Children of the Prophecy von Kendrix (Die Kinder der Prophezeihung) ================================================================================ 10: [Trophäe] ------------- I stepped into a room of clocks that all told different times I stepped into a mirrored world that mirrored all our crimes You keep picking at the scab and I'll keep selling the plaster You keep telling me that I'm bad But I keep on getting better faster You hold me down and you hold me up You can't communicate You brought me up just to bring me down I've nothing left to say I've lost, I've lost my innocence I've found my self-belief And in a cup of loneliness I've found instant relief You hold me down, you hold me up Oh Daddy, are we out of luck? You brought me up to bring me down You shut me in, you shut me up I'm gone, I'm gone to heaven I'm gone, I'm gone to hell If nobody could see I'd hold my hand out to be held wish that you could just admit you did bad things too of criticising me So I don't look at you You hold me down and you hold me up I can't communicate You brought me up just to bring me down I've nothing left to say [...] I've lost, I've lost my confidence I found my self belief And in a cup of loneliness I sailed a thousand seas -Marina and the Diamonds,'Scab and Plaster' --- „Aaaaaaahh… Ich fühle mich, als sei ich aus mehreren Metern Höhe heruntergefallen!“ Klagte Asuka, ihre durch das lange Sitzen verspannten Muskeln großzügig durchstrecken. „Wenn wir nachhause kommen, darf ich zuerst in die Badewanne, damit das klar ist!“ Ihre Worte schafften es gar nicht wirklich, an die Ohren des Jungens zu gelangen, der neben ihr auf einer Bank saß und mit ihr darauf wartete, dass Dr. Akagi, die im selben Zimmer hinter einem blickdichten Raumteiler dabei war, das First Child zu untersuchen und gegebenenfalls zu versorgen, endlich damit fertig sein würde, um ihre Aufmerksamkeit danach den anderen Children zuzuwenden; Asuka hatte in der Zeit, die man gebraucht hatte, um sie aus ihrem Plug zu holen und hier runter zu bringen, erst richtig gemerkt das sie im Wesentlichen den ganzen Tag mit einem einzigen Kampf verbracht hatte, ohne sich die klitzekleinste Pause leisten zu können, so dass sie alle fünf Minuten etwas neues fand, über dass sie meckern wollte, und ständig angab, dass sie endlich ihren Plugsuit abstreifen und sich das LCL aus den Haaren waschen wollte, bevor sich der Gestank der Substanz darin all zu tief einbrannte. Shinji selbst hatte nicht mehr wirklich die Kraft, auf irgendwas davon zu antworten. Selbst, wenn man ihn die Badewanne konkurrenzlos überlassen hätte, hätte er sobald man ihn endlich nachhause gehen ließ nicht mehr die Fähigkeit gehabt, sich irgendwo anders hinzuschleppen als in sein warmes, kuscheliges Bett. Zunächst war es etwas ganz anderes gewesen, was seine fehlenden Antworten bedingt hatte, eine Unruhe, die nicht hatte weichen können, bis er die Krankenstation erreicht hatte, und dort direkt nach Mayumi gefragt hatte. Er konnte diesen Kampf nicht als Triumph abhaken, bevor er nicht sicher sagen konnte, dass alle beteiligten wohlauf waren – und das beinhaltete auch Mayumi. Egal, wie sehr er den Schlaf dieser Nacht brauchte, und wie redlich er sich ihn verdient hatte, so hätte er ihn trotz allem nicht finden können, wenn er sie nicht zuerst gesehen hatte – In derselben Sekunde, in der er Dr. Akagi gesehen hatte, Und das konnte er dann auch, wenn nur durch eine Glasscheibe hindurch, an der er Hände und Gesicht platt drücken musste, um in der Finsternis auf der anderen Seite etwas zu erkennen; Selbst, nachdem sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, musste er erst regelrecht nach ihr suchen, um ihren kreidebleichen, schlaffen Körper inmitten der ganzen Kabel und Maschinen entdecken zu können – auf dem zweiten Blick stach ihre papierweiße Haut aus der Dunkelheit des Raumes ungemein heraus, egal, wie sehr sie durch Kleidung, Haare, Elektroden und auch eine von diesen Atemmasken verdeckt wurde. „Wird… wird sie…“ Den Rest der Frage, wie immer man ihn formulieren wollte, sollte sich Dr. Akagi von ihm aus dazu denken, er brachte es weiß Gott nicht fertig, ihn auszusprechen. „Ihr Organismus war… zum Glück nicht so eng mit dem Kern verflochten, wie wir es zunächst vermutet hatten… Obwohl sie den Kern vermutlich schon sehr lange in sich getragen haben muss, wird sie ohne ihn überleben können, auch, wenn sie vermutlich eine ganze Weile Medikamente schlucken werden muss… Zudem hat es ihren Körper sehr ausgelaugt, den Engel zu enthalten, und jetzt, wo wir ihn entfernt haben, sind die Mechanismen, mit denen der Engel seinen Wirt zu erhalten versucht hat, weggebrochen… und dann gab es da noch die ganzen Verwachsungen, die wir rausoperieren mussten…“ „Aber Sie… sie haben doch gesagt…“ „Ja, sie wird höchstwahrscheinlich überleben. Mach dir da mal keine Sorgen, Shinji-kun. Alles, was ich dir sagen wollte, ist, dass sie wegen der Operation noch geschwächt ist… Du kannst sie vielleicht in den nächsten Tagen einmal besuchen kommen.“ Durch diese Worte ausreichend befriedigt hatte Shinji der falschen Blondine in den Untersuchungsraum gefolgt – Die Verbindung zwischen seiner offenen Sorge um Mayumi und einer leichten Zunahme bei Asukas stetigen Klagen erkannte er jedoch nicht. Es dauerte nicht lange, bis Dr. Akagi mit ihnen fertig war – Sie hatten alle nur blaue Flecken und ähnliche kleine Wehwehchen, bei denen es sich nicht wirklich lohnte, sich die Mühe mit irgendeiner Behandlung zu machen. Asuka bekam aus überwiegend psychologischen Gründen ein paar Pflaster verpasst, aber da hörte es dann auch auf. Vor der Tür des Untersuchungszimmers erwartete sie dann aber eine kleine Überraschung: Sie wurden erwartet, und das nicht von irgendwem – Mit Misato hätten sie fast schon gerechnet, Kaji hätte sie auch nicht gewundert, doch nie im Leben hätten sie erwartet, dass sie hier Commander Gendo Ikari in Person antreffen würden, dessen eindrucksvolle Silhouette sie alle weit überragte. Sofort war zwischen Shinjis Nervenzellen so viel Verkehr wie auf einer Autobahn in den Sommerferien, unzählige Gedanken rasten durcheinander – War er wegen ihm hier? Wollte er etwa fragen, ob er in Ordnung war, oder sogar… nein, daran sollte er besser nicht einmal denken, am Ende würde er doch bloß nur allein und enttäuscht sein. War es nicht wahrscheinlicher, dass er eine Beschwerde hatte oder sonst wie unzufrieden war? Ob es das eine oder das andere war, ließ sich aus seinem Gesicht nicht herauslesen; Diese Sonnenbrille verbarg seine Augen und gab Shinji das Gefühl, vor einer Betonmauer zu stehen, die so hoch war, dass er ihr oberes Ende nicht sehen würde, wenn er seinen Kopf so weit wie möglich in den Nacken legen würde. In diesem Bruchteil einer Sekunde malte er sich in seinem Kopf endlose Möglichkeiten aus, ganze Universen, die sich aus verschiedene Reaktionen auf jede einzelne davon erwuchsen, ein Baum aus Alternativen und den Alternativen der Alternativen, der so schnell so weit in die Höhe schoss, dass man meinen könnte, dass er sich den Himmel greifen wollte… Die Zeit schien wie gefroren, die Zunge des Third Child versiegelt, es war einer von diesen Momenten, bei denen man glauben konnte, dass sie ewig währten, wenn nicht sein pochendes, schlagendes Herz ihm vergewissert hätte, dass die Uhren noch tickten, sein gieriges, sehnendes, blutendes Herz, dass sich betrogen durch den kleinsten Schimmer seiner Hoffnung trotz der vielen Wälle, die es gegen diese grausame Welt errichtet hatte, weit offen ließ, eine bunte Zielscheibe, für jeden, der einen Speer in sein Innerstes treiben wollte, bereit, um enttäuscht zu werden, um zu zersplittern und zu leiden, bis die Splitter seiner nur noch durch sehr viel Klebeband in einem Stück gehaltenen Seele zu stumpfen Staub zertreten waren. Dann, als er alles, was er war, offen gelegt und sich völlig ergeben hatte, obwohl er sich sicher war, die ganze Welt in seiner Umgebung zugunsten von dem aufzugeben, was schon immer der Grund für seine verzweifelten, Hilflosen Handlung gewesen war, brach ein Dorn aus Furch durch sein Sein, als er ihm schlagartig klar wurde, das sein Vater seinen Blick gesucht zu haben schien… oder war dies nur seine Einbildung? Sollte er sich jetzt schämen? Hatte er seine große Chance vielleicht gerade in den Sand gesetzt? Die Chance darauf, gesehen, gehört und bemerkt zu werden…? Er wusste nicht, was er tun sollte, starrte einfach in völliger Hilflosigkeit, komplett ausgeliefert in die Richtung dieser Sonnenbrillengläser, hoffend, dass irgendwo dahinter die Augen waren, von denen er gesehen werden wollte, das sein Herz nicht beim nächsten Wort zerbersten würde, wie ein Luftballon aus Glas. Es war auch ein Stückl weit Trotz und Protest, der Wille zu zeigen, dass er keine Angst mehr vor diesem Blick hatte, dass es schon etwas mehr brauchte, um ihn einzuschüchtern. Schon allein diesen augenkontakt zu halten verlangte ihm mehr ab als eine Partie Armdrücken, ja, vielleicht mehr als der ganze, vorige Kampf. War da… eine Regung in seinem Gesicht…? Wollte er etwa… etwas sagen…? Ob das nun so passiert wäre, oder nicht, Shinji fand es nicht heraus; stattdessen geschah etwas Wahnwitziges. All diese unsichtbaren Symbole, diese winzigen Zeichen der Geboten Distanz, wurden übertreten wie die dünne Luft, die sie waren, als Asuka ein paar Schritte vorwärts ging, sodass sie beinahe direkt vor dem Leiter von Nerv stand, nah genug, dass sie ihre Arme nicht hätte ausstrecken können, ohne seine dunkle Uniform zu berühren. Das verrückte war, Shinji spürte sich selbst furchtsam zusammenzücken, als hätte er sie in das Gehege eines fleischfressenden Raubtiers steigen lassen; Sie benahm sich, als seien all diese Grenze, die das Third Child nicht zu übertreten wagte, einfach nicht da. „Oh, Hallo, Herr Commander!“ grüßte sie zuckersüß, noch ihre besten Theaterleistungen aus der Schule überbietend. „Schön, Sie hier zu treffen! Ich nehme an, Sie wollen noch Kommentare wegen des Kampfes abgeben…?“ „Nein, das nicht.“ Antwortete er knapp. Wenn dabei irgendetwas mitschwingen sollte, sei es positiv oder negativ, dann konnte es Shinji jedenfalls nicht heraushörten. Was Asuka da tat entnervte ihn, er hatte irgendwie die irrationale Angst, dass sie jede Sekunde mit Haut und Haaren verschlungen werden konnte, nur, weil sie sich wie immer wichtigmachen wollte und es von vorneherein klar gewesen sein würde, dass ihr das einmal zum Verhängnis werden sollte, aber es war auch Neid, der in seinem Inneren brannte – wie kam es das sie, eine völlig fremde, einfach hingehen und ihn ansprechen konnte, wenn er, sein eigener Sohn, nichts weiter tun konnte, als wie angewurzelt dazustehen? Er wollte etwas sagen, irgendetwas tun, aber im blieb nichts anderes übrig als zuzusehen, wie Asuka von ihrem üblichen Geltungsdrang versuchte, ihrem Gesprächspartner das Lob, dass sie hören wollte, praktisch aus den Lippen zu saugen, während Shinji selbst nichts anderes blieb, als sich im Stillen nach eben diesen Worten zu verzehren, die er sich so lange herbeigewünscht hatte: „Na ja, viel gibt es ja auch nicht zu kommentieren…“ meinte Asuka lächelnd. „Immerhin haben wir den Engel ja wirklich makellos platt gemacht!“ „Der Feind ist besiegt. Das ist alles, was zählt.“ Shinji wusste nicht, was er aus dem Satz machen sollte, konnte sich zahllose negative wie auch positive Interpretationen ausmalen; Der Gesichtsausdruck seines biologischen Erzeugers war da leider nicht gerade aufschlussreich. Asuka, die ja, na ja, eben Asuka war, entschied sich, es einmal als Lob zu sehen, und entsprechend strahlte sie auch, doch Shinji fühlte sich davon nicht wirklich motiviert und er kam auch nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, als der Leiter von Nerv offenbarte, was ihn eigentlich hierherführte, indem er an ihnen beiden vorbeischritt, und sich der zweiten, bis her stillen EVA-Pilotin zuwendete. „Rei.“ „Ja?“ „Lass uns gehen. Du musst sicher erschöpft sein.“ Und dann gingen sie, die anderen beiden Children völlig links liegen lassen. Shinji lag in Trümmern. Es traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht, so hart, heftig und doch unausweichlich, das er über den Schock hinweg vergaß, zu weinen. Ach, natürlich. Natürlich war es nicht seinetwegen, was bildete er sich auch ein. Unwissend darüber, dass er innerlich in Ruinen lag, weil sich sein Äußeres nicht verändert hatte, drehte Asuka sich zu ihm hin, als ob nichts sei, und begann, mit ihrem üblichen Gerede: „Da geht sie hin, unser kleines Prinzesschen, ohne uns des kleinsten Blickes zu würdigen! Ich sag‘s dir, Third Child, die ist hat es wirklich faustdick hinter den Ohren!“ In einer anderen Situation hätte er vielleicht entgegnet, dass das, was sie eben getrieben hatte, sich auch mit einem Satz beschrieben ließ, in dem die Wörter „Vorgesetzter“ und „einschleimen“ vorkamen, aber im Moment wollte er nichts mehr sagen, hören oder sehen. Auch dies interpretierte Captain Shikinami interpretierte das auf ihre eigene Art und Weise: So, wie sie es wollte. „Kaum zu fassen, dass der für das olle Püppchen sogar sein geliebtes Söhnchen hier links liegen lässt… Richtig krank, wie sie ‘nem dreißig Jahre älteren Mann schöne Augen macht…“ Klingel, klingel, auch hier bimmelte wieder der Heuchler-Alarm. Doch Shinji war schon vom ersten Satz so geplättet, dass er sich den Zweiten gar nicht erst antat. Musste sie ihm jetzt auch noch Salz in die Wunde reiben…? Er hörte fast schon nicht mehr hin, als sie wieder zu sprechen begann… Umso mehr überraschte ihn, was er hörte: „...Aber mach dir keine Sorgen, billige Schleimerei wird es nie mit echtem Talent und echter harter Arbeit aufnehmen können, und dass wird der Alte schon noch früh genug merken, vor allem, wenn du weitermachst, wie bis her. Aus dir scheint ja langsam tatsächlich so etwas wie ein richtiger Kämpfer zu werden… also mach schön zu weiter! Im Zweifelsfall kannst du ja immer versuchen, alles so zu machen, wie ich auch.“ Auch das ließ ihn mit nichts als seiner eigenen Sprachlosigkeit zurück, wenn es sich dabei auch um eine Sprachlosigkeit einer anderen Art handelte. Vielleicht wäre seine Reaktion von ähnlicher Art gewesen, wenn er die Worte hören können hätte, die seinem Vater in der Kehle stecken geblieben waren. Wie er jedoch reagieren würde, wenn er wüsste, was der noch im Untersuchungszimmer befindlichen Dr. Akagi gerade durch den Kopf ging, nachdem sie durch den Spalt der nicht ganz ordnungsgemäß geschlossenen Tür mitgehört hatte, wäre wohl eine ganz, ganz andere Geschichte… --- Nachdem Asuka und Shinji sich erst einmal das LCL von der Haut geschrubbt und sich die Klamotten, mit denen sie gekommen waren – Genauer gesagt, ihre Schuluniformen – wieder übergezogen hatte, ließ sich Misato keine Zeit damit, sie einzusammeln und in ihrem Auto zu verstauen, und sich mit ihnen auf den Weg nachhause zu machen – nicht, ohne ihnen vorher einiges an Knabberkram in die Hände zu drücken. „Tut mir leid, dass es nur irgendwelche Süßigkeiten aus den Automaten sind, aber ich glaube nicht, dass es viel Sinn macht, einen Pizzaservice anzurufen, bevor der ganze Schutt aus der Innenstadt weggekehrt ist… Ein Glück, das wir eher am Rand der Stadt leben…“ Die Automatenbrezeln, Saftdosen und Schokoriegel waren den beiden Children mehr als genug, zumal ihnen jetzt erst bewusst wurde, dass sie den ganzen Tag noch keine anständige Mahlzeit zu sich genommen hatten, und beim Geruch von süßem nicht lange brauchten, um entsprechenden Kohldampf zu entwickeln. Unter diesen Umständen flogen selbst Asukas übliche Einwände bezüglich ihrer Linie im hohen Bogen zum Fenster raus – Tatsächlich, so stellte Misato überrascht fest, waren die Children wohl dermaßen damit beschäftigt, endlich ein paar Kalorien in sich reinzuschaufeln, dass es zwischen ihnen auf der Heimfahrt auf wundersame Weise keinerlei Streit gab... Oder hatte das gar einen ganz anderen Grund? Misato versuchte ihr Bestes, um nicht zu kichern. Schien fast so, als sei die Rechnung, die sie verfolgt hatte, als sie die zwei in eine Wohnung gepackt hatte, mehr als nur aufgegangen… In mehr als nur einer Hinsicht, Operation gelungen. Auch, wenn sie sich natürlich darüber im Klaren sein musste, dass sie nur eine Schlacht, aber noch lange nicht den Krieg gewonnen hatte – Irgendwie müsste das doch zu schaffen sein, die beiden dazu zu kriegen, dass sie einander beim Namen nannten… --- Letztlich endete der Tag für Shinji wie so oft unter seiner guten alten Zimmerdecke, die er, inzwischen in einem lockeren Unterhemd und einer kurzen Hose, wie sooft nachdenklich anstarrte. Eine Menge war passiert, seit er das das letzte Mal getan hatte, auch wenn es knapp zwei Tage gewesen waren. Es war ziemlich turbulent geworden, dieses Leben… Ja, jetzt fiel ihm ein, dass es am heutigen Tage genau drei Monate her war, dass er hierhergekommen war… Er dachte zurück an diese Vision mit den Treppenstufen, und wie er an deren oberen Ende herabgesehen und dort unten jemanden entdeckt hatte… Als Mayumi heulend und zitternd vor ihm gekniet hatte, glaubte er, diese Person am unteren Ende der Stufen wiedererkannt zu haben – Nicht sie, aber jemand, der ihr ähnlich war, jemand, der ihr einmal sehr ähnlich gewesen war… Da fiel ihm ein, heute musste es genau drei Monate her sein, dass er nach Tokyo-3 gekommen war… Es fühlte sich an wie so viel mehr… Er hätte sich damals nie träumen lassen können, das er einmal in der Position sein würde, jemand anders Trost und Halt zu geben… Er würde sich vermutlich kaum wiedererkennen… Er hatte die Bedeutungen von Freundschaft, Familie und Liebe gelernt, und viele andere neue Erfahrungen gemacht, alles Dinge, die er zuvor nicht gekannt hatte… ganz neue Dimensionen, die zu seinem Denken dazugekommen waren… Eigentlich… konnte er mit Recht behaupten, dass er zumindest… ein bisschen stärker geworden war, nicht…? Auf jedem Fall konnte er sagen, dass er sich selbst etwas besser kennengelernt hatte. Seltsam, dass ihm das erst aufgefallen war, als er Mayumi gesehen hatte… „Wir erkennen und selbst, indem wir andere erkennen“, hm? Er glaubte, dass irgendwo schon mal gehört zu haben… Es wäre nicht richtig gewesen, zu sagen, dass er verstand, es kam ihm alles noch sehr schwamming vor, das mit dem stärker werden, und… das mit der Zukunft. Aber er glaubte, dass er jetzt etwas näher dran war, und dass er wusste, auf welchem Pfad er wandeln musste, wenn er auch das noch begreifen wollte, was er nicht verstand. Das hier… schien der richtige Weg zu sein… --- Dass er diese Nach von einer Vision verschont blieb, war wohl zu viel verlangt, aber immerhin war die von heute relativ harmlos. Er sah sich selbst wieder mit seinem Cello in seinem Raum sitzen, als sich plötzlich wieder die Tür öffnete – Trotzdem gab es bei ihm keinerlei Schreck, als hätte er das schon eine Weile erwartet und wüsste schon, wem der beim Näherkommen stetig wachsende Schatten gehörte, der sich im Lichtkegel der Eingangstür bewegte. „Guten Morgen, Ikari-kun!“ „G-Guten Morgen!“ Aha. Dann erwarteten ihn heute also keine mysteriösen Alter Egos oder fremde, applaudierende Frauen, sondern einfach nur das gute Fräulein Langley-Soryu. Dass sie die angenehmere Variante war, zeigte schon, wie irre diese Visionen mit der Zeit geworden waren… H-Halt, er meinte natürlich das gute Fräulein Langley-Shikinami. Wie kam er denn überhaupt auf „Soryu“? Hach, nein, die eigentliche Frage war, wieso benutze sie seinen Namen, und warum schien ihn das nicht im Geringsten zu wundern. Jedenfalls schlenderte sie an ihm vorbei, setzte sich lässig auf einen zweiten Stuhl, von dem er hätte schwören können, das er eben noch nicht dagewesen war, und packte eine Geige aus, mit der er sie noch nie zuvor gesehen hatte. „Also, was spielen wir heute?“ „Den Pachelbelkanon.“ Wusste er aus irgendeinem Grund. „Da hast du es mit deinem Cello natürlich leicht! Du musst ja immer nur Arpeggien spielen.“ Hach, wenigstens eine Sache war noch normal: Darauf das Asuka, wie auch immer ihr Nachname jetzt lautete, etwas zu meckern finden würde, war immer Verlass. Daraus, dass sie trotz ihrer Beschwerden begann zu spielen, versuchte er sich gar nicht erst einen Reim zu machen – Er hatte sich mittlerweile soweit an ihr widersprüchliches Verhalten gewöhnt, dass er es bei Zeiten sogar richtig süß war. --- Nun hatte Shinji in seiner jugendlichen Naivität gehofft, dass auf seine große Heldentat am gestrigen Tage in guter alter Superheldenfilmmanier der Beginn einer spannenden Romanze folgen würde, doch spätestens auf dem Schulweg holte ihn die Realität in Form von Nagato ein, der von seinem Vater die ernüchternden Fakten erfahren hatte: Eines der ganzen Gebäude, dass bei dem ganzen Chaos zu Bruch gegangen war, war anscheinend die neue Wohnung der Yamagishis gewesen, und die Tatsache, dass sein eigenes Kind in die Kampfhandlungen involviert gewesen war, war für Mayumis Vater wohl Grund genug, als seine neue neue Wohnung nur Immobilien in Betracht zu ziehen, die weit, weit weg von Tokyo-3 lagen. So sollte die „epische Liebesgeschichte“ zwischen ihm und Mayumi scheinbar zu Ende sein, bevor sie wirklich begonnen hatte… Und er Idiot hatte schon begonnen, sich sorgen darüber zu machen, was er machen sollte, falls sie ihn fragte, ob er ihr Freund sein wollte… Es war einfach nicht fair, aber es ließ sich wohl nicht ändern; Davon, dass sein Leben nichts mit dem eines „klassischen“ Superhelden zu tun hatte, konnte er ohnehin ein Liedchen singen. So blieb dem Third Child nichts anderes übrig, als tief seufzend sein Leben zu verfluchen, und sich zu überlegen, wie er sich am besten von ihr verabschieden sollte. Eine mögliche Verbindung zwischen der Nachricht von Mayumis baldigem Wegzug und Asukas untypischer guter Laune erkannte er ebenfalls nicht, auch wenn er ihre Versuche, ihn auf ihre eigene Art aufzumuntern, durchaus zu schätzen, auch, wenn sie ihn eher verlegen (und teils auch ziemliche Angst) machten als munter. --- „Und, und, wie war das noch mal mit meinen Eiern…?“ Touji seufzte, angesichts der stets putzmunteren Nervensäge, die Kensuke bisweilen sein konnte, endgültig aufgeben. „Na gut, na gut, du hast ja recht. Ich gebe es ja zu: Eier oder nicht, diese Typen vom NERV-Sicherheitsdienst sind Profis…“ „Na bitte, geht doch.“ Strahlte Kensuke. „Trotzdem, diese Sicherheitslady war gruselig…“ „Das ist dieselbe Tuss, die damals gekommen ist, um sich Shinji zu schnappen.“ „Okeh, okeh… Apropos schnappen, es war gut, das wir verhindern konnten, das Mitsurugi und die Klassensprecherin nichts von unserem kleinen Ausflug mitbekommen haben…“ „Dafür werden es spätestens heute Abend unsere Eltern wissen... Menno, und dabei hatte ich meinen Vater endlich überzeugt, dass er mir diese limitierte Sammlereditionen von diesen Modell-Kriegsschiffen kauft… Übrigens inklusive eines maßstabsgetreuen Modells der IJN Shikinami.“ „Was…?“ Touji, der eben noch seinem vermutlich bald verflossenen Taschengeld nachgetrauert hatte, kriegte sich vor Lachen nicht mehr ein. „Es gibt ein Kriegsschiff namens „Shikinami“?“ „Yap.“ „Oh mein Gott… Das muss ja ein ziemlich gruseliges Kriegsschiff gewesen sein.“ „Na ja, eigentlich gab es das Schiff, bevor es die Shikinami aus unserer Klasse gab…“ „Ihr Gruseligkeitsfaktor überwindet eben die Zeiten!“ Das war alles, was es brauchte, damit die beiden Jungs in lautes Lachen ausbrachen. „Und dann haben wir sie auch noch ausgerechnet auf einem Kriegsschiff kennen gelernt!“ prustete Touji. „Das war doch ein Flugzeugträger! Die „Shikinami“ war ein Zerstörer, dass ist was ganz anderes.“ „Weißt du, Kensuke, für mich sind das alles einfach nur Schiffe mit Kanonen dran. Andererseits, unsere „liebe Freundin“ aus dem Westen ist in der Tat ziemlich… zerstörer-isch.“ --- In dieser und ähnlicher Manier setzten die Jungs ihren allmorgendlichen Weg in die Hallen der Bildung fort, wobei der übliche Schulweg heute alles andere als „üblich“ aussah – Zerstörte Gebäude zu ihrer linken, zerstörte Gebäude zu ihrer Rechten, nur die Schule war durch einen Wink des Schicksals ganz geblieben. Aufregen konnten sie sich darüber nicht, da sie zum fraglichen Zeitpunkt selbst im Inneren dieses Gebäudes gewesen waren, aber wirklich froh waren sie darüber auch nicht. Man hätte doch erwarten können, dass man ihnen wenigstens einen Tag frei geben würde, nachdem die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt worden war. Doch anderseits gehörten diese Kämpfe hier ja fast zum Alltag – würde man nach jedem davon eine Ausnahme gewähren, würde man in ihnen erstarren und das normale Leben in dieser Stadt würde zum Stillstand kommen – Die Show musste also weitergehen, und es waren ja auch Vorkehrungen getroffen worden, um das zu ermöglichen – Da die ganz großen, zentralen Gebäude zur Zeit des Kampfes tief unten in der Geofront verstesteckt gewesen waren, war zumindest ein gewisses Mindestmaß an Infrastruktur sichergestellt; Man konnte noch einkaufen gehen und viele konnten auch gleich weiter arbeiten – Es war wichtig, es gerade wenn wieder eine größere Abwanderungswelle bevorstand, irgendwie die Ökonomie am Laufen zu halten, und auch mit dem Wiederaufbau ließ man sich keine Zeit – Einige Bereiche waren noch gesperrt, weil dort noch die Entsorgung des Sees aus roter Matschepampe lief, in die der Engel sich verwandelt hatte. Doch die Straßen waren in dieser Nacht noch geräumt worden, um dem morgendlichen Berufsverkehr Platz zu machen, und auch wenn einige der unglücksseligen Gebäude immer noch als unangetasteter Schutt am Boden lagen, konnte man mit einem einzigen Blick über die Skyline verfolgen, wie die fraglichen Bereiche mehr und mehr mit Kränen und Baugerüsten überwuchert wurden wie mit einer Art Flechte, auch, wenn der Kontrast zwischen den ruinierten Gebäuden und ihren schillernden Geschwistern aus der Geofront schon krass war. Aber an sich wurde doch vieles getan, um ihnen das Leben hier annehmlich zu machen, auch wenn sich nicht ändern lies, dass das hier ein Kriegsgebiet war. Eine dieser „Annehmlichkeiten“, wobei der Begriff in dieser Hinsicht relativ war, bestand auch darin dass solange die Schule noch stand auch Unterricht stattfinden würde. Und mit Unterricht war auch Unterricht gemeint – Als der Weg der beiden Jungs in ihrem Klassenzimmer geendet hatte, war die schöne Tafelanschrift, die das baldige Kommen des Schulfestes verhieß, zwar noch da, aber irgend ein Spaßvogel hatte sie treffenderweise mit einem großen, roten „X“ dekoriert. „Die Party wäre dann wohl geplatzt…“ kommentierte Touji. „Hätte ich mir eigentlich denken können…“ „Stimmt…“ „Ach ja, was ist eigentlich mit der Neuen?“ „Noch im Krankenhaus, aber wir werden sie wahrscheinlich nicht wiedersehen… Sie hat scheinbar ihr Haus verloren, und jetzt will ihr alter Herr scheinbar eins, das eine geringere Wahrscheinlichkeit hat, von irgendwelchen Riesenrobotern zertrampelt zu werden.“ „Tja, da kann mal wohl nichts machen…“ kommentierte Touji. „In dieser Stadt ist halt echt der Wurm drin… Ach ja, wo ist eigentlich Shinji hin.“ „Der ist gleich da drüben.“ Berichtete Kensuke, wenig enthusiastisch auf eine Traube von Mädchen deuten, die scheinbar mal wieder dabei waren, sich Asukas in der Regel ziemlich dramatisierte, und obligatorisch in Bezug auf ihre eigenen Anteil an dem Kampf aufpolierte Erzählung über den letzten Kampf anzuhören, die selbst den Begriff „Jägerlatein“ nicht mehr verdient hatten. Shinji stand wenig begeistert daneben und ließ sie nur machen – Zunächst fühlte sich Touji ja versucht, zu ihm hinüber zu rufen, was das lange Gesicht sollte, wenn er doch so populär bei die den Damen war, aber der Grund für Shinjis mangelnden Enthusiasmus war dann doch schnell ersichtlich. „Und dann habe ich das schleimige Rieseninsekt schließlich platt gemacht wie eine Ameise unter einem Wanderstiefel… Natürlich hätte ich das auch ganz allein geschafft, aber dieses Mal hatte ich ausnahmsweise Mal auch so was wie nützliche Unterstützung, und zwar von ihm hier!“ Asuka deutete mit einer ausladenden Geste auf Shinji. „Ich weiß, er sieht wirklich nicht so aus, (und meistens liegt man gar nicht so falsch damit, nach seinem Aussehen zu gehen) aber wenn er will, dann kann er wirklich ein Maß an Mut und ein Abbild von Männlichkeit sein!“ Shinji konnte nicht sagen, ob das Sarkasmus war, oder nur ein ganz normaler Witz. „Ach, dann stimmt es, dass ihr miteinander geht…?“ „Ich gebe zu, dass er definitiv eine bessere Wahl wäre, als 99% der gehirnamputierten Jungs auf dieser Schule, aber mein Herz hat sich schon vor einer langen Zeit für Kaji-san entschieden!“ „…Armer Ikari-kun.“ „Es muss wohl eine einseitige Liebe sein.“ „Wie tragisch….“ „Ach ja, Mädels, hab ich euch überhaupt schon von Kaji-san erzählt? Er ist wirklich der Mann unter den Männern…“ Touji musste sein Lachen zurückhalten. „Na dann, Prost Mahlzeit! Armer Shinji… Na ja, wenigstens ist Shikinami beschäftigt und lässt uns in Ruhe.“ „Oh ja!“ stimmte Kensuke zu, sich genüsslich in seinem Stuhl zurücklehnend. „Ruhe und Frieden sind einfach das Beste!“ --- „Dann warst du also dabei, bei dieser Sache mit Yamagishi-san?“ „Yep. Auch wenn Dr. Akagi das meiste gemacht hat.“ Nagatos sonst eher starre Gesichtszüge entspannten sich zu einem seltenen Lächeln. „Ich bin richtig stolz, einen Vater zu haben der an solchen großen Dingen arbeitet, wie die Rettung der Menschheit…“ Der ältere Mitsurugi hatte sich nicht nur deshalb von seinem Sohn abgewendet, weil er mit dem Abwasch zu tun hatte; Er hörte aus seiner Stimme heraus, dass er gerade jetzt lächeln musste, und wenn er es sich erlauben würde, mit diesem Lächeln konfrontiert zu werden, dann würde er sich unweigerlich auch damit auseinandersetzen müssen, dass er es nicht verdient hatte. Spätestens jetzt war es ihm klar, nachdem er mitangesehen hatte, wie sie dieses blasse, schwächliche Mädchen aufgeschnitten hatten – Sie musste auch irgendjemandes Tochter sein, und es fiel ihm nur all zu leicht, sich Nagato an ihrer Stelle vorzustellen. Also drehte er sich weg, auch, um seinen eigenen Gesichtsausdruck zu verstecken. Mitsurugi Minoru hasste diese Ungewissheit, er hasste diesen falschen Frieden… Er hatte diese Situation nicht gewollt, alles, was er sich gewünscht hatte, war es, gerade dieses Lächeln noch einmal wiederzusehen. Er hatte nicht die Weitsicht gehabt, um zu begreifen, dass er es nicht zurückgekauft, sondern nur ausgeborgt hatte. Oder vielleicht hatte er sie auch nicht haben wollen. In diesem Fall war es seine Sünde; Noch ein Grund, sich wegzudrehen. Vielleicht hatte er sie nicht haben wollen, weil es bedeutet hätte, aufzugeben. Hätte er damals anders gehandelt, hätte er niemals diese Zeit hier haben können… Nagato schien glücklich zu sein, vielleicht glücklicher, als er es seit dem Tod seiner Mutter je gewesen war… Also warum reichte das nicht aus, um sein verdammtes Gewissen endlich zum Schweigen zu bringen? Machte es keinen Sinn, jetzt zu lachen, wenn man wusste, dass man später einmal weinen würde? Endete nicht jedes Leben irgendwann, ohne dass es die Fähigkeit der Menschen trübte, sich zu freuen? Waren Menschen etwa solch sinn- und ziellose Geschöpfe, dass sie nur Hoffnung haben konnten, weil sie nicht sahen, wie der Tod genau hinter ihnen stand und ihre Hälse langsam aber sicher mit seiner Sense umzingelte? --- Er schätzte, dass dies nun das dritte Mal war, dass er das NERV-Hauptquartier betrat, ohne explizit hergebeten worden zu sein, aber ganz sicher war er sich da inzwischen auch nicht mehr – Begann das inzwischen, Teil dessen zu werden, was er als Normalität kannte? Er schätzte, dass es darauf ankam, ob er in Zukunft weitere Gründe dazu haben sollte, oder nicht. Der Grund, der ihn dieses Mal herführte, war zumindest ein anderer als bei den letzten beiden Malen: Gleich, nachdem er heute aus der Schule entlassen worden war, war er auch los, um Mayumi zu sehen – Es war ein glücklicher Zufall, dass er sich erinnert hatte, wo dieser Buchladen war, an dem er sie damals getroffen hatte – So kam er zumindest nicht mit leeren Händen. Natürlich konnte er nur hoffen, dass Mayumi die zwei Bücher, die er da gekauft und noch in derselben braunen Tüte mitgeführt hatte, in der der Verkäufer sie ihn eingepackt hatte, nicht schon besaß, und dass sie ihr, falls sie sie noch nicht hatte, auch gefallen würden. Er kannte sich mit so etwas nicht aus, also hatte er sich einfach etwas vom Verkäufer empfehlen lassen; auch hatte er kurz mit sich debattiert, ob er nicht nach einem Geschäft suchen sollte, wo er irgendwas wie eine Schnur oder ein Geschenkband erwerben könnte, um die schlichte, braune Tüte wenigstens mit einer Schleife verzieren zu können, kam aber letztlich zu dem Schluss, dass er jetzt nicht eine halbe Stunde damit verschwenden wollte, einen Laden zu suchen, von dem er nicht einmal wusste, ob es so etwas hier in der Gegend überhaupt gab, und hatte sich auf den Weg zum Hauptquartier gemacht, wo er dann zunächst überraschend seine Probleme damit hatte, überhaupt die Krankenstation zu finden – Bis jetzt war er dorthin immer bestenfalls eskortiert und im schlechtesten Falle bewusstlos hin gekarrt worden, sodass er nie wirklich dazu gekommen war, sich den Weg zu merken, und letztlich nicht umhin kam, ein paar vorbeilaufende NERV-Mitarbeiter nach dem Weg zu fragen. Als er die Kranstation selbst dann erreicht hatte, wurde er vom dortigen Personal dann aber sofort erkannt, und an dem Korridor, in dem auch sein „üblicher“ Raum lag, vorbei direkt zu Mayumis Zimmer geführt. Die Krankenschwester, die ihn aufgegabelt hatte, war obendrein so freundlich ihm zu erzählen, dass es bei Mayumi zu keinerlei weiteren Komplikationen gekommen war, und dass man sie morgen wohl entlassen würde… was auch hieß, dass er schon bald das letzte Mal sehen würde. Was ihn dennoch beunruhigte, war die Tatsache, dass er sich nicht erinnern konnte, diese Krankenschwester jemals getroffen zu haben – Kannte sie ihn einfach nur vom Hörensagen her und hatte irgendwo ein Bild von ihm gesehen, oder war sie es gewesen, die ihn vor einer Weile im „knusprig frittierten“ Zustand des Plugsuit vom Leib geschält hatte? Der Gedanke daran war… unangenehm und ließ ihn trotz der wirklich lobenswerten Freundlichkeit der Dame erst einmal aufatmen, als diese ihn dann vor der entsprechenden Tür allein ließ – Man hatte Mayumi seit gestern in einen anderen Raum verlegt – Dieser hatte in seiner Wand keine Glasscheibe. Shinji hoffte zutiefst, dass das bedeutete, dass sie die ganze Maschinerie in dem anderen Raum nicht mehr gebraucht hatte. Nun wurde es aber Zeit. Zeit, dass er seine Hand zu diesem Türknauf bewegte. Es war doch nicht so schwer – sich mit der anderen Hand der Bücher vergewissernd, die er gekauft hatte, und sich damit daran erinnernd, dass er hier sozusagen etwas „auszuliefern“ hatte, legte er los. Ja, genau so, das war doch gar nicht so schwer. Außer, dass er gerade, als er den Türknauf fest gegriffen und zu zwei Dritteln aufgedreht hatte, Schritte vernahm. Von plötzlicher Angst ergriffen, dass man ihn etwas fragen könnte, worauf er nicht sachgemäß antworten konnte oder wollte, drehte er sich zunächst einmal um, zuerst ohne die Finger vom Türknauf zu lösen – Hinter ihm stand ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann, der ein elegantes, minimalistisches, silbernes Brillengestell auf der Nase trug. Das Third Child hatte ihn noch nie zuvor gesehen. „Was machst du hier?“ verlangte der Fremde schroff zu wissen. „Ich…. Ich… ich mache hier… gar nichts…“ versuchte er zu erklären, sich jetzt ein Stück weit von der Tür entfernend. „Na, das wollen wir doch mal hoffen.“ Und dann nahm der Fremde den Türknauf selbst in die Hand und trat ohne zu zögern ein. Shinji brauchte nicht lange, um zu begreifen, wer das wohl sein musste, und zu sehen, dass diese Person scheinbar hier war, um Mayumi zu sehen, führte ihm vor Augen, dass eine andere Person nicht hier sein würde, wenn er sich in Mayumis Situation befinden würde… Auch, wenn er hätte warten können, bis dieser Mann den Raum wieder verließ, auch, wenn er sich hätte verstecken können, um Nachfragen zu vermeiden, so hatte er doch seinen Willen verloren, sie zu sehen. Er hatte dieses Gefühl des nicht-dazugehörens, des ganz-weit-weg-seins, mit dem er einfach nicht umgehen konnte. Sie hatte etwas, was er nicht hatte, und das gefiel ihm nicht; Vielleicht war er missgünstig, ja, höchst wahrscheinlich; Er hatte sich gestern nicht getraut, Misato zu fragen, ob sie ihn für einen schlechten Menschen hielt und der Grund, wie es ihm immer stärker klar wurde, war, dass er die Antwort bereits kannte, und zu feige gewesen war, um sie zu hören. Oder wenn keine Missgunst, dann war es einfach nur Unsicherheit oder Verzweiflung – Was auch immer es war, er konnte sich denken, dass diese Empfindung aufhören würde, Sinn zu machen, wenn er einmal wirklich darüber nachdenken sollte, und daher vermied er es. Wäre er nicht davongerannt, wäre er vielleicht zu einer Statue erstarrt und nie im Leben von dieser Stelle weggekommen, auf ewig gelähmt von der schweren, teergleichen Schwärze, welche die Quelle seiner Gefühle zu verkleben drohte, wenn er es nicht irgendwie schaffen sollte, sie herauszuschütteln. Eben noch waren seine Gedanken erfüllt gewesen von Zielen, von Dingen, die er Mayumi mit auf den Weg geben wollte, von großen, wichtigen Dingen, doch in dem Augenblick, indem er den Gedanken an diesen Mann nicht mehr zurückhalten konnte, wann immer seine Versuche, zu verdrängen, wie sich der schlimmste Moment seines Lebens, eine seiner ersten und zugleich die schmerzlichste Erinnerungen sich in seinem Innersten immer und immer wieder wiederholte, wie der fragliche Teil einer defekten Schallplatte, in seine Seele gepresst wie ein Zeichen auf seiner Haut, dass er einfach nicht hinfort waschen konnte, sah er sich zu nichts anderem reduziert als demselben hilflosen, kleinen Kind, dass er damals gewesen war, als er ihn fortgeworfen hatte, wie den an den Rändern klebenden Rest in einer Getränkedose, die man halbherzig, aber dennoch mit verformender Gewalt in einen Mülleimer gestopft hatte, nachdem sie ausgiebig benutzt hatte, bis sie nicht mehr zu gebrauchen war. Er konnte nicht das Gefühl abschütteln, dass er sie noch hören konnte, die Schritte, die seinen Vater am Vortag in exakt diesem Korridor in einer geraden Linie an ihm vorbei geführt hatten, durch das vergehen der Zeit immer leiser, leiser und leiser geworden, aber nie ganz verstummt. Wenn es die Geräusche nicht waren, dann war zumindest die Wunde, die sie gestern gerissen hatten, noch blutig und frisch, und jetzt, wo niemand hier war, an den er sich klammern konnte, hinderte sie nichts daran, einfach wieder aufzubrechen; Nein, den Mut oder die Stärke, um Mayumi zu besuchen, hatte er jetzt definitiv nicht mehr – Im Angesicht seines Vaters wurde alles, was er zu erreicht haben glaubte, bedeutungslos. Was machte er sich da eigentlich vor? Die Distanz zwischen ihnen war nicht das kleinste Fitzelchen kleiner geworden. --- Was Shinji nicht wusste war, dass der Mann, der Mayumis Zimmer soeben betreten hatte, nichts war, um das man sie beneiden müsste. Seine erste Amtshandlung beim Betreten des Klassenzimmers bestand darin, seiner Tochter, die sich zum Lesen eines Buches in ihrem Krankenbett aufgesetzt hatte, in routinierter Manier eine schallende Ohrfeige zu versetzen. „Mayumi!“ brüllte er. „Bist du denn von Sinnen?“ Noch bevor die Meldungen über den Schmerz ihr Gehirn erreichten, hatte sie schon ein Stoßgebet dafür in den Himmel gewusst, dass er doch bitte nicht… darüber bescheid wissen sollte, dass er nur sauer war, weil sie nicht im Schutzraum geblieben war… Was… passiert war, hatte sie nur in dem Gedanken gemacht, dass sie nie dafür gerade stehen müssen würde, dass sie nicht mehr da sein würde, um die Fragen zu beantworten… Ein trügerisches Gefühl der Freiheit war es gewesen, für dass die Realität, von der sie sich abgewendet hatte, nun bestraft wurde… Trotzdem war sie froh… das sie noch hier war. Sie hatte entschieden, dass sie noch hier sein wollte und dass sie sich darüber freute, und das würde auch diese Person ihr nicht zu Nichte machen – Sie zitterte, musste sich an ihrer Decke festkrallen, ihre ganze Köpersprache war unterwürfig und furchtsam wie eine zu aller Zeit fluchtbereite Spitzmaus, aber dennoch zwang sie sich dazu, ihm wieder in die Augen zu sehen; Sie allein waren stählern. Auch, wenn sie das Trommelfeuer an harten Worten, das nun folgte, schon mit hellseherischer Gewissheit herannahen gespürt hatte, war es doch schmerzlich, ihm standhalten zu müssen, aber sie versuchte es; Es ging nicht darum, besonders souverän oder beherrscht zu wirken; Schon, nicht in Tränen auszubrechen oder um Vergebung zu betteln wäre schon ein Sieg. „Ich… ich weiß ich… hätte den Schutzraum nicht verlassen sollen, aber es gab da etwas das ich unbedingt-“ „Oh, ich weiß genau, was du vor hattest… du selbstsüchtiges, egostisches Stück. Hältst diese Welt wohl für unter deiner Würde, was? Zu sagen, das dir „alles zu viel ist“ ist sehr einfach, junge Dame! Was mit mir und allen anderen wird, was wir fühlen, wenn du deinen tollen Stunt abziehst, war dir wohl herzlich egal, wie… Solchen irrsinnigen Nihilismus habe ich dir nicht beigebracht, Mayumi! Du hast mir wirklich einen Kummer gemacht, und eine Schande!“ Da ging es wieder, das gute alte Ritual; Spätestens jetzt war der Teil gekommen, wo es von ihr erwartet war, dass sie eingestand, dass sie Unrecht hatte und um die Gnade seiner Vergebung bat… Dass das hier nicht die gewöhnliche Standpauke wegen einer weniger als idealen Note war, sondern der „Streitpunkt“, soweit man ihre recht einseitigen Austauschen, die von ihrer Seite aus zumeist nur aus „Ja“s und eiligem Nicken zu bestehen pflegten, überhaupt als „Streit“ bezeichnen konnte, damit zu tun hatte, änderte herzlich wenig. Er weigerte sich nach wie vor, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Fehler irgendwie bei ihm liegen könnte, dass er ihr wehgetan haben könnte… Er nahm sie nicht ernst, in seinen Augen war alles, was sie tat, eine kindische Phase, ihre großen Fragen, ihre tiefen Sorgen, ihre wichtigsten Entscheidungen… wenn er es ernst nehmen würde, würde er nicht so darauf spucken, oder? Doch sie hatte schon längst entschieden, dass sie genug hatte. Sie war nicht der Typ, der zu Hass oder Groll in der Lage war, dass sie einfach ein schwaches, sein, sanftes Wesen hatte, war etwas, womit sie leben musste… Sie wünschte sowohl den vielen Kindern, die sie ausgegrenzt oder übersehen hatte, als auch diesem Mann nichts Übles, aber sie wollte nicht mehr leiden müssen. Es war ganz, wie Ikari-kun es gesagt hatte? Warum sollte sie es sein, die dafür diese Welt verlassen musste…? Sie sah nicht ein, dass sie das hier verdient haben sollte… oder nein, vielleicht hatte sie es vorher verdient, weil sie es hatte gefallen lassen, aber wenn das den Unterschied machen würde, dann war es etwas, dass in ihrer Macht lag… Es war ein seltsames Gefühl, als würde sie irgendwo hoch oben stehen, wo sie den kühlen Wind auf ihrer Haut spürte, wie auf diesem Hochhaus, aber statt der Tiefe war es der Himmel, der zu ihr rief. „N-nein…“ Es war kein großer, dramatischer Ruf, fast ein flüstern, aber nur fast; So leise, dass man die Absicht, die Worte zu verstecken in den Ton hätte hineinlesen können, in dem sie gesprochen waren, war es nicht. Sie hatte das ganz bewusst, und ganz gerichtet gesagt, speziell adressiert an die einzige Person, die hier war, um es zu hören. Eine Person, die dieses Wort wohl seit sehr, sehr langer Zeit nicht ins Gesicht gesagt bekommen hatte. „Was hast du da gesagt…?!“ „Ich… ich sagte nein…!“ Ihr ganzer Körper zitterte, und ihre Stimme tat es auch, aber egal, wie viel Überwindung es sie kostete, sie weigerte sich, ihren Blick abzuwenden. „Was soll das heißen, nein?!“ „Nein heißt nein… Ich… ich denke nicht, dass… das das so richtig ist…“ Es klang seltsam, darüber nachzudenken nach dem was… passiert war, aber als sie älter geworden war und begriffen hatte, was… ihre Mutter da für ein Schicksal ereilt hatte, hatte sie begonnen, viel darüber nachzudenken. Darüber, warum so etwas geschah, und warum Menschen so etwas taten… Die Assoziation, die… so was oft mit Arroganz und Egozentrismus bekam, hatte sie von Anfang an nicht verstanden – Eigentlich gab es Zwei möglichen Gründe, wegen denen Menschen so etwas taten. Einer war die Quelle von Erzählungen, die über Herrscher, Krieger und Philosophen erzählt wurden, die ein unrechtes Urteil akzeptiert oder aber den Tod gewählt hatten, um dem Feind nicht erlauben, ihren Tod zu einem Spektakel zu machen oder aber um zu vermeiden, dass sie unter Folter zu Verrätern wurden; Das war die Wahl, die protestierende Mönche oder Freiheitskämpfer trafen, wenn sie in Hungerstreik gingen oder sich selbst in Brand steckten; Das war die Entscheidung derer, die von grausamen Regimes verfolgten Unterstützung boten, auch, wenn sie den Preis kannten. Dies waren Taten, mit denen man seinen Stolz oder seine Würde beschützte, oder aber ein anderes, wichtiges Ideal; die Tatsache, dass ein Mensch so etwas über seinen Selbsterhaltungstrieb stellen konnte, war der ultimative Beweis dafür, dass der Mensch keine bloße Instinktmaschine von Genen und psychologischen Einflussfaktoren ist; Es war die selbe Fähigkeit, die einem erlaubte, ein Märtyrer zu werden oder sein eigenes Leben für jemand anderes herzugeben – Unabhängig davon, dass nicht jedes Ideal für das jemand gestorben war, auch erstrebenswert war, oder davon, dass man jetzt debattieren könnte, ob der Tod der betreffenden dem Ideal wirklich gedient hatte, war an diesen Handlungen doch immer etwas nobles, erhabenes, über die niederen Vorzüge dieser Erde hinausgehendes… Aber die meisten Menschen waren keine Helden oder Märtyrer. Die meisten derer, die diese Welt durch ihre eigene Hand verließen, waren einfach nur einsame, fehlgeleitete Menschen, die in einer dunklen Stunde, überkommen von Gefühlen, die es ihnen unmöglich machten, über die Schmerzen des Hier und jetzt hinwegzusehen, deren Urteilsvermögen vielleicht noch zusätzlich durch Drogen oder Krankheiten getrübt sein konnte, einfach einen verzweifelten Schritt wagten, weil niemand ihnen gesagt hatte, dass sie auf dieser Welt sein dürften, oder, weil sie sich selbst daran gehindert hatten, diese Worte zu hören. Man sprach hier von Menschen, die nie ihren Wert erkannt hatten, die nicht gewusst hatten, dass sie ein Loch in diese Welt reißen würden und vermutlich geblieben wären, hätten sie geahnt, dass ihr Verschwinden einen Unterschied machen würde… Auch hierin konnte Mayumi keine Arroganz oder Undankbarkeit erkennen. Es war einfach nur traurig. Dass ihre Mutter gestorben war, war traurig. Aber es war ihr nie wirklich erlaubt gewesen, traurig zu sein – Sei es aus einer Wut auf die Frau heraus bedingt, die ihn „verlassen“ hatte, oder anderweitig zu begründen, ihr Vater hatte es nie gern gesehen, dass sie sich mir irgendetwas beschäftigte, dass mit ihrer Mutter zu tun hatte… Sie hatte ihre Trauer in sich gehalten und versteckt, und mit der Zeit gelernt, es mit all ihren Gefühlen so zu machen – Dieser Mann war niemand, dem sie eine Schwäche Zeige zeigen konnte, und durch ihn lernte sie, diese Welt und die Menschen darin als feindselig und angsteinflößend wahrzunehmen, sodass sie selbst dann Schwierigkeiten hatte, sich anderen zu öffnen, als sie in der Schule Menschen begegnete, die mit ihren Vater nichts zu tun hatten… Aber das alles sollte jetzt zu Ende sein. Wenn sie von den Ereignissen der letzten Tage eines gelernt hatte, dann, dass ihren Tränen freien Lauf zu lassen, auch eine Art von Mut sein konnte… Die Gefühle, die sie hegte, waren nicht immer nobel oder richtig, aber es waren ihre, es war das, was sie zu ihr selbst machte… und dafür, dass sie sie selbst war, hatte sie sich lange genug geschämt. Mehr als das brauchte es auch nicht, um die Augen ihres Gesprächspartners zu Weiten… Mit einem Mal offenbarte sich ihm, was das Mädchen, das er bestenfalls von allem, was mit ihrer Mutter zu tun hatte, fernhalten wollte, damit sie nicht deren Pfad ins Nichts einschlug, und schlechtesten falls einfach nicht hatte ertragen können, weil sie ihn mit ihrer Ähnlichkeit und der Art, wie sie sich an deren Besitztümer geklammert hatte, an den schmerzlichen Verlust seiner Frau erinnert hatte, wirklich war, und wo sein Platz lag. In all den Jahren, wo er der Meinung gewesen war, dass er durch sein hartes Durchgreifen ein Opfer gebracht hatte, um sie mit aller Macht vom falschen Weg abzuhalten, war er in Wahrheit nur ein Hindernis gewesen, ein Klotz der sie an ihrem Bein hängend wie ein Mafiosi-Betonschuh dabei gestört hatte, zu fliegen… Er hatte ihr nur im Weg gestanden, eine Hürde, die sie nun letztendlich überwunden hatte. Die Entschlossenheit, mit der sie trotz ihrer offensichtlichen Furcht in seine Augen starrte, führte ihm vor Augen, dass sie gerade etwas geschafft hatte, was er in seinem ganzen Leben nicht fertigbracht hatte… Er selbst war immer eines Feiglings gewesen, unfähig, sich seinem eigenen Vater oder irgendwelchen anderen Menschen in den Weg zu stellen… Vielleicht hatte er gerade deshalb solch eine harte Kontrolle über seine Frau und seine Tochter ausgeübt, um wenigstens in seinem eigenen Haus die Macht zu haben. Das war wohl das schlimmste daran, dass er seine Fehler gemacht hatte, obwohl er die Pein, die er anderen dadurch zugefügt hatte, selbst am besten kannte. Machtlos stand der diesem Mädchen gegenüber und war gezwungen, sich einzugestehen, dass sie stärker war als er. --- Es blieb wohl nur noch übrig zu sagen, dass sich die Verhältnisse im Hause Yamagishi von diesem Tag an bedeutend änderten. Ob es das Third Child wohl glücklich gemacht hätte, wenn er gewusst hätte, was er bewirkt hatte? Das Fragezeichen hatte durchaus seine Berechtigung und nahm sie daher, das der EVA-Pilot im selben Augenblick dabei war, allem Glück, dass er bis jetzt erfahren hatte, die Wirklichkeit abzusprechen und einzusehen, dass er auch in der Zukunft, so real, wie diese jetzt auch immer sein mochte, keines zu suchen brauchte; Das Treffen mit Mayumis Vater, oder vielmehr die sorgsam verdrängten Gedanken an seinen eigenen Vater und die Art, wie dieser einfach an ihm vorbei gelaufen war und wie alle anderen etwas zu haben schienen, was er nie besessen hatte, hatte ihm schlichtweg den Wind aus den Segeln genommen und ihn wie ein driftendes Wrack zurückgelassen, das völlig verlassen war bis auf ein paar vergessene, blinde Passagiere welche dadurch, dass sie sich versteckt hatten, nie erfahren hatten, dass man das stetig weiter sinkende Schiff schon vor einer langen, langen Zeit verlassen hatte; Shinji kümmerte er gar nicht mehr, wohin er lief, er wollte nur da weg, an welchem Ort er sich statt dessen befinden würde, war völlig nebensächlich. Bald war er nicht einmal mehr am Rennen, sondern lief nur noch, ziellos, auch, wenn er sich davor hütete, anzuhalten, bei einem Schritt nicht wissend, wo der nächste hingehen würde, als triebe ihn ein tierischer Instinkt oder eine hexenhafte Verwünschung, wie ein Werwolf, der dem Mond nachlief, oder ein kleines Kind, das hilflos dem Luftballon hinterher sah, den es versehentlich losgelassen hatte, schmerzlich beobachtend, wie der farbenprächtige Punkt weiter und weiter in der Atmosphäre verschwand, und nicht einmal Gelegenheit habend, ihm dabei zuzusehen, weil einen alles drum herum zum Weitergehen drängte. Es war einfach zu viel, zu oft, und immer alles auf einmal, in jeder möglichen Hinsicht… Das Geschehnis eben war nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht und die zerbrechliche Balance zertrümmert hatte. Er konnte nicht mehr, er wollte nicht mehr, es ging nicht mehr... Dabei hatte heute Morgen alles noch ganz anders ausgesehen, oder war das nur eine Illusion…? Shinji hätte es sich sagen können, er wurde aus diesem wilden Mischmasch aus Gefühlen einfach nicht schlau, und, jetzt, wo er daran dachte, genau so wenig aus seiner Umgebung – Er hatte einfach nicht mehr darauf geachtet, wohin er gelaufen war, und nun hatte er eben so wenig Ahnung davon, wohin es ihn verschlagen haben könnte – Der Korridor wirkte etwas düsterer als die meisten anderen, aber viel mehr konnte er darüber auch nicht sagen – Mit der Krankenstation, auf der er seine letzten sinnvollen Gedanken gefasst zu haben glaubte, hatte diese Er musste irgendwo tief im Herzen des Labhyrinths sein, tatsächlich würde es ihm beim gegenwärtigen Verrücktheitsgrad seines Lebens nicht wundern, wenn demnächst eine Art Minotaurus um die nächste Ecke gesprungen käme. Es war, als wollte das Schicksal sein grausames Werk auch noch mit einer Kirsche garnieren – Jetzt war er nicht nur deprimiert, nein, jetzt hatte er sich auch noch verirrt. Auch noch an seinem eigenen Arbeitsplatz. Als ob das heute Morgen mit Asuka nicht schon genug gewesen wäre… Er konnte sich sehr gut vorstellen, was sie wohl so in etwa sagen würde, wenn sie ihn jetzt sehen könnte – er musste wohl einen ziemlich lachhaften Anblick abgeben. Wenn sie hier wäre, würde sie ihn wohl mehr oder weniger brüsk dazu auffordern, sich zusammenzureißen… „Ikari-kun?“ --- 10: [Bildflimmern] --- Disappear Disappear I'm sorry For my selfishness, Hoping you You'd never wake again Sorry But I am only here, only real When you dream of me The more I try to feel you The more I disappear Close your eyes And make me real again The more I try to feel The more I disappear Disappear Again I'm lonely, In this conciousness Hoping you'd Come back again Just like it used to be Just you and me and a thousand moonrises To be close again I'll be anything You desire The more I try to feel you The more I disappear Close your eyes And make me real again The more I try to feel The more I disappear Disappear The more I try to feel The more I disappear Make me real Make me real Dream of me -She,'Make me Real' --- Bisher fest davon überzeugt, dass er diesen fremd erscheinenden Korridor zumindest für sich allein hatte, bekam der Angesprochene erst einmal einen mittelschweren Schreck, als er hinter sich – nahe hinter sich – eine Stimme hörte, so leise sie auch sein mochte. Seine düsteren Gedankengebäude stehen und liegen lassend, nun, da ein relevantes Stück der Außenwelt nach seiner Aufmerksamkeit verlangte, drehte er sich rasend um, das Ganze noch halb für eine Einbildung haltend, bis er die Besitzerin des hohen Stimmchens im Fleische erblickte und diese auch nach mehrmaligem Blinzeln noch da war. Sie hatte praktisch direkt hinter ihm gestanden, ohne, dass sich Shinji entsinnen konnte, in welchem Moment sie eigentlich gekommen war – Man könnte meinen, sie sei dort einfach so ohne Vorwarnung in völliger Stille aufgetaucht, von ihm aus durch irgendwelche Star-Trek-eske Abart von Quantenteleportation… sie konnte nicht schon die ganze Zeit über dagestanden haben, oder? So einfach hätte er sie doch nicht übersehen, oder? Nicht, wenn sie die hellen, verblassten Farben ihrer Schuluniform und überhaupt allem an ihr, inklusive ihrer Haut und diesen eigentümlichen blauen Haaren, sie so aus der hiesigen Finsternis hervorstechen ließen, dass sie beinahe wie eine schwach glühende, geisterhafte Erscheinung wirkte. Was ebenfalls unmöglich zu übersehen sein sollte, war der kleine Pappkarton, den sie mit beiden Armen bei sich trug und verriet, dass sie wohl hier war, um die Sachen, die sie für die letzten Tage in denen sie hier dauerhaft stationiert gewesen war, mitgeführt hatte, wieder zu sich nachhause zu bringen – Selbst Rei war gestern wohl zu nichts anderem mehr fähig gewesen, als sich eine gute Mütze Schlaf zu gönnen, die mit guter Wahrscheinlichkeit noch hier im Hauptquartier stattgefunden hatte, wo auch immer man sie für die letzten Tage untergebracht hatte. Was hieß hier „selbst“ Rei – Sie sollte am meisten Grund dafür haben, gestern fix und fertig gewesen zu sein… Erst verspätet rieselte es in sein Bewusstsein, dass sie ja eigentlich irgendeine Art von Antwort erwartete, statt derer er sie eine ganze Zeit lang ungeniert angestarrt hatte – Und das sie ihn ihrerseits einfach nur ruhig und geduldig anschaute, war ein zweischneidiges Schwert – Einerseits gab es ihm eine relative Sicherheit, dass sie nicht sauer zu sein schien, andererseits hätte er gerne gewusst, was denn nun genau in ihrem hübschen Köpfchen vor sich ging, um irgendwie darauf reagieren zu können. „Uh… Hallo Ayanami.“ Keine Reaktion. Na toll, das hätte er sich ja denken können. Darauf zu warten, dass sie irgendwas machte, war zumeist zwecklos – Wer weiß, vielleicht wartete sie ja darauf, das er irgendwas machte. „Uhm…äh…“ Sein Blick fiel auf den Pappkarton, den sie bei sich trug. Da er ohnehin nicht die Fähigkeit besaß, sich etwas Besseres auszudenken, folgte er dem, was seine momentanen Gedanken zu bieten hatten: „Soll… ich dir helfen?“ Er glaubte, eine kleine Regung in ihren Augen gesehen zu haben, als hätte sie ihren Blick etwas mehr fokussiert, doch das war schon alles. Shinji hatte das Warten auf eine Antwort beinahe schon aufgegeben, als sie schließlich doch sprach, gerade noch im Bereich des Hörbaren, wie eine tickende Uhr. „…Womit…?“ „Na mit dem, uhm, Kisten tragen und so…“ Er holte sein charmantestes Lächeln aus dem Schrank, auch, wenn es ihm nicht gelang jene eingetrockneten Flecken der Verlegenheit daraus zu entfernen. „Ich… ich schätze du bringst gerade dein Zeug nachhause und so…“ „Das ist korrekt.“ „Na ja ich könnte ja etwas von dem ganzen Zeug für dich tragen… Wenn du nichts dagegen hast, versteht sich…“ „Das habe ich nicht.“ „Uhm, gut… Wo ist denn der Rest von dem Kram?“ „Das ist alles.“ Das leichte strecken ihrer Arme war wohl ihre Art, ihm anzudeuten, dass er die Kiste nehmen konnte, was er, wenn auch etwas zögerlich, dann auch tat – Er hatte schon halb befürchtet, dass er sein Angebot bereuen würde, weil Mädchen seiner bisherigen Erfahrung nach immer Unmengen an Zeug besaßen, welches vorzugswese in Unmengen von schweren Taschen und Kisten transportiert wurde, (wie jenen Exemplaren, mit denen Asuka bei ihrer Ankunft die Wohnung vollgestopft hatte) und nun wunderte er sich darüber, wie leicht das relativ kleine „Paket“ mit Rei’s Besitztümern doch war – Sie hatte es nicht einmal zu gemacht, sodass man sehen konnte, dass die Kiste noch nicht einmal bis zur Hälfte gefüllt war, hauptsächlich mit Kleidung: Eine weitere Schuluniform, das kleine braune Handtuch, mit dem er schon bei seinem Besuch in ihrer Wohnung Bekanntschaft gemacht hatte und eine Art Krankenhaushemd, dass sie vermutlich zum Schlafen getragen hatte – mehr war da nicht, außer der Brille seines Vaters und einem dieser sortierten Medikamentenkästchen, die alte Leute gelegentlich mit sich herumtrugen. Keine Schminke, keine Tigelchen und Töpfchen, keine elektronischen Helferlein, keine Privatkleidung, keine sonstigen Annehmlichkeiten und gar nichts, das auch nur entfernt dazu gedacht zu sein schien, sich die Zeit zu vertreiben. Nichts als das äußerst nötigste. Und etwas zerknautschter Unterwäsche – Es war die Realisation, dass sie die vermutlich getragen hatte, die Shinji realisieren ließ, das ihn das innere der Kiste eigentlich gar nichts anging, sodass er sich mit hochroten Gesicht dazu zwang, seinen Blick aus dem inneren zu verbannen. „Ist etwas nicht in Ordnung.“ „N-Nein…!“ Eigentlich hätte sie sich jetzt aufregen oder zumindest verlegen werden. Merkte sie es nicht oder ließ sie es sich nur nicht anmerken? Wenn der Zweck ihrer scheinbaren (?) Gleichgültigkeit sein sollte, sein Gewissen anzukurbeln, dann hatte sie damit bis jetzt jedenfalls Erfolg gehabt. „Wir äh, vielleicht sollten wir gehen.“ Wieder folgte eine dieser unschönen Pausen… Wartete sie darauf, dass er losging? Hach, da hatte er glatt vergessen, dass er sich ja verirrt hatte – Rei selbst musste zweifellos wissen, wo es lang ging, aber einen Nutzen aus diesem Wissen zu ziehen, würde bedeuten, zuzugeben, dass er sich verirrt hatte, und sie nach dem Weg zu fragen, was ehrlich gesagt eine peinliche Angelegenheit sein würde, zumal er es ja gewesen war, der ihr helfen wollte. Die Frage war jetzt also, wie er sie mit kleinstmöglichem Würdenverlust nach dem Weg fragen konnte… Vermutlich würde dies nicht möglich sein. Und er musste auch wegen Reis eigener Würde etwas unternehmen und den Karton in einem unauffälligen Moment zuklappen. Sie darauf anzusprechen, dass sie praktisch jedem, an dem sie in den nächsten Minuten vorbeilaufen würde, ihre Höschen auf einem Präsentierteller da bot, traute er sich nicht. Es musste damit zusammenhängen, dass es ihr herzlich wenig ausgemacht hatte, nackt gesehen zu werden – Seine Politik in Bezug auf solche seltsamen Geschehnisse war schon immer, sie einfach zu ignorieren, bis sie ihn in Ruhe ließen, und sich dann gegebenenfalls im Privaten den Kopf darüber zu zerbrechen. „Lass uns etwas essen gehen.“ Kam es dann plötzlich, komplett unangekündigt die gespannte Stille entladend. Er bekam nicht einmal mehr ein „Was?“ heraus. Sein Mund stand weit offen, und kein Ton kam hervor. Erneut wechselte sein Gesicht die Farbe; Die Urheberin seines inneren Chaos observierte still den Einschlag ihrer leisen Worte. Das Third Child musste sich selbst daran hindern, einen Schritt zurück zu machen; Nicht, das Rei seinen simplen Schock mit etwas anderem verwechselte. „Ist das… nicht in Ordnung?“ fragte sie, nachdem sie seine uneleganten Versuche irgendwie eine Reaktion zu Stande zu bringen, eine Weile aufmerksam beobachtet hatte. „D-D-Doch!“ „Das ist gut.“ Und dann marschierte sie los, strikt, soldatengleich, nie inne haltend, nie zurückblickend um nachzusehen, ob das Third Child ihr auch folgte, weil es ihr völlig ausreichte, seine Schritte zu hören, vermutlich in Richtung der NERV-Kantine, wo sich auch ihr letztes „Date“ abgespielt hatte. Der EVA-Pilot beschloss, sich mit der Quelle aus Fragen in seinem Kopf gar nicht erst zu beschäftigen und sie wie auch das beginnende Pochen seines Herzens erst mal zu ignorieren. Sie lief nicht wirklich schnell, aber doch zügig, wenn er stehen blieb und grübelte, würde er seine liebe Not damit haben, ihr zu folgen. Darüber, was das nun alles zu bedeuten hatte, was für Konsequenzen das haben würde, und was sie ihm damit möglicherweise sagen wollte, würde er sich den Kopf zerbrechen wenn es vorbei war; Vielleicht würde er dann ohnehin mehr wissen. Natürlich gab es da noch die Option, sie zu fragen, aber was, wenn er wieder eines dieser Dinge übersehen hatte, die laut Asuka offensichtlich sein sollten, eine dieser subtilen Andeutungen? Hatte er irgendeine unterschwellige Absichtserklärung übersehen, die ihm hätte sagen können, ob sie auf irgendetwas wartete? Als sie die Cafeteria erreichten, hatte er die Antwort darauf immer noch nicht gefunden, und seinen Vorsatz, nach ihr zu erfragen, immer weiter vor sich hingeschoben. Ein Gutes an der Sache war, dass er dieses Mal Geld dabei hatte, da er ja unterwegs die Bücher für Mayumi besorgt hatte (Welche er nun leider immer noch unausgepackt bei sich trug, und benutzt hatte, um das innere der Kiste abzudecken, die er für Rei transportierte) - Eigentlich hatte er vorgehabt, einfach mal das teuerste zu bestellen, was diese simple Cafeteria zu bieten hatte, doch Rei kam ihm zuvor, indem sie ein billiges Sandwich und ein Glas Mineralwasser bestellte – Danach wäre er sich mies vorgekommen, wenn er etwas wesentlich besseres bestellt hätte, sodass er selbst sich für das selbe vegetarische Sandwich entschied, so verlockend die mögliche Addition von Käse oder Wurst ihm auch erscheinen mochte – Es wäre alles viel einfacher, wenn die hier so etwas wie Tofu- oder Gemüsebratlinge haben würden, vielleicht sollte er das Misato einmal als Verbesserungsvorschlag unterbreiten. Immerhin brachte er den Teil seines Planes erfolgreich über die Bühne, der es beinhaltete, selbst zu bezahlen. Gerne hätte er Reis Tablett getragen oder zumindest sein eigenes, aber mit der Kiste und den Büchern hatte er da leider ganz im Wörtlichen Sinne alle Hände voll zu tun, sodass Rei den Transport der Speisen übernahm. „Ist dieser Platz akzeptabel?“ fragte sie, in der Nähe eines Tisches inne haltend. Shinji nickte, worauf sie sogleich die Tabletts abstellte, wobei sie Shinji Gelegenheit ließ, ihre Kiste neben dem einzelnen Tischbein abzustellen. Vielleicht hätte er sie noch kurz auf dem Tisch gelassen, wenn er gewusst hätte, das Reis nächste Aktion daraus bestehen würde, ihr Medikamentenkästchen daraus zu entnehmen, fast schon einen ganzen Berg aus Pillen, Kapseln und Tabletten daraus hervorzuholen und diese einer nach der anderen routiniert herunterzuschlucken, jeweils begleitet von einem guten Schluck Mineralwasser. Trotzdem – außer den Pillen hatte sie da noch ein richtiges Sandwich auf ihrem Teller. Auch, wenn er nicht wusste, welcher Laune des Schicksals er dieses Glück zu verdanken hatte, es sah ganz so aus, als würde er doch noch dazu kommen, wirklich mit Ayanami Essen zu gehen, (Sei es nun ein Date oder kein Date) und bei diesem Gedanken sah er sich fast schon wieder in der Lage, aufrichtig zu lächeln. Ach, was hieß hier fast. Zu irgendeiner Art von Konversation kam es nicht, aber das hatte er auch nicht wirklich erwartet – Er kannte Rei ja, hätte er Wert auf große Eloquenz gelegt, wäre er mit einem anderen Mädchen hier. Es wäre ohnehin nicht fair, etwas zu verlangen, was er selbst nicht hatte. Nein, so, wie es jetzt war, war es genau richtig. Das hier war mehr, als er je zu hoffen geglaubt hatte. Date hin oder her, hätte man ihm noch vor sechs Wochen erzählt, dass es innerhalb dieses Zeitraums mit einem Mädchen an einem Tisch sitzen würde, er hätte dem Betreffenden akutes Gagasein diagnostiziert. Es war richtig niedlich, Rei dabei zuzusehen, wie sie in ein Sandwich hineinbiss – Sie hatte eine eigentümliche Art, es festzuhalten. Über seine Beobachtungen hinweg vergaß er beinahe ein paar Male, dass er ja noch selbst einen Teller zu leeren hatte – Das eine Mal, dass sie deshalb bei ihm nachfragte, war der einzige Satz, der den systematischen Verzehr ihrer Speisen unterbrach, ansonsten blieb sie still, und auch Shinji fiel nicht ein, was er hätte sagen können, bis sie schließlich fertig war und ihre Tasse auf ihren Teller stellte – wenn sie nun aufstand um das Tablett wegzubringen, würde das das Ende des potentiell existenten Dates bedeuten, und das kam ihm nicht wirklich wie ein passender Abschluss vor… Andererseits, was war an der ganzen Angelegenheit schon „passend“ gewesen? Sie saßen in einer Cafeteria, und er hatte noch nicht einmal ein Geschenk mitgebracht… oder halt, vielleicht hatte er das – Die Tüte mit den Büchern lag immer noch über der Kiste mit Reis Besitz. Eigentlich waren sie ja für Mayumi gedacht gewesen, aber er bezweifelte, dass er jemals dazu kommen würde, sie ihr zu geben. Einem Mädchen ein Geschenk zu geben, dass für ein anderes bestimmt gewesen war, war sicherlich einer dieser kardinalen Fehler, derer Asuka ihn bisweilen anklagte wenn sie sich darüber ausließ, wie weit er doch davon entfernt sei, ein richtiger Gentleman zu sein, doch Rei wusste ja nichts vom ursprünglichen Verwendungszweck der Printmedien – Okay, dass ließ ihn jetzt klingen wie einen hinterlistigen Bastard. Aber… es war besser, als die Bücher in einer Evke seines Zimmers verstauben zu lassen, oder (zum wiederholtem Male) gar kein Geschenk zu haben, oder? Nur für den Fall, dass das hier doch irgendwie ein Date war. Also los. „Uhm… Ayanami?“ „Ja?“ „Ich… ich habe da etwas für dich, was… ich dir gerne geben würde…“ „Wieso?“ Die Rückfrage hatte er jetzt nicht erwartet, schließlich hatte man geschenkten Gäulen für gewöhnlich nichts ins Maul zu blicken, aber sie traf dennoch haarscharf in seine bereits vorhandenen Unsicherheiten bezüglich der „Umleitung“ des Geschenks. „Uh ich… ich habe oft gesehen, wie du, na ja, Bücher liest, und deshalb dachte ich das… das es dir gefallen würde wenn… du halt noch mehr Bücher zum lesen hättest…“ Okay, das klang jetzt ziemlich holprig, selbst für seine Verhältnisse. Es erschien ihm als die sinnvollste Möglichkeit für seine nächste Handlung, zu hoffen, dass der Umschlag mit den Büchern für sich selbst sprechen würde, und somit das schaffen würde, wozu er selbst nicht in der Lage gewesen war. Rei riss das braune Papier noch in dem Moment auf, in dem es bei ihren blassen Händen ankam, und zum Vorschein kamen ein Fantasywälzer und ein etwas schlankerer Liebesroman – Er hatte bei der Auswahl der Bücher nach etwas gesucht, das Mayumi gefallen würde, und nun, wo er sie das erste Mal seit ihrem Erwerb im Laden wiedersah, hatte er so seine Zweifel daran, dass sie auch das richtige für Rei waren – wären sie von anfang an für sie bestimmt gewesen, hätte er wohl etwas anderes ausgesucht. „Ich… ich habe den Besitzer des Ladens gefragt was… was bei den Mädchen gerade beliebt ist…“ erklärte er, sich ebenso vor sich selbst rechtfertigend wie vor Rei, obwohl er nicht hätte sagen können, ob letzteres nötig war – er wurde aus ihrem Gesichtsausdruck einfach nicht schlau; Am ehesten glaubte er, eine tiefe Nachdenklichkeit zu erkennen. „Tut mir leid, wenn es dir nicht gefällt… vielleicht hätte ich eher etwas uh, anderes holen sollen, vielleicht ein Sachbuch oder so, du… liest ja immer diesen ganzen wissenschaftlichen Kram…“ Sie drehte eines der Bücher um, um den Text auf dem Buchrücken zu inspizieren, zeigte aber sonst keine Anzeichen dafür, ob sie sich nun freute oder nicht. „Weißt du… vielleicht… vielleicht wäre das ja eine Idee.“ „Wofür?“ „Na, du hast doch vorgestern gesagt, dass… das du noch nicht weißt, was du später einmal werden willst. Vielleicht… vielleicht könntest du ja Wissenschaftlerin werden, du… scheinst dich ja dafür zu interessieren, und du bist auch nicht gerade schlecht in der Schule… Vater würde es sicher auch toll finden, wenn du ihm nacheifern würdest…-“ Hatte er diesen Satz mit einem freundlichen, ermutigendem Lächeln begonnen, so stand er an dessen Ende plötzlich sichtbar geknickt da, als sei ihm mit einem Mal der Lutscher vor der Nase weggezogen wurden. Die drastische Änderung in Haltung und Gesichtsausdruck blieb selbst von Rei nicht unbemerkt, auch, wenn sie nicht wirklich wusste, was sie deswegen tun sollte. „Was ist?“ „Ach nichts ich… ich habe mich nur gefragt, ob mein Vater sich wohl mehr für mich interessieren würde, wenn ich auch Ahnung von solchem Zeug hätte…“ Er lächelte wieder, dieses Mal voller Selbstironie, eine bizarre Mischung von Anzeichen, die eigentlich der Freude zugeordnet waren, und solchen, die von tiefer Verzweiflung zeugte, welche Rei sichtlich verwirrte und Prozesse in ihr hervorrief, mit denen sie wenig anfangen konnte. „Ich… ich bekomme ja nicht mal das bisschen Biologie und Mathematik aus der Schule hin, es ist… kein Wunder, das Vater lieber mit dir zusammen ist… mit mir hat er ja eigentlich gar nichts gemeinsam, obwohl ich sein Sohn bin… Ich muss schon eine ziemliche Enttäuschung gewesen sein… Meine Eltern waren beide Wissenschaftler, und ich bin trotzdem so ein Trottel…“ Jetzt zeigte Rei eine leichte Reaktion, die das Third Child malwieder nicht einzuordnen vermochte. „Beide?“ „Ja, meine Mutter auch… Ich dachte, dass wüsstest du. Hat Vater dir nichts über sie erzählt?“ Keine Antwort. „Das hätte ich mir fast denken können…“ Jetzt begann ein Hauch von Zorn in der Stimme des EVA-Piloten mitzuschwingen – Natürlich. Sein Vater hatte ja alles, was an seine Mutter erinnert, weggeworfen, all ihre Sachen, all ihre Bilder, alle gemeinsamen Erinnerungen, und natürlich auch den gemeinsamen Sohn – Alles unterscheidungslos im hohen Bogen zum Fenster hinaus! Als ob sie nie irgendetwas miteinander zu tun gehabt hätten. Sein Vater hatte wohl nichts davon noch nützlich gefunden, nachdem seine Mutter nicht mehr da war, um es zu benutzen – Ein Bedürfnis, sich an sie zu erinnern, schien der gegenwärtige Leiter von NERV jedenfalls nicht gehabt zu haben… Er hätte doch wenigstens etwas für Shinji übrig lassen können, ein paar Fotoalben, irgendeine Sammlung, irgendwelche winzigen Trivialitäten die ihm einen Eindruck davon vermitteln können würden, was für eine Person diese Mutter, deren Gesicht er sich kaum noch vor Augen führen konnte, eigentlich gewesen war. Aber das der ältere Ikari sich nicht um die Wünsche und Hoffnungen seines Sohnes scherte, das war ja nichts Neues. Er war vor sehr kurzer Zeit ja aufs deutlichste daran erinnert worden. „Wie… war ihr Name?“ wollte Rei wissen. Na toll. Nicht einmal das hatte sein Vater erwähnt. Die Frage traf Shinji wie ein Messerstich, verdeutlichte ihm, wie sehr seine Mutter, und damit auch er selbst für seinen Vater Angelegenheiten zu sein schienen, welche dieser schon lange hinter sich gelassen hatten. Da nichts davon Reis Schuld war, gab er ihr trotz der Wut, die sich in ihm aufbaute, die Antwort die sie verdiente: „Es war Yui. Ikari Yui.“ Was das blauhaarige Mädchen als nächstes tat, sollte Shinji zutiefst überraschen – Er hatte einiges erwartet, am ehesten Stille oder irgendein Kommentar, der seinen Vater verteidigen sollte. Nicht zu den in Betracht gezogenen Möglichkeiten gehörte, dass sie nach ihrer Kiste griff und einen weiteren Gegenstand hervorholte, der ihm zuvor vermutlich nicht aufgefallen war, weil er unter den Kleidern verborgen gewesen war: Ein weiteres Buch, eines ihrer üblichen wissenschaftlichen Lektüren, dieses Mal eines über metaphysische Biologie, was auch immer das sein sollte. Das Third Child bekam jedoch schnell eine ungefähre Ahnung von den Gründen für diese Handlung, als er den Namen der Autorin erspähte, auch, wenn er es nicht wagte, die offensichtliche Frage zu stellen, bevor Rei es tat: „Besteht die Möglichkeit, dass das dieselbe Ikari Yui ist, die diesen Text verfasst hat?“ Shinji konnte diese Frage nicht beantworten, und er schämte sich dafür, dass er es nicht konnte. „Kann ich mal sehen?“ Rei überließ ihm das Buch. Er schlug es auf, einfach mitten drin, auf einer zufälligen Seite, ohne zuvor das Inhaltsverzeichnis zu konsultieren; Er wollte nur einen groben Eindruck davon, worum es darin ging. Was er antraf war dicht gepackter, kleingedruckter Text, ein Fachausdruck nach dem nächsten; In einem normalen Text hätte man vielleicht aus dem Kontext ableiten können was ein- oder zwei dieser Worte bedeuteten, aber alles, was an Kontext da war, war selbst ein Wald aus fachlichen Termini, die Verben, die Adjektive, die Nomen, Subjekte, Objekte und Prädikate. Das einzige, was er in diesem Text in irgendeiner Form erkannte waren die Artikel, Präpositionen, und natürlich „Hauptbahnhof.“ Was er da vor sich hatte war zweifellos anspruchsvolle Fortgeschrittenenliteratur, und die Positionierung eines roten Selbstklebezettels zeigte an, dass Rei schon ein gutes Drittel davon bewältigt zu haben schien – Er würde das wohl in seinem ganzen Leben nicht fertigbringen, selbst dann nicht, wenn er mit der Schule fertig werden sollte, was bei dem gefährlichen Leben, dass er zurzeit führte, alles andere als eine Selbstverständlichkeit war. Es war so lächerlich Ironisch – Sein Leben lang hatte er sich gewünscht, irgendetwas zu fassen zu bekommen, das mit seiner Mutter zu tun hatte, und jetzt, wo er ein zwei9fellos wichtiges Stück ihres Lebens direkt in seinen eigenen Händen hielt, das ihm wesentlich mehr über sie verraten konnte als zum Beispiel ein einfaches Bild, konnte er nichts damit anfangen. „Ich verstehe es nicht… Ich verstehe gar nichts davon… Ich weiß es auch nicht… das hier könnte genauso gut das einzige sein, das meine Mutter in dieser Welt zurückgelassen hat, und ich verstehe es nicht…“ Resigniert klappte Shinji das Buch zu und gab es an Rei zurück. Er fühlte sich zutiefst frustriert, als wenn er jemanden komplett enttäuscht hätte. Vermutlich hatte er das auch, nicht nur seinen Vater, sondern auch seine Mutter. „Das stimmt nicht.“ „Eh…?“ „Du selbst bist doch auch etwas, dass sie in dieser Welt zurückgelassen hat, oder etwa nicht?“ „Es ist… sehr nett von dir, dass zu sagen, Rei…“ Sie konnte nicht sehen, warum. Sie hatte ihn einfach nur auf einen simplen Fakt aufmerksam gemacht. Aber es war sicherlich als positiv einzustufen dass er nach ihrem Einwand etwas weniger verzweifelt wirkte. Es war ihr unangenehm, ihn so zu sehen… es erfüllte sie mit einer Art Drang, den sie nicht verstand. Jetzt, wo sie darüber nachdachte, war das schon lange so gewesen. Vielleicht war es ja der Wunsch, zu machen, dass das aufhört, dass er nicht mehr unglücklich sein sollte. Sie wollte ihn sicherlich nicht unglücklich erleben – und das machte nur Sinn, zumal er ihr bei ihrer ersten Begegnung zur Hilfe geeilt war und seit dem oft etwas gezeigt hatte, dass sie mittlerweile als Sorge zu erkennen vermochte. Es hatte sie von Anfang an verwirrt, dass er sich all diese Sorgen machte, wenn sie einfach nur ihre Aufgabe erfüllte, aber im Nachhinein fügte sich alles zusammen… Er schien… auch nicht zu wollen, dass sie unglücklich war, und viel darüber nachzudenken. Wenn das der Parameter war, nachdem er urteilte, würde sie die scheinbare Sinnfreiheit seiner stetigen Sorgen noch einmal evaluieren müssen… War sie denn unglücklich, so, insgesamt betrachtet? Sie hatte nie wirklich darüber nachgedacht oder dieser Frage auch nur besondere Bedeutung zugemessen. Bis jetzt erschien es kaum besondere Wichtigkeit an sich zu tragen – Es hatte wenig mit ihrer Aufgabe als Evapilotin oder den Plänen des Commanders zu tun… Und in die andere Richtung hin betrachtet, war sie Glücklich? Wohl eher nicht, das hätte sie sicherlich gemerkt. Sie war sicherlich glücklich gewesen, als das Third Child auf dem Futagoyama ihre Hand genommen hatte… Und als der Commander sie gerettet hatte. Wenn sie mit einem von ihnen zusammen war, war sie sicherlich weniger unglücklich als sonst. Wenn sie nun auch einen Weg finden könnte, damit Shinji weniger unglücklich war… Ah. Nach kurzem Nachdenken hatte sie einen Einfall. „…Der Commander sagt, sein Befinden sei nicht anders als sonst auch.“ „…Was?“ „Da du dich oft danach erkundigst, habe ich ihn gefragt, und das war seine Antwort.“ Sie hatte ihm doch hoffentlich nicht gesagt, dass er nach ihm gefragt hatte, oder? Und… hatte es Rückfragen gegeben? Über ihn, über sein Leben, sein eigenes Befinden…? Er könnte sie natürlich fragen, aber wollte er eine Antwort, von der er praktisch sicher wusste, dass sie „nein“ lauten wollte, überhaupt hören? Rei war nicht der Typ, der ihm so etwas schönreden würde, wenn sie antworten würde, dann mit der Brutalität der ganzen Wahrheit. „Ich schätze das… ist gut…“ Er fühlte sich versucht, zu fragen, worüber sie mit seinem Vater noch so geredet hatte, aber das ging ihn nun wirklich nichts an, also sah er zu, dass er das Gesprächsthema wechselte. „Jedenfalls, wenn dir die Bücher nicht gefallen, kann ich dir auch die Quittung geben, falls du sie umtauschen willst… es gibt da einen kleinen Buchladen in der Nähe der Schule, gleich bei der großen Straße mit dieser Überführung… Ich weiß nicht, ob du den kennst, aber wenn nicht dann… wäre das halt vielleicht ein netter Ort wo du dich, uh, nach der Schule auch mal nach interessanten Büchern umschauen kannst… Vielleicht kannst du meinem Vater ja demnächst ein Buch ausleihen statt immer nur umgekehrt… Und, ich glaube nur ein paar Läden weiter gibt es auch einen DVD-Verleih, wenn du mal etwas, uh, moderneres probieren willst…“ --- Auf dem Weg zurück zu Reis Apartment lagen die Bücher, die Shinji erworben hatte, in der Kiste statt darauf, wobei sie ihre Funktion, den restlichen Inhalt der Kiste zu verbergen, dennoch zufriedenstellend erfüllten. Es kam nicht zu weiteren Gesprächen; Versunken in Grübeleien über seinen Vater wusste Shinji die Stille zu schätzen; Auf den Sturm aus gutgemeinten Fragen den er zum Beispiel von Misato zu „befürchten“ hätte, wenn sie statt Rei an seiner Seite wäre, konnte er zurzeit verzichten… ihm war nicht wirklich nach Unterhaltung und Aufmunterungsversuche hätten alles vermutlich noch schlimmer gemacht, aber er war doch froh, dass er nicht alleine war, dass jemand hier war, der einfach nur still an seiner Seite bleiben würde. Je näher sie ihrer verlassenen Plattenbausiedlung kamen, desto weniger seiner Gedanken kreisten um die tristen Umstände seines Lebens, während er proportional dazu mehr Zeit damit verbrachte, Rei zu betrachten, pausenlos, unentwegt, einfach an den kleinen Details ihres Bewegungsablaufs hängend, oder irgendwelchen klitzekleinen, aus der Reihe tanzenden Haarsträhnen. Er wäre beinahe bereit gewesen, etwas zu sagen, als ihm klar wurde, dass er bereit sein musste – Eines war zum anderen gekommen und sie waren bereits dabei, die Treppe zu besteigen, an deren Ende die Tür lag, die das First Child zumindest bis morgen in der Schule vor seinen Blicken verbergen sollte. Ehe er sich versah, stand er schon an ihrer Türschwelle und war im Begriff, ihr die Kiste zurück zu geben. Wenn er etwas sagen wollte, dann jetzt. Noch vor wenigen Wochen wäre er jetzt einfach gegangen, und hätte sich über all die zahllosen Möglichkeiten, die er verpasst haben könnte, nach allen Regeln der Kunst den Kopf zerbrochen, aber er wusste, dass er tagelang keine Ruhe finden würde, wenn er jetzt schwieg… Er war auf das schlimmste gefasst, aber wie viel schlimmer, als es gegenwärtig war, konnte es schon werden. „Uhm ich schätze das, uh, das es jetzt Zeit wird, dass wir uns verabschieden…“ Er schien ihre Aufmerksamkeit zu haben, auch wenn man bei ihr nicht ganz sicher gehen konnte… „Aber vorher würde ich dich gerne noch etwas fragen…“ Sie schien auf die Frage zu warten. „Uhm, also, nicht dass… dass ich mich nicht darüber gefreut hätte, aber warum genau wolltest du eigentlich mit mir was essen gehen?“ Na toll. Hundert Minuspunkte für den Kandidaten. Was war das denn eben für eine Frage gewesen? Das, wonach er sich gerade erkundigt hatte, war sicher wieder eines dieser Dinge, die offensichtlich sein sollten, ihm aber immer wieder entglitten… Er konnte sich gar nicht ausmalen, was sie sich jetzt wohl von ihm denken musste – Sie machte ihm eine kleine Freude, und er meckerte da noch rum. Vielleicht sollte das ganze ja doch ein Date sein, und er hatte ihr gerade offen gelegt, dass er das nicht im Geringsten verstanden hatte. Doch jetzt, wo er dabei versagt hatte, blieb ihm nichts weiter übrig, als auf ihre Antwort zu warten. Wenn sie vorhatte, eine zu geben, dann brauchte sie jedenfalls ein wenig Zeit, um sie sich zu überlegen. „Ich hatte den Eindruck, dass du unzufrieden damit warst, dass ich bei unserem letzten gemeinsamen Besuch in der Cafeteria nicht an der Mahlzeit teilgenommen hatte.“ Dan… hatte sie es getan, weil sie dachte, dass er es will, nicht, weil sie selbst es wollte? „An diesem Tag war es nicht möglich. Dr. Akagi wollte mich später an diesem Tag untersuchen, und sie hatte explizit verlangt, dass meine letzte Mahlzeit zu diesem Zeitpunkt mindestens drei Stunden zurück liegen sollte… Aber heute war es in Ordnung.“ Sie war also… kurz danach bei Dr. Akagi gewesen? Unwillkürlich musste Shinji an den Berg aus Pillen denken, den sie in der Cafeteria geschluckt hatte – wofür die wohl alle gewesen waren? Sie fehlte ja auch ganz schon häufig in der Schule… Was es wohl war, das mit ihr nicht in Ordnung war? Nachzufragen käme ihm unhöflich vor, es ging ihm ja auch nichts an… Trotzdem fragte er sich, warum man Rei zu alledem noch zwang, in EVA 00 zu steigen und Kämpfe zu führen, die ihren empfindlichen Körper noch weiter zerstören würden… war die Fähigkeit, diese monströsen Kampfmaschinen zu steuern, so selten, das man alle möglichen Testkandidaten verwenden musste, selbst, wenn sie in solch einem Zustand waren? Das hier war wirklich ein Krieg… Wenig hätte er von dem finsteren Geheimnis ahnen können, das seine Fragen hätte beantworten können… Ihm fehlte wohl der Antrieb, der nötig gewesen wäre, um allen Anzeichen nachzugehen und die Antworten zu suchen. Aber vielleicht war er ja gerade deshalb dazu in der Lage, dort ein schützenswertes Mädchen zu erkennen, wo die meisten anderen immer nur ein Werkzeug gesehen hatten. „Also dann, ich… ich wird dann mal gehen, bevor sich Misato-san noch fragt, wo ich so lange bleibe….“ „Keine Sorge, du hast keine Sanktionen zu befürchten. Der Commander selbst hat gesagt, dass es in Ordnung ist, wenn wir uns treffen.“ „W-Was…?“ Dass er bei NERV ihr Boss war, hieß nicht, dass sein Vater über jede Kleinigkeit von Misatos privaten Kindererziehungsangelegenheiten informiert war, aber das war nicht der Punkt. (Auch, wenn ihm viel, viel Später der Gedanke kommen würde, dass sie die Einflusssphäre des Commanders hier deshalb so überschätzt hatte, weil sie zu diesem Zeitpunkt dachte, der Grad an Kontrolle, den er über sie selbst hatte, sei das normalste von der Welt… Sie hatte noch wenig anderes gekannt.) „Er hat davon erfahren, dass du mich vor dem Aktivierungstest mit EVA 00 aufgesucht hast, sich nach unseren gemeinsamen Interaktionen erkundigt, und dass dann gesagt.“ „Und d-du hast ihm alles erzählt!?!“ „Seine Nachfragen waren nicht detailiert.“ Das Third Child atmete erleichtert aus. „Aber er hat wirklich… danach gefragt, also, auch nach mir? Und er… hatte nichts dagegen?“ „Ja.“ --- „You looove the way I look at you/ While taking pleasure in the awful things you put me through/ you take away / when I give in / MY LIFE, MY PRIDE is BROOOOOKEN“ Die Kopfhörer etwas lauter gestellt habend, als es ein gut informierter Ohrenarzt wohl gutgeheißen hätte, starrte das Third Child von seinem Bett aus auf den üblichen Fleck und erlaubte dem schnellen Klang der Gitarren, seine Gedanken aus seinem Kopf zu waschen, und die vielen Fragen und Zweifel, die an jeden davon gebunden waren. Sein Vater… hatte nach ihm gefragt, genauso, wie er Rei immer nach ihm fragte… Nein. Falsch. Er hatte danach gefragt, mit wem sich Rei herumtrieb, weil er sich für Rei interessierte. Wäre jemand anders gekommen, um Rei zu sehen, dann hätte er nach dieser anderen Person gefragt… Andererseits… hatte der Leiter von NERV ihn scheinbar als präsentablen Umgang für seine geschätzte Pflegetochter eingestuft, und es hieß ja immer, dass Männer angeblich so wählerisch beim Umgang ihrer Kinder sein sollten… Hieß das etwa, dass sein Vater eine gute Meinung von ihm hatte…? Konnte es sein…? Andererseits… hatte er nie irgendwelches Interesse bezüglich seines eigenen Freundeskreises gezeigt – Es würde ihn sehr wundern, wenn er überhaupt wusste, das Touji, Kensuke und Nagato existieren, und auch Asuka war für ihn vermutlich nur „Die Pilotin von Einheit 02“… Halt, war das überhaupt richtig so, das Second Child zu seinem Freundeskreis dazuzuzählen? Er würde es sicher gerne tun, aber ob sie das genau so sehen würde…? Oder war es nicht eher so, dass sie ihn nur „tolerierte“, weil sie eben zusammenleben und arbeiten mussten…? Vor einer Weile hätte er diese Frage schnell beantworten können, doch jetzt war er sich nicht mehr sicher… Das hätte ein Grund zur Freude sein sollen, aber in der Praxis machte es alles nur noch Komplizierter. Als er sich ziemlich sicher war, dass sie ihn einfach nur hasste, hatte er zumindest eine ungefähre Ahnung davon, was er tun und erwarten sollte… --- Was das Third Child nicht wusste war, das seine blauhaarige Kollegin zu dieser Zeit etwa der gleichen Beschäftigung nachging, wie er auch. Auch sie lag in Gedanken versunken in ihrem Bett, auch wenn sie nicht die Decke anstarrte, sondern die fahle Mondscheibe, die sich durch den Spalt in ihrem Vorhang gut erkennen ließ, zumal sie das einzige Licht war, welches ihr düsteres, farbloses Apartment jemals erhellt hatte. Von ihrem Bett aus konnte sie gut ihre Bücher und die Brille des Commanders erkennen, welche sie absichtlich so hingestellt hatte, dass sie im Gunstbereich des Lichtes liegen würde. Dieses Buch war also von der Frau des Commanders geschrieben worden… Sie konnte sich denken, dass er einmal eine Frau gehabt haben musste, da es für gewöhnlich zwei Menschen brauchte, um einen Sohn zu produzieren, aber selbst über den Sohn hatte sie nichts gewusst, bis er hier bei NERV aufgetaucht war. Der Commander hatte ihr nie etwas davon erzählt… aber sie verstand nicht ganz, wieso sie das bedrückend fand, begriff nicht, dass sie fürchtete, nur ein kleines, unbedeutender Teil seiner Arbeit zu sein… es machte eigentlich Sinn, dass er ihr nichts davon erzählen sollte, warum auch? Sie hatte ihn nie danach gefragt, und es war für ihre Aufgabe auch nicht relevant… Wieso sollte es sie dann also stören…? Sie hatte es nie zuvor bemerkt, dass sie so etwas störte… Und diese andere Frage, die sie sich nie vorher gestellt hatte, war sie eigentlich glückich? Jetzt, wo sie alleine war, konnte sie es nicht so richtig sagen. Die meiste Zeit über… fühlte sie eigentlich nicht besonders viel und selbst wenn hatte sie es immer vorbeiziehen lassen, da es nie wichtig gewesen war. Es machte keinen Unterschied… Solange sie ihre Aufgabe erfüllte und weiterhin „funktionierte“, machte nichts einen Unterschied, nicht einmal, ob sie da war, oder nicht… Wenn sie starb, konnte man sie ersetzen. Falls sie denn überhaupt je wirklich lebendig gewesen war… War sie nicht eher ein Objekt, das nur eine Zeitlang so tat, als sei sie lebendig, bis der Plan in die nächste Stufe überging, und es war nicht einmal eine besonders gute Illusion… Es brauchte Dr. Akagis ganzes Wissen und Können, um die Fassade aufrecht zu erhalten, und selbst dann sah sie nicht aus wie alle anderen und verstand sie auch nicht besonders gut. Das, was jene, die wirklich lebten, als wichtige Komponentes des Lebens bezeichnen würden, zog meistens einfach nur an ihr vorbei, und je näher der Tag der Prophezeihung kam, umso mehr spürte sie, wie sie dabei war, zu verschwinden… Und dann kam es über sie, in Wasserfällen und Tsunamis, Verzweiflung, Schmerz und Einsamkeit, vermischt mit einer unmenschlichen Sehnsucht nach dem Nichts, die selbst ihr Angst machen, fremdartigen Gedanken, do grundverschieden von allem, was sie kannte, dass kein menschliches Wesen sie hätte nachvollziehen können, eine überirdische Melodie, die sachte zu ihrer Quelle locken zu wollen schien, ohne dass sie hätte sagen können, wo diese war, die ihren Namen rief und ihr weismachen wollte, dass sie eigentlich ganz wo anders hingehörte… Sie wollte sich an ihrem selbst und ihrem Leben festkrallen, aber alles, was sie hatte, waren vage lügen und blutbespritze Bettlaken, ein verblasster, farbloser Traum von jemandem, den sie nicht kannte, der eines fernen Tages kommen würde, um ihre Seele zurückzufordern. Sie konnte es nicht erkennen oder erklären, also konnte sie auch nichts dagegen tun. Sie konnte nicht darüber sprechen oder deswegen weinen, alles, was ihr übrig blieb, war dazuliegen und die Wirkung der schmerzlichen Gefühle mit entfernter Neugier zu betrachten. Bis jetzt hatte sie es ertragen, in dem sie sich an ihren Verbindungen festgekrallt hatte, an ihrer Aufgabe, an Commander Ikari. Das alles, das alles war real – Eva 00, das düstere Labor in den Tiefen des NERV-Hauptquartiers, Wasser und Mondschein… das war es, was sie zudem gemacht hatte, was sie war, was all ihre Handlungen definierte, nicht irgendein ferner Eindruck einer fernen Stimme. Das konnte doch nicht alles eine Lüge sein… Nein, die Zeit, die sie heute mit dem Third Child geteilt hatte, konnte unmöglich eine Lüge sein. Alle ihre gemeinsamen Erinnerungen fühlten sich so real an, warm, aus dem diffusen Nebel ihrer bisherigen Existenz hervorbrechend. Diese Momente gehörte nur ihr, Rei Ayanami, und niemandem sonst, keinem der Bausteine, aus denen ihre unnatürliche Existenz zusammengesetzt worden war. Es war so selten, dass sie etwas miteinander zu tun hatte, er schien so weit, weit weg von ihr zu existieren... Sie brauchte einen Beweis, eine konkrete Sache, die sie in ihren Händen halten und betasten konnte, um sich zu versichert, dass das alles existiert hatte… Für gewöhnlich war es die Brille des Commanders, welche diese oder eine ähnliche Funktion erfüllte – Heute aber strebten ihre geisterhaften Hände nach etwas anderem – Es war eines der Bücher, die das Third Child ihr dagelassen hatte, das dünnere von Beiden. Die meisten Menschen hätte die Buchstaben in dieser Finsternis kaum erkannt, aber Rei war ausreichend an die Dunkelheit gewöhnt, dass sie den Text gerade ausreichend lesen konnte – Was hieß, dass sie auch keinen Grund sah, das Licht anzumachen, da es ohnehin zweifelhaft war, ob dieses noch funktionierte. Auch Bequelichkeit war kein Konzept, mit dem sie vertraut war, sodass sie neben der kommode stehen blieb und in dieser Position mit dem Lesen begann, obwohl sie eigentlich einen Stuhl besaß, den sie sich ans Fenster hätte schieben können. Seltsam. Die Symptome, welche die Erzählerin des Buches beim Anblick eines männlichen Mitschülers beschrieb, schienen den eigenartigen Empfindungen zu ähneln, die sie selbst in Shinji’s Gegenwart hatte. Bis her hatte sie diesen wenig Bedeutung zugemessen, weil sie ihre Arbeit nicht nennenswert beeinträchtigt hatten – Es gab immer irgendetwas in ihrem Körper, dass nicht ganz funktionierte, wie es sollte, und wenn die Fehlfunktionen ein größeres Problem wären, würde sich Dr. Akagi bei ihrer nächsten Wartungssitzung darum kümmern. Umso mehr wunderte es Rei, dass die Protagonistin des Buches diesen Anzeichen sehr große Priorität zuzuweisen schien, und sie als Anzeichen dafür sah, dass sie und deren Auslöser füreinander bestimmt waren. War sie selbst für Ikari-kun bestimmt? Nein, das konnte es nicht sein, sie wusste selbst, wofür sie bestimmt war (Das Auslösen des Third Impact), und das hatte mit Ikari-kun recht wenig zu tun. Dennoch, wenn es eine Möglichkeit gab, dass dieser Symptomkomplex ernsthafte Konsequenzen ankündigen könnte, konnte es nicht schaden, Informationen darüber zu haben. Um ein Problem, wenn denn eines bestand, erkennen und lösen zu können, brauchte man wissen über seine Natur. Entschlossen dieses zu erwerben, und auch ein stückweit von ehrlicher Neugier motiviert, blätterte Rei auf die Nächte Seite… --- Die Schleier der Nacht führten das Third Child wieder in diesen vertrauten und doch fremden, dunklen Musiksaal zurück, wo sich ähnlich wie letztes Mal ein neues Mitglied zu der Versammlung gewährleistete. Dieses Mal war es Rei, die mit einer Bratsche im Gepäck den Raum betrat und an ihm und Asuka vorbei zu einem dritten, wie aus dem nichts erschienenen Klappstuhl hinüberschritt. Wie in der Realität auch konnte er nicht anders, als sie unentwegt tief fasziniert zu betrachten, auch, wenn es nur aus der Ferne war; Er hatte sie natürlich bei ihrem Auftauchen gegrüßt, aber eine Antwort darauf hatte er gar nicht erst erwartet – Asuka hingegen fand deren Ausbleiben entweder äußerst belustigt, oder fühlte sich einfach nur genötigt, ihre allgemeine Unzufriedenheit mit der Tatsache, dass Rei existierte, mit einem hohen Kichern zum Ausdruck zu bringen. Wenn es Rei etwas ausmachte, ausgelacht zu werden, dann ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken, als sie begann, ihrem Instrument seine wundersamen Klänge zu entlocken… --- Dann war also alles vorbei, und das normale Leben ging weiter. Zurück in die Schule – Ayanamis Platz war wieder besetzt, der von Asuka wie üblich von anderen Mädchen umschwärmt, und dort, wo Mayumi gesessen hatte, war wieder ein leerer Platz – Er war nicht mehr in der Lage gewesen, sich von ihr zu verabschieden… Irgendwie hatte er ihr das geschuldet – Er wusste selbst, dass es nicht schön sein konnte, eine Stadt zu verlassen, ohne dass irgendjemand da war, um einen zu verabschieden, auch, wenn sie nur für kurze Zeit hier gelebt hatte… Aber es ließ sich nun einmal nichts mehr daran machen – Er hatte heute Morgen noch bei Misato nachgefragt, aber seine Befürchtungen hatten sich bestätigt: Sie war bereits aus dem NERV-Krankenhaus entlassen worden, er wusste nicht, wo er sie sonst noch hätte treffen können – wer weiß, vielleicht hatte sie die Stadt ja bereits verlassen Aber es konnte nun mal nicht alles perfekt sein – Alles in allem war die Bilanz doch relativ gut: Er hatte ihr mehrmals das Leben gerettet, ihr viele neue schöne Erfahrungen nahebracht und wichtige Dinge über das Leben erzählt, die ihm dabei selbst erst wirklich klar geworden waren. Wo auch immer sie jetzt hingehen würde, es würde ihr dort besser gehen als jemals zuvor. Also würde es nicht so sein, als ob das alles hier niemals geschehen wäre, auch, wenn sie sich niemals wiedersehen würde. Seine Mühen waren nicht vergebens gewesen. Kostengünstig war der Sieg nicht gewesen – ein großes Stück der Stadt lag noch in Trümmern, und auch, wenn Misato einen aktiven Versuch unternommen hatte, ihn von Zeitungen und Nachrichtensendungen fernzuhalten, sickerte es trotzdem zu ihm durch, das unzählige Leute ihre Arbeit und ihre Wohnung verloren hatten – Er konnte es auch so sehen, schon daran, dass das Klassenzimmer auch ohne Mayumis Abwesenheit ein gutes Drittel leerer geworden war… Asuka hatte ihm auf dem Weg in der Schule damit in den Ohren gelegen, das Hikari gestern darüber deprimiert gewesen sei, das eine alte Sandkastenfreundin von ihr wegziehen musste – Das Second Child gab an, die Klassensprecherin gestern Nachmittag ausgiebig getröstet hatte, (Was ihn wohl davor rettete, darüber ausgefragt zu werden, wo er die ganze Zeit über gewesen war – Er war kein besonders guter Lügner, und Asuka hätte nicht lange gebraucht, um zu erraten, dass er Zeit mit Ayanami verbracht hatte, was sie garantiert als persönliche Beleidigung aufgefasst hätte) eine Beschäftigung, bei der er sich den abweisenden Rotschopf nicht vorstellen konnte… Andererseits hatte er in den letzten Tagen gesehen, dass sie in manchen Belangen durchaus ganz wie ein normales Mädchen sein konnte, und normale Mädchen sahen es oft als ihre heilige Pflicht, ihren besten Freundinnen zur Seite zu stehen… Wenn Asuka jemanden also als Freund akzeptiert hatte… konnte sie vielleicht auch richtig freundlich sein, nicht nur auf eine oberflächliche, den schönen Schein wahrende Art und Weise, sondern mit echtem Einfühlungsvermögen… Das war… ermutigend. Auch, wenn wohl noch viel Zeit vergehen würde, bis er zu diesem auserwähltem Kreis gehören dürfte… So oder so, Leute hatten wegziehen müssen, und er, der Wächter dieser Stadt, fühlte sich natürlich mit der Frage konfrontiert, ob er das alles hätte verhindern können. Aber wenigsten waren all diese Leute nur weggezogen und nicht tot. Es hätte alles noch sehr, sehr viel schlimmer kommen können… Alles in allem hatte er durchaus Grund zur Freude und sogar zu ein wenig Stolz. Er hatte noch viel, viel Schlimmeres verhindert. Dementsprechend zeigte er der Person, die sich seinem Sitzplatz mit zögerlichen Schritten näherte, ein gutgelauntes Lächeln, auch, wenn ihn deren Identität überraschte. Er hatte schon an den Schrittgeräuschen, die ihn überhaupt erst auf seinen Besuch aufmerksam gemacht hatten, gemerkt, dass er keiner der „üblichen Verdächtigen“ sein konnte – Die Personen, die seinen Platz am ehesten aufsuchen würden, genauer gesagt, Touji, Kensuke und Asuka, würden wesentlich direkter hierhin marschieren. Nun hätte er aber eher mit Nagato oder sogar Ayanami gerechnet, als mit dem Mädchen, dass er dann tatsächlich vor sich sah, als er von seinem halb verzehrten Pausensnack aufschaute: Hikari die Klassensprecherin. „Uh, hallo Horaki-san. Was führt dich her?“ „Ich… nun, ich wollte Yamagishi-san zum Bahnhof begleiten, weil ich nicht wollte, dass sie ganz allein dahingeht… und wollte dich fragen, ob du mitkommen willst. Du warst doch mit ihr befreundet, oder?“ „Ja, das… das stimmt.“ „Gut dann… kannst du bitte mitkommen? Yamagishi-san würde sich sicher freuen, dich zu sehen und außerdem würde ich ungerne allein hingehen, weil… na ja, ich bin gestern erst mit Ayumi-chan dorthin gegangen…“ „Deine… Freundin die weggezogen ist, richtig? Shikinami hat mir davon erzählt.“ „Ja… also… würdest du vielleicht gerne mitkommen?“ Das brauchte sie ihn nicht zweimal zu fragen. Es war eine Gelegenheit, von der er nicht zu träumen gewagt hatte, eine letzte Chance, sich ordentlich von Mayumi zu verabschieden, wie sie es verdient hatte – jetzt, wo Hikari dabei sein würde, gab es keine große Chance mehr, dass etwas …passieren würde, aber das war sowieso nicht das wichtige. Hauptsache, er war da. --- „Ich finde es übrigens sehr nett von dir, dass du mit mir mitkommst, Ikari-kun.“ „Ach, uh… gern geschehen. Auch, wenn es mich wundert, dass du nicht mit Shikinami hingegangen bist…“ „Das wäre keine gute Idee… Ich befürchte, dass Asuka ein bisschen eifersüchtig auf Yamagishi-san ist…“ „Eifersüchtig? Shikinami? Auf Yamagishi-san? Wegen was denn…?“ „Hast du es denn nicht gemerkt? „Was denn gemerkt?“ „Versprich mir, dass du Asuka nichts von dem sagst, was ich dir jetzt sage.“ „Okay.“ „Ich glaube, sie mag dich.“ „Wer? Yamagishi-san?“ „Sie vielleicht auch, aber eigentlich meinte ich Asuka.“ „W-was…? H-Hat sie dir das gesagt…?“ „Natürlich nicht. Als ob ich so etwas Vertrauliches einfach ausplappern würde. Aber ich bin ihre beste Freundin. Ich merke sowas.“ „Bist du dir sicher… das du da nicht etwas falsch verstanden hast…? Sei mir nicht böse, aber Shikinami kann mich gerade mal so ausstehen… Sie zieht mich dauernd auf und beklagt sich immer über alles, was ich tue... auch, wenn ich mir oft wünsche, dass es nicht so wäre. Sie, Ayanami und ich sind die einzigen EVA-Piloten auf der ganzen, weiten Welt… Es ist wirklich schade, dass wir uns nicht alle verstehen können…“ „Hast du noch nie den Spruch „Was sich neckt, das liebt sich“ gehört? Asuka mag es nicht zugeben wollen, weil sie eine sehr stolze Person ist, aber eigentlich bedeutest du ihr sehr viel…“ „M-Meinst du…?“ „Das meine ich nicht nur, ich bin mir sicher… und deshalb… ist es wichtig, dass du eine Entscheidung triffst und dazu stehst.“ „Eine Entscheidung…?“ „Wenn du Asukas Gefühle erwiderst, musst du zu ihr stehen, wenn du das nicht tust, musst du ihr das klar sagen. Du darfst sie auf keinen Fall an der Nase herumführen, hörst du? Asuka ist meine beste Freundin… wenn du sie also unglücklich machst, bekommst du es mit mir zu tun, okay? Du musst wissen, Asuka ist sicher eine starke Person, aber sie hat auch ihre empfindlichen Seiten. Gerade ich als ihre Freundin weiß das sehr gut… Einmal, an einem Tag, an dem sie schlecht drauf war, hat sie mir erzählt, dass sie als kleines Kind miterlebt hat, wie ihr Vater ihre Mutter betrogen hat und dann seine Liebhaberin geheiratet hat, die dann Asukas Stiefmutter wurde.“ „W-Was…? Wirklich…? Ich hatte gehört, dass sie eine Stiefmutter hatte, und zu ihr und ihrem Vater kein gutes Verhältnis hatte, aber… Ich dachte, dass ihr Vater einfach nur neu geheiratet hat, nachdem ihre richtige Mutter gestorben ist…“ „Nein, so war das nicht. Ihr Eltern haben sich scheiden lassen.“ „Aber wenn das so ist… warum ist Shikinami dann nicht zu ihrer richtigen Mutter gezogen?“ „Ich weiß nicht.“ Gab Hikari zu. „Sie redet nicht viel über sie. Aber der Punkt ist, das Asuka den Komplex in ihrem Kopf hat, dass ihre Mutter nie die Liebe eines Mannes bekommen hat… Weißt du, für ein Mädchen ist die eigene Mutter das erste Beispiel für Weiblichkeit, dass sie zu sehen bekommt, und das, woran sie ihr Konzept ihrer eigenen Weiblichkeit hernimmt. Und wenn man mitansehen muss, wie die eigene Mutter schlecht behandelt wird, bekommt man als Mädchen Angst, dass man selbst schlecht behandelt werden könnte, weil man ein Mädchen ist… man nimmt das sehr persönlich. Daher kommt es zum Beispiel auch, dass Frauen, deren Mütter geschlagen wurden, oft selbst an solche Typen geraten – Sie verbinden das mit Weiblichkeit… Manche versuchen auch, sich wie Amazonen zu benehmen und ihre eigene Weiblichkeit abzulehnen, weil sie denken, dass es das war, was ihrer Mutter Schmerzen bereitet hat, und haben dann Schwierigkeiten, einem Mann zu vertrauen… Verstehst du, worauf ich hinaus will? Was ich dir zu erklären versuche ist… Asuka hat schreckliche Angst, von einem Jungen hintergangen zu werden, wie sie es bei ihrer Mutter mitterlebt hat… Das wäre wirklich ihr aller schlimmster Albtraum. Also fang nur etwas mit ihr an, wenn du es auch wirklich ehrlich meinst.“ „Ich… ich weiß, ich kenne Shikinami nicht so gut wie du, aber ich lebe schon seit Wochen mit ihr zusammen, und ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass ausgerechnet sie solche Komplexe haben könnte…“ „Vielleicht… Aber die wichtige Frage hier ist: Was fühlst du für Asuka?“ „Ich… ich weiß nicht…“ „Habe ich dir nicht eben gesagt, dass du Klartext reden sollst…? Entweder du liebst sie wirklich, oder du tust es nicht.“ „Ich… ich weiß es wirklich nicht… ich meine, ich glaube nicht, dass sie mich liebt… Sie nennt mich ja nicht einmal beim Namen… Und warum auch…? Ich meine, was hat so jemand wie ich so einem tollen Mädchen wie Asuka schon zu bieten? Wir haben auch gar nichts gemeinsam…“ „Das war nicht das, was ich gefragt habe.“ „Ich weiß aber… ganz egal was ich nun von ihr denke ich… ich glaube nicht, dass das klappen kann… ich meine, Asuka liebt doch Kaji-san…“ „Sag ihr nicht, dass ich das gesagt habe aber…“ Sie lächelte. „Nach dem, was sie mir über ihn erzählt hat, ist er doppelt so alt wie sie. Das wird nichts…“ „Ob das nun was wird oder nicht, es bleibt dass sie in jemand ganz anderen verliebt ist, als mich. In jemanden, der wohl das genau Gegenteil von mir ist…“ „Oh sicher, Asuka hätte gerne einen obercoolen Freund mit dem sie angeben kann, aber das ist nur eine Schwärmerei… Sie mag seine ganze Coolness und die Bartstoppeln, nicht ihn selbst. Ich denke, dass sie ihn eher als eine Art Vaterersatz sieht. Er ist schließlich ihre einzige erwachsene männliche Bezugsperson. “ „Vaterersatz…? So klang das gestern Morgen aber nicht….“ Hikari seufzte zwar, aber ihr Lächeln verschwand nicht. „Na ja, denk über das, was wir heute beredet haben, einfach mal nach, okay? Trotzdem… Warum Asuka immer so viel über dich meckert, kann ich nicht ganz verstehen…“ „Uhm… was meinst du…?“ „Zuerst dachte ich, du seist wirklich der Idiot, als den sie dich immer beschreibt, aber jetzt merke ich, dass du ganz schon sensibel sein kannst, wenn man dich erst mal kennt… Wie kommt es, dass so jemand wie du sich mit solchen Einfaltspinseln wie Aida und Suzuhara herumtreibt?“ „Ich finde sie… eigentlich gar nicht einfältig…“ „Hm. Ich schätze, man muss sie nur richtig kennen lernen, hm? Ja ich… ich habe in letzter Zeit den Eindruck, dass du da gar nicht so unrecht haben könntest…“ --- „Ich finde es… richtig nett von euch, dass ihr mich hierher begleitet habt…“ „Paperlapap.“ Entgegnete Hikari. „Das gehört doch zu meinen Pflichten als Klassensprecherin. Außerdem wäre es doch furchtbar, wenn du hier ganz allein warten müsstest…“ Wie viele andere, die die Stadt vormals verlassen hatten, erwartete Mayumi ihren Zug am selben Bahnhof, der vor einer langen, langen Zeit einmal Shinjis Scheideweg gewesen war – Er konnte die Reste der düsteren Erinnerungen, welche von der Luft und dem Beton der Gebäude aufgezogen war, noch etwas spüren, sah diese jedoch nur als Ansporn, um diesen Ort mit besseren Erinnerungen zu füllen. „Es… es ist schon fast Zeit…“ begann Mayumi, etwas verlegen, aber zweifellos glücklich – Sie schien nicht ganz zu wissen, was sie sagen sollte, welche Worte es würdig waren, an eine Person gerichtet zu werden, die ihr Leben von Grund auf verändert hatte. „Na dann… auf Wiedersehen. Pass gut auf dich auf.“ Bot Hikari an. „Ja… ihr ebenfalls. Und entschuldigt bitte für all den Kummer, den ich euch bereitet habe…“ „Du hast dich… schon wieder entschuldigt.“ Merkte das Third Child an, lächelnd, weil am Ende alles gut gegangen war, aber doch etwas ergriffen davon, dass sich ihre Wege nun trennen würden. „Vielleicht… werden wir uns ja irgendwann einmal wiedersehen…“ begann Mayumi, während der Zug an ihr vorbei in das Gleis fuhr und ihr langes, glänzendes Haar durch den Fahrtwind in Bewegung versetzte. „Aber ich will dass du weißt dass… dich zu sehen und kennen zu lernen mir für die Zukunft sehr viel Mut gemacht hast… und ich möchte gerne… dass du die Zeit mit mir genauso in Erinnerung behältst, Shinji-kun.“ „Du hast… meinen Vornamen gesagt…“ „Oh, e-entschuldigung…!“ „…Schon wieder. Ist schon okay.“ „W-Wir werden uns sicher wiedersehen!“ setzte sie hastig hinzu, als sie merkte, dass sich die Zugtür soeben hinter ihr geöffnet hatte. „Sicher werden wir das. Solange wir alle noch am Leben sind, ist das immer eine Möglichkeit, oder…?“ „Natürlich.“ Und dann stieg sie ein und die Tür schloss sich vor ihren Füßen. Statt gleich nach einem Sitzplatz zu suchen, blieb sie zunächst hinter der Tür stehen, um ihnen beiden nun vorherigen Mitschülern durch das darin befindliche, kleine Fenster hindurch zuzuwinken, bis der Zug vollends an den beiden vorbeigerauscht war, und alle beteiligten mit einem aufrichtigen Lächeln zurückließ. Ja… Solange sie alle noch am Leben waren, war so einiges noch möglich… --- So kam es, das Yamagishi Mayumi kaum, das sie überhaupt hineingetreten war, wieder aus seinem Leben verschwunden war… Aber nicht, ohne, dass sie beide tiefe Spuren ineinander hinterlassen hatten, die sowohl sich selbst als auch einander vieles beigebracht hatten. Er glaubte, dass er mit dieser Zukunft, die Misato beschrieben hatte, nun viel mehr anfangen konnte… Seine Probleme waren noch weit davon entfernt, alle gelöst zu sein, aber er begann zu ahnen, wo er suchen musste, um die „Puzzleteile“ zu finden, die ihm für die Lösung noch fehlten. Und da war noch etwas, das Mayumi ihm dagelassen hatte – Auch, wenn sich das Schulfest nie ereignet hatte, so blieben ihm doch die einst dafür bestimmten CDs, bespielt mit Mayumis Stimme und somit gewissermaßen einen kleinen Teil von ihr enthaltend. Ein treffenderes Andenken für ihre gemeinsame Zeit hätte es wohl nicht geben können. Neben der CD hatte Kensuke das Ganze auch noch als MP-3 Datei auf seinem Rechner, aber das alles half wenig, wenn sein Haupt-Berieselungsgerät noch mit Kassetten lief. Zum Glück war ihm schon vor einer ganzen Weile einen alten CD-Spieler zwischen Misatos vielfältigem Krimskrams aufgefallen, sodass er jetzt wusste, wo er diesen finden konnte. Ursprünglich war die Musik als Hintergrundbegleitung gedacht, um ihm das Erledigen des heutigen Abwaschs zu versüßen, aber schon bald, nachdem er den Play-Knopf gedrückt hatte, war er schon viel mehr mit musikhören beschäftigt als mit Abwaschen. Mayumi hatte wirklich eine tolle Stimme, und der Text war ebenfalls wunderschön… er fragte sich, ob sie wohl an ihn gedacht hatte, als sie das gesungen hatte. Dieses Lied allein war, nach den Geschehnissen der letzten Tage in seiner Bedeutung gestärkt, an sich schon genug, um ihm die Tränchen in die Augen zu treiben, aber die Möglichkeit, dass er der Adressat sein könnte, tat auch ihr übliches. So oder so, das Geschirr wartete, also wurde es Zeit, dass er sich mal die Seife griff und – Knirsch. Die Tür wurde lautstark aufgerissen, zweifellos mit der Absicht, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – Das konnte schon einmal nichts Gutes heißen… nein, er wusste ziemlich genau, was das hieß, oder genauer, wen es ankündigte. „Was ist denn das für eine Schnulzmusik?“ Sich zu ihr umzudrehen, und sei es nur, um etwas zu entgegnen, war ein tödlicher Fehler. „Oooch.“ Asuka kicherte. „Was auch immer es ist, es scheint für dich ja schon zu hart zu sein. Hat dir eigentlich schon einmal jemand etwas gesagt, das Männer nicht zu heulen haben?“ Seine instinktiv erste Handlung wäre es gewesen, sich zu entschuldigen, doch da seine Aufmerksamkeit für ebendiese Art von Satz durch den kürzlichen Abschied von Mayumi etwas geschärft war, hielt er die Worte auf, bevor sie seinen Mund verließen, wohl wissend, welchen „Dank“ er sich damit einhandeln würde. Also machte er sich gar nicht erst die Mühe: „…Sag mir nicht, dass ich mich dafür jetzt entschuldigen soll!“ „Pah! Weichei!“ giftete der Rotschopf zurück, den Raum ebenso schnell verlassend, wie sie ihn betreten hatte. Da ließ sie sich mal dazu herab, ihm Gesellschaft zu leisten, und er nahm das gleich als Anlass, pappig zu werden. Er verstand aber auch gar nichts. Für all ihre gnädigen Angebote, ihre großzügige Geduld, ihre lächerliche Offensichtlichkeit war er schlicht und ergreifend voll und ganz taub. Sie sollte diese Zeitverschwendung auf zwei Beinen wirklich ein für alle Male aufgeben. Ärgerlich grummelnd und irgendwo innendrin wohl auch ein Stückweit verletzt, auch, wenn sie etwas mehr Zeit gebraucht hätte, um letzteres wirklich zu merken, marschierte sie beinahe über den halben Flur – Und blieb dann stehen, fast schon schockiert über das, was sie soeben leichtfertig übersehen, nun aber umso verblüffter begriff. Ungläubig ließ sie das, was sie gerade gehört hatte, noch einmal in ihrem Kopf Revue passieren: „…Sag mir nicht, dass ich mich dafür jetzt entschuldigen soll!“ Sie würde es natürlich nicht tun, schließlich war sie es, die ihn überhaupt dazu aufgefordert hatte. Ob er nun wirklich vorhatte, sich dauerhaft zu ändern, oder (was ihr wesentlich wahrscheinlicher erschien) einfach nur glaubte, sie so beeindrucken zu können, ihre Worte waren nicht ganz auf taube Ohren gestoßen… Sie würde eine ganze Weile brauchen, um sich für das offen sichtbare, merklich echte Lächeln zu vergeben, das ihr Gesicht in diesem Augenblick strahlen ließ wie das von Moses, als dieser vom Glanze des Allmächtigen berührt vom Berg Sinai herab kam. Das verrückte war, dass sie einen Moment lang direkt zurück in die Küche rennen wollte, doch ihr Stolz wollte ihr das nicht erlauben. Er war doch selber schuld, wenn er seinen Sinneswandel nicht klarer ausdrücken konnte. Und daran, dass er zweifellos ein Weichei war, hielt sie weiterhin fest. Trotzdem, jetzt schimpfend in ihr Zimmer zu stampfen erschien ihr nicht mehr halb so attraktiv wie noch in der Sekunde zuvor. Um ihre extreme Paranoia bezüglich aller Anzeichen von Schwäche zufrieden zu stellen, tat sie es trotzdem, riss die Tür ihres Zimmers auf, und knallte sie zu, ohne sie durchschritten zu haben, um dann auf Zehenspitzen zu der noch offenen Küchentür hinzutapsen, als sei der Flur ein Mienenfeld, und sich dann so lässig und desinteressiert wie möglich wirkend an den zugeschobenen Teil der Schiebetür lehnend, nur minimal in die Richtung schielend, aus der sie Musik, typische Küchengeräusche und gelegentliches Seufzen vernahm, sich nicht die Mühe machend, gegen ihr dünne Grinsen und das damit einhergehende Gefühl der Zufriedenheit anzukämpfen. Die Augen zu schließen, um sich auf die Geräusche zu konzentrieren, die vom Objekt ihrer Begierde produziert wurden, wäre wohl schon zu viel des guten gewesen, aber sie konnte auch schon gut erahnen, was er machte. „Na, was haben denn hier?“ Diese verflixte Misato – Langsam hegte Asuka den Verdacht, dass sie in einem Früheren Leben einmal so etwas wie ein Ninja gewesen sein musste. Hätte sie sie nicht gezwungen, alles lautstark abzustreiten und sich am Ende doch in ihr Zimmer zu verziehen, um sich frustriert ihrem Gameboy zuzuwenden, wäre sie vielleicht dazu gekommen, diesen Trottel zu fragen, ob sie ihm irgendwie helfen konnte. ---- Der nächste Neuzugang in dem metaphysischen Musiksaal hatte einen Kontrabass dabei, und kündigte sich durch ein lautes „Hallihallo!“ an, wobei sie die Türen weit aufriss und den Lichtkegel, der die im Halbdunkel liegenden Stühle erhellte, ein gutes Stück verbreiterte, wobei sie Shinji etwas blendete, sodass dieser die Augen zu schmalen Schlitzen verengen und sich die Arme vors Gesicht halten musste. „Was machst du denn hier, Vierauge?“ verlangte Asuka ärgerlich zu wissen. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dich eingeladen zu haben! Kommt in diesem Stück denn überhaupt ein Kontrabass vor?“ „Ich weiß nicht…“ antwortete der Neuzugang mit der roten Plastikbrille, sich nachdenklich am Kinn kratzend. „Wir werden wohl improvisieren müssen.“ --- „Aber…“ fragte Shinji, während er seiner Mitbewohnerin den fertig abgewaschenen Teller zum Abtrocknen und einräumen reichte. Um ihre Würde zu wahren, hatte sie immerhin sichergestellt, dass er den Teil der Aufgabe übernahm, der die Möglichkeit enthielt, mit glibberigen Essensresten in Kontakt zu kommen. „Ich dachte, du hasst es, mit mir zusammen zu sein…“ „Versteh mich nicht falsch, es treibt mich wirklich zur Weißglut, wenn du dich wie ein Idiot aufführst, aber wenn du es nicht tust… macht es mir eigentlich nichts aus. …Warum heulst du blödes Weichei denn jetzt schonwieder? Bist du so gerührt?“ --- „Hier. Das ist für sie, Commander.“ Sie hielt ihm den braunen Umschlag mit ihren ausgestreckten, blassen Ärmchen hin, auf eine bizarre Art und Weise, die ihn unangenehm an einen zweijährigen Shinj erinnerte, wie er ihm stolz seine ersten, mit groben Wachsmalern gekritzelten Bilder präsentiert hatte. „Was ist das…?“ „Wissenschaftliche Zeitschriften. Einige der neusten Publikationen auf den für das Projekt relevanten Fachgebieten. Ich hoffe, dass sie Ihnen nützlich sein werden.“ „Das werden sie sicherlich. Aber ich hätte sie mir sowieso besorgt… wieso hast du das gemacht?“ Es war ungewöhnlich für sie, aus ihrer eigenen Initiative heraus zu handeln, was den Verdacht aufdrängte, dass die Idee gar nicht ihre eigene war. „Ikari-kun hat es vorgeschlagen. Er meinte, dass es ihnen vielleicht gefallen würde. War das, was ich getan habe, nicht in Ordnung…?“ „Keinesfalls.“ Versicherte er, den Umschlag aus ihren Händen entnehmend und direkt aufreißend. Es war nur, dass ihm der Anblick viel bekannter vorkam, als er es verkraften konnte. --- „Hier, für dich, Rokubungi-kun!“ Sie hatte ihre Arme auf exakt dieselbe Art und Weise gehalten; Ihre waren vielleicht etwas weniger hell, und es war auch ein wenig mehr Fleisch auf ihnen, aber die Unterschiede waren äußerst geringfügig. Ihr Haar war ein winziges bisschen länger und spaltete sich an ihrer Stirn auf, statt hineinzufallen, und die Farben waren anders, warmes Schokobraun und geheimnisvolles Grün, scheinend als ob sie zwei lebende Juwelen in ihren Augenhöhlen, schimmernde Smaragde, die ein Lächeln dekorierten, dass ihm wie der Frühling selbst erschien. Er glaubte nicht, dass diese Welt jemals wieder solche strahlenden Farben zu bieten hatte wie unter diesem Sonnenschein, dessen Wärme sie mit ihm geteilt hatte. Es war nicht mehr das kleinste Fünkchen Wärme übrig, seitdem sie nicht mehr hier war. Sie war sehr jung gewesen, damals, eigentlich zu jung, um irgendetwas an einer Universität verloren zu haben, und natürlich viel, viel zu jung für ihn, aber er hatte es schon lange, lange zuvor aufgegeben, sich um solche Dinge zu kümmern. Sie hatte etwas Verspieltes an sich, ihr ganz privates Vergnügen darüber, dass sie allein das Privileg hatte, ihn so zu sehen, ohne sein verschlagenes Grinsen, oder den finsteren, gefühlsarmen Ausdruck, der schon so manchem das Fürchten gelehrt hatte, sondern verlegen und unbeholfen, nicht wissend, wie er auf diese freundliche Geste reagieren sollte, weil er in seinem Leben nicht besonders viele davon empfangen durfte. „Na, du hast du gesagt, dass du dir von seinem Stipendium kaum deine Miete leisten kannst, und ich würde den Gedanken nicht aushalten, wenn du hungern müsstest, um dir diese ganzen Bücher leisten zu können.“ „Ich zahle das zurück. Mein nächster Zahltag ist in zwei Wochen.“ Er begriff nicht, warum sie gekichert hatte, aber er wusste, dass er ihrem Blick damals einfach ausgewichen war, wohl wissend, dass er unwürdig war, in ihrem Dunstkreis zu schweben. „Entschuldigung, wenn ich-“ „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, und du brauchst das auch nicht zurückzuzahlen. Es würde mir völlig reichen, wenn du mal dass hier probieren würdest.“ Ihr Lächeln, von ihren spielerisch an ihren Mundwinkeln ziehenden Zeigefingern begleitet, die wohl eine Art „Anleitung“ darstellen sollten. Das und diese Bücher, das waren die allerersten Dinge, die irgendjemand für ihn und ihn allein besorgt hatte. --- „Du solltest dich nicht mit mir herumtreiben… Alle sagen, dass ich schlechter Umgang bin und nur hinter dem Geld deiner Sponsoren her bin…“ Sein raubtierhaftes, selbstironisches Grinsen verzerrte sein hartes Gesicht. „Wirklich, du solltest auf Fuyutsuki hören.“ „Ich denke, dass ich erwachsen genug bin, um selbst zu entscheiden, mit wem ich meine Zeit verbringe.“ --- Völlig überkommen ließ er fallen, was auch immer er in diesem Moment in seinen Händen gehalten hatte – Vermutlich war es sowieso unwichtig gewesen, er konnte sich nicht mal mehr daran erinnern, was es gewesen war, nur daran, dass Fuyutsuki sich am nächsten Tag darüber aufgeregt hatte, dass er es zerdeppert hatte. Es war einfach nicht mehr wichtig gewesen, als er seine Arme um sie geschlungen hatte, voller Leidenschaft, mit äußerster Hingabe, den Tod wesentlich weniger fürchtend als die Möglichkeit, dass er irgendetwas falsch machen könnte. Es hätte wohl anders herum sein sollen, gerade, wenn man seine nicht unbeeindruckende Statur betrachtete, aber am Ende war er es, der sich in ihre Umarmung fallen ließ, nachdem er die Herrschaft über seine rasch erweichten Knie verloren hatte. So konnte er nicht anders, als vor ihr zu knien, und sein Gesicht in der Unterseite ihrer Brust zu vergraben, während sie ihm sanft über den Kopf streichelte. Wie sollte er es ausdrücken, dieses Gefühl, dass so viel intensiver war, als alles, was er vorher gekannt hatte, dass ihn so vollkommen übernommen hatte, dass nicht mehr viel anderes von ihm übrig war, um sich davon abzuheben und ihm zu erlauben, es zu beschreiben. „Ich liebe dich auch… Ich will dich so sehr, dass es mich zerreißt… Ich will dich, jedes kleinste bisschen von dir, selbst die widerlichsten Seiten von dir, selbst die tiefen deines Wahnsinns und deine wildesten Träume… Ich würde für dich töten, weißt du das…? Ich könnte es dir jetzt gleich beweisen, wenn du es willst… Ich meine es ernst, sei vorsichtig, was du mich fragst… ich kann nicht nein zu dir sagen, und es macht mich jetzt schon rasend, dass ich vor dir sterben muss…“ Der Griff seiner Hände festigte sich, er krallte sich regelrecht in den weißen Kittel krallend , der ihn von ihrer Haut trennte. Es war zu viel… Er wusste nur zu gut, dass er ein Sünder war, aber allein, das es ihm erlaubt war, hier zu sein, ihren Busen zu seiner Ruhestätte machen zu dürfen, wo er umgeben war von ihrer Wärme und ihrem Duft, hätte genug sein können, um ihn in den Himmel zu senden; Wenn er nicht aufpasste, würde sein Herz sicherlich einfach aufhören, zu schlagen, weil es nicht gewohnt war, solche Glückseligkeit zu empfinden, weil das mehr war, als es zu ertragen gebaut war, mehr, als irdischen Wesen vergönnt sein sollte… Wenn er nicht aufpasste, dann würde ihr bloßes Licht den unwürdigen Dreck, der seinen Körper, seinen Geist und seine Seele bildete, läutern und reinigen, bis nicht mehr das kleinste Fünkchen davon übrig war. Wenn er nicht sehr, sehr vorsichtig war, würde er den Rest seines Lebens in ihrer Umarmung verbringen, weil nichts anderes auf dieser Erde ihn jemals interessieren könnte, nachdem er diese Art von Perfektion miterlebt hatte. „Freilich… wenn ich dann sterben würde… würde ich dich am liebsten mit zu mir in die Hölle reißen… ich will dich keinem anderen lassen…“ „Und was ist…“ fragte sie, fürsorglich eine aus der Reihe Tanzende Haarsträhne aus seinem Gesicht zupfend. „Wenn ich zuerst sterbe? Dies sind gefährliche Zeiten… Glaub nicht, das SEELE dabei zögern wird, mich aus dem Weg zu räumen, nur, weil meine Eltern und viele meiner anderen Verwandten Mitglieder sind.“ Der bloße Gedanke war Folter… er schlang seine Arme noch fester um sie, als hinge sein Leben davon ab und von nichts sonst. „Das steht völlig außer Frage! Ich würde dir natürlich auf der Stelle folgen… natürlich nicht, nach dem von den Verantwortlichen Teile das Tageslicht erblickt haben, die nie dafür bestimmt waren…“ „Ach du meine Güte… Das klingt nach einer ganz schönen Sauerrei… Sieht so aus, als müsste ich mir etwas einfallen lassen, damit ich niemals sterbe…“ Doch ihm war nicht nach Scherzen zu mute, und um das klar zu machen, brauchte er nichts weiter zu tun, als seine Augen zu öffnen und sie aus tiefen höhlen heraus fest anzusehen, fordernd, beinahe schon befehlend, und glitzernd mit wildem Wahn, die ganze Hässlichkeit seiner schwarzen Seele vor ihr offen legend, sein gieriges Herz, sein unstillbares Verlangen und seine unendliche Hilflosigkeit, die Art, wie er ihr völlig ausgeliefert war, wie alles, was er war an dem einzelnen Faden ihrer Antwort hing, als würde sie allein darüber bestimmen, ob die Erde sich weiter drehte, die Sonne weiter schien und die Uhren weiterhin tickten. „Heirate mich.“ Es war keine Frage, sondern eine Aufforderung. „Ich meine es. Heirate mich.“ Und sie hatte einfach nur genickt, als sei es das natürlichste in der Welt, ohne auch nur eine Planck-Zeit darauf zu verwenden, ihre Entscheidung anzuzweifeln, oder auch nur zu überlegen. --- „Willst du mal dran horchen, Gendo…? Kannst du schon den Herzschlag des Kleinen hören?“ „Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt etwas höre…“ „Und kannst du seine kleinen Tritte spüren…?“ „Ich fürchte nicht, nein…“ „Er ist wohl ein wohlerzogener junger Mann, und will es sich nicht gleich mit seinem alten Herrn verderben, indem er ihm einen Tritt versetzt.“ Sie lachte. „Woher willst du wissen, dass es nicht eine junge Dame ist…?“ „Nein, es ist ein Junge. Ich bin mir ganz sicher. …Hast du dich etwa schon auf ein Mädchen gefreut?“ „Es ist ohnehin nur nebensächlich… Es tut mir Leid… Du hast dir dieses Kind so sehr gewünscht, und ich stelle mich schon als miserabler Vater heraus, bevor es überhaupt auf der Welt ist… Du bereust sicher, dass du dich mit jemandem wie mir eingelassen hast…“ „Sag bitte nicht solche traurigen Dinge… Ich glaube kaum, dass ein „miserabler Vater“ sich solche Sorgen darum machen würde, etwas falsch zu machen… Mach dir keine Sorgen, es wird schon alles gut werden… Du musst nur ein bisschen mehr Vertrauen in dich selbst haben.“ Sie nahm seine Hand, worauf er ihre unaufgefordert mit Küssen übersäte. „Vergiss nicht, dass ich auch noch da sein werde." --- Der letze Musikant, der noch fehlte, war ein hochgewachsener Junge mit silbernen Haaren und einem breiten Lächeln auf dem Gesicht. "Du bist SPÄT!" meckerte Asuka. "Tschuldigung..." gab er zurück, Asuka's Feindseligkeit nicht erwidernd. "Wollen wir anfangen?" ____________________________________________ (1) Der Song, den sich Shinji am Ende reinzieht, ist „Points of authority“ von Linkin Park. Erschien mir grad passend. (2) Eine Bratsche, auch bezeichnet als Viola, ist ein Streichinstrument, das etwas größer als eine Geige und etwas kleiner als ein Cello ist (3) Ich hatte ja gedacht, dass ich den Kapitel-Output jetzt in den Semesterferien ein gutes Stück hochfahren könnte, aber nachdem ich meine Klausurergebnisse gesehen habe, fürchte ich, dass die Geschwindigkeitserhöhung eher bescheidener Natur sein wird. Sorry Leute, die Nachklausuren sind schuld… Nach wie vor gilt aber, dass das hier definitiv weiter geht/fertig gebracht wird/mir das auch wichtig ist. Ich muss halt sehen, dass ich später einen ordentlichen Job kriege, damit ich auch den Strom und das I-Net zum weiteren FF-schreiben zahlen kann XD (4) Wer wissen will, wie’s weitergeht, kann sich trotzdem schon mal auf Kapitel 10: [Die Frucht der Erkenntnis] freuen, wo es dann auch wieder ein Stückchen mit der Handlung der Serie weitergeht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)