Wolfskinder - Sternenwege von Scarla ================================================================================ Kapitel 19: Sedna ----------------- »Warum laufen wir eigentlich zu Sedna?«, Mana schaute missmutig zu Schatten, die gut gelaunt voran sprang. Ihr war der Weg in der vergangenen Nacht viel kürzer vorgekommen und die Kälte tat auch ihrer Pfote nicht gut. Sie schmerzte mehr als je zuvor. »Kennst du ihre Geschichte?«, erkundigte sich die Polarfüchsin. »Ja und genau deswegen weiß ich nicht, wie wir ihr helfen sollen«, meinte sie und biss die Zähne zusammen, als ihre Pfote, die sie mittlerweile nicht mehr aufzusetzen wagte, über einen Eisbrocken strichen. Was war nur los? Gestern abend hatte sie ihr kaum Schwierigkeiten bereitet. »Ich will ihr zeigen, das nicht alle Menschen schlecht sind und nicht alle Menschen immer nur an sich selbst denken und wer bitte kann es ihr besser zeigen, als ihr es könnt?«, lachte die Füchsin. »Wie kommst du auf die Idee, das wir dazu die Richtigen wären?«, mischte sich Lif ein. »Oh, lass ich mal überlegen«, griente Schatten. »Ihr seid von Altena bis hierher gereist, nur um ein Wesen, von dem ihr gerade einmal den Namen kanntet, nach Hause zu bringen. Dabei habt ihr euer Leben riskiert, wusstet nicht einmal, ob das hier überhaupt der richtige Weg ist oder was euch in dieser neuen Welt erwarten könnte. Wenn das nicht alles andere als Selbstsüchtig ist, dann weiß ich auch nicht weiter.« »Wenn du das sagst, dann hört es so danach an, als wäre es eine riesengroße Leistung, aber eigentlich… ist es doch eine Selbstverständlichkeit, oder nicht? Ich meine, man muss doch denen helfen, die in Not sind«, fand Ahkuna. »Man muss es nicht, aber man sollte es tun, ja, aber Menschen sind selbstsüchtig. Vielen hat man auch einfach nicht beigebracht, das es gut ist zu teilen. Es ist schade, aber es ist so. Und meistens trifft Sedna nur auf solche, wenn sie von Unruhe getrieben, in die neue Welt kommt. Ich will nicht, dass sie endet wie Lilith«, erklärte die Füchsin, als sie stehen blieb. Die Wölfe stellten sich neben sie und gemeinsam blickten sie in die Bucht hinab, die Mana am Abend zuvor schon gesehen hatte. Sedna saß auf den Felsenklippen, die die Bucht vom Meer trennten und schaute gedankenverloren in die Ferne. Sie tobte nicht, sie schrie nicht, sie weinte nicht. Sie saß einfach nur da, schien völlig in sich selbst versunken. Schatten zögerte einen Moment, dann schaute sie die Wölfe an. »Ich geh erst allein zu ihr hinab und spreche mit ihr. Damit sie weiß, das ihr nichts Böses wollt. Und dann kommt ihr nach. Geht langsam, macht keine schnellen Bewegungen, damit sie keine angst bekommt«, gebot Schatten. »Ist sie gefährlich?«, wollte Lif wissen. »Nein, aber voll Angst wollt ihr sie auch nicht gerade erleben, glaubt es mir. Sie könnte euch vernichten, wenn sie wollte und sie ist Unsterblich, also tut nichts Dummes. Ich gehe jetzt«, erklärte die Füchsin und mit einem letzten Blick, den sie mit Fylgien tauschte, sprang sie los. Sie tänzelte offen und gut gelaunt über den Schnee, näherte sich Sedna völlig offen, ohne sich zu verbergen. Mana dachte sich schon, das es einen Augenblick dauern würde, so deutete sie Fylgien, das er mitkommen sollte. Sie verließen die Gruppe gerade so weit, das sie ihre Gespräche nicht mehr hören konnten, dann setzten sie sich in den Schnee und beobachteten, wie unwillig ihre Freunde zu ihnen hinüber schauten, und sie Schatten immer noch auf Sedna zutänzelte. »Wo bist du gestern Nacht gewesen?«, fragte sie leise. »Woher weißt du, das ich überhaupt weg war?« »Ich habe wieder den weißen Wolf getroffen. Mit ihm war ich gestern schon einmal hier, der hat mir ein bisschen was erzählt. Über Sedna und… über dich. Und als wir wieder hier waren, da warst du nicht da. Und Schatten auch nicht. Allerdings bin ich eingeschlafen, bevor ihr wiedergekommen seid…«, sie legte sich in den Schnee und er legte sich neben sie. »Schatten und ich hatten ein bisschen was zu besprechen und wir wollten niemanden wecken. Was… hat er über mich erzählt?«, er legte seinen Kopf in ihren Nacken. Er spürte, das Mana irgendetwas beschäftigte. »Er hat mir gesagt, woher du kommst. Und auch, das du dorthin zurückkehren musst. Und… noch etwas anderes, aber das… möchte ich lieber aus deinem Mund hören«, erklärte sie zögernd. »Um was geht es?«, fragte er, während er beobachtete, wie Schatten mit Sedna sprach. »Fylgien, das, was zwischen uns war… auf Midgard… was war das? War es wirklich oder nur ein… wunderschöner Traum?«, fragte sie leise. »Mana…«, er wirkte unschlüssig, wollte eben weiter sprechen, als Lif auf sie zugesprungen kam. Jetzt sahen sie auch, das Schatten ungeduldig mit der Rute wedelte, als Zeichen, das sie kommen sollten. So machten sie sich auf, liefen zu ihr hinab. Wach und ruhig, wie sie da saß, so kalt und fern, wirkte sie wie eine Göttin. Sie schaute ein wenig misstrauisch auf die Wölfe, ließ keinen von ihnen aus den Augen. »Sie sind keine Menschen«, sagte sie leise zu Schatten. »Doch, sind wir. Aber wir wurden für diese Reise in die Gestalt von Wölfen gesteckt, den Menschen hätten nicht überleben können«, erklärte Slyk. »Nein, als Menschen hättet ihr nicht in die alte Welt gedurft. Menschen sind hier nicht mehr willkommen, für sie ist die neue Welt. Deswegen hat er euch in die Gestalt der Tiere gesteckt. Anders wärt ihr Freiwild gewesen«, mischte sich Schatten ein. »Dann eben so. In unserer wirklichen Gestalt sind wir aber Menschen«, Lif zögerte kurz, dann trabte er zutraulich auf Sedna zu. Die zuckte zurück, schien nicht erfreut über seinen Mut, doch Lif ließ sich nicht beirren. Er blieb erst direkt vor ihr stehen, nur eine Schnauzenlänge von ihr entfernt, setzte sich hin und schaute zu ihr auf, in ihre meergrauen Augen. Zwischen den beiden fand ein Zwiegespräch statt, das keiner von ihnen verstand. Nur Lif und Sedna waren daran beteiligt und sie brauchten keine Worte. Obwohl sie sich heute das erste Mal gesehen hatten, benötigten sie lediglich einen Blick. Selbst Schatten schien nicht ganz zu verstehen, was vor sich ging. Irgendwann, nach einer schieren Ewigkeit, wandte Lif den Blick ab. Er wirkte nachdenklich, fast schon verstört, als hätte er in ihrem Blick Dinge gesehen, die ihn in seinen Grundfesten erschütterten. Die Füchsin trat leise zu ihm und rief ihren Kopf an seinem Bein, den weiter hinauf reichte sie nicht und mehr konnte sie nicht tun, um ihn zu trösten. Dann jedoch wandte sie sich Sedna zu, die verwirrt und misstrauisch auf den graubraunen Wolf hinabblickte. Auch sie schien etwas in seinen Augen gesehen zu haben, was sie nicht erwartet hatte. »Sedna, sie sind anders als alle anderen Menschen, sonst wären sie nicht hier«, erklärte die Füchsin, setzte sich vor die Frau und legte ordentlich ihre lange Rute um die Vorderbeine. »Ich habe sein Herz gesehen, Chaya. Es ist, wie ein leuchtend goldener Vogel, der hinaus in die Welt fliegen will. Ich verstehe nicht…«, murmelte die junge Frau noch verwirrter, doch das hörte Mana schon gar nicht mehr. Der Name hatte sie aufgeschreckt. Chaya. Der Wolf hatte sie erwähnt. Sie gehörte zu jenen, die die Geschicke der alten Welt leiteten. Deswegen brauchte Mana in ihrer Nähe keine Furcht zu haben und deswegen wollte Schatten auch nicht über das sprechen, was sie war. Und nun verstand sie auch das Erstaunen, als sich die Füchsin vorstellte. Sie verstand zwar nicht alles, aber so viel mehr. Plötzlich ergab so vieles einen Sinn. Doch sie sagte nichts, zwang sich dazu, weiter zuzuhören, doch viel gab es nicht mehr zu sagen. »Es sind nicht viele und es werden immer weniger, aber es gibt sie«, sagte Schatten gerade und schaute voller Stolz auf die kleine Gruppe. Und Sedna nickte nachdenklich. »Weißt du, die Welt ist ein wunderbarer Ort, du musst nur die richtigen Leute kennen lernen«, sprach die Füchsin weiter. Die Frau zögerte einen Moment, da merkte Mana, das sie dies hier nichts anging. Was auch immer Sedna zu sagen hatte, es war nur für Schattens Ohren bestimmt. »Kommt mit«, sagte sie also zu ihren Freunden. Während Ahkuna nickte und sich gleich umwandte, und auch Fylgien nur einen Moment zögerte, blieben die beiden anderen Jungen nach wie vor stehen und schauten fragend von einem zum anderen. Mana striff Schattens Blick nur zufällig, aber sie verstand sofort, das auch die Füchsin wollte, dass sie wieder gingen. So seufzte die Wölfin und drängte ihre Cousins ab. »Kommt mit«, meinte sie. »Aber ich möchte hier bleiben«, Lif trat so zurück, das Mana fast hinfiel. »Nein, komm mit. Lass sie alleine reden«, bat sie, doch Schatten verneinte da schon. »Lass ihn hier«, fand auch sie, mit einem Rutenzucken deutete sie aber, das die anderen dennoch gehen sollten. Und das taten sie. Zögernd und eigentlich eher unwillig, denn sie waren auch neugierig, doch sie gingen und beobachteten aus der Entfernung, wie die Drei miteinander sprachen. Sie sollte nie erfahren, was die drei miteinander sprachen und im Moment kam ihr dieser Besuch auch nicht gerade sinnvoll vor. Es war bloß das Herauszögern etwas unvermeidlichen, doch da dieses Unvermeidliche darin bestand, das Fylgien für immer ging, war es ihr mehr als recht. Und dennoch fragte sie sich, welchen Sinn dieser Besuch hatte. Sie beschloss, Schatten danach zu fragen, aber erst später. Es verging noch eine Weile, dann schienen sie sich von einander zu verabschieden. Sedna streichelte mit ihren Flossenarmen über Lifs Kopf, nickte Schatten noch einmal zu und rutschte dann ins Wasser, wo sie verschwand. Schatten und Lif kamen daraufhin zu ihnen zurückgelaufen. »Jetzt können wir nach Norden, zum Winter«, lächelte die Füchsin gut gelaunt. »Und wie kommen wir dorthin? Der Wind ist ja nicht hier und ich bezweifle, dass der Südpol einen Pfad in den Norden hat«, meinte Slyk. »Unser lieber Kenai wird schon wieder auftauchen, aber auch der Wind braucht einige Momente. In der Zeit können wir schon wieder nach Norden laufen, dann haben wir immerhin etwas zu tun«, meinte die Füchsin und tänzelte auch schon voran. Und Mana beeilte sich, ihr zu folgen, sich neben ihr zu halten. »Hat der Besuch den Effekt gebracht, den du wolltest?«, erkundigte sie sich neugierig. »Ja. Sedna hat verstanden, was ich ihr sagen wollte«, bestätigte die Schatten. »Warum bist du nicht nur mit Lif hierher gekommen? Ich meine, wir anderen hätten doch schon einmal vorgehen können, ihr hättet uns gewiss problemlos eingeholt… Chaya«, Mana verwendete absichtlich den Namen, den auch Sedna verwandte. Sie wollten sehen, wie die Füchsin reagierte. Und sie reagierte, indem ihr Blick nachdenklich wurde. Eine Weile schwieg sie, dann nickte sie, als wäre sie zu einem Schluss gekommen. »Es war wichtig, das Sedna dich auch kennen lernt. Ihre Bekanntschaft ist wichtig für etwas, was noch vor dir liegt«, erklärte die Füchsin, dann schaute sie die weiße Wölfin an. »Und was mich betrifft… ich habe mit Chaya abgeschlossen. Sie ist meine Vergangenheit und das wird sie immer sein, aber sie beherrscht nicht mehr meine Zukunft. Das habe ich jemand ganz Besonderem zu verdanken, deswegen gibt es auch fast nichts, was ich nicht für ihn tun würde. Deswegen bin ich ja auch hier«, sie lächelte. »Wie… kann man mit sich selbst abschließen? Ich verstehe nicht…«, Mana neigte fragend den Kopf. »Man kann mit gewissen Abschnitten des eigenen Lebens abschließen. Weißt du, man kann auf ewig daran denken, sich bei jeder Entscheidung davon beeinflussen lassen, oder man macht sich bewusst, das Vergangenes vergangen ist. Man darf es nicht vergessen, aber man darf auch nicht alles, was man sagt, denkt oder tut davon abhängig machen«, erklärte die Füchsin. »Hat Chaya schlimme Dinge getan?«, erkundigte sich die Wölfin vorsichtig. »Nein. Aber sie war sehr, sehr einsam. Sie hat immer daran gezweifelt, dass das, was sie tut, das richtige ist und sie hat sich für alles selbst die Schuld gegeben. Und dann hat sie den Winter getroffen und beschlossen, dass es Zeit ist, mit dem alten Leben abzuschließen. Und jetzt bin ich Schatten«, erklärte die Füchsin. »Aber viel mehr über mich wisst ihr trotzdem nicht.« Sie blieb stehen. »Was ist los?«, wollte Ahkuna wissen. Sie und auch die Jungen hatten ebenfalls aufmerksam zugehört. »Der Wind ist hier«, meinte die Füchsin und als wäre dies das Stichwort gewesen, manifestierte sich der gestreifte Wolf vor ihnen. »Es ist Zeit, in die neue Welt zurückzukehren«, meinte er. »In den Norden, zum Winter«, in Slyks Stimme schwang Aufregung, aber auch ein wenig Unsicherheit mit. »Für euch, ja. Für mich gibt es etwas anderes zu tun«, meinte Lif. Mana verstand, was er meinte. Er wollte zu seiner Schwester und schauen, ob er etwas tun konnte. Es wunderte sie sowieso ein wenig, dass er nicht gleich mit dem Wind gegangen war, aber vielleicht hatte er gefühlt, dass er hier noch gebraucht wurde. »In den Norden ja, aber nicht direkt zum Winter. Lif hat recht, es gibt für euch erst noch etwas anderes zu tun«, nickte auch Schatten. Natürlich, das, was die Nornen ihnen gesagt hatten. Jetzt war es Zeit, dass sie erfüllten, was ihr Schicksaal sein sollte. Und so machte der gestreifte Wolf sie wieder zu Wind. Gemeinsam machten sie sich so auf den Weg nach Norden. Um ihrer Bestimmung zu folgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)