Children of the Prophecy von Kendrix (Die Kinder der Prophezeihung) ================================================================================ 08: [Hoffnung] -------------- Nodody knows who I really am I've never felt this empty before And if I ever need someone to come along Who's gonna comfort me And keep me strong We are all rowing in the boat of fate The waves keep on comming and we can't escape But if we ever get lost on our way The waves will guide you through another day -Rie Fu, 'Life is like a boat' --- "Sehr gut. Damit ist die Nachbesprechung des Einsatzes abgeschlossen." "Der Einsatz ist allen widrigen Umständen zum trotz zufriedenstellend verlaufen." setzte Subcommander Fuyutsuki zu den wenigen Worten seines Vorgesetzten hinzu. "Wenn es Ihnen nichts ausmacht, werden wir werden Ihre besonderen Verdienste bei Planung und Leitung dieser Mission in Ihrer Akte vermerken lassen, Captain Katsuragi." "Danke, Sir." erwiderte Misato knapp, ihren Vorgesetzten in deren riesigen Büro in einer aufrechten Haltung gegenüberstehend. "Nundenn..." setzte Fuyutsuki fort. "Sich um die Aufräumarbeiten und die Festellung der Kollateralschäden zu kümmern, wird das zweifelhafte Vergnügen der technischen Abteilung werden. Sie dürfen wegtreten." "Ja, Sir." --- Kaum, dass sich die Tür des Büros hinter ihr geschlossen hatte, ließ Misato das 'professionelle Pokerface' fallen und erlaubte es sich erstmal, herzhaft zu gähnen. Es musste sicherlich schon zwei Uhr Morgens sein...mindestens. Aber eigentlich war sie ja relativ gut dran - Ritsuko und die anderen konnten froh sein, wenn sie in dieser Nacht überhaupt noch ins Bett kamen. Misato selbst hatte das Glück, zur Einsatzabteilung zu zählen, die wie der Name schon sagt, relativ wenig zu tun hatte, sobald der Einsatz zuende war. Die einzige Aufgabe, die Misato noch zu erledigen hatte, bestand darin, die Piloten von der Krankenstation abzuholen, wo man sie nach dem Kampf erst einmal gründlich durchgechekt hatte - Nur eine Routinemaßname, sie schienen alle Beide physisch unversehrt zu sein als man sie - kurioserweise aus ein- und demselben Plug - geborgen hatte. Tatsächlich fand sie Beide bereits auf den Wartebänken im Korridor der Krankenstation sitzend, wo ihr ein sichtlich müder Mediziner erklärte, dass sie beide unverletzt waren und das Commander auch schon informiert sei. Das First Child habe großes Glück gehabt, dass man sie rechtzeitig aus dem angeschmolzenen EVA entfernt habe. Schließlich machte sich der Mann auf den Weg in seinen wohlverdienten Feierabend, und überließ es Misato, ihm die zwei immer noch in ihren Plugsuits steckenden Kinder aus dem Flur zu schaffen. Als sie einen genaueren Blick über die zwei warf, erfuhr sie auch die Antwort auf eine Frage, die ihr schon die ganze Lagebesprechung über durch den Kopf ging - also hier war die Uniformjacke des Commanders gelandet - er musste sie Rei zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen ihrer Ankunft im Hauptquartier und dem Beginn der Besprechung übergeworfen haben. Das zart gebaute Mädchen hätte sich unter dem für einen Mann von beachtlicher Statur ausgelegten, schwarzen Kleidungsstück wohl komplett verschmanzen können, wenn sie es gewollt hätte. Misato glaubte einen Moment lang ein dünnes Lächeln auf ihren Lippen entdeckt zu haben. Shinji schien Rei bis jetzt still betrachtet zu haben, wendete sich aber seinem Vormund zu, als er bemerkte, dass sie endlich zu ihnen beiden herübergelaufen war. "Shinji? Rei?" "Ja, Ma'am?" "...Laut dem was ich gehört habe, seid ihr OK. Ihr könnt euch duschen und nachhause gehen. Es ist ja auch schon ziemlich spät. Ich habe angeordnet, dass ihr für Morgen erst mal von sämtlichen Experimenten entbunden werdet - und schulfrei habt ihr natürlich auch. Shinji, wartest du am Zugang Nr. 2 auf mich?" "Ja." --- Jetzt waren immerhin zwei der viel zu zahlreichen Duschen im Waschraum der Piloten im Betrieb - Die Türen verdeckten das nötigste und eigneten sich auch dazu, um die eigenen Klamotten darüber zu hängen, sodass man die Kabinen eigentlich voll bekleidet verlassen konnte, trotzdem wäre es Shinji wesentlich lieber gewesen, etwas mehr als eine dünne Trennwand zwischen sich und dem nächsten nackten Mädchen zu haben. Theoretisch könnte man ja argumentieren, dass es an ihr ohnehin nichts gab, dass er noch nicht gesehen hatte, aber ehrlichgesagt änderte das nichts daran, dass ihm die Situation etwas unangenehm war. Shinji hatte seid dem Ereignis in ihrem Entryplug nicht besonders viele Worte mit ihr gewechselt, aber das war, weil es nichts mehr zu sagen gegeben hatte - Die Stille zwischen ihnen war eine des Verständnisses gewesen. Dann aber war sein Vater in der Krankenstation aufgetaucht. Shinji saß zu diesem Zeitpunkt mit teilweise abgezogenem Plugsuit auf einer Behandlungsliege, wo der zuständige Mediziner dabei war, ein paar Elektroden an seinem Oberkörper zu befestigen, um irgendetwas zu überprüfen, von dem Shinji selbst nichts verstand. Weil nun auf der anderen Seite des Raumes eine Person anderen Geschlechts - genauer gesagt, Rei - darauf wartete, das man eine ähnliche Prozedur an ihr durchführte, hatte man die besagte Liege mit einem zusammenklappbaren Raumteiler aus Papier vom Rest des Raumes abgegrenzt, sodass Shinji nur noch Reis Silhouette sehen konnte - und eben auch die seines Vaters, als dieser erschienen war. Nachdem dieser sich nach der Einsatzbereitschaft der Children erkundigt hatte, und als Antwort durch den Paravent hindurch gesagt bekam, dass man eigentlich nur Routinetests durchführe, wendete er sich einzig und allein Rei zu und fragte sie nach dem Kampf. Rei berichtete relativ sachlich und neutral von den Ereignissen, sagte eigentlich nicht mehr, als dass der erste Schuss daneben gegangen sei, dass sie das sie für die Verteidigung zuständig gewesen war, und dass man den Engel letzendlich vernichtet habe. Das sie sich dem Partikelstrahl zum Schluss mit nichts als dem bloßen Körper ihres EVAs entgegen gestellt hatte, schien sie nicht mal für wichtig genug zu halten, um es zu erwähnen. Der Commander antwortete auf ihre Erzählung mit einem kurzen "Gut." und merkte an, dass es ebenfalls gut sei, dass sie unverletzt sei. Rei merkte an, dass das nicht verwunderlich sei, da das Third Child sie rasch aus ihrem Evangelion befreit habe. Dieses hatte sich in diesem Moment gewünscht, ihre Gesichtsausdrücke zu sehen, gespannt darauf, was sie wohl antworten würde, falls sein Vater genauer nachfagen sollte - Doch die Reaktion des älteren Ikari fiel recht knapp aus: "Ich verstehe." Danach merkte er an, das Rei immernoch vom LCL durchnässt sei, und fragte sie, ob sie nicht friere. Als Shinji, wieder komplett in seinen Plugsuit eingehüllt, weil er zur Zeit kein anderes Kleidungsstück zur Verfügung hatte, hinter dem Raumteiler hervorkam, um Rei zu sagen, dass sie jetzt dran war, traf er den Commander, der bereits dabei war, zu gehen, nur einen Schritt vom Türrahmen entfernt an. Der Ältere blieb stehen und drehte sich tatsächlich zu ihm um - Doch Worte des Lobes, die Shinji, naiv wie er war, einen Moment lang erwartet hatte, blieben aus - Alles, was der Commander trat, war seinem Sohn direkt in die Augen zu starren, mit einem Blick, der sich einem quer durch den Schädel bohren und auf der anderen Seite wieder hervorbrechen könnte, bevor er sich wieder zurück drehte und ging, ohne ein einziges Wort zu verlieren. Als Shinji sich schließlich zu Rei gewendet hatte, fand er sie in eine schwarze Jacke mit goldenen Umrandungen und vereinzelten grünen Ornamenten gewickelt - Die Uniformjacke seines Vaters. Jeder Außenstehende hätte ihn nach mitansehen dieser Szene wohl eher für Reis Vater gehalten. Shinji hatte nicht mehr gewusst, was er fühlen sollte - Und das hatte sich in der Gegenwart, in die ihn ironischer Weise ausgerechnet Rei zurückholte, nicht geändert. Sie war mit dem Duschen fertig, verließ - diesesmal glücklicherweise mit ihrer Schuluniform bekleidet - Ihre Duschkabine, den abgelegten Plugsuit und ihr Handtuch unter dem Arm tragend. Vermutlich würde sie jetzt gehen - Er sollte vermutlich etwas sagen. Shinji wollte nur all zu sehr, dass die Annäherung an sie, die er sich lange gewünscht und in dieser Nacht endlich erreicht hatte, eine Dauerhafte blieb - Irgendwie hätte er erwartet, dass es ihm leichter fallen würde, sie anzusprechen, nachdem sie sich gegenseitig das Leben gerettet hatten, doch da hatte er es sich wohl mal wieder zu einfach gemacht. Mit Müh und not schaffte er es, sich zu einem wackeligen "A-Ayananmi...!" durchzuringen. Sie drehte sich weder nach ihm um, noch sah sie ihn an, doch dass sie auf der Stelle stehen blieb, räumte jegliche Zweifel daran aus, dass sie ihm zuhörte - und plötzlich wurde ihm klar, dass er etwas antworten musste, sich aber keinerlei Gedanken darüber gemacht hatte, was er sagen wollte. Er hatte den Mund weit offen, bekam aber trotzdem keine Worte heraus. Rei stand einfach nur da, ihm keine Zeichen gebend, die ihm hätten anzeigen können, ob sie vielleicht irgendwie ungeduldig wurde, oder ob sie auf ihn wartete, was automatisch bedeutete, dass er sie warten ließ. Er musste irgendetwas sagen... mindestens etwas simples... "G-Gute Nacht..." Rei gab darauf keine Antwort. Gerade als Shinji sich fragte, wie ungeschickt seine Äußerungen auf einer Skala von 'ziemlich' bis 'absolut lächerlich' wohl geklungen haben musste, setzte sie sich wieder in Bewegung - hatte er sie jetzt verwirrt, oder hatte sie keine Lust mehr herumzustehen oder so etwas? Shinji wurde klar, dass er immer noch dutzenden Lichtjahre davon entfernt war, dieses Mädchen zu verstehen: Kurz vor dem Ausgang blieb sie wieder stehen. "Auf Wiedersehen." Es waren zwei simple, leise Worte, die nicht mal mit sonderlich viel Emotionen gesprochen waren, aber für Shinji waren sie randvoll gespackt mit einer großen Bedeutung: 'Auf Wiedersehen' hatte sie gesagt, nicht 'Leb wohl'. Dieses Mal enpfand Shinji bei ihren Abschiedsworten nicht das unheimlich traurige Gefühl, sie zum letzten Mal zu sehen, sondern eine seltsame Art von ungewohnter Wärme, die sich als Brennstoff die Gewissheit nahm, dass dieses Mädchen von nun an ein klitzekleines bisschen anders durch ihr Leben gehen würde, dass diese Sache heute wirklich etwas... bewirkt hatte. Es entzündete in ihm eine Hoffnung, die er jetzt das erste Mal zu fühlen, aber noch lange nicht auszusprechen vermochte - auch nicht in Gedanken. Die Hoffnung, dass die Welt nicht genau die selbe sein würde, wenn er daraus verschwinden würde. "Ja... Auf Wiedersehen Ayanami!" Es stimmte. Er würde sie wiedersehen - er hatte Misato zwar gesagt, dass er den EVA 'dieses eine Mal noch' steuern würde, aber er versuchte im Moment nicht daran zudenken, und einfach mal weiterhin alles mit zu machen... nach allem, was passiert war, verspürte er keinen all zu heftigen Drang, von hier zu verschwinden - zumindest in diesem Moment nicht. Er würde einfach mal... noch eine Weile hier bleiben. Immerhin war Shinji dem Mädchen nahe gekommen, das seinem Vater so nahe zu stehen schien... vielleicht würde er so eines Tages auf irgendeine Weise... zu seiner Welt gehören. --- Immer noch etwas nachgrübelnd und ehrlich gesagt auch durchaus müde saß Shinji schließlich auf dem Weg nachhause im Beifahrersitz von Misatos Auto und betrachtete geistesabwesend die wenigen Ausschnitte der Außenwelt, die von den Straßenbeleuchtung und den Scheinwerfen des kleinen blauen Autos vor der Finsternis bewahrt worden waren. Misato unternahm einen Versuch, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. "Du bist wohl fast am umkippen, nicht? Keine Sorge. In ein paar Minuten sind wir da, dann können wir beide und endlich unseren Schönheitsschlaf gönnen. Den haben wir uns redlich verdient, nicht wahr?" Shinji zeigte keine wirkliche Reaktion, zu sehr war er in seine Gedanken über die heutigen Ereignisse versunken. "Nein, im ernst, auf das, was du heute getan hast, kannst du ehrlich stolz sein, du Held!" Versicherte sie in einem lockeren, leicht spielerischem Tonfall, ihn anlächelnd, in der Hoffnung, dass er wenigstens ihre Spiegelung in der Fensterscheibe beachten würde. Einsehend, dass Shinji nicht der Typ war, der sich von großer Fröhlichkeit anstecken ließ, schraubte Misato diese etwas herunter. "Aber jetzt mal in ernst... Du warst wirklich sehr mutig und hast uns alle gerettet - alle hier wissen das. Du musst einfach nur an mehr an dich glauben. Ich bin mir sicher, dass auch dein Vater sehr stolz auf dich war." "Das würde ich ja gerne einfach so glauben, aber...." "Aber...?" "Ich... ich möchte jetzt bitte nicht darüber reden, okay?" Shinji wusste ja selbst nicht, was er jetzt von alledem halten sollte. Er musste das alles... erst einmal verarbeiten. --- Kaum, dass er in seinem Zimmer angekommen war, ließ sich Shinji schon einem Stein gleich ins Bett fallen - schon, dass es ihm gelungen war, sich zuvor noch ein paar etwas lockere Klamotten überzustreifen, grenzte an ein Wunder. Er fiel augenblicklich in einen tiefen, traumlosen Schlaf, aus dem er erst wieder erwachte, als die späte Mittagssonne ihm sanft über sein Gesicht strich, sodass ihre Helligkeit Gelegenheit hatte, seine Augenlider zu durchdringen. Zögerlich in Bewegung geratend bedeckte er seine Stirn mit seinem Unterarm, einen angenehmen Schatten über den Rest seines Gesichtes werfend. Erst jetzt öffnete er seine Augen einen spaltbreit, diese zunächst nur auf die Decke richtend. Er war es überhaupt nicht gewöhnt, dass es so hell war, wenn er aufwachte - das Third Child war eher an die verblasste Farbpalette des Halbdunkels gewöhnt; Die Helligkeit weckte bei ihm eher ungebetene Erinnerungen an sein 'Lieblings'zimmer auf der Krankenstation. Shinji war in seinem bisherigem Leben eigentlich entgegen dem, was man seiner Altersgruppe nachsagte, nur zwei oder drei Mal so spät aufgestanden - vor allem, weil er normalerweise auch nicht so spät ins Bett ging - Normalerweise war es eher so, dass er oft nicht wusste, womit er die Stunden bis zum Abend füllen sollte. Meistens starrte er einfach an die Decke und dröhte sich dabei mit Musik zu, um zumindest den Löwenanteil der finsteren Gedanken aus seinem Kopf zu spülen. Er streckte sich zögerlich etwas, bevor er sein Zimmer schließlich verließ, und immer noch ein bisschen abwesend wirkend in die Küche lief - von Misato gab es keine Spur - erst auf den zweiten Blick bemerkte er den kleinen Zettel am Kühlschrank an dem sie in sehr krickeliger Schrift erklärte, das sie auf der Arbeit einiges an Papierkrieg zu erledigen hatte - komplett mit einer recht minimalistischen Zeichnung, die sie beim rumfuchteln mit einem origamischwert zeigte. Wenn man sie im täglichen Leben erlebte, könnte man sich fragen, ob das Wort 'Ernsthaftigkeit' überhaupt in ihrem Vokabular vorkam - Es fiel schwer zu glauben, dass dies die selbe Person war, die gestern nacht - oder technisch gesehen heute morgen - einen Aktenvermerk wegen besonders klreativer stategischen Leistungen erhalten hatte. Allerdings stellte Shinji nur Augenblicke später fest, dass der Zettel nicht das einzige war, was Misato ihm zurück gelassen hatte - Anscheinend hatte sie sich bevor sie zum NERV-Hauptzquartier losgezogen war noch eine Packung Mikrowellensushi gegönnt - Mit dem Ergebnis, dass sich die dazugehörige Plastikverpackung mitsamt leerer Soßentütchen und den Flecken, die die einst darin enthaltene Sojasoße auf der Tischplatte hinterlassen hatte - Daran, dass die Reste vom gestrigen Curry-Alptraum zusammen mit dem dazugehörigen Geschirr inklusive Misatos leerer Instantnudelverpackung immer noch auf dem Tisch standen, hatte sie sich nicht gestört, sondern dieses nur minimal beiseite geschoben - Auf dem Tisch hatten sich mittlerweile so viele gebrauchte Esstäbchen angesammelt, dass man damit hätte Mikado spielen können. Shinji seufzte. Der junge EVA-Pilot hatte erst etwas überlegen müssen, bevor er die schmutzigen Teller Ritsukos gestrigem Besuch hatte zuordnen können - Es war so viel geschehen. Er fragte sich, wie es kam, dass Misato sich in diesem ganzen Chaos hier nicht im geringsten unwohl zu fühlen schien - Wenn man sie darauf ansprach, bekam man meist irgendeinen Scherz zu hören, von wegen sie sei nunmal ein notorisches Kleckerkind oder er sei penibler als ein frisierter französischer Pudel, meist gepaart mit der Bitte, dass er das doch bitte aufräumen solle. Das er ohnehin nichts besseres vor hatte, begann Shinji, genau das zu tun - eigentlich sollte sich Misato ja um ihn kümmern, aber manchmal hatte er den Eindruck, das es andersherum war, zumal die gesamte Hausarbeit in letzter Zeit ausnahmslos an ihm hängen zu bleiben schien. Heute hätte jedoch durchaus ausnahmsweise mal etwas mehr dreckiges Geschirr herumliegen können, denn sobald Shinji mit dem Abwasch fertig war, stand er wieder vor dem Problem, das er nicht so richtig wusste, was er tun sollte. Normalerweise wäre er zu dieser Zeit in der Schule gewesen, und es war immer ein bisschen etwas seltsames dabei, sich an Orten aufzuhalten, die um die aktuelle Zeit normalerweise verlassen waren - Nein, ganz verlassen war das Appartment nicht, wie es Shinji noch mal ins Gedächtnis gerufen wurde, als ein gewisser Vogel aus seinem angestammten Kühlschrank heraus watschelte und ihn mit einem nicht ganz zufriedenen "Waaak!" begrüßte. Shinji stellte mit Erschrecken fest, dass er sich schon fast an den seltsamen Vogel gewöhnt hatte. "Guten Morgen, Pen-Pen!" grüßte er. "Waaak." kam als Antwort. Shinji beschloss, das als gutes Zeichen zu werten. Der Heißwasserpinguin verwies mit einem weiteren "Waak" auf seine Futterschüssel - Diese war zwar randvoll, doch das Third Child konnte es seinem gefiederten Mitbewohner nicht wirklich verübeln, dass er die undefinierbare Masse, die sein Frauchen ihm da vorgesetzt hatte, nicht angerührt hatte. Shinji erbarmte sich und öffnete dem Vogel eine Büchse Sardinen. Den Laut, dem ihn Misatos Haustier zukommen ließ, bevor es sich mit über sein Mittagessen hermachte, würde Shinji jetzt einfach mal als Ausdruck der Dankbarkeit interpretieren. Er spielte mit dem Gedanken, sich selbst ebenfalls etwas zu Essen zu machen, ließ das aber sein, da er ohnehin keinen richtigen Hunger hatte - und etwas zu tun hatte er auch nicht. Touji und Kensuke hätten wohl Freudensprünge vollführt, wenn sie einen freien Tag gehabt hätten, aber Shinji wusste damit nicht viel anzufangen - Einen Moment lang fragte er sich, was Ayanami wohl in diesem Moment tat. Sie hatte ebenfalls frei, aber er glaubte nicht, dass man in ihrem leeren, dunklen Appartment besonders viel unternehmen konnte - vielleicht beschäftigte sie sich ja mit Lesen, immerhin hatte er sie mit einem Buch gesehen, als er sie in seinem Krankenzimmer angetroffen hatte. Shinji dachte daran, einfach ein bisschen Musik zu hören, entschied sich aber letztlich für die Erledigung seiner Hausaufgaben, zu denen er gestern nicht gekommen war, weil er mit der Rettung der Menschheit beschäftigt gewesen war. Schon das er die Worte 'Hausaufgaben' und 'Rettung der Menschheit' sinnvoll in ein und demselben Satz zu verknüpfen vermocht hatte, rief ihm wiedermal deutlich in Erinnerung, wie verrückt sein Leben eingentlich geworden war. Trotzdem war diese irrsinnige, aberwitzige Welt mit Engeln, EVAS, riesigen Untergrundkomplexen und blauhaarigen Mädchen, die es nicht kümmerte, wenn man sie nackt sah, inzwischen nicht mehr ganz so fremd für ihn - Er hatte hier viele Verbindungen geknüpft, Erfahrungen gemacht und vielleicht auch ein kleines bisschen was bewirkt - allerdings wurde ihm auch immer wieder aufs neue klar, das er sich wohl niemals an diesen Ort gewöhnen würde, der stets neue verstörende Erlebnisse für ihn bereitzuhalten schien. Nachdem er die Hausaufgaben abgehakt hatte, beschloss er, sich einmal den Balkon des Appartments anzusehen - Er hatte sich schon länger gefragt, wie es dort aussah, aber Misato danach zu fragen, käme ihm irgendwie albern vor. Auch, wenn sie jetzt nicht da war, und es ohnehin nur der Balkon ihrer eigenen Wohnung war, fühlte sich Shinji ein wenig unbehanglich, als er die Tür öffnete. Der Balkon war recht groß, aber nur mit ein paar gewöhnlichen Plastik-Gartenmöbeln ausgestattet, schien also nicht besonders oft benutzt worden zu sein. Er wagte einen Blick runter in die Stadt. Die Aussicht war schön, aber es ging ziemlich weit runter, sodass Shinji versuchte, nach Möglichkeit nicht all zu direkt nach unten zu blicken. Trotzdem gab es einen Vorzug, den Shinji diesem Ort lassen musste - Es war angenehm ruhig, so weit, weit oben über den Straßen. Eigentlich, so dachte sich das Third Child, war das hier genau der richtige Ort dafür... bis jetzt war er entweder nicht in der Stimmung dazu gewesen, oder hatte sich nicht getraut, Misato zu fragen - Sie würde wohl irgendeinen Kommentar abgeben, nach dem er sich sowieso zu verunsichert fühlen würde - aber heute, einen Tag, nachdem er seine dritte Schlacht in EVA 01 bestritten hatte, entschied er sich, sein altes Cello endlich auszupacken. Behutsam befreite er das Instrument aus dem dazugehörigen Kasten, des bis jetzt unangetastet in einer Ecke seines Zimmers gelegen hatte, packte sich einen Stuhl, schlepte ihn auf den Balkon, baute einen Notenständer auf und setzte sich daruf beziehungsweise davor. Er stellte wie erwartet fest, dass er ziemlich aus der Übung war. In gewisser Weise hatten das Musikinstrument und seine Aufgabe als EVA-Pilot etwas gemeinsam - manchmal fragte er sich, was er eigentlich damit sollte. Doch im Moment würde er mit beidem.... einfach mal weiter machen. --- "...Ich stehe abermals in Ihrer Schuld." "Und sie werden sie kaum zurückzahlen können. Und was die gesetzliche Offenlegungspflicht angeht, habe ich die entscheidenden Stellen in den angeforderten Dokumenten einfach schwärzen lassen. Deren Anwälte bereiten eine Beschwerde bei der Regierung vor, aber die wird abgeschmettert werden. Was ist mit dem Projekt selbst? Soll ich dafür auch noch etwas in die Wege leiten?" "Nach dem Material, dass Sie mir geschicht haben, wird das nicht nötig sein. Machen sie weiter wie geplant." "Verstanden. Dann werde ich Ihre zwei kleinen Päckchen mal holen gehen." "Tun Sie das. Den Rest besprechen wir persönlich." Nachdem sein Gesprächspartner aufgelegt hatte, klappte Ikari Gendo sein Telefon zu, und stützte, kaum das er dieses weggesteckt hatte, seinen Kopf in gewohnter Art und Weise auf seine inzwischen ineinander gefalteten Hände. Alles lief genau nach Plan. Er machte sich nicht die Mühe, hinzusehen, als er hörte wie sich die Tür seines Büros öffnete - Die eben eingetretene Person sorgte schon selbst dafür, dass sie in sein Blickfeld kam - Es war Dr.Ritsuko Akagi - allerdings nicht so, wie man sie gemeinhin in der Basis zu sehen bekam - Fort waren das blaue Top und der weiße Kittel, statt dessen trug sie ein schwarzes Minikleid, so eng, dass man sich fragte, weshalb der Stoff nicht einfach auseinanderplatzten. Sie hatte sich noch mehr aufgetakelt und mit Make-Up beschmiert als sonst, das ihre Lippen in einem aufdringlichen Korallenrot erscheinen ließ und mitteln mehrerer optischer Tricks aufpolsterte und ihnen einen mineralischen, leblosen Glanz verlieh wie ein Rubin. Nicht mal ihr überdonnert aufgetragenes, stinkendes Parfum konnte den Gestank nach Zigaretten verdecken, der ihr anhaftete. Selbst die Haare waren gefärbt. Widerwärtig. Ikari fragte sich manchmal, ob irgendetwas an dieser Frau echt war - da hörte es mit dem Nachdenken über sie aber schon auf. Diese Frau, falls man sie noch als solche bezeichnen konnte, war nichts als Mittel zum Zweck - Sie mochte sich für den Ersatz des Ersatzes halten, aber die Wahrheit war, dass sie für so etwas etwas mit Yui hätte gemeinsam haben müssen. Ja, sie hatte die selbe, eher seltene Augenfarbe, eine ähnliche Haarlänge, aber das war es nicht der Grund dafür gewesen, dass er Yui geliebt hatte. Diese Hure war innerlich genau so falsch und ekelhaft, wie sie aussah, ihr inneres selbst hinter einer Schicht aus falscher, kollegialer Freundlichkeit versteckend - doch er hatte wohl kein Recht, sie von sich wegzustoßen - gerade weil sie so widerlich war, war nicht auszudenken, was sie tun würde, um ihn eins auszuwischen - und außerdem hatte er wohl nichts besseres verdient. Er wusste selbst nicht was sich diese Frau (oder ihre Mutter) erhofft hatten, als sie sich an ihn heran geschmissen hatte - er hatte nichts, was er ihnen hätte geben können, und sie hatten nichts, was ihn hätte interessieren können. Es ging ihm nicht einmal darum, irgendwelche Triebe zu befriedigen - Nur um die Wartung eines Werkzeugs, dass sich für seine Pläne besser nicht auflehnen sollte - jedes mal, dass er ihr ins Gesicht sehen musste, sehnte er sich Das Yui sich dereinst zu ihm verirrt hatte, musste... eine riesige Verwechslung des Schicksals gewesen sein. Die Frau lief zu seinem Schreibtisch hinüber und setzte sich auf eine Art und Weise auf diesen, die dazu führte, dass er ihre Brüste fast in seinem Gesicht hatte. "...Hast du dich um die Sache wegen des Regierungsprojektes gekümmert?" fragte er nüchtern. "Oh ja... aber vergessen wir das Mal... du gehst Morgen wieder auf eine Geschäftsreise, nicht? Ich werde dich schrecklich vermissen, obwohl es dir wohl sicher gut tun würde, mal wieder an die Oberfläche zu kommen." Sie lachte. Ihr Lachen war genau so unecht wie der verführerische Ton, den sie aufgesetzt hatte. Sie war etwa genau so erregend wie ein Plastikklotz mit abblätternder Farbe. Das hieß, wer wusste, ob er soetwas überhaupt einschätzen konnte - er hatte ohnehin immer nur Augen für eine Frau gehabt, und jedes Mal, wenn diese lächerliche, unechte Person ihn berührte, verzehrte er sich mehr und mehr nach dem Tag, an dem er seinen Körper ablegen und sich wieder in die Arme seiner über alles geliebten Yui fallen lassen würde. Er sagte nichts. Sie hatte ihre Enttäuschung schnell wieder versteckt. "Na ja, wie dem auch sei... Du sehnst dich doch sicher dringends nach ein bisschen... Entspannung bevor du zu dieser stressigen, anstrengenden Reise aufbrichst, oder?" "Nein." Sie blickte ihn verstört an. "Schon gut, ich verstehe, was du meinst. Komm her." Er hörte exakt in diesem Moment auf, seine Arme halbherzig nach ihr auszustreckten, als er sein Telefon klingeln hörte. Sie hätte genau so gut aufgehört haben, zu existieren. Ein schneller Blick auf das Display verriet ihm, wer dran war. Auch, wenn es ihm die meisten nicht zutrauen würden, Ikari kannte die private Telefonnummer seines Sohnes - und weil er sie kannte, beförderte er sein Mobiltelefon augenblicklich in die Tiefen seines Schreibtisches und ließ es einfach weiter klingeln. "Wer war drann...?" fragte die falsche Blondine. "Unwichtig. Lass uns das hier hinter uns bringen, Fuyutsuki erwartet mich in einer halben Stunde in Labor Fünf." antwortete er ohne den Geringsten Hauch von Leidenschaft zu zeigen. Dr. Akagi setzte nur ein dünnes, bösartig angehauchtes Lächeln auf. "Oh, du glaubst gar nicht... was man in einer halben Stunde so alles machen kann..." --- Während das leere, ansosten totenstille Büro nun laut wurde, herrschte im Katsuragi-Haushalt dagegen eine untypische Stille - Shinji hatte Misato vor ein paar Minuten hereinkommen gehört, sich aber nicht bemerkbar gemacht - warscheinlich dachte sie, dass er schon schlief und bemühte sich, leise zu sein. Dem Third Child war das nur all zu recht. Tatsächlich befand er sich auf seinem Bett, auch wenn er eher darauf saß, als drin zu liegen. Er hielt das zusammengeklappte Telefon immer noch in den Händen. Shinji würde Misato das, wass sie ihm bei ihren Aufmunterungsversuchen weis zumachen versuchte, ja gerne glauben, aber... "Ich wusste, dass du nicht rangehen würdest, Vater..." An diesem Tag hatte Shinji keine besondere Lust mehr, noch irgendetwas zu tun oder mit irgendjemandem zu reden. Also tat er genau das, wovon Misato ohnehin bereits glaubte, dass er es tat und verkroch sich unter seine Bettdecke. --- In dieser Nacht hatte Shinji wieder diesen Traum. Er kannte das alles schon - Das Geräusch des rauschenden Ozeans, der feine, salzweiße Sand unter seinen Handflächen, die klatschnassen Kleider, ie an seinem durchnässten Körper klebten - er begann, dagegen ähnliche Aversionen zu entwickeln wie gegen die viel zu hellen Räumlichkeiten der NERV Krankenstation. Wieso war er hier? Diese Frage verfolgte ihn bei Tag und auch bei Nacht, wenn auch unterschiedliche Dinge mit "hier" gemein waren - Es ging nicht mehr nur darum, wieso er im Traum hier gelandet war, sondern warum er den Traum überhaupt hatte, warum er sich jede Nacht aufs neue an diesem kalten, leeren Ort wiederfand, warum irgend ein Teil seines Unterbewusstseins ihm immer und wieder die selbe Geschichte erzählte wie ein Mantra, dass er niemals vergessen durfte, wenn er überleben wollte. Er verstand es einfach nicht... Vielleicht sollte er mit jemadem darüber reden - aber es war nicht so, als ob ihn diese... Visionen sein Leben wesentlich beeinflussen würden oder es so sehr stören würden, dass es das wert wäre, andere damit zu stören... Außerdem war alles einfach so verrückt - er wusste nicht, ob er darüber wirklich mit anderen sprechen wollte... Weiß der Himmel, wass sie sich von ihm denken würde. Er wollte einfach nur, dass der Traum endlich zuende ging und ihm seine Ruhe ließ, damit er nicht mehr darüber nachdenken musste - und damit er dieser überwältigende Gefühl der Einsamkeit nicht ertragen musste, dass ihn völlig ungefiltert traf, wan immer es ihn an diesen grauenhaften Ort verschlug. Die Einsamkeit und das Leid aus tausenduneinem Leben, die unendliche Leere... Es kam alles zu ihm, diffus und grausam, ohne das er sagen könnte, wieso er so leiden musste. Doch es half alles nichts... Shinji beschloss, jetzt einfach mal seine Augen zu öffnen, in der Hoffnung, dass der Traum irgendwie... vorbei gehen würde. Über ihm erstreckte sich der schwarze Himmel wie ein unendlich großer Baldachin, durchzogen von einem roten Streifen. Er hatte keine Ränder, keinen Rahmen - Shinji blickte hoch und sah einfach nur Leere. Er hielt es nicht aus. Das Third Child drehte seinen Kopf langsam zur Seite - Da lag eine abgetrennte Hand von der Größe eines Berges im Wasser, so riesig, dass sie selbst die kreuzartig in die Erde genagelten Evangelions winzig aussehen ließ - und Shinji selbst natürlich erst recht. Der Ozean erstreckte sich endlos bis zum Horizont, nichts von dem preisgebend was unter seiner undurchsichtigen Oberfläche lag - Shinji kannte das alles langsasam schon auswendig. Dann aber sah er etwas, dass ihm in diesen Visionen noch nie begegnet war - eine andere Person. In ihrer Schuluniform stand sie einfach so da, einsam und allein wie eine geisterhafte Erscheinung, die sich nicht in den Huntergrund und den Fall des hiesigen, rötlichen Lichtes einfügen wollte, mitten auf der Wasseroberfläche stehend wie eine Gottheit, ein paar gute Meter von der Küste entfernt. Ayanami Rei. Es sah so aus wie sie. Die blasse Haut, das kurze, blaue Haar - natürlich war das Rei. Eine ungeheure Kälte, aber auch eine gewisse Traurigkeit fuhren bei diesem Anblick durch seinen Körper. Das Third Child konnte sich nicht erklären, warum. Irgendwie wollte sich bei ihm kein Gefühl des Erkennens einstellen. Shinji starrte einfach nur die Unmöglichkeit vor seinen Augen an, ohne ein Wort zu sagen. Bis sie nicht mehr da war. Er hätte nicht sagen können, ob er geblinzelt hatte, aber gerade, als er ihren Namen rufen wollte, verschwand sie spurlos, als ob sie niemals da gewesen wäre, wie ein Schatten in der Nacht, sodass er sich fragte, ob er sie sich nicht vielleicht nur eingebildet hatte. Shinji verengte betrübt die bis jetzt weit aufgerissenen Augen. Natürlich war er allein hier. Er war hier schon immer allein gewesen - und auch, wenn er nicht wusste, warum, so wurde er den Eindruck nicht los, dass er es nicht anders verdient hatte. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als das irgendjemand hier wäre. Jemand, an den er sich halten konnte, jemand, der seine Hand nehmen und ihm alles erklären würde, der ihm zeigen würde, dass er nicht allein war; Jemand, der einen Weg aus dieser leeren, verheerten Welt finden würde, und ihm sagen würde, was er tun sollte... irgendjemand... warmes und weiches... Irgendjemand... auf den er sich verlassen konnte. Und als hätte jemans seine Gedanken gelesen fühlte er exakt in diesem Moment wie sich eine warme, weiche Hand seine eigene fest ergriff, ihm ein unbeschreibliches Gefühl von Sicherheit und unfassbarer Freude zu geben. Da war etwas reales, lebendiges, an das er sich klammern und festhalten konnte... Ihm kamen fast schon die Tränen. Wie lange war es her, dass er das letzte Mal menschliche Wärme auf seiner Haut gespürt hatte, welche Ewigkeiten hatte er hier an diesem trostlosen Ort ohne jede Gesellschaft zugebracht? Er erwiderte die sanfte Geste und hielt die Hand fest, als wolle er sie nie wieder loslassen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, worüber er bei seinem Blick auf das rote Wasser die ganze Zeit hinweggesehen hatte; Das konnte sie doch nicht sein, oder? Es wäre viel zu verrückt, unmöglich sogar... Irgendwas sagte ihm, dass er sie eigentlich nie hätte wieder sehen sollen - Ein wirrer Strudel aus Schreien, Tränen, ihrer Halskette und dem Geschmack ihres Blutes auf seiner entjungpferten Zunge. Und doch war sie hier, sie, die eine Person die er von allem am meisten sehen wollte. Es war unmöglich, und doch eindeutig; Der durchnässte dunkelrote Stoff ihres zerissenen Minikleides, dass an ihre Brustwarzen durchscheinen ließ und sich eng an das von ihren Schenkeln gebildete Dreieck schmiegte; Ihre reifen, weiblichen Formen und die attraktive Bräune ihrer Haut, von der die zerissene Jacke und das ebenfalls in Mitleidenschaft gezogene Kleid reichlich übrig lassen; Eine Narbe, die unter dem oberen Rest ihres Gewandes hervorschaute und dazu einlud, den Rest des Kleidungsstücks einzureißen um ihr zu folgen, bis zu der alten Geschichte, deren roter Faden sie beide verband; Die weißen Bandagen, die von den Händen der Götter um ihre Tallie und einen ihrer Oberarme gewickelt waren; Ihre langen, schwarzen Haare die über den Boden flossen... und nicht zu letzt das müde, aber zuversichtliche Lächeln auf ihrem wohlmeinenden Gesicht. Misato. Shinji, der sich aufgesetzt hatte, um sie zu betrachten, begann zu zu zittern und zu schluchzen. Er hatte sich nicht ansatzweise im Griff und hätte nicht sagen können, warum. Der junge EVA-Pilot war noch nie gut mit solchen Dingen gewesen - auch dann nicht, wenn er wusste, warum er nicht in der Lage war, einen kohärenten Satz zu formen - Er konnte es nicht fassen, dass sie hier war. Was machte sie denn hier? Warum war sie hier... bei ihm, in dieser düsteren, leblosen Welt, die er geschaffen hatte, obwohl sie alles dafür gegen hatte, um es zu verhindern. Er verdiente es nicht... er verdiente es einfach nicht und er begriff es auch nicht. Sie sollte ihn hassen - aber sie tat es nicht, im Gegenteil, sie lächelte, sammelte sich selbst vom Boden auf, setzte sich auf, während er jede einzelne Bewegung ihres Leibes fasziniert beobachte, jedes Schwingen ihrer Haare, jedes rutschen ihrer Brüste, und ihre vollen, einladenden Lippen, die dieses warme Lächeln nicht für eine einzelne Sekunde absetzten. Er hielt aus irgendeine Grund ihre Halskette in der Hand und hielt sie ihr nun mit seiner zitternden Hand entgegen. "V-Verzeih mir, Misato-san... bitte hass mich nicht..." Shinji wendete seinen Blick ab. Er wollte noch irgendwas sagen, eine Erklärung, eine Rechtfertigung, aber es ging einfach nicht. Also blieb er bei dem, von dem er wusste, dass er es sagen konnte und begann, sich zu wiederholen wie ein alter Narr. "Ver... Verzeih mir..." Doch sie ergriff seine Hand mit ihren Beiden, nicht eine einzige Sekunde verunsichert wirkend, sie einfach wieder zudrückend und festhaltend, anstatt die Halskette herauszunehmen. "Ist schon gut." Er blickte sie schockiert an, als hätten der Himmel und die Erde die Plätze getauscht - sie klang überhaupt nicht zweifeld oder sarkastisch, sondern einfach nur in sich ruhend. Sie ließ seine Hände los und schlang ihre Arme um seinen Körper, ihn liebevoll an sich drückend, sich von einer Art liebevoller Leidenschaft ergriffen in dem Stoff seiner Schuluniform festgreifen und ihn fest an sich schmiegend, seinen Kopf auf ihren Busen wie ein Kissen darbietend. Shinjis eigene Arme hingen herunter. Er starrte geschockt durch das von ihrer Brust und ihrem Arm eingerahmte Stück Landschaft, unfähig, das hier in irgendeiner Form zu verarbeiten. "A-Aber Misato-san... Ich... ich habe... ich bin..." "Schhhh, Shinji-kun. Es ist jetzt alles in Ordnung, ja? Es ist alles vorbei. Das hast du gut gemacht." "Aber ich- Du wolltest doch-" "Ich wollte nur, dass du eine Entscheidung triffst, und das hast du getan. Ich habe dir doch gesagt, dass es mir egal ist... wichtig ist nur, dass du es wirklich willst. Wenn es das hier war, was du wirklich wolltest, dann respektiere ich das... Ich bin auch nicht perfekt, Shinji-kun. Ich weiß auch nicht, was ich an deiner Stelle getan habe... Ich hätte sicher nicht sofort die richtige Antwort gewusst...." Sie drückte ihn enger an sich. "Aber du, du hast es geschafft. Du hast die richtige Entscheidung getroffen, für dich, für mich, für uns alle... Trotz allem was war, trotz allem, was du gesagt hast, alles, was dir geschen ist, hast du dich doch für das Leben entschieden..." Sie ließ ihn los, ließ ihre Arme zu seinen Schultern wandern, so dass er eine aufrechte Position einnehmen musste und sie sein Gesicht sehen könnte. Sein Blick wich ihr immer noch aus. "Weißt du, was das bedeutet, Shinji-kun?" Keine Antwort. Seine Finger etwas zueinander ziehend wagte er es, ihr ansatzweise ins Gesicht zu sehen. Sie lehnte sich zu ihm vor. "Das bedeutet, dass du sehr, sehr stark bist. Du bist ein sehr, sehr besonderer, sehr, sehr starker Mensch. Du solltest stolz auf dich sein..." "Aber, Misato-san... Ich... ich habe...." "Was du getan hast, hast du getan, weil du es wolltest. Es ist in Ordnung. Das habe ich dir schon gesagt. Auch wenn du es vielleicht nicht wahrhaben wolltest, weil du angst davor hattest, die Konsequenzen tragen zu müssen. Du wolltest es einfach haben, und dafür kann dir niemand vorwürfe machen, und ich schon gar nicht... Aber am Schluss hast du dich nicht für den einfachen, sondern für den richtigen Weg entschieden, weil du das so wolltest. Eigentlich hast du doch noch nie irgendetwas gemacht, dass du nicht wolltest... Und dafür bewundere ich dich. Ich habe dich immer dafür bewundert." Sie lehnte sich zu ihm nach vorne. "M-Misato-san..." "Shinji-kun?" flüsterte sie zärtlich in sein Ohr. "Erinnerst du dich an das, was ich dir versprochen habe, als wir uns das letzte Mal gesehen haben?" Er nickte ahnungslos. "Du hast es dir redlich verdient." Und dann schlang sie ihre Arme um ihn und raubte ihm Hören und Sehen. Sie hatte gesagt, dass er die... richtige Entscheidung getroffen hatte. Aber das klang überhaupt nicht nach ihm, und dieser Ort sah auch nicht im Entferntesten danach aus, das er irgendetwas richtig gemacht hatte - Und er verstand immernoch nicht das geringste von dem, was hier los war. Trotzdem... diese Version des Traumes war... angenehm gewesen. Er konnte sich denken, dass er sich da selbst etwas vormachte, doch er hatte das Gefühl, in den letzten Tagen, irgendwie vorran gekommen zu sein - nicht nur in seinen Träumen... --- Am nächsten Morgen jedoch war im Katsuragi-Haushalt wieder der Alltag eingekehrt - Und das war gleichbedeutend damit, dass Shinji die ganze Arbeit erledigte, da sich eine gewisse Dame partout nicht aufwecken ließ und Shinji befürchtete, dass er die dünne Papierschiebetür wohl einschlagen würde, wenn er versuchen würde, noch etwas lauter zu klopfen. Daher hatte er sich mangels Alternativen selbst ein paar Brotscheiben in den Toaster gesteckt und auch den ansässigen Pinguin mit ein paar ordentlichen Fischen versorgt hatte. Shinji fragte sich manchmal wirklich, wie diese Frau (von ihrem Haustier mal ganz zu schweigen) bis jetzt eigentlich überlebt hatte. Erst als Shinji und PenPen bereits eifrig dabei waren, ihre jeweiligen Mahlzeiten zu vertilgen, gesellte sich die vermeintliche Erwachsene in diesem Haushalz zu ihnen - In kurzen Hosen, einer offenen Weste aus lockerem Stoff, die wohl zusammen mit der Hose eine Art Set ergeben sollte, und einem schwarzen Sport-BH. Sie stand in einer höhlenmenschartigen Pose im Türrahmen, sich zu allem Überfluss auch noch unterhalb der Brüste kratzend, und auch ihre Haare machten den Anschein als stammten sie aus der Zeit vor Erfindung der Haarbürste oder hätten heute zumindest noch keine gesehen. Shinji zeigte kurz Anzeichen von mittelschwerem Schock, welche allerdings schon deshalb so schnell verschwanden, weil er solche Szenen fast jeden Tag zusehen bekam. "Guten Morgen." grüßte er begeistert. Wie ein Zombie wankte Misato zum Tisch hinüber, worauf sie ihrem Mitbewohner ganz ungehemmt ins Gesicht gähnte, und endlich so etwas wie ein schlappes "...'Morgen." in Shinjis Richtung. Jedoch kehrte ihr üblicher überdrehter Enthusisasmus sehr schnell zurück, sobald sie sich eine schöne, kühle Dose von ihrem Lieblingsgetränk geöffnet und sich einen nicht unerheblichen Anteil davon auf Ex in den Rachen gekippt hatte. Prompt folgte der übliche Freudenschrei inklusive kleiner Freudentränchen. "Ein Bierchen am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen!" rief sie fast schon extatisch. Am Anfang fand Shinji es ja noch auf eine etwas einschüchternde Weise faszinierend, aber mittlerweile fragte er sich nur noch, ob diese Frau sich eigentlich über ihr eigenes Alter bewusst war - Ehrlichgesagt deutete nämlich nur der Alkohokgehalt ihres Getränkes darauf hin - Hätte man ihr statt der Bierdose eine Milchdose gegeben, hätte sie sehr gut in den städtischen Kindergarten hinein gepasst. Shinji begriff nicht, in wie fern Bier für die Morgenstunden ideal sein sollte. "Wieso versucht du's nicht mal mit nem Kaffee?" schlug er wohlmeinend vor - Doch sein sogenannter 'Vormund' nahm ihn nicht einmal ernst und beugte sich auf den Ellenbogen gestützt defensiv über ihre Bierdose. "Nein, nein! Ich bin konservativ und ein traditionelles japanischen Frühstück besteht nun mal aus gedämpftem Reis, Misosuppe und einem guten Schluck." "Dein typisches Frühstück meinst du wohl." entgegnete Shinji, seine Irritation überraschend deutlich zeigend. "Ach ja, erinnerst du dich noch, wer heute mit Frühstück machen eigentlich dran war? Kein Wunder, dass du in deinem Alter immer noch single bist." Das traf genau ins schwar. Misatos rechte Augenbraue begann unkontrolliert zu zucken. "...Willst du damit andeuten, ich wäre faul?!" "Faul und schlampig. Das trifft es ziemlich genau." "Was sagst du da?" entgegnete Misato genervt. Doch Shinji stand einfach auf und meinte, dass er jetzt fertig sei. Doch aller ärgerlichen Worte zum Trotz zog er sich schließlich eine Schürze über und erledigte wiedermal den Abwasch, nachdem er Misato ebenfalls mit Toast versorgt hatte - Diese wertete das als ein Zeichen, dass er doch nicht so gemein hatte, knöpfte sich ihr blaues Oberteil zumindest teilweise zu und lächelte ihren Schützling an, so weit das mit einem Toast im Mund eben ging. "Und du hast wirklich vor, heute in der Schule vorbei zu kommen?" "Na Logo." bestätigte Misato, sich zum Sprechen den Toast aus dem Mund nehmend. "Immerhin ist Elternsprechtag!" "Aber... Hast du auf der Arbeit nicht viel zu tun?" fragte Shinji, seine Wertschätzung ausdrücken wollend. Doch Misato winkte ab: "Das ist doch kein Problem! Du bist doch ein Teil meiner Arbeit!" "Ein Teil deiner-? Ich verstehe..." Shinjis Stimmung schien einen ähnlichen Prozess durchgemacht haben, wie eine aus großer Höhe fallen gelassene Vase. Eben machte er sich noch Sorgen darum, dass er ihr zur Last fallen könnte, und jetzt rutschte ihr so eine Sache einfach so lapidar heraus, als sei es nichts... Und er hatte begonnen, sich einzureden, dass er sich auf sie verlassen konnte, dass sie noch etwas anderes verband als der EVA... Misato merkte ebenfalls, dass das wohl nicht die idealen Worte gewesen waren, um ihn zu beruhigen, und blickte betreten zur Seite - Bis sie vom Geräusch der Hausklingel abgelenkt wurde und zum Hörer der Sprechanlage griff, um die am Fuße des Apartmentkomplexes wartenden Besucher zu standesgemäß begrüßen und gegebenenfalls herein zu lassen. "Oh! Danke, dass ihr gekommen seid!" sagte sie in ihrer besten fröhlichen Tonlage. "Kein Problem, wartet nur eine Minute!" Shinji, der sich inzwischen selbst mit seinem Schulranzen bestückt hatte, drehte sich angesichts der drohenden Blamage mit gerötetem Gesicht zu ihr um. "Misato-san... geh bitte nicht in dem Aufzug an die Tür... das wäre ziemlich peinlich...." bat er. "Für dich oder für mich?" fragte sie nur, die Arme verschränkend und ihre Brüste scherzhaft herauskehrend. Das krasse war, dass es trotz ihres zerzausten Zustandes erregend wirkte - Shinji drehte sich mit nun erst recht rot angelaufenem Gesicht weg, sobald ihm bewusst wurde, dass er tatsächlich hingesehen hatte. Die dadurch geweckte Erinnerung an den Traum von heute Morgen brachte seine Wangen erst recht zum Glühen. Glücklicherweise löste sich die ganze Situation schnell auf, als es an der Tür klingelte. Dahinter standen Touji und Kensuke. Beide grinsten wie eine ganze Herde Honigkuchenpferde und ersterer hatte seine Schultasche auf eine sehr... interesseante Art an seinem Kopf befestigt. "GUTEN MORGEN, IKARI-KUN!" riefen sie im Chor, bevor sie sich unsison zur Seite drehten, sich am Türrahmen festhaltend in die Wohnung hineinspähten und "AUFWIEDERSEHEN, MISATO-SAN!" riefen. Shinji hatte es gerade mal so geschafft, zurückzuweichen um eine Kolision zu vermeiden, geschockt darüber, das er sie Zwei wohl nicht mehr davon abhalten können würde, seinen halbnackten "Vormund" zu Gesicht zu bekommen - Doch diese hatte glücklicherweise den Anstand besessen, sich in der Küche zu verschanzen, und den beiden nur ihren unbekleideten Arm zu Gesicht bekamen, mit dem sie ihnen zuwinkte, während sie ihnen noch einen schönen Tag wünschte - Paradoxerweise reichte das völlig aus, um die beiden schmachtend in ihre Richtung blicken zu lassen und ihnen ein begeistertes "Aaaaaah" zu entlocken. Shinji verstand das nicht... er wollte ja nicht leugnen, das Misato recht attraktiv war und auch ziemlich cool aussehen konnte, wenn sie im Einsatz war, aber ein großer Teil seiner anfänglichen Begeisterung war recht schnell verpufft, nach dem er ein paar Tage in ihrer versifften Wohnung hatte verbringen müssen und auch noch als ihre private Putze eingespannt worden war. Er wollte einfach nur hier weg, bevor sie noch auf irgendwelche Idee kam. "Lasst uns endlich los gehen..." Während die drei Jungs das Apparment verließen, hatte sich Misato, die in der Zwischenzeit geduscht und sich in ein paar knappe, grüne Handtücher gewickelt hatte, eine weitere Dose Bier aus dem Kühlschrang geholt und geöffnet. Trotz der zahlreichen Beschwerden, die an diesem Morgen an sie gerichtet worden waren, trug sie ein erfülltes, breites Lächeln auf dem Gesicht. "Ist schon irgendwie ironisch..." meinte sie leise zu sich selbst, einen Schluck aus ihrer Bierdose nehmend. "Das er sich langsam einlebt, sieht man vor allem daran, dass er ehrlich sagt, was ihm nicht passt." Sie musste daran denken, wie er damals mit einem dünnen, schüchternen Lächeln das erste mal hier rein marschiert hatte und noch gefragt hatte, ob er denn nicht störe - Er hatte sich bei ihrem ersten gemeinsamen Essen sogar fast unter dem Tisch verschanzt - niedlich war es ja gewesen, aber es war ihr fast schon ein wenig unheimlich gewesen, wie er damals so ziemlich alles einfach so hingenommen hatte. Dass er den Wunsch äußerte, hier ein bisschen Ordnung zu haben bedeutete auch, dass er diesen Ort mittlerweile als sein Zuhause ansah und sich hier von dem Putzen mal abgesehen wohl fühlte... und das war genau das, wass sie schon seid Wochen zu erreichen versuchte. Mit Shinji zurecht zu kommen war zwar nicht so einfach gewesen, wie sie es sich am Anfang vorgestellt hatte, aber letztendens hatte sie das Gefühl, doch deutliche Fortschritte gemacht zu haben - und auch dass bedeutete, dass es noch Hoffnung für diese Welt geben könnte. Jedoch vernebelte ihre Freude nicht auf ihren Blick auf die Harausforderungen, die noch vor ihr lagen - eine davon waren die Engel und eine weitere diese Serienmörderin - neulich stand ein weiterer Fall in der Zeitung. Man wollte in einem alten Warenhaus einen riesigen Haufen aus Leichen gefunden haben, welche die Killerin aus bis jetzt ungeklärten Gründen dorthin mitgenommen hatte, ohne sie zu 'verflüssigen', wie es die Medien beschrieben. Das wurde immer abstruser - eine merkwürdige Sache kann halt mal passieren (wie die merkwürdige Tötungsart), eine zweite (wie die Leichenhaufen) ging noch als großer Zufall durch, aber eine dritte (wie die Tatsache, dass man ihr berichtet habe, die Killerin sei tot) hieß, das eindeutig etwas faul sein musste. Aber Misato hatte nichts in den Händen... Sicher, diese Person hatte Shinji angegriffen, schien aber nicht explizit hinter ihm her zu sein und auch sonst schien nichts daran auch nur entfernt an ihrem Zuständigkeitsbereich vorbeizuschrammen oder auch nur darauf hinzudeuten, dass ganze überhaupt etwas mit NERV zu tun hatte. Misato seufzte und griff sich ihr Telefon. "Er ist auf dem Weg zur Schule. Passen sie gut auf ihn auf." --- Unterdessen lief Shinji dicht hinter seinen beiden Freunden her, einen untypisch zufriedenen Ausdruck auf seinem Gesicht tragend. Allen peinlichen nebenumständen zum trotz war es doch etwas schönes, wenn sich andere die Mühe machten, ihn abzuholen. "...Und, Shinji, wie geht es dir heute so?" "Uh... nicht schlecht..." antwortete er mit einem verlegen Lächeln - er musste sich noch daran gewöhnen, dass Touji begonnen hatte, ihn mit Vornamen anzusprechen. "Wieso fragst du?" "Ayanami und du, ihr wart gestern nicht in der Schule. Hätt' ja sein können, dass ihr was abgekriegt habt." "Nein, nein... es ist nur ...ziemlich spät geworden..." "Na dann ist ja alles okay." "Dann kommen wir mal zum nächst wichtigeren Punkt der Tagesordnung... wie war der Kampf?" fragte Kensuke mit kleinen Sternchen in den Augen. "Uh... also dass... das war so..." Shinji begann nun so weit es ihm sein bescheidenes Wissen über Technik und Taktik von Operation Yashima und deren ausführung zu erzählen, wobei er seinen Gemütszustand und die Sache mit seinem Vater außen vor ließ - Er wollte an all dies jetzt erst einmal nicht erinnert werden. Kensuke fand wie üblich alles unsagbar cool, lobte Misatos taktisches Genie (und ihr Aussehen, auch wenn das wenig mit dem Kampf zu tun hatte) und wünschte sich, selbst einen EVA steuern zu dürfen - auch wenn Shinji die unangenehmeren Details nur sparsam beschrieben hatte, war es ihm ein Rätsel, wie seine Erzählug in irgendjemandem den Wunsch wecken könnte, selbst in einen EVA zu steigen. Touji's Begeisterung über das ganze Kampfzeug hielt sich in Grenzen, doch dafür beteiligte er sich nur noch enthusiastischer an der Schwärmerei über Misato. Shinji beschloss, ihnen ihren Spaß zu lassen und einfach zu erzählen, was gefragt wurde, obwohl ihm immer wieder klar wurde, dass die zwei sowohl von den Kämpfen als auch vom Leben mit Misato völlig falsche Vorstellungen hatten. "So, oder so, ich wusste ja, dass du es schaffen würdest, Shinji. Wir alle wussten das." "Ach das... das war kaum mein Verdienst... Ohne die Unterstüzung von euch, Misato-san und Ayanami hätte ich das doch alles niemals hingekriegt..." "Aber, aber, nicht so bescheiden!" meinte Kensuke. "Immerhin hast du schon deine erste Jungfrau in Nöten gerettet! Das ist ein wichtiger Meilenstein in der Karriere eines jeden Superhelden! Und dann war's auch noch deine Herzensdame, du verdammter Glückspilz! Oh, wenn ich doch nur auch einen Evangelion steuern dürfte! Dann würden mir sicher auch alle Mädels zu Füßen liegen..." "Ich bin kein Superheld... und Ayanami ist auch nicht meine Herzensdame... So ist das alles nicht..." "Ach ja?" Kensuke wirkte nicht wirklich überzeugt. "Na ja, ich werde es dir jetzt einfach mal so glauben..." "Wie hat sie den eigentlich reagiert, als du sie gerettet hast?" wollte Touji wissen. Nicht glaubend, dass dieser Moment etwas war, worüber er mit anderen sprechen sollte, und auch nicht wirklich willens sich die Reaktion der beiden darüber anzutun, dass er und Rei etwas getan hatten, für das man beim besten Willen kein anderes Wort als "Händchenhalten" finden konnte, entschied er sich für eine möglichst simple Antwort: "Nun sie... hat gelächelt." "Was, dass kann sie?" "Uhm... anscheinend schon...Warum sollte si es denn nicht können?" "Na, vielleicht weil noch niemand auf der ganzen Schule sie jemals dabei gesehen hat?" "Wow, Ikari, du bist ECHT ein Glückspilz! Du darfst einen EVA steuern, bist der Klassenschwarm und bringst selbst unsere unnahbare Eisprinzessin zum schmelzen!" "Nicht zu vergessen dass du mit einem absoluten Superweib unter einem Dach wohnst..." "So... ist das nun wirklich nicht..." --- Ayanami saß heute wieder wie eh und jeh still an ihrem Platz, ihren dicht mit blauem Haar bewachsenen Kopf auf ihre ineinander gesteckten Finger stützend, ohne von ihrer Umgebung wirklich Notiz zu nehmen - Shinji fühlte sich an die bevorzugte Sitzposition seines Vaters erinnert, bis him zum nichtexistenten Gesichtausdruck. Er konnte sich daran erinnern, dass Dr. Akagi die zwei miteinander verglichen hatte - und er hatte selbst mehrmals erlebt, dass die beiden eindeutig auf einer Wellenlänge zu sein schienen. Shinji konnte nicht anders, als sich bei diesem Gedanken ein wenig schwer zu fühlen - als dessen leiblicher Sohn hätte er sich mit dem düsteren Commander von NERV eigentlich mindestens genau so gut verstehen müssen, aber in all der Zeit, die er hier gewesen war, hatten sie kaum miteinander geredet... Aber immerhin hatte er ihm vorgestern erlaubt, den Kampf zuende zu führen. Vielleicht... vielleicht würde ja weiterhin alles gut laufen, und... vielleicht war er kurz davor, sich zumindest das... Vertrauen seines Vaters zu verdienen. Immerhin war er gestern kurz stehen geblieben, um ihn anzusehen. Oder interpretierte er da nur zu viel hinein? Blitzartig realisierte er, dass auch in der Gegenwart ein augenpaar auf ihn gerichtet war - Das von Ayanami. Sie musste bemerkt haben, dass er sie betrachtet hatte - aber sie bewegte sich nicht, sagte nichts, sondern blickte einfach nur in seine Richtung. Shinji setzte sich in Bewegung und begab sich zu seinem Platz. Er traute sich immer noch nicht wirklich, sie an einem öffentlichen Ort wie diesen anzusprechen. --- In der nächsten Pause vertrieb sich Shinji seine Zeit damit, aus dem Fenster zu blicken - Ein großer Teil der Innenstadt war immer noch über und über mit dem Blut bekleckert, in das sich der letzte Engel aufgelöst hatte; Etliche Gebäude waren mit roten Sprenkeln bekleckert. Er hatte es geschafft und den Engel besiegt aber,... eigentlich hatte ihm nie jemand wirklich erzählt, gegen was er da eigentlich kämpfte. Man hatte ihm anvertraut, dass es das Ziel dieser Wesen war, die Menschheit zu vernichten, aber... wesentlich mehr wusste er auch nicht darüber. Wie kam es, dass sie einfach... zerplatzten, nachdem man sie besiegt hatte? Shinji hätte seine Überlegungen wohl noch eine ganze Weile weitergeführt, wenn ihn in diesem Moment nicht das Geräusch von quietschenden Reifen aus seinen gedanken gerissen hätten - Er wusste sofort, wem der mit hochmütiger lässigkeit gepartke Wagen gehörte - Und das gleiche galt für Touji und Kensuke, die nun mit fast schon unheimlicher Geschwindigkeit ans Fenster stürmten, sich aus diesem hinauslehnten und ihren Freund zwischen sich einklemmten. "Sie ist tatsächlich gekommen!" rief Touji begeistert. Kensuke hatte obligatorischerweise seine Kamera gezückt. Die beiden Jungs - und so ziemlich alle anderen männlichen Schüler auf dieser Seite des Gebäudes (Das hatte Shinji wohl davon, dass er sich diesen beiden Schreckschrauben anvertraute) - bekamen bald das zu sehen, was sie erwartet hatten - Bekleidet mit einem sündhaft kurzen, schwarzen Minirock, weißen Stöckelschuhen, einem sandfarbenen Bolero und einem weißen Oberteil, dass von ihren Brüsten nur das nötigste verbarg. Während sie ihre Sonnenbrille absetzte, konnte Shinji erkennen, dass sie ihre üblichen, kleinen weißen Ohrringe zur Feier des Tages durch etwas größere, kreuzförmige ersetzt hatte. Die "Ahhh!"s und "Ooooh!"s aus dem Schulgebäude sprengten alle grenzen. "Das is ja mal 'ne geile Braut!" "Wer ist sie denn?" "Ikari's Vormund." "Was? Ikari wohnt mit dieser Schönheit zusammen?" Die Mädchen zeigten sich über die an die Fenster stürmenden Jungs alles andere als erfreut - Hikari betitelte sie alle als "Solche Idioten!" - mit ausnahme von Rei, die leise auf ihrem Platz saß und in die andere Richtung blickte, den Geschehnissen am Fenster offenbar keine besondere Bedeutung zumessend. Auch Mitsurugi zeigte sich recht unbeeindruckt - Anders als Rei blickte er zwar kurz zu den Fenstern hin und hörte kurz den Unterhaltungen der anderen zu, hielt es aber nicht für nötig, seinen Platz zu verlassen und beschäftigte sich wieder mit dem bunten Würfel-Puzzle in seinen Händen. Kensuke hingegen tat seine Begeisterung mit Worten und auch Taten kund, zu denen auch das heranzzomen an ihr Gesicht mit seiner Kamera gehörte - als sie den jungen 'Paparazzi' entdeckte, reagierte sie darauf nur mit einem extra-breiten Lächeln und einem V-Zeichen. Die Beiden Jungs erwiderten enthusiastisch die Fingergeste, während Shinji sie ohne großen Verständnis ansah. "Maan, Misato-san ist rechtig, richtig hübsch!" verkündete Kensuke. Touji stimmte ihm voll und ganz zu. "Und dann ist sie auch noch die Einsatzleiterin von NERV! Cool!" "...Na ja, ich weiß nicht..." Touji und Kensuke blickten den EVA-Piloten an, als habe er gesagt, Schokolade schmecke scheußlich. "Ach, Kensuke, findest du nicht auch, dass es ein großes Glück ist, das Shinji noch so ein Baby ist?" "Yap. Ein Nebenbuhler weniger." Shinji ließ sich von der Begeisterung nicht so richtig anstecken - Die zwei würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine ganz andere Meinung haben, wenn sie fast sieben Wochen lang ihren Müll hätten wegräumen müssen. "Aaah, ich wünschte nur, ich hätte eine Freundin wie sie!" schwärmte Touji weiter, einen Kuss in die Luft pustend. "...Du hättest ein schweres Leben..." meinte Shinji nur. Doch die Beiden schienen anscheinend alles besser zu wissen und guckten ihn schief an. "Du hast doch gar keine Ahnung. Hör zu, wie wär's wenn du dich weiterhin um die Rettung der Erde kümmerst, und wir kümmern uns dafür um Misato-san?" schlugen die beiden im Unison vor, bevor sie den "Pakt" mit einem herzhaften Klaps auf den Rücken ihres Kumpels besiegelten. Shinji kam sich vor, als sei er im falschen Film. Sie beide waren es doch, die hier keine Ahnung hatten. --- Während er sich in der Schule noch über die zwei geärgert hatte, spukten ihre Worte Shinji noch durch den Kopf, als er am nächmittag im Rahmen eines weiteren Tests wieder in Einheit Eins saß. Nicht der Teil über Misato - 'Die Rettung der Erde' hatten sie gesagt. Kensuke hatte ihn auch scherzhaft einen "Superhelden" genannt... Das war jetzt tatsächlich seine Aufgabe. Die Erinnerung an das unheimliche, weiße Wesen in der Geofront klebten noch frisch im hinteren Teil seines Schädels. Wenn ein Engel dieses Ding erreichte... war alles aus. So weit hatte er das verstanden, aber was war ein Engel überhaupt? Oder ein EVA. Sie wurden geschaffen, um die Erde zu retten, aber eigentlich wusste Shinji doch überhaupt nicht, in was für einem Ding er da drin saß. Er musste an diesen Anblick nach seinem ersten Kampf denken, die Spiegelung des Evangelions in der Außenfläche eines Gebäudes, dieses Auge, das ihn direkt fixiert zu haben schien... In einem simplen Roboter saß er hier ganz bestimmt nicht. Es war alles ganz merkwürdig. Im Laufe der zahlreichen Tests war ihm aufgefallen, dass es im inneren des Entryplugs immer einen verstörenden, an Blut erinnernden Geruch gab - Und trotzdem fühlte er sich nicht verstört... Was auch immer zurück floss, wenn er seine Gedanken in die Hülle des Evangelions strömen ließ und sich ihm öffnete, gab ihm das Gefühl, irgendwie sicher und geborgen zu sein, die Wärme hier war auch ganz angenehm, und auch nicht nur physikalischer Natur... All das sollte beunruhingend sein, war es aber aus irgendeinem Grund nicht. Am Schluss blieb einfach nur das verärgende Gefühl, überhaupt keine Ahnung von nichts zu haben. Die Sache mit dem zweiten Engel hatte man ihm erst jetzt erzählt, und es gab noch vieles, dass er nicht begriff. Nicht wirklich zufrieden stellte er fest, dass dies die Art von Welt war, in der er jetzt lebte - eine Welt der großen Distanzen, die er wenn überhaupt, nur langsam überwinden konnte. Eine Welt der Unsicherheit, Ungewissheit und der kleinen Schritte. Früher war einmal alles klar und einfach gewesen. Jetzt überschlugen sich die Ereignisse schneller, als er hinsehen konnte. Er war sich immer noch nicht sicher, ob sich in den lezten Wochen besonders viel zum Besseren verändert hatte, oder nicht. Und er wusste auch nicht, was er hier machte. Er stand still und leise am Rande einer Platform, die an den Wändes des Cages entlang nach unten führte, während sich Dr. Akagi, Misato, Ibuki und Hyuuga neben ihm über verschiedene Dinge unterhielten, die er nur hier und da teilweise verstand - Es begann mit den offenbar guten Ergebnissen des Tests (zumindest eine Sache, über die er sich keine Sorgen zu machen brauchte)und erreichte schließlich die Reparaturarbeiten nach dem letzten Kampf: "Was ist mit der Panzerung von Einheit Null?" erkundigte sich Dr. Akagi bei ihrer Assistentin. "Schwer beschädigt. Wir werden sie komplett ersetzten müssen, aber damit wäre unser Zusatzbudget schon beinahe erschöpft..." Dr. Akagi seufzte. "Hoffen wir mal, dass alles einfacher wird, sobald erst Einheit Zwei aus Deutschland hier ist." Doch Hyuuga machte sich da weniger große Hoffnungen: "Ich fürchte es wird eher schlimmer... Schon allein die Überreste der Toten Engel aufwischen zu lassen kostet immer wieder ein Vermögen..." "Immer gehts ums Geld. Also wirklich. Wenn man bedenkt, dass wir das Überleben der Menscheit sichern, ist es wirklich eine Schande, das wir nicht mehr Geld bekommen!" beklagte sich Misato. "Tja, da kann man wohl nichts machen." folgerte die falsche Blondine. "Einen EVA kann man nun mal nicht essen, und die Versorgung mit Lebensmitteln kostet nunmal ebenfalls Geld. Auch das sichert das Überleben der Menschheit." "Es geht also wieder ums Budget? Dann ist der Commander also wieder auf einer Konferenz?" erkundigte sich Ibuki. "Ja." bestätigte Dr. Akagi. "Er müsste schon im Flugzeig sitzen." "Von mir aus kann er sich Zeit lassen." meinte die junge Technikerin. "Es ist hier immer schön ruhig, wenn er nicht da ist." "Oh, und Misato?" "Ja?" "Denk daran, dass sie Veranstaltung Morgen wie geplant stattfinden wird." Shinji blieb einfach an seiner Stelle stehen, während die Plattform weiterfuhr. Sein Vater war also wieder irgendwo hingeflogen, ohne dass ihm irgendwie bescheid gesagt worden war. Das Third Child traute sich nicht wirklich, nachzufragen, weil ihm dieses Gespräch ja eigentlich nichts anging, doch es würde ihn nicht wundern, wenn der Leiter von NERV sogar im Ausland wäre - aber eigentlich hatte er keinen Grund, seinem Sohn bescheid zu sagen - Sie sprachen ja so oder so nie miteinander, Shinji bekam eigentlich nur zufällig über seine eigene Arbeit bei NERV hin und wieder irgendwas über das Leben seines Vaters mit. Anscheinend war dieser bei seinen Untergebenen nicht wirklich beliebt - Shinji hatte das Gefühl, irgendwas dagegen sagen zu müssen, aber er wusste nicht was. Falls sein Vater irgendwelche großen Tugenden besaß, hatte er sie jedenfalls noch nicht zu Gesicht bekommen - Sein eigener Vater war verreist, und Shinji wusste nicht, was er vermissen sollte. Er fragte sich, ob Ayanami ihn wohl vermisste... aber das würde wohl wieder eines dieser Dinge sein, über die er wohl vorerst nichts erfahren würde - Wie das Treffen mit diesem... diesem Wesen neulich, dass er bestmöglich aus seinen Gedanken zu verdrängen versuchte. Über diese Veranstaltung, zu der Misato Morgen anscheinend gehen würde, wusste er auch nichts. Wenigstens würde er Kensuke morgen die frohe Nachricht überbringen können, dass er bald einen neuen EVA zum filmen haben würde, wenn er das richtig verstanden hatte, EVA 02 - Er fragte sich, ob Rei den wohl steuern würde, jetzt wo EVA 00 wohl eine Weile in Reparatur bleiben würde. --- Commander Ikari blickte still in die Schwärze der nächtlichen Atmosphäre hinaus. Er saß mit verschränkten Armen an einem der Fenster eines Erste-Klasse-Flugzeugabteils, das eigens für ihn reserviert worden war. Als er das Geräusch der sich öffnenden Tür vernahm, machte er sich nicht die Mühe, seinen Blick von der Finsternis abzuwenden - er hatte seinen Informanten bereits erwartet. "...Entschuldigen Sie, ist dieser Platz noch frei?" Der Informant, ein Kräftig gebauter Chinese, nahm platz und kam gleich zur Sache: "Das Zusatzbudget für die Probensammlung ist ohne weiteres bewilligt worden" "Natürlich. Die würden niemals ihr eigenes Überleben aufs Spiel setzen." "Und ich habe noch mehr gute Nachrichten - Mit Ausnahme der vereinigten Staaten haben alle ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, haben alle ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates das Budget für Einheit 07 bewilligt - und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die USA ebenfalls zustimmen." Der Informant nippte an einem Flachmann, den er sich während seiner Erklärungen aus der Tasche gezogen hatte, und blickte zu Ikari hinüber. "Mit Ausreden wie Arbeitslosigkeit können die bald nicht mehr kommen." Der Commander wendete seinen Blick nicht von der Finsternis jenseits des Fensters ab. "Und was ist mit ihrem Land?" "Wir werden uns ab Einheit 10 am Bau beteiligen. Der Plan für die zweite Einrichtung steht noch - Das Problem ist nur, dass wir immer noch keinen Piloten gefunden haben." Nun, das würde kein Problem sein, aber das behielt Ikari lieber für sich - es gab da ganz andere Dinge, die ihn im Moment beunruhigten - unter anderem die Tatsache, dass zwischen sieben und neun noch eine weitere Zahl lag - Während der anderen fehlenden Zahl war er schon an gewisse Informationen gelangt, aber die nummer acht, dieses nur unwesentlich verdrehte Symbol der Unendlichkeit, hüllte sich in vollkommene Stille. "...Die Engel sind zurückgekehrt, und die EVAs sind die einzige Waffe, mit der man sie besiegen kann." "Sie haben ja recht. Niemand will, dass sich die Tragödie wie der Second Impact wiederholt..." --- Nachdem Shinji vor dem Schlafen gehen noch ein wenig an seinem Cello geübt und sich eigentlich ganz entspant gefühlt hatte, hätte er nicht geglaubt, dass er wieder diesen Traum haben würde. Nicht zwei Nächte in Folge. Und doch, hier war er. An einem Strand in einer zerstörten Welt, unter einem blutbekleckerten Himmel. Das Rauschen der Wellen wollte und wollte ihn einfach nicht in ruhe lassen, unter gar keinen Umständen. Warum? Warum schon wieder? Warum überhaupt? Dieser Traum hielt sich immer noch sehr, sehr hartnäckig, obwohl er gehofft hatte, dass er letztes Mal die "Lösung" gefunden hatte, als endlich etwas erfreuliches passiert war... Er wollte das hier nicht mehr, es kam ihm schwachsinnig vor, wie eine Warnung, die ihm immer und immer wieder vorgehalten wurde. Shinji wollte seine Augen endlich öffnen und es zuende bringen, aber er zögerte. In Gedanken flehte er die Macht, die über diesen Ort gebot an, dass es nicht die erste oder gar die zweite Version des Traumes sein würde - Er fühlte wieder, wie all diese schreckliche Empfindungen, von denen er nicht wusste, woher sie kamen, begannen, ihn auszufüllen - Die Schuldgefühle, der Ekel und die Einsamkeit, stärker und intensiver als er sie je gekannt hatte, scheußliche Gefühle, die ihn einfach zu zerreißen drohten. Er wusste nicht einmal, woher der Schmerz kam, er konnte ihn nicht einmal verdrängen oder davor weglaufen, davon, etwas dagegen zu tun, mal ganz zu schweigen. Er hoffte nur, dass das er heute die Version des Traumes erwischt hatte, in der jemand bei ihm war. Shinji wollte... jemanden bei sich haben. Nicht unbedingt Misato - es fiel ihm im Moment schwer, noch solche Gedanken über sie zu haben - er war noch immer über die Sache mit der Hausarbeit verärgert, und ihr Kommentar, dass er 'Teil ihrer Arbeit' war, schlang sich wie eine Dornenranke um sein Herz. Er wollte lieber jemanden der... einfach nur angenehm war und weise, aber nichts von ihm verlangte und ihn einfach annahm, und ihm doch noch eine gewisse Distanz ließ, jemand geheimnisvolles und überirdisches... Jetzt begann er, zu träumen. Als ob er soetwas verdienen würde... Shinji öffnete seine Augen. Da war sie wieder - Ayanami Rei, auf unmögliche Art nahe der Stelle, wo das Meer das Land berührte, auf der Wasseroberfläche stehend, wie eine Fata Morgana, die sich bewundern und begehren, aber nicht erreichen und anfassen ließ. Davon, sie an seiner Seite zu haben... konnte er nicht einmal träumen. Ihr Abbild verschwand vor seinen weit aufgerissenen Augen. Shinji starrte einfach weiter. Das heißt, bis ihm dieses unscharfe Objekt am unteren Rande seines Blickfeldes auffiel, worauf er es rasch fokusierte und als weiblichen Körpers erkannte. Das Third Child hätte nicht sagen können, warum er von einer aufsteigenden, warmen Regung bewegt zu schluchzen und zu beben begann, nachdem er sich aufgesetzt hatte, um sie näher zu betrachten - Er hatte dieses Mädchen im Leben noch nicht gesehen. Es war jedenfalls nicht Misato - Die Fremde vor seinen Augen war viel jünger, geringfügig älter als er selbst, aber nicht wesentlich viel mehr; Trotzdem hätte sie ihn wohl überragt, wenn sie sich hingestellt hätte - Und auch ansonsten sah das Mädchen für ihr Alter schon recht 'entwickelt' aus - sie war zwar eigentlich recht schlank und hätte wohl etwas schlacksig ausgesehen, wenn da nicht ihre weiten, weiblichen Hüften gewesen wären, und der ausgeprägte Hintern dahinter - Shinji konnte diesen so, wie sie dalag nicht sehen, und es machte ihn ziemlich nervös, dass er irgendwie davon zu wissen schien. Ihre Brüste waren jedenfalls kaum zu übersehen, sie waren... wirklich groß, und ihre Kleidung tat nicht viel daran, sie zu verstecken - Moment einmal, diese Kleidung, war das ein... Plugsuit? Es sah danach aus - Sie trug ein eng-anliegendes, größtenteils dunkelgrünes Kleidungstück aus einem gummiähnlichen Material, dass auch einige blassrote und weiße Elemente aufwies, und ihre ausgeprägten sekundären Geschlechtsmerkmale keinesfalls verbarg. Verdammt, man konnte selst die Umrisse des Venushügels erkennen - er nahm noch kurz die Zahl '05' auf ihrem Anzug zur Kenntnis und bewegte seinen Blick rasch zu ihrem Gesicht. Er konnte sich wirklich nicht entsinnen, sie schon einmal irgendwo gesehen zu haben - Es wollte in seinem Kopf beim Anblick ihrer Gesichtszüge einfach nicht 'klick' machen - Sie hatten jedoch schon etwas eigenartiges an sich - nein, nicht eigenartig, ausländisch. So weit Shinji das beurteilen konnte, sah sie ein bisschen europäisch aus - Obwohl er zugeben musste, noch nie besonders weit von dem kleinen Dorf weg gewesen zu sein, in dem sein alter Lehrer lebte. Das fremde Mädchen hatte längere, braune Haare - es war ein mittleres braun, wenn auch deutlich heller als das seiner eigenen. Die Haare flossen offen über dem Boden und das kam ihm falsch vor, als müsste sie eine... andere Frisur haben. Verwunderlich wäre es nicht, das blaue Haarband, dass sie trug, schien etwas verrutscht zu sein - daran fanden sich ein paar weiße Ornamente, die ihn an ein Interface-Headset erinnerten - Eine EVA-Pilotin? Das würde den Plugsuit erklären aber... außer ihm und Rei gab es seines Wissens nach doch niemanden mehr... So oder so, nachdem seine anfängliche Verwirrung sich verflüchtigt hatte, war es sein ersten impuls, sich zu vergewissern, ob die Fremde denn in Ordnung war- doch er war nicht ganz Herr über seine eigenen Handlungen; Er verspürte Dinge, die er sich nicht erklären konnte, ihn aber dennmoch beeinflussten; Vorsichtig, fast schon zärtlich hob er den Oberkörper des fremden Mädchens auf und schloss sie sorgfältig in seine Arme. Natürlich. Er war klar, dass sie hier sein würde. Sie war immer so stark gewesen, hatte das Leben so genossen - und er hatte es ihr weggenommen, alles, was sie getan hatte, all ihre Willenskraft und Entschlossenheit umsonst sein lassen, hatte das hier all ihren Ratschlägen zum trotz gemacht. Ihm war klar, warum sie zurückgekommen war, aber warum in aller Welt war sie bei ihm? Sie musste doch fürchterlich enttäuscht sein... Sie müsste... ihn hassen. Er fürchtete sich vor dem Moment, an dem sie erwachen würde, aber die Angst, die mit jedem Moment, den sie sich nicht regte, stärker wurde, gewann schnell die Oberhand - Er rief ihren Namen, eine kurze kombination von Lauten, die über seine Lippen flossen, ohne dass er darüber nachdenken musste, und die ihm doch entglitten sein würde, sobald ihn die Strahlen der Sonne in die Welt der Lebenden zurück holen würden. Und tatsächlich. Sie lebte, sie bewegte sich, öffnete ihre Augen einen spaltbreit - Ein helles blaugrün, wie er es noch nie gesehen hatte. Sie hob ihre Hand, zuanfangs etwas zaghaft, weil wohl noch etwas benommen, und streckte sie in die Höhe - einen Moment lang fürchtete Shinji, dass sie ihm eine klatschen oder ihn sonstwie berühren würde, worauf sich alles an ihm vor aufregung versteifte; Doch letztenendes tatschte sich das fremde Mädchen nur selber ins Gesicht. "...Wo ist meine Brille?" Das war jetzt... antiklimatisch. Shinji wusste nicht so recht, was er sagen sollte - Irgend ein Teil von ihm wunderte sich, wieso ihn bei diesem Mädchen überhaupt noch überraschte und setzte ein zufriedenes Lächeln auf seine Lippen - Sie war in Ordnung - Der Rest seines Verstandes fragte sich gleichsam, wieso er das Gefühl hatte, dieses Mädchen zu kennen. Die Fremde selbst sah ihn durch die Spalte zwischen ihren Fingern hindurch an und verengte ihre anscheinend mit Kurzsichtigkeit verfluchten Augen etwas, um ihn zumindest ansatzweise erkennen zu können. "Hey, du." begann sie völlig ruhig, weder der apokalypitschen Landschaft, noch der Positionen in denen sie sich befanden, besondere Beachtung schenkend. "Nerv-Hündchen? Bist du das?" Shinji blinzelte sie verdutzt an. Hatte sie gerade... Hündchen gesagt? Die eigenartige Fremde beantwortete sich ihre Frage selbst, in dem sie ihren Kopf drehte und kurz an seinem Hemd schnüffelte. Mergwürdiger weise verstörte ihn das nicht so sehr, wie es das sollte, sondern erfreute ihn eher mit Freude. "Yap. Du bist es! Inklusive deines netten LCL-Parfums!" Sie grinste. "Also, Hündchen-kun, hast du hier irgendwo meine Brille gesehen?" "Uh... nein... Tut mir leid." Das Mädchen seuftze und löste sich aus seinen Armen, um sich aufzusetzten. Sie setzte sich ihm gegenüber, leicht missmuting aussehend. "Mist... Aber was solls." Ihr Gesichtausdruck wandelte sich zu einem warmen, fast schon überirdischem Lächeln. "Immerhin leben wir alle noch... Und das verdanken wir nur dir." "Aber ich... ich habe..." "Schon okay. Es ist schon in Ordnung... Wie soll man denn entscheiden ob etwas gut ist oder nicht, wenn man es nicht ausprobiert, hm?" Sie kicherte etwas. "Ich hab keinen Moment daran gezweifelt, dass du die richtige Entscheidung treffen würdest." "Ich... das ist... das... " Shinji wich ihrem Blick aus. Er glaubte nicht, dass er ihr Vertrauen verdient hatte. "Da… da hast du eine zu hohe Meinung von mir,..." Er sagte wieder ihren Namen. Doch die Fremde war sich ihrer Sache sicher. „Das glaube ich nicht.“ „Warum nicht?“ verlangte Shinji fast schon ein wenig herausfordernd zu wissen. Die Fremde kicherte nur. "Weißt du, manchmal finde ich es wirklich niedlich, wenn du so begriffsstutzig bist, NERV-Hündchen. Weißt du was? Sparen wir uns das Geschwafel. Das ist weil…“ Und ehe Shinji sich versah, hatte sie sich schon nach vorne gelehnt und ihm ein Küsschen auf die Wange gepflanzt. Er blickte immer noch konsterniert vor sich hin, als sie sich wieder auf die Beide gestellt hatte. „Los!“ rief sie, ihm mit einem zuversichtlichen Lächeln die Hand reichend. „Lass uns die anderen suchen gehen. Alle warten sicher schon auf uns.“ Shinji hob seine Hand etwas an, zögerte dann aber etwas. Alle warteten schon auf ihn. Mit einem erfüllten Lächeln ergriff er ihre Hand und lief mit ihr gemeinsam die Küste entlang, während sich die Sonne, von der er geglaubt hatte, dass er ihr nie wieder begegnen würde, von ein paar rötlichen Lichtstrahlen am Horizont ihre Ankunft ankündigen lassen würde. Shinji fühlte sich sich, als stünde er an der Spitze der Welt und fragte sich wieder, womit in aller Welt er sich das hier nur verdient haben konnte - Auch wenn den Worten diesesmal ein bedeutend anderer Sinn innewohnte. --- 08: [Fleisch vs Stahl] --- Nobody knows who I really am Maybe they just don't give a damn But if I ever need someone to come along I know you will follow me And keep me strong [...] And everytime I see your face The oceans heave up to my heart You make me wanna strain at the oars And soon, I will see the shore I want you to know who I really am I never thought I'd feel this way towards you And If you ever need someone to come along I will follow you And keep you strong -Rie Fu, 'Life is Like a Boat' --- Am nächsten Morgen folgten dem Traum wie üblich die Deja Vus, und irgendwie auch das seltsame Gefühl, irgendwas wichtiges vergessen zu haben, fast, als hätte er noch einen Topf auf dem Herd oder noch ein eingestecktes Bügeleisen - Mit solchen Gegenständen hatte er seid seinem Einzug bei Misato mehr zu tun gehabt, als ihm lieb war, obwohl er solche Missgeschicke bis jetzt vermieden hatte, weil er viel zu viel Angst davor hatte, das Haus abzufackeln, sodass er alles auf höchst penible Weise doppelt und dreifach überprüfte - Warscheinlich kam das ziemlich armselig rüber. Irgendwie seltsam waren diese ständigen Empfindungen schon, aber irgendwie machte ihm das ganze viel weniger Sorgen, seid diese Träume begonnen hatte, wesentlich angenehmer zu sein. Shinji beschloss, die Déjà Vus einfach zu ignorieren, und sich die frische Schuluniform, die er sich gestern noch bereit gelegt hatte, endlich überzustreifen. Wieder hatte er den Eindruck, dass hier im Haus irgendwie eine Mädchenstimme fehlte... Es war aber nicht die des seltsamen Mädchens aus seinem Traum - Oder? Vor seinem Erwachen, nur wenige Minuten zuvor, hatte er noch ihren Namen gewusst und ihre Persönlichkeit einschätzen können - jetzt war alles wie weggeblasen. Selbst ihr Gesicht sah in seinen Erinnerungen verwaschen aus. Was solls. Er konnte es nicht ändern. Sich ein wenig streckend verließ Shinji sein Zimmer und lief in Richtung Küche - Im Vorbeigehen hatte er einen Moment lang den Eindruck, an der Tür zum leerstehenden Raum des Appartments ein Namensschild gesehen zu haben - Er schob es auf den komischen Traum, dessen Nachwirkungen schnell verflogen, sobald er in der Küche die Fensterläden geöffnet uns seine Haut mit den warmen Strahlen der Sonne in Kontakt gebracht hatte. Die strahlte heute recht hell, und auch die Vögel hörte man Zwitschern - Es schien, als sei das Universum ihm gegenüber ausnahsweise milde gestimmt - oder hatte ihn einfach vergessen. Und apropos Vogel - Der ansäßige Pinguin war ebenfalls auf den Beinen und deutete auch gleich mit einem seiner flossenähnlichen Flügel auf seine Futterschüssel. Shinji seufzte. Wie die Besitzerin, so das Haustier. "Ich komme ja schan, ich komme ja schon..." Nachdem PenPen mit Fischen versorgt war, und der Toaster die ihm anvertrauten Brostscheiben im gleichmäßig gebräunten Zustand wieder ausgespuckt hatte, begannen die Beiden zufrieden damit, ihr Frühstück zu verspeisen - Für Misato hatte er auch schon mal eine Bierdose auf den Tisch gestellt, auch wenn er wusste, dass er die wohl erst in einer ganzen Weile geöffnet werden würde... Er begann schon, sich mental auf eine halbnackte Misato vorbereiten,(soweit das überhaupt möglich war), als sich die Küchentür überrschend früh öffnete. Sowohl Pilot und Pinguin erfuhren eine exponentielle Vergrößerung ihrer Glubschorgane - letzter ließ sogar einen Fisch aus seinem Schnabel fallen, um ein verdutztes "Waak?!" von sich zu geben. Vor ihnen stand das unmögliche - Misato. Korrekt angezogen. Am frühen Morgen. Und mit 'korrekt angezogen' war nicht ihre rasch übergestreifte Jacke über ein paar sündhaft knappen Fetzen gemeint - Ihr Körper war allen geltenden Naturgesetzten zum trotz fast komplett mit Stoff bedeckt, genauer gesagt von einem hochgeschlossenen, eleganzen schwarzen Kleid mit Seiteneinschnitten unterhalb der Hüfte und einem dazu passenden, langärmeligen Bolero. Das Outfit hatte fast schon etwas militärisches an sich, wozu ihre untypisch aufrechte Pose noch wesentlich beitrug - ansosten kam sie morgens trotz ihres Dienstrangs eher wie eine Art schlechtgelaunter Höhlenmensch daher. Genau wie ihre Haltung betonte auch das Kleid ihre ansehlichen Hüften. "Guten Morgen." sagte sie ohne das winzigste Fitzelchen Hyperaktivität, mit einer Ernsthaftigkeit, die sie selbst im NERV-Hauptquartier nur zu besonderen Anlässen an den Tag legte. Shinji blinzelte mehrmals um sicherzugehen, dass er sich da nichts eingebildet hatte. Aber nein, sie stand immer noch da. "G-guten Morgen." stammelte er, zu perplex um auch nur seine Toastscheibe bei seite zu legen. Sie hatte sogar Damenschuhe an. Mit hohen Absätzen. "Ich muss heute beruflich nach Alt-Tokyo." erklärte sie mit fast schon unheimlicher Sachlichkeit. "Sei bitte so gut und lass dir was zu essen kommen, in Ordnung?" "O-Okay..." Und weg war sie. Noch immer den Toast in der Hand haltend blickte Shinji wie bestellt und nicht abgeholt auf die Tür. --- "Und dann sagte ich - mit einer Zitrone natürlich!" Kaum, das Touji diesen ausgesprochen hatte, begann er, über seinen Witz zu lachen - und auch Kensuke schien ihn ganz amüsant zu finden - Dies zog die Aufmerksamkeit der Beiden - natürlich, nachdem sie mit dem Lachen fertig waren - auf das dritte Mitglied ihrer kleinen Gruppe, das während ihrer kleinen Konversation über Zitrusfrüchte, Militärschiffe, den Sinn des Lebens und der tiefgründigen Verbindung zwischen alledem ungewöhnlich still gewesen war. "Hey, Shinji!" Der nachdenkliche EVA-Pilot blickte aufgenblicklich in die Richtung seines wieder mal die Kleiderordnung der Schule missachtenden Freundes, wie ein kleines Kind, das fürchtete, dass seine Mami die Scherben der jüngst zerdepperten Wase unter dem Terpich gefunden hatte. "W... Was ist?" "Tja, genau das frag ich mich auch. Du machst einen etwas abwesenden Eindruck. Ist etwas besonderes passiert?" "N-Nicht wirklich... Es ist nur, das Misato-san sich heute morgen besonders zurecht gemacht und ein ziemlich edel aussehendes Kleid angezogen hat..." "Was, ein Kleid? Was für ein Kleid?" riefen die Zwei im Chor, die Zitronen von vorhin ziemlich schnell aus ihrem Verstand entfernend, um platz für interessantere Dinge zu machen. Shinji unterdrückte ein seufzen, weil er nicht undankbar erscheinen wollte. Die Beiden dachten wohl, das Misato sich jeden Tag so etwas anzog - tatsächlich war sie ihm fast schon wie ein anderer Mensch vorgekommen... "Ein... schwarzes..." antwortete er dann zögerlich auf die Frage seiner Freunde. Ihre Reaktion machte deutlich, dass sie es sich sogleich bildlich vorgestellt und dabei etwas im Vergleich zur Realität wesentlich Freizügigeres vorgestellt hatten. "Hach du Glückspilz! Da würd' ich ehrlichgesagt auch so vor mich hin träumen!" schwärmte Touji. "Oh ja!" stimmte Kensuke zu. "Einer Dame in schwarz kann man sich kaum entziehen... Oh, und Shinji... Wenn sie bei NERV die Einsatzabteilung leitet, dann hat sie doch sicher auch einen Militärrang, oder?" "Sie... ist ein Captain, denke ich." "COOL!" riefen die beidem im Chor. Shinji konnte sich von der ganzen Begeisterung nicht so ganz anstecken lassen. "Und was ist eigentlich mit dir? Hast du auch irgendeinen Rang? Ne Uniform scheinst du ja zu haben..." wollte Kensuke wissen. "...Warum sollte ich denn einen Militärrang haben? Und ein Uniform ist das auch nicht wirklich... Das hilft einem bei der Steuerung..." "Es ist trotzdem Cool!" "Du würdest es sicher nicht mehr so cool finden, wenn du eins anziehen müstest. In den Dingern kommt man sich immer halb nackt vor... und ich hab da noch glück gehabt. Ihr müsstest mal sehen, in was die Ayanamu da rein gesteckt haben..." "Wahnsinn." meinte Touji. "Zuhause sieht du ein Wunderweib wie Misato in schwarzen Kleidchen herumlaufen, und bei der Arbeit steht schon die nächste scharfe Braut für dich zum angaffen bereit. Dein Leben hätt' ich gern." Shinji bemühte sich, den Rotschimmer auf seinen Wangen zu unterdrücken. "So... So ist das gar nicht..." "Ja klaaaaar." Kensuke's Stimmlage machte klar, dass er ihm das nicht im geringsten abkaufte. "Aber irgendeinen Titel oder so hast du doch? Das hast du doch neulich mal erwähnt, nicht?" "Das... das ist richtig. Die nennen mich das 'Third Child'." "COOL! Und Ayanami?" "...Sie ist das First Child." "Komische Bezeichnung für Kampfroboterpiloten..." meinte Touji. "Wen kümmert's? Es ist englisch und es klingt total cool!" Shinji hatte auch schon über seine Designation nachgedacht, aber von allen seltsamen Dingen die er hier erlebt hatte, stand diese wohl sicher nicht an der Spitze seiner Prioritätenliste... Wundern tat ihn langsam gar nichts mehr, vor allem, da die Evangelions keine wirklichen Roboter zu sein schienen - aber das durfte er den Zweien wahrscheinlich nicht sagen - und selbst wenn, würde das Kensuke wohl nur dazu ermuntern, sich einen Kampf zwischen einem EVA und einem echten Roboter vorzustellen, und ihnen diesen als Ein-Mann-Theaterstück vorzutragen. "Irgenwie ist das aber wirklich merkwürdig..." setzte Kensuke dann aber hinzu, nachdem seine ausführlichen Bekundungen der Coolness zu einem Ende gekommen waren. "Uhm... wieso?" "Tja..." begann Touji, dem ebenfalls etwas aufgefallen zu sein schien. "Ich schätze, dass es dir niemand verübeln kann, wenn du bei der ganzen Weltretterei nicht dazu kommst, deine Englischvokabeln zu pauken, aber da fehlt 'ne Nummer." "Das stimmt." bestätigte Kensuke, drei finger einer Hand zeigend und am mittleren mit der anderen Hand herumspielend. "Was ist mit dem Second Child passiert?" "Darüber habe ich auch schon nachgedacht..." gab Shinji zu. "Und?" "Das... das wars auch, ich hab nachgedacht, viel mehr aber auch nicht... ich hab jendenfalls noch nie von einem Second Child gehört..." Ihm wurde ohnehin nie etwas gesagt. "A-Aber auf jeden Fall bekommen wir bald einen neuen EVA..." "Was, wirklich?!" Kensuke hatte wie auf Knopfdruck Sternchen in den Augen. "Cool! Ich kann's kaum erwarten, ihn in aktion zu Filmen - Wer wird ihn denn steuern? Meinst du, ich hab 'ne Chance?" "Warum fragst du micht? Ich weiß ja nicht mal, wieso sie mich ausgesucht haben... Aber warscheinlich wird das wohl Ayanami machen. Schließlich ist ihr EVA gerade in Reparatur..." "Oder unser mysteriöses Second Child." "Oder das mysteriöse Second Child. Aber, um jetzt mal auf die Zitronen zurück zu kommen... - Ikari? Wo guckst du jetzt schon wieder hin?" "N-Nirgends!" versicherte Shinji, seinen Blick von Mitsurugi abwendend, dessen Vater ihm auf der anderen Straßenseite eifrig hinterherwinkte. "Wie... Wie war das noch mal mit den Limetten?" "Zitronen, Shinji, Zitronen." --- Während Shinji sich auf dem Weg in die Schule befand, war auch Misato noch zu ihrem aktuellen Reiseziel unterwegs - Mit einem kleinen Flieger. Gemeinsam mit Dr. Akagi saß sie in dessen hinteren Sitzabteil und langweilte sich. Jenseits der Fenster sah man haufenweise verlassene Hochhäuser, von denen nicht alle noch gerade standen. Ein trostloser Anblick. "Kaum zu glauben, dass dass hier mal eine blühende Metropole war... Jetzt ist es nur noch ein Testgelände." kommentierte Misato, die offenbar lieber ganz wo anders wäre - nicht nur wegen des 'einladenden' Ausblicks. Dr. Akagi informierte ihre Freundin recht gelassen, dass sie angekommen waren - Was Misato nicht davon abhielt, sich weiter zu beklagen: "Warum müssen die das ausgerechnet hier veranstalten... Ach ja, mischt die SSDF bei diesem Projekt eigentlich auch mit?" "Die japanischen Streitkräfte? Nein, denen wurde befohlen, sich rauszuhalten." Misato verdrehte die Augen. "Toll." ließ sie sarkastisch verlauten. "Dann können die ja tun und lassen, was sie wollen!" Sie hatte von Minute zu Minute weniger Bock auf das, was vor ihr lag - vor allem jetzt, wo ihr Flieger dabei war, zwischen zahlosen anderen zu landen. Auf der Veranstaltung setzte sich Misato demostrativ an den einzigen nicht mit fettigen Speisen und billigen Werbegeschenken vollgestellten Tisch, worauf Dr. Akagi es ihr gleich tat - Der Rest der Versammlung war um ihren Tisch herum versammelt. Darauf, sich und natürlich auch ihrer Freundin ein paar Getränke zu holen, hatte sie jedoch nicht verzichtet. Misato wusste nicht, wass sie hier eigentlich wollte - es war doch sowieso klar, dass der schwachsinnige Spielzeugroboter, den die hier zusammen geschraubt hatten, nie zu irgendetwas gut sein würde - 'Jet Alone' hieß es auf den in der Kongresshalle ausgehängten Bannern - Das sollte wohl auf die rein anorganischen Materialen anspielen, aus denen das Ding gebaut wurde - Wenn es nach Misato ginge, hätte man das Ding doch lieber gleich nach den Motivationen benennen sollen, denen es seine Existenz verdankte - Geld Alone. Sie hoffte nur, dass das hier bald anfanden würde - damit es schnell wieder zu ende sein würde. Dr. Akagi, die in einer mit einer simplen Schleife verzierten Bluse in einem einfachen Blau und einem ziemlich freizüging geschnittenen Rock in einer passenden Farbe erschienen war, schien sich hingegen schon in Gedanken zu recht zu legen, was sie dem PR-Fuzzy an den Kopf werfen würde, wenn er erst einmal da war - und da war er auch, charmant (will heißen: Schleimig), gutaussehend und mit einem Anzug, der mehr gekostet haben musste, als so mancher im Monat verdiente. Und erst die Stimme - wie lange musste der Kerl wohl üben, um derartig penetrant zu klingen? "Wir vom Verband der japanischen Schwerindustrie danken Ihnen sehr dafür, dass Sie heute so zahlreich erschienen sind! Bevor ich Sie nun ins Kontrollzentrum begleiten werde, wo die eigentlich Präsentation stattfinden soll, möchte ich gerne noch wissen, ob noch irgendjemand Fragen hat?" Kaum, dass er zu Ende gesprochen hatte, flog schon gleich die erste Hand in die Luft - Eine Hand, die nur darauf gewartet hatte. Natürlich wusste der PR-Typ sofort, mit wem er es zu tun hatte: "Die berühmte Wissenschaftlerin Dr. Ritsuko Akagi! Ihre Anwesenheit ehrt uns sehr." "Darf ich dann jetzt endlich meine Fragen stellen?" Der PR-Fuzzy zeigte sein bestes einstudiertes Situations-Auflockerungs-Lachen. "Na selbstverständlich!" Dr. Akagi ließ sich davon nicht beirren und kam gleich zur Sache: "Stimmt es, dass ihr Produkt mit einem internen Atomreaktor ausgestattet ist." "Ja! Das ist ja gerade der große Vorteil! Jet Alone kann dadurch über 150 Tage ununterbrochen im Einsatz sein!" berichtete er offensichtlich sehr überzeugt von seinem mit mehreren Mikrofonen gespickten Rednerpult aus. Die falsche Blondine holte gleich zum Gegenschlag aus: "Aber halten sie es aus Sicherheitsaspekten nicht für problematisch, einen Atomreaktor in ein landgestütztes Waffensystem einzubauen, dass für den Nahmkampf gedacht ist?" "Das ist immerhin besser als ein Roboter, bei dem nach fünf Minuten die Baterie leer ist." stichelte er, ohne auch nur im geringsten verlegen zu werden oder sein Plastiklächeln für einen noch so kleinen Sekundenbruchteil abzusetzten. "Ihrer ist ferngesteuert. Nicht auszudenken, was geschen könnte, wenn die Funkverbindung in einer Krisensituation abreißt." Doch der Vertreter war vorbereitet: "Eine Fernsteuerung zu benutzen ist immerhin weitaus humaner als ein System, das seinen Piloten unzumutbaren psychischen Belastungen aussetzt." Misato nuckelte die ganze Diskussion über desinteressiert an ihrem Strohhalm herum. "...Wie die Kleinkinder." Währendessen ging die Diskussion ohne unterlass weiter, wobei es dem PR-Fuzzy deutlich besser gelang, professionell zu klingen. "Eine Fernsteuerung kann, wie gesagt, ausfallen." "Immer noch besser, als wenn wieder eines ihrer Metallmoster mitten in der Stadt Amok läuft." Der Mann im Anzug zog aalglatt eine 'Top Secret'-Akte hervor. Und er war immernoch nicht fertig, nein, jetzt versuchte er auch noch auf witzig und sympathisch zu machen: "Eine Waffe, die außer Kontrolle gerät, ist ein wahres Desaster - Das ist wie bei einer hysterischen Frau, da würde man sich auch am liebsten eine Fernsteuerung wünschen, um sie abzuschlaten." Jetzt begannen die Leute, zu klatschen und zu lachen. Spätestens jetzt war es bei Dr. Akagi mit der souveränen Professionalität vorbei: "Unser technisches Team und unsere Piloten haben die Evangelions bestens im Griff, danke sehr!" "Wirklich?" Der PR-Mann zeigte nicht die geringste Abweichung von seinem bisherigen, selbstgefälligen Imponiergehabe. "Glauben sie wirklich, dass der menschliche Verstand in der Lage ist, die bestie, die zweifellos in jedem EVA steckt, zu zähmen? Sind Sie sich sicher?" Jetzt kam der auch noch mit einer Moralpredigt! Die Gesichtszüge der Wissenschaftlerin waren nur unwesentlich davon entfernt, entgültig zu entgleisen: "Ja. Vollkommen." Gerade, als sie dachte, ihm ein Schnippchen geschlagen zu haben, holte der PR-Fuzzy endgültig zum Gnadenstoß aus: "Da haben's wir's ja! Gerade weil sie sich auf etwas so nachgewiesenermaßen unzuverlässigen wie den menschlichen Verstand verlassen, passieren bei NERV immer wieder gefährliche, und vor allem kostspielige Unfälle - Gerade musste die UN wieder ein gigantisches Zusatzbudget bewilligen, für das man 20000 Menschen vor dem Hungertod retten können hätte! Und wenn man nach dem Grund fragt, dann heißt es 'Die Untersuchungen laufen noch'! Es wird Zeit, dass Sie endlich mal Verantwortung übernehmen! Sie können von Glück sagen, dass Ihre Organisation über dem Gesetz zu stehen scheint!" Doch so leicht gab sich Dr. Akagi nicht zufrieden - Eine Trumpfkarte hatte sie noch. Sie wollte dass hier eigentlich nicht erwähnen, aber spätestens seid dem Frauenwitz war das hier was persönliches: "Fakt ist, dass nur NERV eine Waffe hat, mit der man den Feind besiegen kann!" Doch dieser Großkotz schien nur darauf gewartet zu haben: "Das AT-Feld meinen Sie? Keine Sorge. Wir werden sicher bald etwas ähnliches entwickeln. Die Zeit von NERV ist bald abgelaufen." Währen Dr. Akagi's Augenbraue immer unkontrollierter zu zucken begann, begann die Menge um sie herum zu klatschen und zu tosen. Einzig und allein Misato schien völlig desinteressiert - etwa so lange, bis sie in der Garderobe waren. "DIESER ARROGANTE, CHAUVINISTISCHE GROßKOTZ! ARGUMENTIERT MIT DEM HUNGER IN DER WELT! DIESE GROßKAPITALISTEN WOLLEN SICH BLOß SELBST EIN STÜCK VOM KUCHEN ABSCHNEIDEN! WENN ICH NUR DIE VISAGE VON SOLCHEN TYPEN SEHE, MÖCHTE ICH AM LIEBTEN REIN TRETEN! ZACK! ZACK! UND ZACK!" Nachdem sie das Prospekt nach allen Regeln der Kunst zerknüllt und gemeinsam mit ihrem und Dr. Akagis Datenstick mit Zusatzinformationen zu den leeren Pappbechern befördert hatte, war Misato dazu übergegangen, ihren Ärger an einem praktisch in der Gegend herum stehenden Garderobenschrank auszulassen, in dem sie ihn anstatt des Gesichts des PR-Mannes mit ihren Füßen bearbeitete. Es war wohl kaum nötig zu sagen, dass der traktierte Schrank mittlerweile eine gewaltige Delle aufwies. "Er ist nur ein kleinlicher Angeber, der um Anerkennung bettelt. Sich über ihn aufzuregen wertet ihn nur auf." meinte Dr. Akagi in einem wieder erstaunlich ruhigen, wenn auch bösartigen Tonfall, während sie das Jet-Alone prospekt an einen Gasbrenner verfütterte. Misato ließ kurz von dem Schrank ab, um sich zu ihrer Freundin zu drehen. "Aber wie kommt es, das er über unser AT-Feld bescheid wusste?" klagte sie immernoch verärgert. "Es kann immer passieren, dass was durchsickert." "Trotzdem! Was treiben die von der Sicherheitsabteilung eigentlich?!" --- Nun, die Aufenthaltsorte und Beschäftigungen der gesamten Abteilung aufzuzählen, würde jetzt wohl zu weit führen, aber Asahina Najiko saß gerade mit Handschuhen an den Händen an einem verlassenen kleinen Computerterminal irgendwo in einem der Türme des Messegebäudes, und drückte die "DELETE"-Taste. Sobald sie mit ihrer Arbeit fertig war, entfernte sie die CD, die von Dr. Akagi bekommen hatte, aus dem Laufwerk - es war deshalb eine CD statt eines altmodischen Datensticks, damit man sie nach der Benutzung in tausend Stücke zertreten und aus einem der höher gelegenen Fenster werfen konnte, sobald sie ihren Zweck erfüllt hatte. Asahina sah den glitzernden Splittern ausdruckslos nach, sobald sie aus ihren Fingern geglitten waren um sich dem restlichen Schutt und dem Staub auf dem Grund der zerstörten Hauptstadt anzuschließen. --- Schließlich begann der Test des Jet Alone. Die Geschäftsleute blickten in einer langen Reihe mit ihrem Werbegeschenks-Ferngläsern aus dem Fenster, während Ritsuko und Misato skeptisch an der Wand lehnten. Erstere hatte ein eigenartiges, kühles Lächeln auf dem Gesicht, während die Männer im Kontrollzentrum angeführt vom Großkotz von vorhin die Maschine hochfuhren. Die Signalstäbe wurden ausgefahren, dieses und jenes aktiviert, das übliche eben wenn man all zu komplexe Dinge präzise fernsteuern wollte. Jetzt machten sie einen großen Wirbel darum, das sie das Laufprogramm und das rechte Bein aktivieren würden - 'Vorwärtslaufen, langsam'. Dieser Haufen würden wohl ziemlich chaotisch und desorganisiert aussehen, wenn sie es mit einem schnellen, intelligenten Engel zu tun bekämen. Misato konnte es nicht fassen, dass diese wandelde Atombombe auch noch Beifall dafür bekam, gerade mal so in der Lage zu sein, einen Fuß nach vorne zu setzten, ohne gleich umzukippen. Der Typ in dem Anzug schien es seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen ja selbst nicht glauben zu können, dass das Ding funktionierte. "Wow..." kommentierte Misato herablassend, nachdem sie sich doch noch irgendwo ein Fernglas besorgt hatte. "Der Blecheimer kann laufen. Da dürfen die Jungs aber mächtig stolz auf sich sein." Sie warf einen Blick zu ihrer Freundin, in der Hoffnung, dass diese sich an ihrem Spott beteiligen würde, doch die Wissenschaftlerin wirkte ernst. Misato hätte natürlich nicht wissen können, dass sie auf etwas wartete... Und da kam es auch schon. Es begann mit einem kleinen Fehlermeldungspiepton. "Was ist los?" "Irgendwas ist seltsam, der Innendruck des Reaktors steigt immer weiter an!" "Die Temperatur im primären Kühlkreislauf steigt ebenfalls an!" "Öffnen Sie die Ventile! Spritzen Sie das zusätzliche Kühlmittel in den Reaktor." "Es geht nicht! Die Pumpen springen nicht an!" "Stoppen Sie alle Maschinen! Notfallstopsignal senden!" "Transmission des Stopsignals bestätigt!" "Signal wird nicht angenommen!" "Jet Alone ist außer Kontrolle!" "Es kommt direkt hierher!" Im Kontrollzentrum herschte eine Aufruhr, an der sich ein Bienenvolk etwas hätte abgucken können. Die Menschen begannen zu schreien und in Panik zu geraten, während der Verteter von vorhin ungläubig auf den Bildshirm starrte und zusah, wie seine Kreation näher und näher kam - bis man dazu keinen Bildschirm mehr brauchte, weil das Konstrukt dann unhöflicherweise durch das Dach brach und seinen Fuß mitten in die zum Glück nur an den Rändern besetzte Vorführungshalle setzte, und dabei ein Stück von der Decke am Boden zurückließ als es weiter marschierte, wobei es sich nicht vermeiden ließ, dass es ein Loch in alles riss, worauf es trampelte. Den aus der eingestampten Decke ausgelösten Staub aushustend blickte Misato vom Rande des "Fußabdrucks" aus nach oben raus. "Typisch!" fasste sie das Geschehen zusammen. "Genau das selbe misarable Benehmen wie seine Erbauer!" Währendessen stellte man im Rest des Kommandozentrums fest, dass eine Kernschmelze bevor stand - Die Augen des Mannes, der diesen Roboter eben noch als sicher und gut kontrollierbar angeprangert hatte, hörten nicht auf, sich immer weiter zu weiten. "Wie.. Wie kann das sein..." stammelte er vor sich hin, das gaze immer noch nicht zur eindeutigegen Gegenwart zählend. "Der Bordcomputer von Jet Alone ist auf jedes mögliche Szenario programmiert.... So etwas sollte eigentlich nicht passieren können... " "Es ist aber passiert!" meldete sich Misato vom Boden aus. "Was wollen sie tun, um zu verhindern, dass alles im näheren Umkreis verstrahlt wird?" "In... den gegebenen Umständen bleibt uns nichts anderes übrig als auf eine rechtzeitige Notabschaltung zu hoffen..." "Wie ist die Wahrscheinlichkeit dafür?" "0,00002%... Es wäre schon ein Wunder." gab einer der Techniker zu. Misato konnte sich damit unmöglich zufrieden geben. "Ich handle lieber als nur auf ein Wunder zu hoffen!" verkündete sie wütend. Ihr Gesicht und ihre Kleidung waren mit staub bekleckert und sie stand weit unter dem Kontrollzentrum, doch ihr fordernder Tonfall machte klar, dass sie hier jetzt das Sagen übernommen hatte. "Sagt mir, wie man das Ding abstellt!" verlangte sie zu wissen. "Wie haben schon alles versucht!" entgegnete der Vertreter. Doch Misato wollte davon nichts hören: "Nein. Es gibt immer die Möglichkeit auf der obersten Befehlsebene die gesammte Programierung zu löschen. Wie ist das Passwort dafür?" "Das Passwort für die Systemformatierung ist streng geheim! Das kann ich ohne Genehmigung nicht einfach so entscheiden..." "Dann besorgen Sie sich die Genehmigung! NA LOS DOCH!" --- Misato, die sich mitlerweile auf die Komandoplattform verladen lassen hatte, sah mit verschränkten Armen zu, wie sich der Jet-Alone-Vertreter durch die Telefonleitungen kämpfte. Anscheinend wollte keiner zuständig sein und ständig sollte jemand anderes gefragt werden. "Bürokratenpack." zischte sie missbilligend. Und der erzählte was von Verschwendung - der könnte genau so gut die paar Minuten verplaudert haben, die jedem im Umkreis etlicher Kilometer das Leben gekostet hatten. Der Roboter marschierte derweil fröhlich nach Atsugi, wo einigen zehntausend Menschen ein unschöner Tod durch Super-GAU drohte. Letzten endes schien er der Großkotz, der jetzt eher etwas von einem Pechvogel hatte mit seinen Vorgesetzten zu einer Einigung gekommen zu sein und legte den Hörer auf. "Gut, wir müssen jetzt nur noch warten, bis der Bote mit der schriftlichen Genehmigung kommt und-" "Auf die können wir kaum warten! Wenn das Ding explodiert, ist es vorbei! Wir haben keine Zeit. Tut mir leid, aber ich nehme die Sache jetzt selbst in die Hand. Sie können hier von mir aus weiterhin auf ein Wunder hoffen!" --- "Hyuga-kun?" sprach Misato in ihren zwischen Kopf und Schulter eingeklemmten Telefon, während sie aus ihrem Kleid herausstieg und in einem knappen, weißen Unterkleid an Dr. Akagi vorbeilief, die nicht ganz zu glauben schien, was sie da sah. "...Die Leute in Atsugi sind schon verständigt. Schick mir Shinji in Einheit Eins mit der F-Ausrüstung. Ja, das ist ein Notfall." Sie legte auf. Ihre noch voll bekleidete Freundin zeigte sich skeptisch. In Misatos Kopf schien mal wieder eine dieser wahnwitzigen Ideen gereift zu sein. "Lass das, das hat doch keinen Sinn. Wie willst du den Roboter jetzt noch aufhalten?" Wie zu erwarten zeigte sich Misato zuversichtlich, band sich die Haare zusammen und betätigte an der Wand einen Schalter, der den Blick auf einen für Wartungszwecke gedachten, grau-violetten Strahlungs-Schutzanzug freigab. "Das ist einfach." meinte sie zu Dr. Akagi, der sie noch eine Antwort schuldig geblieben war. "Ich schalte das Ding einfach manuell ab." --- Während sich der Transportflieger mit EVA 01 bereits auf dem Weg befand, war für den Jet-Alone-Vetreter mal wieder an der Zeit, groß zu gucken. "Sind Sie von Sinnen? Wenn die Hitze Sie nicht umbringt, dann wird es die radioaktive Strahlung tun! Es ist zu gefährlich!" "Wenn ich es schaffe, werden alle sicher sein." Die Beiden drehten sich zu den nunmehr nutzlosen Steuerkonsolen hin, nachdem sie ein klirrendes Geräusch hörten - Einer der Techniker, den Misato's Entschlossenheit offenkundig beeindruckt hatte, hatte die Konsole mit einer rot lackierten Notfallaxt zerschlagen. "Wenn das Signal von hier abreißt, lässt sich die Einstiegsluke manuell öffnen." erklärte er seine Handlungen." "Sie befindet sich oben am Rücken." setzte ein weiterer Techniker hinzu, als er dabei war, einige ineinander gesteckte Kabel zu trennen. "Hoffnung." Misato drehte sich verwundert um - Da hatte doch tatsächlich der ehemals so selbtsichere PR-Mann gesprochen, auch wenn er nicht den Mumm hatte, ihr dabei in die Augen zu sehen. "'Hoffnung'. Das ist das Passwort für die Systemformatierung." "Vielen Dank." "Gerngeschehen... Aber mal im ernst, wie wollen Sie das alleine schaffen?" "Überhaupt nicht." Sie lächelte. "Ich werde mich wohl auf unseren guten, alten, "unzuverlässigen" menschlichen Verstand verlassen müssen. Und glauben Sie mir, diesem menschlichen Verstand hab ich schon weitaus mehr anvertraut als meinen eigenen Hintern - natürlich nicht im wörtlichen Sinne." --- Und dabei hatte der Tag so schön angefangen - doch gerade als es zur großen Pause geklingelt hatte und er begonnen hatte, das mit den Zitronen halbwegs zu begreifen, waren die von der Sicherheit ins Klassenzimmer gekommen und hatten sowohl ihn als auch Ayanami zum NERV-Hauptquartier zu eskortieren. Der rest der Klasse, insbesondere seine beiden Freunde, hatte ihnen noch zum Abschied gewunken, und dann hieß es auch schon, dass EVA 01 bereits auf einen Transporflieger verladen sei und das er sich seinen Plugsuit greifen und direkt einsteigen sollte - Ayanami wurde angewiesen, sich im Hauptquartier bereit zu halten. Also auf zum Flieger - Dort hatte ihn Hyuuga bereits erwartet und gemeint, das es einen Notfall gebe und er selbst nicht genau wisse was los sei. Der Engel-Alarm war jenfalls nicht losgegangen - und im übrigen sei weiter hinten im Flieger ein halbwegs abgeschirmter Bereich mit Sitzbänken, wo er sich umziehen können - Es ging alles viel schneller, als Shinji überhaupt denken konnte. Kein Engel? Wenn Misato es einen Notfall nannte, würde es schon ein Notfall sein - Zuhause mochte sie schlampig sein wie die Teufel in dem Teil der Hölle, in den man Putzfanatiker schickte, aber sobald die Dinge ernst wurden, machte sie keine Scherze mehr. Schon allein der Gedanke an einen bevorstehenden Kampf sorgte bei Shinji für eine ungemeine Anspannung. Die Art von Kampf, die ihn dort unten erwartete, war noch wesentlich ungewisser als sonst - bis her hatte man ihm kein einziges Wort über den Feind gesagt. Shinji versuchte sich zu beruhigen, in dem er den Rhytmus seines Atmens mit dem Abstreifen und zusammenlegen seiner Kleider in Harmonie brachte. Er versuchte stark, sich daran zu erinnern, was er gemacht hatte, um die letzten Kämpfe zu überleben - Da fielen ihm allerdings nur Glück, Zufall und blanke Panik ein. Glück, Zufall, blanke Panik und Ayanami. Es war nicht nur, dass sie ihn mit dem Schild beschützt hatte. In ihrer Nähe war alles... anders. Auch Touji und Kensuke dabei zu haben hatte wohl geholfen, auch wenn er die schreckliche Erfahrung, sie fast zerquetscht zu haben, mit Sicherheit nicht wiederholen wollte - Wenn er doch nur eine Art... Mitstreiter hätte - Das sich jemand auf ihn verließ war gleichzeitig schrecklich, weil er niemanden enttäuschen wollte, aber beim letzten Kampf auf dem Gipfel des Futagoyama... Das hatte er nur durchgestanden, weil er sicher gewusst hatte, dass sich alle auf ihn verließen. Er verstand es nicht wirklich. Wenn Ayanami nur hier wäre - Heute würde er wieder alleine auf dem Schlachtfeld stehen. Shinji streifte sich den Plugsuit über und versuchte daran zu denken, was Ayanami wohl tun würde - Nur, dass Ayanami vor nichts Angst zu haben schien - oder wenigstens nicht vor dem kämpfen. Sie trug immer die Brille seines Vaters bei sich, wenn sie zum Kampf aufbrach - Vielleicht war das etwas, dass ihr Stärke und Sicherheit gab. Doch Shinji selbst fühlte sich bei dem Gedanken an seinen alten Herrn alles andere als stark und sicher. Sie hatten gerade erst begonnen, sich wieder einander anzunähern - ein bisschen. Vielleicht. Im günstigsten Falle. Als er den Knopf betätigte und der Plugsuit sich eng an seinen Leib presste, versuchte er, sich zu einem halbwegs beherrschten, ernsten Gesichtausdruck durchzuringen. Das Third Child war jetzt kampfbereit. Er setzte sich hin und versuchte, die Fragen und Sorgen aus seinem Kopf zu verdrängen. Als er nahende Schritte auf dem metallischen Boden hörte, schaute augenblicklich auf - und stellte mit Erstaunen fest, das es Misato war, und sie ebenfalls eine Art von Anzug zu tragen schien, wenn auch einen aus einem wesentlich dickeren Material - Ihre ausgeprägten weiblichen Rundungen konnte man trotzdem recht gut erahnen. Die hohen Sohlen des Schutzanzuges ließen sie noch größer erscheinen, als sie es ohnehin schon war. Sie nahm ihm gegenüber auf der Bank platz - man hätte meinen können, das sie gleich ebenfalls in eine Kampfmaschine steigen würde - Wie sich heraustellen sollte, war das gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Sie sah ihm direkt in die Augen und begann gleich, ihm die Situation kurz und knapp zu erklären: "Das Zielobjekt ist der Kampfroboter Jet Alone. Wir erwarten, das es darin in etwa fünf Minuten zu einer nuklearen Kernschmelze kommt. Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass er in bewohnten Gebiet hoch geht. Hyuuga-kun?" "Ja?" Misato drehte ihren Kopf in Richtung Cockpit und begann auch gleich, Anweisungen auszuteilen: "Sobald du den EVA abgesetzt hast, gehst du auf eine sichere Höhe und drehst dort Warteschleifen. Shinji-kun?" Sie wendete sich jetzt an das Third Child. "Ja?" "Du wirst mich auf dem Rücken des Zielobjekts absetzen und hälst es dann so lange wie möglich fest." Shinji hoffte sehr, dass er sich gerade verhört hatte. Er blickte seinen Vormund entgeistert an: "Du willst... darauf rumklettern?" "Reinklettern." korrigierte sie. Das... das konnte unmöglich ihr Ernst sein. Sie wollte in einen... überhitzten Nuklearreaktor klettern?! Jedem Kindergartenkind musste doch einleuchten, dass das ein sehr, sehr, sehr schlechte Idee war. Radiaktivität war dieses böse, böse leuchtende Zeug mit dem schwarz-gelben Warnsymbol drauf - und dann kam der Physikunterricht unmd erzählte einem in allen Einzelheiten, was es war, wie es funktionierte und was es mit einem anstellte. Es fiel Shinji schwer zu glauben, dass sie im Moment nüchtern war. "D-Das ist Wahnsinn!" "Das weiß ich. Aber ich muss es trotzdem versuchen." "N-Nein, das ist viel zu gefährlich!" "Keine Sorge, wenn es schief geht, wird dich die Panzerung von Einheit Eins vor der Strahlung schützen." "D-Darum geht es nicht! Was ist mit dir? Du hast nur einen Schutzanzug...." "Das weiß ich auch." Sie lächelte, als wolle sie ihm damit irgendwie etwas von ihrer tollkühnen Zuversicht übertragen. "Aber ich muss es wenigstens versuchen. Sonst kann ich doch nie wieder in den Spiegel gucken." Shinjis Gesichtsmuskeln verfestigten sich zu einem Ausdruck der Entschlossenheit - Im Nachhinein würde ihm klar werden, dass ihn jedes bisschen Angst um seine eigene Haut verlassen hatte, als er von Misatos irrem Vorhaben erfahren hatte - Nein, Angst hatte er immernoch, aber seine Sorgen waren so viel stärker, dass er erstere überhaupt nicht mehr spürte. Das Third Child wusste, das es keinen Weg gab, Misato von etwas abzuhalten, dass sie sich in den Kopf gesetzt hatte - und er selbst würde wohl auch nicht mehr in den Spiegel sehen würde, wenn er nichts tat, um dieser wandelnden Atombombe Einheit zu gebieten - Er bewunderte sie dafür, dass sie so einfach hingehen konnte, weil sie wusste, dass sie das richtige tat - ihn hätten an ihrer Stelle so viel Zweifel und Ängste behindert. Aber nichts von all diesen vielen Dingen war der Punkt - Der Punkt war, das Misato sich bei einer Sache, die für sie wichtig war, auf ihn verließ. Er würde die Mitstreiterin haben, die er sich so gewünscht hatte - Er würde nicht alleine auf dem Schlachtfeld stehen - Im Gegenteil, dieses Mal war Shinji selbst sozusagen der mit dem Schild. Misato hatte ihn vor vier Tagen an der Hand genommen und gezeigt, dass er nicht allein war - jetzt war er damit an der Reihe, ihr zu bestätigen, dass er sie auch nicht allein ließ. "Zielobjekt Gesichtet!" berichtete Hyuuga. Es wurde Zeit. Misato und Shinji blickten aus dem Fenster - Da unten marschierte der Roboter mit seinen spindeldürren, weißen Beinchen. "Lass uns gehen." sagte Misato. Shinji nickte. Sie stiegen ohne weitere Umschweife auf beziehungsweise in den Evangelion. Mittlerweile waren sie wohl ohne es recht zu merken zu einem eingespielten Team geworden. Sich an den gigantischen Fingern des EVAs festhaltend befahl Misato den Abschuss - Er wusste, dass so ein Feigling wie er es war sich das nie getraut hätte - das mindeste, was er tun konnte, war seinen Teil zu tun, wie er es vor vier Tagen auf dem Berggipfel getan hatte. Nachdem er sich sicher war, dass er sie nicht zu fest und nicht zu lose hielt, ging es los - EVA 01 stieß wie ein Speer in die tiefe, sich fast schon von selbst von der Horizontalen in die Vertikale drehend, und brachte seine Füße in die richtige Position um den Fall abzufedern - Sie rutschen nach dem aufsetzten einige dutzend Meter weiter und wirbelten dabei wohl so einiges an Schutt auf, doch Shinji selbst war nach der Landung erstaunt, dass es ihm so leicht gefallen war - Der Kampf gegen den blauen Formwandler-Engel war wohl eine Art Feuerprobe gewesen - im vergleich dazu war dass hier einfacher, er fühlte sich längst nicht mehr so verkrampft und unfähig, klar zu denken, wie er es in seinen ersten Kämpfen gewesen war - Das darauffolgende Losrennen bekam er schon hin, ohne nachzudenken, konzentrierte sich nur darauf, den verdammten Roboter zu erreichen und schneller zu rennen. Die Sonne über der verlassenen Stadt legte die beiden Kollosse in Schatten; Den stetig mit der selben Geschwindigkeit vorranstampfenden Roboter, der seine Gliedmaßen der nach vorne schleuderte als setzte, und der EVA, der die selben Gelenke hatte wie ein Mensch, sich beim Laufen vorbeugte und auch wie ein sprintender Mensch beschleuningte. "Ich hab ihn fast erreicht!" stellte Shinji mit einem Ausdruck von Leichtigkeit und Freude fest - Es klappte, es klappte... "Wir haben nicht mal mehr vier Minuten! Setzt mich ab!" befahl Misato über das Intercom, dieses Mal nicht aus dem Hauptquartier, sondern von ihrem Anzug aus. Shinji tat sein Bestes, um nach dem Roboter zu greifen - und sobald er ihn hatte, ließ er ihn nicht mehr los, ihn mit aller Kraft und Entschlossenheit, die er aufbringen konnte, festhaltend. Die Füße des Stahlmosters schienen festzuklemmen, die Arme zappelten weiter vor und zurück - Klemmen taten sie aber nicht wirklich, die Kraft, die Jet Alones Motoren ausübte war so gewaltig, das sich EVA 01s Füße bei dem Versuch, an der Stelle stehen zubleiben, unweigerlich in den Boden gruben. Es war schwer, gleichzeitig das Ding aufzuhalten und vorsichtig mit Misato zu sein, aber Shinji leistete ihrem Befehl augenblicklich Folge und führte die violetten Finger des Evangelion augenblicklich an die Einstiegsluke der zappelnden Maschine. Sie landete sicher, doch unter ihr bebte das Metall wie ein widerspenstiges Pferd, das seinen Reiter abwerfen wollte. "Misato-san!" rief Shinji geschockt, doch bevor er irgendetwas tun konnte, rollte sie schon über die metallische Oberfläche des Giganten - und schaffte es in letzter Minute, sich an einer der zahlreichen für Wartungsszecke gedachten, metallischen Sprossen an der Außenwand festzuhalten. Shinji atmete erleichert aus. Ihm wäre fast das Herz stehen geblieben. "Sei vorsichtig..." bat Shinji sie mit einem dünnen Lächeln. Und als wollte sie sich über seine Sorgen lustig machen zeigte sie ihm übermütig ein Peace-Zeichen und öffnete die Luke zur Höhle des Löwen. Gut. Wenn sie sich immer noch benahm, als wäre sie völlig übergeschnappt, dann war mit ihr alles in Ordnung. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie tatsächlich da runter gestürzt wäre... Dann wäre er doch völlig verloren gewesen. Misato war indes von dem, was sie jenseits der Luke vorfand, alles andere als begeistert - "Der reinste Backofen..." kommentierte sie. Ein gutes Zeichen war das schon mal nicht. Während sie reinsprang, weigerte sich der Roboter kategotisch, an einem Fleck stehen zu bleiben, sodass Shinji es für besser hielt, das ding von vorne fest zu halten. Es ging jetzt ums ganze. "Bleib verdammt nochmal stehen!" rief er, sich Jet Alone mit beiden Armen und aller Kraft, die er bei seinem gegenwärtigem Synchronwert aus dem EVA herauskitzeln konnte, entgegen stemmend. Die Erfolge fielen...gemisch aus. Einerseits bleib das Blechmonster stehen, andererseits bebte es weiter unter seinen Händen; Nahe der Schulter des Roboters wurde der Innendruck dann zu groß; Verdampfte Kühlflüssigkeit begann, in einer Art Fontäne zu entweichen - Shinji presste die Hand des EVAs darauf, teils, aus Angst das das Zeug radioaktiv sein könnte, teils um nicht so sehr an den Schweregrad der Situation zu denken - Dieses Ding stand wirklich kurz vor einem Super-GAU - Und Misato steckte immer noch darin. "Misato-san, beeil dich!" Das versuchte sie ja auch. Noch einmal auf die Karte vom inneren des Roboters blickend, die man ihr mitgegeben hatte, vergewisserte sie sich, dass sie am richtigen Ort befand, und schlug dann auf der Stelle die Scheibe vor dem Notfall-Öffnungsmechanismus der dicken Stahltür ein, vor der sie sich befand. Sie trat ein und zog sofort eine Schlüssenkarte durch den dazu konzipierten Schlitz am Computerterminal, um dieses zu aktivieren. Sie fuhr das System schnell hoch und timpte den Tastencode für die Systemformatierung ein, worauf sie prompt nach dem Passwort gefragt wurde. Sie tippte es ein und betätigte die Enter-Taste. Auf dem Bildshirm erschien lediglich in roten Buchstaben das Wort "Error", begleitet von einem dieser tinitusartigen Fehlermeldungstöne. "Error? Aber wie kann das sein?" Sie versuchte, das Passwort für den Fall, dass sie sich vertippt haben sollte, noch einmal einzugeben, doch ohne Erfolg. "Ohne Zweifel... jemand muss die Programierung umgeschrieben haben..." Kaum, das Misato fertig mit Sprechen war - ging ein Rück durch die Maschine - Auch Shinji bemerkte diesen, zumal der Druck des herauspritzenden Dampfes nur noch stärker wurde. Shinji versuchte alarmiert, das Leck mit beiden Händen zuzuhalten, doch es war aussichtslos - Das verdampfende Kühlmittel schoss stattdessen am Rücken des gewaltigen Roboters heraus. Sowohl im Inneren von Jet Alone als auch in der Kongresshalle bekamm man nun Gefahrenmeldungen zu sehen und zu hören - Es könnte jeden Moment zu spät sein. Misato begriff, dass ihr nur noch eine Wahl blieb: "Das muss ich wohl auf die altmodische Art machen... Es heißt jetzt alles oder nichts..." Misato packte einen der Steuerstäbe und begann zu schieben, in der Hoffnung, das Ding rechtzeitig in den Reaktor zu bekommen - Es gab eine gute Chance, dass der Rest automatisch einfahren würde, wenn sie nur diesen einen hinein bekam. Misato schob und schob, mit all ihrer Kraft, ihr ganzes Gewicht gegen den Stab stemmend - Er schien sich keinen Milimeter zu rühren - oder doch. Doch, der Stab rückte hinein, langsam - aber nicht schnell genug. Mit zusammengebissenen Zähnen drückte Misato weiter, ihre Muskeln ohne Unterlass bis auf äußerste anspannend - sie hatte nicht den kleinsten Sekundenbruchteil für eine Pause übrig - etwas, das auch dem völlig schockierten Shinji als offensichtlich erschien, als der Dampf aus praktisch allen Teilen der Maschine zu schießen begann. "Misato-san, komm da raus!" rief er panisch, doch für Misato kam abhauen nicht im geringsten in Frage - Es würde ohnehin nichts bringen. "Beweg dich endlich, du verdammter Schrotthaufen!" presste sie angestrengt hervor. Sie konnte spüren, wie die schon zubeginn unerträgliche Hitze stetig anstieg - und die Radioaktivität folgte auf dem Fuße. Nur noch ein kleines bisschen, bis der automatische Einfahr-Mechanismus anmspringen würde, nur noch ein kleines bisschen... Weitere Dampfgeysire schosses aus dem Roboter. Ihm wurde in aller Deutlichkeit klar, wie zerbrechlich ein einzelner, kleiner Mensch in so einer Situation war - Dieses Ding würde wohlmöglich den ganzen Landstrich verheeren... Misato... Er konnte an nichts anderes mehr denken, als an Misato, und daran, wie sie einfach nur so dahin schmelzen würde, wenn dieser Bleicheimer explodieren sollte. "Misato-san!" schrie er mit winzigen Tränen an den Rändern seiner in einem Ausdruck von blankem Horror aufgerissenen Augen. Im Kontrollzentrum sah man schon die Explosion bevorstehen und obgleich Misato weiterhin mit zugekniffenen Augen drückte, weigerten sich die Stäbe, die eine letzte Chance für eine Rettung dargestellt hätten, mit ausreichender Geschwindigkeit in den Reaktor zu gleiten - Kurzum, alle waren zu beschäftigt um den Bildschirm des Computerterminals in Inneren von Jet Alone zu beachten, auf dem die Error-Meldung verschwand und kurzzeitig ein paar Datenreihen auftauchten - Misato stürzte zu Boden, als die Steuerstäbe, auf die sie sich gelehnt hatte, in den Reaktor gefahren wurden. Trotz ihres entkräfteten Zustands blickte sie augenblicklich zu den Stäben auf - Tatsächlich. Sie steckten drin? Aber nütze das überhaupt noch etwas, in diesem Stadium? Ja. Es klappte. Die rote notbeleuchtung deaktivierte sich, das Innere des Roboters zeigte sich in einem unwirklichen grün. Betrachtet von Shinjis unsicheren Augen deaktivierte sich Jet Alone; Die Funkempfängerstäbe wurden eingefahren und sobald Schinji es losließ, sank der Roboter ein wenig ein, jetzt, wo keine Kraft mehr auf seine metallischen Beine wirkte. "SIE HAT ES GESCHAFFT!" wagte der erste Techniker in der Kongresshalle zu rufen. ES folgte ein Sturm aus Freudensprüngen, 'Bravo's und 'Hura's, es gab niemanden der nicht mindestens erleichtert ausatmete - selbst der PR-Mann zeigte ein erleichtertes Lächeln. Einzig und allein Ritsuko lehnte ohne große Gesten an der Wand. "...Diese Verrückte." Es war alles geschafft, das Problem gelöst, die Menschen in den nahegelegenen bewohnten Gegenden gerettet - Die kolossalen Silhouetten des Roboters und der Biomaschine standen still - jetzt blieb eigentlich nur noch eine Frage offen - Hatte die Irre, deren Intervention jeder im Umkreis etlicher Kilometer augenscheinlich sein Leben verdankte, dieses wahnwitzige Unterfangen überlebt? "Misato-san?!" rief Shinji fast schon hysterisch in das Intercom. "Geht es dir gut? MISATO-SAN!" "Also... ehrlichgesagt ging es mir schon mal besser...." kam es leise aus dem finsteren Herzen des mechanischen Monstrums. Sie saß an eine Wand gelehnt da, die Auswirkungen der Radioaktivität jetzt, wo die ganze Aufregung vorbei war, langsam zu fühlen beginnend. Shinji war zutiefst erleichtert. Sie mochten sich gelegentlich streiten aber eigentlich wusste er überhaubt nicht, was er ohne sie machen würde. Seine Stimme überschlug sich fast: "Oh, ich... Ich bin so froh, das es dir gut geht, Misato-san! Ich bin so froh! Ich kann nicht glauben das du es geschafft hast! Es ist wirklich ein Wunder!" So sehr sich Misato auch freute, dass sie noch in einem Stück war und dass auch sonst alles gut gegangen war - sie war sich mittlerweile ziemlich sicger, dass das nicht allein ihr Verdienst war... --- "Und, wie geht es Ihnen?" fragte Hyuuga besogt. "Es geht schon wieder. Sie können sich gerne aufs Fliegen konzentrieren... Aber wenn wir im Hauptquartier sind, werde ich trotzdem einen Zwischenstop bei der Krankenstation einlegen, denke ich..." Misato, deren Haare immer noch an ihrem verschwitzten Gesicht klebten, war den zu ihrem Schutzanzug gehörigen Helm inzwischen los geworden, und hatte sich auf eine der Bänke in dem Raum gelegt hatte, in dem sie zuvor die Einsatzbesprechung abgehalten hatte. Sie zeigte sowohl ihrem Untergebenen als auch ihrem Schützling ein müdes Lächeln. Shinji, der gerade erst aus dem Entryplug gestiegen war und noch über und über vom LCL durchnässt war, kniete an ihrer Seite. Heute war er damit an der Reihe, ihre Hand zu halten. --- "Die Bergung von Einheit Eins ist jetzt abgeschlossen. Es wurde praktisch keine Radioaktivität freigesetzt. Von Captain Katsuragis Eingreifen abgesehen ist alles nach Plan verlaufen." berichtete Dr. Akagi sachlich. Ikari, der an seinem Schreibtisch saß, blickte sowohl die Wissenschaftlerin, als auch Asahina von der Sicherheitsabteilung, die ebenfalls vor dem vormals erwähnten Möbelstück stand. "Gute Arbeit. Asahina? Sie können wegtreten." Die Dame in schwarz ließ ein leises "Ja, Sir." vernehmen und verließ den Raum. Sie hatte die Hand dabei stets in der Tasche ihren Blazers. Erst, als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, holte sie die Hand heraus - mitsamt eines Fotos, welches sie kurz leidenschaftslos betrachtete. Es zeigte drei Menschen, anscheinend auf einer Hochzeit - Das unscheinbare, junge Mädchen von fünfzehn oder sechzehn Jahren hätte man im vergleich zum schillernden Brautpaar fast übersehen können - Sie hatte braune, zu zwei Zöpfen geflochtene Haare, trug ein schlichte Kombination aus einer langärmeligen, schwarzen Bluse sowie einem längeren Faltenrock in der selben Farbe, und machte trotz des festlichen Anlasses keinen wirklich glücklichen Eindruck. Das einzige heraustechende an ihr war die dunkelgrüne Farbe ihrer Augen, obgleich das nicht reichte, um nicht von dem überglücklichen Paar überschattet zu werden. An dem Bräutigam, der einen auffälligen, dunkelroten Anzug trug, wäre wohl den meisten Menschen die hier arbeiteten eine unglaubliche Ähnlichkeit zum Third Child aufgefallen - Man hätte sie glatt miteinander verwechseln können - aber er war es nicht - Die Haut war deutlich dunkler, das Gesicht wesentlich kantiger, die Art, wie die Haare ins Gesicht fielen unterschied sich, und auch, wenn der junge EVA-Pilot wohl noch etwas wachsen dürfte, war nicht zu erwarten, dass er jemals eine derartige Statur erreichen würde - und nicht zu letzt war der Mann auf dem Bild wesentlich älter. Anfang dreißig vielleicht - Er hatte seine Hand um die Hüfte seiner frisch angetrauten Frau geschlungen, als wolle er sie niemals im Leben wieder loslassen und grinste verstohlen in die Kamera, eine Haltung, in der man Ikari Shinji wohl in hundert Jahren nicht antreffen würde - trotzdem war die Ähnlichkeit nicht zu verkennen - Es gab in Japan nicht all zu viele Menschen mit solchen dunkelblauen Augen. Die Braut war das genaue Gegenteil von ihrem Gemahl - zierlich, wunderschön, mit einer sehr hellen Hautfarbe, die sich kaum von ihrem strahlenden, weißen Hochzeitskleid abhob - Mehr konnte man über sie nicht sagen, denn der Teil des Fotos, das eigentlich ihr Gesicht gezeigt hätte, war vollkommen zerkratzt. Asahina warf einen von altem Zorn erfüllten Blick auf das Foto, dann auf die Tür hinter sich, und schließlich wieder auf das Foto. Dann steckte sie es zurück in ihre Tasche und ging. Innerhalb des Büros war Dr. Akagi inzwischen damit fertig, etwas zu erklären: "Ich habe mir die entsprechenden Dokumente bereits aus der Golgatha-Basis kommen lassen. Ich denke, dass ich ihnen schon sehr bald eine zuverlässige Methode präsentieren kann, um unser entlaufenes Experiment aufzuspüren." "Sehr gut. Lassen Sie bis dahin trotzdem weiter auf die herkömmliche art weitersuchen." "Das versteht sich von selbst... Aber sag mal, jetzt mal ganz von alledem abgesehen... Du bist gerade erst wieder zurück. Willst du nach der langen Reise nicht etwas... Entspannenderes machen, als dich mit Experimenten zu befassen?" Ikari fühlte sich kurz dazu bewegt, zu seuftzen, aber nicht einmal das war es wert. Er blieb ohne die geringstere äußere Reaktion in seiner üblichen Pose sitzen. "Nicht jetzt. Zweiundzwanzig Uhr in den üblichen Räumlichkeiten." "Ja, Sir." --- Doch so aufregend es gewesen sein mochte, einen nuklearen Super-GAU zu verhindern, am nächsten Tag kehrte im Katsuragi-Haushalt so oder so wieder der Alltag ein, als sei nichts gewesen - Wie üblich wachte Shinji als erstes auf, zog sich seine Schuluniform über, stellte für Misato schonmal eine Dose kühles Bier auf den Tisch und versorgte sich und den ansässigen Pinguin mit Frühstück. Während er seinen Toast verspeiste, grübelte er nebenbei über den obligatorischen seltsamen Traum von heute Nacht nach - Die Träume schienen in letzter Zeit irgendwie... häufiger zu werden, fast, als stünde irgendetwas Großes bevor - Diese Nacht hatte er die eigenartige Vision ganze vier Mal hintereinander gehabt - und dazu noch eine fünfte Vision, die zwar völlig anders war, aber dennoch das selbe Gefühl des Déjà vus bei ihm auslöste - er hatte irgendwo gestanden, unter einem strahlend blauen Himmel, umringt von Menschen, die er kannte. Misato, Ayanami, Dr. Akagi, Touji, Kensuke, die Klassensprecherin, sogar Pen-Pen und die NERV-Techniker - und auch Menschen, die er nicht gekannt hatte, auch wenn er sich an diese nur schemenhaft erinnerte - Da war ein erwachsener Mann mit Bartstoppeln gewesen, ein Mädchen, dass er noch nicht einmal in seinen verrückten Träumen gesehen hatte, und eine Frau, die neben seinem Vater gestanden hatte und ihm irgendwie bekannt vorkam - Sie alle hatten ihm wegen irgendeiner Sache, an die er sich nicht im entferntesten erinnern konnte, gratuliert - Er erinnerte sich noch dunkel an Worte des Abschieds und der Dankbarkeit, doch dann war es schon vorbei gewesen - die anderen vier Visionen waren genau so verlaufen, wie er es gewohnt war, roter Blutstreifen am Himmel und alles - In beiden ersten beiden Träumen hatte er sich jeweils neben einem neuen, fremden Mädchen wiedergefunden, von denen er keines gekannt hatte und keins ihn an das vom Vortag erinnerte - Das erste war recht groß gewesen, hatte lange schwarze Haare gehabt und eine Brille getragen, das zweite erschien ihm in einem durchnässten, weißen Kleid erschienen mit kurzen, rötlich-braunen Haaren und der Behauptung, dass sie seine Freundin sei, und ein weiteres, fröhliches Mädchen mit langen braunen Haaren und einem blauen Halstuch hatte erstmal zu ihm gemeint, wie gut es doch sei, das was auch immer sich bis her zugetragen hatte, nun endlich vorbei war. In der vierten Version... lag er neben einem Jungen und hatte sich absurd gefreut, als dieser ihn matt angelächelt und an der Wange berührt hatte, mit nur einem einzigen Satz: "Ich vergebe dir." Glücklicherweise hinderte das Geräusch der sich öffnenden Tür ihn daran, darüber nachzudenken, wass das jetzt über ihn aussagte - In der Tür stand Misato, halbnackt und sich in der Magengegend kratzend. Dann folgte das übliche Ritual - Sie wünschte ihm halbherzig einen guten Morgen, öffnete ihre Bierdose, trank sie in einem Schluck leer und stieß einen Freudenschrei aus. "Sooo...." säuselte sie in einer Art Singsang, jetzt, wo sie besoffen war, in einem beinahe traumatisierendem Maße fröhlich klingend. "Es ist Zeit für eine Duuuusche! Hast du hier irgendwo noch saubere BHs und Slips von mir rumliegen sehen?" Shinji sparte sich die Antwort und beschränkte sich darauf, verstört bis verärgert vor sich hin zu gucken - Typisch, wenn es um die Rettung der Erde ging, ja, da konnte sie eins auf souverän und professionell machen, aber seine Anwesenheit war es anscheinend nicht wert, dass sie sich einigermaßen benahm - dass sie auch ziemlich cool und heroisch sein konnte, wenn sie nur wollte, machte es nur noch schimmer. Der Gesichtsausdruck des Third Child wirkte noch immer ausgesprochen... grummelig, als seine beiden Freunde die Tür aufmachen, was die breiten Grinsegesichter, mit denen sie ihr "GUTEN MORGEN, IKARI-KUN!" in die Wohnung riefen, schnell in Ausdrücke der Verwirrung verwandelte. "Guten Morgen." erwiderte er, es nicht ganz schafend, seine miese Laune zu unterdrücken. "Ich gehe jetzt!" "Schönen Tag noch!" kam es von der halbnackten, sturzbesoffenen Frau in der Küche. Shinji war nicht im geringsten erfreut und sah zu, dass er von hier verschwand. Auf die Frage, was denn los sei, begann Shinji mangels besserer Einfälle die Ereignisse von gestern zu beschreiben, auch wenn er sich die Reaktion der beioden schon von Beginn an hatte ausmalen können: "Haach, Misato-san ist wirklich obercool!" "Und so sexy!" "Das dachte ich ja zuerst auch, aber ihr solltet mal sehen, wie sie sich zuhause gehen lässt!" beklagte sich Shinji ehrlich, wie er es noch vor zwei Wochen niemals getan hätte. "Da ist sie nur schlampig und faul und überhaupt nicht cool! Und vor mir ist ihr das noch nicht einmal peinlich..." "Hach, ich beneide dich!" meinte Kensuke darauf. Shinji blieb überascht stehen - wie kam es, dass Kensuke immer noch so etwas sagte, nachdem er ihm gerade kurz und knapp erklärt hatte, warum es nicht toll war, mit Misato zusammenzuleben. "Das... das versteh ich nicht." Kensuke blickte ihn wieder komisch an. "Hach, Ikari, du bist wirklich ein Baby!" "Das kannst du laut sagen." setzte Touji hinzu. Jetzt verstand Shinji die Welt endgültig nicht mehr. "Erklärts mir." Kensuke lächelte. "Sie zeigt dir eine Seite von sich, die sonst keiner zu sehen bekommt. Sie zeigt sich dir, wie sie wirklich ist. Das ist so, als ob du für sie zur Familie gehören würdest." Shinji sah seine Freunde erstaunt an. So hatte er das noch nie gesehen... Und er hatte noch darüber nachgegrübelt, ob er für sie einfach nur ein Teil ihrer Arbeit sein könnte, dabei war die Antwort doch bereits von anfang an direkt vor seiner Nase gewesen. Ein erleichtertes, herzliches Lächeln erschien auf dem Gesicht des Jungens. Eilig machte er sich zusammen mit seinen beiden Freunden auf den Weg zur Schule. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, und er fühlte sich durch und durch glücklich. Bevor er nach Tokyo-3 gekommen war, hatte er gar nicht gewusst, dass glücksein sein sich so gut anfühlen konnte. Warum er hier war, darauf wusste er immernoch keine Antwort, aber darüber würde er auch später noch nachdenken können - Was er jetzt aber sicher wusste war, dass er auf jeden Fall gerne weiter hier bleiben wollte. Er glaubte zwar immer noch nicht wirklich, dass er das schaffen konnte, aber es wäre schön, wenn das klappen würde - Eine Aufgabe, ein Zuhause, ein paar gute Freunde, jemand der... mehr war als nur eine Freundin, eine Familie und etwas, wonach er streben konnte... Bilder von EVA 01, Neo-Tokyo-3, Touji, Kensuke, Ayanami, Misato selbst und seinem Vater, wie er die Worte 'Verfahren Sie nach eigenem Ermessen' aussprach, rasten nacheinander durch Shinjis Gedanken. Es war schön, das alles zu haben. Shinji hatte so etwas noch nie gehabt - Er war immer so schrecklich allein gewesen. Aber jetzt... jetzt war er es nicht mehr. Er war nicht allein. Shinji würde die Sache mit der Weltrettung... einfach mal versuchen. Warum, das wuste er nicht so richtig - erst viel später sollte ihm klar werden, dass er in dem Moment, in dem er den Brief seines Vaters in den Händen gehalten hatte, zu allerersten Mal etwas verspürt hatte, was ihm in seinem vorherigen Leben noch nie zuvor begegnet war, ihm hier in Tokyo-3 jedoch immer wieder neuche Chance bot, um es kennen und schätzen zu lernen - Den süßen, verführerischen Duft der Hoffnung. --- Ein vollkommene Stille, in deren Herrschaftsbereich es keine Lebewesen gab, die sie durchbrechen könnte. Zerklüftete Landstriche voll mit schwarzem, verbrannten Gestein, aus dem hie und da noch die Reste der Zivilation ragten. Scheinbar steinernde, kreuzförmige Monoliten, die an unterschiedlich stark zerstörte Evangelions erinnerten, und dahinter die Lichter der Milchstraße, so unzählbar viele Sterne, dass sie zu einem einzelnen, milchigen Band zu verschmelzen schienen - jetzt, wo alle künstlichen Lichter, die ihnen je Konkurrenz gemacht hatten, verlöscht waren, strahlten sie heller den je an einem blutbekleckerten Himmel. Hier und da sah man noch zerstörte Gebäude, doch das Schlimmste waren die scheinbar zufällig verstreuten Teile einer zerstückelten Frauenleiche, die die Dimensionen ganzer Berge besaßen - Ein Arm da, die Hälfte eines Kopfes. Einzig und allein der tiefrote Ozean sah noch so aus, wie Shinji es gewohnt war, und rauschte vor sich hin - Er brauchte nicht einmal die Augen zu öffnen, um seine Umgebung beschreiben zu können - Mitlerweile konnte er mit einiger Berechtigung sagen, alles hier in- und auswendig zu kennen. Es war wieder dieser Traum. Schon wieder. Shinji hoffte, dass es heute wieder eine der angenehmeren Versionen gewesen war. Eine der Versionen, in dem jemand bei ihm war - Ja, er wünschte sich Gesellschaft, aber er wusste nicht so recht, was für Gesellschaft - Noch vor kurzem wäre ihm alles mögliche eingefallen, aber jetzt waren Menschen, die mit ihm durchs Leben gingen, nichts, wofür er sich in seine Träume flüchten musste... vielleicht jemand neues wäre nett. Ein bisschen frischer Wind, eine... aufregende Herausforderung. Shinji konnte es selbst nicht glauben, dass sein Herz je einen solchen Wunsch in sich beherbergen würden. Er öffnete seine Augen - wiedereinmal war eine auf der Wasseroberfläche stehende Erscheinung von Ayanami Rei das erste, was er sah. Sie stand einfach da und sah zu ihm herab wie ein wütendes Gespenst, so völlig anders als die Ayanami, die er kannte - Oder eigentlich ja nicht. Er konnte sich gar nicht erklären, woher dieses Gefühl kam, dass diese Person, sie so aussah, wie Ayanami, so angezogen war wie Ayanami, und so darstand, wie Ayanami es tun würde, unmöglich das selbe Mädchen sein konnte, dass ihn einst angelächelt hatte, nachdem er ihr zur rettung geeilt war - Und noch während er darüber nachgrübelte, verschwand das flüchtige Abbild, ohne das er genau sagen könnte, wann, wie es das schon unzählige Male getan hatte. Er setzte sich auf, um sich besser umsehen zu können, konnte aber nirgends das geringste Anzeichen von ihr erkennen - Falls Ayanami jemals hier gewesen war, dann war sie es jetzt jedenfalls nicht mehr. Dafür bemerkte Shinji etwas anderes - Das, worüber er hinweggeblickt hatte, als er zu dieser Person, die wie Ayanami aussah, es aber nicht war, hinübergespäht hatte, war der Körper eines Mädchens. Wieder einmal. Aber es war keines der Mädchen, die ihm zuvor erschienen waren - sie trug Bandagen am ganzen Körper, fast wie Ayanami, als er sie das erste Mal gesehen hatte, und steckte in einem Plugsuit so rot wie das Meer, der ihrem Leib sehr schmeichelte - sie hatte das, was man im Fernsehen oder in Zeitschriften als einen perfekten Körper bezeichnen würde - Sie war wirklich über alle Maßen attraktiv, aber nicht attraktiv auf die warme, spielerische Art, wie es Misato war, oder wie Ayanamis vollkommene, überirdisch-göttliche Schönheit - Sie war auf die extrem aufreizende aber doch unnahbare Art attraktiv, wie ein Model das war - eigentlich hätte sie glatt eins sein können - Sie war extrem schlank, hatte kein einziges Gramm Fett an der falschen Stelle, und lange, sportlich anmutende Gliedmaßen, eine helle, aber rosige Haut und langes, rotes Haar, dessen lässiges Schwingen das Begehren nur so in einem Hochsprudeln ließ - Ihre Brüste waren sogar noch etwas kleiner als Reis unf füllten kaum die gerundeten Schutzplatten aus, die an ihrem Anzug befestigt waren, eher die Form von Hügeln als die von Halbkugeln zeigend, doch gerade diese Halb-Sichtbarkeit wirkte noch zusätzlich erregend. Ihre Augen waren kalt, eisblau und weit aufgerissen wie die eines Fisches. Nun hätte keine Sprache dieses Planetens die Worte gehabt, die nötig gewesen wären, um zu beschreiben, was Shinji durchfuhr, als er dieses Mädchen sah. Er war selbst schockiert von seinen Gedanken - Er schrie und zappelte innerhalb des Gefängnisses seines eigenen Kopfes der im Traum nicht ganz der seine war. Er ekelte sich so sehr, dass er sich an Ort und Stelle hätte übergeben können - aber die Übelkeit wollte nicht kommen. Statt dessen kam abgrundtiefer Hass, so kalt wie flüssiger Stickstoff - Dieses fremde Mädchen... Er wollte er ihr etwas antun, sie beflecken und verheeren, sie anfassen, ganz egal, ob sie wollte oder nicht. Er wollte sie zerfleischen und mit seinen eigenen Zähnen zerbeißen, bis er den metallisch-salzigen Geschmack ihres Blutes überall in seiner Mundhöle spüren konnte. In seinen Augen stauten sich die Tränen - Sie war also doch gekommen. Gekommen, weil sie ihn brauchte, weil er ihr gefehlt hatte, weil sie sich all die ganze Zeit genauso nach ihm verzehrt hatte, wie er nach ihr - Und doch hatte sie ihn immer wieder zurückgewiesen, sich an den Qualen geweided, die sie ihm aufgezwungen hatte, als sie ihn mit ihrem falschen Lügenkuss verwöhnt, ihn mit diesem Leib provoziert, bis er er sich geholt hatte, was er wollte, bei Anblick dieses lächerlichen Zierrats. Es reichte. Shinji führte mit seinen arme ein rasche, plötzliche Bewegung aus und schlang seine Hände mit aller Kraft um ihren Hals. Er wollte sie vernichten, den samtenen Hals und die fehlerlosen Waden und die wunderspendenden Brüste, mit denen sie ihn verflucht hatte, der Fäulnis übergeben, damit er sie nie, nie wieder sehen musste. Jetzt auf einmal wollte sie zu ihm kommen und sich so einfach neben ihn pflanzen? Jetzt sollte er ihr den Trost spenden, den er bei ihr stets vergeblich gesucht hatte? Sie hatte ihm einmal gesagt, dass sie ihn nicht mal von der Seite ansehen würde, wenn er der letzte Kerl auf dem Pleneten wäre - Und jetzt war er es, und nach dem Ende von allem kam sie, aus reiner Nötigkeit zu ihm, und fragte stumm nach seiner Liebe, die ihr wohl nicht mal ein paar blöde Worte wert war. Oh nein. Das konnte sie sich abschminken. Gnadenlos und unbarmherzig würgte Shinji die Fremde, danach gierend, den letzten Atemzug aus allem herauszudrücken, dass er sich je erträumt hatte, ihr mit der selben Grausamkeit antwortend, mit der sie ihn verhöhnt hatte, damals, als er noch alles gegeben hätte, um für immer mit ihr zusammen sein zu können, sich für jedes bisschen Schmerz rächend, dass sie ihm je zugefügt hatte. ...Für immer mit ihr zusammensein? Was... was machte er da? Er kannte diese Person doch gar nicht... Shinji erkannte sich selbst nicht wieder. Warum um alles in der Welt würde er- Da war etwas warmes an seiner Wange. Die verbundene Hand des Mädchens, die sie so langsam und schicksalhaft gehoben hatte, und nun sanft und liebkosend über seine Wange fuhr, wie er es sich immer und immer gewünscht hatte. Sein Griff lockerte sich. Shinji brach heulend und schluchzend in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Er war nur noch ein Häufchen Elend, durch und durch kaputt, zerbrochen und zerschlagen. Es war nichts anderes mehr von ihm übrig. Er war einfach nur... futsch. Seinen Tränen tropften auf das Gesicht der Fremden, die ihre toten Augen eisig ohne den Hauch des geringsten Gefühls zu ihm wendete, und mit dem kältesten Tonfall, den menschliche Stimmbänder erzeugen konnten, ohne die Gesetzte der Physik zu verletzen, sprach sie nur zwei einzelne Worte: "Wie abscheulich." Wie ein von Meisterhand geschmiedetes Schwert exekutierten ihre Worte Shinjis Seele, seinen Traum und seinen Schlaf - Schweißgebadet setzte er sich auf, am ganzen Körper zitternd. Von einer Kraft geritten, die er nicht verstand, sprang er aus dem Bett, rannte durch den Flur und riss die Tür des unbesetzten Raumes von Misatos Wohnung auf, mit dem Echo eines Namens in seinem Schädels, der wie ein unangenehmer Nachgeschmack an seiner Zunge klebte, ohne sich davon lösen zu können. Erst, als er den leeren, nur von ein paar Kisten bevölkerten Raum entdeckte, begannen seine Atmung und sein Herzschlag, sich wieder zu normalisieren. Was für ein... entsetzlicher Alptraum... Er konnte nicht anders, als sich zu schütteln, wenn er daran dachte - wohl auch, um sein Blut daran zu hindern, in seinen Adern zu gerinnen. Warum dieser Alptraum? Warum ausgerechnet jetzt, wo doch alles halbwegs in Ordnung zu sein schien? Er verstand es nicht. Er hatte es von Anfang an nicht verstanden. Shinji schloss die Tür hinter sich und machte sich auf den Weg zurück in sein Zimmer - Er fürchtete sich fast schon etwas davor, aber er es half nichts - er musste sich wieder schlafen legen. Morgen(oder heute? Weiß der Himmel, ob es vor oder nach Mitternacht war) war zwar Samstag, aber er musste trotzdem früh aufstehen - man würde ihn vorraustsichtlich den ganzen Vormittag im NERV-Hauptquartier brauchen, Dr. Akagi hatte da eine neue Trainingssimulation für ihn. Shinji seufzte. Wenigstens hatte Misato ihm für Übermorgen als "Wiedergutmachung" einen "Überraschungsausflug" versprochen, zudem sie sogar Touji und Kensuke mitnehmen würde. Sie hatte angekündigt, dass es den Beiden sicher gefallen würde, und daran hatte Shinji auch keinerlei Zweifel, vor allem, weil Misato selbst mitkommen würde - Trotzdem war es irgendwie Schade, das Ayanami nicht mitkommen würde - Sie musste in Tokyo-3 bleiben, für den Fall, das während des kleinen 'Ausflugs' ein Engel angriff - Der Kampf mit dem letzten war schon eine Weile her, und der nächste Feind könnte jeden Moment zur Tür hinein schneien... Shinji seufzte. Ja, er und Ayanami waren sich bei dem Kampf gegen den letzten Engel etwas näher gekommen, aber seid dem hatten sie kaum miteinander geredet, fast, als ob gar nichts geschehen wäre... Aber ganz so war es nicht. Es fiel ihm immer wieder auf, dass sie jetzt statt 'Leb Wohl' stets 'auf Wiedersehen' sagte - zu letzt hatte sie es gesagt, als er aufgebrochen war, um Jet Alone aufzuhalten. Das ließ immerhin noch... Raum für ein bisschen... Hoffnung. --- Akt I: [ENDE] ___________________________________ (1) So, das war's! Der erste Akt ist fertig *uff* Freut euch schon auf den zweiten: "You do (not) connect", beziehungsweise auf dessen Eröffnungskapitel: [The Illustrious Newcommer] ("You can (not) advance" spar ich mir für den dritten Akt auf) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)