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Magenta III

Im Bann der Aspekte
von

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Die große Maskerade

Tief unter dem Felsmassiv des Blackrocks kamen Magenta die Worte lebendig begraben in den Sinn, während sie an Abbefarias Seite durch das muffige Dunkel des Gefängnisblocks schlich. Von irgendwo her drangen die Schreie unglücklicher Gefangener an ihr Ohr. Eine Frau weinte bitterlich und ein Mann rief immer wieder, dass ihn doch jemand befreien möge.
 

Magenta wünschte, dass die beiden endlich aufhören würden. Nicht nur, weil das Gewimmer die Stimmung noch zusätzlich drückte, nein, die Hexenmeisterin hatte auch gesehen, was mit denjenigen geschah, deren Geschrei die Wärter überdrüssig geworden waren. Die Käfige, in denen die halbverrotteten Kadaver dieser Unglücklichen vor sich hin moderten, hingen als deutlich sichtbare Warnung am Eingang der Höhle. Andere Gefangene hatten sich in letzter, verzweifelter Hoffnung auf Rettung an die Gitter geklammert, die über den im Boden eingelassenen Gruben angebracht waren, und waren in dieser Haltung verendete. Magenta wusste das, da vorhin bereits die mumifizierten Fingerknöchel eines dieser Unglücklichen unter ihren Füßen zerbröselt waren. Eine Tatsache, die ihr bei der Erinnerung an das Gefühl unter ihren Sohlen und das begleitende Geräusch immer noch eine Gänsehaut bereitete.
 

Wiederholt ertappte Magenta sich dabei, dass sie instinktiv nach Abbefarias Hand greifen wollte. Aber das ging natürlich nicht. Zuerst einmal war das fürchterlich albern und weibisch und die Hexenmeisterin wollte sich auf gar keinen Fall eine Blöße geben, auch wenn der Nachtelf im Gegensatz zu ihr vermutlich sogar sah, wohin er trat. Und zum Zweiten mussten sie gegenüber den Patrouillen von Dunkeleisenzwergen, denen sie immer wieder begegneten und die sie mehr als misstrauisch musterten, ihre Tarnung als entmutigte Gefangene aufrecht erhalten. Wie Schakal bereits vorausgesagt hatte, wurden die wandernden Wachen von riesigen, hässlichen Hunden begleitet, deren kurzes Fell die Farbe geronnenen Blutes hatte. Auch vor den unzähligen Türen, an denen die kleine Gruppe vorbeikamen, standen schwer bewaffnete Posten und mehr als einmal hob eine der Bestien in ihrer Mitte den Kopf mit der struppigen, gelben Mähne, um warnend in ihre Richtung zu grollen. Doch ein Wink und ein leises Wort von Abbefaria ließen die Tiere jedes Mal wieder den Schädel auf die Pfoten legen und schläfrig die Lieder über den böse funkelnden Augen senken.

„Sie mögen aussehen wie Dämonen, aber es sind trotzdem nur Kreaturen von dieser Welt,“ flüsterte Abbefaria leise.

„Das beruhigt mich nicht im Geringsten.“, zischte Magenta zurück. „Wir laufen hier bestimmt schon seit Stunden herum und haben noch keine Spur von Marschall Windsor entdecken können. Irgendwann wird uns noch jemand auf die Schliche kommen.“

„Der Gedanke ist mir auch schon gekommen.“, murmelte Schakal halblaut und bückte sich, als müsse er seinen Stiefel neu schnüren. „Wir brauchen einen Plan.“

„Wir könnten nacheinander alle Wachen ausschalten und nachsehen, hinter welcher Tür der Marschall verborgen ist.“, schlug Abbefaria vor, während er den Kopf gesenkt hielt, um nicht von einer Patrouille bemerkt zu werden, die ganz in der Nähe vorbeilief.

„Und was machen wir mit den Leichen, Schlaumeier?“, grunzte Schakal. „Nein, es muss einen Weg geben, um…“
 

Schakals Ausführungen wurden von einem unmenschlichen Schrei unterbrochen, der von den steinernen Wänden des Gefängnisblocks wiederhallte. Dem Schrei folgte eine keifende Frauenstimme.

„Euer Widerstand ist zwecklos. Redet endlich, Narr! Was wolltet Ihr im Blackrock?“

„Nehmt Eure dreckigen Finger von mir, Hexe!“, war die Antwort, die ansatzlos in ein schmerzverzerrtes Stöhnen überging. „Ihr…werdet…das Geheimnis…niemals…“

„Ihr seid ein Narr, Windsor!“, lachte die Frauenstimme. „Ich habe Mittel und Wege Euch zum Sprechen zu bringen.“

Das Zischen von heißem Eisen, das auf verwundbares Fleisch traf, wurde überlagert von einem weiteren Schmerzensschrei, der ebenso abrupt abbrach, wie er begonnen hatte.

Magentas Blick klebte förmlich an dem hellen Rechteck, das weniger Meter vor ihnen einen Eingang erkennen ließ. Schatten bewegten sich vor dem ungewohnt hellen Licht des mit Fackeln beleuchteten Raums, aus dem jetzt das Geräusch rasselnder Ketten drang.

„Schafft ihn mir aus den Augen!“, befahl die herrische, weibliche Stimme. „Und bringt die Tafeln, die wir bei ihm gefunden haben, zu General Angerforge. Wenn der Marschall uns sein Geheimnis nicht verraten will, werden wir es halt selbst herausfinden müssen. Seine Gebeine mögen derweil hier unten im Kerker verrotten.“

„Zu Befehl Verhörmeisterin Gerstahn.“

Noch mehr Kettengerassel war zu hören und kurz darauf schleppte eine Truppe von Dunkeleisenzwergen einen leblosen, mit Fußfesseln und Handschellen versehenen Körper über die Schwelle des Raumes. Einer der Zwerge trug etwas vor sich her, das Magentas nicht erkennen konnte, die anderen schleiften den Bewusstlosen über den Boden.

„Da ist der Marschall.“, wisperte Abbefaria. „Was machen wir jetzt?“

„Wir folgen ihnen.“, antwortete Schakal. „Wenn wir erst mal wissen, wohin sie ihn bringen, schnappen wir uns den Geheimnisträger. Irgendwas sagt mir, dass das, was er bei sich hat, nicht unbedingt in die Hände der Dunkeleisen fallen sollte.“
 

Die Dunkeleisenzwerge brachten ihren Gefangenen in eine der nahen Zellen, die sich äußerlich nicht von den anderen unterschied. Ein Wärter drehte den großen, eisernen Schlüssel zweimal im Schloss, dann postierte sich je eine Wache rechts und links der dicken, verwitterten Holztür.

„Meint ihr, ihr schafft die beiden allein?“, wollte Schakal wissen und deutete mit dem Daumen auf einen davon eilenden Zwerg. „Dann schnapp ich mir den Burschen da.“

„Kein Problem.“, versicherte Abbefaria.

„Gut, aber macht leise.“, knurrte Schakal. „Wir wollen doch keine unnötige Aufmerksamkeit auf uns lenken.“

Einen Augenblick später war der Schurke in den Schatten verschwunden.

Magenta schluckte und sah Abbefaria an. „Wie...ich meine…wie sollen wir…“

„Sie töten?“, beendete Abbefaria ihren Satz. „Ich weiß nicht. Ich überlege noch, wie sich das vermeiden ließe.“

„Wir könnten sie bewusstlos schlagen und dann fesseln und knebeln.“

Womit denn, Eure Holzköpfigkeit?, nölte es in Magentas Kopf. Ihr habt wederTaue noch sonst irgendwas dabei. Und ganz davon abgesehen, dass so eine kleine Strippe einen Zwerg vermutlich ohnehin nicht lange im Zaum halten würde, sind deine Knoten auch nicht gerade das, was man auf der Seemannsschule lernt.

„Stimmt.“, antwortete Magenta und erntete dafür einen eigenartigen Blick von Abbefaria.

„Ich mag es nicht, wenn du mit…ihm so sprichst.“, brummte der Druide und setzte gleich darauf hinzu: „Hat er wenigstens eine gute Idee, wie wir die Wachen ausschalten?“

Magenta lauschte und verzog das Gesicht. „Er sagt, du seist ja nur eifersüchtig und dass es nicht seine Aufgabe sei, für eine anständige Planung zu sorgen. Das stände nicht in seinem Vertrag.“

Abbefaria knirschte mit den Zähnen. „Sag ihm, dass ich ihn gleich allein zu den Wachen schicke.“

„Er sagt, du kannst ihn mal.“

„Was?“

Magenta presste die Hände gegen die Stirn. „Aufhören jetzt. Alle beide. Ich kriege Kopfschmerzen davon. Vor allem hilft uns das überhaupt nicht weiter, denn die beiden Wachen stehen immer noch da vorne und…hey, wo sind sie hin?“

„Ich dachte mir, bevor ihr euch irgendwann mal entschieden habt, übernehme ich das lieber.“, Schakals gedrungene Gestalt schälte sich aus dem Dunkel. Der Zwerg wischte sein Kurzschwert an seinem Wams ab und steckte es wieder an den Gürtel. „Kommt jetzt, wir müssen die Leichen wegschaffen, bevor sie jemand bemerkt.“

„Was ist mit dem anderen Zwerg?“, fragte Magenta und verstummte, als sie Schakals Blick auffing. Manche Dinge sollte man vielleicht nicht unbedingt genau wissen wollen.
 

„Wartet einen Augenblick.“, sagte Schakal und fing an, sich an dem Schloss der Zellentür zu schaffen zu machen. Es knirschte und knackte, Schakal fluchte ein paar Mal halblaut auf Zwergisch und dann schwangen die schweren Bolzen lautlos nach außen auf.

„Man sollte meinen, dass so eine Tür bedrohlich knarrt oder so.“, murrte der Schurke und wickelte sein Diebeswerkzeug wieder in das Futteral. „Bitte nach Euch, meine Dame.“

Magenta schluckte und trat dann durch die dunkle Öffnung in das Innere der Zelle. Der Geruch von schimmelndem Stroh, Urin und ungewaschenen Körpern schlug ihr entgegen und raubte ihr für einen Augenblick den Atem. Kaum hatte sie jedoch wieder einen Zug der widerlichen Mischung genommen, stürzte plötzlich eine Gestalt mit einem Wutschrei aus dem Dunkel auf sie zu.

Geistesgegenwärtig riss Abbefaria Magenta aus dem Weg, so dass die strauchelnde Gestalt neben ihr zu Boden ging. Magenta hörte das trockene Klatschen von Schlägen, dann wurde es plötzlich vollends dunkel um sie herum, als die Tür zuschlug. Grunzen, Schauben und das Klirren von Ketten klang aus der Finsternis zu ihr heran, etwas streifte ihren Knöchel, und ein gedämpfter Fluch in der Sprache der Nachtelfen erklang neben ihr, gefolgt vom dumpfen Stöhnen eines getroffenen Druiden, der zu Boden ging. Das war der Augenblick, in dem es Magenta endgültig reichte. Sie murmelte die Formel, die Pizkol beschwor und brachte so endlich Licht ins Dunkel.
 

Vor ihr auf dem Boden lagen Abbefaria und Schakal im Clinch mit einem muskulösen Mann. Sein bloßer Oberkörper war von Wunden und Striemen gezeichnet und sein rechtes Auge begann gerade zuzuschwellen und so den Abdruck einer Zwergenfaust zu bilden. Aus seinem Nasenloch lief eine Spur getrockneten Blutes in einem buschigen, hellbraunen Schnurrbart, der jedoch längst nicht mehr so gut ausrasiert war, wie es sich für einen Offizier der Garde von Stormwind gehörte. Trotzdem bestand kein Zweifel, dass es sich bei diesem Kämpfer um Marschall Windsor handelte.

„Was zum…“, entfuhr es dem Marschall. „Ihr seid keine Dunkeleisen-Zwerge!“

„Gut erkannt, Meister.“, knurrte Schakal. „Und könntet Ihr jetzt vielleicht aufhören, mir den Arm auskugeln zu wollen? Vielen Dank.“

Die drei Kämpfer rappelten sich mühsam auf, wobei Marschall Windsor keinen von ihnen aus den Augen ließ. Selbst jetzt, da der Mann in Eisenketten gefesselt war, wirkte es, als könnte er diese Ketten mühelos in Waffen verwandeln. Die Kette, die ihn wohl eigentlich an die Wände seiner Zelle hatte ketten sollen, lag herausgerissen zu seinen Füßen.

„Wer seid Ihr?“, blaffte Marschall Windsor. „Und sprecht rasch, bevor ich es mir anders überlege und Euch doch noch allen den Hals umdrehe.“

„Wir sind gekommen, um Euch zu befreien.“, beeilte Magenta sich zu versichern. „Marschall Maxwell schickt uns. Also, naja, nicht direkt. Eigentlich hat er ja Emanuelle…“

„Wir haben mit dem Struppigen John gesprochen.“, unterbrach Schakal Magentas Geschichte, die wieder einmal drohte, sich in Details zu verlieren. „Er hat uns gesagt, wo Ihr zu finden seid.“

„Elender Feigling.“, knurrte Windsor, ließ jedoch die immer noch geballten Fäuste sinken. „Und Maxwell schickt Euch? Also hat er jetzt meinen Posten übernommen. Fein. Dann kann er sich jetzt mit diesem Idioten in Stormwind herumschlagen.“

„Von…von wem sprecht ihr?“, wagte Abbefaria zu fragen.

„Von wem ich spreche?“, fuhr Windsor auf. „Ich spreche von diesem Dummkopf Bolvar, Nachtelf. Ich war gerade dabei, ihm seinen kostbaren Beweis beschaffen, damit ich ihm ihn in den Rachen stopfen kann. Das ist es doch, warum Ihr hergekommen seid, nicht wahr? Aber Bolvar ist ein so verblendeter Idiot, dass er den Beweis nicht mal erkennen würde, wenn er ihn in die Nase beißen würde. Geschweige denn, dass er ihm tagtäglich in die Augen sieht. Aber es ist ohnehin alles umsonst. Meine Informationen sind verloren. Weg. Unwiederbringlich.“

Marschall Windsor bleckte die Zähne und ballte die Fäuste erneut. „Aber sollte ich jemals meinen Eisenfeind wiederbekommen und es aus diesem Labyrinth herausschaffen, dann marschiere ich geradewegs nach Stormwind und platziere meinen Hammer genau zwischen die Augen dieses widerlichen Reptils.“

Mit glühenden Augen fuhr er zu den drei Abenteurern herum. „Was? Seid ihr immer noch hier? Macht es Euch Spaß, das Los eines gebrochenen Mannes zu verspotten. Geht, und berichtet Bolvar oder wem auch immer, dass es keinen Beweis geben wird.“

„Ihr meint einen Beweis, wie diesen hier?“, fragte Schakal und zog etwas aus seiner Westentasche hervor.

Die Augen des Marschalls wurden groß. Er sprang auf und riss Schakal die Gegenstände aus der Hand und hockte sich damit in eine Ecke des Kerkers.

„Die Schrifttafeln.“, flüsterte er und fuhr mit den Fingern über die steinernen Tafeln, als könne er nicht glauben, was er da sah. „Wie habt Ihr sie bekommen?“

„Och, war gar nicht so schwer.“, grinste Schakal. „Ich hatte zwei ziemlich bestechende Argumente.“

Magenta räusperte sich. „Wenn ich mal kurz fragen dürfte: Was steht darauf? Und warum sind sie überhaupt aus Stein.“

Marschall Windsor kicherte. „Weil Drachen sich mit Pergament immer etwas schwer tun. Es brennt einfach zu leicht. Aber genug jetzt der Vorrede. Wir müssen diese Informationen sofort zu Hochlord Bolvar schaffen. Ich will endlich sein blödes Gesicht sehen, wenn ihm klar wird, dass ich die ganze Zeit Recht hatte.“
 

Marschall Windsor sprang voller Tatandrang auf und sah an sich herab. „Wir müssen meine Ausrüstung wieder beschaffen. Zu schade, dass ich Eisenfeind diesem elenden Zwerg überlassen muss. Aber wir haben keine Zeit zu verlieren. Thaurissan muss warten.“

„Ihr wisst, wo Dagran Thaurissan ist?“ Schakal wurde plötzlich ebenfalls hektisch. „Wart Ihr bei ihm? Habt ihr vielleicht eine…ähm…Zwergin in seiner Nähe gesehen?“

Marschall Windsor musterte Schakal, als sei er derjenige, er gerade noch Wortschwälle voller Kauderwelsch von sich gegeben hätte. „Ob ich eine…habt ihr mal genau hingesehen? Hier wimmelt es von Zwergen. Wobei…jetzt wo ihr es sagt…“

„Ja?“ Schakals Augen leuchteten jetzt ebenso erwartungsvoll wie die des Marschalls.

„Da war eine Zwergin. Nicht, dass ich viel gesehen hätte, als sie mich durch den ganzen, verdammten Berg getrieben und mich ihrem König zu Füßen geworfen haben. Der schwadronierte irgendwas vom rechtmäßigen Erbe der Zwerge und nahm mir meinen Hammer. Als ich ihn mir wiederholen wollte, stand neben dem König eine Zwergin, die anders aussah, als der Rest. Hatte irgendwie hellere Haut. Ganz hübsch auf ihre Art.“

„Das war die Prinzessin.“, jubelte Schakal. „Sie lebt!“

„Prinzessin?“ Windsor kratzte sich mit der Hand über das Kinn. „Ich hab sie eigentlich für die Königin gehalten, wie sie da so neben dem Zwerg mit meinem Hammer stand und irgendwas von ihrem geliebten Mann und ihrem ungeborenen Kind gefaselt hat. Aber vielleicht habe ich mich auch verhört. Es lag ein ziemlicher Haufen Zwerge auf mir. Ist Euch nicht gut?“
 

Trotz der schwarzen Schminke und der schlechten Beleuchtung, konnte Magenta sehen, dass sämtliche Farbe aus Schakals Gesicht gewichen war. Der Zwerg stand stocksteif da und nur seine Bartspitze zitterte, während seine Lippen tonlos Worte formten.

„Sagtet Ihr Kind?“

„Naja, sie schien schon etwas rundlich.“, überlegte der Marschall. „Aber wer kann das bei Eurer Art schon so genau sagen.“

„Das kann nicht sein.“, murmelte Schakal, während das Blut wieder in sein Gesicht zurückfloss. „Sie kann unmöglich... Ein Kind? Thaurissans Kind? Im Schoß der Prinzessin von Ironforge. Das ist eine Katastrophe! König Bronzebeard wird mich umbringen, wenn er erfährt, dass ein Nachkomme Thaurissans seinen Thron besteigen wird.“

Mitleidig sah Magenta ihren Freund an.

„Es könnte doch sein…ich meine…manchmal überlebt ja ein Kind gar nicht.“, versuchte sie etwas Hilfreiches zu sagen.

Doch Schakal schüttelte nur den Kopf.

„Wenn eine Zwergenfrau erst schwanger ist, dann kann nicht einmal eine Herde Oger sie davon abhalten, den Säugling gesund auf die Welt zu bringen. Ebenso könnte man versuchen, einen Berg daran zu hindern, aus einem Stück Kohle einen Diamanten zu pressen. Es dauert, aber es wird geschehen. Unausweichlich. Es gibt wenig, das sturer ist als ein Zwerg, aber eine Zwergin gehört definitiv dazu.“
 

„Ich unterbreche Eure äußerst brisanten Überlegungen ja nur ungern.“, warf Abbefaria ein, und machte eine entschuldigende Geste. „Aber ich glaube, wir sollten hier nicht allzu lange Zeit abwarten. Irgendwann wird man das Fehlen der Wachen vor der Tür bemerken.“

Schakal nickte. „Ihr habt Recht. Bis das Kind kommt, wird es noch eine ganze Weile dauernd und ich fürchte, das Königreich der Menschen hat so lange Zeit nicht mehr. Brechen wir also aus diesem Gefängnis aus.“

Der Schurke nahm sein Werkzeug und befreite Marschall Windsor von den Ketten. Der Mann reckte und streckte sich und rieb sich die wunden Knöchel.

„Ein prächtiges Gefühl.“, meinte er. „Jetzt brauche ich nur noch etwas guten Stahl zwischen mir und der Welt und dann kann diese schwarze Brut was erleben. Also los, holen wir meine Ausrüstung und dann nichts wie raus hier.“

Mit diesen Worten trat Windsor zur Tür, schmetterte das Holz mit einem gewaltigen Tritt gegen die Wand und brüllte: „Jetzt bekommt Ihr es mit mir zu tun, ihr feigen Hunde. Kommt und stellt Euch zum Kampf. Attacke!“

Magenta, Abbefaria und Schakal sahen Marschall Windsor nach, der mit einem wilden Kampfschrei zur Tür hinaus stürmte. Den Ausdruck auf ihren drei Gesichtern zu beschreiben, hätte es Bände voller Worte wie ‚fassungslos‘ und ‚entsetzt‘ bedurft, aber so viel Zeit hatten sie jetzt nicht.

„Macht schon mal die Schattenblitze klar, Meisterin.“, grinste Pizkol. „Ich glaube, jetzt gibt´s Saures.“
 


 

Die Glieder des Silithiden zuckten noch ein letztes Mal, dann lag der Käfer still auf dem Rücken. Deadlyone zog mit spitzen Fingern seinen Dolch zwischen den Panzerplatten hervor.

„Wenn man erst weiß, wo man ansetzen muss, sind sie gar nicht so schwer zu knacken.“, sinnierte er und wischte den grünen Schleim aus dem Inneren des Käfers an der Innenseite des Silithidenbaus ab. Die Wand bestand aus einem wabenartig aufgebauten Material von undefinierbarer, graugrüner Farbe. Der Schurke legte für einen Moment die Hand darauf und spürte ein schwaches Pulsieren wie von einem Herzschlag. Der ganze Bau war wie ein Geschwür, das die Silithiden in eine Wunde des Kraters gepflanzt hatten und das immer weiter wucherte, wenn er und seine Freunde es nicht schaffen würden, die Königin zu erwischen.

„Eure Majestät, wir bitte um eine Audienz.“, grinste der Schurke und folgte den anderen, die bereits weiter in die verschlungenen Gänge vorgedrungen waren.
 

Im Inneren des Baus herrschte ein feuchtwarmes Klima; stickig, brütend und klebrig wie die zähe Flüssigkeit, die an den Wänden herab lief. Kalbsgroße Käfer mit leuchtenden Hinterteilen hingen wie überdimensionierte Glühwürmchen regungslos an der Decke und spendeten ein diffuses Zwielicht. Überall war ein Knistern zu hören, ein Huschen und Wispern, ein Klacken wie von gewaltigen Kiefern und das rasselnde Geräusch, mit dem die Chitinpanzer der Silithiden aneinander rieben. Deadlyone stieg über den Leichnam eines Käfers, der eindeutige Krallenspuren aufwies, und stieß an einer Kreuzung auf den Rest der Gruppe.

„Wohin jetzt?“, fragte Ceredrian und spähte in einen der Gänge. „Hier sieht es überall gleich aus.“

„Wir gehen nach rechts.“, entschied Emanuelle und trippelte los, ohne eine Antwort abzuwarten.

Deadlyone warf einen Blick in Easygoings Richtung. Der Druide hatte seine Katzengestalt beibehalten und rollte nur mit dem Augen, bevor er der kleinen Magierin folgte. Achselzuckend folgte auch Ceredrian den beiden und Deadlyone stieg schließlich als Letzter in das Loch in der Wand, das er garantiert nicht ausgewählt hätte, wenn ihn jemand gefragt hätte.
 

Die Gänge um sie herum wurden immer enger und verwinkelter. Bald schon streiften die Ohren der Nachtelfen die Decke und es wurde zunehmend schwieriger, den klebrigen Wänden auszuweichen. Auch schien die Temperatur stetig zuzunehmen, was laut Emanuelle ein gutes Zeichen war.

„Wir nähern uns den Brutstätten.“, behauptete sie zuversichtlich.

„Man würde meinen, dass die besser bewacht wären.“, warf Deadlyone ein und schüttelte den Kopf, um den Geruch vom verbrannten Horn eines qualmenden Käfers loszuwerden, den Emanuelle mit einem Feuerball getötet hatte. „Wo sind die Viecher denn alle?“

„Beantwortet das deine Frage?“, wollte Ceredrian wissen und deutete nach vorn. „Ich glaube, das ist unser Begrüßungskommitee.“

In dem Durchgang vor ihnen türmten sich mindestens ein halbes Dutzend Silithiden übereinander. Es waren ausschließlich Drohnen, deren monströse Kiefer drohend auf und zu schnappten, während sie fauchend und zischend umeinander liefen und sich dabei sogar in die Wände und Decken krallten. Die stummeligen Flügel summten aufgeregt hin und her und scheinbar konnten die Kreaturen es nicht erwarten, sich auf die Eindringlinge zu stürzen. Doch…sie taten es nicht.

„Se beschützen das Nest.“, erklärte Emanuelle. „Seht, dort hinten kann man die Brutkammer mit den Eiern erkennen.“

Ceredrian war anzusehen, dass er von der Situation nicht begeistert war. „Was immer durch diese Öffnung will, wird unweigerlich zerfleischt werden. Wir können es unmöglich mit so vielen Silithiden gleichzeitig aufnehmen.“

„Vielleicht müssen wir das auch gar nicht.“, überlegte Emanuelle und tippte sich auf die Nase. „Wartet, ich habe eine Idee.“
 

Bevor jemand sie aufhalten konnte, war die kleine Magierin bereits nach vorn gelaufen. Sie richtete ihren Zeigefinger auf einen der geifernden Käfer und murmelte einen Spruch. Es gab eine kleine Rauchwolke und plötzlich stand zwischen den schwer gepanzerten Silithiden ein kleines, wolliges Schaf und guckte dumm aus der Wäsche. Allerdings nur so lange, bis sich das Vorderbein seines Nebenmannes durch seinen Rücken bohrte. Das schmerzerfüllte Mähen des Schafes ging über in das Todeskreischen eines Silithiden, dessen grünes Blut jetzt den Boden benetzte. Seinen Mitstreiter schien der Verlust jedoch nicht weiter zu kümmern. Er schleuderte den schweren Leichnam von seinem Bein und nahm wieder vor dem Eingang der Bruthöhle Aufstellung, bereit sich auf den nächsten Gegner zu stürzen.
 

„Wie ich es mir gedacht habe.“, sagte Emanuelle und rümpfte die Nase. „Die Drohnen bewachen diesen Eingang. Sie wurden quasi dafür programmiert, alles, was kein Silithid ist und in ihre Nähe kommt, zu attackieren. Sobald der Gegner vernichtet ist, kehren sie wieder an ihren Posten zurück.“

Die Magierin wandte sich an Easygoing, der das Ganze bis dahin mit steinerner Katzenmiene beobachtet hatte. „Soll ich fortfahren oder wünscht Ihr einen ehrlichen Kampf gegen diese Viecher.“

Die Augen des Druiden blitzen auf, doch bevor er sich zurückverwandeln und antworten konnte, kam Ceredrian ihm zuvor. „Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass wir diesen Käfern gegenüber keinerlei Ritterlichkeit beweisen müssen. Bitte, Cousin, lass die Magierin das auf ihre Weise beenden.“

Der Druide starrte den Priester einen Augenblick lang an, dann senkte er in der Andeutung eines Nickens den Kopf. Mit geschlossenen Augen drehte er der Szene den Rücken zu, während aus der Mitte der Silithiden ein weiteres Mähen erklang, gefolgt von einem Kreischen und dem Geräusch eines Silithidenkiefers, dass sich durch den Panzer eines anderen bohrte.
 

Als es vorbei war und Deadlyone den letzten Käfer mit einem gezielten Dolchwurf getötet hatte, als dieser sich in die Brutkammer zurückziehen wollte, war der Weg endlich frei. Vorsichtig stiegen sie über die Überreste der verendeten Käfer und standen kurz darauf in einem hohen Raum, dessen Kuppel in der Mitte von einem mehrteiligen Pfeiler gestützt wurde. An den Wänden saßen wieder die leuchtenden Käfer und ihr gedämpftes Licht fiel auf hunderte von Eiern, die in durchscheinenden Kokons von der Decke hingen oder auf dem Boden festgeklebt waren. In einigen der Kokons regte sich bereits Leben und hier und da konnte man bereits fast vollständig ausgewachsene Larven durch die dünne Haut erkennen.

„Das da muss der Kristall sein.“, flüsterte Emanuelle und wies auf einen metallisch schimmernden Stein in der Mitte des Raumes. „Wenn wir den Köder darüber ausschütten, wird die Königin sicher erscheinen.“

„Und wenn nicht können wir immerhin einen Großteil der Burt vernichten.“, bemerkte Deadlyone.

Die Magierin schenkte ihm einen mitleidigen Blick. „Ihr glaubt doch nicht, dass die die einzige Brutkammer ist? In einem Bau dieser Größe würde ich mindestens zehn wenn nicht mehr solcher Kammern erwarten.“

„Zehn oder mehr?“, echote der Schurke. Sein Blick wanderte über die unzähligen Eier. „Aber das wären ja…“

„Unendlich viele Käfer.“, stimmte Ceredrian zu. „Also los. Je eher wir es hinter uns bringen, desto besser.“

„Gut.“, nickte Emanuelle. „Dann werde ich jetzt den Köder auslegen und hoffen, dass die Königin anbeißt.“
 

Die kleine Magierin wuselte durch das Meer von Eiern und entkorkte die Flasche mit der leuchtend grünen Flüssigkeit. Entschlossen kippte sie den Inhalt des Fläschchens über den Kristall und warf in einer unmissverständlichen Geste die leere Phiole zu Boden.

„Jetzt ist Krieg.“, murmelte sie, während sich der beißende Gestank des Köders langsam im Raum ausbreitete.

Für einige Augenblicke war überhaupt nichts zu hören und selbst das unablässige Schaben und Wispern des Baus schien mit einem Mal auf ein Minimum reduziert zu sein. Dann erklang urplötzlich aus den tiefsten Tiefen des Baus ein Kreischen, dass den Nachtelfen und der Gnomin das Blut in den Adern gefrieren ließ.

„Ich glaube, die Nachricht ist angekommen.“, bemerkte Ceredrian trocken.

Easygoing, der sich für einen Augenblick in seine Nachtelfenform zurückverwandelt hatte, wies die anderen mit einer Geste an, sich an die rückseitige Wand der Brutkammer zurückzuziehen.

„Bleibt hinter mir und versucht, nicht getötet zu werden.“

„Ebenso, Bruderherz.“, murmelte Deadlyone noch, bevor die König im zweiten Eingang der Brutkammer auftauchte. „Möge Elune mit uns allen sein.“
 

Die Königin schon ihren dreieckigen Kopf durch die Öffnung in der Bauwand und zischte ungehalten. Die gewaltigen Kiefer an ihrem Kopf klickten unaufhörlich und die großen, durchsichtigen Flügel auf ihrem Rücken summten wie drei Bienenschwärme. Trotzdem kroch die Königin auf dem Boden, denn ihr Hinterleib war geschwollen und trug offensichtlich neuer Eier für die nächste Brut. Wie ein witternder Hund kroch der gewaltige Silithid vorwärts, während hinter ihr drei Drohnen und mehrere kleine Wespen durch die Öffnung quollen. Die Königin war mit ihrem Hofstaat gekommen.

„Macht Euch bereit.“, flüsterte Ceredrian und packte seinen Kampfstab fester „Sie wird den Schwindel bald bemerken.“

„Ich hatte nicht vor so lange zu warten.“, zischte Deadlyone, holte mit einem seiner Wurfdolche aus und schleuderte ihn nach einer der Wespen. Der gleißende Stahl wirbelte durch die Luft und traf die Wespe zielgenau zwischen zwei Panzerplatten. Mit einem sirrenden Kreischen ging die Wespe zu Boden, wo sie sich zusammenrollte und mit zuckenden Flügeln verendete.

Dem Schrei ihrer Zofe folgte das Wutgeheul der Königin. Ihr war klar geworden, dass sie hier kein neuer Gemahl erwartete, keine weitere Paarungsmöglichkeit, kein neues Leben für den Schwarm. Ihre kalten Insektenaugen richteten sich auf die vier Eindringlinge und sofort wusste die tausendfache Mutter, dass es hier nur ein zu holen gab: Fressen für die hungrigen Mäuler. Ihr schrilles Kreischen gab das Signal zum Angriff.
 

Sogleich schwärmten die Wespen aus, während die Drohnen um die Königin herum Aufstellung nahmen. Mit ohrenbetäubendem Summen stürzten sich die Wespen auf den Gegner, der ihnen am nächsten war. Easygoing öffnete das Maul und brüllte ihnen eine Herausforderung entgegen. Spitze Insektenstachel griffen den Bären von mehreren Seiten gleichzeitig an, kräftige Kiefer schnappten nach den empfindlichen Ohren und versuchten, Augen und Nase zu treffen. Der Druide revanchierte sich mit kräftigen Prankenhieben, doch die flinken Wespen wichen ihm immer wieder aus, um gleich darauf von einer neuen Seite zu attackieren.

„Lasst mich mal ran!“, rief Emanuelle und schleuderte einen gewaltigen Feuerball, der eine der Wespen in Flammen hüllte und zu einem stinkenden Häuflein Asche verbrannte. Sofort ließen die restlichen Wespen von Easygoing ab und stürzten sich auf die Magierin.

„Oh oh. Nicht gut.“, murmelte die und katapultierte sich mit einem schnellen Blinzelzauber außer Reichweite der Angreifer. Aber die Wespen waren flink und verfolgten die Gnomin unbarmherzig. Stachel voran stürzte sich die schnellste von ihnen auf Emanuelle und wurde plötzlich von einer Wand aus goldenem Licht aufgehalten. Wütend stach und stocherte sie auf das Lichtschild ein, doch die Verteidigung hielt.

„Rüstungskunde ist wohl nicht deine Stärke.“, witzelte Deadlyone. Der Schurke katapultierte sich aus dem Stand auf den Rücken der Wespe und durchtrennte mit einem reißen Laut ihre Flügel. Kreischend trudelte die Wespe abwärts und starb, noch bevor sie auf dem Boden aufschlug, an einem gezielten Dolchstoß. Deadlyone landete neben dem zuckenden Insektenkörper, rollte sich ab und federte wieder auf die Füße.

„Pass auf!“, warnte Ceredrian, als sich die Kiefer einer Drohne haarscharf neben dem Schurken mit der Gewalt einer Bärenfalle schlossen. Der Nachtelf entkam mit einem halben Salto rückwärts und brachte sich so außer Reichweite des blitzschnell zustechenden, mittleren Beinpaars. Brüllend stürmte Easygoing heran und rammte die Drohne von rechts, während Emanuelle ihr von der anderen Seite einen Feuerball direkt zwischen den Kiefern versenkte. Doch kaum war die Drohne strauchelnd zu Boden gegangen, nahm schon die nächste ihren Platz ein.

So wogte der Kampf hin und her. Die Zahl der Gegner, die die Königin unterstützen, schien nicht abzureißen, während die Kräfte der Kämpfer langsam zu erlahmen begannen. Sie mussten endlich die Königin selbst in das Gefecht verwickeln.
 

„Die Eier!“, schrie Ceredrian, der sich mit einem schützenden Lichtschild und gezielten Stockschlägen die Silithiden nur mühsam vom Leib hielt. „Vernichtet die Eier.“

„Nicht leichter als das.“, rief Emanuelle zurück. Sie verpasste einer zuschnappenden Drohne eine Maulsperre aus massivem Eis und krempelte die Ärmel hoch. „Dann wollen wir euch doch mal ein bisschen Feuer unterm Hintern machen. DRACHENATEM!“

Ein Gluthauch wehte durch die Höhle und eine Feuerlohne in Form eines Drachenkopfes fegte über das Gelege hinweg. Ein hohes Fiepen und Kreischen war die Antwort und gleich darauf hörten die vier Kämpfer die Königin in höchster Agonie aufschreien. Wie ein blindwütiger Derwisch stürzte sich die Königin auf Emanuelle, um die Mörderin ihrer Kinder mit einem tödlichen Stoß zu durchbohren.
 

Emanuelle war unfähig sich zu rühren, als die Königin sich mit geballter Wut auf sie stürzte. Ihre Magie war mit dem letzten Feuerzauber verbraucht worden, Ceredrian zu weit weg, um noch ein schützendes Schild um sie zu errichten, und alle Klingen dieser Welt wären nicht mehr schnell genug gewesen, um die rasende Silithidenkönigin rechtzeitig zu durchbohren. Die kleine Magierin kniff die Augen zusammen und schlug quietschend die Hände vor das Gesicht.

Da flog plötzlich ein langgezogener Schatten durch die Luft und landete mit einem infernalischen Brüllen auf dem Rücken der Königin. Dolchartige Klauen bohrten sich zwischen die Panzerplatten des Insekts und rissen sie von dem darunterliegenden Fleisch. Ein schwerer Körper drückte das kreischende Biest zu Boden, während rasiermesserscharfe Klauen den empfindlichen Hinterleib zerfetzten. Kräftige Kiefer schlossen sich um die dünne Stelle zwischen Körper und Kopf und zerbrachen die beweglichen Glieder wie Glas. Grünes Blut spritzte in einem hohen Schwall zu Boden, als der Kopf der Königin zu Boden rollte und der zuckende Leib unter Easygoings Gewicht zusammenbrach.
 

Mit dem Tod der Königin brach Panik unter den Silithiden aus. Kopflos flogen und krabbelten sie durch die Kammer und zerstörten dabei noch mehr der kostbaren Eier, bis sie schließlich unter Kreischen und Lärmen aus der zerstörten Brutkammer stürzten und dabei Teile der erlegten Königin mit sich zerrten, die sich um ihre langen Glieder gewickelt hatten.

Als sie verschwunden waren, legte sich eine unnatürliche Stille über die Szene und nur noch das kratzende Geräusch eines unter letzten Nervenimpulsen zuckenden Insektenbeins störte ab und an die Ruhe. Mit einem Schnauben ließ sich Easygoing auf die Hinterbeine sinken und verwandelte sich zurück. Er spuckte ein paar Mal aus und wandte sich an Emanuelle.

„Seid Ihr verletzt?“

Die kleine Magierin schüttelte stumm den Kopf. Der große Druide nickte und warf dann einen Blick auf die tote Königin.

„Deadly, du kümmerst dich um das Gehirn. Aber pass auf, dass du es nicht verletzt.“

„Warum ich?“, maulte der Schurke.

„Weil du am besten mit einem Messer umgehen kannst und Cere sich meine Schulter ansehen muss. Ich glaube, ich habe sie mir bei dem Sprung schon wieder verrenkt.“

Deadlyone gab noch ein paar unflätige Bemerkungen von sich, machte sich aber an die Arbeit, um den Schädel der Königin zu öffnen. Währenddessen zupfte etwas an Easygoings Hosenbein.

„Ja?“

„Ich ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten, die mein Amoklauf verursacht haben könnte.“, murmelte Emanuelle und scharrte ein wenig verlegen mit den Füßen. „Ich war da vielleicht eben etwas…voreilig.“

Easygoing brummte zustimmend. „Das kann man wohl sagen.“, antwortete er und wuschelte der kleinen Gnomin durch die Zöpfe. „Aber es ist ja noch mal gut gegangen. Also: Schwamm drüber.“

„Im Ernst?“

„Ja. Aber kommt nie wieder auf die Idee, Euch in so große Gefahr zu bringen. Wer weiß, ob ich das nächste Mal wieder schnell genug bin, um Euch den Hals zu retten.“

„Geht klar, Chef.“, antwortete Emanuelle und legte die Hand zum Gruß an die Stirn. „Aber seid mal ehrlich: Wenn ich nicht gewesen wäre, würden wir uns doch jetzt immer noch mit dem Fußvolk herumbalgen.“

Easygoing verdrehte die Augen und seufzte leise. „Warum hab ich nur gedacht, dass doch eigentlich jeder aus Schaden klug werden müsste?“

„Tja.“, grinste Emanuelle. „Wir beide sind uns eben unheimlich ähnlich.“
 


 

Magenta musste zugeben, dass sie ernsthaft daran gezweifelt hatte, mehr als drei Schritte vor die Zellentür setzen zu können, ohne von einer Meute wütender Dunkeleisenzwerge überrannt zu werden. Marschall Windsor hingegen schien diese Bedenken nicht zu teilen. Mit dem Wiedererlangen der Steintafeln hatte der Krieger auch seine Energie wiedergefunden, zusammen mit dem starken Willen, sein unterirdisches Gefängnis sofort zu verlassen. Und mit sofort meinte er auch ‚sofort‘ und nicht etwa erst, wenn er sich durch ein paar Dutzend Zwergenwachen gekämpft hatte. Ausgestattet mit seiner Rüstung, die sie in einer nahen Waffenkammer wiederfanden, fegte der Krieger die dunkelhäutigen Burschen einfach beiseite und rannte mit den drei Abenteurern im Schlepptau durch die unterirdischen Hallen, dass diese Mühe hatten, mit ihm Schritt zu halten.

Die Hexenmeisterin fand es bewundernswert, dass der Marschall es fertigbrachte, seine Gegner nicht etwa zu töten, sondern sie lediglich bewusstlos schlug, um dann sofort weiter zu stürmen. Ihm spielte dabei die nicht unerhebliche Tatsache in die Hände, dass die Bewohner der steinernen Festung zwar durchaus gegen Angriffe von außen gefeit waren, jedoch nicht damit rechneten, dass tatsächlich jemand versuchen könnte, aus den Kerkern zu entkommen.

Leider waren Dunkeleisenzwerge um einiges zäher als Menschen und erholten sich sehr viel schneller von Marschall Windsors Behandlung, als gedacht, so dass irgendwann doch die lange überfälligen Alarmrufe durch den Gefängnistrakt schallten. In Folge dessen war den vier Flüchtigen jetzt der bis an die Zähne bewaffnete, Morddrohungen schreiende und Verwünschungen brüllende Mob auf den Fersen, den Magenta bereits am Anfang ihres Ausbruchs befürchtet hatte. Immer wieder musste die Hexenmeisterin über die Schulter zurückblicken, während sie und die anderen die gigantischen Ketten hinaufkletterten, die sie in die finale Freiheit bringen sollten. Es war wie ein Zwang. Eine morbide Faszination am eigenen, sicheren Tod.
 

„Wir werden es nicht schaffen.“, keuchte Magenta. Sie spürte bereits, wie ihre Knie weich wurden. Lange konnte sie dieses Tempo nicht mehr durchhalten.

„Schwing keine Volksreden, sondern lieber die Hufe.“, knurrte Schakal, der als Letzter die Ketten empor kletterte und somit der Erste sein würde, der den Verfolgern in die Hände fiel. „Wir sind gleich oben.“

Ein weiterer Blick zurück zeigte Magenta, dass ‚gleich‘ nicht früh genug sein würde. Die Dunkeleisenzwerge waren um Einiges geübter als sie, was das Erklimmen der Adamantitketten anging. Schon griffen die ersten, grauen Hände nach Schakal. Der geschmolzene Übergang war zu einer tödlichen Falle geworden.
 

Ein gewaltiges Brüllen ließ die Halle über ihren Köpfen erzittern. Wie aus dem Nicht erschien eine Feuergarbe, die die erste Welle der Dunkeleisenzwerge erfasste und sie mit in die Tiefe riss. Der flappende Schlag riesiger Flügel, wurde gefolgt von einem monströsen Schatten und einem Luftzug, der selbst die gewaltigen Kettenglieder zum Schwingen brachte. Magenta klammerte sich verzweifelt an dem nächstbesten Halt fest und war der festen Überzeugung, dass jetzt ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. Eine weitere Lohe traf die gewaltige Kette und mehr der dunkelhäutigen Zwerge fielen als brennende Kometen in die Tiefe oder stürzten einfach haltlos in die aufwallende Lava. Entsetzensschreie und zornige Rufe in der poltrigen Sprache der Zwerge erfüllten die aufheizte Luft, nur um erneut vom Fauchen eines dritten Feuerstoßes zum Schweigen gebracht zu werden.

Glühend heißer Wind strich über Magenta hinweg und raubte ihr den Atem. Aus tränenden Augen konnte sie gerade noch einen gigantischen, geflügelten Schatten erkennen, der sich mit ledrigen Schwingen in die Höhen der Höhle zurückzog und mit der dortigen Schwärze verschmolz. Die Hexenmeisterin blinzelte und warf einen schnellen Blick auf die Kette hinter sich. Die pferdegespanngroßen Kettenglieder einige Meter entfernt glühten hellorange und erst jetzt wurde Magenta sich der Hitze unter ihren Händen bewusst.

„Los, macht schneller da vorne.“, rief Schakal. „Mir brennt gleich der Hosenboden an. Verdammter Drache!“

Eilends setzte die Gruppe ihren Aufstieg fort, verfolgt von den wütenden Geschrei der Dunkeleisenzwerge, die wie Ratten auf dem Loch im Fels unter ihnen quollen, es jedoch nicht wagten, die glühende Kette zu betreten. Trotzdem konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die gewaltigen Metallmassen wieder so weit abgekühlt hatten, dass die Zwerge ihnen folgen konnten und dann hatte keiner von ihnen vor, sich noch in Reichweite der Gift und Galle spuckenden Schwarzhäute zu befinden.
 

Sie erreichten die obere Plattform, die die Kettenglieder hielt. Während Marschall Windsor sofort weiter voranstürmte, als wären ihnen die Zwerge immer noch dicht auf den Fersen, blieb Abbefaria auf dem obersten Kettenglied stehen und wandte den Kopf nach oben. Suchend tastete sein Blick über die Balkone und Balustraden, während er seine Faust fest geschlossen hielt.

„Was ist?“, schnaufte Magenta, als sie neben ihm auf die Plattform krabbelte, und äugte ebenfalls in die Höhe. „Siehst du oben etwas?“

„Ich bin mir nicht sicher.“, gab der Druide zurück. Seine Stirn lag in Falten. „Es ist mehr ein Gefühl. So als würde mich jemand von dort oben beobachten.“

„Wenn du Pech hast, ist es ein Ork oder noch schlimmer: ein Drache.“, knurrte Schakal. „Also los, Freund Langohr. Wir wollen doch nicht warten, bis die Dunkeleisen uns erneut ihre Gastfreundschaft aufzwingen oder dich ein Pfeil eines besonders talentierten Spähers trifft. Und sputet Euch, damit wir diesem nimmermüden Irren da vorne Schritt halten.“
 

Etwa eine halbe Stunde später ließ Magenta sich einfach zu Boden sinken. Ihre Kraftreserven waren endgültig aufgebraucht. Nicht mehr in der Lage, auch nur um eine Pause zu bitten, ließ sie sich schweißüberströmt in den mit Asche vermischten Sand sinken und schloss die Augen. Ihr Atem ging rasselnd und ihre Kehle fühlte sich an wie Schmirgelpapier. Sehr trockenes Schmirgelpapier.

„Was tut Ihr?“, drang von irgendwo Marschall Windsors Stimme an ihr Ohr. „Wir können nicht rasten! Bolvar muss erfahren, was in Stormwind vor sich geht.“

„Ihr seht doch, dass sie erschöpft ist.“, antwortete Abbefaria. Auch die Stimme des Nachtelfen klang rau und brüchig. „Wir alle sind es.“

„Vor allem diejenigen von uns, deren Beine ein Stück kürzer sind als die der anderen.“, ließ sich Schakal vernehmen. Der Zwerg schnaufte und prustete wie eine überlastete Dampfmaschine.

Magenta spürte, wie ihr ein Trinkschlauch an die Lippen gesetzt wurde und trank das schale Wasser, als wäre es gerade frisch der Quelle entsprungen. In tiefen Zügen sog sie die Flüssigkeit in sich auf, so gierig dass sie sie schließlich verschluckte und hustend und spuckend wieder die Augen öffnete. Ihr Blick traf sich mit dem eines sehr besorgt dreinblickenden Nachtelfen.

„Pass doch auf.“, schnauzte sie und bedauerte die Worte gleich darauf wieder. Er hatte ihr ja nur helfen wollen. Aber immerhin war sie gerade von einer Meute wütender Zwerge durch den halben Blackrock gehetzt worden, mit knapper Not einem Drachen entkommen und hatte schließlich sämtliche Streckenrekorde für jemanden aus der zaubernden Kunst gebrochen. Da durfte man doch ein wenig Verständnis dafür erwarten, dass es um ihre Laune nicht zum Besten stand.

Abbefaria drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und richtete sich dann auf. „Marschall, wir müssen eine langsamere Gangart einlegen, sonst fürchte ich, dass keiner von uns Stormwind lebend erreichen wird.“

Marschall Windsor brummte unzufrieden und strich sich über den gewaltigen Schnurrbart. „Ihr habt Recht, Nachtelf. Uns steht noch eine ganze Menge Unbill bevor. Trotzdem kann ich nicht warten. Ich muss so schnell wie möglich in die Hauptstadt gelangen, wenn unser Plan gelingen soll. Unsere Flucht wird nicht unbemerkt bleiben und die Kanäle, durch die diese Schlange ihre Informationen erhält, führen schnelles Wasser. Aber Ihr habt trotz allem Recht. Wir werden all unsere Kräfte brauchen und noch mehr.“
 

Der Krieger legte die Hand über die Augen und spähte in Richtung des Horizonts. Die Landschaft, auf die er herabsah erinnerte Magenta an die der Sengenden Schlucht, nur dass diesem Landstrich der tiefe Graben fehlte, der ihn in zwei Hälften teilte. Ansonsten gab es auch hier nur Lava, Geröll und Gestein, soweit das Auge reichte. Ein weiterer Landstrich, der sich unter der Schreckensherrschaft des allgegenwärtigen Blackrocks zusammengekrümmt hatte und verdorrt war.

„Etwa eine halbe Tagesreise in diese Richtung liegt Morgan´s Wacht. Ich werde mich allein dorthin durchschlagen und Euch drei Pferde senden lassen.“

„Zwei.“, warf Magenta ohne zu überlegen ein. „Ich habe mein eigenes Reittier.“

Der Marschall blinzelte überrascht. „Ihr habt…? Aber wo? Ich sehe kein…“

„Lange Geschichte.“, winkte Magenta ab. „Und bevor Ihr fragt, ich kann es Euch nicht leihen. Es würde Euch abwerfen, den Schädel mit den Hufen zerschmettern und dann genüsslich Eure Eingeweide fressen.“

Der Krieger musterte die Hexenmeisterin einen Augenblick lang, dann brach er in grimmiges Gelächter aus. „Das ist die richtige Einstellung. Doch jetzt muss ich aufbrechen. Zunächst einmal soll Marschall Maxwell wissen, dass er meinen Posten noch eine Weile innehaben wird und dann wird es Zeit, ein paar Diplomaten aus ihrem Tiefschlaf zu reißen. Die Zeit des Redens und der Bittschriften ist vorbei.“
 


 

Abbefaria sah der Staubwolke nach, die dem Marschall folgte, und fragte sich in was für eine Geschichte sie da nur rein geraten waren. Er machte sich Sorgen, was sie in Stormwind erwarten mochte, und gleichzeitig konnte er seine Gedanken nur schwer von den Vorgängen im Inneren des Blackrock losreißen. Er wusste, dass er sich die Gestalt auf einem der zahlreichen Vorsprünge nicht nur eingebildet hatte und allem zu Trotz, was Schakal vermutet hatte, war dies kein Ork gewesen.

Seine Finger glitten wie von selbst wieder zu der goldenen Münze mit dem viereckigen Loch in der Mitte. Sie war für ihn zu einer Art Talisman geworden und zu etwas, mit dem er seine innere Unruhe niederkämpfen konnte. Aber selbst die Münze war dieses Mal nicht in der Lage, seine unausgesprochenen Fragen zu beantworten oder auch nur seine Unruhe zu besänftigen. Wer war der geheimnisvolle Fremde gewesen und warum hatte ihnen ein Drache geholfen, die Dunkeleisenzwerge in die Flucht zu schlagen? Waren sie vielleicht dabei, den schwarzen Drachen nur noch mehr in die Hände zu spielen, indem sie Maxwell nach Stormwind folgten?
 

„Wir sollten langsam aufbrechen.“, mahnte Schakal. „Die Sonne hat ihren Zenit schon überschritten, es liegt noch ein langer Weg vor uns und wenn ich ehrlich bin, würde ich die Nacht ungern unter freiem Himmel verbringen.“

Abbefaria schüttelte die dunklen Gedanken ab. „Ihr habt Recht. Magenta, du reitest.“

Die Hexenmeisterin wollte protestieren, doch Abbefaria unterbrand ihre Widerrede mit einer entschiedenen Geste. „Du bist von uns allem am erschöpftesten und brauchst Ruhe.“
 

Der Druide bemühte sich, angesichts der dämonischen Aura des Tiers, das Magenta nach einigem weiteren Murren heraufbeschwor, keine Miene zu verziehen. Einen Augenblick lang kamen dem Nachtelfen Zweifel, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte, alle Bedenken über Bord zu werfen, seine Ideale zu verraten und so ganz nebenbei auch noch eine wertvolle Freundschaft zu ruinieren, für eine Frau die…so hinreißend ihre Nase krauszog, wenn ihr etwas nicht passte und in deren Augen eine solche Leidenschaft brannte, dass Abbefaria sie am liebsten wieder vom Pferd gezogen hätte. Er räusperte sich geräuschvoll.

„Wir sollten aufbrechen.“

„Sage ich ja die ganze Zeit.“, murrte Schakal und die Gruppe setzte sich in südlicher Richtung in Bewegung.
 

Es dauerte eine ganze Weile, bis am Ende der Straße erneut eine Staubwolke auftauchte. Instinktiv wollte Abbefaria sich neben dem Weg in die Büsche schlagen, doch in Ermangelung eines Busche oder sonst etwas, das auch nur im Entferntesten Deckung bot, setzte er ebenso wie die anderen einfach weiter einen Fuß vor den anderen und starrte der Wolke mit brennenden Augen entgegen. Beim Ursprung des Staubwirbels handelte sich, wie Abbefaria kurze Zeit später verwundert feststellte, um einen Nachtelf auf einem gestreiften Nachtsäbler. In seinem Gefolge noch eine weitere, große Katze und ein gezäumter Widder.

Der fremde Nachtelf zügelte sein Reittier wenige Meter vor ihnen und glitt mit einer geschmeidigen Bewegung von dessen Rücken. Er trug eine kunstvoll gefertigte Rüstung in Grün- und Brauntönen, die aufwendig mit messingfarbenden Einlegearbeiten verziert war. Die Stangenwaffe auf seinem Rücken und die Art, wie er seinen Kopf unbewusst hin und her bewegte und die Umgebung auf Spuren absuchte, ließen Abbefaria in ihm einen Jäger erkennen.
 

„Ishnu-alah“, grüßte der fremde Nachtelf und vollführte die rituelle Verbeugung. Abbefaria war so perplex, dass er sie automatisch erwiderte.

„Helendis Riverhorn.“, grunzte Schakal. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber ich freu mich Euch zu sehen.“

Der Nachtelf grinste breit ob der halben Beleidigung und entblößte dabei das Gebiss mit den spitzen Eckzähnen. „Gut gelaunt wie immer, Freund Schakal. Sagt bloß, Ihr nehmt mir immer noch übel, dass ich Euch und diese Welt von dem schauderhaften Gebräu erlöst habe, das Ihr bei unserem letzten Zusammentreffen in einem riesigen Humpen herumgeschwenkt habt, während Euer Gesang drohte, die gesamte Brennende Steppe gegen Euch aufzubringen.“

„Mit Bier macht man keine Späße, Freund Nachtelf.“, knurrte Schakal und drohte mit dem erhobenen Zeigefinger. „Aber genug jetzt der Scherze. Wir haben eine Mission.“

„Ich hörte davon.“, antwortete Helendis Riverhorn. „Marschall Windsor war auch schwerlich zu überhören, als er vor Kurzem in unser Lager stürmte und von Marschall Maxwell das schnellste Pferd diesseits des Meeres verlangte. Er schrie, er wolle einem verschlagenen Drachen in Stormwind endlich das Handwerk legen.“
 

Die drei Abenteurer sahen sich an.

„Mir scheint, wir sollten keine Zeit verlieren.“, sagte Abbefaria. „Der Marschall wird unsere Unterstützung brauchen.“

Helendis Riverhorn lachte. „Die Eure und die einer ganzen Armee, wenn das stimmt, was er behauptet hat. Kommt, reiten wir zu Morgan´s Wacht! Von dort werden Euch Greife nach Stormwind bringen.“
 

Während Helendis Riverhorn und Schakal voran ritten, um sicherzustellen, dass ihnen in den zahlreichen Ruinen nicht etwa eine Patrouille der Blackrock-Orks auflauerte, die in dieser Gegend einige Siedlungen unterhielten, und Magenta zu ihrem Schutz zwischen den beiden Gruppen ritt, bildete Abbefaria die einsame Nachhut.

Je weiter sie sich vom Blackrock entfernten, desto mehr wich das Gefühl der Beklemmung, das den Nachtelfen befallen hatte, ohne dass er sich dieser Tatsache wirklich bewusst gewesen war. Unter dem Berg war ihm jegliche Orientierung verloren gegangen und er hätte nicht einmal mit Sicherheit sagen können, ob sie nun Tage oder nur Stunden dort unten verbracht hatten. Gedankenverloren nahm er die goldene Münze zur Hand und ließ sie durch die Finger gleiten.
 

„Worüber grübelt Ihr, Druide.“, mischte sich ein dunkler Bariton in seine Gedanken. Die Frage, gestellt in der Sprache der Nachtelfen, ließ Abbefaria aufblicken. Helendis Riverhorn hatte sich zurückfallen lassen und ritt jetzt direkt neben ihm.

„Diese Gegend.“, begann Abbefaria. „Es ist …irgendwie ungewöhnlich, hier auf einen Nachtelfen zu treffen.“

Helendis Riverhorn lächelte. „Ich weiß, wovon Ihr sprecht. Hier wächst kaum ein Strauch und Bäume wurden schon vor langer Zeit ausgerottet. Das Feuer hat alles dahingerafft und nichts als verbrannte Erde hinterlassen. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen bin ich hier. Ich kam, um schwarze Drachen zu jagen.“

Abbefaria gab einen Laut des Erstaunens von sich. „Ihr wusstet von dieser Bedrohung?“

„Nun, ich hatte gehört, dass es hier schwarze Drachen gibt, ja. Ich kam, um sie zur Strecke zu bringen und mich ihrer Schuppen zu bemächtigen. Schwarze Drachenschuppen bieten, wenn man es versteht, sie zu Rüstungen zu verarbeiten, einen guten Schutz gegen das Feuer.“

Helendis Riverhorn klopfte gegen seine eigene, lederbedeckte Brust. „Diese hier habe ich selbst hergestellt. Doch es kam alles anders, als ich gedacht hatte. Die schwarzen Drachen waren sehr viel stärker, als ich erwartet hatte. Und sie waren mitnichten die dummen Tiere, für die ich sie fälschlicherweise gehalten habe.“

„Deswegen habt Ihr Emanuelle zu Magistrat Solomon gesandt.“

Helendis Riverhorn nickte. „Ja. Wir haben Grund zu der Annahme, dass sie diejenigen sind, die hinter der Aggressivität der hier ansässigen Orks stecken. Und dass sie ihre Krallen sehr viel weiter ausgestreckt haben, als zunächst angenommen.“

„Sie verstecken sich in Stormwind.“, pflichtete Abbefaria ihm bei, doch der Jäger schüttelte den Kopf.

„Ich fürchte inzwischen, es ist viel schlimmer als das.“
 


 

Die Hütte von Alchemist Pestlezugg war bis obenhin mit Besuchern vollgestopft. Trotzdem brachte der Goblin es fertig, aufgeregt zwischen Tischen, Stühlen und Nachtelfen hin und her zu wuseln und dabei kleine Entzückensschreie von sich zu geben.

„Fantastisch! Großartig! Einfach wunderbar! Und dass Ihr es in einem Stück wieder hierher zurückgeschafft habt, ist auch nicht zu verachten. Wo habe ich denn nur…ah hier.“

Der Goblin schien endlich gefunden zu haben, wonach er suchte. Er zog eine Apparatur hinter sich her, aus der eine Menge Drähte ragten und die zu schnurrendem Leben erwachte, als er einen Schalter an deren Rückseite umlegte.

„So, ich bin bereit. Präsentiert jetzt das Gehirn.“

„Nichts leichter als das.“, antwortete Emanuelle, griff in ihre Tasche und legte das Gehirn auf den Tisch, der in der Mitte des Raumes stand.

Alchemist Pestlezugg blinzelte überrascht.

„Es ist gefroren?“, kommentierte er den glitzernden Eisblock, den Emanuelle auf dem Tisch platziert hatte. Dunstschwaden waberten über den Tisch und lösten sich in der heißen Luft schnell in Nichts auf.

„Es war der einzige Weg, es unbeschadet hierher zu bringen.“, erklärte Emanuelle. „Stellt Euch nur vor, wie das gerochen hätte, nachdem wir es mehrere Tage durch die Wüste geschleppt hätten.“

Sie zwinkerte Easygoing zu, der das mit einem Stirnrunzeln quittierte. Dass er sich von der Gnomin hatte überreden lassen, noch einmal ihre Höllen-Transport-Maschine zu benutzen, war schlimm genug, ohne dass sie es ihm alle fünf Minuten unter die Nase rieb. Aber er gab zu, dass ihnen das Gerät einen ziemlich unangenehmen Weg erspart hatte.
 

„Gefrorenes Gehirn.“, murmelte Alchemist Pestlezugg und in seinen Augen erschien ein merkwürdiges Glitzern. „Gehirneis…Gehirneis am Stiel…Zombies würden ein Vermögen dafür zahlen. Und untote Trolle. Vielleicht auch lebende Trolle…Ich muss mehr Gehirne haben. Mehr Gehirne einfrieren…ich muss…“

Mit einem Schrei trat er vom Tisch zurück und fasste sich an den Kopf. „Heiliger Schraubenschlüssel. Ich hab schon wieder vergessen, meine Medizin zu nehmen.“

In Windeseile rannte der Alchemist zu einem kleinen Schränkchen, stieß Deadlyone, der es sich davor auf einem Schemel bequem gemacht hatte, beiseite und kramte hektisch im Inneren des Schränkchens herum. Er bekam eine Flasche zu fassen, riss sie heraus, sah auf das Etikett und warf sie mit einem Aufschrei hinter sich. Die Flasche zerplatzte und wo ihr Inhalt auf den Boden floss, fingen Blumen und Gräser an aus dem Hüttenboden zu sprießen. Eine weitere Flasche gesellte sich zu der ersten, zersprang und gelbe Nebelschwaden krochen über den Boden. Sie zersetzten die Blumen, färbten sich dunkelviolett und bildeten eine unappetitliche Pfütze.

„Ha!“, kreischte der Goblin und holte offensichtlich endlich die richtige Flasche aus dem Schränkchen. Mit fahrigen Bewegungen grabschte er nach einem Glas, verschüttete beinahe die Hälfte des Inhalts und stürzte dann endlich eine Portion des Gebräus herunter. Während er mit geschlossenen Augen dastand und seine Züge sich langsam entspannten, breitete sich ein intensiver Geruch nach Pomeranzenöl, Kardamom und Koriander im Raum aus. In der öligen Flüssigkeit im Inneren der Flasche, die er immer noch umklammert hielt, flirrten kleine, goldene Punkte umher. Emanuelle und die Nachtelfen sahen sich nur gegenseitig fragend an.
 

„Puh.“, machte Alchemist Pestlezugg, als er die Augen wieder öffnete. „Hab ich das Kezaner Goldwasser ja noch rechtzeitig gefunden. Es ist die einzige Medizin, die bei einem akuten Anfall von Geldgier wirklich hilft. Leider nicht bei seinen Verkäufern, die einem für jede Flasche fast ein halbes Vermögen aus dem Kreuz leiern. Mich wundert nicht, dass es nur sehr wenig Goblins benutzen, um diese angeborene Schwäche unseres Volkes zu unterdrücken. Aber was tut man nicht alles für die Wissenschaft.“

Der Alchemist verkorkte die Flasche sorgfältig und stellte sie wieder in den Schrank. Das am Boden entstandenen Chaos würdigte er keines Blickes.

„Also, wo waren wir? Ah ja, das Gehirn. Wie groß sagtet Ihr doch noch, war die Königin etwa?“

Emanuelle erklärte es ihm und lieferte gleich noch eine Beschreibung der Brutkammer sowie der Verhaltensweisen der einzelnen Silithiden ab. Der Goblin murmelte und nickte vor sich hin, während er das langsam vor sich hin tauende Gehirn betrachtete. Gelegentlich kritzelte er etwas auf ein Stück Pergament.

„Ungewöhnlich. Wirklich höchst ungewöhnlich.“, konstatierte er am Ende des Berichts. „Das Gehirn der Königin ist für einen Silithiden im Vergleich mit ihrer Körpergröße unverhältnismäßig groß. Man darf also vermuten, dass sie auch intelligenter ist als der normale Durchschnittssilithid. Es deutet zumindest alles darauf hin. Die Frage ist nur, ob es vielleicht noch weitere, noch intelligentere Käfer gibt. Das herauszufinden wird eine schwierige Aufgabe. Ich denke, ich werde Narain kontaktieren. Der verrückte Gnom kennt sich mit Silithiden ebenso gut aus wie ich, nur dass er sich bis jetzt nicht wirklich für sie interessiert hat. Vielleicht ändert sich das, wenn er dieses prächtige Gehirn hier sieht.“
 

Alchemist Pestlezugg richtete sich auf und sah den Nachtelfen und Emanuelle nacheinander ins Gesicht. „Ich glaube nicht, dass wir diese Viecher so einfach besiegen können, wie zuerst angenommen. Das hier eröffnet eine ganz neue Dimension. Ihr müsst Gracina Spiritmight davon Bericht erstatten. Die Gefahr um die Silithiden ist um ein Vielfaches größer, als ich zunächst angenommen hatte. Aber Gracina hat Beziehungen. Wenn sie jemanden von ganz oben bei Euch Nachtelfen dazu bringen kann, ihr zuzuhören und meine Erkenntnisse darzulegen, ist vielleicht noch nicht aller Tage Abend. Ich werde indessen mit Narain Soothfancy Kontakt aufnehmen, um noch weitere Forschungen zu betreiben.“

„Narain Soothfancy?“, horchte Emanuelle auf.

„Ja.“, antwortete Alchemist Pestlezugg. „Ist irgendwann mal an der Küste im Osten abgestürzt und wohnt jetzt am Dampfdruckpier. Hat jede Menge Bücher. Und eine weiße Eule.“

„Oh wirklich?“, staunte Emanuelle.

„Ja wirklich.“, gab Alchemist Pestlezugg zurück. „Ist allerdings auch etwas durchgeknallt, der Gute. Wir haben uns bei einem Kochkurs kennen gelernt. Er hat dem Lehrer eine Bratpfanne über den Kopf gezogen, als der behauptete, es gäbe kein 500-Pfund-Hühnchen. Außerdem ist er fürchterlich nachtragend.“
 

Alchemist Pestlezugg lief durch den Raum und sammelte verschiedene Schriftrollen zusammen, die er Emanuelle schließlich gebündelt in die Arme drückte. „Hier, bringt das zu Gracina. Sie wird wissen, was damit zu tun ist.“

„Wir werden sie von Euch grüßen.“, zwitscherte Emanuelle, während sie die Schriftrollen in ihrem Gepäck verstaute. „Und sollen wir auch gleich noch Eure Nachricht an Narain Soothfancy überbringen?“

Alle Anwesenden inklusive des Goblins starrten Emanuelle an.
 

„Wir werden jetzt auf dem schnellsten Weg nach Darnassus zurückkehren.“, knurrte Easygoing unwirsch. „Ihr habt den Goblin doch gehört: Die Gefahr ist präsenter denn je.“

„Ja schoooon.“, antwortete Emanuelle gedehnt. „Es ist nur so, dass ich am Dampfdruckpier ohnehin noch etwas abzugeben habe.“

„Etwas abzugeben?“, raunzte Deadlyone. „Wie um alles in der Welt könnt Ihr etwas haben, das Ihr dort abgeben müsst? Und was überhaupt?“

„Einen kleinen Augenblick, ich zeig´s Euch.“

Emanuelle ließ ihre Tasche fallen, die mit einem erheblich lauteren Scheppern auf dem Boden aufkam, als man es so einem kleinen Gegenstand zugetraut hätte. Im Grunde genommen war es ein Wunder, dass die Gnomin es überhaupt geschafft hatte, alle Schriftrollen ,die Alchemist Pestlezugg ihr gegeben hatte, darin zu verstauen.
 

Die Zunge zwischen die Zähne geklemmt öffnete Emanuelle den Schnapper der Tasche und fasste hinein. Ihr Arm verschwand bis zum Ellenbogen.

„Es muss hier irgendwo sein…das nicht…das auch nicht…hey, mein gyromatischer Mikroregler. Den hab ich schon überall gesucht. Plasmainjektor. Aquadynamischer Fischanlocker. Und…oh wie erstaunlich. Meine stylische Schutzbrille mit grünen Gläsern.“

Sie hielt Alchemist Pestlezugg den entsprechenden Gegenstand hin. „Wollt Ihr eine? Ich habe zwei davon?“

Der Goblin winkte ab. „Wer braucht schon Schutzbrillen?“

„Wie Ihr meint.“, entgegnete Emanuelle mit einem Schulterzucken und warf die Brille wieder in die Tasche. Dann beugte sie sich vor und verschwand jetzt bis zur Hüfte in der Tasche.

„Sowas! Ich sollte hier dringend mal aufräumen.“, erklang es dumpf aus der Tasche. „Nun sieh sich das einer an. Zwei Dutzend mechanische Eichhörnchen. Hab die Ladung ganz vergessen, nachdem sie aus dem Auktionshaus wiederkam.“

Ungeduldig knurrte Easygoing: „Was wolltet Ihr uns denn nun zeigen?“

„Einen Moment noch.“, war die gedämpfte Antwort. „So eine bodenlos Tasche ist das reinste Warenlager. „Ah, da hab ich es ja.“

Emanuelle tauchte mit rotem Kopf aus dem Inneren der Tasche wieder auf. In ihren Händen hielt sie einen großen, ovalen Gegenstand, von dem ein grünliches Leuchten ausging und ein – freundlich ausgedrückt - intensiver Geruch.

„Uh, was ist das?“, rief Ceredrian und hielt sich eilends den Robenärmel vor das Gesicht. „Es riecht wie ein jahrhundertealtes Ei.“

„Das liegt daran, dass es ein jahrhundertealtes Ei ist.“, strahlte Emanuelle. „Ich habe es selbst aus dem Hinterland geholt. Ein freundlicher Troll namens Yeh’kinya wollte es gerne haben. Eine alte Prophezeiung besagt, dass dieses Ei ein magische Relikt ist…“

„Ein magisches Relikt, das macht, dass die Luft stinkt.“, warf Deadlyone ein und verzog das Gesicht.

„Ein magisches Relikt“, fuhr Emanuelle unbeeindruckt fort, „das in der Lage ist, die Essenz des alten Trollgotts Hakkar in sich aufzunehmen.“

„Hakkar, der Hundemeister? Seid Ihr jetzt vollkommen verrückt geworden?“, keuchte Ceredrian und sprach damit aus, was alle drei Nachtelfen dachten. Dieser Name war ihnen aus ihrer Geschichte höchst bekannt. Er war einer der höchsten Offiziere der Brennenden Legion gewesen und verantwortlich für die Tod von unzähligen Angehörigen ihres Volkes.

Als Ceredrian dies aussprach, winkte Emanuelle nur kichernd ab. „Nein, nicht der Hakkar. Und…oh versteht mich nicht falsch. Ich wollte das Opfer, dass Eure Vorfahren erbracht habe nicht schmälern.“

„Vergesst es.“, knurrte Easygoing gereizt. „Fahrt fort.“

„Hakkar ist eine alte Trollgottheit. Er sieht aus wie eine große, gefiederte Schlange, sagte mir Yeh’kinya. Der Troll versucht, die Essenz dieses alten Gottes mit dem Ei einzufangen, damit sie nicht in falsche Hände gerät.“

„Ihr traut einem Troll?“, fauchte Deadlyone aufgebracht. „Jemandem, der, sobald Ihr Euch umdreht, versucht Euch zu töten, um sich dann eine Halskette aus Euren Ohren zu machen?“

„Nicht alle Trolle sind schlecht.“, gab Ceredrian zu bedenken und Emanuelle und Alchemist Pestlezugg stimmten ihm beide zu.

Der Schurke blähte aufgebracht die Nasenlöcher. „Mir soll es gleich sein. Solange es hilft, dieses Ding da loszuwerden.“, knurrte er und wedelte unbestimmt mit der Hand in Emanuelles Richtung. „Mir reicht es jetzt jedenfalls. Ich warte draußen.“

Ein wütendes Türschlagen später war er verschwunden.

„Ich geh lieber nachsehen, dass er in seinem Zustand keine Dummheiten macht.“, sagte Ceredrian und folgte dem Schurken. Easygoing blieb mit Alchemist Pestlezugg, Emanuelle und dem Ei allein zurück.
 

Der Druide wusste, dass er die nächsten Worte bereuen würde, doch er sprach sie trotzdem aus. „Sollen wir Euch zum Dampfdruckpier begleiten?“

„Davon bin ich ausgegangen.“, erwiderte Emanuelle. „Es ist für Euch schließlich der schnellste Weg nach Darnassus.“

„Wie…“, begann Easygoing und erblickte dann den Ausdruck auf Emanuelles Gesicht. „Oh nein, vergesst es. Ich reise nicht noch einmal mit dieser furchtbaren Maschine.“

„Der Transporter? Oh, den meine ich auch gar nicht.“, lachte Emanuelle glockenhell. „Ich bin schließlich nicht nur Ingenieurin sondern auch Magierin. Und die machen…“

„Brot und Wasser?“, riet Alchemist Pestlezugg. „Jede Menge Unfug?“

„Ja das auch.“, gab Emanuelle zu. „Aber vor allem bin ich auch in der Kunst bewandert, Portale zu erschaffen. Ich kann uns ohne Probleme einen schnellen, magischen Weg nach Darnassus herbeizaubern.“

„Kommt nicht in Frage.“, grollte Easygoing. „Arkane Magie ist verderbt.“

„Die Alternative ist eine mehrtägige Flugreise. Darnassus liegt sehr, sehr weit im Norden.“
 

Man konnte sehen, wie es hinter Easygoings Stirn arbeitete. Die Versuchung, ohne einen Flug in schwindelerregender Höhe und noch dazu innerhalb kürzester Zeit nach Darnassus zu reisen, war verlockend. So verlockend, dass er dem Vorschlag nach einigem Zögern schließlich zustimmte.

„Aber tut mir einen Gefallen, und nehmt dieses überhebliche Grinsen aus Eurem Gesicht.“, brummte er.

„Schon passiert.“, grinste Emanuelle und folgte dem großen Druiden fröhlich pfeifend nach draußen.
 


 

Die hellgrauen Mauern von Stormwind ragten vor ihnen auf und Magenta spürte ein merkwürdiges Gefühl des Nachhausekommens, als sie den breiten Weg auf das Stadttor zuschritten. Sie war sich nicht sicher, ob es ein gutes oder ein schlechtes Gefühl war. Die vertraute Umgebung mit den blausilbernen Löwenemblemen überall gaukelte Sicherheit vor, doch das, weswegen sie gekommen waren, ließ einen schalen Geschmack zurück. Das leuchtende Juwel hatte Risse bekommen.
 

„Wie sollen wir Windsor hier finden?“, fragte Schakal. Der Zwerg hatte sich bereits auf die Zehenspitzen gestellt und konnte die zahlreichen Besucher, die am Stadttor ein und aus gingen, trotzdem nicht überblicken. „Hier ist ja fast ebenso viel los wie in Ironforge an einem Markttag.“

„Nun, es ist Markttag.“, antwortete Magenta. Sie hatte die vollbeladenen Wagen der Bauern, die unablässig Waren in die Hauptstadt karrten, bereits bemerkt, als sie über den Wald von Elwynn hinweg geflogen waren. Die Stadt platzte schier aus allen Nähten.

„Wir müssen abwarten.“, sagte Abbefaria. „Helendis Riverhorn hat gesagt, der Marschall wolle auf dem Weg noch ein oder zwei Gefallen einfordern, um sich auf seine Aufgabe vorzubereiten. Und dass wir einfach am Eingang von Stormwind nach ihm Ausschau halten sollten.“

„Ich frage mich, wie ich Ausschau halten soll.“, grollte Schakal und ließ sich auf ein herumstehendes Weinfass sinken. „Nicht mal Bier gibt`s hier.“
 

„Entschuldigt, aber seid Ihr Schakal von Ironforge?“ Ein junger Mann mit feucht glänzenden, schwarzen Haaren war auf sie zugetreten. Er wirkte ein wenig nervös und nestelte fortwährend an seinem Wams herum. Magenta kannte sich zwar mit dem Rittertum nicht besonders gut aus, aber er kam ihr vor wie einer der Knappen, die immerzu um den Ritter ihrer Wahl herumschwänzelten, in der Hoffnung, irgendwann einmal dessen Pferd, Schwert oder Rüstung zu erben. Die Feuchtigkeit auf seinem Kopf rührte vermutlich davon her, dass er versucht hatte, sich besonders ordentlich zu frisieren.

„Von Ironforge?“ Schakal sah den Jüngling zunächst verdutzt an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. „Von Ironforge! Der war gut, den muss ich mir merken.“

Der mutmaßliche Knappe brachte es fertig, trotz des prustenden Zwergs, der sich die Lachtränen aus den Augen wischte, Haltung zu bewahren, und wandte sich stattdessen an Magenta und Abbefaria, um auch ihre Namen zu nennen. Als sie beide bejahten, salutierte er vor ihnen.

„Ich, Rowe, Knappe von Marschall Windsor, entsende Euch Grüße. Mein Herr befahl mir, Euch in Empfang zu nehmen und ihn zu informieren, sobald Ihr angekommen seid.“

Mit der Hand an der Stirn blieb er stehen und schien auf irgendetwas zu warten. Abbefaria sah Magenta fragend an, aber sie zuckte nur mit den Achseln.

Schakal, der inzwischen ausgelacht hatte, brachte dem Knappen ein freundschaftliches Schulterklopfen bei, das sich aufgrund des Größenunterschieds zu einem heftigen Schlag in den Rücken wandelte.

„Jungchen, was stehste denn hier noch so rum und hältst Maulaffen feil? Geh los und holt den Marschall!“

„Zu Befehl, Sire.“, stammelte der Knappe, salutierte noch einmal und verschwand dann in der Menge.

„Ich frage mich, wie lange es wohl dauernd wird.“, brummelte Schakal und steckte sich eine Pfeife an.
 

Es begann mit etwas, das Magenta rückblickend wie das Drehend des Windes beschreiben würde. Die Stimmung des fröhlichen Markttages mit dem Geschrei, dem Gelächter und dem Geruch reifer Äpfel schlug plötzlich um, als sich von Ferne ein Reiter auf einem Schimmel näherte. Rücksichtslos bahnte er sich seinen Weg durch die Menge und erntete dafür den einen oder andere mürrischen Blick oder Ausruf. Niemand wagte jedoch, den Ritter aufzuhalten, der dort in den Farben eines hochrangigen Offiziers von Stormwind heran preschte.

Der Marschall riss sein Pferd abrupt am Zügel, als er das Tor erreichte und das Tier stieg mit einem Wiehern auf die Hinterhand. Funkensprühend landeten die Hufe auf dem Kopfsteinpflaster, während der Marschall von seinem Rücken sprang.

„Har!“, rief er und klatschte dem Schimmel die Hand auf die Hinterbacken. Erschrocken stieg das Pferd erneut und jagte dann mit fliegender Mähne in den Wald, den schimpfenden und „Komm zurück!“ jammernden Knappen auf seinen Fersen.
 

Marschall Windsor stand aufrecht und sah den drei Abenteurern fest in die Augen. Seine Rüstung war inzwischen wieder auf Hochglanz poliert worden und als Ersatz für seinen legendären Kriegshammer hielt er jetzt ein armlanges Schwert und einen Schild mit dem silbernen Löwenkopf auf blauem Grund in der Hand. Das gleiche Symbol zierte seinen Wappenrock.

„Ich wusste, Ihr würdet kommen.“, sagte er mit einem Nicken. „Allerdings würde ich mich mehr freuen, wenn ich hinter Euch noch eine Armee entdecken würde. Immerhin haben wir vor einen Drachen zu erlegen.“

„Helends Riverhorn wollte uns begleiten, aber Marschall Maxwell hat gesagt, die sei Euer Kampf.“, erklärte Abbefaria in entschuldigendem Ton.

„Feiglinge allesamt.“, grollte Marschall Windsor. „Aber gut, dann werden wir genügen müssen, um diesem Schwachkopf Bolvar endlich die Augen zu öffnen. Haltet Euch bereit. Das hier wird kein Zuckerschlecken.“
 

Marschall Windsor trat mitten in den Weg hinaus und scherte sich nicht darum, dass ein Apfelbauer seinen Wagen nur mühsam hinter ihm zum Stehen brachte. Die Wachen am Tor, die auf den Tumult rund um den Ritter aufmerksam geworden waren, zogen ihre bereits Schwerter, als der Marschall mit lauter Stimme proklamierte:

„Wie es einst in den düsteren Hallen Karazhans vorausgesagt wurde, Monster, bin ich gekommen und mit mir bringe ich GERECHTIGKEIT!“
 

Die Wachen starrten ihn aus aufgerissenen Augen und mit offenen Mündern an und irgendjemand rief: „Das ist Marschall Windsor.“

„Macht Meldung an General Jonathan.“

„Der Verräter ist zurückgekehrt.“

Marschall Windsor hingegen schenkte all dem keine Beachtung. Er schritt die Brücke, die durch das Tal der Helden führte, mit dem entschlossenen Gesichtsausdruck eines Mannes entlang, der keine Furcht mehr kannte. Ein wenig unsicher folgten Magenta und ihre Freunde der strahlenden Gestalt, bis das passierte, was Magenta befürchtet hatte. Auf der Brücke versammelten sich Soldaten, die Schwerter gezückt und die Gewehre im Anschlag. In ihrer Mitte stand mit grimmiger Miene das Oberhaupt der Wache: General Marcus Jonathan. Magenta erinnerte sich noch gut daran, wie sie das erste Mal nach Stormwind gekommen war und sich unter dem Blick der Wachen wie ein Wurm im Staub gefühlt hatte. An diesem Gefühl hatte sich bis heute nicht viel geändert.
 

„Reginald.“, rief General Jonathan und gab seinen Leuten ein Zeichen, das Feuer noch nicht zu eröffnen. „Du weißt, dass ich dich nicht vorbeilassen kann. Dein Verrat wurde entdeckt. Du bist verhaftet!“

Marschall Windsor hielt an und blickte dem Mann, der ihm in Haltung und Gebaren so ähnlich war, ohne zu blinzeln entgegen. „Du musst tun, was du für richtig hältst, Marcus. Doch erinnere dich. Wir haben beide unter Turalyon gedient und mit ihm zusammen so manche Schlacht geschlagen. Er machte uns beide zu den Männern, die wir heute sind. Glaubst du wirklich, er hätte sich so in mir getäuscht? Glaubst du wirklich, ich würde etwas tun, das der Allianz schadet? Würde ich wirklich das Erbe der großen Helden so beschmutzen wollen? Mich aufzuhalten ist nicht die richtige Entscheidung, Marcus.“
 

General Marcus Jonathan schwieg. Sein Blick glitt zu den großen Statuen, die die breite Brücke säumten. Kudran Wildhammer, Erzmagier Khadgar, Kommandant Danath Trollbane und Alleria Windrunner sahen aus unveränderlichen Steingesichtern zu ihm herab. Er drehte sich herum um betrachtete die größte aller Statuen, der Ritter mit dem abgebrochenen Schwert und dem Buch in der Hand, der Magenta schon bei ihrem ersten Besuch in Stormwind aufgefallen war. Sie erinnerte sich, den Namen Turalyon auf der glänzenden Plakette an seinem Sockel gesehen zu haben, auch wenn ihr der Name damals nichts sagte.

Der General senkte unter dem unerbittlichen Blick der Statue den Kopf.

„Ich schäme mich, alter Freund.“, sagte er mit leiser Stimme an Marschall Windsor gerichtet. „Nicht du bringst Schande über das Andenken unserer Helden, sondern ich tue es. Ich und der Rest der korrupten Politiker. Sie füllen unser Leben mit leeren Versprechen und niemals endenden Lügen. Wir beschämen unsere Vorfahren und die, die für uns ihr Leben gegeben haben…vergib mir, Reginald.“

Marschall Windsors Gesichtszüge wurden für einen Augenblick weicher. „Teurer Freund, du ehrst sie, in dem du hier Wache hältst und das beschützt, was sie aufgebaut haben. Du bist standhaft in deiner Loyalität und ich zweifele nicht, dass du auch nur einen Moment zögern würdest, um ebenso wie der Helden der Vergangenheit dein Leben für die richtige Sache zu opfern. Doch dies ist nicht der richtige Augenblick. Es ist meine Aufgabe, ihr Regiment zu beenden. Und jetzt tritt beiseite, Freund.“
 

Im Gesicht des Generals leuchtete kurz ein Schmerz auf, den Magenta nicht verstand, und der sogleich von ritterlichem Stolz verdrängt wurde.

„Ihr habt ihn gehört, Männer.“, blaffte er die Soldaten an. „Tretet beiseite! Macht Platz! Ein wahrer Held wandelt unter uns.“

Während die Soldaten um den Marschall herum zurückwichen und auf die Knie sanken, legte General Jonathan die Hände an den Mund und rief so laut, dass es alle hören musste: „Marschall Windsor soll nichts zuleide getan werden. Er soll ungehindert die Stadt betreten.“
 

Magenta konnte hören, wie der Befehl des Generals auf den Wachtürmen weitergegeben wurde und sich so wie ein Lauffeuer in der Stadt ausbreitete. Sie konnte förmlich sehen, wie die Köpfe der Marktbesucher sich verwundert nach oben wendeten, als die Fanfaren geblasen wurden und stöhnte innerlich auf. Das war genau die Art Aufmerksamkeit, die sie nicht leiden konnte. Aber vermutlich war es jetzt zu spät, um noch unauffällig zu verschwinden.

General Jonathan legte die Hand an die Stirn. „Geh, Reginald. Möge das Licht dich leiten.“

Der Marschall nickte seinem alten Freund zu und griff Schwert und Schild fester.

„Kommt.“, sagte er zu seinen drei Begleitern. „Bringen wir es zu Ende.“
 

Wo immer die in der Stadt auf Soldaten trafen, ließen sich diese auf die Knie sinken oder salutierten vor dem Marschall.

„Macht Platz!“

„…Nerven aus Thorium!“

„Möge das Licht mit Euch sein!“

„Wir sind Staub unter Euren Füßen!“

„Eine lebende Legende…“
 

Magenta war das Ganze fürchterlich unangenehm. Allerdings musste sie zugeben, dass die große Präsenz an Soldaten auch ein Gutes hatte, denn die silbernen Gestalten brachten den staunenden Pöbel dazu, einen gebührenden Abstand zu halten. Wann immer ein Vorwitziger sich aus dem Getümmel löste, um dem Helden noch näher zu sein, wurde er mit flachen Schwertschlägen wieder zurück in die Menge gedrängt. Trotzdem fühlte die Hexenmeisterin sich vor der gaffenden Schar wie auf einem Präsentierteller und sie wartete eigentlich nur darauf, dass irgendjemand das erste Ei nach ihnen warf. So war es zumindest sonst immer, wenn jemand ihres Standes durch Stormwind geführt wurde, auch wenn das Ziel dann meist das Gefängnis und nicht die königliche Burg war.

Unauffällig sah sie sich nach Abbefaria und Schakal um und stellte fest, dass es den beiden offensichtlich nicht anders erging. Trotzdem bemerkte sie auch eine grimmige Entschlossenheit bei den beiden, die ihr prompt ein schlechtes Gewissen machte. Dies war ein wichtiger Augenblick und hier ging es - verdammt noch mal - nicht um sie, sondern um das Wohl der gesamten Menschheit, ja vielleicht der ganzen Welt.

Jetzt wirst du aber doch etwas größenwahnsinnig, nörgelte Pizkols Stimme in ihrem Kopf, aber Magenta achtete nicht auf ihn. Mit klopfendem Herzen nahm sie neben dem Marschall und den beiden anderen vor dem Burgtor Aufstellung.
 

„Wir sind fast da.“, erklärte Marschall Windsor. „Seid tapfer, ihr Recken. Das Reptil wird nicht erfreut über unseren Besuch sein und sich sicherlich heftig zu Wehr setzen.“

„Wenn ich nur wüsste, von wem er redet.“, flüsterte Magenta Abbefaria zu und beeilte sich dann dem Marschall zu folgen, der sie durch die breite Prachtstraße direkt zum Thronsaal geleitete.
 

Die Halle war groß und aus hellem Stein gefertigt. Banner mit dem Wappen Stormwinds schmückten die Wände und große Fenster ließen viel Licht herein. Die Wachen rechts und links des Ganges nahmen Haltung an, als Marschall Windsor zwischen ihnen hindurch schritt, genau auf die drei Gestalten zu, die am Ende des Raums vor dem Thron standen.

Am imposantesten von ihnen war Hochlord Bolvar Fordragon, der rechts vom Thron stand. Merkwürdigerweise war es das Fehlen des blausilbernen Wappens an seiner Rüstung, das Magenta als Erstes auffiel. Trotzdem war der Ritter jemand, dem man ansah, dass er es gewohnt war, Befehle zu geben.

Zur Linken des Throns stand eine wunderschöne Lady mit langen, schwarzen Haaren und einer ausnehmend guten Figur. Ihre tiefausgeschnittene Robe brachte ihre Reize gut zur Geltung, aber trotzdem oder vielleicht gerade deswegen spürte Magenta eine tiefe Abneigung gegen dieses Weib in sich aufsteigen, bei der es sich unmissverständlich um Lady Katrana Prestor handeln musste. Die Augen der Lady funkelten jedoch kalt und ihr Blick prickelte auf Magentas Haut wie gestoßenes Glas.

Zwischen den beiden wirkte der junge König Anduin fast ein wenig verloren. Der Junge war älter, als Magenta in Erinnerung hatte. Sie schätzte ihn auf vielleicht acht oder neun Jahre. Sein Blick war fest und seine Miene seltsam entschlossen; viel mehr, als Magenta es einem Kind seines Alters zugetraut hätte. Trotzdem sah er nicht aus wie ein Krieger und schon gar nicht wie jemand, der auf einen Thron sitzen sollte. Die Hexenmeisterin fühlte eine eigenartige Welle der Zuneigung für den Jungen in sich aufsteigen. Flüsternd erklärte sie Abbefaria, wen sie da vor sich hatten.
 

„Wache, bringt den König in Sicherheit.“, befahl der Hochlord, als er Marschall Windsor erkannte. „Wie es scheint, haben wir einen unbefugten Eindringling.“

Währen Anduin Wrynn unter Protestgeschrei aus dem Raum gebracht wurde, trat Lady Prestor vor.

„Was hat dies zu bedeuten?“, bellte sie. „Wachen! Ergreift diesen wertlosen Verbrecher und seine Mitverschwörer!“

Einige der Wachen machten Anstalten, dem Befehl Folge zu leisten, doch Marschall Windsor ließ sich davon nicht beirren.

„Ich bin hier, um Eure Maskerade zu beenden, Lady Prestor. Oder sollte ich Euch bei Eurem wahren Namen nennen…Onyxia, Tochter von Deathwing, dem schwarzen Drachen!“

Die Lady brach in kreischendes Gelächter aus. „Ihr werdet im Kerker landen, Windsor, und für Euren Verrat verurteilt werden. Ich werde mit Freuden zusehen, wie sie Euer Urteil verkünden, dass für Euch den Tod durch den Strang bedeutet.“

Die schwarzen Augen der hübschen Dame wurden schmal. „Und wenn Euer regloser Körper am Galgen baumelt und die Krähen Eure Augen aushacken, werde ich mich freuen, weil ein Verrückter endlich das bekommt, was er verdient. Wie könnt Ihr es wagen, solche Anschuldigungen gegen eine hochgestellte Adlige von Stormwind vorzubringen? Ihr habt nichts, was Eure Behauptung beweist!“

„Genau da irrt Ihr Euch, Onyxia.“, gab Marschall Windsor zurück. „ Ihr werdet Eurem Schicksal nicht entkommen. Es wurde in den Hallen von Karazhan vorausgesagt. Eure Herrschaft endet hier und jetzt.“

Der Marschall zog die Schrifttafeln hervor, die sie im Blackrock gerettet hatten.

„Die Dunkeleisenzwerge dachten, diese Schrifttafeln seien verschlüsselt. Doch das hier ist kein Code. Es ist eine uralte Schrifttafel, verfasst in der Sprache der Drachen. Sie werden die Wahrheit über Euch ans Licht bringen.“
 

Marschall Windsor begann, die Schrifttafeln zu verlesen. Fremdartige Laute drangen aus seinem Mund und begannen den gesamten Raum zu füllen. Wie ein näherkommender Wasserfall schwollen die Worte und Silben an. Sie breiteten sich aus und schwemmten den bösen Zauber hinweg, der den Raum und die ganze Stadt in seinem Würgegriff gehalten hatte. Magenta hörte, wie der Hochlord einen erstickten Laut von sich gab und sich an den Hals griff.

Lady Katrana Prestor wich immer weiter zurück, als könnte sie so dem Wirken des Zaubers entkommen.

„Ich bin neugierig, Windsor.“, fauchte sie und ihre Stimme wurde immer mehr zu einem Zischen. „In dieser Vision…habt Ihr überlebt? Denn eins werde ich sicherstellen und das ist der Tod, der Euch hier und jetzt ereilen wird.“

Mit einem Aufschrei riss die Lady die Arme in die Luft. Ihr Gesicht wurde länger und schuppiger, die Finger wandelten sich zu Krallen und ihr Rücken krümmte sich wie der einer fauchenden Katze. Ein Echsenschwanz ringelte unter der Robe hervor, die sich dehnte und spannte und schließlich zerriss, um die rasch in die Höhe wachsende Gestalt eines riesigen, schwarzen Drachen freizugeben. Brüllend fegte das Untier den Thron mit seinem Schwanz beiseite.
 

„Drachenabschaum!“, gellte der hasserfüllte Ruf Hochlord Bolvar Fordragons durch den Thronsaal. „Wachen! Wachen! Ergreift sie!“

„LASST SIE NICHT ENTKOMMEN!“, schrie jetzt auch Marschall Windsor und rannte mit gezücktem Schwert auf den schwarzen Leviathan zu.

„Kommt zu mir und lasst Euch fressen.“, fauchte der Drache. Die riesige Pranke schnellte vor und bevor der Marschall reagieren konnte, hatten sich die messerscharfen Krallen durch seine Rüstung gebohrt und seinen Leib aufgeschlitzt. Röchelnd brach er in einer Blutlache zusammen.

Der Drache streckte seine Flügel und ließ mit einem Feuerstoß eines der großen Fenster zerbersten. „Wachen, ergreift sie!“, schnappte der Drache, bevor er mit einem Windstoß seiner Flügel alle Anwesenden zu Boden warf und dann durch das Fenster flüchtete. Im gleichen Moment begannen einige der Wachen sich ebenfalls zu verwandeln. Ihre Körper wurden zu merkwürdigen Kreuzungen aus Menschen und Drachen mit schuppigen Leiber und schlangenartig entstellten Zügen. Ohne zu zögern stürzten die Bestien sich in den Kampf.
 

Magenta sah sich plötzlich einem grinsenden Echsengesicht gegenüber, dessen gespaltene Zunge immer wieder aus dem Maul schnellte, während er sprach. Allerdings konnte man das lispelnde Gestammel nicht mehr verstehen, so dass Magenta sich darauf beschränkte, ihrem Gegenüber einen Schattenblitz mitten ins Gesicht zu schleudern und sich dann nach den anderen umzusehen, als die Drachenbrut schwelend zur Seite kippte.

Schakal saß auf dem Rücken eines Halbdrachen und rammte diesem gerade sein Schwert in den Leib. Abbefaria stand nahe des Throns Rücken an Rücken mit einer menschlichen Wache und wehrte sich mit abwechselnd weiß und grün glühenden Zaubern gegen die Angreifer. Seine drei kleinen Bäume attackierten eine weitere Drachenbrut und wichen den zuschnappenden Kiefern und reißenden Klauen mit lautem Blätterrascheln aus, während sie ihren Gegner ihrerseits mit ihren spitzen Ästen piesackten. Am meisten hatten die Drachenwesen jedoch von Hochlord Bolvar zu befürchten. Der Mann drosch wie ein Berserker mit seinem Schwert auf die heranstürmende Brut ein und fällte einen nach dem anderen, bis er schwer atmend in einem Haufen zerfetzter Drachenleiber stand. Kaum war der letzte Drachenabkömmling getötet, ließ der Hochlord sein Schwert fallen und eilte zu der Stelle, wo Marschall Windsor am Boden lag. Er kniete sich neben den Verletzten und bettete seinen Kopf auf seinem Umhang, den er sich eilig vom Rücken riss. Windsors Augen flatterten und öffneten sich ein letztes Mal.

„Bolvar.“, krächzte er und musste husten.

„Reginald, es tut mir leid. Ich war so ein Narr. Ich war so blind.“

Windsor hustete erneut und Blut spritzte aus seinem Mund auf den Hochlord, der das nicht zu bemerken schien.

„Bolvar, das Medaillon. Benutzt es um…Onyxias Höhle…Schlüssel…“

Die Stimme des Marschalls erstarb plötzlich und sein Kopf rutschte zur Seite. Sanft ließ der Hochlord den Toten zu Boden gleiten und schloss dessen Augen.

„Es tut mir leid, Freund.“, flüsterte er noch einmal „So unendlich leid.“
 


 

Abbefaria atmete schwer und sein Blut rauschte durch seine Adern. Aufgepeitscht von dem vorangegangenen Kampf versuchte er zu begreifen, was gerade geschehen war. Sie hatten eine der höchsten Adligen Stormwinds des Verrats überführt. Und nicht nur das. Diese Frau war überhaupt kein Mensch gewesen! Bei der Erinnerung an den riesigen, schwarzen Drachen stockte ihm immer noch der Atem. Er trat zu Magenta und wollte sie glücklich in den Arm schließen, als er sah, dass sie Tränen in den Augen hatte. Erst da bemerkte er den reglos am Boden liegenden Ritter. Marschall Windsor war tot.

Der Druide legte den Arm um Magenta, die sich mit einem leisen Schluchzen an seine Brust drückte. Auch er fühlte eine seltsame Enge in seinem Hals, obwohl er den Mann kaum gekannt hatte. Plötzlich ergab alles einen neuen Sinn. Der Marschall hatte bereits gewusst, dass er sterben würde, als er nach Stormwind kam. Doch er war der Gefahr nicht ausgewichen und hatte sich ihr mit hocherhobenem Kopf gestellt. Es mochte sein, dass sie es waren, die die Drachenbrut besiegt hatten, doch der wahre Held war Marschall Windsor, der sein Leben für die Wahrheit geopfert hatte.
 

„Bringt dieses Gewürm vor die Stadttore und verbrennt es.“, gab Hochlord Bolvar Fordragon bereits wieder die ersten Anweisungen. „Und sorgt dafür, dass Reginald Windsor ein ordentliches Begräbnis erhält. Wir werden sein Opfer gebührend würdigen.“

Hektische Betriebsamkeit brach um den Hochlord herum aus, während der Mann sich zu den Trümmern des Throns schleppte und sich mit einem bitteren Seufzen auf den Steinen niederließ.

„So viele Trümmer.“, murmelte der Hochlord. Er nahm einen Stein und ließ ihn wieder fallen. „Wahrscheinlich liegt dort draußen das ganze Königreich in Schutt und Asche und ich blinder Narr habe es einfach nicht gemerkt. Selbst als Reginald mir die Wahrheit ins Gesicht brüllte, habe ich ihn nur ausgelacht und Beweise gefordert. Und jetzt hat er für eben diese Beweise sein Leben gelassen. Sein Blut klebt auch an meinen Händen.“

Der Hochlord sah mit geröteten Augen auf und schien erst jetzt die drei Abenteurer zu bemerken, die untätig und auch ein wenig überflüssig inmitten des geschäftigen Treibens standen. Er winkte ihnen, näherzukommen.

„Ihr seid diejenigen, die Reginald auf seinem letzten Weg begleitet haben.“, sagte er. „Stormwind schuldet…ich schulde Euch meinen Dank. Ihr habt geglaubt, wo alle anderen nur blind Befehlen gehorcht haben. Meinen Befehlen.“
 

Abbefaria räusperte sich und seine Hand tastete nach seinem Talisman, um sich Mut zu machen. „Euer…ich habe keine Ahnung, wie man Euch anredet, Hochlord, doch ich versichere Euch, dass es in diesem Königreich mehr tapfere Seelen gibt, als Ihr es Euch im Moment vorstellen könnt. Ohne ihre Hilfe wären wir nie so weit gekommen.“

Der Hochlord starrte ihn an, dann nickte er langsam. „Ihr habt Recht, Freund Nachtelf. Es nutzt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Diese Schlinge hab ich uns um den Hals gelegt und jetzt werde ich sie auch…was ist das?“

Der Hochlord trat vor und bückte sich nach einem kleinen Gegenstand. Er hob ihn auf und betrachtete ihn, als würde er ihn zum ersten Mal erblicken. Oder zumindest zum zweiten Mal.

„Dieses Amulett.“, überlegte er. „Ich habe es schon einmal gesehen…wenn ich mich doch nur erinnern könnte.“

Grübelnd starrte er auf das Amulett, in dessen Mitte ein schwarzer Stein prangte, durch den ein gezackter Riss lief. Neugierig trat Abbefaria näher, als plötzlich ein Funkeln in seiner Hand seine Aufmerksamkeit erregte. Er sah auf seine halb geöffnete Faust herab und bemerkte, dass er immer noch die goldene Münze darin hielt.

„Jetzt weiß ich es.“, rief der Hochlord plötzlich aus und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. „Die Kette erhielt ich als Geschenk von Lady Prestor, kurz nachdem wir uns kennenlernten. Diese falsche Schlange muss einen Zauber darin eingewoben haben, um meine Gedanken zu verwirren.“
 

Der Hochlord sprang von einer plötzlichen Ruhelosigkeit gepackt auf und begann auf und ab zu wandern. „Das muss das Amulett sein, von dem Reginald sprach. Er wollte mir sagen, dass das Amulett ein Schlüssel sei. Ein Schlüssel zu Onyxias Höhle. Aber wo…“

„In den Marschen von Dustwallow.“, antwortete Abbefaria. „Ich habe den Hort mit eigenen Augen gesehen.“

„Perfekt!“, rief der Hochlord aus. „Wir werden in die Marschen reisen und diesem verdammten Reptil das schwarze Herz rausreißen. Reginald wird nicht umsonst gestorben sein.“

„Entschuldigt, wenn ich mich da einmische, Fordragon.“, warf Schakal in die Runde. „Aber wenn Marschall Windsor von einem Schlüssel sprach, vermute ich, dass Ihr ohne diesen nicht in die Höhle hineinkommen werdet. Drachen sind listenreich und, wie wir ja gerade gemerkt haben, zu starker Magie fähig. Wenn Ihr ohne den Schlüssel in die Marschen reist, könnte es sein, dass Ihr mit Eurer Armee schlichtweg vor verschlossenen Türen steht.“

Der Hochlord zog die Augenbrauen nach oben. „Seid Ihr sicher, Zwerg?“

Schakal scharrte ein wenig mit den Füßen. „Nun ja, mit Schlössern kenn ich mich einigermaßen aus.“

„Gut, dann nehme ich das Amulett eben mit.“

„Ähm, so einfach wird das nicht gehen.“, ließ sich Magenta da vernehmen. Als der Blick des Hochlords sie traf, wurde sie rot bis unter die Haarspitzen. „Ich…äh…kenne mich zwar nicht mit Schlüsseln aus, dafür aber mit magischen Amuletten und ich sage Euch, dass das Amulett in diesem Zustand allenfalls als Türstopper taugt, aber Euch durch keine magische Barriere dieser Welt bringen wird.“

„Und wie sollen wir das Amulett reparieren?“, schnaubte der Hochlord und warf einen fragenden Blick auf Abbefaria. „Habt diese Antwort jetzt vielleicht Ihr parat?
 

Abbefaria zögerte. Sollte er von seiner Beobachtung erzählen? Was, wenn sie ihn auslachten? Andererseits hatte er im Grund nichts zu verlieren. So nahm er all seinen Mut zusammen und antwortete:

„Ich bin mir nicht sicher, denn mit Drachenmagie kenne ich mich nicht aus. Aber ich glaube, ich weiß, wo wir jemanden finden, der es tut.“

Mit diesen Worten öffnete er die Faust und hielt seine Münze neben Bolvars zerbrochenes Amulett. Die Münze glühte golden auf und je näher sich die beiden Kleinode kamen, desto heller wurde ihr Strahlen.

„Woher habt Ihr das?“, wollte der Hochlord wissen und starrte fasziniert auf die leuchtende, goldene Scheibe.

„Es stammt aus dem Blackrock und ich glaube, dass es dort einen Drachen gibt, der uns helfen wird.“

„Einen schwarzen Drachen, der seine Königin verraten wird?“, fragte Hochlord Fordragon zweifelnd. „Das glaube ich nicht.“

„Oh, und ich glaube nicht, dass es ein schwarzer Drache ist.“, wand Schakal ein und alle Augen richteten sich erstaunt auf ihn.

„Ihr erinnert Euch doch an den Drachen, der uns gegen die Dunkeleisenzwerge geholfen hat?“, fragte Schakal.

Magenta und Abbefaria nickten.

„Die Dunkeleisenzwerge, nun, sie riefen etwas, das mich glauben lässt, dass wir es nicht mit einem schwarzen Drachen zu tun haben.“

„Was haben sie gerufen?“, fragte Magenta aufgeregt und auch Abbefaria beugte sich unbewusst vor, um endlich zu hören, was Schakal zu sagen hatte.
 

Der Schurke atmete tief durch und antwortete: „Sie riefen: Schrecklicher Drache. Schrecklicher, roter Drache.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2012-01-19T14:47:05+00:00 19.01.2012 15:47
Hiho^^ Nachholen Part II :D
Geniales Kapi, ich hatte ziemlichen Spaß beim Lesen. Nett auch, wie du typische Klischees verarbeitest hast, ohne dass es plump wirkt (ich sage nur Magier^^ Naja, und stimmen tun diese Klischees auch noch :D)
Ich bin mal gespannt, wie es noch weitergeht :D
Von:  darkfiredragon
2011-05-27T10:25:50+00:00 27.05.2011 12:25
Wieder mal ein absolut geniales Kapi, es gab ordentlich was zu lachen (vor allem bei Emanuelle^^), auch wenn der Tod von Windsor am Ende natürlich die Stimmung deutlich getrübt hat. Aber ich bin gespannt wie es weitergeht, wünsch dir aber erstmal nen schönen Urlaub und übe mich in Geduld ;)

glg, darkfiredragon


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