Wolfskinder - Sternenwege von Scarla ================================================================================ Kapitel 22: »Ich sag nicht Lebwohl. Ich sage dir nur auf Wiedersehen« --------------------------------------------------------------------- Es war für Mana wie eine Ohrfeige. Wie konnte man nur so grausam sein und ihr so etwas antun? All diese wunderschöne Pracht um sie herum, all dieses freudige Leuchten, während sie etwas erwartete, das so sehr schmerzte. »Da wären wir, hier bin ich zu Hause«, meinte Fylgien und schaute sich traurig um. »Die Heimat der Sterne.« »Wo sind sie? Ich hätte erwartet, das sie durch die Luft schwirren wir Glühwürmchen«, meinte Mana nachdenklich. »Sie halten sich fern. Es gibt nicht viele Sterne, die so neugierig sind wie Fylgien«, bemerkte eine Gestalt die wie aus dem nichts auftauchte. Ein Mann mit schwarzem Haar. Mana wusste sofort, dass das Drafnar sein musste. »Sterne die so neugierig sind…? Du… bist ein Stern?«, Mana hatte das Gefühl, sie hätte in letzter Zeit verdammt viele Bretter vor dem Kopf gehabt. Dabei war es doch eigentlich so klar. Was sollte er sonst sein, wenn er im Sternenreich lebte. »Ja. Ich bin ein Stern. Ein funkelndes Leuchten am Himmel, das die Menschen jede Nacht beobachten und bestaunen. Und wir sind hier oben und beobachten und bestaunen die Menschen. Wie beneiden sie, für alles, was sie haben und für alles was sie können«, der goldene Wolf seufzte und machte einige Schritte auf Drafnar zu. Dabei wandelte sich seine Gestalt, er wurde zum Mensch. »Wir können es uns nicht aussuchen, Fylgien«, meinte er. »Ich weiß. Grausam ist es trotzdem.« »Warum ist Fylgien hier so etwas Besonderes? Warum ist er nicht einfach irgendwer?«, Mana lief an ihrem Stern vorbei zu Drafnar. Im Laufen wandelte sich auch ihre Gestalt, sodass sie nun als Mensch vor ihm stand, ihn voll Hass anblitzte. »Weil er meinen Platz einnehmen wird. Es kann niemand anderes tun, denn niemand anderes ist so voll Freundschaft für die Menschen. Er hat euch so lange schon beobachtet, dass er euch versteht, besser als jeder andere Stern. Es kann nicht sein, das ein Wesen aus der alten Welt einer Welt vorsteht, die nicht seine ist, aber ich kann auch nicht zulassen, das es irgendwer tut«, erklärte Drafnar. »Warum hast du ihn dann auf die Erde geschickt? War dir nicht klar, wie dumm das sein würde? War dir nicht bewusst, das ihm dieses Leben vielleicht besser gefallen könnte?«, fuhr sie ihn aufgebracht an. »Er musste die Menschen auch aus nächster Nähe kennen lernen. Um zu verstehen, warum sie sind, wie sie eben sind. Warum sie tun, was sie tun. Um sie in all ihrer Konsequenz begreifen zu können. Man muss seine nächsten Nachbarn kennen, um zu verhindern, das man einander schaden zufügt. Vor allem, wenn diese nächsten Nachbarn so gedankenlos sind, wie es deine Spezies nun einmal ist«, erklärte Drafnar, schüttelte dann entschieden den Kopf. »Wer erwartet auch schon, dass er sich verlieben würde? Es war… einfach anders geplant. Aber eigentlich hätte ich es besser wissen müssen, Gefühle haben schon die besten Pläne vernichtet.« »Und jetzt ist es sowieso einerlei. Die Entscheidung ist gefallen, jetzt gibt es kein zurück mehr«, mischte sich auch Manas Vater ein, der ebenfalls in seiner menschlichen Gestalt dort stand. »Aber es ist unfair. Nur, weil ihr so wichtige Dinge einfach außer Acht gelassen habt, müssen andere Leiden«, weinte Mana und blitzte Drafnar hasserfüllt an. »Ich könnte mich dafür bei dir entschuldigen, ich könnte dich auch Knien um Verzeihung bitten, aber ich denke nicht, dass es etwas ändern würde. Also hass mich. Vom tiefsten Grund deiner Seele aus. Wenn es dir irgendwie hilft, soll es mir recht sein«, antwortete er ruhig. Mana warf ihn noch einen letzten bösen Blick zu, dann wandte sie sich zu Fylgien um. Sie ging langsam auf ihn zu, fiel ihm um den Hals und schluchzte bitterlich. »Ich will bei dir bleiben. Es gibt nichts auf der Welt, was ich mir mehr wünsche. Ich will bei dir sein, bis in alle Ewigkeit«, weinte sie. »Ich weiß und ich will auch, das wir zusammen bleiben, aber… dies hier ist keine Welt für dich. Und deine Heimat ist keine Welt für mich…«, flüsterte er mit zitternder Stimme. Etwas zu wissen und etwas für gut zu befinden waren immer zwei paar Schuhe. »Fylgien, ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt. Wenn du es wolltest, ich würde hier bleiben«, sprach sie, flehte sie fast in seinen Armen. »Ich liebe dich auch, Mana. Und gerade weil ich dich liebe musst du gehen. Du könntest hier nicht glücklich werden und es würde mir das Herz brechen, dich traurig zu sehen«, flüsterte er ihr zu. »Aber wie soll ich ohne dich glücklich werden?«, fragte sie. »Denk immer an deinen kleinen Stern«, lächelte Fylgien und sie verstand sofort, was er meinte. Obwohl ihr hundelend zumute war und sie nicht aufhören konnte zu weinen, musste sie dennoch lächeln. »Natürlich. Was kann ich sonst anderes tun?«, fragte sie leise. Fylgien nickte lächelnd, dann hob er mit einer Hand ihr Kinn an und schaute ihr lange in die blauen Augen. »Weißt du, dass du als Wölfin genau solche Nordlichtaugen hast, wie dein Vater? Wann immer ich das Nordlicht betrachte werde ich an sie denken. Und wann immer ich das Meer sehe, werde ich an dich denken, denn deine Augen sind so blau, so tief, so geheimnisvoll wie das Meer«, erklärte er ihr. Sie versuchte zu lächeln, doch sie wusste selbst, dass es ihr kläglich misslang. Doch Fylgien lächelte. Seine Augen erzählten von Trauer und Leid, aber er selbst lächelte. Und dann küsste er sie. Er schmeckte ihre salzigen Tränen, doch sie störten ihn nicht. Sie beide wünschten sich, sie könnten auf ewig so stehen bleiben, zusammen auf die Unendlichkeit warten, doch irgendwann löste er sich von ihr. »Ich muss jetzt gehen, aber… Mana, ich gebe dir noch ein Versprechen. Wir werden uns wieder sehen. Irgendwann, irgendwo, irgendwie. Ich weiß nicht, was ich dafür tun muss, aber was es auch sein wird, ich werde es tun«, flüsterte er, so leise, dass die beiden Männer es nicht hörten. Nur Mana hörte es. Und sie konnte in seinen Augen lesen, wie ernst es ihm war. Dieser Ernst gab ihr die Hoffnung, dass es wirklich so sein konnte. Dieser Ernst gab ihr den Mut, doch irgendwie zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. »Ich sag dir nicht Lebewohl. Ich sage dir auf Wiedersehen«, nickte sie lächelnd und ebenso leise wie er. Und auch er nickte noch einmal, gab ihr noch einen Kuss, drückte sie noch einmal fest an sich. Das Drafnar zu ihnen gekommen war, seine Hand auffordernd auf seine Schulter legte, ignorierte er. Stattdessen drückte er Mana noch fester an sich und sie drückte sich noch enger an ihn. »Es wird Zeit«, flüsterte Drafnar. »Ich weiß«, antwortete Fylgien. Erst nachdem Drafnar wieder ein Paar Schritte gegangen war, ließ er sie endlich los. »Wir sehen uns wieder. Irgendwann. Bis dahin wünsch ich dir alles Glück der Welt. Auf wieder sehen, Sternengefährtin«, flüsterte er noch einmal, dann machte erst einige Schritte rückwärts, wandte sich ab und ging zu Drafnar. Dort wandte er sich abermals um, blickte zu Mana, während Drafnar wieder seine Hand auf Fylgiens Schulter ruhen ließ. »Ich werde mich immer an dich erinnern, Mana. So lange ich lebe werde ich dich nie vergessen. Und irgendwann wirst du gänzlich unvergessen sein, denn unsere Geschichte wird im Gesang der Sterne auf Ewig einen Platz finden«, sagte er und sie verstand. Sein versprechen, dass sie sich wieder sehen würden, es war nicht für andere Ohren bestimmt. Nun, sie würde es nicht verraten, auch ihrem Vater nicht. Sie nickte sacht, zum Zeichen, das sie verstanden hatte, und er lächelte leicht. Dann gingen sie. Und Mana schaute ihnen nach, solange sie konnte. Sie spürte, wie ihr Vater an ihre Seite trat und sie fest in den Arm nahm, aber er versperrte ihr nicht die Sicht. Er wusste, wie wichtig es ihr war. »Es wird Zeit nach Hause zu gehen, mein Kind«, flüsterte er ihr leise zu. »Wird der Schmerz irgendwann aufhören?«, fragte sie und schaute zu ihm hoch. »Nein. Der Schmerz um den Verlust eines geliebten Wesens… er hört niemals auf. Man gewöhnt sich an ihn, aber verschwinden tut er nie«, antwortete ihr Vater wahrheitsgemäß. »Wen hast du verloren?«, wollte sie leise wissen. »Ich habe eigentlich alles einmal verloren, was mir je etwas bedeutete. Fast alles habe ich wieder finden können, aber das war nur glück. Manchmal… wird einem erst dann bewusst, wie wichtig manche Dinge wirklich sind, wenn man sie für immer verloren glaubt«, erklärte ihr Vater und sie drängte sich eng an ihn. »Denkst du, ich könnte ihn wieder sehen? Irgendwann?« »Ja. Wenn ihr es wirklich wollt, dann wird das, was auch immer uns lenkt, ein Einsehen haben. Es hatte ja auch ein Einsehen mit mir«, erklärte er lächelnd. »Wie meinst du das?«, fragte Mana erstaunt. »Weißt du, dass ich dem Winter nachfolgen würde… eigentlich war es beschlossene Sache vom ersten Tag meiner Existenz an. Ich habe mich dagegen gewehrt, ich wollte es nicht, denn ich wollte nicht all das aufgeben, was mir wichtig ist. Und das hat mich… in ein tiefes Loch gestürzt, könnte man sagen. Ich war oft unfair und hab all meinen Selbstzweifel an anderen ausgelassen und sie so ebenfalls ins Unglück gestürzt«, Lugh Akhtar seufzte. »Weißt du, wer sich mit den Jahreszeiten einlässt, der gibt sein altes Leben auf und das wollte ich um keinen Preis der Welt. Nicht, nachdem ich endlich begriffen hatte, wie viel mir Nea bedeutet und nicht, nachdem du und Kekoa geboren wart. Aber das, was ich so gerne als Schicksal bezeichne, hatte ein Einsehen. Es gab mir ein kleines Schlupfloch, durch das ich gehen konnte. Es lag an mir, ob ich es finden würde, aber… ja, ich fand es. Und ich glaube, wenn ihr es wirklich wollt, mehr als alles andere auf der Welt, dann könnt auch ihr solch ein Schlupfloch finden«, fand er. »Denkst du, es bringt etwas, wenn ich all meine Energie in diese Suche stecke?«, fragte sie. »Nein. Lebe einfach. Lebe, als wäre jeder Tag dein letzter, erfreu dich am Regen, am Schnee, am Wind. Lach mit der Sonne, träume mit dem Mond, singe mit den Sternen. Und irgendwann, dann, wenn der rechte Zeitpunkt da ist, dann wirst du dieses Loch erkennen. Es wird aussehen, wie ein großes, goldenes Tor und während du hindurch schreitest, wirst du dich frage, wie du es je hattest übersehen können«, antwortete ihr Vater lächelnd. »Gut. Dann freue ich mich auf das goldene Tor. Und solange, bis ich es finde, hab ich anderes, worauf ich mich freuen kann«, lachte sie. Und es war ein wirkliches Lachen, ein glückliches Lachen, den Mana war sich Sicher, das dies kein Abschied für immer gewesen sein konnte. »Erfreu dich an allem, was dich glücklich machen kann, mein Kind. Aber jetzt wird es langsam Zeit, wir müssen nach Hause gehen. Nea wartet bestimmt schon sehnsüchtig darauf, ihre Tochter endlich im sicheren Heim zu wissen«, meinte er und deutete auf den Lichterweg. »Du hast recht. Aber Papa, darf ich dich etwas fragen?«, bat sie, während sie langsam nach Hause gingen. »Was auch immer du willst«, lächelte er. »Nun… erst einmal… du warst nie verrückt, oder? Immer wenn du so gewirkt hast, dann nur, weil du von den Jahreszeiten, von der alten Welt und dem alles wusstest, oder?« »Ich und verrückt? Nein, bestimmt nicht. Aber ja, du hast recht… es kann gut sein, das ich so manches Mal auf unwissende, als auch auf euch Kinder, diesen Eindruck hinterließ. Ich kann dich aber beruhigen, ich bin eigentlich ganz normal«, lachte er. »Gut. Dann noch eines… hast du mich eigentlich lieb?«, sie schaute fragend zu ihm auf. Er wirkte wirklich erstaunt angesichts einer Frage, deren Antwort für ihn scheinbar auf der Hand lag. »Aber natürlich Mana, wie sollte ich denn nicht?«, fragte er. »Früher hatte ich nicht unbedingt das Gefühl. Kekoa durfte immer viel mehr als ich und mich hast du immer so… abweisend behandelt«, meinte sie. »Oh Mana… Ich hab dich so lieb, dass ich um nichts auf der Welt wollte, das dir etwas geschieht, und… ja, ich fürchte, ich war immer ein wenig überfürsorglich. Nea hat immer gemeint, ich wäre schlimmer als alle Glucken im Stall zusammen«, lachte Lugh Akhtar. »Und was das Abweisend sein betrifft… es war keine Absicht. Es war mir nie bewusst, das ich so auf dich wirke, aber es war nie gewollt. Ich… ich denke, ich wollte nur verhindern, das du zu sehr trauern musst, wenn ich gehen müsste, und irgendwie… hab ich es wohl beibehalten, ohne es zu wollen und auch ohne es zu merken…« »Also hast du mich genauso lieb, wie auch Kekoa und Yue?«, hakte Mana noch einmal nach. »Natürlich. Sonst hätte ich dir den Stern nicht anvertraut«, lächelte Lugh Akhtar. »Welchen Stern?«, fragte sie lachend. »Irgendwie… beide«, grinste ihr Vater. »Weißt du… ich denke, es wird Zeit, dass du zumindest einen zurück bekommst«, fand Mana und öffnete das Halsband. Sie betrachtete den blauen Stern einen Moment, dann gab sie ihn ihren Vater wieder, doch der hob abwehrend die Hände. »Behalte ihn. Es steckt eine sehr mächtige Magie darin. Sie wird dich immer beschützen. Und wenn du denkst, dass du ihn irgendwann nicht mehr brauchst, dann hast du bis dahin vielleicht eine eigene Familie und selbst ein Kind, dann könnte es dir noch gute Dienste leisten«, erklärte er. »Gut… Wenn du wirklich glaubst, ich würde je einen anderen Mann finden, als Fylgien…«, meinte sie lachend. »Nein, ich glaube es zwar nicht, aber… Lass es mich so sagen. Schatten weiß sehr, sehr viel und sie redet gerne, auch von Dingen, die erst in Zukunft geschehen werden«, antwortete Lugh Akhtar lächelnd. Darauf lachte Mana nur. Sie wusste trotzdem mehr als ihr Vater, doch auf seinen fragenden Blick reagierte sie nicht. Stattdessen tanzte sie über den Lichterpfad. Sie tanzte ihrer Zukunft entgegen und sie wusste, wenn sie nur lange genug wartete, dann würde sie wundervoll werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)