Deep in the cold winter von Hana_no_Kon (Wenn ich in der Kälte gefangen bin, holst du mich dann und rettest mich?) ================================================================================ Kapitel 7: Wenn der Schnee sich rot färbt ... --------------------------------------------- An diesem Tag fallen nur vereinzelt Schneeflocken vom Himmel herab auf die Erde. Die Atmosphäre scheint grau und weiß. Die Luft ist kalt, man kann seinen eigenen Atem sehen. Marisa torkelt Youmu hinterher, ohne das sie was davon mitbekommt. Es ist noch sehr früh am Morgen, keiner ist auf der Straße. Marisa wüsste zu gerne, was das silberhaarige Mädchen vorhat. Warum geht sie zu dieser frühen Stunde raus? Warum mit einer Katana bewaffnet? Was ist mit ihrem Blick? Warum ist er so trüb und leer? Die Blonde begreift es nicht. Am Abend davor, nach ihrem Kuss, schien es Youmu noch wieder gut zu gehen. Sie schien sogar ... sichtlich frei. Doch jetzt ... Youmu hält an. Marisa macht es ihr gleich, versteckt sich zudem hinter einer Tonne, die gerade neben ihr steht. Die Silberhaarige schaut sich um, ob auch wirklich niemand da ist, und geht in die Seitengasse. Marisa schleicht hinter ihr her, presst sich an die Wand und schaut über ihre Schulter. Sie sieht die Retterin vor der Mauer, die als Ende der Gasse steht. In unmittelbarer Nähe wurde ein großer Holzstamm aufgestellt. Auf dem steht in fetten Druckbuchstaben das Wort "Hoffnungszerstörer". Das blonde Mädchen bemerkt, dass sich Youmus Blick wieder verändert hat, jetzt wo sie den Stamm anschaut. In ihren leuchtend blauen Augen liegt eine Kombination aus Hass und Verzweiflung. Was hat das alles nur zu bedeuten? In nur wenigen Minuten ist die Atmosphäre noch eisiger und unerträglicher geworden. Dennoch fallen nur wenige Schneeflocken auf den kalten Asphalt. Die Wolken im Himmel sind grauer als vorher. Youmu zieht das Schwert, was sie mitgenommen hat, aus der Scheide, behält dabei den starren Blick auf den Stamm gerichtet. Marisa beobachtet alles von ihrem Versteck aus. Sie hat ein ungutes Gefühl, eine Art Vorahnung ... Als könnte sie mit Sicherheit sagen, dass das, was jetzt folgen soll, was sie gleich sehen sollte, mit Youmus Vergangenheit zusammenhängt. Dass es mit dem zutun hat, was aus ihr das gemacht hat, was sie jetzt ist. Der Griff um das Schwert festigt sich. Die Silberhaarige holt aus und greift schreiend den Stamm an. Ein tiefer Schnitt zierrt nun den Holzstamm. Wenn das ein Mensch wäre, würde er jetzt schwer blutend am Boden liegen. Aber anscheinend scheint es ihr nicht zu reichen. Immer weiter schlägt Youmu mit dem Schwert auf das Holz ein. Mit jedem Hieb schreit sie sich förmlich die Lunge aus dem Leib. Wird demnach nach kurzer Zeit sehr heiser. Marisa schaut ihrer Retterin zu. Es schmerzt. Es tut ihr im Herzen weh, Youmu so zu sehen. Sie muss sich zusammenreißen, aufgrund dessen, was sie beobachtet, nicht in Tränen auszubrechen. Vorallem jetzt, wo ... Marisa trifft erneut der Schlag. Erschöpft steht Youmu keuchend vor dem massakrierten Stamm ... und weint. Sie denkt aber nicht daran, aufzuhören. Sie setzt zum nächsten Schlag an. Aber ... Sie stolpert und bricht zusammen. "Youmu!" Marisa verlässt geschockt ihr Versteck und rennt zu ihrer Freundin. Die Kälte ist fast nicht zu ertragen. Sowohl der Himmel als auch die Umgebung ist grau. Zwischen dem Schnee fallen nun auch kleine Regentropfen auf die Erde runter. Es wirkt fast, als würde der Himmel weinen. Marisa hält die zu Boden gegangene Youmu fest in ihren Armen. Sie will ihr Kraft schenken. Sie vor jeglicher Pein schützen. Einfach für sie da sein. Die Silberhaarige sieht das Mädchen, was sie festhält, verwundert an. "Marisa ... wieso ..." Marisas Griff festigt sich und sie flüstert: "Ich ... Youmu ... was ist passiert ..." Youmu fängt als Reaktion darauf am ganzen Körper zu zittern an. Ihre Tränen brechen wie zwei Wasserfälle aus. Sie krallt sich an der Blonden fest und lässt alle ihre Gefühle und Emotionen raus. Sie zeigt Marisa all die Schmerzen und die Trauer, die sie erdulden musste. Zeigt ihr das, was sie sonst keinen anderem je anvertrauen konnte. ~~ "Vater! Vater! Ich hab's geschafft!" Mehr als aufgeregt und glücklich läuft das kleine Mädchen mit silbernen, kurzen Haaren und der schwarzen Schleife am Kopf zu ihrem Vater. Sie hält dabei ein großes Holzschwert in ihren Armen. Ihr Vater hat weiße, lange Haare und besitzt einen langen Bart. Mit der Kleidung, die er trägt, macht er den Eindruck eines alten, weisen Kampfmeisters. Tatsächlich ist er ein Schwertkampfmeister und unterrichtet auch seine Tochter. "Vater! Ich kann die Technik jetzt. Soll ich es dir zeigen?", fragt das Mädchen voller Energie und Tatendrang. Der Mann wuschelt ihr kurz durch die Haare und meint: "Kannst du machen, Youmu. Aber später, Yuyuko hat zum Essen gerufen." Danach geht der Meister Richtung Esszimmer. Vergnügt läuft Youmu ihrem Vater hinterher, während sie trällert: "Yuyuko-sama hat Essen gemacht! Yuyuko-sama hat Essen gemacht!" Im Esszimmer wartet die besagte Yuyuko schon auf die beiden. Sie trägt einen langen, blauen Kimono und hat gelockte, rosa Haare. Sie ist wirklich wunderschön anzusehen. Auch wenn sie nur Youmus Stiefmutter ist, da ihre richtige Mutter kurz nach ihrer Geburt verstorben ist, liebt das kleine Mädchen sie über alles, genau wie ihren Vater. Eine glückliche Familie ... ... aber leider nicht für lange ... Einige Tage später ... "... Ich verstehe ... Auf wiederhören ..." Yuyuko hat gerade telefoniert und legt leicht entsetzt den Hörer auf. Das Schicksal hat grausam zugeschlagen. Youmus Vater ist für ein Training in die Berge gefahren. Anscheinend hat er beim Klettern oder wo anders, man weiß es nicht genau, sein Gleichgewicht verloren. Yuyuko bemerkt eine Gestalt im Garten. "Youmu? Bist du noch wach?" Es war eigentlich Schlafenszeit für das Mädchen, aber stattdessen ist sie mit dem Schwert im Garten. Sie scheint trainiert zu haben. Sie schaut zu ihrer Stiefmutter. "Ich konnte nicht schlafen. Also habe ich geübt. Vater soll stolz auf mich sein!" Die Rosahaarige sieht sie betrübt an. Das wird hart, ihr das zu sagen ... Verschweigen kann sie es ihrer Tochter aber auch nicht. "Youmu ... was deinen Vater angeht ..." Youmu horcht auf. Yuyuko muss die traurige Wahrheit verkünden. "Er ... er kommt nicht wieder ... er ist tot." Entsetzen und große Trauer ist in den großen blauen Augen der Silberhaarigen abzulesen. Sie hört zitternd von Yuyuko den Grund seines Todes. Wieso ... ... wieso muss das passieren ... Nach der Nichricht hat das Mädchen sich in ihr Zimmer eingeschlossen und die ganze Nacht lang geweint. Nach einigen Jahren kann das Leben die Silberhharige immernoch nicht in Ruhe lassen. Die Trauer um ihren Vater ist groß. Sie hat den Tod immernoch nicht wirklich überwunden. In der Schule hat sie kaum Freunde. Keiner kann sie leiden. Zudem wird sie von ihren Mitschülern so eingeschüchtert, dass sie Angst hat, zur Schule zu gehen. Sie hat niemanden, an den sie sich wenden kann ... Nur Yuyuko ... Youmu ist gerade 13 Jahre alt geworden. Sie kommt aus dem Schulgebäude, um von einer Nachbarin wieder eine Schreckensnachricht zu bekommen. Sie bringt das geschockte Mädchen ins Krankenhaus. Dort angekommen, stürmt sie ohne Vorwarnung ins Zimmer, wo Yuyuko im schneeweißen Bett liegt. Sie ist zu Hause vor Schwäche zusammengebrochen. Die Ärzte haben eine seltene Krankheit bei ihr festgestellt. Für eine Therapie oder Operation ist es schon zu spät. Verzweifelt rennt Youmu zu ihrer Mutter und fleht: "Yuyuko-sama! Bitte stirb nicht ... bitte ..." Yuyuko sieht in das Tränenüberflutete Gesicht ihrer Tochter. Sie legt ihre Hand auf ihre Wange und lächelt leicht gequält. "Youmu ... mach dir bitte keine Sorgen um mich ... ich werde immer bei dir sein. Selbst wenn ich nicht mehr da bin ..." "Yuyuko-sama ..." "Ich werde dich von oben beobachten und ... und dich beschützen ... ich verspreche es dir ... also weine nicht ..." Alle ihre Kräfte aufgebraucht, fällt Yuyuko in Tiefschlaf. Youmu sieht sie zitternd und mit feuchten Augen an. " ... Mutter ..." Am Tag darauf ist Yuyuko gestorben. Auch wenn sie sagte, dass sie nicht weinen sollte, kann Youmu nichts anderes tun, als ihre Trauer durch Tränen zum Ausdruck zu bringen. Trauer über den Verlust des letzten Menschen, die sie liebt. Trauer über ihre nun entstandene Einsamkeit. Ein Jahr ist vergangen. Es ist ein kalter Wintertag, der Schnee fällt vereinzelt und leicht. Die Luft ist kalt und fast unerträglich. Youmu geht die menschenleere Straße entlang. Der Tod von Yuyuko hat sie schwer getroffen. Sie hat die Schule abgebrochen, sie hatte keine Nerven mehr für die immer heftiger werdenen Schikanen ihrer Mitschüler. Sie hat sich von jeglichen, sozialen Umfeldern distanziert. Das Mädchen fragt sich oft selber, ob sie je wieder froh sein kann. Wenn auch nur für einen Moment ... Youmu geht Gedankenverloren an einer Seitengasse vorbei. Sie seufzt. Wenigstens kann ihr nichts mehr Wichtiges weggenommen werden ... oder ... Vollkommen unerwartet wird die Silberhaarige von hinten gepackt. Ihr Mund wird vom Fremden zugehalten, hindert sie damit, nach Hilfe zu rufen. Sie versucht sich verzweifelt aus dem Griff zu befreien. Aber der Angreifer ist stark und sie hat durch die ganzen Schicksalschläge mehr als die Hälfte ihrer Kraft verloren. Ohne, das sie was dagegen tun kann, zieht der Unbekannte Youmu in die dunkle Gasse. Wenige Augenblicke später ... ... hört man Schreie ... Der Angreifer hat die Flucht ergriffen. Zitternd und jeglicher Kraft beraubt liegt Youmu in der Seitengasse und lässt den Schnee auf sich fallen. Das sowas passiert ... ausgerechnet das ... ausgerechnet jetzt ... Sie versucht aufzustehen. Sie kann sich kaum auf den Beinen halten und sie spürt starke Schmerzen im Unterleib. Die Silberhaarige schaut runter auf den Schnee, auf dem sie steht. An einigen Stellen hat der Schnee sich rot gefärbt. Sie blutet ... Mit leerem Blick fängt Youmu an, durch die Straßen zu wandern. Ohne jegliche Orientierung, am Ende ihrer Kräfte und Nerven, hinterlässt hinter sich eine Spur aus Blut im Schnee. Einige Zeit lang geht sie so durch die Stadt, sieht keinen, hört keinen ... ... bis sie stolpert ... Ihre Augen erlangen wieder Glanz, als sie sieht, vor was sie zusammengebrochen ist. Yuyukos Grab. Youmu erinnert sich wieder an ihre Worte auf dem Sterbebett. Ich werde immer bei dir sein. Ich werde dich von oben beobachten und dich beschützen. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, die sofort ihre Wangen entlang kullern. Voller Verzweiflung schreit sie dem Grabmal entgegen: "Warum, Yuyuko-sama?! Du hast gesagt, du beschützt mich! Du hast es versprochen!! Wieso hast du nicht dafür gesorgt, dass mir all das erspart bleibt?! Wieso hast du nicht dafür gesorgt, dass mir nichts passiert?! Du hast mich angelogen! Ich hasse dich!!!" ~~ Der Schneeregen scheint nicht weiterziehen zu wollen. Noch immer fallen Regen und Schnee gemeinsam auf die Straßen. Es ist dunkler geworden. Die Kälte besteht immernoch. Marisa sitzt im Wohnzimmer auf der Couch und hält Youmu immernoch in ihren Armen fest umschlossen, die unter Tränen eingeschlafen ist, nachdem sie nach ihrer Rückkehr nach Hause der Blonden alles erzählt hat. Heute ist der Tag, an der der Angreifer von damals sie ... Marisa ist tief in Gedanken versunken. Wie grausam das Schicksal zu jemanden sein kann. Besonders zu so einer in ihren Augen wunderbaren Person wie Youmu. Immer, wo sie denkt, sie ist dem Horror entkommen, verliert sie wieder etwas Wichtiges in ihrem Leben. Wie viel die Welt ihr genommen hat ... Ihre Familie, ihre Fröhligkeit, ihr Mut, ihre Unschuld, ihre Hoffnung, ihre Träume, ihr Glaube ... Alles, was bleibt ... ist Einsamkeit und Schmerzen ... Eine kleine Träne entspringt Marisas Auge. Das silberhaarige Mädchen hat so ein Leben wirklich nicht verdient ... ... Niemals ... Sie schaut in Youmus schlummerndes Gesicht. Sie wirkt so ... befreit ... und erleichtert ... Die Blonde streicht ihrer Retterin leicht über die Wange. Sie ... hat es wohl einfach gebraucht ... Jemanden, dem sie von ihren Leiden erzählen kann, was alles passiert ist. Der Tod ihrer Eltern, die Vergewaltigung ... Einfach eine Schulter, an der sie sich ausweinen kann. Marisa seufzt. Sie steht vorsichtig auf und hebt Youmu in ihren Armen auf. Trägt sie langsam in ihr Zimmer. Dort angekommen, legt die Blonde ihre Freundin auf ihr Bett. Marisa schaut ihr noch lange ins Gesicht. Fährt dabei mit ihren Fingern durch ihre Haare. Sie sind weich. Die Dunkelheit umgibt die Straßen, umhüllt sie wie ein Mantel. Der Regen hat nachgelassen. Nur der Schnee fällt von den dunklen Wolken runter auf die eiskalte Erde. An dieser kalten, leeren Dämmerung flüstert Marisa dem Mädchen, der sie ihr Leben verdankt, ihren Entschluss zu. "Youmu, ich verspreche dir, dass du nie mehr weinen musst. Ich werde bei dir bleiben und dich beschützen." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)