Caught by the Moon von moonlily (Fortsetzung von Poison in my veins) ================================================================================ Kapitel 1: Hunter ----------------- Liebe Freischalter, dies ist eine Geburtstags-FF für Aschra, deshalb bitte ich euch, heute am 4. September alle fünf Kapitel freizuschalten. Liebe , ich wünsche Dir alles Liebe und Gute zum Geburtstag. *knuddel* Und nun Dir und allen Lesern viel Spaß mit der Fortsetzung von Poison in my veins. Caught by the Moon Nur wer sich öffnet für den Schmerz, lässt auch die Liebe mit hinein. ASP – Und wir tanzten Kapitel 1 Hunter Den Kopf eingezogen und die Hände tief in die Taschen seines Anoraks vergraben, stand Joey an der Ampel und wartete darauf, dass sie auf Grün umsprang. Trotz des dicken Pullovers mit T-Shirt, den er unter der Jacke trug, fror er. Dieses Jahr schien sich dazu entschieden zu haben, als Jahr der Extreme in die Geschichte einzugehen. Nach einem heißen Sommer und kaum weniger warmem Herbst, der in einen sehr stürmischen November übergegangen war, herrschte seit etwa einer Woche Nordpolstimmung in der Stadt Domino. Jedenfalls von den Temperaturen her, von Schnee war bisher nichts zu sehen gewesen. Aber es war erst der 29. November, der Winter hatte noch mehr als genug Zeit, sich auszutoben. Der Blonde trippelte von einem Fuß auf den anderen, um sich warm zu halten, bis die Wagen anhielten und er in einem Strom anderer Passanten die Straße überquerte. Er mochte den Winter und die Kälte, wirklich, nur dass sie ihn zwang, sein geliebtes Motorrad in der Garage stehen zu lassen und seine Wege zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu machen, gefiel ihm nicht. Gestern hatte er keine fünf Meter von seiner Wohnung eine erstklassige Bruchlandung auf dem Gehweg hingelegt, weil seine Nachbarin, eine verrückte alte Dame mit einer Leidenschaft für Pudel, ihren Putzeimer auf der Straße ausgeschüttet und das Wasser diese in eine Eisfläche verwandelt hatte. Die blauen Flecken, die er sich dabei zugezogen hatte, würden ihn noch ein paar Tage daran erinnern. Umso schlechter war er von ihr eingenommen, da sie nicht mal den Anstand besessen hatte, sich bei ihm zu entschuldigen, ihm sogar vorgeworfen hatte, er habe sie beleidigt. Über so etwas konnte er nur den Kopf schütteln, der Frau würde er keine Einkaufstasche mehr hoch tragen. Die Schaufenster, an denen Joey vorbeikam, zeigten unübersehbar, dass die Adventszeit mit aller Macht heranrückte. Wo er auch hinsah, winkten ihm Schokoladenweihnachtsmänner, Rentiere und Engel entgegen. Warum zogen überhaupt Rentiere den Schlitten des Weihnachtsmanns, Schlittenhunde oder Wölfe würden sich doch genauso gut eignen, überlegte er. Echte Wölfe natürlich, Bakura würde ihm mit Sicherheit den Vogel zeigen, wenn er ihm das vorschlüge ... Ob er immer noch in dem abgeschiedenen Haus im Wald lebte oder hatte er sich inzwischen eine andere Bleibe gesucht? Seit ihrem Kennenlernen damals Anfang September hatte er nichts mehr von ihm gehört. Anfangs hatte er sich noch vage Hoffnungen gemacht, der Weißhaarige würde sich bei ihm melden, seine Handynummer hatte er ihm da gelassen, falls er mal mit jemandem reden wollte oder sonst etwas. Auf die SMS, die er ihm geschrieben hatte, hatte er zu seiner Enttäuschung genauso wenig eine Reaktion bekommen. Dabei hätte er, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, gern weiter Kontakt zu ihm gehabt. In den ersten Tagen war sich Joey wie ein gehetztes Huhn vorgekommen, ob er noch ganz bei Trost gewesen sei, sich weiterhin Kontakt mit einem Werwolf zu wünschen. Schon ihre erste Begegnung wäre möglicherweise mit seinem Tod ausgegangen, hätte Bakura ihn nicht eingeschlossen und wäre aus dem Haus geflohen, als er sich verwandelte. Dennoch oder womöglich auch gerade deshalb war Joey von ihm ... fasziniert gewesen, so konnte man es wohl ausdrücken, und hatte sich gewünscht, ihn noch einmal zu sehen oder wenigstens mit ihm sprechen zu können. Er wollte mehr über ihn wissen. Er hatte die folgenden Tage und Wochen, in denen er auf Nachricht von ihm wartete, damit zugebracht, sich Informationen aus jeder Quelle zu beschaffen, die er sich greifen konnte, sei es das Internet, die Bibliothek der Universität, auch wenn diese nicht unbedingt auf die Erforschung paranormaler Wesen ausgerichtet war, oder der kleine Buchladen um die Ecke. Er, der früher in der Schule meistens ungern ein Buch zur Hand genommen hatte, konnte nun Stunden zwischen den Bücherregalen verbringen und seine Recherchen treiben. Nicht ohne sich zwischendurch immer mal ermahnen zu müssen, dass er nebenbei Kunstgeschichte studierte und dafür auch das eine oder andere zu tun und zu schreiben hatte. Wenn er sich in den europäischen Mythen über Werwölfe vergrub, von wo die meisten Quellen stammten, die er bisher aufgetan hatte, konnte es leicht passieren, dass er darüber die Zeit und alles andere vergaß. Der prall mit Unterlagen gefüllte Rucksack wippte auf seinen Schultern im Takt seiner Schritte auf und ab. Er war auf dem Weg zu Yami, der ihm versprochen hatte, ihm beim Lernen zu helfen. Morgen stand eine wichtige Prüfung an, bei der er es sich nicht leisten konnte durchzufallen. Ein flüchtiger Blick in die Auslage eines Dekoladens, von dessen Decke bunte, mit Lichterketten beleuchtete Papiersterne hingen, ließ ihn mitten im Schritt innehalten. Er wandte sich dem Schaufenster zu und ließ seine Augen auf einer kleinen, weiß bemalten Wolfsstatue ruhen. Der Wolf hatte den Kopf in den Nacken gelegt und heulte einen unsichtbaren Mond an. Joey sah auf das Preisschild, Figuren in dieser Qualität waren für ihn meistens nicht bezahlbar – oder die Glücksgöttin hatte heute beschlossen, ihm einen Ausgleich für sein gestern erhaltenes Pech zu gewähren. Bei vierzig Prozent Preisnachlass konnte er unmöglich daran vorbeigehen. Der Student stürmte den Laden geradezu und machte der Verkäuferin mehr mit Gesten als seinem aufgeregten Gebrabbel verständlich, was er kaufen wollte. Ein paar Minuten später verließ er das Geschäft hochzufrieden und mit einer Plastiktüte am Arm, in der, verpackt in mehrere Schichten dickes Papier, der Wolf ruhte. Er würde einen Ehrenplatz auf seinem Schreibtisch bekommen, sobald dieser wieder so aufgeräumt war, dass man darauf etwas mehr abstellen konnte als eine Tasse Tee auf einem wackligen Stapel Notizen. Wenn Serenity sähe, wie es bei ihm schon wieder aussah, nachdem sie ihn erst vorletzte Woche besucht und halbwegs Ordnung in sein Chaos, genannt Wohnung, gebracht hatte, würde sie ihm die Ohren lang ziehen. Zwei Straßen und einen Zebrastreifen später kam er bei Yami an. Dieser war vor ein paar Monaten bei Yugi und seinem Großvater ausgezogen, offiziell, um sich besser auf sein Studium konzentrieren zu können, hauptsächlich aber, weil er sich von seinem zwar liebenswerten, aber neugierigen Großvater genervt fühlte und nicht riskieren wollte, dass seine Beziehung zu Duke in die Brüche ging. Zwischen ihnen war es mehrfach zum Streit gekommen, weil Opa Muto öfter vergaß, bei seinem Enkel anzuklopfen, bevor er dessen Zimmer betrat und Duke keine Lust hatte, jedes Mal besondere Vorsicht walten zu lassen, damit er sie nicht in flagranti erwischte. Joey klingelte und nahm die vier Treppen bis zu Yamis Wohnung im Sprint, sich darüber bewusst, dass er spät dran war. Er war schon knapp mit der Zeit gewesen, bevor er den Wolf entdeckt hatte. Der Bunthaarige erwartete ihn direkt an der Tür, die Arme vor der Brust verschränkt. Er hatte eine Abneigung gegen Unpünktlichkeit. „Hi, Yami. Ja, ich weiß, ich bin etwas spät, tut mir echt leid“, begrüßte er seinen Freund, der ihn seinerseits mit einem brummigen Blick willkommen hieß. „Ich habe extra meine Schicht mit einem Kollegen getauscht, um dir beim Lernen zu helfen.“ Wie beabsichtigt, erntete er einen schuldbewussten Blick von dem Blonden. „Lass uns anfangen, viel Zeit hast du nicht mehr bis morgen.“ Sie nahmen im Wohnzimmer auf der Couch Platz, wo Joey die Ordner mit seinen Notizen und die Zusammenfassungen auspackte, die er sich zum Lernen geschrieben hatte. Yami griff wahllos nach dem ersten Ordner, der ihm unter die Finger kam, blätterte kurz darin und begann ihm Fragen zu stellen. Das meiste konnte Joey, zum Teil nach etwas Überlegen, beantworten. Gelernt hatte er in den letzten Tagen jedenfalls – selbst wenn er es manchmal nur mit Gewalt geschafft hatte, sich von seinen Wölfen loszureißen. „Bisher recht gut“, lobte ihn Yami eine gute Stunde später und nahm einen Schluck von seiner heißen Schokolade, die er für sich und seinen Gast gemacht hatte. „Sehen wir mal, wie du dich bei der Renaissance schlägst. Nenn mir ein paar wesentliche Merkmale der italienischen Renaissance und was sie von der Renaissance in Frankreich unterscheidet.“ Er überflog kurz die Stichpunkte, die Joey in seiner üblichen Krakelschrift während der Vorlesungen zu Papier gebracht hatte, und lauschte gespannt. Geschlagene drei Minuten vergingen, ohne dass er etwas von seinem Freund zu hören bekam. „Komm, so schwer ist das nicht, Joey. Ich bin sicher, das weißt du“, versuchte er ihn zu ermuntern und sah, in der Annahme, er überlege noch, zu ihm hin. Joey stand am Fenster und blickte zum Himmel auf, der mit dicken weißgrauen Wolken verhangen war. Er war offensichtlich tief in Gedanken versunken, doch etwas an seinem traurig wirkenden Gesichtsausdruck sagte Yami, dass sie sich nicht um die Renaissance drehten. „Joey Wheeler, hast du mir überhaupt zugehört?“ Als Antwort bekam er lediglich ein tiefes Seufzen zu hören. „Hey, ich rede mit dir!“ Der Angesprochene schreckte auf und drehte sich zu ihm um. „Entschuldige, ich ... was hast du eben gefragt?“ „Wenn du keine Lust mehr zum Üben hast, kannst du das auch sagen“, brummte Yami ungehalten. „Ich habe Weißgott noch anderes zu tun, als dich abzufragen.“ „Tut mir leid, ich hab kurz über was nachgedacht.“ „Sag nicht, es hat schon wieder damit zu tun.“ Der Ältere drehte den Ordner um, den er auf dem Schoß hielt, und deutete auf die Bleistiftzeichnung eines Wolfes, die die untere Hälfte des aufgeschlagenen Blattes ausfüllte. Der ertappte Blick seines Gegenübers sagte ihm alles. „Das wächst sich langsam zu einer Manie bei dir aus, weißt du das? Früher hast du alles gemieden, was auch nur entfernt an einen Hund erinnerte – und jetzt redest du kaum noch von was anderem als von Wölfen.“ „Mir gefallen sie einfach, ist das verboten?“ „Sei mir nicht böse, aber bei dir könnte man eher den Eindruck haben, als wärst du davon besessen“, äußerte sich Yami bedächtig. „Wir sind doch gute Freunde, Joey. Willst du mir nicht sagen, was dein starkes Interesse dafür ausgelöst hat? So von einem Tag auf den andern.“ Die Augen zum Boden gerichtet, die Hände vor dem Mund gefaltet, schritt Joey im Zimmer auf und ab und überlegte. Es wäre schön, alles, was er erlebt hatte, jemandem erzählen und mit ihm darüber reden zu können. Es belastete ihn, so ein Geheimnis mit sich herumzutragen und dennoch, er hatte Bakura versprochen, über sein wahres Wesen Stillschweigen zu bewahren. „Lass uns weitermachen“, sagte er schließlich und ließ sich auf den Sessel fallen, der Yamis Platz gegenüber war. „Sicher?“ „Ja, ich muss meine Prüfung schaffen.“ Joey verließ den Prüfungsraum mit einem guten Gefühl in der Magengegend. Bei fast allen Fragen waren seine Antworten für seine Verhältnisse recht lang und umfassend ausgefallen und er hatte es sogar geschafft, seit seinem Treffen mit Yami gestern Nachmittag nicht mehr an Bakura zu denken. Abgesehen von dem Moment, in dem er die Wolfsfigur ausgewickelt und ihr einen vorläufigen Platz auf der Fensterbank zugewiesen hatte. Am anderen Ende des Ganges sah er Tristan auf sich zukommen und ihm zuwinken. „Und, wie ist es gelaufen?“, war die erste Frage des Brünetten, nachdem sie sich begrüßt hatten. „Super! Wenn das kein Bestanden mit Auszeichnung wird, weiß ich auch nicht mehr.“ „Sehr gut. Wir wollen morgen Abend ausgehen, hast du Lust mitzukommen? Dann können wir deinen Erfolg gebührend feiern.“ „Ich weiß nicht ...“, wich sein Freund aus. „Gib dir ’nen Ruck, Alter.“ Tristan klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Du musst mal wieder raus unter Menschen. Das passt gar nicht zu dir, dich so zu verkriechen.“ Er merkte, wie Joey zu schwanken anfing. In letzter Zeit war er kaum noch mit ihnen weggegangen, wenn sie durch die Clubs gezogen waren. „Vielleicht lernst du wen kennen? Yami und Duke haben angekündigt, mir bei meiner Suche helfen zu wollen, für dich können sie bestimmt auch was tun.“ Jemanden kennen lernen, der interessanter war als ein Werwolf? Das konnte sich Joey nur schwer vorstellen. Am Ende lief womöglich irgendwo ein Graf-Dracula-Verschnitt durch die Gegend, aber scharf darauf, sein Blut herzugeben, war er absolut nicht. Um seinen Freund nicht zu enttäuschen, stimmte er nach einigem Überlegen doch zu, sie zu begleiten. Ein wenig Ablenkung würde ihm nicht schaden. Am folgenden Abend um kurz vor zehn fand sich Joey am Eingang zur Haltestelle der U-Bahn ein, wo er sich mit seinen Freunden verabredet hatte. Er war sogar ein paar Minuten früher gekommen, um Yami zu zeigen, dass er mittlerweile durchaus pünktlich sein konnte, wenn er denn wollte. Dieser nickte ihm kurz anerkennend zu, als er und Duke Arm in Arm die Treppe hochkamen. „Guter Junge“, sagte er und tätschelte ihm grinsend den Kopf, was er mit einem Knurren und zusammengezogenen Brauen quittierte. „Sehr witzig, Yami, ha ha.“ „Was denn, ich denke, du magst jetzt Hunde.“ „Wölfe, mein Lieber, das ist ein Unterschied“, erklärte er. Und bei Werwölfen ist der gleich noch mal eine Ecke größer. „Na, meinetwegen. Wo bleibt unser Verkupplungskandidat?“ „Er hat sich eben bei mir gemeldet.“ Duke drehte sein Handy zu ihnen um und zeigte ihnen die eingegangene SMS. „Seine Bahn hängt zwei Stationen weiter fest, er kommt ein paar Minuten später.“ „Dann warten wir solange, er kann ja nichts dafür.“ Duke legte Yami einen Arm um die Taille und zog ihn näher an sich. Der Wind, der ihnen in die Gesichter blies, war eiskalt und stichelte wie Nadeln auf der Haut. Am unteren Treppenabsatz des U-Bahn-Eingangs wurden Stimmen laut. Vier Jugendliche mit Baseballcaps und Hosen, die einige Nummern zu groß für sie wirkten, kamen die Treppe herauf, sich lautstark in einem Jargon unterhaltend, den kein Außenstehender verstand. Als sie die drei Freunde entdeckten, grinsten sie sich an. Duke seufzte nur tonlos. Die Jungen warfen sich in – ihrer Meinung nach coole – Pose und näherten sich ihnen. „Na, ihr Schwuchteln, habt ihr euch auch alle lieb?“, fragte einer von ihnen. Joey verdrehte genervt die Augen, blieb ansonsten aber wie Duke und Yami ruhig. Das provozierende Gehabe von Halbwüchsigen, die meinten, sich damit vor ihrer Clique profilieren zu müssen, war eine Sache, an das man sich gewöhnen musste, wenn man wie sie nicht ganz dem entsprach, was als gesellschaftliche Norm bezeichnet wurde. „Seid euch wohl zu fein, um zu antworten, was?“, stichelte ein Freund des Jungen. „Oder zu feige.“ Sie brachen in gackerndes Lachen aus. „Eher zu klug, als sich mit euch abzugeben“, erklang hinter ihnen Tristans Stimme. „Ab nach Hause mit euch, eure Mütter werden sich schon Sorgen machen, wo ihr bleibt.“ Das angriffslustige Funkeln in ihren Augen ignorierend, ging er an ihnen vorbei. Einer packte ihn am Arm, wollte ihn zu Fall bringen. Tristans Reaktion war blitzschnell. Ehe sich derjenige versah, hatte er ihm den Arm auf den Rücken gedreht und ihn in festem Griff. „Schön ruhig, Kleiner“, sagte Tristan und gab ihm einen sachten Schubs, durch den er zu seinen Kumpanen stolperte. Die Jungen musterten die kleine Gruppe ein letztes Mal unzufrieden, weil sie gedacht hatten, leichtes Spiel mit ihnen zu haben, und zogen weiter. „Kinder“, seufzte Yami theatralisch. „Vor ein paar Jahren waren wir selbst erst in dem Alter“, erwiderte Joey, der sich nur zu gut daran erinnerte, dass er sich damals mindestens genauso schlecht benommen hatte, bevor er sich mit Yugi und Yami Muto angefreundet hatte. „Ach ... kommt Yugi heute nicht mit?“ „Er wollte, aber sein Professor hat die Klausur plötzlich um einen Tag vorverlegt“, erklärte Yami und winkte ihnen, sich auf den Weg zu machen. „Er und Rebecca sitzen zu Hause und lernen.“ Im Heaven, dem Club, den sie sich für heute ausgesucht hatten, war es weit angenehmer als draußen in der klirrend kalten Novemberluft. Bei der Jackenabgabe überhörte Joey Dukes Kommentar, er hätte sich etwas mehr stylen können, wenn er unter den Gästen auf die Jagd gehen wollte. Ihm genügten die schwarze Hose und das schlichte weiße Hemd vollkommen, zumal er, wenn er ehrlich war, gar nicht wirklich auf der Suche nach jemandem war. Jedenfalls nicht hier. Er und Bakura hatten nur einen Abend und den folgenden Morgen miteinander verbracht, offenbar aber genügend Zeit, damit sich der Weißhaarige permanent in seinen Gedanken einnisten konnte. Es hatte mehrere Tage der Beobachtungen und des Nachdenkens sowie der Nachfrage eines Kommilitonen bedurft, bis sich Joey eingestanden hatte, dass er unglücklich verliebt war. In einen Mann, der ihm selbst gesagt hatte, es sei besser, wenn sie sich nie wiedersehen würden. Der wenige Atemzüge später die ihm hingehaltene Handynummer eingesteckt und damit das Fünkchen Hoffnung entzündet hatte, an das sich der Blonde klammerte. Sie suchten sich einen Platz an der Bar, mit gutem Blick auf die Tanzfläche, und bestellten sich etwas zu trinken. Duke ließ sich von Tristan noch einmal eine kurze Beschreibung dessen geben, was er sich vorstellte, und machte sich daran, das Angebot zu sondieren. Tristan hatte sein Bier kaum zur Hälfte geleert, da machte ihn der Grünäugige auf einen jungen Mann mit kurzen rötlichen Haaren aufmerksam, der sich agil über die Tanzfläche bewegte und allein da zu sein schien. Er musterte ihn nachdenklich und nickte schließlich kurz. Ein ermunterndes Lächeln auf den Lippen, stupste Duke ihn in die Richtung des Mannes und lehnte sich, zufrieden mit sich selbst, gegen die Bar, die Ellbogen auf die polierte Fläche aufgestützt. „So, einer wäre vorerst versorgt. Was kann ich für dich tun, mein lieber Joey? Was für ein Typ darf es sein?“ „Ist echt nicht nötig“, war die gemurmelte Antwort. „Na los, raus mit der Sprache. Seit Malik vor zwei Jahren nach Ägypten zurückgegangen ist, hast du immer gejammert, dass du auf keinen Fall als Dauersingle enden willst. Wäre der süße Blonde da drüben an der Treppe was für dich? Oder vielleicht der geheimnisvolle Kerl ganz in Schwarz, der gerade zu uns sieht? Schau dich um, los, los!“ „Wenn du die ganze Zeit nur in deinen Cocktail starrst, wird das nie was“, fügte Yami hinzu. Er konnte sich nicht erklären, was seit ein paar Monaten mit seinem Freund los war. Bis vor einem Vierteljahr hatte er versucht, wieder jemanden für eine Beziehung zu finden und sich zwischendurch auch auf den einen oder anderen One-Night-Stand eingelassen. Als sie ihn vor zwei Wochen überredet hatten, mit ihnen auszugehen, hatte er sich jedoch nicht mal auf einen Flirt mit dem Kerl eingelassen, der zu ihnen an den Tisch gekommen war, obwohl dieser eindeutiges Interesse bekundet hatte. Er benahm sich, als wäre er klammheimlich vom Markt verschwunden ... Plötzlich hatte Yami das Gefühl, über ihm müsste ein riesiger Kronleuchter angehen. „Manchmal bin ich so ein Rindvieh – du bist verliebt, stimmt’s?“ Joey nickte langsam und sah ihn traurig an. „Und auch noch unglücklich verliebt, wie es aussieht. Oh je ... Kennen wir ihn?“ „Nein, er wohnt nicht hier. Wir haben uns nur ein Mal gesehen und ... werden es wahrscheinlich nie mehr.“ Es auszusprechen, machte es nicht besser für ihn, nur noch realistischer und damit schlimmer. Fakt war, Bakura hatte sich nicht bei ihm gemeldet. Jagte er da nicht einem Phantom hinterher? Machte es überhaupt Sinn, darauf zu warten und zu hoffen, sein Handy könnte eines Tages doch noch klingeln? Die Liebe konnte einen Menschen zum Narren machen. „Ich sollte das mit ihm ganz schnell vergessen und mir wen anders suchen“, sagte er, hauptsächlich an sich selbst gerichtet. „Dann schau dich um“, forderte ihn Duke wieder auf. „Die Auswahl ist heute viel versprechend.“ Das Cocktailglas, in dem das zerstoßene Eis leise klirrte, in der Hand, drehte sich Joey auf seinem Hocker um und ließ seinen Blick über die Leute schweifen, die sich auf der Tanzfläche drängten. Er entdeckte Tristan, der mit dem Rotschopf von vorhin intensiv am Flirten war, und pfiff leise durch die Zähne. Was die zwei da mit ihrem Tanz ablieferten, konnte man mit Fug und Recht als heiße Nummer bezeichnen, wenn man sich die Kleidung wegdachte. Das schienen auch drei Damen am anderen Ende der Bar zu denken, die die beiden Männer nicht aus den Augen ließen, dabei immer wieder aufgeregt tuschelten und versuchten, sich mit einem improvisierten Fächer aus Bierdeckeln ein wenig Abkühlung zu verschaffen. Die Luft im Raum war wie elektrisiert, man spürte das Knistern regelrecht, das sich mit der Musik und den Bewegungen der Tänzer immer weiter auflud. „Hättest du Lust zu tanzen?“, hörte er eine Stimme neben sich. Verwirrt riss sich Joey von seinem Freund los und sah direkt in ein Paar hellgrüne Augen, deren Besitzer ihm lächelnd die Hand hinhielt. Seine schulterlangen Haare waren sorgfältig mit etwas Gel gestylt und ebenso schwarz wie seine Kleidung. Er hatte den Blonden schon seit einer Weile beobachtet. Dieser ergriff die ihm dargebotene Hand und ließ sich auf die Tanzfläche ziehen. „Ich bin Rubeus“, stellte er sich vor. „Joey, freut mich“, rief er zurück, um die Musik zu übertönen. Es dauerte nicht lange, bis sie den passenden Takt gefunden hatten und sich in die Musik fallen ließen. Joey schob die Gedanken an Bakura in den hintersten Bereich seines Kopfes und konzentrierte sich auf Rubeus, dessen Hand sich an seine Hüfte legte und ihn näher an sich zog, während die Musik zu einer Rumba wechselte. Er erntete ein Grinsen, als er Rubeus’ Schritt streifte und gleich darauf spürte, wie an seinem Ohr geknabbert wurde. Auf einmal war er sich sehr sicher, dass er heute nicht allein nach Hause gehen würde. Der gefrorene Boden fühlte sich unter seinen Pfoten hart und kalt an. Rhythmisch trommelnd setzten sie auf, im Takt seines schnellen Herzschlags, und ließen ihn durch die Nacht fliegen. Bakura genoss das Gefühl, wie ihm der Wind um die Ohren wehte und die Schneeflocken aufwirbelte, die dicht an dicht aus den Wolken zur Erde segelten. Der Wald gehörte ihm allein, keine Menschenseele war um diese Uhrzeit mehr unterwegs. Niemand, dem er gefährlich werden konnte. Dies war einer der seltenen Momente, in denen er seine Wolfsgestalt mochte. Mit dem Nachtwind dahinzufliegen, bedeutete für ihn Freiheit, und das Gefühl von Macht und Stärke, das ihn nach der Verwandlung durchströmte, war jedes Mal aufs Neue berauschend. Kahle Bäume und Gebüsch zogen an ihm vorüber, er kümmerte sich nicht um die Rehe, die er aus dem Schlaf aufschreckte oder um die Krähen, die von den Bäumen aufflatterten. Laufen, immer nur laufen, das war es, worauf er sich konzentrierte. Die Bewegung half ihm, die enormen Mengen überschüssiger Energie abzubauen, die sich in den drei Nächten um Vollmond bei ihm aufstauten. Das war ihm schon bei seinen ersten Verwandlungen vor über vier Jahren aufgefallen, aber in Vergessenheit geraten, als er begonnen hatte, sich in dieser Zeit einzuschließen, um seinen Bruder Ryou nicht zu gefährden. Genutzt hatte es ihnen am Ende nichts. Von seinem Bruder war nur noch ein Haufen Asche in einer Urne übrig und dass es dazu gekommen war, würde er sich nie vergeben. Mit einem eleganten Sprung setzte er über einen umgestürzten Baumstamm hinweg. Der Grund, dass er seine nächtlichen Langstreckenausflüge wieder aufgenommen hatte, besaß blonde Haare, schokobraune Augen und hörte auf den Namen Joey. Hätte er damals nicht die Flucht ergriffen, als er spürte, dass seine Verwandlung einsetzte, wäre der Junge sein nächstes Opfer geworden. So aber waren seine Erinnerungen wieder an die Oberfläche gespült worden und halfen ihm, besser mit seinem Wesen umzugehen. Etwas in ihm hatte sich seit jener Nacht verändert. Er spürte die Stärke des Tieres, des Dämons, der in ihm steckte, nach wie vor deutlich, doch dieser beherrschte ihn nicht mehr vollkommen, so wie früher. Seit er wenigstens eine der Mondnächte im Freien verbrachte und durch die Wälder hetzte, bis der Morgen graute, hatte sein menschlicher Geist etwas mehr Einfluss erlangt. Der Instinkt des Tieres hatte begonnen, sich mit dem Verstand des Menschen zu vereinen. Bakuras Gedanken wandten sich kurz dem Abend zu, an dem Joey durchnässt und mit kaputtem Motorrad an seine Haustür geklopft und um Schutz vor dem Gewitter gebeten hatte. Ihre Begegnung hatte sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt und war ihm selbst in seiner derzeitigen Gestalt präsent. Ein Schuss durchriss die nächtliche Stille. Bakura blieb aufgeschreckt neben einem Baum stehen und sah sich, die Ohren aufgestellt, um. Der Jäger hatte sich eine merkwürdige Zeit ausgesucht. In diesen Wäldern gab es keine Wildschweine, die auch in der Dunkelheit bejagt wurden, und kein normaler Mensch ging mitten in der Nacht auf die Pirsch, wenn das Wild schlief – außer einem Wilderer. Der Wolf lief vorsichtigen Schrittes weiter. Wenn hier jemand mit einer Waffe durch die Gegend lief, war es für ihn besser, sich so schnell wie möglich ein sicheres Versteck zu suchen und abzuwarten. Er hatte nicht die geringste Lust, als Trophäe an einer Wand zu enden. Keinen Meter neben ihm schlug eine zweite Kugel ein und bohrte sich in den Stamm einer Buche. Seine Schritte beschleunigten sich von selbst. Wieder raste er durch den Wald – dieses Mal um sein Leben. Der Jäger schien es auf ihn abgesehen zu haben, das wusste er spätestens, als die dritte Kugel knapp über seinen Kopf flog. Bakura verfluchte sein weißes Fell, das ihn so auffällig machte und sich deutlich von dem grau-weißen Untergrund abhob. Um ihn zu verbergen, musste der Schnee erst höher liegen. Er änderte mehrfach die Richtung, sprang über Gräben und kleine Bachläufe, immer auf die Geräusche hinter sich horchend. Jemand folgte ihm, er hörte schwere Stiefel, die durch raschelndes Laub rannten und den Abstand langsam verringerten. Mit einem ohrenbetäubenden Knall peitschte die Kugel durch die Luft, überwand mühelos die Distanz. Wäre er ein Mensch gewesen, hätte er gebrüllt, als Wolf drang ein lang gezogenes Heulen aus seiner Kehle, sobald er merkte, wie das Metall seine Schulter erreichte und sich in sein Fleisch bohrte. Blut spritzte hervor. Mitten im Lauf stürzte er und schlug auf dem Boden auf. Für einen Moment legte sich der Schmerz über alles und machte ihn unfähig, sich zu bewegen, bis die erste Welle ein Stück abgeebbt war. Mühsam richtete er sich auf und blickte in die Richtung, aus der sich der Jäger näherte. Er trug einen langen dunklen Ledermantel, die Waffe hatte er noch im Anschlag, bereit zum nächsten Schuss, um ihm endgültig den Garaus zu machen. Seine hellblonden Haare waren steil nach hinten gekämmt und in den Augen des Mannes, den er auf Mitte zwanzig schätzte, loderte der Hass. Alle Gedanken Bakuras richteten sich auf ein einziges Ziel aus, fort von hier zu kommen, egal wie. Sonst würde er den Morgen auf keinen Fall mehr erleben, denn das konnte unmöglich ein gewöhnlicher Jäger sein. Die Wunde brannte, als stünde sie in Flammen, und er kannte nur ein Material, das so eine Reaktion bei ihm auslöste. Silber. Jede Bewegung rief weitere Schmerzen hervor, sein Kiefer presste sich dicht aufeinander. Er zwang sich, eine Pfote vor die andere zu setzen und weiterzulaufen. An einem Abhang, nicht mehr weit von der Lichtung entfernt, auf der sein Haus stand, strauchelte er und geriet ins Rutschen. Seine Zähne schnappten nach den Baumwurzeln, die aus der Erde ragten, um sich daran festzuhalten. Das Pochen in seiner Schulter nahm ihm die Kraft, hilflos schlug er auf der Erde auf und rollte in eine kleine Aushöhlung, die sich unter dem Baum gebildet hatte. Das letzte, was er vor sich sah, war ein Bild von Joey, wie er ihn anlächelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)