meinst du?“ „Klar. Wenn ich mit meiner Romantikallergie jemanden gefunden habe, der zu mir passt, dann ist das für dich ein Kinderspiel.“ Sie klopfte ihm zur Aufmunterung auf den Rücken – nicht zu lange, damit er es nicht wieder fehl interpretierte und sich falsche Hoffnungen machte – und warf ihm den Anflug eines Lächelns entgegen. „Jammerschade.“ Manabu seufzte. „Dabei warst du so ein guter Fang.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nicht für dich.“ „Es ist trotzdem schade, dass du nie dasselbe empfunden hast, das ich für dich empfinde.“ „Liebe kann man nicht erzwingen“, meinte Temari, „und schlussendlich macht sie ohnehin, was sie will.“ Sie lachte. „Glaub mir, davon versteh ich auch eine ganze Menge.“ Sie wandte ihren Blick von ihm ab und schaute nach vorne. Ihre Hände fuhren sanft über ihren Bauch. Ihr Kind war wieder ruhig. „Sag mir eins“, setzte er an. „Bist du jetzt glücklich?“ Die Frage kam unerwartet, doch sie kannte die Antwort, ohne über sie nachdenken zu müssen. „Ja“, antwortete sie und ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Das bin ich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)