Magenta III von Maginisha (Im Bann der Aspekte) ================================================================================ Kapitel 8: Die Sümpfe des Elends -------------------------------- Nebel kroch über den Marktplatz von Darkshire und verbreitete eine unheimliche, fast schon bedrohliche Atmosphäre. Das war nicht weiter verwunderlich, denn dieser Landstrich schien ohnehin lediglich über die Zustände neblig und dunkel zu verfügen, vielleicht noch mit einem kleinen Anstrich von regnerisch. Heute hatte er sich für Nebel entschieden und gab sich wirklich alle Mühe, die fremden Gäste mit dicken, weißen Schwaden zu beeindrucken, die alle Häuser in unscharfe Schemen verwandelten und die wenigen Geräusche auf einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Lautstärke dämpften. Um nicht zu sagen, es war totenstill, denn die drei Reisenden, die vor dem Gasthaus zum Aufbruch rüsteten, bewegten sich mit der ihrer Rasse angeborenen Lautlosigkeit und Schnelle. So lange bis einer von ihnen über ein im dichten Dunst verborgenes Gepäckstück stolperte. Es folgte eine Flut darnassischer Schimpfworte. Strafend sah Easygoing seinem Bruder an. „Kannst du vielleicht noch ein wenig lauter rumbrüllen? Ich glaube, die schwerhörige Dame am Ende des Dorfes ist noch nicht aufgewacht.“ „Wer stellt denn auch den Rucksack hier ab?“, maulte Deadlyone und verstaute das fragliche Gepäckstückauf dem Rücken seines Nachtsäblers. „Es wird Zeit, dass wir dieses verfluchte Gebiet endlich verlassen. Es gefällt mir hier nicht.“ „Höre ich da eine Spur von Angst?“ Ceredrians Augen leuchteten spöttisch auf. Der Priester wirkte in seiner weißen Robe vor dem nebligen Hintergrund seltsam unwirklich. „Ich habe keine Angst!“, gab Deadlyone lauter als nötig zurück. „Ich mag es nur nicht besonders, mir die Schatten mit irgendwelchen haarigen Spinnen teilen zu müssen. Außerdem ist es mir lieber, wenn Dinge, die tot sind, es auch bleiben, und nicht auf einmal anfangen herumzuwandern und mir auf die Nerven zu gehen. Diese Knochengerüste erfordern eine völlig andere Kampftaktik als lebendige Wesen.“ „Ah, dann war es also Taktik, dass du, als der untote Frostmagier hinter dir auftauchte, einen halben Meter in die Höhe gehüpft bist und wie ein kleines Mädchen gekreischt hast.“, antwortete Ceredrian. „Ich verstehe.“ „Der war unsichtbar!“, verteidigte sich der Schurke. „Noch dazu war das nicht irgendsoein Wald- und Wiesenzombie. Hast du seine Rüstung gesehen? Das war irgendein hochrangiger Offizier von Sylvanas Streitkräften.“ „Was sollte der denn hier wollen?“, antwortete Ceredrian belustigt. „Oder glaubst du, er war auf der Suche nach einer Anstellung als Eisverkäufer?“ „Was weiß ich, was in dessen verrotteten Gehirn vor sich geht.“, brummelte der Schurke und machte sich daran, akribisch seinen Sattelgurt zu überprüfen. Etwas, das er bereits vor zehn Minuten erledigt hatte, aber man konnte ja nie vorsichtig genug sein. „Deadly hat Recht.“, pflichtete jetzt Easygoing seinem Bruder bei. „Mir gefällt es hier ebenfalls nicht und ich bin froh, wenn wir aufbrechen und diese Brutstätte des Bösen endlich hinter uns lassen.“ „Oh, ich wäre mir nicht sicher, dass es im Pass der Totenwinde so unbedingt einladender wird.“, erklang ein weibliches Stimmchen irgendwo unten aus der Nebelschicht. „Hat jemand Rosa gesehen?“ Easygoing griff mitten in den weißen Dunst hinein und hob Emanuelle am Schlafittchen in die Höhe. Die Gnomin rieb sich die Augen und gähnte herzhaft. „Ihr hättet mich wecken können.“, monierte sie und zwinkerte die Nachtelfen müde an. „Ich hätte Euch doch beim Packen geholfen.“ „Genau das hatte ich befürchtet.“, erwiderte der Druide und setzte die kleine Magierin auf den Rücken ihres bereits fertig gesattelten Nachtsäblers. „Dabei habt Ihr uns doch schon mit einem magischen Portal nach Stormwind gebracht und dort gleich die halbe Stadt über unsere Ankunft informiert, habt dann den Greifenmeister auf einen unehrenhaft niedrigen Preis für unseren Flug nach Darkshire heruntergehandelt und dann noch die Stadtwache dieses bemitleidenswerten Ortes davon in Kenntnis gesetzt, dass ihre Verteidigung völlig unzureichend ist, und ihnen eine achtseitige Liste mit Verbesserungsvorschlägen unterbreitet. Wir fanden, dass dies genug Arbeit für einen Tag sei und Ihr Euch eine Pause verdient habt.“ „Ach, das hab ich doch gern gemacht.“, strahlte Emanuelle. „Obwohl Kommandantin Ebonlocke nicht eben begeistert schien. Man könnte meinen, sie nimmt uns die Sache mit dem Einsiedler von damals immer noch übel…“ Easygoing ging nicht weiter auf die plappernde Gnomin ein, sondern schwang sich stattdessen auf den Rücken seines Reittieres. Er ließ seinen Blick noch einmal über die noch schlafende Stadt schweifen. Die Gebäude, die sich im Nebel zusammenzukauern schienen, die krummen, mit Kopfsteinen gepflasterten Straßen und die verwahrlosten, hinter eisernen Gitterzäunen verschanzten Gärten, in denen struppiges, graues Gras den einzige Bewuchs darstellte. Dies war wahrlich kein Ort der Freude, sondern ein sterbendes Land, das ein finsterer Fluch von innen zerfraß. „Ich könnte mir wirklich nicht vorstellen, was schlimmer sein sollte als das hier.“, brummte der Druide und ließ seinen Nachtsäbler antraben in Richtung Osten. Emanuelle rümpfte die Nase und wackelte damit. Der Nachtsäbler unter ihr setzte gleichmäßig eine Pfote vor die andere. Sie pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ein Blick in die Luft verriet ihr, dass es nicht nach Regen aussah. Das komische Gefühl im Hals beseitigte sie mit einem Räuspern. Ihr Ohr juckte und sie kratzte sich. Dann war ihr endgültig langweilig. Verstohlen sah sie sich nach ihren Begleitern um, die regungslos wie Statuen auf den Rücken ihrer Reittiere saßen. Easygoing, der vor ihr ritt, hatte den Rücken durchgedrückt und suchte sicherlich die Gegend nach allerlei Gefahren ab. Er war ziemlich mutig, fand Emanuelle. Priester Ceredrian hingegen fand sie ein wenig wischiwaschi. Man wusste nie, wie viel hinter den großen Worten, die er so gerne spuckte, wirklich steckte und insgeheim vermutete die Magierin, dass ihm genau das an der ganzen Sache so großen Spaß machte. Und dann war da natürlich noch dieser komische Schurke. Eigentlich fand Emanuelle ihn ja ganz nett, aber sie fand auch, dass er ruhig etwas höflicher sein könnte. So im Allgemeinen und zu ihr im Besonderen. Sie war ja schließlich auch nicht irgendwer. Emanuelle sah zur Seite und musterte die graue Landschaft, die schier endlos an ihnen vorbeizog. Sie hatte gehört, wie Easygoing sagte, dass er sich nichts Schlimmeres vorstellen konnte, als die düstere Atmosphäre Duskwoods. Sein Gesichtsausdruck verriet Emanuelle, dass er es sich inzwischen anders überlegt hatte. Das Land um sie herum war tot. Schroffe, vom klagenden Wind umwehte Felswände türmten sich rechts und links des Wegs auf. Die Bäume dieser Region waren durch finstere Magie zu Stein geworden und das einzige Zeichen von Leben waren die Reste der Gehängten, die man ab und zu an ihren Ästen baumeln sah; vermutlich als Warnung, sich nicht weiter in dieses Gebiet vorzuwagen. Raubtiere und Krähen hatten die Körper bis zur Unkenntlichkeit zerfressen und wenn Emanuelle sich nicht allzu sehr täuschte, hatte einer der Felsen, an dem sie vorhin vorbei geritten waren, irgendwie viel zu viele Beine gehabt. Möglicherweise eine angepasste, arachnoide Spezies. Sie ritten jetzt über eine steinerne Brücke, unter der man anhand der Steilheit der umliegenden Hänge einen tosenden Fluss erwartet hätte. Stattdessen lag auch das Wasser da wie abgestorben, tief, unergründlich und mit ziemlicher Sicherheit eiskalt. Emanuelle schüttelte es, als sie in die Tiefe blickte und der frostige Wind aus der Schlucht mit einem Heulen unter ihre Robe fuhr. Ein wirklich ungastlicher Ort, den kein normaler Mensch sich zum Wohnort auserkoren hätte. Und doch hatte es einen gegeben. Allerdings war der auch alles andere als normal gewesen. Irgendwo in diesen Bergen lag der Turm, in dem einst der mächtige Medivh gewohnt hatte. Jeder Magier kannte die Geschichte rund um den letzten Wächter von Tirisfal, der dafür verantwortlich war, dass die Orks und die Brennende Legion in Azeroth eingefallen waren. Sie wurde allen Novizen eingetrichtert, als Mahnung, sich allzu große Macht nicht zu Kopf steigen zu lassen, die Finger von Dämonen und anderem Teufelszeug zu lassen und sich ansonsten allem, was der Meister sagte, bedingungslos unterzuordnen. Emanuelle argwöhnte allerdings, dass die großen Köpfe von Dalaran nicht etwa ein dickes Schloss vor Medivhs Geheimnissen befestigt hatten, sondern im Geheimen immer noch versuchten zu ergründen, wie sie die Hinterlassenschaften dieses außergewöhnlichen Magiers für sich nutzen konnten. „Diese Hinterlassenschaften hier sind zumindest zu gar nichts nütze.“, murmelte sie halblaut. „Wovon sprecht Ihr?“, hörte sie Easygoings tiefe Stimme neben sich und sah auf. Der Druide hatte sich zurückfallen lassen, nachdem sie die Brücke passiert hatten, und ritt jetzt direkt neben ihr. „Diese Land um uns herum.“, erklärte Emanuelle. „Es wurde durch Zauber und dunkle Magie verwüstet. Ein Erbe des mächtige Medivh.“ Der Druide runzelte die Stirn. „Der Name ist auch bei uns nicht unbekannt. Ein menschlicher Magier, der unserer Anführer dazu überredete, an der Seite der Menschen und Orks gegen die Brennende Legion zu ziehen. Wenn dies hier die Konsequenz seines Wirkens ist, so hoffe ich, dass ihn inzwischen jemand zur Rechenschaft dafür gezogen hat.“ „Es heißt, das Sterben des Landes sei eine Folge seines Todes.“, antwortete Emanuelle. Die Antwort schien dem Druiden zu denken zu geben. Eine Weile lang starrte er stur geradeaus, dann brummte er: „Sei es, wie es sei. Wir sollten das Gebiet in jedem Fall bald hinter uns lassen. Kommt, beeilt Euch ein bisschen!“ Emanuelle ließ wie alle anderen ihren Nachtsäbler die Gangart ändern und bald eilten die vier großen Katzen in weiten Sprüngen durch die felsige Landschaft. Emanuelle hatte einige Mühe, sich festzuhalten, doch sie verließ sich voll auf ihren Fizzlebolt-Shackletrunks-Spezial-Sattel mit zusätzlichem Sicherheitsgurt, Shock-proof-Sitzauflage TM und eingebautem Notschleudersitz. Gerade als sie überlegte, ob sie wohl auch noch einen Sturzhelm aufsetzen sollte, nur so für den Fall der Fälle, zügelte Easygoing vor ihr seinen Nachtsäbler und hob die Hand als Zeichen für alle, dasselbe zu tun. „Wir haben die Sümpfe erreicht.“ Emanuelle ließ die Zügel los und kletterte wieselflink auf den Rücken ihres Nachtsäblers, um besser sehen zu können. Vor ihnen erstreckte sich ein Dach aus braungrünen Blattkronen, soweit das Auge reichte. Was nicht sehr weit war, denn zwischen den Bäumen wallte schwefelfarbender Nebel. Da half auch ihre hochauflösende Extremsichtbrille mit den violetten Gläsern nichts. Mit dem Dunst stieg außerdem ein ekliger Geruch nach verfaulenden Pflanzen und Sumpfgas auf. Die kleine Magierin rümpfte die Nase. „Pfui, wie das stinkt.“, beschwerte sie sich. Sogleich hatte sie aus ihrem Gepäck ein paar Nasenstöpsel herausgekramt und sich in die Nase gesteckt. „Helfen zuverlässig gegen unsaubere Gerüche, Staub, Pollen und zehn Arten von Gift.“, erklärte sie dem Druiden, der sie ansah, als hätte sie nicht mehr alle Muttern an der Schraube. Die Frage, ob er auch welche wolle, verneinte er zu Emanuelles Bedauern. Sie hatte auf dem Rückweg von Narain Soothfancy extra eine Großpackung erstanden und bis jetzt noch keine Gelegenheit gefunden, diese großartige Erfindung auszuprobieren. Emanuelle seufzte lautlos. Erst beschwerten die Großen sich, dass ihre Fracht, das Uralte Ei, so stank und wenn sie dann etwas dagegen tat, war es ihnen auch nicht recht. Die Nachtelfen waren wirklich sehr schwer zufriedenzustellen, fand sie. „Und jetzt?“, fragte Deadlyone. Er lenkte sein Reittier neben das seines Bruders und lehnte sich im Sattel vor. „Dort unten ist keinerlei Weg oder Straße zu erkennen. Lassen wir die Gnomin vorreiten um zu sehen, wo Sumpflöcher sind?“ „Das ist nicht komisch, Deadly.“, grollte der große Druide. „Wir werden absteigen und die Tiere führen. Da du der Leichteste von uns bist, gehst du vor und lotest den Weg aus.“ „Warum ich?“, empörte sich der Schurke, bevor er mit einer Kopfnuss von seinem Nachtsäbler getrieben wurde. Emanuelle gab ihm insgeheim Recht. Sie hatte sich schon gesehen, wie sie ausgestattet mit ihren gnomischen Raketenstiefeln, dem wasserabweisenden Spezialanzug mit eingebauter Schlammsperre und Froschdetektor sowie dem neuen, verbesserten Gnomenunglücksverhinderungsgürtel die matschigen Marschen bezwang. Ihr Ingenieurslehrer hatte versprochen, dass Entfernungen aus der Dimension bei dieser Version des Gürtels nur noch ganz selten vorkamen. Während sie weiter in den Sumpf vordrangen befand Emanuelle, dass sie vermutlich besser ein oder zwei dieser neuen, kompakten Enteschnittersets hätte einpacken sollen. Die abgestorbenen Bäume hingen voll mit Schling- und Aufsitzerpflanzen und das stachelige, gelbe Gras wuchs teilweise so hoch, das es ihrem Nachtsäbler bis zu den Ohren reichte. Immer wieder mussten sie tiefe Wasserlöcher umgehen, die der nölende Nachtelf an der Spitze des Zugs auf geradezu stümperhafte Weise ausfindig machte, indem er einfach hineintrampelte. Emanuelle fand diese Vorgehensweise höchst unwissenschaftlich. Außerdem stellte die Magierin fest, dass es gut gewesen wäre, genug Repellent für die vielen Arten von Fliegeviechern einzupacken, die sie in Schwärmen umschwirrten und noch dazu einen Heidenlärm veranstalteten. Aber immerhin hatte sie ihren Gnomen-Net-o-Matik-Projektor eingepackt. Nur für den Fall, dass eine dieser gesprenkelten Großkatzen, die sie aus der Ferne so hungrig angafften, auf die dumme Idee kommen sollte, sich näher heranzupirschen. Sie hatte für genaueres Zielen extra noch einen R-19-Bedrohungsfinder daran angebracht, obwohl die wirklich schwer zu bekommen waren. Sie sah allerdings nicht ein, dieses teure Gerät auch einzusetzen, als ihr Führer schon wieder einen Krokilisken mit einem Baumstamm verwechselte. Sollte dieser Bruder Leichtfuß doch selbst auf sich aufpassen, nachdem er ihre Hilfe bei den ersten drei Malen so rüde abgelehnt hatte. „Wissen wir eigentlich, wo dieser Tempel liegt?“, fragte der Priester, als sie auf einem leidlich trockenen Stück Sumpf eine Rast einlegten, damit Deadlyone seine Schuhe ausschütten und Easygoing die Bisswunde an seinem Arm versorgen konnte. „Nein, wissen wir nicht.“, knurrte der Druide und murmelte einen Heilzauber, der die Wundränder in Sekundenschnelle zusammenwachsen ließ. Emanuelle fand das sehr faszinierend und überlegte, ob man diese Energie wohl speichern und bei Gelegenheit freigeben könnte. Vielleicht mit einer Art Strahlenpistole, nur dass diese dann keine Löcher machte, sondern sie verschloss. Eifrig machte sie sich Notizen zu diesem Thema. „Ich könnte ja mal meinen Magie-Detektor auspacken.“, bot sie leicht zerstreut an, während sie einen Prototyp des Wund-Schluss-Strahlers entwarf. Ob man am oberen Ende wohl noch eine Heiltrankeinspritzung anbringen sollte? Nur für den Fall, dass die Batterie leer war. „Euren was?“, fragte Easygoing irritiert. Ignorant, dachte sie bei sich und lächelte freundlich. „Der Tempel muss doch über beträchtliches, magisches Potential verfügen. Das lässt sich bestimmt mit Hilfe meines Magie-Detektors ausfindig machen. Normalerweise benutze ich ihn zwar, um Leylinien zu kartographieren, aber mit ein paar Umbauarbeiten…“ Die Augenbrauen des Druiden näherten sich gefährlich seinem Haaransatz. „Macht, was auch immer uns von hier wegbringt. Dieses blinde Herumstochern im Sumpf bringt uns auf jeden Fall nicht weiter.“ „Höchstens in Schwierigkeiten.“, ergänzte Ceredrian und grinste. „Was denn? Die Vorlage war zu gut um sie auszulassen.“ „Was auch immer.“, grollte Easygoing und fasste Emanuelle scharf ins Auge. „Aber beeilt Euch. Es wird bald dunkel und ich habe keine Lust, dass Ihr mir am Ende noch verloren geht.“ Ich ganz bestimmt nicht, dachte Emanuelle und warf einen Blick auf den schlammbespritzten Schurken, der ihnen allen den Rücken zugedreht hatte und vermutlich schmollte. Aber wenn wir ihn verlieren, wäre Easygoing sicherlich untröstlich. Und das will ich ja nicht. Also, wo habe ich meinen Bogenlichtschlüssel? Easygoing beobachtete die Gnomin, auf deren Kopf ein surrendes, kreiselndes, merkwürdiges Dingsda saß, mit steigendem Unwillen. Zwar hatte er eingewilligt, dass sie ab jetzt die Führung übernahm, doch die Weise, in der sie es tat, reizte seine nicht unbedingt strapazierfähige Laune. Allein die Tatsache, dass sie mit Hilfe dieser merkwürdigen Stiefel ein gutes Stück über der Erde schwebte, war… Der Druide verbot sich jeden weiteren, düsteren Gedanken und konzentrierte sich lieber auf den tückischen Untergrund. Er fühlte, wie der schwammige Boden unter seinem Gewicht nachgab. Das seltsam schwankende Gefühl, dass dabei entstand, behagte ihn nicht und erinnerte ihn an einen Flug auf einem Greifen. Noch dazu wirkte die ganze Umgebung wie aus einem schlechten Traum, wenngleich auch einer, den sie alle teilten. „Ich orte etwas.“, verkündete Emanuelle plötzlich, als das Ding auf ihrem Kopf auch noch zu piepsen begann. „Wir müssen in nördlicher Richtung gehen. Dort beinfindet sich definitiv eine Ansammlung von Magie.“ „Gut.“, knurrte Easygoing. „Dann setzt Euch in Bewegung. Die Sonne hat den Horizont schon erreicht.“ Mit dem sinkenden Sonnenstand wurde der Sumpf um sie herum immer unwirklicher. Zwar ließ der Gestank von brackiger Fäulnis nach, dafür waberten jetzt dicke Nebelschwaden über die Wasseroberflächen und verwandelten sie so in tückische Fallen. Gleichzeitig wurden die Geräusche im Unterholz lauter. Die Jäger der Nacht erwachten und begannen ihren Beutezug. Mit einem Mal nahm Easygoing eine Veränderung war. Zuerst glaubte er, es liege daran, dass sie sich endlich dem Tempel näherten und er vielleicht die Gegenwart der grünen Drachen wahrnahm. Doch dann wurde ihm bewusst, was das für ein Gefühl war, das für das Kribbeln ins einem Nacken sorgte: Sie wurden beobachtet. Unauffällig gab er seinem Bruder ein Zeichen, Ausschau zu halten und nahm selbst die Umgebung in Augenschein. Alles schien ruhig, wenn man einmal von der feindlichen Pflanzen- und Tierwelt absah. Der Druide war sich jedoch sicher, dass derjenige, der sie beobachtete, nicht nur eines der zahlreichen Raubtiere war. So unbeteiligt wie möglich glitt er von seinem Nachtsäbler und ließ sich neben dem Tier auf alle Viere nieder. Er wollte sich gerade in ein kleineres Abbild der großen Katze verwandeln, als Deadlyone neben ihm aus dem Nebel auftauchte. „Zwei Meter vor uns auf der rechten Seite.“, wisperte der Schurke ohne die Lippen zu bewegen. „Hinter dem moosbesetzten Baum.“ Easygoing sah in die angegebene Richtung, konnte jedoch nichts entdecken. Die gesamte Landschaft war in ein schmuddeliges Gelbgrün getaucht, das jetzt im schwindenden Sonnenlicht mehr und mehr ins Olivfarbende abdriftete. Ein perfektes Terrain, um sich vor unliebsamen Blicken zu verbergen. Auffällig war allenfalls dieser hässliche, kahle Baum mit dem Stamm der in der Mitte dicker wurde…und der gerade geblinzelt hatte. Easygoing blieb wie angewurzelt stehen und starrte die Gestalt an, die im Schatten einer ausladenden Trauerweide stand und aus seltsam leuchtenden Augen zu ihnen herüber sah. Als der Fremde bemerkte, dass sie ihn entdeckt hatten, hob er die Hand und trat einen Schritt vor aus dem Schatten des Baumes heraus. Erst jetzt konnten sie seine Umrisse deutlich erkennen. „Dämon!“, fauchte Easygoing und verwandelte sich übergangslos in einen großen Bären. Neben ihm zog Deadlyone seine Dolche und auch Ceredrian sprang vom Rücken seines Reittiers um ihnen beizustehen. Einzig Emanuelle schien über den Aufruhr verwundert. „Was ist denn los?“, wollte sie wissen, doch Easygoing hatte keine Zeit, ihre Frage zu beantworten. Der verräterische Dämon hatte sich umgedreht und suchte sein Heil in der Flucht. Eilends wechselte der Druide die Gestalt und jagte dem Feind auf Raubkatzenpfotzen hinterher. Er hatte den Fremden fast eingeholt, als etwas Kleines mit einem „Hui!“ an ihm vorbeiflog. Es wirbelte Matsch und Dreck auf und versah den Druiden mit einer Dusche aus kaltem, schlammigem Wasser. Etwas klackte und sirrte und der flüchtende Dämon ging vor seinen Augen zu Boden. Zappelnd lag er in einem großen Netz, das sich, je mehr er sich bewegte, immer enger um seine Gliedmaßen zog. Schließlich gab er auf und blickte furchtsam zu Emanuelle auf, die wie ein wild gewordener Irrwischt über ihm Kreise und Piroutetten drehte. „Diese Stiefel sind wirklich der Hammer.“, krähte sie fröhlich, bevor sie neben dem Netzberg landete und ihren Fang begutachtete. Easygoing knurrte, damit sie Platz machte und er den Dämon erledigen konnte, doch die kleine Magierin dachte gar nicht daran. „Böse Mietzekatze!“, grinste sie und richtete dann ihren Zeigefinger auf Deadlyone und Ceredrian, die inzwischen ebenfalls den Ort des Geschehens erreicht hatten. „Wehe einer von euch kommt ihm zu nahe. Ich habe ihn gefangen, also werde ich ihn auch verhören.“ „Verhören? Einen Dämon?“ Deadlyone spuckte auf den Boden. „Was könnte ein Teufel der Brennenden Legion Euch schon verraten.“ „Bitte!“, rief der Gefangene. „Bitte, ich bin kein Dämon!“ „Nichts als Lügen.“, zischte Deadlyone und hob seinen Dolch. „Machen wir kurzen Prozess.“ Er wollte sich schon an Emanuelle vorbeidrängen, als Ceredrian ihm die Hand auf den Arm legte und ihn zwang, die Waffe zu senken. „Warte.“, sagte der Priester. Sein Gesichtsausdruck, der gerade noch ebenso entschlossen gewesen war wie der seiner zwei Cousins, wich jetzt ungläubigem Zweifel. „Ich spüre zwar die Fremdartigkeit dieses Wesens und den Gestank der Verderbtheit, doch er hat nicht die Intensität, die mit einem Dämon einhergeht.“ „Ein Trick! Nichts weiter als ein Trick.“, behauptete der Schurke. Emanuelle legte die Stirn in Falten. „Da gibt es nur eine Lösung.“, sagte sie. „Wir fragen ihn einfach, was er ist. Also lieber was-auch-immer-du-bist: Was bist du?“ „Wir nennen uns die Verirrten.“, war die eigenartige Antwort aus dem Netzberg. „Und mein Name ist Holaaru.“ Emanuelle hatte nicht viel Erfahrung mit Diplomatie und solchen Sachen. Als Gnomin, der die meisten Probleme der großen Leute ohnehin wortwörtlich über den Kopf wuchsen, war sie dazu erzogen worden, Konflikten entweder aus dem Weg zu gehen oder vor ihnen zu flüchten. (Obwohl an dieser Stelle gesagt sei, dass ihre Eltern der Ansicht waren, dass sie über eine übermäßige Anziehungskraft auf Ärger aller Art hatte, weswegen es auch keine großen Abschiedstränen gab, als sie irgendwann verkündete, dass sie nun in die Welt hinausziehen wolle, um Abenteuer zu erleben. Man gab ihr das Beste aus Mamas und Papas Werkzeugkasten mit auf dem Weg, wünschte ihr alles Gute und schloss dann die Tür zweimal hinter ihr ab.) Es gab daher nach Emanuelles Erfahrung wenig, was sich nicht durch eine geschickte Flucht, sei sie nun durch Worte oder durch einen überraschende, technische Überlegenheit begünstigt, überwinden ließ. Für die restlichen Fälle gab es dann immer noch die Möglichkeit, Magie zum Einsatz zu bringen. Am liebsten löste Emanuelle Probleme aber dadurch, dass sie sie einfach ignorierte. Vielleicht war das in der gegenwärtigen Situation ebenfalls die Lösung der Wahl. „Schmeckt gut.“, verkündete sie und tauchte den grob geschnitzten Löffel erneut in die hölzerne Suppenschale. Zwar war das eine ziemliche Beschönigung der Wahrheit, denn die Brühe schmeckten allenfalls nach zu lange gekochter Spinne, doch es war sicherlich nicht ratsam, auch noch Öl in das Lagerfeuer zu gießen, an dem sich die beiden Fronten gegenübersaßen. Während Emanuelle also ihre Suppe löffelte, sah sie zwischen den Lagern hin und her und konnte nicht umhin, die deutlichen Unterschiede zu bemerken. Auf der einen Seite saßen ihre Reisegefährten, die Nachtelfen. Mit versteinerten Mienen rührten sie nichts an, was ihnen ihre Gastgeber serviert hatten. Selbst Ceredrian, der noch der Aufgeschlossenste der drei zu sein schien, hielt sich bedeckt und hüllte sich ebenso in seine Robe und wie in dunkles Schweigen. Die anderen beiden Nachtelfen dagegen schienen nur auf einen Grund zu warten, ein Blutbad anzurichten. Und Emanuelle zweifelte nicht daran, dass sie es gekonnt hätten, wenn sie es gewollt hätten. Dafür erschien ihr die gegenüberliegende Fraktion einfach zu pazifistisch. Über den Rand ihrer Suppenschale hinweg sah sie verstohlen zu den sogenannten „Verirrten“ hinüber und konnte sich einer ungewohnten Welle der Sympathie nicht erwehren. Vielleicht lag es daran, dass sie den Ausdruck in ihren Augen schon oft gesehen hatte. Bei älteren Gnomen, jenen, die den Verlust von Gnomeregan bewusst miterlebt hatten. Ihr restliches Äußeres war jedoch nicht unbedingt vertrauenserweckend. Alles an ihnen hatte dieselbe Farbe wie ihre Umgebung, angefangen von der gräulich-grünen Haut, über die schmuddelig braunen Tücher, in die ihre Lenden gehüllt waren, bis hin zu den übergroßen Kutten, die auf ihre Köpfen saß und den größten Teil ihrer Gesichter in Schatten hüllte. Wenn aber doch einmal Licht auf ihre Züge fiel, blieb der Blick zuerst an den permanent entblößten Zähnen hängen, die zusammen mit der kleinen Nase den Eindruck eines grinsenden Totenschädels erweckten. Sie gingen auf zwei Beinen, die in breiten, krallenbewehrten Füßen endeten und Emanuelle an die Beine ihres Roboschreiter erinnerten. Es wäre allerdings übertrieben gewesen, ihren Gang aufrecht zu nennen, denn die meisten von ihnen bewegten sich gebückt vorwärts, als litten sie an den Folgen einer schweren Krankheit. „Noch Suppe?“, fragte Holaaru, vermutlich in der Hoffnung, die Konversation in Gang zu bringen. Die drei Nachtelfen reagierten nicht auf seine Frage. Warum sollten sie auch? Ihre Schüsseln waren ja nach wie vor bis zum Rand gefüllt. „Danke nein.“, antwortete Emanuelle an ihrer Stelle und rang sich zu einem Lächeln durch. „Ich bin ohnehin kein großer Esser.“ Holaaru nickte und ließ einen weiteren Verirrten den Kessel vom Feuer entfernen. Viele der anderen folgten ihm und Emanuelle wurde sich bewusst, dass sie vermutlich gewartet hatten, bis die Fremden satt waren, um endlich auch ihren Hunger zu stillen. „Magtoor wird gleich zu uns stoßen.“, erklärte Holaaru weiter. „Es ist unser Anführer und wird Euch alle Eure Fragen beantworten.“ Für eine Weile herrschte Schweigen, lediglich durchbrochen von einem gelegentlichen Knacken des Feuers und dem Zirpen der Grillen, die in der nächtlichen Dunkelheit den Sumpf zum idealen Konzertort erkoren hatten. Emanuelle sah sich derweil in der kleinen Ansammlung von Hütten um, die einen für Emanuelle unaussprechlichen Namen hatte. Laut Holaaru bedeutete er in ihrer Sprache so viel wie „Sicherer Hafen“. Die Siedlung bestand aus acht, vielleicht zehn zeltartigen Bauten, deren spitze Dächer in lustigen, gebogenen Zipfeln endeten. Sie standen erhöht auf Pfahlkonstruktionen, vermutlich um sie gegen Hochwasser zu schützen. Breite Holzrampen, die bei Bedarf eingezogen werden konnten, bildeten den Eingang. Die Magierin war so versunken in ihre Betrachtungen, dass sie zuerst gar nicht merkte, dass eine in eine lange Robe gehüllte Gestalt an das Feuer getreten war. Der Fremde verbeugte sich vor ihr und den Nachtelfen. „Mein Name ist Magtoor.“, sagte er. „Ich freue mich, Euch in unserem bescheidenen Heim begrüßen zu dürfen. Wie ich hörte, gab es einige Missverständnisse bei Eurem Zusammentreffen mit Holaaru.“ „Missverständnis?“, platzte Deadlyone heraus und schnaubte abfällig. Es schien, als hätte er nur darauf gewartet, seinem Ärger endlich Luft machen zu können. „Ihr seht aus wie die Teufel der Brennenden Legion und behauptet doch, keine zu sein. Wie ist das möglich?“ Magtoor entblößte die Vorderzähne noch mehr, als er es ohnehin schon tat. Emanuelle brauchte einen Augenblick um zu begreifen, dass das bedeutete, dass er lächelte. „Warum seht ihr den Trollen so ähnlich und behauptet doch, keine zu sein?“, beantwortete er den Ausbruch des Schurken mit einer Gegenfrage. Als dieser aufspringen und nach seiner Waffe greifen wollte, hob der Verirrte beschwichtigend die Hände. „Ein Scherz! Wir wissen, was Ihr seid, Fremde.“ Er bedachte Emanuelle mit einem kurzen Blick. „Zumindest die meisten von euch. Wobei ich annehme, dass Ihr zum intelligenten Volk der Gnome gehört.“ Emanuelle nickte und Magtoor deutete eine Verbeugung in ihre Richtung an. „Euer Ruf als Wissenschaftler eilt Eurem Volk voraus. Ebenso haben wir bereits Kunde vom Volk der Nachtelfen. Man beschrieb Euch als mutig, kampferfahren und ehrenvoll. Es heißt, Euer Volk sein einer der gefährlichsten Gegner, den die Brennende Legion je hatte. Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen.“ „Ihr habt unsere Frage immer noch nicht beantwortet.“, warf Ceredrian ein. Er bedeutete dem Schurken neben sich, sich wieder zu setzen und wandte sich dann wieder an den Anführer der Verirrten. „Wer seid Ihr und woher kommt Ihr?“ Magtoor seufzte schwer. „Wir stammen von einem Ort sehr, sehr weit weg von hier und kamen als Flüchtlinge in diese Welt. Doch um Euch wirklich verstehen zu lassen, muss ich ein wenig weiter in der Geschichte unseres Volkes zurückgehen.“ Der Verirrte ließ sich umständlich nieder, schloss die Augen und begann mit leiser, brüchiger Stimme zu erzählen. Während er sprach, schlugen die Flammen des Lagerfeuers höher. Vor Emanuelles staunenden Augen entstanden Figuren aus Feuer und Rauch. Große, aufrecht gehende Wesen mit Hufen an den Füßen und langen Schwänzen, die die kleine Magierin tatsächlich an Abbildungen von Dämonen erinnerte, die sie in einem Buch gesehen hatte. “Diejenigen, die sich selbst die Brennende Legion nennen, und wir waren einst ein Volk. Wir nannten uns Eredar und lebten weit entfernt von hier auf einer Welt namens Argus. Unser Volk war schön und stolz. Wir beherrschten die Magie und nannten großes Wissen und große Macht unser eigen. Doch eben diese Macht zog dunkle Kräfte an, nicht zuletzt denjenigen, den man unter dem Namen Sargeras kennt. Er versuchte die Anführer unseres Volkes und versprach ihnen noch größere Macht, noch mehr Wissen als Austausch für ihre Treue. Zwei von ihnen, Archimonde und Kil’Jaeden, gaben dem Angebot des Dunklen Herrschers nach und diejenigen, die ihnen folgten, wurden verändert. Sie wurden böse und grausam, lebten nur noch für die Zerstörung. Sie wurden Man’ari.“ Emanuelle merkte, dass während dieser Erzählung Unruhe unter die Nachtelfen bekommen war. Die Blicke, die zwischen den dreien hin und her wanderten, zeigten eine Mischung aus Betroffenheit und Abscheu. Emanuelle hatte jedoch keine Zeit, sich weiter darüber Gedanken zu machen, denn schon hob Magtoor an fortzufahren und die Flammen folgten seinen Worten. „Der dritte der großen Anführer, der Prophet Velen, weigerte sich jedoch, das Angebot des dunklen Herrschers anzunehmen. Er flüchtete zusammen mit einem Teil unseres Volkes, das sich von da an Draenei, die Verbannten, nannte. Wir irrten lange umher, immer getrieben und verfolgt durch Kil’Jaeden, der die Weigerung sich ihm anzuschließen nicht akzeptieren wollte. Schließlich fanden wir eine Welt, auf der wir heimisch wurden. Wir nannten sie Draenor, die Zuflucht der Verbannten. Dort lebten wir lange Zeit friedlich und unentdeckt an der Seite des dort ansässigen, schamanistischen Volkes der Orks.“ „Friedliche Orks?“, lachte Easygoing auf. Dies muss vor sehr langer Zeit gewesen sein, Diese grüne Pest, die unsere Wälder überflutet wie ein Schwarm hungriger Heuschrecken soll zu einer friedlichen Nachbarschaft fähig sein? Unmöglich!“ „Einst waren sie es.“, entgegnete Magtoor leise. „Doch eines Tages begannen sie aus heiterem Himmel heraus uns anzugreifen. Ein Krieg überzog unsere friedliche Welt, in dem die Orks irgendwann begannen, die Kräfte des Wirbelnden Nethers und die Hilfe von Dämonen für sich zu nutzen. Wir wehrten uns, so gut wir konnten, doch gegen die teuflischen Energien, die sie gegen uns einsetzten, waren wir machtlos. Schließlich siegten die Orks und unsere Volk wurde ausgelöscht.“ Die Nachtelfen schwiegen jetzt, ein jeder in sich gekehrt, die Blicke starr auf das Feuer gerichtet. Emanuelle rollte mit den Augen. Wenn sie doch nur nicht so verdammt dickköpfig gewesen wären. Mit geschürzten Lippen betrachtete sie die kleine, brennende Gestalt über den Flammen, die jetzt die bekannten Umrisse eines triumphierenden Orks bildeten. An seiner Seite kauerte etwas, das Emanuelle als Wichteldiener identifizierte. Magtoor seufzte erneut. „Einige von uns überlebten und zogen sich in Verstecke zurück. Irgendwann erfuhren wir, dass die Orks nicht damit zufrieden gewesen waren, nur Draenor zu erobern. Sie waren in eine weitere, vielversprechende Welt namens Azeroth vorgedrungen, um auch sie zu unterwerfen. Und wir…wir folgten ihnen.“ „Ihr meint, Ihr kamt zusammen mit den Orks durch das Dunkle Portal?“, fragte Emanuelle erstaunt. „Gut geraten, kleine Gnomin.“, nickte Magtoor und lächelte wieder das zähnestarrende Lächeln. „Doch wir kamen nicht mit ihnen zusammen, sondern mussten uns wie Diebe in der Nacht an ihnen vorbeischleichen. Ich selbst führte unsere Leute damals, auch wenn es da noch viel mehr waren. Wir hofften, in dieser Welt einen neuen Anfang machen zu können, nachdem die Orks die unsere in Trümmer gelegt hatten. Manchmal glaube ich jedoch, es wäre die bessere Entscheidung gewesen, auf Draenor zu bleiben. Der schnelle Tod dort hätte uns so viel Leid erspart.“ „Was ist passiert?“ Magtoor schüttelte auf Emanuelles Frage hin den Kopf, wie um die Erinnerungen loszuwerden. „Die Schäden durch die verderbte Magie, die die Orks gegen uns eingesetzt hatten, saßen tiefer, als wir befürchtet hatten. Wir…veränderten uns immer mehr. Dazu kam der Hunger, die Feindseligkeit dieser Welt und die zunehmend größer werdende Sehnsucht nach unserer verlorenen Heimat. Einige von uns starben an den verschiedensten Ursachen. Noch mehr jedoch wurden durch die erlittenen Gräuel wahnsinnig und ihr Hass, der sich nach dem jahrelangen Krieg zuerst nur gegen die Orks richtete, weitete sich aus und wandte sich zuletzt sogar gegen Angehörige ihres eigenen Volkes.“ Schweigen breitete sich über dem Lagerplatz aus. Die Flammen des Feuers hatten sich beruhigt, die Orks und Draenei waren verschwunden. Emanuelle versuchte sich vorzustellen, wie es für die Draenei sein musste, so weit weg von ihrer Heimat gestrandet zu sein. Der einzige Weg zurück versperrt zum Wohle einer Welt, die nicht ihre eigene war. Und sie hatte großes Mitleid mit den Verirrten, die hier im Dreck und Schmutz leben musste, ohne Freunde, wie sie die Gnome in einer ganz ähnlichen Situation in den Zwergen gefunden hatten. „Warum seid ihr hier in diesem lebensfeindlichen Sumpf geblieben?“, fragte Ceredrian, dem wohl ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen waren. Magtoor neigte den Kopf, als denke er über die Frage nach. „Ich teile Eure Einschätzung, dass unser Lebensraum hier nicht ideal erscheint.“, antwortete er schließlich. „Wir haben schon oft überlegt, von hier fort zu gehen, doch wohin? Wem sollten wir die Bürde aufladen, uns bei den seinigen Unterkunft zu gewähren, wenn wir nicht wissen, ob nicht irgendwann jeder von uns dem Wahnsinn anheimfällt, der schon unser Äußeres verunstaltet hat. Und wer, wenn nicht wir, sollte sich um unsere Brüder da draußen kümmern, die bereits ihren klaren Verstand verloren haben? Außerdem ist dieser Ort hier, so unschön er erscheinen mag, auch ein Quell der Hoffnung. So nahe an den Resten des Dunklen Portals suchen wir landauf landab nach etwas, dass wir Draenethyst nennen. Es sind Kristalle, die wir benutzen, um Energie zu bündeln und Magie zu verstärken.“ „Ah, das ist es also, was ich hier aufgespürt habe.“, rief Emanuelle und schnippte mit den Fingern. „Ich habe mich schon gefragt, was meine Instrumente so durcheinander gebracht haben könnte. Kann ich einmal einen von diesen Kristallen sehen?“ Magtoor nickte und winkte Holaaru, der sich daraufhin erhob und in einer der Hütten verschwand. Kurz darauf kehrte er mit einem kostbar aussehenden Kästchen zurück. Es schien eines der wenigen Dinge zu sein, die die Verirrten noch aus ihrer Heimat hatten retten können. Emanuelle bewunderte noch die kunstvollen Verzierungen und die eingelassenen Edelsteine, als Magtoor den Deckel öffnete und das Geheimnis im Inneren lüftete. „Oh, sind die aber schön.“, entfuhr es Emanuelle und auch sie Nachtelfen sogen scharf die Luft ein, als sie die leuchtenden Kristalle im Inneren erblickten. Sie brachen das Licht in tausende von Farben und waren erfüllt mit einem warmen Glanz, der Emanuelle an einen waren Sommertag denken ließen. Gleichzeitig fühlte sie das Pulsieren der Macht, die den Kristallen innewohnte. Sie hatte bereits von Kristallfokussen gehört, die einige Magier benutzten, um ihre Magie zu verstärken. Sie selbst hatte irgendwo in den Tiefen ihrer bodenlosen Tasche noch ein paar der Machtkristalle, die sie im Krater von Un’goro gesammelt hatte. Doch selbst diese erschienen wie glanzlose Kieselsteine im Vergleich mit dem Draenethyst. „Nicht nur schön, sondern auch gefährlich.“, ergänzte Ceredrian. Die Hand des Nachtelfen schwebte über den Kristallen, er zögerte jedoch, sie zu berühren. „Wenn sie in die falschen Hände geraten…“ „Noch ein Grund, warum wir hier bleiben müssen.“, sagte Magtoor. „Einige der Kristallsplitter wurden uns von unseren verlorenen Brüdern geraubt. Wir müssen sie unbedingt wiederbekommen. Niemand kann abschätzen, was passiert, sollten sie die Kristalle benutzen, um ein Portal nach Draenor zu öffnen.“ „Könnte man das denn?“, fragte Emanuelle erstaunt. „Die Gegend rund um das Dunkle Portal wurde in ihren Grundfesten erschüttert und die Wirklichkeit…nun sagen wir, sie ist hier brüchiger als anderswo. Wie Euer Freund schon sagte, sollten diese Kristalle nicht in die falschen Hände geraten.“ „Warum holt Ihr sie Euch nicht einfach zurück?“, wollte Emanuelle wissen. Sie fand, dass diese Lösung doch klar auf der Hand lag. Der Anführer der Verirrten seufzte. „Das ist leichter gesagt, als getan. Wir sind nur noch wenige und unsere Brüder sind wild und unberechenbar. Wir sind nicht stark genug, um ihnen die Kristalle mit Gewalt abzunehmen.“ „Dann helfen wir Euch.“, strahlte Emanuelle. „Kommt überhaupt nicht in Frage.“, grollte Easygoing. Das Gesicht des großen Druiden verdunkelte sich schlagartig. „Wir haben uns zwar bereit erklärt, Euch in den Versunkenen Tempel zu bringen, Magierin. Aber Ihr könnt nicht herumlaufen und Aufträge von jedem dahergelaufenen Landstreicher annehmen.“ Emanuelle war sich sicher, dass viele die Ausführungen des Nachtelfen als Beleidigung aufgefasst hätten, doch der Anführer der Verirrten schien nicht verärgert. Vielmehr schien er die Ablehnung der Hilfe als gegeben hinzunehmen. Holaaru hingegen machte ein interessiertes Gesicht, soweit Emanuelle das anhand seiner verzerrten Züge beurteilen konnte. „Ihr sucht den versunkenen Tempel der Atal’ai?“, fragte er. „Aber ja!“, rief Emanuelle. „Wisst Ihr, wo er sich befindet? Wir wollen dort nämlich…“ „Etwas erledigen.“, schnitt Easygoing ihr das Wort ab. Emanuelle bedachte den brummeligen Nachtelfen mit einem vielsagenden Blick. „Ich könnte Euch hinführen.“, bot Holaaru an. „Ich interessiere mich sehr für Azeroths Vergangenheit, denn ich möchte Eure Welt noch besser kennenlernen. Ich habe den Tempel, oder besser gesagt das, was von ihm noch übrig ist, schon oft aus der Ferne betrachtet. Nur zu gern würde ich einmal in den Tränenteich hinab tauchen um dort nach den Resten der alten Trollzivilisation zu suchen, die dort unten verborgen liegen. Doch es gibt große Raubfische in den Gewässern um den Tempel. Und dann ist das auch noch Somnus…“ „Holaaru!“ Magtoor hatte die Stimme nur leicht erhoben, doch sein Einwurf zeigte sofortige Wirkung. Der gescholtene Verirrte schwieg und sah zu Boden. „Ich entschuldige mich für meinen voreiligen Freund.“, sagte Magtoor. „Wir halten Euch ohnehin schon viel zu lange auf. Ihr seid sicher nicht hier, um Geschichten über tote Trolle und grüne Drachen zu hören.“ Emanuelle sah ihre Reisebegleiter und grinste. „Also wenn man es genau nimmt, sind wir aus gar keinem anderen Grund hier.“, flötete die Gnomin und machte es sich wieder auf dem Boden bequem. „Also los, erzählt! Wir sind ganz Ohr.“ Easygoing wusste immer noch nicht, ob es eine gute Idee gewesen war, sich den eigenartigen Verirrten anzuvertrauen. Zugegeben, die Draenei hatten viel erlitten. Einiges davon wies erschreckende Parallelen zur Geschichte der Nachtelfen auf. Auch unzählige Vertreter seines eignen Volkes waren zum Opfer dämonischer Magie geworden, einige freiwillig, andere weniger. Trotzdem hatte Magtoor selbst zugegeben, das der Wahnsinn irgendwo in ihrem Inneren lauerte. Was, wenn der Verirrte, der vor ihm durch den Sumpf stakste, sie nun in eine Falle führte? „Mach nicht so ein finsteres Gesicht.“, sagte Ceredrian, der neben Easygoing durch die schlammige Umgebung watete, leise in ihrer Muttersprache. „Immerhin bringt uns Holaaru jetzt zum Tempel. Ohne ihn würden wir hier wahrscheinlich noch tagelang herumirren. Oder bist du immer noch beleidigt, weil unsere kleine Begleiterin gegen deinen Willen in das Fallow-Sanktum eingedrungen ist, um einige der Kristalle zurückzuerobern? Sie hat doch dafür nicht einmal besonders lange gebraucht.“ „Ich hatte es verboten.“, grollte der Druide und merkte selbst, dass sein Einwand lächerlich klang. Die Verirrten waren überschwänglich in ihrer Dankbarkeit gewesen. Und konnte es nicht nur von Vorteil sein, wenn die potenten Kristalle sich jetzt wieder in den Händen derer befanden, die nicht versuchten jeden Fremden die Kehle durchzuschneiden? Trotz aller Zweifel konnte Easygoing nicht bestreiten, dass die Verirrten überaus hilfreich gewesen waren. Sie hatten ihnen alles offenbart, was sie über den Versunkenen Tempel wussten, was zugegebenermaßen nicht sehr viel war. Sie hatten zu viel Angst vor dem großen, geflügelten Wächter des Tempels, dem grünen Drachen Somnus. „Wir sind da.“, erklärte Holaaru. Vor ihm öffnete sich die Sumpflandschaft zu einer großen Wasserfläche. In der Mitte des Sees erhoben sich steinerne Ruinen, deren größerer Teil unter Wasser zu liegen schien. Die Sonne stand hoch über den Tempelresten und warf milchiges Licht durch den Dunst, der allgegenwärtig über dem Sumpf waberte. Easygoing trat an den Rand des Gewässers, das träge gegen das sumpfige Ufer schwappte. Das Wasser war klar, wirkte jedoch durch den schlammigen Untergrund trübe und tot. Der Druide wollte sich gerade niederknien, um den See der Tränen, wie Holaaru ihn nannte, näher in Augenschein zu nehmen, als er ein Geräusch hörte. Es klang wie das Rauschen und Flappen großer, ledriger Schwingen, das schnell näherkam. „In Deckung!“, schrie Holaaru und tauchte in der schlammfarbenden Umgebung unter. Die Nachtelfen folgten seinem Beispiel und verschmolzen mit den Schatten. Easygoing wollte gerade Emanuelle zu sich ziehen, als die Magierin vor seinen Augen spurlos verschwand. Bevor er sich jedoch weiter darüber wundern konnte, tauchte ein langgestreckter, geflügelter Schatten aus dem Nebel auf und ließ ihn den Atem anhalten. Es handelte sich, und daran bestand kein Zweifel, um einen grünen Drachen. Doch anders als die ätherischen Gestalten, von denen Easygoing andere Druiden hatte reden hören, war dies eine höchst reale Echse. Ihr schlangengleicher Kopf pendelt im Flug hin und her, als suche sie etwas, und die dicken Pranken mit den messerscharfen Klauen öffneten und schlossen sich um einen imaginären Feind. Dicht über der Wasseroberfläche strich der grüne Drache so nahe an ihnen vorbei, dass Easygoing den Windstoß seiner Flügel spüren konnte. Enttäuscht keine Beute gefunden zu haben, legte der Drache den Kopf in den Nacken und ließ ein röhrendes Brüllen hören, bevor er wieder an Höhe gewann in im dichten Nebel untertauchte. Kurz darauf war auch das Geräusch der schlagenden Flügel verschwunden und der See lag friedlich da, als wäre all das nur eine Illusion gewesen. Holaaru trat als Erster wieder aus seiner Deckung heraus. Der Verirrte machte ein besorgtes Gesicht und seine leuchtenden Augen suchten den Himmel ab. „Er wird nicht lange fortbleiben.“, erklärte er. „Somnus ist ein gewissenhafter Wächter.“ „Wie gelangen wir dann auf die andere Seite?“, wollte Deadlyone wissen. „Wenn wir versuchen, dort hinüber zu schwimmen, wird er uns sehen. Und so lange tauchen können wir…können die meisten von uns nicht.“ Easygoing wusste, worauf sein Bruder anspielte. Ihm würde es aufgrund seiner druidischen Verwandlungskunst gelingen, unbemerkt in den Tempel zu gelangen. Er nickte entschlossen. „Dann werde ich allein gehen.“ „Kommt überhaupt nicht in die Tüte!“, erklang eine Stimme direkt zu seinen Füßen. Der Druide schrak zusammen und funkelte die Gnomin, die sich kurz darauf enttarnte, böse an. Sie ignorierte das jedoch gekonnt und stampfte stattdessen mit dem Fuß auf. „Ich werde ebenfalls mitkommen. Mit meinem Unsichtbarkeitszauber komme ich an dieser übergroßen Eidechse schon vorbei. Ihr braucht gar nicht erst zu versuchen, mich davon abzuhalten.“ „Ich könnte mit meinem Levitationszauber über das Wasser laufen.“, überlegte Ceredrian. „Eventuell wäre ich so schnell genug, um auf die andere Seite zu gelangen, bevor der Wächter wiederkommt.“ „Also bin ich der Einzige, den der Drache fressen wird.“, meckerte Deadlyone und warf die Arme in die Luft. „Na wunderbar!“ „Ach papperlapapp, hier wird niemand gefressen.“, winkte Emanuelle ab. „Wartet, ich habe etwas für Euch.“ Die Gnomin wühlte eine Weile vor sich hin murmelnd in ihrer Tasche herum und zog am Ende eine Phiole mit einer durchsichtigen Flüssigkeit heraus. Sie entkorkte die Phiole und roch daran. „Mhm ja, das muss es sein. Der Händler hätte sich wirklich die Mühe machen können, seine Tränke haltbarer zu beschriften.“ Sie verschloss das Gefäß wieder und reichte es an den Schurken weiter. „Was ist das?“, wollte der wissen und betrachtete argwöhnisch den Inhalt des Fläschchens. Im ersten Moment wirkte es wie klares Wasser. Erst, als er es schüttelte, zeigten sich vielfarbige Schlieren in dem Gefäß. „Unsichtbarkeitstrank.“, entgegnete die kleine Magierin fröhlich. „Ich kaufte ihn, als ich den Unsichtbarkeitszauber noch nicht so gut beherrschte. Aber jetzt brauche ich ihn nicht mehr. Ihr könnt Ihn also ruhig trinken.“ „Kommt nicht in Frage!“, wehrte der Schurke ab und wollte die Phiole wieder an die Magierin zurückgeben. „Ich nehme keinen magischen Hokuspokus von Euch. Schlimm genug, dass ihr Magier diesen Unsichtbarkeits-Firlefanz betreibt.“ „Und wie wollt Ihr dann auf die andere Seite kommen?“, wollte Emanuelle wissen. Der Schurke durchbohrte sie mit einem glühenden Blick. „Wir haben keine Zeit für solchen Unsinn.“, unterbrach Easygoing das stumme Duell der beiden. „Deadly, du bleibst hier. Wir anderen gehen hinüber, sobald der Drache das nächste Mal hier vorbeigeflogen ist.“ „Ich bleibe nicht alleine hier zurück.“, echauffierte sich der Schurke. „Dann müsst Ihr Euch wohl entscheiden, was größer ist.“, stichelte Emanuelle. „Die Angst davor, hier allein zu bleiben, oder die, den Trank zu trinken.“ „Ich habe vor überhaupt nichts Angst.“, zischte der Schurke. Mit einem Satz war er bei Emanuelle, riss ihr die Phiole aus der Hand und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. Mit gebleckten Fangzähnen hielt er das leere Fläschchen hoch. „Und jetzt nennt mich noch einmal einen Feigling.“ Die Veränderung setzte ohne Vorwarnung ein. Zunächst glaubte Easygoing noch, dass seine Augen ihn in dem eigenartigen Zwielicht einen Streich spielten, doch dann wurde es immer deutlicher. Die Umrisse seines Bruders verschwanden und die Umgebung hinter ihm schimmerte immer mehr durch ihn hindurch, bis schließlich nichts zurückblieb außer den Fußspuren im matschigen Untergrund. „Deadly?“ Der Druide merkte, dass seine Stimme nicht so fest war, wie er sich gewünscht hätte. „Ja, was denn?“, kam die Antwort von irgendwo vor ihm. „Ich kann euch sagen, das ist ein ganz eigenartiges Gefühl. Wenn ich die Augen zumache, ist alles wie immer, aber wenn nicht, kann ich nicht mal meine eigenen Hände sehen. Ich wünschte nur, dieser Magier aus Duskwood würde mir jetzt noch mal unter die Finger kommen.“ Easygoing wandte sich an Emanuelle. „Wie lange wird die Wirkung anhalten?“ Die Gnomin überlegte. „Normalerweise ein paar Minuten.“ „Ein paar Minuten?“, echote Easygoing. „Aber wie…warum habt Ihr das denn nicht gleich gesagt?“ „Ihr habt nicht gefragt.“ Nur der unschuldige, blaue Augenaufschlag hinderte den großen Druiden daran, die kleine Magierin zu nehmen und kräftig zu schütteln. Stattdessen fauchte er die leere Luft an der Stelle an, an der er seinen Bruder vermutete. „Los, ab mit dir ins Wasser. Ihr anderen wartet hier, bis wir drüben sind.“ Unfreundliches Gemurmel, das sich langsam entfernte, gefolgt von leisem Plätschern und einem lauteren Platschen verrieten Easygoing, dass sein Bruder ausnahmsweise einmal tat, was er ihm aufgetragen hatte. Der Druide nickte kurz in die Richtung ihres Verirrten-Führers und warf sich dann ebenfalls in die trüben Fluten. Das Wasser des Sees war erstaunlich kalt. Irgendwo musste es eine unterirdische Quelle geben, die ihn speiste. Der Druide glitt durch das eiskalte Nass, während sich unter ihm versunkene Ruinen aus dem Dunkel schälten und wieder darin versanken. Die Tempelanlage musste ursprünglich ziemlich groß gewesen sein. Er richtete seinen Blick nach oben, wo er vage Deadlyones Umrisse wahrnehmen konnte. Trotz seiner Unsichtbarkeit verdrängte der Körper immer noch Wasser und formte so einen nachtelfenförmigen, augenscheinlich leeren Raum an der Oberfläche. Ein äußerst eigenartiger Anblick. Sie waren etwa in der Mitte des Sees angelangt, als die Bewegungen des Schurken mit einem Mal hektischer wurden. Alarmiert sah Easygoing sich um und bemerkte einen Schatten, der über der Wasseroberfläche schnell näherkam. Verzerrt hörte er erneut das kreischende Brüllen des Drachenwächters. Easygoing überlegte nicht lange. Mit einigen kräftigen Schwimmzügen seiner Flossen brachte er sich direkt unter seinen Bruder. Die stumpfe Schnauze öffnete sich und er konnte Deadlyone aufschreien hören, als sich seine Zähne in dessen Knöchel gruben. Luft anhalten, Bruderherz, dachte der Druide noch und zog den strampelnden Nachtelfen unter Wasser. Über ihnen glitt der mächtige Schatten des Drachen hinweg und etwas tauchte die Wasseroberfläche in grelles, grünes Licht. Easygoing achtete jedoch nicht darauf, sondern schwamm, so schnell er konnte, zur Mitte des Sees. Erst, als er die algenbesetzten Steine der Tempelruine zur Hälfte umrundet hatte, öffnete er die Schnauze wieder und schob seinen mittlerweile regungslosen Bruder die Steintreppe zum Eingang des Tempels hinauf. An der Oberfläche angekommen, verwandelte er sich zurück und zerrte den Körper auch noch die letzten Stufen hinauf bis zu einer Plattform. Eilig sank er neben dem Bewusstlosen auf die Knie. „Deadly? Deadly!“ Easygoing fühlte sich hilflos. Seine Hände glitten über den nur vage vom Wasser umrissenen Körper seinen Bruders, suchten dessen Brustkorb. Wie bei Malfurions Geweih sollte er jemanden retten, den er gar nicht sehen konnte? Wo sollte er den Puls fühlen? Waren noch Atemgeräusche zu hören? Lauschend beugte er sich vor und hörte ein heiseres Stöhnen. „Wenn du auf die Idee kommst, eine Mund-zu-Mund-Beatmung zu machen, bist du ein toter Mann.“ Ächzend richtete sich der nasse Umriss unter seinen Händen auf und hustete schlammiges Wasser vor Easygoings Füße. „Beim nächsten Mal warn mich bitte vor, wenn du mir das Leben retten willst.“, röchelte der Schurke unterbrochen von zwei Hustenanfällen. „Dann such ich mir vorher einen Abgrund, in den ich mich stürzen kann.“ Der Druide wusste nicht, ob er weinen oder lachen oder seinem Bruder eine verpassen sollte. „Das nächste Mal versuche ich gar nicht erst, deinen jämmerlichen Hintern vor einem Drachen zu retten.“, grollte er gutmütig. „Und jetzt schüttel dir das Wasser aus den Ohren. Wir haben einen Tempel zu besichtigen.“ Als Somnus zurückkehrte, während die beiden Nachtelfen noch im Wasser waren, schlug Emanuelle erschrocken die Hände vor den Mund. Ihr fiel ein, dass sie vergessen hatte, den Nachtelfen zu warnen, dass er trotz allem darauf achten musste, nicht zu viel Lärm zu verursachen. Es war ein häufiger Fehler, den Lehrlinge oft machten, wenn sie den Unsichtbarkeitsspruch zum ersten Mal erfolgreich ausprobierten. Nicht selten endeten ihre Späße mit einer Tracht Prügel oder einer Nacht im Kerker. Wobei Emanuelle annahm, dass die wesentlich häufigere Ursache dafür der Irrtum war, dass man sich zum erfolgreichen Wirken des Spruchs nackt ausziehen musste. So etwas konnte beim Abklingen der Wirkung zu einem echten Problem werden, vor allem wenn man sich dann in einem fremden Schlafzimmer befand. Dabei stand doch deutlich in der Anleitung, dass die Wirkung der Unsichtbarkeit alles mit einschloss, was der Zaubernde in diesem Moment am Körper trug. Sie konnte nicht verstehen, wie man so etwas überlesen konnte. „Oh nein.“, stöhnte Ceredrian auf. Der Drache hatte sein Maul geöffnet und spie grünen Nebel über das Wasser. Genau an der Stelle, wo sich Emanuelles Vermutung nach gerade noch der unsichtbare Schurke befunden haben musste. „Wir müssen etwas tun.“ Emanuelle überlegte fieberhaft. „Neuer Plan!“, erklärte sie. „Ich werde die Aufmerksamkeit des Drachen auf mich lenken, während Ihr zum Tempel lauft. Sobald ich ihn weit genug weg gelockt habe, werde ich mich zum Tempel teleportieren.“ „Könnt Ihr das denn?“ Der Priester schien nicht überzeugt. „Natürlich kann ich das.“, erwiderte Emanuelle. Dass sie aufpassen musste, nicht in einer Wand zu landen und deshalb die Sache mit der Unsichtbarkeit vorgezogen hätte, musste sie ja nicht unbedingt erwähnen. Holaaru machte ein unglückliches Gesicht. „Ich würde Euch gern helfen, aber…“ „Ihr habt genug getan.“, wiegelte Emanuelle ab. „Geht zurück zu Euren Leuten. Wir kommen hier schon klar.“ Der Verirrte neigte den Kopf, wie um eine Verbeugung anzudeuten. „Ihr seid stets bei uns willkommen, kleine Magierin.“, sagte er. „Und ihr natürlich auch, Nachtelf. Ich wünsche Euch viel Glück bei Eurer Mission.“ Emanuelle nickte nur abwesend. Sie war bereits damit beschäftigt, ihre Raketenstiefel an den Füßen zu befestigen. Sie prüfte noch einmal den Sitz ihres Unglücksverhinderungsgürtels und zog sich ihre Zaubermachtschutzbrille Extreme Plus über die Ohren. „Also schön.“, knurrte sie. „Dann schauen wir doch mal, ob ich diesen Wächter nicht überlisten kann. Bereit?“ Ceredrian nickte. „Bereit. Aber passt bitte auf Euch auf.“ „Mach ich doch immer.“, grinste Emanuelle. Lauter rief sie: „Hey da, Drache! Komm doch und hol mich, wenn du dich traust. Huhu, hier bin ich!“ Emanuelle hopste mit Raketenunterstützung in großen Sätzen am Ufer entlang und bot alles an Zaubern auf, das ordentlich Licht und Krach machte. Bunte Funken – wie gut, dass sie noch ein paar Feuerwerksraketen vom Geburtstag ihrer Tante aufbewahrt hatte - leuchtende Feuerbälle, Arkane Explosionen. Alles war recht, um die Aufmerksamkeit des Wächters zu erregen. Ein wütendes Kreischen bescheinigte ihr, dass sie Erfolg gehabt hatte. So viel zum einfachen Teil, dachte die kleine Magierin. Jetzt muss nur noch der Portzauber funktionieren. Mit ausgebreiteten Schwingen und weit aufgerissenem Maul stürzte Somnus aus den Wolken auf sie zu. Als er sie sah, brüllte er voller Wut auf und ließ sich wie ein Stein zu Boden sinken. Darauf hatte Emanuelle nur gewartet. Sie murmelte den Portalzauber und konzentrierte sich gleichzeitig auf das Dach des Tempels. Die letzten Silben des Zaubers verließen gerade ihre Lippen, als sie ein Luftstoß von den Füßen fegte und ätzendes, in den Lungen kratzendes Gas über sie hinweg fauchte. Die Umgebung um sie herum verschwand. Es zerrte und zog, irgendetwas versetzte ihr einen schmerzhaften Schlag, dann umhüllte sie muffige Dunkelheit. Schniefend und krächzend kam die Gnomin wieder auf die Füße und betrachtete die neue Umgebung. Na wenigstens bin ich nicht in einer Wand gelandet. Aber wo bin ich? Stimmengemurmel in ihrer Nähe erregte Emanuelles Aufmerksamkeit. Das auf- und abschwellende Geräusch schien von überall zugleich zu kommen. Die modrigen Wände machten es unmöglich, sich zu orientieren. Fest stand, dass sie sich irgendwo innerhalb des Tempels befinden musste. Zumindest diesen Schlangenstatuen nach zu urteilen, die hier überall herumstanden. Wo genau vermochte Emanuelle hingegen nicht zu sagen. „Fest steht, dass die hier dringend mal aufräumen sollten.“, murmelte sie und schob mit dem Fuß ein paar Knochen zur Seite. Zu welcher Rasse diese einst gehört hatten, ließ sich jetzt nur noch vage erahnen. Mensch war am wahrscheinlichsten. Vielleicht auch Zwerg. „Dann schauen wir doch mal, ob wir nicht ein paar Atal’ai finden können.“ Frohen Mutes und keine besondere Gedanken an ihre Weggefährten verschwendend, machte Emanuelle sich auf den Weg. Sie wusste ohnehin nicht, wo sie war und wie sie von hier nach draußen kam. Da konnte sie ebenso gut nachschauen, was die Trolle hier unten trieben. „Wo ist sie?“ Easygoing war außer sich. Wie hatte Ceredrian sich nur auf diese schwachsinnige Idee einlassen können, die Gnomin allen gegen den Drachen antreten zu lassen? „Ich weiß es nicht.“, erwiderte der Priester ehrlich. „Aber wir haben doch von hier aus gesehen, dass Somnus sie nicht erwischt hat. Warum sonst hätte der Drache den halben Sumpf dort umpflügen sollen, wo er sie eigentlich nicht verfehlen konnte. Glaube mir, Cousin, sie ist entkommen.“ „Das nützt aber nichts, wenn wir nicht wissen, wo sie ist.“, bellte Easygoing. „Na warte, wenn ich diese Gnomin die die Finger kriege, mache ich Haschee aus ihr. Nie macht sie, was man ihr sagt. Nie!“ „Und ihr blöder Trank hat auch nicht so funktioniert, wie er soll.“, ergänzte Deadlyone. „Ich finde, so langsam könnte die Wirkung mal nachlassen.“ Ceredrian drehte sich mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck zu dem Felsblock herum, auf dem er den Schurken vermutete. „Immerhin wäre das alles nicht passiert, wenn du nicht so einen Lärm gemacht hättest, Deadly. Also halt jetzt endlich den Rand und hör auf zu meckern. Und du ebenso, Easy. Wie wäre es, wenn wir endlich mal etwas tun, anstatt hier nur rumzustehen und uns gegenseitig anzubrüllen. Gehen wir endlich hinein und holen Emanuelle da raus.“ Easygoing hatte die Hände zu Fäusten geballt. Er hätte jetzt gerne irgendetwas gehabt, um seine Wut daran auszulassen. Doch er sah ein, dass Ceredrian Recht hatte. Er musste diese Energie verwenden, um sie gegen seine Feinde einzusetzen, nicht gegen seine Freunde. „Gut.“, knurrte er. „Gehen wir rein.“ Die erste Halle des Tempels war von den Wassern des Sees überflutet worden und sie mussten tauchen, um auf die andere Seite zu kommen. Muffige, feuchte Luft schlug ihnen entgegen, als sie das Wasser wieder verließen. Schlingpflanzen hingen von den Decken in einem stummen Versuch, auch noch die letzten Reste des Tempels zu tilgen. Moos und Schimmel hatten die einst reich verzierten Wände überwuchert und überall lagen herabgestürzte Trümmer umher. „Ich hoffe nur, dass der Rest des Tempels noch besser erhalten ist.“, bemerkte Ceredrian. Der Priester hatte sich seiner Robe entledigt und wrang sich das Wasser aus den langen Haaren. „Also ich hätte nichts dagegen, wenn diese ganzen verdammten Trolle mitsamt ihrem Tempel einfach in sich zusammenstürzen würden.“, moserte Deadlyone. Nur das Wasser, das unter ihm eine Lache gebildet hatte, verriet, wo er gerade stand. „Dagegen hätte ich auch nichts.“, gab Ceredrian zu. „Ich würde es nur vorziehen, wenn sie es nicht gerade tun würden, während wir hier unten herumgeistern.“ Ein undefinierbares Geräusch war die Antwort, dann begannen nasse Fußabdrücke weiter ins Tempelinnere zu wandern. Vorsichtig folgten die beiden anderen Nachtelfen dem Unsichtbaren weiter in den Tempel hinein. Sie gingen durch einen langen, ebenfalls mit Schlingpflanzen und Flechten überwucherten Gängen und betraten an seinem Ende eine Treppe, die weit hinab unter die Oberfläche führte. Die Temperatur um sie herum sank merklich und die dumpfe Luft wurde schwer und drückend wie der Hauch aus einem kühlen Grab. In einer Halle, deren Wände mit großen, knöchernen Masken verziert waren, blieb Ceredrian stehen. „Was sind das?“, fragte er und wies auf die gigantischen Schädel, die in einem Rechteck um eine große Grube angeordnet waren. Am Boden der halb mit Schlamm gefüllten Vertiefung konnten man Überreste großer Tiere erkennen. In sich zusammengesunkenen Skelette, mit faulenden Knochen und moosüberwucherten Rippen. Köpfe gab es keine. „Ich habe keine Ahnung.“, murmelte Easygoing. „Aber ich glaube, ich will das auch lieber gar nicht wissen. Kommt, gehen wir weiter.“ Von der Halle zweigte ein Gang ab, der sie schon bald an eine Kreuzung führte. An der einen Seite führte eine Treppe weiter in die Tiefe, während auf der anderen Seite nur ein paar Stufen nach unten führten, bevor der Gang wieder geradeaus lief. Aus den Tiefen des Kellergewölbes drang ein Murmeln und eigenartiger Singsang zu ihnen herauf. „Deadly, sieh nach, was dort unten ist.“ „Was, warum ich?“ Easygoing konnte förmlich den beleidigten Ausdruck auf dem Gesicht seines Bruders vor sich sehen. „Weil du unsichtbar bist.“, grollte er barsch. „Mach dich wenigstens nützlich.“ Ein wütendes Schnauben antwortete ihm, doch da er kurz darauf nichts mehr hörte, ging er davon aus, dass der Schurke ihm gehorcht hatte. Trotzdem schrak er kurz darauf zusammen, als eine Stimme neben ihm verkündete: „Da unten ist irgendeine Troll dabei, ein Ritual durchzuführen. Vermutlich ein Priester. Andere Trolle sind bei ihm, allerdings nicht besonders viele. Dem Geruch nach zu urteilen ist der Altar, den sie anbeten, nicht mit roter Farbe beschmiert.“ Easygoing verzog das Gesicht. „Gut, lassen wir sie da, wo sie sind, und sehen uns weiter um.“ Sie folgten dem zweiten Gang weiter ins Tempelinnere, doch schon bald hatte der Druide das Gefühl, dass sie im Kreis gingen. Ein schimmeliger Gang reihte sich an den nächsten, doch keiner von ihnen schien an irgendein Ziel zu führen. Sie fanden eine Halle, in der Dutzende von Knochen aufgetürmt an den Wänden lagen. In einer anderen standen große, mit Runen bemalte Behälter, die bis zum Rand mit feinem Sand gefüllt. Darin steckten die vertrockneten Leichen von Trollen, deren Haut über ihren gebleichten Knochen zu abartigen Fratzen zusammen geschrumpelt war. Allgegenwärtig waren die Schlangenverzierungen, die ihnen von überall entgegen glotzten. Statuen, Wandmalereien, Bodenreliefs, all das zeigte die schuppigen Kriechtiere in allen erdenklichen Ausführungen. Dazwischen Runen und Bilder von Trollen in langen, zeremoniellen Gewändern und ab und an Masken mit den unterschiedlichsten Bemalungen . Am Eingang eines Ganges, der wieder mit dem widerlichen Schädelmasken geschmückt war, blieb Easygoing stehen. Die Luft vor ihm roch nach Schimmel, Moder und Staub, doch es war noch etwas anderes darunter. Etwas Scharfes, das seine Nasenflügel beben ließ. Er zog die Lippen über den Eckzähnen nach oben und knurrte. Vorsichtig machte er einen Schritt nach vorn, den Körper angespannt und bereit jederzeit zuzuschlagen. „Das würde ich an Eurer Stelle lassen.“, sagte eine Stimme hinter ihm. Der Druide wirbelte herum und starrte auf einen leeren Gang. Ceredrian stand mit gezücktem Kampfstab neben ihm und starrte ebenfalls in die Dunkelheit. „Was denn?“, fragte die Stimme gefolgt von einem „Oh, ach so. Entschuldigung.“ Emanuelle materialisierte sich vor ihnen und strahlte die beiden Nachtelfen an. „So besser? Ich hatte völlig vergessen, dass ich ja noch den Tarnumhang umhatte. Ist auf die Dauer nicht so anstrengend wie ein Unsichtbarkeitszauber.“ „Vielleicht hättet Ihr dann Eure eigene Medizin schlucken sollen.“, schnarrte eine Stimme aus dem Nichts. Diesmal war es die Gnomin, die zusammenzuckte. Allerdings hielt ihr Erschrecken nicht lange an. „Sagt bloß, Ihr seid immer noch unsichtbar.“, sagte sie mit weit aufgerissenen Augen. „Wie erstaunlich!“ „Wie erstaunlich!“, äffte Deadlyone sie nach. „Erstaunlich ist, dass ich noch mit Euch rede, anstatt Euch gleich in den nächsten Schacht zu schmeißen, damit Ihr dort verrotten könnt. Los, macht das wieder rückgängig.“ „Aber das kann ich nicht.“, antwortete die kleine Magierin und zog die Schultern nach oben. „Tut mir wirklich leid. Der Trank muss irgendwie an Potenz gewonnen haben. Eine unglückliche Verkettung von Umständen.“ „Pah!“, machte der Schurke. „Nichts als dummes Geschwätz und Ausreden. Mir langt es jetzt, ich gehe.“ Schritte tappten um die Gnomin herum und direkt auf den Gang zu, vor dem Easygoing gerade stehengeblieben war. „Deadly, warte!“, rief er, doch sein Bruder hörte nicht. „Nicht doch, die Mumien!“, quiekte Emanuelle, doch da war es schon zu spät. Die steinernen Kästen, die gerade noch regungslos an den Seitenwänden aufgereiht gestanden hatten, begannen jetzt merklich zu zittern. Hier und da polterte bereits einer der steinernen Deckel zu Boden. Graue, in Bandagen gewickelte Hände griffen steif nach dem Rand und grausige Gestalten, deren Herzen schon vor langer Zeit aufgehört hatten zu schlagen, erhoben sich aus ihren Ruhestätten. „Was ist das?“, flüsterte Ceredrian ungläubig. „Trollmumien.“, seufzte Emanuelle. „Sie spüren, wenn sich jemand Lebendiges in ihre Nähe bewegt. Dann werden sie aktiv und…naja. Sagen wir mal, sie sind nicht eben zimperlich mit dem, den sie erwischen.“ „Deadly, komm sofort zurück.“, fluchte Easygoing. Er lief einige Schritte vor und versuchte auszumachen, wo sein Bruder sich befand. Die lebendige Leiche, die ihm am nächsten war, wendete den Kopf und stierte ihn zwischen den Bandagen aus leeren Augenhöhlen hasserfüllt an. Schwerfällig drehte sich der Untote zu ihm herum und fing an, auf ihn zuzuwanken. Es entging Easygoing nicht, dass seine Schritte dabei zusehends schneller und koordinierter wurden. „Raaaar.“, machte die Mumie und griff mit ihren untoten Trollhänden nach Easygoing. Der Druide wich leichtfüßig aus und knurrte. „Wenn du Ärger willst, kannst du das haben.“ Er verwandelte sich in einen Bären und ging zum Angriff über. Der wuchtige Schlag der Bärenpranke zerfetzte den mumifizierten Körper in zwei Hälften. Während die Füße noch weiter in die eben angestrebte Richtung liefen, fiel der Körper mit einem trockenen Plumps zu Boden. Easygoing musste niesen, denn die Luft war plötzlich angefüllt mit Leichenstaub. Mit einem wütenden Brummen wollte er sich gerade aus den nächsten Untoten stürzen, als er eine Bewegung am Fußboden sah. Er stoppte seinen Angriff, nur um voller Entsetzten festzustellen, dass der Oberkörper der Mumie jetzt nur mit Hilfe ihrer Arme und Hände auf ihn zu kroch. Die spitzen Zähne in ihrem schwarzen Maul blitzten auf und die Augen funkelten tückisch. Sie nur zu zerteilen reichte anscheinend nicht aus, um diesen Gegner den Garaus zu machen. „Easy, Vorsicht!“ Ceredrians Ruf kam gerade noch rechtzeitig, bevor gleich drei der mumifizierten Trolle sich auf den großen Bären stürzten. Er wehrte sich mit Zähnen und Klauen gegen die bandagierten Monster, zerfetzte Knochen und staubtrockenes Gewebe, doch die Trolle gaben nicht auf. Immer mehr von ihnen krochen aus ihren Grabstätten, getrieben von dem Wunsch, die Lebenden zu sich zu holen. Tritte und Schläge setzten Easygoing mehr und mehr zu, Spindeldürre Finger zerrten an seinen Ohren und scharfe Hauer bohrten sich in seine Seite. Die schiere Übermacht der untoten Trolle drohte ihn zu überwältigen. „Hinfort, ihr untotes Gezücht!“, donnerte eine Stimme. Weißes, blendendes Licht traf die Untoten, die Daraufhin heulen von ihm abließen. Aus tränenden Augen konnte Easygoing erkennen, wie sich Ceredrian wie ein leuchtender Racheengel zwischen ihn und die Untoten stellte. Heulend wichen die Untoten vor seiner selbst erschaffenen Barriere aus weißem Licht zurück. „Schnell Easy, lange kann ich sie nicht aufhalten.“, rief der Priester und schob den Druiden in Richtung des Ausgangs. „Emanuelle, JETZT!“ Ein rotglühender Gluthauch fauchte über Easygoing hinweg und versengte ihm die Fellspitzen. Bruchteile von Sekunden später explodierte der Gang in einem Feuerball. Die Druckwelle warf den Druiden zu Boden und ließ ihn haltlos über den Boden kullern. Die Welt wurde weiß und wirre Phantombilder zuckten vor seinen Augen, die nichts mehr sahen. „Uff, das war knapp!“, murmelte Emanuelle und rappelte sich wieder auf. Sie schob die Schutzbrille nach oben und betrachtete den rußgeschwärzten Raum voller Zufriedenheit. Nicht eine der Trollmumien hatte die Feuersbrunst überstanden. „Wusste ich doch, dass die Burschen gut brennen.“ Sie sah sich suchend um und entdeckte den Druiden in seiner Bärenform in Ihrer Nähe am Boden liegen. Neugierig trippelte sie zu ihm und hob eines seiner Augenlider. „Alles in Ordnung?“ Der Bär brummte eine Antwort, die Emanuelle als Zustimmung wertete und sah sich nach den anderen Teilnehmer der Expedition um. Ceredrian hatte sich auf ihre Vorwarnung hin hinter einer der großen Schlangenstatuen in Sicherheit gebracht. Mit so einer Staubexplosion war nicht zu spaßen. Was den Schurken anging, so konnte sie nur hoffen… „Na ganz toll.“ Dem bekannten, leicht näselnden Tonfall nach zu urteilen, hatte er ebenfalls überlebt. Emanuelle musste allerdings zugeben, dass sie mit dieser Variante nicht gerechnet hatte. Glucksend nahm sie den Schurken in Augenschein, dessen Vorderseite vollkommen mit schwarzem Ruß beschmiert war. Er hatte die Augen geschlossen und das Gesicht zur Decke gerichtet. „Womit bei Anishars Krummdolchen habe ich das nur verdient? Was habe ich dieser Welt getan, dass sie mich so zurichtet?“ „Wahrscheinlich hat Elune mein Gebet erhört, dass ich dich finden und windelweich prügeln kann.“, knurrte Easygoing. Der Druide schwankte leicht, stand aber schon wieder auf seinen eigenen zwei Füßen. „Wie kann man nur so blind in eine Falle laufen?“ „Oh, macht ihm da keinen Vorwurf.“, warf Emanuelle ein. „Die meisten machen diesen Fehler bei ihren ersten Erfahrungen mit Unsichtbarkeit. Sie verwechseln es oft mit Unverwundbarkeit. Außerdem konnte er ja nicht wissen, dass in den Särgen Untote liegen.“ Emanuelle hatte selbst erst herausfinden müssen, was es mit den flirrenden Pünktchen auf sich hatte, die sie durch ihre Brille über den Trollen hatte in der Luft herumschwirren sehen. Aber als sie es erst mal wusste, war es nicht mehr schwer, einfache Kadaver von „lebendigen“ Untoten zu unterscheiden. Der Gang mit den Särgen hatte vor lauter Flittern gewirkt wie ein Tannenbaum zum Winterhauchfest. Easygoing, der anscheinend beschlossen hatte, seinen Bruder nun doch nicht zu erwürgen, ließ sich neben Emanuelle auf die Steine sinken. Er wirkte erschöpft und Emanuelle begann in ihrer Tasche herumzukramen, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte. „Karottentörtchen gefällig?“ Der Druide hob den Kopf und blickte verständnislos auf das leicht krümelige Gebäck in Emanuelles Hand. „Es könnte sein, dass ich mal draufgesessen habe.“, erklärte sie das leicht lädierte Aussehen. „Aber es schmeckt noch einwandfrei. Ich hab auch noch Nussriegel und Tumultoffee. Das Erdbeereis ist leider schon alle, aber ich habe irgendwo noch einen Sauerlolly.“ Als ihr Gegenüber nicht reagierte, legte sie das Törtchen vorsichtig vor ihm auf den Boden und begann selbst, einen Nussriegel zu verzehren. Dabei summte sie leise vor sich hin. Der Druide schnaubte. „Wie könnt Ihr jetzt an Essen denken?“ „Man muss essen, wenn man bei Kräften bleiben will. Und zaubern ist anstrengend. Kommt, probiert es mal.“ Sie erntete ein erneutes Kopfschütteln. „Verratet Ihr uns jetzt, wo ihr so lange gewesen seid?“, verlangte Easygoing zu wissen. „Oh, ich habe mich im Tempel umgesehen.“, zwitscherte sie fröhlich. „Ich weiß jetzt, wo wir hinmüssen.“ Zumindest hatte sie eine ungefähre Vorstellung davon. „Ach wirklich?“, knurrte der halbschwarze Schurke böse. „Dann lasst uns doch an Eurer unendlichen Weisheit teilhaben.“ „Aber gerne doch.“, strahlte Emanuelle. „Zunächst einmal befindet sich über uns ein Rundgang, in dem es von finsteren Gestalten nur so wimmelt. Alle möglichen Arten von Trolle, ein ganzer Haufen davon. Von dem Gang zweigen sechs gleichartige Kammern ab, die in regelmäßigen Abständen um den Gang verteilt sind. In jeder von ihnen öffnet sich eine Kammer zum Tempelinnenraum, auf der der Geist eines Trollpriesters Wacht hält. Ich konnte nicht genau sehen, was sie taten, aber es war in jedem Fall nichts Gutes. Sie kanalisieren irgendeinen bösen Zauber, aber ich weiß leider nicht, warum. Möglicherweise hat es etwas mit den Drachen zu tun.“ „Sagtet Ihr Drachen?“ Emanuelle sah das aufflackernde Interesse in den Augen des Druiden. Sie erinnerte sich, dass die Erwähnung dieser Spezies allein es gewesen war, die ihn überhaupt dazu bewegt hatte, hierher zu kommen. „Ich weiß nicht genau, was da vor sich geht.“, fuhr die kleine Magierin vorsichtig fort. „Aber ich habe eine Theorie. Möglicherweise hat man die Drachen ja getäuscht und der Zauber der sechs Priester dient dazu, sie glauben zu lassen, der Tempel sei leer. Es ist vielleicht eine Art Schutz." „Vermutungen werden uns nicht viel weiter bringen.“, murrte der Druide ungeduldig. „Habt Ihr sonst noch etwas entdeckt?“ Eine ganze Halle voller grüner Drachen, dachte Emanuelle. Aber wenn ich ihm das jetzt sage, wird er losrennen und sie befreien wollen. Ich bezweifele allerdings, dass sie überhaupt befreit werden wollen. Immerhin sehen sie sich als Wächter des Tempels. Sie wissen ja nicht, was direkt unter ihren Füßen vor sich geht. Wenn wir wirklich helfen wollen, müssen wir das Übel an der Wurzel packen. „Nur leere Hallen.“, log sie daher und kam sich schäbig dabei vor. „Ich bin mir aber sicher, dass das Geheimnis irgendwo in den Tiefen des Tempels verborgen liegt. Dorthin müssen wir gehen.“ „Gut, dann suchen wir in den unteren Etagen weiter.“, nickte Easygoing. „Ihr geht voran.“ Emanuelle musste an sich halten, um nicht laut aufzuatmen. Sie war sich sicher, dass sie das Richtige tat. Irgendetwas war dort unten. Etwas Uraltes und sehr Böses. Sie hatte die Ansammlung von unheimlicher Macht gespürt, als sie ein eigenartiges Loch in der Mitte der Halle der Drachen untersucht hatte. Am Rand des steinernen Kreises hatten Reste von etwas geklebt, bei dem es sich nur um Blut handeln konnte. Denn wenn man den grausigen Bildern glauben konnte, die halb verdeckt von Lianen und Schlingpflanzen die Wände verunzierten, so waren in dieser Halle Opferungen vonstattengegangen. Viele Opferungen. Emanuelle führte ihre drei Begleiter auf dem Weg zurück, auf dem sie gekommen waren und versuchte sich den Aufbau des Tempels ins Gedächtnis zu rufen. Allerdings musste sie zugeben, dass selbst die Konstruktionsskizze eines Gyrofrosteisreflektors einfacher zu behalten war als der richtige Pfad durch diesen versumpften Tempel. Gedankenversonnen kaute sie auf ihrer Unterlippe herum und betrachtete eine Stelle des Ganges, an dem die Bodenplatten geborsten waren. Es muss einen einfacheren Weg geben, überlegte sie. Wenn wir weiter in diesem Labyrinth herumirren, erwischen uns am Ende entweder die Trolle oder die Drachen. Ich werde einen direkteren Weg nach unten finden müssen. „Ich habe eine Idee.“, sagte sie laut. „Los, geht mal da hinten in Deckung. Ich versuche etwas.“ Während ihre Begleiter wieder zurück um die Biegung des Ganges liefen, beförderte Emanuelle mehrere Päckchen aus dem Inneren ihrer bodenlosen Tasche nach oben. Sie war eigentlich kein großer Freund von Sprengstoff, aber manchmal reichte es eben einfach nicht, nur mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Da mussten härtere Mittel her. Sie war sich zwar nicht sicher, ob es ratsam war, eine Blitzbombe mit einer elementaren Zephyriumladung und mehreren Stangen EZ-Thro-Dynamit zu koppeln, aber was sollte schon schief gehen. Im schlimmsten Fall sprengte sie den gesamten Tempel oder es passierte gar nichts. Die Gnomin überlegte, ob sie zunächst noch ein paar Wahrscheinlichkeitsberechungen anstellen sollte, doch vermutlich hätte das die Geduld ihrer Begleiter weit überstiegen. „Ich lasse es einfach mal drauf ankommen.“, murmelte sie, zündete die Lunte und rannte dann so schnell ihre kurzen Beine sie trugen, ebenfalls in Deckung. Die Explosion erschütterte den Rundgang. Steine stürzten von der Decke hinab und mit der Druckwelle wurde ihnen eine ganze Ladung Staub entgegengeblasen. Eine der großen Schlangenstatuen kippte von ihrem Sockel und begrub einen kunstvoll arrangierten Schädelhaufen unter sich. Knochenmasken fielen von den Wänden und polterten zu Boden. Erschrocken hielt Emanuelle sich am Bein des Druiden fest. Vielleicht hätte sie doch ein oder zwei der Dynamitstangen weglassen sollen. „Was bei Elunes Gnade war das?“, ächzte der Priester und schüttelte sich den Staub aus den Haaren. „Eine Explosion?“, antwortete Emanuelle vorsichtig. „Ich habe uns einen Weg gemacht.“ „Ich dachte, Ihr kanntet den Weg.“, grollte der große Druide, der wie eine lebendig gewordene Gewitterfront vor Emanuelle aufragte. Man konnte förmlich die dunklen Wolken sehen, die um seinen Kopf schwebten. Sogar mit kleinen Blitzen darin. „Nun ja, ich wusste, wir müssen nach unten.“, gab Emanuelle ausweichend zurück. „Und da es gerade keinen passenden Gang dafür gab...habe ich halt einen in den Fußboden gesprengt.“ „Tut. Das. Nie. Wieder.“, knurrte der Druide. Er pflückte die Gnomin von seinem Bein und hielt sie auf Augenhöhe vor sich. „Habe ich mich da klar ausgedrückt?“ „Völlig klar.“, nickte Emanuelle schüchtern. „Aber jetzt lasst uns sehen, wohin das Loch führt. Ich meine, wo es doch schon einmal da ist.“ „Also schön.“, grollte der Druide. „Aber diesmal gehe ich voran.“ Der Gang, den sie durch das Loch in der Decke betraten, war – auch wenn Emanuelle das nicht für möglich gehalten hatte – noch dreckiger und verkommener als der Rest des Tempels, den sie bis jetzt gesehen hatte. Würmer und Maden wimmelten in den Ecken herum und Schimmelgestank hing in der Luft. Der Boden war mit einer weichen, schmierigen Schicht überzogen, die an den Schuhen klebte. Und hatte sich diese Schleimpfütze dort hinten gerade bewegt? Emanuelle schauderte etwas. Die Ausstrahlung des mächtigen Bösen, dem sie sich näherten, war stärker geworden. Ein Blick auf ihre nachtelfischen Freunde verriet ihr, dass auch sie es zu spüren schienen. Ihre Minen waren angespannt, ihre Blicke geisterten umher auf der Suche nach etwas, das der Ursprung dieses Unbehagens sein konnte, das sie alle befallen hatte. Das konnte so nicht weitergehen. Emanuelle beschloss etwas zu tun. „Hey, seht mal. Eine Tür!“ Die kleine Magierin wuselte zu der von einem Moosteppich fast vollständig verborgenen Lücke in der Wand und schlüpfte zwischen den fauligen Pflanzen hindurch. Die Öffnung führte zu einer Plattform, deren größter Teil von einer Schlangenstatue eingenommen wurde. Das Tier war aufgerichtet dargestellt und der Kopf mit dem weit aufgerissenen Rachen sah in Richtung der Mitte eines kreisrunden Raumes. Wie Emanuelle schnell feststellt, befanden sich rund um den Raum verteilt fünf weitere Statuen, die der ihren aufs nicht vorhandene Haar glichen. Die Gnomin blickte nach unten und sah dort eine halb mit Wasser gefüllte Grube. Ein Stück weiter führte eine breite Treppe nach oben, an deren Ende ein großer Steinblock stand. Vermutlich ein Altar, der ebenfalls von zwei Schlangenstatuetten flankiert wurde. Über dem Ganzen spannte sich eine hohe, steinerne Kuppel, in deren Mitte ein kreisrundes Loch gähnte. Emanuelle berechnete schnell dessen Lage und Größe und war sich sicher, dass es sich um dasselbe Loch handeln musste, was sie bereits von der anderen Seite in der Halle der Opferungen gesehen hatte. Sie waren also am Ziel. Bevor irgendeiner der Nachtelfen reagieren konnte, war Emanuelle schon über die Kante der Plattform gehüpft. Sie machte sich nicht die Mühe, vorher ihren Fallschirmumhang anzulegen, sondern benutzte lediglich kurz vor dem Aufkommen auf der Wasseroberfläche ihren Blinzelzauber, der sie sogleich neben den großen Altar teleportierte. Von irgendwo über sich konnte sie gedämpftes Fluchen in der vokalreichen Sprache der Nachtelfen hören. Doch für so etwas hatte sie jetzt keine Zeit. Eilig trippelte sie um den Altar herum und sprang schließlich mit einem beherzten Satz hinauf. „Aha.“, sagte sie und fuhr mit dem Finger über die Oberfläche der rauen Steinplatte. In diese waren Figuren eingemeißelt worden. Ein Kreis mit sechs gleichartigen Schlangensymbolen und in der Mitte… „Meine Mama hat zwar immer gesagt, dass man rote Knöpfe nicht drücken soll, aber der hier ist ja nicht rot.“, sagte Emanuelle zu sich selbst und betätigte den Knopf. Gleich darauf hörte sie über sich einen Aufschrei. Sie blickte nach oben und traute ihren Augen nicht. Eine der sechs Schlangenstatuen war in ein unheimliches, grünes Glühen gehüllt, das kurz darauf wieder verschwand, nur um an einer anderen Statue aufzutauchen. Emanuelle kniff die Augen zusammen und drückte den Knopf erneut und das Phänomen wiederholte sich. Sie drückte noch einmal und… „Was glaubt Ihr eigentlich, was Ihr da tut?“, grollte jemand hinter ihr wütend. Emanuelle brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer dort stand. „Ich…seht doch selbst.“, rief sie aufgeregt. „Die Lichter. Sie beleuchten die Statuen immer in derselben Reihenfolge.“ „Und?“ Die Stimme des Druiden war eine einzige Drohung. „Ich habe Schleifspuren auf der Plattform mit der Statue gesehen.“, erklärte Emanuelle begeistert. „An diesen Stellen war überhaupt nichts von diesem schmierigen Zeug, das hier überall klebt. Das heißt, dass die Statuen beweglich sind. Und die Lichter zeigen die Reihenfolge, in der man sie drehen muss.“ Sie strahlte den großen Nachtelfen an, der ob ihrer Entdeckung für ihren Geschmack ruhig ein wenig mehr Begeisterung hätte zeigen können. Sie fand diesen Fund zumindest ziemlich erstaunlich. „Was passiert, wenn man die Statuen dreht?“, fragte er misstrauisch. „Ich habe keine Ahnung.“, antwortete Emanuelle fröhlich. „Finden wir es heraus. Los, geht schon! Zuerst die da drüben.“ Der Druide sah sie an, als wäre sie vollkommen übergeschnappt. Emanuelle machte große Augen und zog einen Schmollmund. Er würde doch wohl jetzt nicht etwa sagen wollen, dass sie das nicht tun und unverrichteter Dinge wieder gehen würden. „Also schön. Aber nur auf Eure Verantwortung.“ Easygoing war nicht wohl bei der Sache. Fünf der Statuen hatte er zusammen mit Deadlyone bereits umgedreht. Die Tatsache, dass ihnen dies so leicht gefallen war, bestätigte augenscheinlich die Theorie der kleinen Magierin. Aber was würde geschehen, wenn sie jetzt nun die sechste und letzte Statue herumdrehen würden? Sicherlich würde wieder dieses grüne Leuchten wie aus dem Nichts erscheinen und die Statue darin eintauchen, so wie es schon bei den letzten Malen passiert war. Aber das würde bestimmt nicht alles sein. Zweifelnd blickte er noch einmal im Kreis, wo die fünf anderen Standbilder immer noch in ihren Lichtkreisen standen. „Ich habe ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.“, sagte sein Bruder. Die Wirkung des Unsichtbarkeitstrankes begann inzwischen zu verfliegen und zusammen mit dem Ruß der Mumien und dem Dreck, der sich inzwischen auf ihnen allen angesammelt hatte, konnte man die Figur des Schurken inzwischen zumindest wieder erahnen. „Ich auch.“, gab Easygoing zu und drehte die letzte Statue herum. Zunächst erschien nur das grüne Leuchten. Die beiden Nachtelfen nickten sich zu und sprangen beide gleichzeitig in die Tiefe der wassergefüllten Grube. Ihre Füße hatten kaum den Boden berührt, als dieser zu zittern begann. Die Wasseroberfläche kräuselte sich in konzentrischen Wellenbewegungen zusammen. Steine schienen sich im Untergrund zu verschieben und dann tauchte der Kopf einer weiteren Schlangenstatue zwischen ihnen auf. Langsam schob sich das Steingebilde aus dem Wasser, bis sie schließlich die anderthalbfache Größe ihrer Schwestern erreicht hatte und das Beben erstarb. „War das alles?“, hörte Easygoing seinen Bruder noch sagen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung sah. Er drehte sich herum und erblickte den größten Troll, dem er je begegnet war. Sofern diese Kreatur überhaupt ein Troll war. Das Wesen, das nur aus Muskeln zu bestehen schien, die sich unter seiner orangebraunen Haut spannten, knurrte. Gesicht und Arme waren mit grellgelber und blauer Farbe bemalt worden, die ein abschreckendes Muster bildeten. Das wäre allerdings anhand der riesigen Pranken und gigantischen Hauer, die aus dem Unterkiefer des monströsen Trolls ragten, überhaupt nicht notwendig gewesen. Eine dicke, dunkle Ader pulsierte auf seiner Stirn. „Alter, wo kommt der denn her?“ Der Kopf des Trollungeheuers ruckte herum und seine kleinen, tückischen Augen fixierten Easygoing, der unwillkürlich einen Schritt zurückwich. „Altal’alarion wird heute gut speisen.“, grollte das Wesen, dessen Stimme die Nackenhaare des Druiden zum Sträuben brachte. „Ich fresse eure Knochen.“ Mit einer Geschwindigkeit, die man einer so großen Kreatur gar nicht zugetraut hätte, sprang der monströse Troll vor und holte gleichzeitig zum Schlag aus. Die Pranke traf Easygoing und katapultierte ihn durch den halben Raum. Er krachte auf den Boden, rollte sich ab und war wieder auf den Füßen. Schon war der Troll heran und holte erneut aus. Doch diesmal war der Druide vorbereitet. Er wechselte blitzschnell in seine Bärenform und stemmte die Hinterbeine in den Boden. Die Wucht des Schlags ließ seine Knochen knacken. Seine Krallen schabten haltlos über den glitschigen Boden und er wurde gegen die nächste Wand geworfen. Benommen schüttelte er den pelzigen Kopf, als ihn bereits der nächste Schlag traf. Gequält brüllte der Bär auf und grub seine Zähne in den Arm des Trolls. Der grunzte und schüttelte seine Gliedmaße samt dem daran hängenden Bären, bis dieser im hohen Bogen davon geschleudert wurde. Wieder krachte Easygoing gegen eine Wand. Sein Schädel brummte und vor seinen Augen tanzten dunkle Punkte. Mit getrübtem Blick sah er, wie der monströse Troll auf ihn zukam. Er schüttelte erneut den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden, als der Troll plötzlich zusammenzuckte. Brüllend langte er mit seinen riesigen Pranken nach seinem Rücken und drehte sich dabei um sich selbst. Dunkles Trollblut schoss in einer sprühenden Fontäne aus seinem Hals und benetzte den bis eben noch fast unsichtbaren Schurken, der wie eine Katze auf dem Rücken des Trolls saß und wie ein Besessener mit seinen Dolchen auf das Wesen einstach. Schließlich erwischte ihn der gigantische Gegner jedoch und schmetterte ihn zu Boden. Der riesige Troll hob seinen Fuß. Er brüllte und wollte Deadlyone zerstampfen. Da schoss ein Feuerball heran und traf das Ungeheuer direkt in den gewaltigen Rachen. Vor Schmerzen winselnd fasste es sich an den Hals. Es röchelte, hustete Blut. Dann brach der monströse Troll mit einem Grunzen zusammen und blieb regungslos im seichten Wasser liegen. Easygoing fühlte die Anspannung des Kampfes aus sich weichen. Zurück blieben nur der dumpfe Schmerz der unzähligen Blutergüsse und das Stechen eines verstauchten Knöchels. Wortlos hielt er Ceredrian seinen Arm hin, als dieser herbeieilte und ihn heilen wollte. Der Kampf mit dem Troll hatte den Druiden mehr ermüdet, als er zugeben wollte. Er dankte dem Priester mit einem Nicken und betrachtete dann seinen toten Gegner. „Na das nenne ich mal einen Tempelwächter.“, sagte Emanuelle. Die kleine Magierin hüpfte die letzten Stufen der Treppen hinunter und eilte zu dem gewaltigen Berg toten Fleisches. Mit großen Augen piekte sie in die dicke Hau, befühlte die mächtigen Hauer und machte sich dabei eifrig Notizen in ihr kleines Büchlein. Ihr Blick blieb an der Ader hängen, die quer über der Stirn des toten Trolls immer noch pulsierte. „Wie erstaunlich.“, sagte sie und wollte danach greifen. „Vorsicht.“, raunte Deadlyone neben ihr und hielt ihre Hand fest. Er nahm einen seiner Dolche und ritzte die Oberfläche der Ader. Eine schwarze Flüssigkeit quoll daraus hervor. Der Schurke benetzte seine Fingerspitze damit, roch daran und steckte sie schließlich in den Mund. Unverzüglich verzog er das Gesicht und spuckte aus. „Wie ich es mir dachte. Das hier ist die Fäulnisranke, von der Torwa Pathfinder sprach. Kein Wunder, dass der Troll immun war gegen das Gift auf meinen Klingen.“ Mit zwei schnellen Schnitten hatte er die Ranke vom Gesicht des Trolls entfernt. Sie wand sich unter seinen Fingern wie eine Schlange und der Schurke beeilte sich, sie in einen kleinen Beutel zu stecken. Das zappelnde Ding reichte er dann an Easygoing weiter. „Hier, Bruder. Das war deine Aufgabe. Jetzt darfst du sie auch tragen.“ Der Druide nahm den Beutel entgegen und betrachtete noch einmal den Troll, bevor er seinen Blick durch den Raum schweifen lies. „Es gibt eine Sache, die ich nicht verstehe.“, sagte er. „Wenn das hier der Tempelwächter war, von dem der Taure sprach…was hat er dann bewacht?“ Ceredrian, der neben Easygoing der großen Schlangenstatue in der Mitte der Halle am nächsten stand, runzelte plötzlich die Stirn. Er sah zu den Balkonen hinauf, auf dem immer ihre leuchtenden, kleineren Ebenbilder standen. Schließlich sah er zu dem Altar ganz am Ende der Treppe empor. „Wir sollten sie drehen.“, sagte er plötzlich. „Wie bitte?“ Deadlyone pochte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. Eine Geste, die man dank seiner zurück kehrenden Sichtbarkeit inzwischen schon wieder gut erkennen konnte. Er wirkte jetzt durchscheinend wie ein Geist. „Ich hab jetzt schon sechs von diesen verdammten Dingern gestemmt. Da drehe ich doch nicht auch noch an der großen rum.“ „Aber er könnte Recht haben.“, mischte Emanuelle sich ein. „Atal’alarion bedeutet so viel wie ergebene Stärke. Es muss einen Sinn gehabt haben, diese Kreatur hier einzusetzen. Vielleicht, weil er in der Lage war, die Statue zu bewegen.“ Easygoing blickte von der Statue zu dem Altar und wieder zurück. „Gut.“, nickte er. „Drehen wir sie so, dass ihr Kopf zum Altar zeigt.“ Sie schoben und drückten, zerrten und zogen. Millimeter um Millimeter bewegte sich die Schlangenstatue vom Fleck. Schweiß perlte von Easygoings Stirn, als er sich ein letztes Mal gegen den Sockel der Statue stemmte, bis der schwere Stein sich endlich in seine anvisierte Position begab. Wieder erschien das grüne Licht um die Statue und der Boden begann zu vibrieren. „Da!“, rief Emanuelle und deutete aufgeregt auf die Treppe zum Altar. Mitten in den Stufen war ein ständig breiter werdender Riss erschienen. Rumpelnd glitten die Steine weiter und weiter zur Seite, bis sich schließlich ein Durchgang öffnete. Muffige, eigenartig süßlich stinkende Luft wehte ihnen entgegen. Easygoing fühlte Ekel seine Kehle hinaufkriechen. „Riecht ihr das.“, sagte Ceredrian. „Das riecht wie…“ „Blut.“, beendete Easygoing den Satz. „Sehr viel Blut.“ Voller böser Vorahnungen setzte sich der Druide fast widerwillig in Bewegung. Er wusste, dass sie die düsteren Katakomben, die sich vor ihnen aufgetan hatten, betreten mussten. Dort unten, das spürte er deutlich, lag die Quelle der bösen Mach, die den Tempel in ihrem Würgegriff hielt. Doch alles an ihm wehrte sich dagegen und der Übelkeit erregende Blutgestank wurde überwältigend. „Elune steh uns bei.“, murmelte Ceredrian neben ihm und dann tauchten die drei Nachtelfen und die kleine Gnomenmagierin ab in die düstere Welt des Blutgottes. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)