Pussycat von Kiru (Daisuke x Gara) ================================================================================ Pussycat -------- Rating: R/NC-17 Word Count: 14.405 Beta’d: von der kleinen Dame, die meine Seele besitzt: ! A/N: ich mag ja Katzen – aber ich könnte nie eine selbst haben, glaub ich ^^; ~*~ „Ich sehe jetzt schon, wohin das alles einmal führen wird“, murmelte ich vor mich hin, einen Arm über meine Augen gelegt, mit dem anderen die Zigarette festhaltend. „Visual Kei wird eine Mainstreambewegung, Unmengen von Underground-Bands strömen aus allen Ecken und Enden hervor, jede zweite hört sich gleich an, es gibt immer die festen Rollen in der Band – einer oder zwei weiblich, mindestens einer extrem abgedreht, und dann noch ein oder zwei Normalos – und alle werden sie musikalisch mehr drauf haben als der Laiengitarrist oder –bassist oder –drummer, aber da sie alle ähnlich klingen, relativiert sich das wieder.“ „Visual Kei wird niemals Mainstream“, widersprach Cipher, mein Chef, mir mit beinahe gelangweilter Stimme. „Aber trotzdem wird sich genug Geld damit machen lassen. Ich zähle auf dich, das weißt du. Eine Band, die du bahnbrechend findest, die aber sonst keiner hören will, bringt mich nicht weiter.“ „Ich weigere mich dennoch, eine völlig nichtssagende Band zu managen, die trotz ihrer Banalität bei den Jugendlichen von heute gut ankommt. Das ist nicht mein Stil, Cipher, das kann ich nicht. Ich will ... Ich will jemanden, der mich fasziniert. Der in der Lage ist, auch andere zu faszinieren, und zwar nicht nur auf einer fanmäßigen Ebene. Ich will jemanden, bei dem auch Nicht-Fans zugeben müssen, dass sie einiges auf dem Kasten haben.“ „Als was hast du noch mal während deiner Highschoolzeit gejobbt?“, wechselte mein stoisch aussehender Boss seufzend das Thema. „Kellner“, antwortete ich mechanisch, so wie man eben auf solche Fragen wie ‚Wann sind Sie geboren’ oder ‚Was ist Ihre Lieblingsfarbe’ antwortet. „Schon mal daran gedacht, dahin zurückzukehren?“ Ich stand abrupt auf, drückte meine Zigarette im Aschenbecher aus und funkelte Cipher verärgert an. „Ich habe Visionen. Und ich werde sie verwirklichen, komme was wolle, und dann ist es mir scheißegal, wie viel Geld dir oder mir das einbringt. Ich mache diesen Job, weil ich es möchte, und du solltest froh sein, jemanden wie mich zu haben.“ „Das stimmt, einen hohen Unterhaltungswert hast du durchaus“, stimmte er mir zu und betrachtete mich beinahe mitleidig. Wortlos wandte ich mich ab und verließ den Raum. Das wollte ich mir nicht länger antun. Auf dem Weg nach draußen wäre ich beinahe in einen Kollegen von mir gerannt, der mich, kaum dass er mich erblickte, freudig anstrahlte. „Daisuke! Dich hab ich gesucht. Ich hab ein Demotape für dich, ist vor einigen Tagen gekommen. Du hast dich geweigert, es dir anzuhören, also hab ich’s mir geschnappt. Aber ich finde, es gehört trotzdem dir. Erbarme dich. Bitte.“ Mit einem Augenrollen nahm ich ihm die Kassette ab und beschleunigte meinen Schritt wieder, hielt erst an, als ich vor dem Gebäude mein Auto erreicht hatte. Ich stieg ein und musterte das Demotape verdrossen. Wollte ich mir tatsächlich etwas antun, was jemand anderes bereits als gut bezeichnet hatte? Ich war ein Eigenbrötler, manchmal auch ein Wichtigtuer, das stimmte schon, aber ich war es mit Stolz. Nach einigem Zögern schob ich die Kassette in mein Radio, startete den Motor, drückte auf Play und fuhr los. Das war das erste Mal, dass ich diese Band hörte. Einige Tage später wurde mir von einem Typen die Tür geöffnet, der ganz offensichtlich einen Bad Hair Day erwischt hatte. Vielleicht wirkte er auch nicht nur so verpennt, sondern war es tatsächlich. Außer einer gefährlich tief hängenden Jogginghose, einer unangezündeten Zigarette im Mundwinkel und einem glasigen Blick trug er nichts am Körper. Nicht einmal Socken. Als er mich verschlafen anblinzelte, beschloss ich, dass er tatsächlich gerade erst dem Bett entstiegen war. Die Frage war nur – was machte dann die Zigarette da? „Mnja?“, nuschelte er mich an und nahm sich dankenswerterweise die Kippe aus dem Mund, bevor er weitersprach. „Ist es was Wichtiges?“ „Kommt drauf an, ob Sie einen möglichen Plattenvertrag als ‚wichtig’ erachten oder nicht“, entgegnete ich, schlagfertig und auf Zack wie immer. Die einzige Reaktion, die ich erntete, war die, dass der Kerl sich die Kippe wieder zwischen die Lippen schob und mich eine Weile schweigend musterte. Ich war bereits so zuvorkommend, dies als sprachlose Überraschung zu deuten, als er sich kurz durch die Haare fuhr und den Kopf schüttelte. „Yuu, du Sack, ich bring dich um“, murmelte er unzusammenhängend und trat einen kleinen Schritt zur Seite. „Kommen Sie erst mal rein.“ Ich ging an ihm vorbei und bot ihm ein höfliches Lächeln an, während er hinter mir die Tür schloss. „Tut mir leid, ich hab mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Daisuke Ochida und bin angestellt bei Keycode Records.“ Ich reichte ihm meine Visitenkarte. „Makoto Asada, angenehm“, erwiderte er, meine Karte völlig ignorierend und noch immer etwas fehl am Platze wirkend. Wie er das in seinen eigenen vier Wänden schaffte, war mir ein Rätsel. „Gehen Sie ruhig schon mal gerade durch, ich bin sofort da.“ Als ich die Tür vor Kopf öffnete, wurde ich mit dem Anblick einer Wohnung konfrontiert, die den zweifelhaften Vorsatz ‚Ordnung ist das halbe Leben, ich lebe in der anderen Hälfte’ nicht nur perfektioniert, sondern geradezu erfunden zu haben schien. Da ich nicht wusste, welchen der Stapel an Zeitschriften ich wohl vom Sofa auf den Boden stellen konnte, ohne ein noch größeres Chaos anzurichten, blieb ich einfach stehen. Makoto gesellte sich einige Sekunden später zu mir, inzwischen hatte er sich nicht nur die Zigarette angezündet, sondern sich sogar ein Shirt übergezogen. „Ist das Ihr Ernst, das mit dem Plattenvertrag?“, wollte er wissen und fasste mich ins Auge. Er klang weder aufgeregt noch betont lässig, sondern eher... gelangweilt. „Sonst stünde ich nicht hier“, stimmte ich ihm mit einem Nicken zu. „Und wäre es mir nicht wirklich eilig, hätte ich vorher einen Brief geschickt. So habe ich mir einfach die Freiheit genommen, persönlich herzukommen.“ „...du Scheiße“, murmelte er und versuchte erneut, seine Haare durch Zurückstreichen zu bändigen. Mit nur mäßigem Erfolg. „Wissen Sie, meine Bandkollegen verschicken ständig amok irgendwelche Demotapes von uns, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen“, erklärte er seine Reaktion und nahm einen tiefen Zug von seinem krebsfördernden Glimmstängel. Ich musterte ihn lediglich wortlos, weil ich wirklich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte. Als er meinen Blick bemerkte, musste er jedoch grinsen. „Keine Panik bitte. Den Job mach ich trotzdem.“ Das war der Moment, in dem ich beschloss, Makoto Asada zu mögen. ~*~ Kennt ihr nicht auch diese Persönlichkeiten, von denen es nur allzu wenige auf der Welt gibt, weil es einer endlosen Geduld bedarf, so zu sein wie sie? Diese Leute, die einem alles verzeihen; die einem auf den Rücken klopfen, während man bei ihnen zuhause völlig besoffen über der Kloschüssel hängt; die einem Trost zusprechen, wenn der oder die Liebste einen verlassen hat; die für einen da sind, wenn man jemanden braucht. Du kannst dich hundertprozentig auf sie verlassen, und obwohl sie manchmal so tun, als würden sie dich nicht mehr aushalten, geben sie sich letztendlich doch mit dir ab, weil sie dich einfach mögen. Trotz allem. Und das ist auch ihr Wahlspruch: Allem zum Trotz. Allem zum Trotz lassen sie dich rein, wenn du nach der vierten verpassten Verabredung unangemeldet bei ihnen zuhause aufkreuzt; allem zum Trotz umarmen sie dich, wenn du gerade die größte Scheiße deines Lebens gebaut hast und wissentlich daran Schuld bist; allem zum Trotz schmeißen sie dich nicht raus, obwohl du ihnen eigentlich auf den Sack gehst. Solche Leute verdienen unsere Dankbarkeit, finde ich. Das Problem war nur – ich konnte mir schwerlich selbst danken. „Gara? Es ist schon viertel vor. Du musst wirklich aufstehen, wenn du noch pünktlich kommen willst“, sprach ich das reglose Bündel Knochen an, das sich in meinem warmen Bett zusammengerollt hatte. Mit einem Seufzen hockte ich mich neben das Bett und strich kurz über seine Haare. Als er versuchte, mich zu schlagen, hielt ich sanft seine Hand fest. „Gara? Bitte“, wiederholte ich ruhig. „Das Ganze beginnt in einer Stunde, du musst spätestens in einer Dreiviertelstunde da sein. Wenn du jetzt aufstehst, kannst du sogar noch frühstücken.“ Er murrte mich unwillig an und zog sich meine Bettdecke über den Kopf. „Bitte“, sagte ich noch einmal, stand auf und ging in die Küche. Dort kochte ich zuallererst starken Kaffee, bevor ich den Tisch für ihn deckte. Gerade, als ich fertig war, kam er hereingewankt und ließ sich auf seinen Küchenstuhl fallen. „Wir fahren in einer halben Stunde“, informierte ich ihn und verließ den Raum, um selbst noch einige Dinge zu erledigen. Das Bett zu machen, beispielsweise. Ich wusste, dass ich spätestens in fünfundzwanzig Minuten anfangen musste zu nörgeln, damit er auch rechtzeitig fertig wurde. Dann würde er zwar wieder eine herrliche Laune haben, aber wenigstens kamen wir dann nicht zu spät. Das war mir wichtiger, mit seinen Stimmungsschwankungen konnte sich meinetwegen immer noch die Friseuse herumschlagen. Ich erinnerte mich daran, wie Cipher mir einmal gesagt hatte, dass ich ihn nicht so verhätscheln und verwöhnen sollte. Wenn er sich daran gewöhnte, dass ihm jemand morgens das Frühstück auf den Tisch stellte, würde er irgendwann unselbstständig werden. Ich erinnerte mich daran, wie ich mir diesen Vorschlag zu Herzen nahm und Gara klarmachte, dass er demnächst für sich selbst sorgen würde. Ich erinnerte mich allerdings auch an die Folgen – anstatt wie immer zu spät zu kommen, kam Gara gar nicht mehr, weil er zuerst gepflegt ausschlafen wollte und dann keine Lust hatte, das Bett zu verlassen. Kurz – wenn ich wollte, dass Gara arbeitete, musste ich ihn entsprechend antreiben. Und wenn das bedeutete, dass er mich jeden Morgen anmuffelte, weil ich ihn aus meinem Bett warf, dann hieß es das eben. Und wenn das hieß, dass ich rund um die Uhr wissen musste, wo er war, dann hieß es eben auch das. Aber wenn das hieß, dass ich ihn auch noch ANZIEHEN musste... „Ich weiß es nicht“, wiederholte ich zum bestimmt vierten Mal. „Gara, wenn du deine eigenen Klamotten verschlampst, kann ich nichts dafür, und außerdem, woher sollte ICH wissen, wo dieses eine Shirt hingekommen ist? Zieh doch einfach ein anderes an, wir müssen los!“ Er machte ein mies gelauntes Geräusch und verschwand in meinem Schlafzimmer. „Herr im Himmel“, murmelte ich und war froh, dass es Frühling war. Im Winter hätte er sich sonst noch seine Jacke anziehen müssen. Ein paar Sekunden später stand er wieder vor mir, eins meiner Hemden lose übergestreift, sodass man seinen Oberkörper noch immer gut sehen konnte. Mit einem beinahe fordernden Blick schaute er mich geradewegs an. „Das ist nicht dein Ernst“, versuchte ich es, warf anschließend jedoch einen Blick auf meine Armbanduhr. Wir hätten vor fünf Minuten bereits losgefahren sein sollen. „Verdammte Scheiße!“, fluchte ich leise und begann, Garas Oberteil, das eigentlich mir gehörte, zuzuknöpfen. „Kannst du dich nicht mal alleine anziehen?“ „Ich bin so müde“, stöhnte er und fuhr sich mit dieser verlorenen Geste durch die Haare, die mir im letzten Jahr so vertraut geworden war. „Und ich hab Kopfschmerzen.“ „Ich hab dir gesagt, dass es eine schlechte Idee war, diesen Schnaps noch zu trinken“, schimpfte ich und war endlich beim letzten Knopf angekommen. „Und die ganzen anderen hätten auch nicht sein müssen. Die Schuhe ziehst du dir aber bitte selbst an!“ „Keine Schuhe“, murrte er trotzig. „Worauf wartest du dann noch? Los!“ Ich scheuchte ihn aus meiner Wohnung und in mein Auto. Ich wusste, dass es von Anfang an ein verlorener Kampf war, wenn ich versuchte, Gara dazu zu bewegen, Schuhe anzuziehen, wenn er nicht wollte. Er lief sehr gerne barfuß herum, und manchmal weigerte er sich eben partout, irgendetwas an die Füße zu ziehen. Bei solchen Gelegenheiten sparte man viel Zeit und Nerven, wenn man ihm einfach seinen Willen ließ. Und, ehrlich gesagt, das war nicht nur mit seinen Schuhen so. Durch das Shooting hatte ich endlich ein wenig Ruhe. Während der Gruppenshootings nutzte ich die Zeit, um erst einmal zu rauchen, Kaffee zu trinken und mit den Leuten zu telefonieren, die ich bereits viel zu lange vernachlässigt hatte. Allen voran meine Familie, aber auch befreundete Kollegen sowie Leute, die glaubten, dass ich sie mochte, obwohl das Gegenteil der Fall war. Ich sprach mit meinem Chef, der – trocken wie immer – feststellte, dass die letzten drei Male, als er bei mir zuhause angerufen hatte, nicht ich ans Telefon gegangen wäre, sondern Gara. Ich tischte ihm irgendeine Ausrede à la ‚wir hatten viel zu besprechen’ auf und würgte ihn so schnell wie möglich ab. Während der Einzelshootings konnte ich mich endlich auch mal um die anderen Bandmitglieder kümmern. Sie waren mir allesamt äußerst sympathisch, aber auf eine völlig andere Art als Gara. Gara war... jemand, der in seiner ganz eigenen Welt lebte. Die anderen hingegen standen mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Besonders die beiden Gitarristen waren eine gute Gesellschaft, weil sie in Kombination eigentlich nur herumalberten. Der Bassist war etwas ruhiger, aber der Drummer war auch jemand von der Sorte, die dir einen Knopf an die Wange labern konnten. Und trotz der ganzen Ablenkung entging mir nicht, wie Gara seine übliche Verwandlung durchmachte. Als wir angekommen waren, war er ein schlecht gelaunter, müder und vor allem unsozialer Morgenmuffel gewesen. Kaum dass er seine Bandkollegen getroffen hatte, war seine Müdigkeit zusammen mit seinen Kopfschmerzen wie weggeblasen – seine Laune war zwar noch nicht ganz wiederhergestellt, aber es war kein Vergleich zu vorher. Und kaum dass die erste Kamera auf ihn gerichtet wurde, schmolz der letzte Rest des niemals erwachsen gewordenen Kindes in ihm dahin wie Softeis im heißesten Sommer. Mit einem Mal wirkte er äußerst selbstbewusst, bodenständig, ernst und vor allem seriös. Das konnte natürlich auch am Anzug liegen, den er trug, aber ich war der festen Überzeugung, dass seine ganze Ausstrahlung sich veränderte. Und zwar von innen. Na ja, lange Rede, kurzer Sinn: Gara war eine totale Rampensau. Er liebte es, im Vordergrund zu stehen, mindestens genauso sehr wie das Gefühl zu haben, dass er bewundert wurde. Vor anderen Menschen spielte er sich gerne als ernstzunehmend auf. Und genau derselbe Typ hatte sich vor etwa zwei Monaten unbequem zusammengefaltet auf meinen Sessel gefläzt und mit meinem Game Boy Color meine Pokémon Silberedition gespielt, als ich nach Hause gekommen war. Ich hatte ihn erst einmal ungläubig angestarrt, bis er Notiz von mir genommen und beiläufig erwähnt hatte, dass er neu angefangen habe, weil er die silberne Edition schon immer mal hatte spielen wollen. Ich hatte einen Riesenaufstand gemacht, weil ich einige Pokémon bereits auf Level 100 trainiert hatte. Daraufhin hatte Gara mir lediglich sein zähnefletschendes Grinsen gezeigt, das er immer einsetzte, wenn er einem mitteilen wollte, dass er einen für bescheuert hielt, und auf meinen Wohnzimmertisch gedeutet. Dort hatten ein weiterer Game Boy Color mit der goldenen Edition sowie ein Linkkabel gelegen. Mit ruhiger Stimme hatte Gara mir erklärt, dass er selbstverständlich alle seltenen und trainierten Pokémon vorher auf seine eigene Edition getauscht hatte, sodass sie nicht verloren waren. Wie schaffte es ein solcher Kerl, nur durch einen Anzug, einen Hut und sein persönliches Charisma so dermaßen sexy auszusehen, dass man nur schwer dem Drang widerstehen konnte, ihn anzusabbern? Nach dem Shooting überredete Kenichi, der eine Gitarrist, die anderen, noch zusammen was essen und anschließend trinken zu gehen. Sie konnten mich sogar dazu bewegen, mitzukommen, aber kurz bevor sie entschieden hatten, welche Bar sie unsicher machen wollten, rief Cipher erneut an und befahl mir, noch an diesem Abend die Papiere fertig zu machen, die er eigentlich erst in einer halben Woche wirklich brauchte. Da mein Chef in der Hackordnung knapp über Gott stand, hatte es überhaupt keinen Sinn, diskutieren zu wollen. Stattdessen verabschiedete ich mich von meiner aufstrebenden Band, fuhr zurück zu mir nach Hause und verbrachte einen sehr geruhsamen, wenn auch nicht richtig schönen Abend. Ich liebte Merry. Verzeihung, wenn das bis jetzt noch nicht allzu deutlich herübergekommen ist, aber ich liebte sie wirklich. Ich liebte diese Band mit allem, was dazu gehörte, mit ihrem Markenzeichen (dem Widderschädel), ihren Mitgliedern, ihrem Ruf, ihrer Bekanntheit, ihren Visionen, ihren Leistungen, ihrer Musik. Angefangen mit dem Drummer – er war mehr als ein Genie. Er war jemand, der es verstand, sich in Szene zu setzen. Normalerweise gingen Drummer immer eher unter, da sie die ganze Zeit nur hinter ihrem Schlagzeug saßen, sich das Hirn aus dem Schädel trommelten und ab und zu ein zufriedenes Grinsen sehen ließen. Nero hingegen war alles andere als unauffällig. Er war vom Stil her der abgedrehteste der fünf, sogar noch vor Gara. Er trug auch ständig Brillen, ohne tatsächlich welche zu brauchen. Beim Spielen flogen sie ihm andauernd weg, auf ein paar trat er anschließend noch drauf. Abgesehen davon war sein Modegeschmack extrem... ausgefallen, und was seine Frisur anbelangte... Na ja. Ein Kapitel für sich. Aber trotzdem, am Schlagzeug war er ein Virtuose. Und aufgrund von Garas Neurosen musste jemand die Ansagen während Live-Auftritten übernehmen – das war Neros Job. Er heizte das Publikum an, schäkerte mit ihm und stand dabei auf seinem Hocker, sodass er auch wirklich von allen gesehen wurde. Ein echtes Einzelstück. Dann der Bassist – wieder so ein Fall für sich. Tetsu war nicht nur groß und dünn wie eine Fahnenstange, er hatte auch noch diese sehr langen, unheimlich wirkenden Haare, bei denen ich ständig Angst hatte, dass sie sich in seinem Instrument verfingen. Er war der typische Nerd, der im Hintergrund spielte und von dem keiner Notiz nahm. Das Problem war, genau so war es eben nicht, obwohl er so wirkte. Ich musste zugeben, dass ich den Bass als Instrument lange Zeit unterschätzt hatte – bis Tetsu bei einigen Proben gefehlt hatte. Sämtliche Songs klangen auf einmal hohl und leer, es fehlte irgendwie etwas Essentielles, es war einfach nicht richtig. Da erst war mir aufgegangen, dass dem Bass an sich ohnehin eine große Wichtigkeit zukam. Aber wenn er dann noch von jemandem wie Tetsu gespielt wurde, der immer so aussah, als bereite es ihm keinerlei Schwierigkeiten, was auch immer er gerade tat... Er war einfach seriös, er stellte sich auf die Bühne und spielte und es war perfekt. Kein Wunder, dass Merry in ihren Songs oft drei verschiedene Melodien gleichzeitig spielten – zwei wurden von den Gitarren übernommen, die dritte vom Bass. Und es passte. Zu den beiden Gitarristen musste ich eigentlich auch nicht mehr viel sagen. Yuu und Kenichi waren ein Herz und eine Seele, sowohl im Privaten als auch auf der Bühne. Wenn sie spielten, dann nur in vollkommenem Einklang, sie passten sich einander an und obwohl sie oft völlig unterschiedliche Melodien spielten, zweifelte man nicht eine Sekunde an, dass sie miteinander spielten. Sie teilten die Soli unter sich auf und meisterten sie gleichermaßen, sie sorgten für die Backgroundvocals und für die Tatsache, dass Merry so war, wie Merry eben war. Sie schrieben fast alle der Songs und inspirierten sich dabei in freundlicher Konkurrenz gegenseitig. Ich hatte bereits früh bemerkt, was für ein außerordentliches Talent sie hatten, ein Lied zu schreiben, das auf den ersten Blick völlig durcheinander wirkte und durch Garas Lyrics nicht viel ordentlicher wurde – und der Song klang trotzdem mehr als gut. Es war eben ihre Art, genau das machte Merry aus, diese scheinbare und dennoch gewollte Unordnung. Gara setzte dem Ganzen natürlich noch die Krone auf. Er drückte dieses Chaos an Musik äußerst deutlich auf der Bühne aus, indem er ständig auf diesen alten Schultisch, den er unbedingt haben wollte, kletterte und wieder heruntersprang, Kopfstände machte, sich weigerte, zu seinen Fans zu sprechen und stattdessen seine Botschaften kalligraphierte... Die Liste war endlos. Er war ein pures Energiebündel, das keine zehn Minuten angezogen bleiben konnte. Er schrie, tobte und rollte auf der Bühne herum, hüpfte vom einen Ende zum anderen und stellte sicher, dass er jeden Fan mitjubeln hören konnte. Wenn Yuu und Kenichi Merrys Seele waren, so war Gara Merrys Herz. Seine ganze Exzentrik, verbunden mit diesem geballten Talent – er war mehr als einzigartig, das war sicher. Und er war in vielerlei Hinsicht einzigartig, das hatte ich bereits mehr als deutlich merken dürfen. Kurzum: Ich war dieser Band mit Haut und Haar verfallen. Ich konnte nicht oft genug dafür danken (wem auch immer), dass ich ihr Manager sein konnte. Und sie dankten mir nicht oft genug dafür, dass ich ständig neue Auftritte für sie anleierte, dass ich ihnen ihre Tour nach ihrem ersten Album Gendai Stoic ermöglicht hatte, dass ich immer und immer wieder neue Shootings für sie arrangierte und dafür sorgte, dass sie einen Produzenten für ihre Musikvideos bekamen. Ich sagte ihnen ständig, dass es okay sei, weil genau das schließlich mein Job war. Und immer, wenn ich das betonte, konnte ich wenigstens ins Yuus Gesicht eine Gewissheit sehen. Er wusste, was auch mir klar war: Ich hätte das alles auch getan, wenn es NICHT mein Job gewesen wäre, wenn ich kein Geld dafür gekriegt hätte. Dass zumindest einer von ihnen das erkannte, überzeugte mich meist, mich gegen meinen Chef aufzulehnen. Er war der Ansicht, dass Merry niemals so viel Erfolg haben würden, dass es sich wirklich lohnen würde. Und immer, wenn ich es wagte, ihm vehement zu widersprechen, dachte ich an Yuus ganz spezielles Grinsen, das mehr als Dankbarkeit ausdrückte. Dafür war ich IHM unheimlich dankbar. Gerade, als ich die letzten paar wichtigen Mails durchging, hörte ich einen Schlüssel im Schloss meiner Wohnungstür. Ich versuchte, mich nicht davon ablenken zu lassen, aber als ich das dumpfe Geräusch hörte, das deutlich von in die Ecke geworfenen Schuhen stammte, lehnte ich mich auf meinem Sofa zurück und hob den Blick vom Bildschirm meines Laptops zur Wohnzimmertür. Gara kam hereingestapft und sah aus, als habe er wenigstens fünf Nächte hintereinander nicht geschlafen. Völlig wortlos kam er zu mir herüber, stellte den Laptop auf den Wohnzimmertisch und machte es sich breitbeinig auf meinem Schoß bequem. Ich spürte sein Kinn auf meiner Schulter und seine wirren Haare an meiner Wange, außerdem hatte er die Arme um meine Schultern geschlungen. Er roch nach Alkohol, aber nicht zu penetrant, sodass ich ohne Bedenken meine Arme um seine Taille legte. „Und? Wie viel hast du für die Schuhe bezahlen müssen?“, wollte ich mit sanfter Stimme wissen und lächelte, als der Sänger mit einem leisen Murren sein Gesicht an meinem Hals vergrub. Er war angenehm warm und schien sich selbst nach Nestwärme zu sehnen, also zog ich ihn dichter an mich heran. Er rutschte etwas hin und her und drückte anschließend seinen Schritt kurz an meinen, führte das Angebot aber nicht weiter aus. „Kenichi war besoffen genug, mir seine zu geben“, murmelte er zurück, erschöpft klingend. „Musst du noch viel machen?“ „Nein, ich bin fast fertig.“ Ich strich gedankenverloren durch seine Haare und spürte, wie ein Lächeln an meinen Mundwinkeln zog. „Warum fragst du?“ „Nur so. Will ins Bett.“ Er machte eine kurze Pause und fügte dann vorwurfsvoll hinzu, als hätte ich irgendetwas gesagt: „Schlafen. Bin müde.“ „Geh ruhig schon“, bot ich ihm an. „Ich komm nach. Ich versuch auch, leise zu sein.“ Gara schwieg sehr lange. So lange, dass ich fast fürchtete, er könnte schon eingeschlafen sein. Dann richtete er sich auf und lockerte seinen Klammergriff so weit, dass er mir ins Gesicht sehen konnte. „Ohne dich ist das Bett so kalt“, stellte er missbilligend fest. „Ich kann dir eine Wärmflasche geben“, bot ich ihm an, wohl wissend, dass er genau das nicht meinte. Daraufhin presste er verärgert die Lippen aufeinander, stand auf und war genauso plötzlich wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war. Ich störte mich nicht groß daran, sondern arbeitete die nächste halbe Stunde noch weiterhin konzentriert, bis ich den ganzen Mist endlich fertig hatte. Ich schickte ihn an Cipher, schaltete den Laptop aus und machte mir etwas zu essen. Ich aß vor dem Fernseher, den ich aus Rücksicht auf Gara leise laufen ließ, und gönnte mir hinterher noch eine Zigarette am offenen Fenster. Ich hatte es nicht allzu gerne, wenn ich morgens aufstand und die Wohnung bereits nach kaltem Rauch roch. Danach warf ich einen Blick auf die Uhr, stellte fest, dass es gerade mal halb elf war, und beschloss, noch etwas weiter fernzusehen. Vielleicht kam ja noch irgendetwas Spannendes. Dabei begannen meine Gedanken wieder zu schweifen, und ich musste daran denken, wie dieser ganze Wahnsinn angefangen hatte. ~FLASHBACK~ „Ich hab heut einen neuen englischen Ausdruck gelernt“, verkündete Gara stolz am Telefon. So langsam hatte ich mich daran gewöhnt, dass der Sänger der Band, die ich seit einigen Monaten managte, mich aus heiterem Himmel anrief und mir seltsame Dinge mitteilte. Einige wenige Male war er bereits unangemeldet vorbei gekommen und hatte sich seltsamerweise für mein Leben interessiert, einige andere hatte er mich zu irgendetwas hingeschleift, wo er unbedingt hinwollte. Nur was jetzt kommen würde, wusste ich noch nicht. „Wirklich? Was denn?“, wollte ich eher desinteressiert wissen und versuchte, mir einhändig eine Zigarette anzuzünden, die ich auf den Rand eines Aschenbechers gelegt hatte. „Shit-faced“, entgegnete er mit deutlichem Akzent. Ich runzelte leicht die Stirn. „Und was heißt das?“ „Sturzbesoffen“, meinte er, nicht ohne Stolz in der Stimme. „Warst du schon mal so richtig dicht, dass du kaum mehr laufen konntest und dir geschworen hast, so was tust du dir niemals mehr im Leben an?“ Da musste ich nicht lange überlegen. „Auf jeden Fall.“ „Wie oft?“ „Sechsmal vielleicht.“ Das brachte ihn zum Lachen. Ich mochte es, wenn er lachte. Er hatte ohnehin eine schöne Stimme. Nicht nur beim Singen. „Lust, es noch mal durchzuziehen?“ „Meinetwegen.“ Ich hatte ohnehin nichts Besseres zu tun. Warum mich also nicht mit meinem Sänger besaufen? „Super. Then... let’s get shit-faced!“ Im Endeffekt lief es darauf hinaus, dass wir etwa vier Bars hintereinander abklapperten und in die fünfte gar nicht mehr hineingelassen wurden. Mehr oder weniger enttäuscht beschloss ich, dass Gara auf meiner Couch übernachten konnte, und zusammen zogen wir ab zu meiner Wohnung. Wir versprachen uns zu versuchen, alles, was wir getrunken hatten, bei uns zu behalten, dann gab ich Gara Decke und Kissen und machte es mir in meinem Bett bequem. Für etwa eine Dreiviertelstunde lang. Ich war stockbesoffen, todmüde, erschöpft wie sonst was und ich konnte nicht einschlafen. Das war mir noch nie passiert, ernsthaft. Dass ich dann doch noch aufstand, lag hauptsächlich daran, dass ich meinen Fernseher hören konnte. Kaum geradeaus gucken könnend, tapste ich ins Wohnzimmer und blinzelte Gara schläfrig an. Er glotzte mindestens genauso verschlafen zurück, weshalb wir erst mal lachen mussten. Danach war ich etwas wacher. „Kannst du auch nicht schlafen?“, lallte er mich unartikuliert an, woraufhin ich den Kopf schüttelte. „Meinst du, fernsehen bringt was?“ Ich zuckte mit den Schultern, wankte zum Sofa herüber und ließ mich neben ihm fallen. „Weiß nicht. Ausprobieren.“ Er warf mir einen giftigen Blick zu, der offenbar nur davon herrührte, dass ich mich auf seine Decke gesetzt hatte. Er zog sie unter meinem Hintern hervor und drapierte sie anschließend über meinen Schoß. „Sonst frierst du“, merkte er nur an. Ich hätte nur allzu gerne die nächste halbe Stunde in Ausschnitten und aus der Sicht meines Fernsehers mitverfolgt. Es hätte bestimmt äußerst interessant ausgesehen, wie Gara und ich uns stufenweise auf das Unausweichliche hinarbeiteten. Zuerst saß ich ganz normal und völlig fehl am Platze wirkend auf meiner Couch und starrte wie hypnotisiert geradeaus, während Gara die Knie an die Brust gezogen und die Arme um sie geschlungen hatte. Etwa fünf Minuten später waren wir näher zusammengerückt, weil uns beiden trotz Decke kalt war – wir trugen immerhin nur Shorts und Shirts. Zwei Minuten später waren wir so dicht gedrängt, dass es aussah, als würden wir kuscheln. Nach weiteren fünf Minuten saß Gara quer auf der Sitzfläche und lehnte sich mit dem Rücken an mich. Nachdem fünf zusätzliche Minuten verstrichen waren, hatte Gara den Kopf auf meine Oberschenkel gelegt und hing mit den Beinen über der Armlehne. Nach drei weiteren Minuten waren wir zu dem Schluss gekommen, dass die vorherige Pose für Gara nur unbequem sein konnte, also hatte ich mich ebenfalls quer hingelegt und Gara seinen Kopf auf meinen Bauch legen lassen, während ich ein Bein an der Sofakante herunterhängen ließ und eins parallel zu Gara auf der Sitzfläche liegen hatte. Und letztendlich, nach den letzten fünf Minuten, lag Gara buchstäblich auf mir drauf, den Kopf etwa auf Höhe meines Kinns, zwischen meine Beine gekuschelt und eine Hand abwesend auf einem meiner Oberschenkel. Wäre ich nicht so blau gewesen, hätte ich die Hand eher bemerkt. Wäre ich nicht so blau gewesen, wäre ich eher auf den Gedanken gekommen, dass Gara etwas vorhaben könnte. Wäre ich nicht so blau gewesen, hätte ich gleich die richtigen Schlüsse gezogen, als Gara nach einiger Zeit den Kopf verdrehte, vom flimmernden Bildschirm weg, um an meinem Hals zu knabbern. Tja. Wäre ich nicht so blau gewesen, wäre ich nicht so blau gewesen. Es war nicht so, als dass ich noch nie in meinem Leben homoerotische Erfahrungen gemacht hätte. Es war bloß so, dass ich sie jedes Mal mit offen Homosexuellen gehabt hatte, die mich überredet hatten, es doch einmal zu versuchen. Niemals hatte mich einer verführt oder gar angemacht, ich hatte sie kennen gelernt, sie nett gefunden und mich mit dem Thema Schwulsein auseinander gesetzt. Dann hatte ich einige Gespräche mit ihnen darüber geführt, ihnen zugestimmt, es doch mal auszuprobieren und es dann getan. So einfach war das. Und die Sache war auch die, dass ich in Hinsicht Frauen eher der Dominantere war – das bedeutete, ich lachte mir alle Weiber an, quasselte ihnen die Klamotten vom Leib, machte sie heiß und zog das Ganze anschließend souverän durch. Niemals, nicht, dass ich mich erinnern könnte, hatte jemand ernsthaft versucht, mich zu verführen. Bis zu diesem Zeitpunkt, in dem Gara anfing, mit seinen Zähnen meinen Hals zu bearbeiten. „Gara?“, nuschelte ich, ohne vom Fernseher wegzusehen. Ich war in eine Art Lethargie verfallen, die es mir verbot, mich allzu sehr zu bewegen. „Was machst du?“ Keine Antwort. Stattdessen konnte ich mit einem Mal etwas Feuchtes an meiner Haut spüren. Das riss mich aus meiner Starre. Ich schielte nach unten zu dem braunen Haarschopf und lehnte mich etwa drei Millimeter von ihm weg. Solange er auf mir lag, würde ich mich wohl ohnehin nicht viel bewegen können. „Hast du mich gerade... angeleckt?“, wollte ich fast ungläubig wissen. Die einzige Reaktion, die ich erntete, war, dass die dünne Gestalt zwischen meinen Beinen sich zu mir herumdrehte, sodass sie mir bequem ihre Hände an die Seiten legen und sich an meinem Kiefer entlang küssen konnte. Ich schrieb es meiner Betrunkenheit wie meiner Überzeugung, dass niemand in meinem Umfeld heimlich schwul sein konnte, zu, dass ich das Ganze immer noch für einen schlechten Scherz hielt. „Komm, Gara, hör auf mit der Scheiße. Wenn du-“ Gara packte mir mit einer einzigen Bewegung in den Schritt. Was auch immer ich hatte sagen wollen, es endete in einem überraschten und erstickten Aufkeuchen. Noch während ich überlegte, ob ich einfach gehen, ihn von der Couch schmeißen oder ihn anscheißen sollte, musste ich plötzlich feststellen, dass die Hand zwischen meinen Beinen angefangen hatte, sich ungut vielsagend zu bewegen. Und zusätzlich noch, dass Gara mein Shirt fast ganz hochgeschoben hatte, mit der anderen Hand fast sanft in eine meiner Brustwarzen kniff und mit den Lippen die andere umschlossen hatte. Ich bezweifle, dass Gara so schnell gewesen war, all das innerhalb von zwei Sekunden zu schaffen. Wahrscheinlich war ich einfach nur langsam gewesen. Extrem langsam. „Verdammte Scheiße!“, zischte ich leise und drückte gegen seinen Kopf, um ihn wegzuschieben. „Gara, hör auf, was soll das?“ Aber das allerschlimmste an der Situation war, dass ich begann, auf ihn anzuspringen. Ich wurde allen Ernstes auf meinen Sänger scharf. Wie auch nicht, immerhin hatte er gerade angefangen zu saugen. „Ach du Scheiße, Gara, was soll das, was machst du?“ Und ich werde niemals diesen Blick vergessen, den er mir daraufhin zuwarf. Der braune Haarschopf hob sich ein Stück und erschreckend klare dunkelbraune Augen blitzten mich an. Sie fragten mich ‚bist du eigentlich zu blöd?’. „Ich blas dir einen“, antwortete er äußerst sachlich, ehe er mit einer Bewegung meine Shorts nach unten zog und seine Drohung wahr machte. Das nächste, was ich von mir gab, waren ziemlich unartikulierte Laute, die sich schlecht in Buchstaben fassen ließen. Ich musste mich wohl erst angehört haben wie jemand, der gerade erwürgt wurde, während ich dagegen ankämpfte, die Tatsache äußerst heiß zu finden, dass mein Sänger gerade zwischen meinen Beinen kniete und im stockbesoffenen Zustand offenbar versuchte, die Eichel von meinem besten Stück abzusaugen. Als ich akzeptierte, dass Gara im Moment in die Kategorie ‚heißer als flüssiges Eisen’ fiel, entkam meiner Kehle ein extrem unmännliches, langgezogenes und genussvolles Stöhnen. Ich könnte jetzt damit kommen, dass es über ein halbes Jahr her war, dass ich das letzte Mal mit einem Weib im Bett war, aber es war nicht so, als wäre ich das nicht gewohnt. Nein, was mich in dieser Nacht derartig mitriss und es mir unmöglich machte, mich gegen Gara zu wehren, war die Selbstverständlichkeit, mit der er begann, seinen Kopf auf und ab zu bewegen und dabei sicher stellte, dass ich auch ja genug von seiner Zunge zu spüren bekam. Bekam ich, da musste er sich keine Sorgen machen. Ich bemerkte nicht, dass ich vor Lust bereits die Augen geschlossen hatte, bis Gara mit einem Mal so plötzlich von mir abließ, wie er sich an mir vergriffen hatte. Ich blinzelte mit glasigem Blick, sah aber noch genug, um auf der Stelle die Augen aufzureißen. „Gara, ich glaube nicht, dass das eine gute... ich meine... wir beide sind-“ Er hatte ein Talent darin, einen in der erdenklich angenehmsten Art und Weise zu unterbrechen. Dieses Mal, während er sich langsam auf meine stolze Erektion sinken ließ, schwang in meinem Stöhnen eine gewisse Verzweiflung mit. Ich hatte keinerlei Kontrolle über das, was da gerade mit mir passierte, und genau das war es, was mich so anmachte. Ich wusste es nur nicht. Allein Garas Gesicht wäre genug Material für fünf Orgasmen gewesen – diesen Ausdruck des vollkommenen Genusses würde ich wohl niemals vergessen. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen und die Lippen geöffnet. Erst als ich vollständig in ihm war, öffnete er die Augen wieder und schenkte mir ein schiefes Grinsen. „Oh yeah“, wisperte er leise und fing an, sich zu bewegen. (Er stritt inzwischen ab, das gesagt zu haben, aber ich bin mir hundertprozentig sicher, dass er genau das von sich gegeben hat, bevor er mir den Verstand aus dem Hirn ritt.) Ich konnte ihm nicht viel entgegen setzen. Dass ich meine Hände an seine Hüften legen und seine Bewegungen mit Stößen meinerseits erwidern konnte, war bereits ein unheimlicher Konzentrationsaufwand für mich. Ich dachte alles gleichzeitig, einmal natürlich ‚ach du HEILIGE Scheiße’, dann ‚oh mein Gott bin ich besoffen’ und selbstverständlich ‚oh mein Gott ist ER besoffen’, ‚hoffentlich erinnern wir uns beide nicht daran, nein, Moment, hoffentlich erinnert ER sich nicht daran’, ‚Scheiße ist er eng, da halt ich ja kaum zwei Minuten durch’ und ‚ich komme, ach du Kacke, ich komme schon, das kann doch wohl nicht sein, wenn er sich noch einmal so anspannt, noch ein EINZIGES Mal, ein einziges verdammtes Mal, dann ist es aber mit mir vorbei Scheiße streng dich doch ein bisschen an reiß dich zusammen oh GOTT muss er sich immer so bewegen ja tiefer tiefer ich will tiefer oh Gott oh Gott oh Gott das halt ich nicht aus das halt ich im Leben nicht aus genau noch tiefer das ist genau das was ich will und oh mein Gott kann er nicht endlich mal kommen ich will noch nicht noch nicht noch nicht noch NICHT’. Und irgendwie, keine Ahnung wie, schaffte ich es durchzuhalten, bis Gara seinen Höhepunkt erreichte, bevor mein eigener Orgasmus mich beinahe erschlug. Es war definitiv einer der besten, die ich je gehabt hatte, und ich wollte nicht wirklich wissen, wie ich dabei aussah. Trotzdem zitterten hinterher nicht nur meine Finger und ich wusste, dass ich auf die Fresse fliegen würde, versuchte ich aufzustehen, weil meine Knie nur noch aus Pudding bestanden. Wenigstens sah Gara annähernd ähnlich mitgenommen aus und hatte gleiche Probleme, zu Atem zu kommen. Eine Weile gewöhnten wir uns nur wieder ans normale Atmen, dann stieg er von mir herunter und kniete sich zwischen meinen Beinen hin, mich neugierig musternd. „Scheiße“, murmelte ich, vollkommen fertig, und konnte immer noch nicht glauben, was zur Hölle gerade eben passiert war. „Gara, ist dir überhaupt bewusst, was-“ „Schlafen wir in deinem Bett?“, fiel er mir ins Wort und grinste wieder so schief. „Ich glaub, die Couch ist nicht groß genug für uns beide.“ Ich grinste hilflos zurück. Mir fiel nichts Besseres ein. Und ehrlich gesagt fühlte ich mich genau so, wie ich höchstwahrscheinlich aussah. Irgendetwas, das außerhalb meiner Kontrolle lag, war geschehen, und jetzt würde ich mit den Konsequenzen umgehen müssen. Aber wenn diese erst mal darin bestanden, neben meinem Sänger in meinem Bett zu schlafen, konnte ich damit recht gut leben. ~FLASHBACK END~ Aber selbstverständlich war es nicht bei dieser überschaubaren Konsequenz geblieben, denn sonst würde Gara gerade nicht in meinem Bett schlafen. Just in dem Moment, da ich diesen Gedanken zuende gedacht hatte, musste ich mich korrigieren: Sonst würde Gara gerade nicht im Türrahmen stehen und mich gleichzeitig schläfrig und angepisst anstarren. Ich hob den Blick und erwiderte seinen. „Was ist los?“, fragte ich sanft. „Wie spät ist es?“, murrte er schlecht gelaunt und warf dem flimmernden Bildschirm einen vernichtenden Blick zu. „Gleich kurz vor elf“, antwortete ich. „Hat dich der Fernseher wach gehalten?“ „Nein, aber ich bin aufgewacht und musste feststellen, dass ich IMMER NOCH alleine im Bett liege“, entgegnete er vorwurfsvoll und presste wieder missbilligend seine Lippen zusammen, wie er es immer tat, wenn etwas nicht so lief, wie er sich das vorstellte. Ich musste lächeln. „Ich komme sofort. Leg dich erst mal wieder hin.“ Mit diesen Worten stellte ich den Fernseher aus, stand auf und brachte das dreckige Geschirr zurück in die Küche, räumte es in die Spülmaschine. Als ich zurückkehrte, stand Gara noch immer da, nun allerdings mit verschränkten Armen, weil er offenbar fror. Als wollte er sichergehen, dass ich auch ja nicht noch irgendetwas Unnötiges machte. Ich lächelte wieder in mich hinein, leerte noch schnell den Aschenbecher aus und wollte den Sänger eigentlich umarmen, aber bevor ich ihn überhaupt zu fassen kriegen konnte, drehte er sich um und ging zurück ins Schlafzimmer. Mit einem leisen Seufzen folgte ich ihm, zog mich aus, verschwand noch kurz im Badezimmer und legte mich anschließend ins Bett. Gara hatte mir demonstrativ den Rücken zugedreht. Ich wusste nicht, in was für einer Laune er sich gerade befand, ob er müde war oder einfach nur so in Ruhe gelassen werden wollte oder etwa sauer auf mich war, deshalb hielt ich vorsichtshalber einen Sicherheitsabstand ein. „Gute Nacht“, wünschte ich ihm leise und berührte ihn am Arm. Er schüttelte meine Hand ab, woraufhin ich kurzerhand einen Arm um seinen Oberkörper legte. Er wehrte sich noch ein wenig, aber es war mehr gespielt als sonst was, da ich ihn ohne Probleme an mich ziehen konnte. Ich ließ meine Hand auf seiner Brust liegen, schob ein Bein zwischen seine und vergrub mein Gesicht an seinem Nacken, den angenehmen Duft seiner Haare einatmend. Es dauerte etwa fünf Minuten, bis Gara sich vollständig an mich schmiegte und eine Hand auf meine legte. Ich verschränkte unsere Finger ineinander und er kuschelte sich etwas weiter an mich. Keine Frage, dass ich die Nacht selig durchschlief. Als ich am nächsten Morgen durch den Wecker wach wurde, stellte ich zuerst das nervige Piepsen aus und wälzte mich eine Weile hin und her, bevor mir auffiel, was anders war. Ich konnte mich frei bewegen, ohne einen Ellbogen in den Magen oder einen Tritt gegen das Schienbein zu bekommen. Das bedeutete, dass Gara nicht mehr im Bett lag. (Ja, mir war bereits aufgefallen, dass dies eine komische Art war, festzustellen, ob Gara schon aufgestanden war.) Während ich mein Hirn zermarterte, was ich verpasst hatte, raffte ich mich auf und ging erst einmal duschen. Danach zog ich mich an und ging in die Küche. Ich hätte beinahe gelacht, als ich Gara mit einer Schürze am Herd stehen sah, aber ich konnte mich im letzten Moment noch zurückhalten. „Morgen“, begrüßte ich ihn und hoffte, dass ich nicht allzu amüsiert klang. Er schenkte mir die Andeutung eines Lächelns. „Ich bin schon seit einer Stunde wach“, verkündete er und deutete mit dem Kinn auf den Teller, der neben ihm stand. „Und deshalb hatte ich Langeweile.“ Wie es aussah, hatte er ganz in amerikanischer Art Pancakes gemacht, sie alle aufeinander gestapelt und Unmengen von Sirup drüber gegossen. „Gleich zum Frühstück ein Zuckerschock kann nicht verkehrt sein, fand ich.“ Mit einem Grinsen setzte ich mich an den Esstisch. „Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen?“ „Du hast mich dazu inspiriert, während ich dich beim Schlafen beobachtet habe“, erwiderte er mit einem ernsten Gesichtsausdruck und musterte den Pancakeberg. „Ich meine... sieh es dir an. Es ist eine einzige schmierige, schleimige, zuckersüße Orgie.“ Als ich nun doch lachte, gab er sich Mühe, beleidigt auszusehen, schaffte es aber nicht allzu überzeugend. „Und an so was denkst du, wenn du mich beim Schlafen beobachtest?“, fragte ich nach, nicht sicher, ob ich mich darüber freuen konnte. „Natürlich“, entgegnete er gespielt schnippisch. „Sei froh, dass du nicht weißt, was ich MACHE, während ich dich beobachte.“ Man konnte nicht behaupten, dass Gara seine Arbeit nicht ernst nahm. Nein, Moment, man KONNTE behaupten, dass er seine Arbeit nicht ernst nahm, aber hätte man gesagt, dass er das Singen nicht ernst nähme, hätte man Unrecht. Denn genau das war es, was das Arbeiten mit ihm so schwierig gestaltete. Sein Interesse an Interviews war mehr als peripher, Photoshootings fand er erst erträglich, wenn er vor der Kamera stand, und irgendwelche geschäftlichen Verabredungen waren ihm ein Gräuel. Stand an einem Tag lediglich ein Interview oder ein Shooting an, bekam man ihn kaum aus dem Bett, das hatte er ja bereits eindrucksvoll bewiesen. Und wenn man ihn so weit hatte, dass er angezogen und fertig war, wusste man schon, dass man zu spät kommen würde, außerdem war seine Laune im Keller und er war unmotiviert wie sonst etwas. Wenn er dann auf seine Bandkollegen traf, wurde es etwas besser, aber am Morgen war er wirklich unerträglich. Wenn Gara wusste, dass er einen Auftritt haben würde – und das wusste er IMMER, egal, ob man es nur einmal kurz in einem Nebensatz erwähnt hatte, was Auftritte anging, hatte er seinen eigenen Kalender im Kopf –, dann stand er meist vor mir auf, hatte blendende Laune und konnte es kaum erwarten, loszufahren. Meistens legte sich das im Laufe des Tages ein wenig, zwischendurch hielt er dann oft noch ein Mittagsschläfchen, aber man konnte hundertprozentig sicher sein, dass er egal wie sein Bestes geben würde. Ich hatte nicht ein einziges Mal erlebt, dass er bei einem anstehenden Auftritt nicht auf der Höhe gewesen wäre. Vor Konzerten war es noch extremer. Aber genau das war es, was Gara ausmachte – das, was er mit Leidenschaft tat, konnte ihm niemand versauen, und das, was er nicht mochte, würde auf immer bei ihm unten durch sein. „Bist du endlich mal fertig, ich will los!“, drängte er mich gerade und wirkte, als würde er mich jeden Moment zur Tür herausscheuchen. „Gara, wenn wir jetzt losfahren, sind wir eine halbe Stunde zu früh da“, merkte ich ruhig an. „Wir haben noch mehr als genug Zeit.“ „Nein! Wir müssen jetzt losfahren, JETZT, verstehst du? Los! Zieh dich an!“ Er wäre am liebsten auf der Stelle herumgehüpft. Ungeduldig schob er mich in den Flur, wo ich mich einen Moment suchend nach den Autoschlüsseln umsah. „Ich weiß, wo sie sind!“, rief er auf der Stelle und stürmte beinahe ins Schlafzimmer. Gefühlte zwei Sekunden später war er wieder da und drückte mir den Schlüsselbund in die Hand. „Du hättest dir wenigstens schon mal Schuhe anziehen können!“ Ich beschloss, seine Beherrschung nicht noch weiter zu strapazieren – er konnte wirklich so weit gehen, mir die Schlüssel zu klauen und zu drohen, dass er alleine losfuhr, wenn ich mich ‚nicht bald mal langsam beeilte’ – und fügte mich seiner Ungeduld. „Es beeindruckt mich wirklich, wie schnell du auf den Beinen sein kannst“, bemerkte ich, als wir im Auto saßen. „Fahr linksrum“, wies er mich an, und als ich erst nicht reagierte, wiederholte er lauter: „Links!“ Ich gehorchte, warf ihm allerdings einen zweifelnden Blick zu. „Das ist ein Umweg, das weißt du schon?“ Er antwortete nicht, sondern sah kurz aus dem Seitenfenster. Normalerweise respektierte ich diese Ich-will-nicht-mit-dir-reden-Haltung, aber an diesem Vormittag begann sie, an meinen Nerven zu nagen. „Fool’s Mate wollen für ihre Juli-Ausgabe noch ein Interview mit euch machen“, sprach ich das leidige Thema an und betrachtete Gara. „Und zwar so schnell wie möglich. Sie haben noch einen Termin für morgen einschieben können, um neun Uhr.“ „Wissen die anderen das schon?“, war seine einzige Frage, und ich wusste genau, weshalb er gerade das gefragt hatte. „Ja, wissen sie“, gab ich ruhig zurück. „Ich habe sie gestern Abend noch angerufen, während du geschlafen hast, deshalb habe ich es dir nicht sofort gesagt. Und danach hast du nicht gewirkt, als könntest du irgendeine Art von Informationen aufnehmen. Aber ich verspreche dir, wenn du mich morgen wieder anmaulst, lasse ich dich liegen. Und wenn die Typen von Fool’s Mate dann-“ „HALT AN!!!“, schrie er völlig ohne Vorwarnung. Ich erschreckte mich so sehr, dass ich augenblicklich auf die Bremse trat. Ich hatte unheimliches Glück, dass niemand direkt hinter mir war, sonst wäre mein Auto – zumindest hinten – Schrott gewesen. „Was zur-“ Gara schnallte sich ab, riss die Beifahrertür auf und stürzte aus dem Auto. Ich saß nur da und starrte ihm mit offenem Mund hinterher. Was um alles... Noch während ich versuchte, das Ganze zu verarbeiten, beobachtete ich, wie der Sänger in den CD-Laden sprintete, auf den er es offenbar abgesehen hatte. Hatte ich irgendetwas verpasst? Ich überlegte, was ich machen sollte, stellte die Warnblinkanlage an und blieb einfach stehen, wenn auch nicht ohne eine Grimasse zu schneiden. Ich konnte nur hoffen, dass keine Polizei in der Nähe war, sonst dürfte ich wohl einiges erklären können. Glücklicherweise tauchte Gara nach nicht mal zwei Minuten wieder auf, und im gleichen Tempo wie zuvor sprang er wieder in mein Auto, knallte seine Tür zu und schnallte sich an. „Weiter!“, forderte er mich strahlend auf. „Was um alles in der Welt WAR das?!“, verlangte ich zu wissen, bevor ich die CD bemerkte, die er gerade ganz vorsichtig auspackte. Ach so. Natürlich. Das erklärte alles. Ich widerstand dem Drang, meinen Kopf auf das Lenkrad zu schlagen und schloss stattdessen nur kurz die Augen. „Ist die heute rausgekommen?“, fragte ich schwach. Ich konnte nichts dagegen machen, dass meine Wut mit einem Mal verpuffte. Ich hätte es wissen müssen. „Hab eine vorbestellt, sonst wäre sie zweifellos weg gewesen“, stimmte Gara mir nickend zu und fasste mein Radio scharf ins Auge. „Mach sie rein“, seufzte ich ergeben. Breit grinsend schob er die CD in den Schlitz und sah mich an. „Fahr doch weiter.“ Ich tat wie befohlen, während das Schlagzeug von ‚TOKYO’ anfing zu spielen. Gara und Kiyoharu – die beiden waren ein Kapitel für sich. Ich hatte nie verstanden, weshalb mein Sänger diesen Typ so sehr vergötterte, aber genau das tat er. Kiyoharu war – zusammen mit Kyo von Dir en grey, was ich noch viel weniger nachvollziehen konnte – einfach Garas großes Vorbild. Und nicht nur Garas – ganz Merry schien den Typ zu lieben. Er riet ihnen, Anzüge anzuziehen, damit sie seriöser wirkten, sie taten es und wirkten tatsächlich seriöser. Er gab Gara Tipps fürs Singen und dem Rest der Band Tipps für Auftritte, Konzerte und Touren. Er war fast eine Art Mentor. Kein Wunder, dass sie selig gewesen waren, als Kiyoharu sie sogar gefragt hatte, ob sie nicht als seine Vorband fungieren wollten. Zwar nur an zwei Tagen der Thirteen-Tour seiner Band SADS, aber trotzdem – Gara hatte ihn angehimmelt wie sonst was. Gut, Kiyoharu konnte nicht schlecht singen, er hatte eine überzeugende Bühnenpräsenz und alles... aber er passte meiner Meinung nach nicht zu Merry. Paradoxerweise verstand er sich vielleicht gerade deshalb so gut mit ihnen, keine Ahnung. Fakt war, dass Gara seine Seele verkauft hätte, um einmal zusammen mit Kiyoharu singen zu können. Und Fakt war, dass er das gar nicht hatte tun müssen. Ich betrachtete das Cover der CD, die noch immer von Gara bewundert wurde. SADS – Greatest Hits ~Best of 5 Years~. Kein Wunder, dass er so scharf drauf gewesen war. Tja, Merry wurde immer bekannter. Das bedeutete, dass auch andere Bands ihr Augenmerk auf Merry richteten, und das wiederum bedeutete, dass Gara und die anderen Kontakte knüpfen würden. Die waren immerhin das A und O im Musikgeschäft, das wusste ich selbst. Aber das bedeutete auch, dass sie bald nicht mehr meine eigene Band sein würden, sondern eine anerkannte, junge, aufstrebende Band, die von mir gemanagt wurde. Eine gewisse Wehmut ergriff mich bei dem Gedanken. So musste es wohl sein, wenn Eltern beobachteten, wie ihr Kind langsam, aber sicher erwachsen wurde. Sie konnten ihm den Weg weisen und es unterstützen, aber im Endeffekt würde es die Entscheidungen selbst treffen. Meine Gedanken wurden kurz davon unterbrochen, dass Gara anfing mitzusingen, aber als mir auffiel, dass er bis ‚Nightmare’ vorgespult hatte, spürte ich ein schwaches Lächeln auf meinen Lippen. Das war der Song gewesen, den Merry als Vorband von SADS gecovert hatten. ~*~ Gara vor Auftritten war ja schon ziemlich anstrengend, aber Gara nach Auftritten war völlig unberechenbar. Manchmal hatte er derart gute Laune, dass er die gesamte darauffolgende Nacht damit verbrachte, fröhlich auf mich einzuquasseln, manchmal ging er aus Müdigkeit direkt schlafen, manchmal wurde er mehr als anspruchsvoll und war nur glücklich, wenn man ihm dieses Gericht kochte und dazu jenes Getränk bereit stellte und zusätzlich eine bestimmte Musik im Hintergrund laufen ließ, manchmal... Die Möglichkeiten waren endlos. Aber das Erfreuliche war, dass die wenigsten davon allgemein gesehen negativ waren. Kurz: Nach einem Auftritt, egal welcher Art, war Gara gut gelaunt. Das war angenehm. An diesem Abend wirkte er allerdings eher müde als hyperaktiv, und so ließ ich ihn größtenteils in Ruhe. Ich sprach noch kurz mit den anderen Merries, beglückwünschte sie wie immer zu ihrer einzigartigen Performance, die mich jedes Mal aufs Neue mitriss, sammelte Gara ein und fuhr mit ihm nach Hause. Er schwieg die meiste Zeit, bestand aber darauf, SADS zu hören. Beim fünften Lied, Boukyaku no Sora, packte es ihn allerdings, sodass er leise mitsingen musste. Er betrat die Wohnung vor mir, und bevor ich überhaupt die Chance bekam, die Tür zuzumachen, drückte er mich dagegen, woraufhin diese mit einem Klacken ins Schloss fiel. Ich hatte gerade den Mund geöffnet, da gesellte sich eine zweite Zunge zu meiner eigenen und forderte sie offenbar zu einem Tanz auf. Mit einem gedämpften Stöhnen versuchte ich hastig, die Schlüssel in meine Hosentasche zu stecken, kümmerte mich aber nicht groß um sie, als sie laut zu Boden fielen. Nun endlich die Hände frei, vergrub ich eine davon in Garas Haaren und zog mit der anderen seine Hüften näher an meine. Garas eine Hand lag auf meiner Wange und seine andere schob sich bereits unter mein Hemd. „Schlafzimmer?“, flüsterte ich zwischen zwei äußerst unordentlichen Küssen, die allerdings durchaus nicht unbeteiligt daran waren, dass mir immer wärmer wurde. „Nein, ich will dich hier“, gab Gara etwas atemlos zurück und presste seinen Schritt an meinen, was meiner Kehle ein weiteres ersticktes Stöhnen entlockte. Ich krallte mich in seinen Hintern, woraufhin er anfing, überdeutliche Bewegungen mit seinen Hüften zu machen, die ich nur erwidern konnte. Wir kümmerten uns nicht darum, uns vollständig auszuziehen, stattdessen wurde ich so schnell wie möglich meine Hose los und zog Garas nur über seine Hüften. Keine Minute später biss ich bereits in seine Schulter, um meine Geräusche zu dämpfen, während er sich keine Gedanken darum machte, sondern immer wieder genüsslich stöhnte, während er mich im Rhythmus seiner Stöße gegen die Wohnungstür presste. Ich hatte ein Bein um seine Hüften und meine Arme um seine Schultern geschlungen, und seltsamerweise besaß er noch genügend Kraft, um uns beide aufrecht zu halten. Als er mich allerdings soweit hatte, dass ich kurz vor dem Orgasmus stand, war mir auch alles egal. Sollten die Nachbarn doch denken, was sie wollten. Wir kamen fast gleichzeitig, das Ganze etwa so schnell vorbei, wie es angefangen hatte. Trotzdem nahmen wir uns noch die Zeit, eine Weile dazustehen, ich an die Tür und Gara an mich gelehnt, sein Gesicht an meinem Hals und meine Arme um seine Taille. „Das hat mir gestern gefehlt“, seufzte er zufrieden und strich mit den Fingerspitzen über meinen Oberschenkel. „Ich hab dir schon mal gesagt, dass wir nicht jeden Tag vögeln können“, entgegnete ich, noch immer etwas außer Atem. „Machen wir aber trotzdem. Fast.“ Gara hob den Kopf, um mich ansehen zu können. „Jetzt Schlafzimmer?“ Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Wir stolperten mehr, als dass wir gingen, zu meinem Bett – hauptsächlich, weil wir damit beschäftigt waren, uns gegenseitig nun vollständig auszuziehen und dabei unsere Lippen nicht voneinander zu trennen. Als wir uns endlich unter die Decke kuscheln konnten, betrachtete Gara mich mit einem vielsagenden Lächeln. „Was ist?“, wollte ich zögerlich wissen. Er lehnte sich lediglich zu mir und begann, an meinem Ohr zu knabbern, während er sich gleichzeitig an einer meiner Brustwarzen vergriff. Ich kniff ein Auge leicht zusammen und klammerte mich an seine Seiten – wenn er wollte, konnte er verdammt sexy sein. Und offensichtlich wollte er gerade. „Gara“, murmelte ich in einem Lass-den-Unsinn-Tonfall, schmiegte mich allerdings dichter an ihn, als er mit einer Hand nach meinem Hinterteil griff. „Kriegt da jemand schon wieder einen Ständer?“, wisperte er triumphierend in mein Ohr, was das Ganze nicht viel einfacher machte. „Reiz mich nicht“, gab ich vieldeutig zurück und legte eine Hand an seine Hüfte. „Ich hab gehört, dass man nach einem Quickie viel schneller in die zweite Runde gehen kann“, flüsterte er. „Eigentlich glaub ich das ja nicht richtig.“ „Soll ich’s dir beweisen?“ Etwa eine halbe Stunde später lagen wir nebeneinander im Bett, beide den Blick an die Decke gerichtet und in unsere eigenen Gedanken versunken. Wie tiefgründig diese waren, bewies Gara sehr eindrucksvoll durch seine Aussage: „Ich will eine rauchen.“ Ich musste lächeln und drückte seine Hand, woraufhin er unsere Finger ineinander verschränkte. Eine Weile herrschte wieder Stille. „Ich will wirklich eine rauchen“, betonte der Sänger und drehte mir den Kopf zu. „Kommst du mit?“ „Gara, es ist kurz vor eins“, bemerkte ich. Er sah mich unverwandt an, bis ich seufzte. „Ja, ich komm mit. Meinetwegen.“ Wir zogen uns Shorts an, gingen in die Küche und betrachteten erst unsere Zigarettenpackungen, die auf dem Tisch lagen, und dann das Küchenfenster. „Das wird kalt“, murmelte Gara langsam. „Da müssen wir durch. Los.“ Wir zündeten uns jeweils eine Zigarette an und öffneten dann erst das Fenster. Wir rauchten so lange, bis Garas Zähne klapperten, schlugen das Fenster wieder zu und drückten die Kippen schnell im Aschenbecher aus. „Daisuke?“, fragte Gara vorsichtig. „Ja?“ „Ich hab Hunger.“ Ich verzog das Gesicht. „Ich auch. Wir können uns aber jetzt nicht auch noch was zu essen machen, das wird zu spät.“ Mein Bauch fing an zu grummeln. „Es wird wirklich zu spät.“ Eine geschlagene Stunde später lagen wir wieder im Bett, satt, zufrieden und todmüde. Außerdem war mir arschkalt. „Gara, komm her, mir ist kalt“, bibberte ich und versuchte, den Sänger zu mir zu ziehen. „Du bist aber auch kalt!“, protestierte er und rückte von mir weg. „Gar nicht, sechsunddreißig Grad sind alles andere als kalt!“, widersprach ich ihm zitternd. Letztendlich klammerten wir uns aneinander und verfluchten uns für unsere Faulheit. Warum hatten wir uns nicht einfach mehr anziehen können? Nein, stattdessen lagen wir jetzt hier, ich mein Gesicht in Garas Haare gedrückt, unsere Beine miteinander verflochten und beide nach der Körperwärme des anderen suchend. Und trotzdem bereute ich es irgendwie nicht. Überraschenderweise wurde ich am nächsten Morgen nicht vom Piepsen des Weckers wach, sondern einfach so – weil ich das Gefühl hatte, ausgeschlafen zu sein. Ich blieb noch einige Minuten liegen und genoss das Sonnenlicht, das ins Zimmer fiel, wie es das immer am Vormittag tat. ..... Vormittag? Ich schlug die Augen auf und drehte meinen Kopf zur Seite, um auf den Wecker sehen zu können. 11:32 Uhr stand dort in der Digitalanzeige. Mit einem einzigen Ruck saß ich aufrecht. Halb zwölf. Halb zwölf?!? Was zur Hölle?? Und dann fiel mir noch etwas anderes auf – ich war noch nicht geschlagen oder getreten worden. Das bedeutete... dass Gara schon wach war? Tatsache, das Bett war leer. Aber... Wankend, weil mir der Schock noch in allen Gliedern saß, stolperte ich aus dem Schlafzimmer, sah mich um und musste feststellen, dass Gara offenbar auch schon aufgeräumt hatte. Ich ging wieder ein paar Schritte rückwärts und war beruhigt zu sehen, dass er unsere vom Vorabend verstreute Kleidung lediglich auf einen Haufen im Schlafzimmer geworfen hatte – das bedeutete, dass er nicht den Verstand verloren hatte. Anschließend schaute ich mich noch um, konnte aber meine Autoschlüssel nirgendwo entdecken. Wow. Hieß das, dass Gara ganz alleine aufgestanden war, aufgeräumt hatte und ... Nein, das konnte nicht sein. Viel wahrscheinlicher war, dass er sich einen Tag frei genommen und ins Disneyland Tokyo gefahren war. Ich murmelte einige mehrfarbige Flüche, die das Ganze natürlich auch nicht besser machten, aber danach fühlte ich mich entspannter. Okay. Das Beste war, wenn ich mich einfach erst einmal anzog. Nein, vorher musste ich noch was essen. Und duschen sollte ich vielleicht auch. Während ich mir gerade einen ziemlich starken Kaffee machte, klingelte das Telefon. Ich ging dran. „Ja?“ „Daisuke?“, ertönte Ciphers wie immer abgeklärt klingende Stimme am anderen Ende der Leitung. „Morgen, Chef“, begrüßte ich ihn freundlich und biss mir noch im selben Moment auf die Zunge. Autsch. „Guten Morgen“, kam die etwas kältere Antwort. „Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Ich habe schon mal angerufen, so gegen zehn Uhr. Eigentlich dachte ich, dass du mit deinen Schützlingen bei Fool’s Mate wärst, aber offenbar lag ich da falsch.“ Ich schnitt eine Grimasse über mich selbst und atmete einmal tief durch. „Ja, ich hab verschlafen. Aber die fünf schaffen das auch ohne mich, da musst du dir keine Sorgen machen.“ Okay. Wenn Gara jetzt tatsächlich nicht aufgekreuzt war, steckte ich bis zum Hals in der Scheiße. „Das war es nicht, weshalb ich angerufen habe. Sondern eher die Tatsache, dass Gara-“, ich kniff die Augen zusammen, „-offenbar mit deinem Auto unterwegs ist.“ „Er ist aufgetaucht?“, wollte ich halb ungläubig, halb erleichtert wissen. Ich hätte mir gegen die Stirn schlagen können und begann, unruhig im Kreis zu rennen. Eine kurze Stille von Ciphers Seite aus. „Ja, ist er. Hör mal zu, Daisuke, ich begrüße es wirklich, dass du dich so gut mit deinen Kleinen verstehst. Und es geht mich auch eigentlich nicht viel an, wenn du mit deinem Sänger zusammen wohnst. Das kann mir alles egal sein. Ich will nur, dass du eins weißt – wenn diese Tatsache anfängt, deine oder seine Arbeit in irgendeiner Weise zu behindern, dann kannst du dich auf was gefasst machen. Ich bin kein Anhänger von solchen Beziehungen, und damit meine ich nicht, dass ihr zwei Kerle seid. Meinetwegen könntest du mit dem Papst zusammen wohnen. Das juckt mich nicht, aber nur solange nicht, wie du deinen Job ordentlich ausführst. Hast du das verstanden?“ Ich legte mir für einen Moment eine Hand über die Augen und verzog das Gesicht. Heilige Scheiße. „Daisuke?“ „Ja“, entgegnete ich schnell und ließ mich auf einen Küchenstuhl sinken. „Ja, das habe ich verstanden. Ich gebe mein Bestes, Chef.“ „Manchmal reicht das aber nicht.“ Cipher schien einen Augenblick zu überlegen. „Sei vorsichtig, Daisuke. Ich bezweifle, dass du bei dem Ganzen gut wegkommst.“ Ich erwiderte nichts. Ich hatte keine Lust, mich mit meinem Boss über die Situation zu unterhalten, in der ich mich gerade befand. „Bis dann, Daisuke.“ Wortlos legte ich auf und musste feststellen, dass mein Herz ziemlich schnell schlug. Für einen Morgen war das definitiv zu viel Stress gewesen. Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt. Na ja, wenigstens hatte Gara den Anstand besessen, bei Fool’s Mate aufzukreuzen. Das war schon mal was – so hatte Cipher nichts Handfestes, das er mir vorhalten konnte. Bis auf dass er mich erwischt hatte, wie ich bis halb zwölf schlief. Ohne ersichtlichen Grund. Wie war es überhaupt noch mal dazu gekommen, dass Gara beschlossen hatte, bei mir zu wohnen? Richtig, wir hatten das eine Mal im sturzbesoffenen Zustand auf meiner Couch miteinander geschlafen. Und für etwa zwei Monate war es dabei geblieben – ich hatte es bereits als einmaliges Erlebnis abgetan (mit einer gewissen Erleichterung – es hatte mich schon ein wenig aus der Bahn geworfen). Zwischen Gara und mir hatte ich keine Veränderung feststellen können, er hatte mich weiterhin aus heiterem Himmel angerufen und mir irgendetwas erzählt. Und dann stand er eines Tages unangemeldet vor meiner Tür und begrüßte mich mit diesem zähnefletschenden Grinsen, das ich meiner Meinung nach nicht verdient hatte. „Kann ich reinkommen oder hast du Besuch?“, wollte er sofort wissen, nachdem ich ihm die Tür geöffnet hatte. Anschließend folgte er mir ins Wohnzimmer und faltete sich dort auf meinem Sessel zusammen. „Gibt’s irgendwas Wichtiges?“, wollte ich zögernd wissen, beunruhigt durch den ernsten Ausdruck in seinem Gesicht. „Kann ich bei dir einziehen?“, lautete seine Gegenfrage. Seine dunkelbraunen Augen betrachteten mich forschend. Für einen Moment wirkte es, als wolle er mich mit dieser Frage nur testen, deshalb starrte ich ihn erst regungslos an. „Ist das dein Ernst?“, brachte ich dann heraus. Er nickte langsam. „Mein Vermieter hat mich rausgeschmissen. Und von jetzt auf gleich find ich keine Wohnung.“ „Ach so, du meinst für die Übergangsphase?“, schlussfolgerte ich. Gara sah mich wieder so aufmerksam an. „Genau. Für die Übergangsphase“, wiederholte er langgezogen. Ich überlegte. Meine Wohnung war nicht allzu groß, aber sicherlich groß genug für zwei Leute. Er konnte auf meiner Couch schlafen, ansonsten müsste es auch kein Problem geben. Vom Platz her nicht, nein. „Aber... meinst du nicht auch, dass es ein wenig seltsam wirkt, wenn wir-“ „Ist das ein Problem für dich?“, fiel er mir ins Wort und neigte den Kopf leicht zur Seite, als wolle er sagen ‚überleg mal, was wir beide schon gemacht haben’. Ich dachte wieder nach. War das ein Problem für mich? Nein, eigentlich nicht. Wenn ich dafür meinem Sänger Asyl gewähren konnte – denjenigen, auf die es ankam, konnte man es ja problemlos erklären. „Eigentlich... müsste es okay sein“, entgegnete ich vorsichtig. „Gut!“ Gara schenkte mir ein leichtes Lächeln und stand wieder auf. „Dann komm.“ Er stapfte zurück zur Wohnungstür. Irritiert folgte ich ihm. „Was? Wohin?“ „Meine Sachen holen. Mein Vermieter hat mich heute rausgeschmissen.“ „Das... Gara!“ Ich blieb entgeistert stehen. „Du willst HEUTE schon hier einziehen??“ Er grinste mich schief an. „Natürlich. Soll ich die Nacht auf einer Parkbank verbringen? Oder kriegst du etwa noch Besuch?“ Er zog vielsagend eine Augenbraue hoch. „Nein, das nicht.“ Aber er hatte Recht – was, wenn ich mir irgendeine hübsche Frau anlachte? Das könnte sich zu einem Problem entwickeln. „Keine Sorge“, sagte Gara vollkommen ernst. „Wenn du mich hast, brauchst du keine Frauen mehr.“ Und damit stapfte er aus meiner Wohnung. In dem Moment weigerte sich mein Verstand, diese Aussage so zu verstehen, wie er sie offenbar gemeint hatte, aber wie es sich herausstellte, hatte er durchaus Recht. Etwa eine Woche, nachdem er bei mir eingezogen war, machte mich Gara eines Abend so scharf (ich weigerte mich, es ‚verführen’ zu nennen), dass ihn tatsächlich als allerersten Kerl an mein Hinterteil ließ. Es tat so dermaßen weh, dass ich am nächsten Tag nicht laufen konnte, aber irgendwie setzte es sich trotzdem durch – wobei Gara und ich die Rollen durchaus zwischendurch tauschten. Je nachdem, wie wir uns gerade fühlten. Am Anfang war ich noch der Überzeugung, dass es nicht lange mit uns so weitergehen konnte, aber nachdem es tatsächlich zwei weitere Monate so weiterging, fragte Gara mich, ob er nicht dauerhaft bei mir wohnen könnte. Er würde sogar Miete zahlen. Das war der Punkt, an dem ich mein Schicksal besiegelte, indem ich zusagte. Als ich etwa eine halbe Stunde später aus der Dusche kam und mich auch schon angezogen hatte, lag Gara bereits bequem ausgestreckt auf meinem Sofa und hörte eine alte Kuroyume-CD über meine Anlage. Ich blieb im Türrahmen stehen, bis Gara mich mit einem Blick ansah, der deutlich aussagte, dass er ganz mit sich im Reinen war. „Ich hab dich heute Morgen mal schlafen lassen“, bemerkte er stolz und lächelte leicht. „Und ich bin alleine aufgestanden.“ Mit einem Seufzen ließ ich mich in den Sessel sinken und zündete mir eine Zigarette an. „Ich bin beeindruckt, wirklich. Wie ist es gelaufen?“ Er zuckte mit den Schultern. „War in Ordnung. Tetsu hat total mit einer der Interviewerinnen geflirtet. Wir haben schon Wetten abgeschlossen, ob er sie wohl wiedersieht oder nicht. Hast du schon Mittagessen gemacht?“ „Ich habe vor einer Viertelstunde gefrühstückt“, antwortete ich, woraufhin er lachen musste. „Der Chef hat angerufen.“ „Wer? Cipher?“ Ich nickte. „Wir müssen aufpassen. Wenn er davon Wind kriegt, dass bei einem von uns beiden irgendetwas nicht so läuft, wie es eigentlich sollte, kriegen wir mordsmäßigen Ärger. Ich glaube, dieses Mal hat er’s echt ernst gemeint.“ Gara runzelte die Stirn. „Der ist doch nur neidisch. Frag ihn mal, ob er nicht auch hier einziehen will, dann wird’s bestimmt lustiger. Er kauft dir ein größeres Bett, und dann wird er sich nie wieder über einen von uns beschweren. Wetten? Wird er gar nicht können, wenn er seinen Mund voll hat.“ Ich erwiderte nichts. Allein die Vorstellung, dass Cipher mit IRGENDWEM ins Bett ging, war lächerlich. Ich konnte ihn mir irgendwie mit niemandem vorstellen, weder Frau noch Mann noch irgendwas. Er war mit seiner Arbeit verheiratet. „Gara, es ist wirklich ernst. Bitte nimm dir das zu Herzen.“ „Hey, ich bin doch schon auf dem Weg der Besserung“, beschwerte er sich und schürzte die Lippen. „Ich hab es heute geschafft, so früh aufzustehen, dass ich noch was essen UND duschen konnte. Und aufräumen. Und du weißt das überhaupt nicht zu schätzen, weißt du, was mich das für eine Überwindung gekostet hat? Und dann bin ich auch noch Auto gefahren, ohne einen Unfall zu bauen.“ Lächelnd drückte ich meine Zigarette aus, ehe ich aufstand und es mir auf Garas Schoß bequem machte, mich zu ihm herunterbeugte. „Ich bin stolz auf dich“, flüsterte ich und strich ihm einige braune Haarsträhnen zurück. „Wirklich. Dafür hast du dir eine Belohnung verdient.“ Ich lehnte mich noch etwas weiter zu ihm, woraufhin er bereits die Lippen öffnete, aber ich leckte lediglich über seine Unterlippe. Daraufhin packte er mich im Nacken und zog mich zu einem richtigen Kuss zu sich herunter. „Du hast mir mal gesagt, dass wir nicht jeden Tag vögeln können“, schnurrte er und musterte mich mit einem vielsagenden Lächeln. „Ach, sei ruhig“, gab ich leise zurück und küsste ihn erneut. ~*~ Gara war eine Katze. Das war mir in den knapp acht Monaten, die wir nun schon zusammen wohnten, nur allzu deutlich aufgefallen. Er war eine launische, anspruchsvolle, aufmerksamkeitsheischende, stolze und egoistische Katze. Manchmal war er katzenhafter als sonst, manchmal dagegen kümmerte er sich tatsächlich darum, wie es den Leuten in seinem Umfeld ging. Heute und offenbar auch am vorigen Tag war er völlig Katze geworden. Das wurde mir bewusst, während ich eine Zeitung in der Hand hielt, mein Kaffee auf dem Küchentisch kalt wurde und mein angebissenes Brot vergessen auf dem Teller lag. Gara saß mir gegenüber, einen Fuß auf die Sitzfläche seines Stuhls gestellt, sodass er sein Kinn auf sein Knie hätte legen können, und hatte etwas gesagt, das noch nicht vollständig in meinem Kopf angekommen war. „Was?“, fragte ich sehr leise. Zu mehr war ich nicht in der Lage. „Ich sagte, ich habe mit Yuu geschlafen“, wiederholte die Katze vor mir und wirkte für einen Moment, als würde sie sich gleich desinteressiert und gelangweilt die Pfote anlecken und anfangen, sich zu putzen. Ich ließ die Zeitung noch weiter sinken, fast in meinen Kaffee hinein. Es war keine bewusste Geste, ich merkte nur, wie plötzlich sämtliche Kraft aus meinen Armen verschwunden war. So sehr ich wollte, ich konnte nichts sagen. „Wir waren gestern noch zu fünft unterwegs, aber weil es zu spät für mich war, noch zu dir zu gehen, hat Yuu mich zu sich eingeladen. Wir waren betrunken, dann haben wir mehr scherzhaft angefangen, alle möglichen Was-wäre-wenn-Szenarios zu erfinden, und dann...“ Gara zuckte mit den Schultern und kaute abwesend auf seiner Unterlippe herum, als ginge ihn das Ganze nichts an. Er wirkte nicht allzu berührt von dem, was er da gerade sagte, sondern eher gedankenverloren. Es ging nicht. Ich konnte einfach nichts sagen. Meine Kehle war wie zugeschnürt, während ich noch immer das zu verarbeiten versuchte, was Gara da gerade von sich gegeben hatte. Auch das klappte nicht vollständig. Kurzerhand faltete ich die Zeitung zusammen, stand auf und verließ die Küche, ohne dem Sänger noch einen Blick zu schenken. Ich ging ins Wohnzimmer, öffnete das Fenster, stellte mich davor und fing an zu rauchen. Erst eine Zigarette, dann eine zweite. Während der ersten wischte ich mir mehrere Male verärgert über die Augen, während der zweiten war das nicht mehr nötig. Die Leere in meiner Brust erstickte alle Tränen. „Dai“, sprach Gara mich vorsichtig an. Wie lange stand er schon hinter mir? Keine Ahnung. Es war mir auch egal. Er war mir egal. Aber das Wissen, dass es nicht so war, dass es ganz und gar nicht so war, brannte in meinem Bewusstsein wie ein kaltes Feuer. Gara war mir nicht egal. Sonst stünde ich nicht hier. Ich schluckte einmal und vertraute darauf, dass ich inzwischen wieder reden konnte, bevor ich mich zu ihm umdrehte. Allein ihn zu sehen, hätte fast gereicht, mich losheulen zu lassen. Er stand nur da und betrachtete mich schweigend, in seinem Gesicht weniger der Ausdruck eines schlechten Gewissens als vielmehr Mitleid. Nicht einmal Mitgefühl, nicht einmal das gönnte er mir, nein, es musste Mitleid sein. „Gara, ich möchte, dass du meine Wohnung verlässt“, sagte ich mit erstickter Stimme. Ich brauchte Abstand. Ich konnte seine Nähe, nicht einmal seine Anwesenheit mehr ertragen. Er musste gehen. Als er sich wortlos abwandte und aus dem Wohnzimmer ging, schlug ich mir mit einer Hand vor den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Er ging. Er protestierte nicht einmal. Er ging einfach. Die Katze in Gara war ziemlich schnell durchgekommen, sie war auch vorher schon bemerkbar gewesen, aber als er bei mir eingezogen war, hatte sie sich zu ihrer vollen Größe entfaltet. Für die letzten acht Monate hatte sie mich mit ihren Krallen gefangen gehalten. Wenn Gara etwas wollte, dann bekam er es. Wenn man ihn zu etwas zwang, wehrte er sich mit Händen und Füßen – oder vielmehr Pfoten. Wenn ihm nach etwas war, tat er es. Ich hatte zugelassen, dass er mein gesamtes Leben bestimmte. Er war verantwortlich dafür gewesen, dass ich jeden Morgen etwas früher aufstand, um ihm bereits Frühstück zu machen, und dafür, dass ich später ins Bett ging, weil er entweder noch etwas Nestwärme brauchte oder nicht alleine fernsehen wollte oder noch Hunger hatte oder sonst irgendetwas. Eigentlich war es ja eine gegenseitige Abhängigkeit gewesen. Gara war in geschäftlicher Hinsicht von mir abhängig gewesen, ich eher auf persönlicher Ebene von ihm. Aber es hatte sich nie als gegenseitig angefühlt. Gara kam und ging, wann er wollte, er machte, was er wollte, und er ließ, was er wollte. Und wenn er keine Lust hatte, sich um die Gefühle anderer Leute zu kümmern, dann war es eben so. Ich war mir ziemlich sicher, dass Gara ganz genau wusste, bei wem er sich Scheiße erlauben durfte und bei wem nicht. Er hatte mal einen Roadie gehabt, der ihn bedingungslos vergötterte. Egal, was Gara mit dem Typen anstellte, er ließ sich in seiner Bewunderung nicht beirren – und so war er zur Zielscheibe von Garas Frustrationen geworden. Er hatte Pingpong mit dem armen Kerl gespielt – im einen Moment schimpfte er auf seinen Roadie, als habe dieser wirklich alles falsch gemacht, was überhaupt ging, und im nächsten Moment erzählte er ihm, wie froh er war, ihn doch zu haben. Derartig hin- und hergerissen, wusste der Typ überhaupt nicht mehr weiter und war unfähig, Gara irgendetwas übel zu nehmen. Ich hatte Mitleid mit dem Roadie gehabt – schließlich wusste ich genau, wie er sich fühlte. Aber bei fast allen anderen Leuten verhielt Gara sich wie ein Mensch. Den anderen Merries gegenüber war er so, wie man es sich wünschen würde – er war ein Freund für sie. Und er machte dieser Bezeichnung auch alle Ehre. Ich hatte selten erlebt, dass es irgendwelche Unstimmigkeiten innerhalb der Band gegeben hatte, und noch seltener, dass Gara direkt darin verwickelt war. Insofern konnte es durchaus sein, dass ich selbst Schuld war. Gara hatte sicherlich gewusst, dass ich ihm nur schwer etwas abschlagen konnte. Verdammt, er hatte gewusst, wie schwach ich ihm gegenüber war, dass er sich mit mir äußerst viel erlauben konnte. Er hatte etliche Male die Grenzen getestet, mich gereizt, mich beschimpft, mich ignoriert, einmal war er eine Woche komplett aus meinem Blickfeld verschwunden. Nur, um zu sehen, was ich machen würde, wie ich hinterher reagierte. Und was hatte ich selbstverständlich gemacht? Ihm verziehen. Natürlich. Und er hatte gewusst, dass ich das tun würde. Es tat weh, es so nennen zu müssen, aber es stimmte: Gara hatte mich ausgenutzt. Wenn er gut drauf gewesen war, hatte er mir Aufmerksamkeit geschenkt und dafür gesorgt, dass ich mich weiter um ihn kümmerte, ansonsten hatte er seine Launen an mir ausgelebt. So schlimm war es ja eigentlich auch nicht gewesen. Ich hatte gerne mit ihm zusammen gewohnt, gerne mit und neben ihm geschlafen, gerne meine Zeit mit ihm verbracht. Aber jetzt hatte er die Grenze überschritten. Jetzt konnte und wollte ich nicht mehr. Und es schmerzte noch viel mehr, das zu wissen – aber wenn Gara irgendetwas bereute, dann nur, dass er dieses Mal zu weit gegangen war. Hätte ich ihm dieses Mal wieder verziehen, dann hätte ich niemals auch eine Spur von Reue entdecken können. Höchstens, wenn ich es drauf angelegt hätte. ~*~ Ziemlich genau vier Monate später klingelte es an meiner Tür. Und nein, jetzt kam kein ‚ich öffnete und war völlig baff, dort ... zu sehen’. Ich wusste schon durch dieses etwas langgezogene Klingeln, wen ich erblicken würde, wenn ich die Tür öffnete. Meine Wohnung lag zwar im ersten Stock, aber Gara hatte bereits ganz am Anfang unserer zweifelhaften Beziehung herausgefunden, dass man die Haustür ganz praktisch mit einer Kreditkarte öffnen konnte, weshalb er generell nicht unten klingelte, sondern gleich vor meiner Wohnungstür. Ich saß gerade am Wohnzimmertisch und hatte mit irgendwelchen Rechnungen und Ausgaben und was weiß ich zu tun, daher erwog ich einen Moment, einfach nicht zu reagieren. Es klingelte ein zweites Mal, woraufhin ich doch aufstand. Ich konnte nicht behaupten, dass mein Herzschlag normal blieb, schließlich war ich es einfach nicht mehr gewohnt, mit Gara alleine zu sein. Ich hatte natürlich nicht aufgehört, Merry zu managen, nur hatten er und ich unseren direkten Kontakt auf ein Minimum beschränkt. Ich hatte den Eindruck gehabt, dass er beleidigt gewesen war, weil ich mich Yuu gegenüber nicht anders verhielt als sonst, im Gegenteil, wir schienen uns sogar besser zu verstehen. Keine Ahnung, ob Gara wohl jemals herausgefunden hatte, dass Yuu gleich am nächsten Tag zu mir gekommen war und fast schon erwartet hatte, ich würde ihn aus der Band schmeißen. (Dabei hätte ich das ohnehin nicht gekonnt.) Er hatte sich entschuldigt, mehrmals, bis ich ihm klar machen konnte, dass es nicht seine Schuld war. Davon war ich überzeugt. Als ich Yuu später noch einmal darauf ansprach, bestätigte er mir, dass das Ganze auch nicht seine Idee gewesen oder überhaupt von ihm initialisiert worden war. Ich glaubte ihm. Als ich die Tür schließlich aufmachte, stand Gara da, eine Zigarette zwischen den Lippen und die Hände in die Hosentaschen geschoben. Er wirkte irgendwie verkrampft und wich auch erst meinem Blick aus. „Hast du Feuer?“, wollte er zögerlich wissen, als sei ich eine Bombe, die jeden Moment hochgehen konnte. Ich spürte noch immer einen dumpfen Druck auf meinem Brustkorb, wenn ich ihn sah, aber mittlerweile hatte ich nicht mehr den starken Drang, irgendwohin zu gehen, wo er nicht war. Schweigend zog ich ein Feuerzeug aus meiner Hosentasche hervor und hielt es ihm hin. Er nahm es und zündete sich seine Kippe an. Unwillkürlich musste ich an den Tag zurückdenken, an dem ich ihn das erste Mal gesehen hatte – oben ohne, Haare zerzaust und in dieser völlig chaotischen Wohnung. Einige Momente standen wir nur da, ich in der Tür, nicht willens, ihn ungefragt reinzulassen, und er vor mir, wortlos rauchend. „Was willst du?“, fragte ich irgendwann, weil ich keinen Nerv mehr hatte, ihm beim Rauchen zuzusehen. „Es zieht.“ „Reinkommen?“, schlug er vor und musterte mich wieder kurz. Sämtliche überlegene Wachsamkeit war aus seinem Blick verschwunden, vorher hatte er mich immer angesehen wie eine Katze, die überlegt, wie sie ihre Maus am Besten quälen konnte. Inzwischen lag in seinen Augen eine vorsichtige Unsicherheit, wie im Blick eines Hundes, der nicht wusste, ob sein Herrchen ihn gleich streichelte oder schlug. Es verschaffte mir eine gewisse Genugtuung, das festzustellen, wahrscheinlich war sie es, die mich dazu bewog, zur Seite zu treten und ihn reinzulassen. Er ging an mir vorbei direkt ins Wohnzimmer und faltete sich wie gewohnt auf dem Sessel zusammen. Ich schloss die Tür und folgte ihm, ließ mich auf meinen üblichen Platz auf der Couch sinken. Ein weiterer kleiner Triumph war, dass ich ihn abschätzend ansehen konnte, während er seine Augen weiterhin niedergeschlagen ließ. Noch im selben Moment, in dem sich dieses leicht überlegene Gefühl in mir breit machte, fragte ich mich selbst: Ja und? Was bringt es dir? Wem willst du was beweisen? „Daisuke-“, begann er und sah wieder kurz zu mir auf. „Keine unbegründeten Vorwürfe oder unnütze Beschimpfungen, ja?“ „Bitte.“ Ich nickte und deutete ihm an, weiterzureden. Es überraschte mich ein wenig, dass er so schnell zum Punkt kam. Aber bitte, konnte mir nur recht sein. Gara schnippte etwas Asche in den Aschenbecher, der auf dem Tisch stand und warf dabei einen interessierten Blick auf die Papiere, die überall herumlagen. Ich war kurz davor, meine Augen zu verdrehen. Einmal eine Katze, immer eine Katze. Leicht ablenkbar und ziemlich neugierig. Er war noch eine Weile still, dann sagte er etwas, das mich kein bisschen überraschte: „Ich kann nachts nicht mehr schlafen.“ Er schaute mich an wie ein ausgesetztes Kätzchen, bittend, unschuldig, etwas hilflos. Natürlich. Das war der perfekte Einstieg für so ein Gespräch. Er versuchte gleichzeitig, mir ein schlechtes Gewissen zu machen, sich als bemitleidenswert darzustellen und als Ergebnis genau die Reaktion zu provozieren, die er haben wollte. Hatte ich mir fast gedacht. Ein vernünftiges Gespräch, von Garas Seite aus begonnen? Pff. Wunschdenken. „Nimm Yuu als Wärmflasche“, entgegnete ich ruhig. Augenblicklich verpuffte das Kätzchen um Gara herum zu heißer Luft. In seinem Gesicht zeigte sich bereits Verärgerung. „Keine unbegründeten-“ „Weshalb unbegründet?“, fiel ich ihm ins Wort. „Du warst schon mal mit ihm im Bett. Warum nicht auch ein zweites Mal, was spricht dagegen?“ „Bist du eifersüchtig?“, wollte er abwehrend wissen. Ich hätte beinahe gelacht. „Eifersüchtig?“, wiederholte ich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Gara, falls du es nicht bemerkt haben solltest, ich habe dich vor etwa vier Monaten abgeschrieben. Ich war eifersüchtig, ja, in dem Augenblick war ich ziemlich eifersüchtig. Aber worauf sollte ich jetzt noch eifersüchtig sein? Darauf, dass du mit Yuu befreundet bist? Das warst du schon, bevor es Merry überhaupt gegeben hat.“ „Daisuke...“, murmelte er in einem Hör-auf-so-zu-reden-Tonfall. „Was willst du hier?“, wiederholte ich meine Frage von vor einigen Minuten, mich weigernd, den Blick von seinem Gesicht zu nehmen. „Ich kann nicht mit dir reden, wenn du so-“ „Dann lass es“, unterbrach ich ihn trocken. Er rührte sich nicht, sondern betrachtete seine Zigarette. „Was willst du?“, fragte ich erneut. „Keine Ahnung, die Situation klären oder-“ „Die Situation klären? Weißt du überhaupt, wie ‚die Situation’ ist? Ich habe dich geliebt, und auch wenn ich es nie ausgesprochen habe, wussten wir es beide. Und obwohl du das wusstest, hast du mit Yuu gevögelt und es mir hinterher ganz trocken erzählt. Du hast nicht mal so getan, als wüsstest du, dass es ein Fehler gewesen ist. Du hast auch nicht protestiert, als ich dich rausgeworfen habe. Und seitdem hast du es bis jetzt vermieden, mit mir ein persönliches Wort zu wechseln. Ich würde gerne wissen, was du da noch klären möchtest.“ Vielleicht war ich etwas lauter geworden, vielleicht hatte auch meine Stimme einen schärferen Klang angenommen, auf jeden Fall wandte Gara an diesem Punkt sein Gesicht ab. Seine Zigarette lag vergessen im Aschenbecher und qualmte vor sich hin. Es war nie eine Frage der Liebe gewesen. Offiziell waren Gara und ich auch niemals zusammen gewesen, wir hatten nie darüber geredet oder je irgendetwas Schnulziges zueinander gesagt. (Die romantischeren Situationen in unserem Zusammenleben waren in etwa solche Dialoge gewesen: Ich: ‚Bah, mein Kaffee schmeckt gar nicht.’ Gara: ‚Gib her, du kannst meinen haben, der schmeckt super.’ Ich: ‚Aber... dann hast du ekligen Kaffee.’ Er: ‚Gib her!’) Es war auch jetzt noch für mich unheimlich ungewohnt, von Liebe zu sprechen, wenn es etwas mit Gara zu tun hatte. Aber genau das war es doch gewesen. „Seid ihr zusammen?“, kam es so leise von Gara, dass ich für einen Moment glaubte, ihn nicht richtig verstanden zu haben. Aber der vorwurfsvolle Blick, mit dem er mich anschließend musterte, sagte mir, dass er durchaus genau das gerade eben von sich gegeben hatte. Ich blinzelte einmal. Mein Ärger verrauchte zwar nicht, aber er wandelte sich zu großen Teilen in Verwirrung um. „Wer?“, wollte ich irritiert wissen. „Ob ihr zusammen seid“, wiederholte er mit etwas festerer Stimme. Ich dachte kurz nach. Aus Merry konnte er niemanden meinen, Cipher stand außer Frage und ansonsten bekam er nicht mit, wer noch... Moment mal. „Meinst du Tatsurou?“, fragte ich und erntete ein kurzes Augenrollen à la ‚wen denn sonst, du Holzkopf?’. Ich konnte mir ein Schnauben nicht verkneifen. Das war doch wohl lächerlich. „Gara, selbst wenn, was ginge es dich an? Abgesehen davon wird es langsam lachhaft.“ „Was ist daran lachhaft?“ „Du hast kein Recht, in irgendeiner Weise eifersüchtig zu sein“, entgegnete ich und merkte, wie meine Wut langsam zurückkehrte. „Eifersüchtig?“, wiederholte er und wirkte so entrüstet, als würde er jeden Moment empört nach Luft schnappen. „Tatsurou und ich sind gut befreundet, und nur jemand, der krankhaft eifersüchtig ist, würde da mehr hineininterpretieren. Gara, du hast keine Besitzansprüche auf mich“, wies ich ihn verärgert zurecht. „Abgesehen davon habe ich keine Lust mehr, weiter mit dir zu reden – es führt ohnehin zu nichts. Irgendwann schreien wir uns nur noch an und ich bitte dich zu gehen, bevor es so weit kommt. Das müssen wir beide nicht haben.“ Gara senkte den Blick, blieb aber sitzen. Das hieß, dass er mir noch etwas zu sagen hatte – so weit war ich schon. Eine Katze hätte den Raum verlassen, wenn sie alles das bekommen hätte, was sie wollte. Nach einer Weile fing er tatsächlich wieder an zu reden. „Ich habe nie wirklich glauben können, dass du das Ganze machst, weil... keine Ahnung, weil du mich so magst oder weil du es willst oder weil... oder freiwillig oder so. Dafür hab ich zu viel von dir verlangt. Eine Weile hab ich dich verdächtigt, dass du in Wirklichkeit MICH ausnutzt und ich es nur nicht merke, dass du mich eigentlich ausnimmst und mich für das benutzt, was du erreichen willst – solche Sachen. Ich weiß nicht. Ich meine, du hast mich bei dir wohnen lassen und das alles. Das hätte keiner sonst gemacht. Aber als du mich rausgeworfen hast... ist mir erst klar geworden, dass du es WIRKLICH alles gemacht hast, weil ... was für Gründe du auch immer hattest. Weil du mich toll fandest oder so was eben.“ Na herzlichen Glückwunsch. Dass er es überhaupt besessen hatte, hatte er erst gemerkt, als er mein Herz gebrochen hatte. Damit konnte ich echt viel anfangen. Und vor allem dass er mich vorher für ein berechnendes, kaltes, profitgeiles Arschloch gehalten hatte, war wirklich herzallerliebst. „Ich bezweifle, dass uns das einen Schritt weiter bringt“, merkte ich trocken an. Gara hob den Blick erneut. „Es tut mir leid. Ich wusste nicht, was ich dir damit angetan habe. Es tut mir wirklich leid.“ Das war genau das, was ich vor vier Monaten – oder vielleicht ein kleines bisschen später – hatte hören wollen. Nur jetzt fand ich es etwas spät. „Und was erwartest du jetzt, dass wir einen Neuanfang versuchen?“, fragte ich provokativ. Er deutete ein Lächeln an. „Nein. Nein, das erwarte ich nicht. Das wäre zuviel verlangt. Ich... wollte dir auch nicht mehr sagen.“ Damit stand er auf, ganz Katze, und ging aus dem Wohnzimmer. Ich saß wie gelähmt da. Und was sollte ich jetzt davon halten? Gut, er hatte sich entschuldigt. Das war schon mal was. Und er hatte mich angelächelt. Und er war auf Tatsurou eifersüchtig gewesen. Ich meine... es war Tatsurou. Er war etwa einen Kopf größer als ich, und vor Gara hatte ich mich noch niemals von irgendjemandem dominieren lassen. Ich hatte auch nicht vor, es jemandem nach ihm zu erlauben. Was dachte der Kerl sich eigentlich? Dass wir mal eine Weile regelmäßig miteinander ins Bett gegangen waren, hieß doch nicht, dass er für den Rest meines Lebens Anspruch auf mich hatte. „Können wir nicht doch einen Neuanfang versuchen?“, fragte eine zögerliche Stimme von der Tür her. Die stolze, hochnäsige Katze war verschwunden. Stattdessen stand ein einziges Häufchen Elend da und sah mich zerknirscht und bittend und kleinlaut an. Ich erwiderte seinen Blick für einige Sekunden, stand auf, ging zu ihm und zog ihn in meine Arme. Als er seine um meine Schultern schlang und sein Gesicht an meiner Schulter vergrub, konnte ich ihm nur über den Kopf streicheln. Die Tränen, die er nun vergoss, hatte ich vor ein paar Monaten geweint. Auf dass ihnen keine mehr folgen sollten. ~*~ Die Sonne schien direkt in mein Gesicht, wie sie es meistens vormittags tat. Ich schlug meine Augen mit dem Wissen auf, diesen Tag komplett frei zu haben. Es war Sonntag, und Cipher brauchte mich nicht, und sonst hatte ich noch nichts vor. Ich streckte mich und wollte mich gerade noch ein wenig hin- und herwälzen, da bekam ich einen schmerzhaften Stoß in die Magengrube. Ich stöhnte leise auf und rückte etwas von meinem Bettnachbarn weg. Schlechte Idee. Es gab ein dumpfes Geräusch, als ich aus dem Bett fiel und dabei die Decke mitriss. „Gib die wieder her!“, murrte Gara und riss vehement an der Ecke, die ihm noch geblieben war. „Klar, erst schmeißt du mich raus und jetzt willst du auch noch die Decke zurück!“, beschwerte ich mich und setzte mich schlaftrunken auf. „Ich hab dich nicht rausgeschmissen!“, protestierte er und rieb sich die Augen. „Wäre ich aber liegen geblieben, hättest du mich weiter geschlagen!“, meinte ich schnippisch und betrachtete nebenbei Garas Körper. „Hätte ich gar nicht!“, murmelte er beleidigt und streckte sich, fläzte sich dabei noch etwas weiter auf dem Laken herum. „Weißt du, splitterfasernackt bist du immer noch am schönsten“, bemerkte ich anerkennend und legte mein Kinn auf die Bettkante. Er zeigte mir ein zähnefletschendes Grinsen. „Wo dein Kopf gerade ohnehin schon mal auf dieser Höhe ist...“, begann er und zog vielsagend eine Augenbraue hoch. „Ich hab gestern nämlich einen neuen englischen Ausdruck gelernt.“ „Der wäre?“ „One blowjob a day keeps the doctor away“, antwortete er mit einem Grinsen. Ich runzelte die Stirn. „Und das heißt?“ „Warte, ich zeig’s dir.“ ~*~ A/N: Erst einmal vielen Dank fürs Lesen! Mich interessiert natürlich brennend, was ihr dazu sagt. Ich ♥ Kommentare und konstruktive Kritik und werde versuchen, auf alles zu antworten! Es ist keins meiner Meisterwerke, aber ich hoffe, es hat euch trotzdem gefallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)