Wolfskinder - Sternenwege von Scarla ================================================================================ Kapitel 5: Der weiße Wolf ------------------------- »Hast du eigentlich von Papa etwas zum Geburtstag bekommen?«, fragte Mana ihren Bruder, während Ahkuna ihr die Haare ordentlich schnitt. »Natürlich, ein Buch, das ich schon seid Jahren haben wollte«, antwortete der und seufzte leise. »Weißt du, ich kann mir gar nicht richtig vorstellen, das ich bald in Lanta leben werde.« »Willst du da wirklich hingehen?«, Ahkuna schaute ihn zweifelnd an. »Ja. Das war schon so lange mein Traum, seitdem Hope uns das erste mal von dem Lilienkrieg erzählt hatte«, Kekoa wirkte ein wenig erschrocken über seinen eigenen Mut. »Ich werde dich besuchen kommen, wenn ich in der Nähe bin«, versprach Mana. »Tu das. Denkst du, dem Menschenkönig ist es recht, wenn ein Zauberer in seinem Schloss lebt?«, Kekoa wirkte nicht gerade überzeugt. »Papa ist mit König Fjodor befreundet, ich denke nicht, dass er etwas gegen seinen Sohn hätte«, beruhigte ihn Mana und beobachtete ihren Bruder durch einen Spiegel. Er wirkte so klein und hilflos, so ängstlich, als wäre er noch gar nicht bereit für diese Welt. »Trotzdem… Na ja, es gibt ja noch Daina, sie wird mir bestimmt beistehen«, lächelte Kekoa zuversichtlich. »Genau, und wir wissen ja alle, wie gut Prinzessin Daina ihren Vater unter Kontrolle hat«, lachte Ahkuna. »Wann wirst du eigentlich abreisen?«, erkundigte sich Mana bei ihrem Bruder. »Noch heute. Aaron muss aus beruflichen Gründen nach Lanta, ich begleite ihn«, erklärte Kekoa und setzte sich umständlich auf. »Wieso wolltest du eigentlich wissen, was ich von Papa zum Geburtstag bekommen habe?« »Weil ich dachte, das der blaue Stern dort mein Geschenk wäre, aber er mir gestern Abend gesagt, das er nur ein Geschenk vom Meister an seine Schülerin wäre und ich noch etwas anderes bekommen würde, aber ich weiß nicht was«, antwortete Mana und stand auf, um nun Ahkuna die Haare zu bürsten, nachdem sie selbst nun wieder ordentlich aussah. »Na, wenn er so ein Geheimnis draus macht und du es erst so spät bekommst, dann muss es ja etwas ganz besonderes sein«, fand Kekoa und stand auf. »Ich muss packen gehen. Kommst du mich verabschieden, wenn ich gehen muss?« »Natürlich«, lächelte Mana und umarmte ihn kurz, bevor sie Ahkuna zu Ende bürstete. »Weißt du schon, was du jetzt machen willst?«, fragte die zögernd, nachdem Kekoa gegangen war. »Nein… nicht wirklich. Ich weiß, dass ich irgendwohin reisen möchte, aber ich habe kein Ziel. Vielleicht erst einmal nach Navarre, ich war schon so lang nicht mehr dort…«, überlegte Mana zögernd. »Wie… wie wäre es mit einer Weltreise? Oder wenn wir es Lani gleichtun und die magielosen Orte besuchen?«, schlug Ahkuna vor. »Ja, daran habe ich auch schon gedacht… aber genau weiß ich es nicht«, Mana seufzte und legte die Bürste beiseite, als sie ein lautes krachen hörte. Verdutzt schauten sie und Ahkuna auf die Tür, dann ging sie langsam darauf zu und öffnete sie. Vor der Tür setzte sich Lif gerade benommen auf und Slyk lag lachend neben ihm. »Warst du das eben?«, erkundigte sich Mana ungläubig bei Lif. »Er ist voll gegen die Tür gerannt!«, brach Slyk japsend hervor. »Und wieso?« »Weil… ja, warum eigentlich?«, Lif schaute fragend zu seinem Freund, der daraufhin nur noch lauter lachte. »Ich glaube, dazu sollten wir jetzt nichts sagen«, Ahkuna zog vielsagend eine Augenbrauche hoch und Mana nickte kichernd, während sie Lif beim Aufstehen half. »Na ja, ich wollte halt mal wissen, ob ich sie aufbrachen könnte«, grinse der verlegen. »Und man sehe: Du kannst es nicht. Das jede Tür Altenas durch einen Zauber geschützt ist, weißt du aber noch?«, erkundigte sich Mana lachend. »Nur hier im Turm!«, widersprach Lif, doch dann grinste auch er. »Ja, ich weiß, eine selten dämliche Idee.« »Ja, das war die freundliche Umschreibung«, bestätigte Ahkuna, musste nun aber doch mitlachen. »Na ja, auf jeden fall sind wir hier, weil wir dich abholen sollen, Mana. Lugh wartet mit deinem Geschenk im Aufenthaltsraum«, fuhr Lif fort, während Slyk sich langsam beruhigte. Da horchte das Mädchen auf und ging schnell los, gefolgt von ihren Freunden. Im Zaubererturm wohnten viele Zauberer, und jeder von ihnen hatte ein eigenes Schlafzimmer, doch jedem auch noch andere Räume zur Verfügung zu stellen, würde sämtliche Kapazitäten sprengen, deswegen war dies nur den Ranghöchsten vorbehalten. Und da Lugh Akhtar nicht in Altena lebte, wunderte es niemanden, dass er im Aufenthaltsraum wartete, statt im Studierzimmer oder in der Bibliothek oder dergleichen. Doch das war sowieso alles uninteressant, Manas Geschenk war viel interessanter. Eigentlich wäre es höflicher gewesen, anzuklopfen, doch stattdessen stürzten die vier alle hinein. Das erste, was sie sahen, war Cinder, die lachend auf dem dicken, roten Teppich saß, und Soul, die es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte. Dann erst sahen sie einen gut gelaunten Lugh Akhtar, der, als er erkannte, wer da hereingestürzt kam, schnell an Cinder vorbei auf sie zutrat. »Mana, mein schönes Kind«, begrüßte er sie und umarmte sie lachend. »Lif meinte, das ich herkommen soll«, antwortete sie und lugte neugierig an ihm vorbei, doch sie konnte nichts erkennen. »Ja, so ist es. Du musst doch auch endlich dein Geschenk bekommen«, ihr Vater ließ von ihr ab und war mit zwei schnellen Schritten bei Cinder, um sich nach etwas zu bücken. Als er sich wieder erhob und zu ihr umwandte, hielt er einen jungen Hund im Arm, der leise winselte. »Was ist das?«, Mana machte mit gerunzelter Stirn einen Schritt zurück. »Dein Geschenk.« »Ein Haustier?« »Ein Wegbegleiter.« »Ein Hund«, Mana seufzte. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, sie wusste nur, dass es kein Hund gewesen war. Sie mochte Hunde nicht sonderlich, im Gegenteil. Nachdem sie einmal als kleines Kind von einem böse angeknurrt wurde, hielt sie sich nach Möglichkeit von ihnen fern. Sie hatte nie verstanden, wieso sich ihr Vater so sehr für diese Tiere begeistern konnte. Das hieß nicht, dass sie nicht Tierlieb war, nur Hunde mochte sie eben nicht. »Kein Hund, er ist ein junger Wolf«, es blitzte begeistert in den vielfarbigen Augen. »Schön«, sie lächelte gequält. Sie wollte ihren Vater nicht verletzten, den man sah ihm die Begeisterung über das eigentlich völlig missglückte Geschenk deutlich an. Sie zögerte, dann ging sie zu Lugh Akhtar und nahm das Tier entgegen, nur um es sogleich auf den Boden zu setzen. »Danke Papa«, noch immer verzerrte ein künstliches, steifes Lächeln ihr Gesicht, doch der Zauberer schien es nicht zu sehen. Er schaute stattdessen, wie der junge Wolf wieder zu Cinder lief und sie mit einem seltsamen jaulenden Laut anbellte. »Er hat noch keinen Namen, wenn du magst, kannst du ihm einen geben«, erklärte Soul und schaute ebenfalls mit wachsender Begeisterung auf das kleine Tier. »Ja, ich werde mir was überlegen…«, Mana blickte Hilfe suchend auf ihre Freunde. »Los, wir müssen dem Kleinen dein Zimmer zeigen, damit er weiß, wo er wohnen wird«, sprang ihr Slyk sogleich bei und fing gemeinsam mit Lif den jungen Wolf ein. Dann ließen sie ihre Eltern wieder alleine und gingen schnell den Flur entlang. »Wie kommt Lugh denn auf die Idee, ausgerechnet dir einen Wolf zu schenken?«, wunderte sich Lif, der seinen Gürtel löste, um ihn als Leine zu verwenden, denn den ganzen Weg wollten sie das Tier nicht tragen und folgen wollte es ihnen nicht gerade. So zog er ihn bald am Gurt hinter sich her. »Wenn ich das wüsste… vermutlich denkt er, das wäre das schönste Geschenk aller Zeiten für mich, so wie er sich gefreut hat«, seufzte Mana. »Wirst du es ihm sagen?«, erkundigte sich Ahkuna. Im Gegensatz zu Mana schien sie den jungen Wolf sehr gerne zu haben. »Nein… zumindest nicht gleich«, antwortete die und lotste sie alle in einen leeren Raum. Sie wollte den Wolf nicht in ihrem Zimmer haben. »Was tust du jetzt mit ihm?«, Slyk streichelte das junge Tier. »Ich weiß nicht… einen Waldläufer suchen, der ihn auswildert?«, überlegte sie und betrachtete den jungen Wolf das erste mal genauer. Und sie musste feststellen, dass er hübsch war. Er hatte ein hellgoldenes Fell, von der Nasenspitze bis zur Rutenwurzel ging ein dunkler Aalstrich. Auch die Ohrenspitzen zierte ein dunkles Muster, doch um die Augen herum, die Pfoten und die Rutenspitze waren hell. Auf der Hüfte zierte ihn ein heller Halbmond, umgeben von vielen hellen Flecken. Seine Augen waren silbergrau. »Den kleinen Kerl willst du alleine in die Wildnis schicken?«, Lif setzte sich vor den Wolf und schaute ihn tief in die Augen. »Na ja, er ist ein Wolf, oder nicht? Dann gehört er da eigentlich hin«, fand Mana mit hochgezogener Augenbraue. »Stimmt, aber er ist noch viel zu klein«, fand Ahkuna. »Ja, mein Gott, dann behaltet ihn doch«, murrte Mana und ging. Sie wollte jetzt gerade niemandem um sich herum haben, denn sie war von ihrem Geschenk wirklich bitter enttäuscht. Außerdem musste sie sich auch noch von Kekoa verabschieden. Als sie stunden später niedergeschlagen in ihr Zimmer kam, saß der junge Wolf auf ihrem Bett und fiepte leise. Erst wurde sie wütend, denn sie war immer noch der Ansicht, das der kleine Kerl in ihrem Zimmer nichts zu suchen hatte, doch dann bekam sie mitleid. Er war nun genauso alleine wie sie, das spürte sie deutlich. »Komm mit, kleiner, wir gehen spazieren…«, seufzte sie und nahm einen Strick auf, den sie als Leine benutzen konnte. Ein Halsband hatte sie nicht, deswegen Band sie ein Ende um seinen Hals. So verließ sie den Turm und auch Altena und ging alleine und nachdenklich in den Wald. Es war schon dunkel, doch angst hatte sie nicht. Sie kannte die Polarnächte, die Wynter jedes Jahr für Monate in Finsternis tauchten, da verlor man die Angst vor einer dunklen Nacht schnell. Sie lief einige Zeit nur still vor sich hin, war in Gedanken weit weg. Deswegen bemerkte sie den Nebel nicht, der sich um sie herum ausbreitete, und auch den Schnee, der Anfang November in diesem Teil des Reiches ausgesprochen früh dran war, erhielt erst ihre Aufmerksamkeit, als es schon in dicken Flocken schneite und ihr zusätzlich die Sicht nahm. »Hey Kleiner, wir sollten umdrehen«, erklärte sie dem jungen Wolf, doch der schaute mit gespitzten Ohren und ausgesprochen Unsicher um sich. Das machte sie nervös, denn sie wusste, dass Tiere bessere Instinkte hatten, als sie. Vielleicht kam ein Unwetter oder wilde Tiere waren unterwegs. Sie ballte schon die Magie um sich herum, um sich verteidigen zu können, als der Anhänger, den sie von Lugh Akhtar Geschenk bekommen hatte, hell zu leuchten begann. Erstaunt zog sie ihn unter ihrer Kleidung hervor und betrachtete ihn aus großen Augen. Dann gab wieder der junge Wolf einen Laut von sich und sie schaute erschrocken hoch. Da sah sie ihn. Sein Fell war so weiß, dass er sich fast nicht vom Schnee drum herum abhob, seine Augen leuchteten wie das Nordlicht, das die langen Nächte in Wynter erhellte. Nur die Ohren, die aufmerksam in ihre Richtung lauschten waren schwarz wie die Nacht. Er war viel größer, als jeder andere Wolf, den sie je gesehen hatte, fast schon so groß, wie ein Fohlen oder eine junge Kuh. Sie starrte ihn aus aufgerissenen Augen an und ohne darüber nachzudenken ließ sie eine Feuersäule auf das Tier los. Es kam nicht einmal in seine Nähe, da verrauchten die Flammen schon im Nichts. »Was bist du?«, hauchte sie darauf leise. Natürlich antwortete ihr der Wolf nicht, doch der junge, goldene Wolf riss sich los und lief erst schnell, dann immer langsamer werdend auf den großen Weißen zu. Vor den großen Pfoten setzte er sich in den Schnee und schaute winselnd hinauf. Der weiße neigte den Kopf und die beiden Wölfe berührten einander mit ihren Nasen. Dann ging der weiße Wolf an dem Kleinen vorbei und ging zu Mana. Er brauchte nicht einmal wirklich zu ihr aufschauen, als er vor ihr stand. Er berührte ihren Anhänger mit der Nase, woraufhin der so hell aufleuchtete, das Mana die Augen schließen musste. Als sie sie wieder öffnen konnte, stand der weiße Wolf so im Schneetreiben, dass sie ihn kaum noch sehen konnte. Das er dabei, im Gegensatz zu ihrem kleinen Goldenen, nicht eine einzige Spur hinterlassen hatte, nahm sie nur am Rande war, denn sie war völlig von seinen leuchtenden Augen gebannt. Dann hob der weiße Wolf die Schnauze, stieß ein lang gezogenes Jaulen aus und schaute sie noch einmal lange an. Dann verschwand er. Er ging nicht, er war nur einfach nicht mehr da. Er hinterließ keine einzige Spur, nur den Nebel und das Schneetreiben nahm er mit sich. Mana wusste nicht, wie lange sie noch völlig fassungslos auf jene Stelle starrte, wo er zuletzt gestanden hatte, doch irgendwann wandte sie sich wie betäubt an den jungen Wolf, der ihr Geburtstagsgeschenk war. »Lass uns nach Hause gehen, Kleiner«, sprach sie leise. »Ich bin nicht klein, ich bin fast erwachsen«, kam die bissige Antwort. »Außerdem hab ich auch einen Namen, mit dem ich gerne angesprochen werden möchte. Oder soll ich dich immer >Karotte< nennen?« Mana blinzelte verwirrt, starrte dann auf den goldenen Wolf, der sie genervt und auch ein wenig herausfordernd anblitzt. »Aber gut, wenn es dir so viel bedeutet, dann gehen wir eben, da ist es wenigstens warm, und wenn ich schon hier herumsitzen muss, dann doch bitte im warmen«, beschwerte sich der junge Wolf weiter. »Du sprichst?«, sie starrte ihn fassungslos an. »Nein, ich Kommuniziere durch Rülpsen«, antwortete der mit einer vor Sarkasmus triefenden Stimme. »Warum sprichst du plötzlich?«, Mana wusste, das manche Zauberer mit Tieren sprechen konnten, ihre Mutter gehörte dazu, doch sie selbst hatte nie auch nur den Ansatz gezeigt. »Nicht plötzlich. Du fängst nur endlich an, zuzuhören, und ich glaube, der Winterbote hat auch etwas damit zu tun. Gehen wir jetzt endlich?«, er machte einige ungeduldige Schritte in die entsprechende Richtung. »Winterbote?«, fragte Mana. »Kennst du noch nicht einmal solch grundlegende Dinge aus deiner eigenen Welt? Armes Kind«, fand der junge Wolf. »Grundlegende… was? Du bist kein normaler Wolf, oder?«, erkundigte sie sich. »Nein«, da wirkte das Tier plötzlich traurig. »Eigentlich komme ich ganz woanders her, aber ich… egal. Jetzt bin ich hier, und ich denke nicht, dass ich zurück kann, denn ich kenn den Weg nicht mehr. Tust du… mir den gefallen und kümmerst dich um mich? Ich glaube nicht, das ich es alleine kann.« »Natürlich… mein Name ist Mana«, stellte sie sich vor. »Ich bin Fylgien«, erklärte der Wolf. »Schön dich kennen zu lernen, Mana.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)