Fenster-Flirten von abgemeldet (Für den 5x5-Wettbewerb von shootingWolf und dunkelbunt) ================================================================================ Kapitel 1: Indirekte Begegnung ------------------------------ "Oh nein, oh nein, oh nein!" Ich könnte mir die Haare raufen. "Das ist alles deine Schuld!" Ich drehte mich zu meiner besten Freundin um. Doch sie grinste nur schief und zuckte mit den Schultern. "Dann eben die Bahn." Mit der flachen Hand schlug ich mir gegen die Stirn. "Das dauert Stunden..." "Passiert. Jetzt komm, sonst verpassen wir die auch noch!" Nicht ohne ein protestierendes Geräusch ließ ich mich zur nächsten Haltestelle ziehen. Um diesem Gespräch unter geradezu grauenhaften Umständen folgen zu können, sollten wir allerdings vorher noch ein paar Kleinigkeiten klären. Zum Beispiel, wer die handelnden Personen sind und was hier eigentlich los ist. *~o~* Mein Name ist Marin. Zusammen mit meinem Zwilling Ellen und meiner besten Freundin Aya, einer waschechten Japanerin, teile ich mir eine WG. Wie's kommt? Nun, lange Geschichte, die hier allerdings völlig fehl am Platz wäre. Später vielleicht. Jedenfalls hat Aya einen ausgeprägten Manga-Tick. Ellen nennt es immer 'Krankheit', was zu regelmäßigen Streitereien zwischen den beiden führt, sowie zu Plänen über die Anschaffung eines Ofens - Brennholz hätten wir ja genug, um uns für drei arschkalte Winter über Wasser zu halten, so die Aussage meines liebenswerten Zwillings. Dass Aya ihm daraufhin wahlweise mit Rausschmiss oder der Vernichtung seiner gesammelten Fußball-Autogrammkarten, im Übrigen ein viel geeigneteres Brennmaterial, droht, ist ja wohl klar, oder? Damit wären jedenfalls schonmal die Verhältnisse geklärt. Bleibt nur die Frage: warum rege ich mich so auf? Nun, Ayas erwähnter Manga-Tick hat auch auf mich abgefärbt, weswegen der einzige Fußballer im Haus nun gegen zwei seiner Meinung nach 'Bekloppte' anstinken muss. Am Rande bemerkt verstehen wir drei uns normalerweise blendend. Allerdings haben Aya und ich demletzt etwas über eine Convention ganz in unserer Nähe in Erfahrung bringen können. Sprich: auf den letzten Drücker Cosplays nähen. Es wäre ja unverantwortlich -falsch: es würde zu Wut- und Schmoll-Attacken seitens unserer Japanerin führen-, wenn man dort in Zivil aufkreuzen würde. Was dazu führt, dass es genau heute, genau dieser Tag sein muss, an dem wir Stoff kaufen wollen. Im übrigen regnet es in Strömen. *~o~* Unter Garantie hatten wir die zulässige Höchstgeschwindigkeit für Fußgänger überschritten, um die nächste Straßenbahn noch zu erwischen. Glück gehabt! Mit mittlerweile klatschnassen Klamotten drängten wir uns zwischen die anderen Fahrgäste. Die Bahn setzte sich in Bewegung. Es war nicht übermäßig voll, und im Wagon waren auch noch Sitzplätze frei. Allerdings keine zwei Stück gegenüber oder nebeneinander. Unschlüssig sahen Aya und ich uns einen Moment an. "Kannst du auch 'ne halbe Stunde ohne mich leben?", fragte sie grinsend. Als Antwort schob ich sie ein Stück nach vorne, zischte ihr ein "Mach dich ab" zu, bevor ein etwas älterer Herr mir großzügigerweise den Fensterplatz überließ. Wollte wahrscheinlich nicht, dass ich ihm den auf dem Boden abgestellten Aktenkoffer volltropfte. Das Letzte, was ich von Aya mitbekam, war dass sie ein Buch aus ihrer viel zu großen, viel zu vollen Tasche zog. Ich wusste echt nicht, was dieses Mädchen ständig mit sich rumschleppte. Da sie aber nicht die Einzige war, war das wohl normal bei dem weiblichen Geschlecht und somit kein Grund, wahlweise einen Arzt oder Psychiater aufzusuchen. Ich lehnte meinen Kopf gegen die kühle Scheibe, lauschte einem Moment den beständigen Prasseln der Regentropfen. Irgendwann öffnete ich meine Augen wieder, gerade rechtzeitig, um mitzubekommen, wie sich jemand auf einen der Vierer-Plätze vor mir fallen ließ. Da ich in Fahrtrichtung saß, der andere aber entgegen, konnte sein Gesicht in der Fensterspiegelung sehen. Hey, der war ja gar nicht mal übel. Ein kleines Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. Ich liebte es, andere Leute in der Bahn oder im Bus zu beobachten. Sollte ein gut bezahlter Job werden, ich wäre der erste Bewerber dafür. Besonders Spaß machte es mir dabei, die jungen, hübschen Männer anzuschauen. Es gab eindeutig zu wenige von ihnen auf der Welt. Aber dieser dort war ein ganz besonderes Prachtexemplar. Schade nur, dass der das wohl gar nicht mitbekam, sondern irgendwas auf seinem MP3-Player zu suchen schien und sich diese viel zu kleinen, ständig verloren gehenden Kopfhörer ins Ohr schob. Sah ja fast schon nach brachialer Gewalt aus, wie der sein Gerät be- oder misshandelte. Er öffnete seine Augen und sah mich durch die Spiegelung direkt an. Ich schluckte, wandte meinen Blick aber nicht ab. Das war ja gruselig! Kam mir fast so vor, als hätte er die ganze Zeit gewusst, dass ich ihn angesehen hatte. Irgendwann in den nächsten Sekunden gab mein Hirn mal weiter, dass ich meinen Mund schließen sollte. Dieser Aufforderung kam ich sofort nach. Abwesend fummelte auch ich meinen MP3-Player, die bewährte Hilfe gegen Langeweile oder niemals ruhige Ayas, aus irgendeiner der vielen Taschen meiner Hose. Zwar wurde ich ständig damit aufgezogen, dass ich dort eine Wochenverpflegung reinpacken könnte, ohne viel Aufsehen zu erregen, aber Ellen wusste einfach nicht, wie praktisch das war. Als ich mir endlich die Kopfhörer -im übrigen genauso klein und unpraktisch- in die Ohren gestopft hatte, sah ich den Fremden wieder an. Er blickte aus dem Fenster. Hey! Hierher gucken! Leider hatte das mit der Telepathie bei mir noch nie so richtig geklappt, also konnte ich ihn mental rufen, wie ich wollte - der Typ sah einfach weg! Was für 'ne Frechheit. Naja, bei meinem Glück war der eh hetero, dass es nicht mehr gesund war, und seine Freundin wartete daheim schon auf ihn. Ich seufzte leise. War ja klar, dass ich die gutaussehenden Typen zwar immer zum Anschmachten bekam, die aber gleich fünf Minuten später irgendeinem Mädchen die Zunge in den Hals steckten. Kurz bevor ich jedoch aussteigen musste, sah er zu mir rüber. Ich packte gerade den MP3-Player weg, als er mir zunickte. Sah man durch die Scheibe, dass ich gerade einen ungesund anmutenden Rotton annahm? Na hoffentlich nicht! Ich nickte zurück, lächelte ihn an und stand dann auf. War ja irgendwie schon komisch gewesen. Ob ich nicht einfach nur 'ne optische Täuschung hatte und der mich nicht wirklich gesehen hatte? Jedenfalls stiegen Aya und ich hier aus, um zum Stoffladen zu hetzen. Da der aber noch ein ganzes Stück weiter war, der Regen aber weiter auf uns niederprasselte, waren wir schon wieder innerhalb weniger Momente klatschnass. "Is' doch Scheiße", maulte meine beste Freundin, "warum immer auf uns?!" Ich zuckte nur mit den Schultern. Woher sollte ich das denn bitteschön wissen? War ich Hellseher? Irgendwer dort oben, über dem grauen Wolkenvorhang, mochte uns eben einfach nicht. Vielleicht, weil sie Japanerin und ich schwul war. Konnte doch sein, oder? Trotzdem lebten wir noch, als wir den kleinen Stoffladen betraten und ein helles Glöckchen das Öffnen der Tür signalisierte. Es war schön warm hier drinnen, richtig gemütlich. Ich nieste. "Wag' es dir, krank zu werden", drohte Aya in ihrer liebenswürdigsten Art und mit erhobener Faust, "du kommst sowieso mit zur Con, egal ob du stirbst oder nicht." Richtig fürsorglich und umgänglich, die Kleine, wie? Sie schlenderte nach hinten, zu den extrem grellen Stoffen. Wollte sie jemandem Augenkrebs verpassen? Und was für ein Cos machte sie eigentlich? Ich schob den Gedanken beiseite, um mich in der Nähe eines Ladenfensters mit den eher dunkleren Farben anzufreunden. Einmal sah ich auf. Mir stockte der Atem. War jetz' nicht wahr, oder?! Da stand er - der Typ aus der Bahn! Direkt hinter mir. Na gut, nicht direkt, aber er war hinter mir! Ich bräuchte mich nur umzudrehen... Aber irgendwie brachte ich es nicht fertig. So glotzte ich ihn durch die spiegelnde Fensterscheibe an. Er sah zurück, wie ich schnell feststellte, er blickte mich an und ein kaum merkliches Lächeln, eigentlich nur hochgezogene Mundwinkel, ließen andeuten, dass er das Ganze wohl irgendwie komisch finden musste. Mindestens genauso komisch wie ich, denn ich grinste breit. War ja schon irgendwie geil, nicht? Doch als ich eine bekannte Stimme meinen Namen rufen hörte und mich umblickte -es dabei aber glänzend vermied, mich nach hinten zu dem Anderen zu drehen-, im nächsten Moment zurück ins Fenster schaute, war er weg. Aya kam gerade um ein Regal voller Baumwolle herum und sah meinen verwirrten, leicht enttäuschten Gesichtsausdruck. "Is was nicht okay, Marin?", fragte sie. Doch ich winkte ab. "Nee, is' schon gut." Hey, zwei Mal Zufall konnte kein Glück bedeuten. Besser, ich vergaß den Typen. Obwohl er doch recht... nun, ansehnlich gewesen war. Sein Spiegelbild zumindest. Außerdem brauchte ich mir um jemanden, den ich nichtmal 'real' gesehen hatte, keinen Kopf zu machen. "Du hast ja noch gar keinen Stoff", quengelte die Kleine, "wir müssen uns beeilen, die nächste Bahn könnten wir noch schaffen. Die danach fährt erst 'ne halbe Stunde später." "Na und?" Ich wollte nicht schon wieder durch den Regen hetzen. "Setzen wir uns danach eben noch irgendwo in ein Café. Könnte 'nen Latte jetzt prima vertragen." Aya seufzte. Ich wusste genau, dass sie eigentlich auch sehr gerne in Cafés ging, aber der Zeitdruck machte ihr wohl ein wenig zu schaffen - immerhin war die Convention schon in drei Tagen. Den seltsamen, gutaussehenden Typen sah ich bis dahin leider nicht mehr. *~o~* Diesmal hatten wir weniger Stress. Was wohl daran lag, dass ich Aya rechtzeitig aus dem Haus gescheucht hatte und wir nun ganz gemütlich im Zug saßen und noch auf den letzten Drücker etwas an ihrem Cos änderten. Nichts Großes, aber die Schleife an ihrem Schwarzmagier-Hut war dabei, sich zu lösen. Jetzt lachte ich nicht mehr, weil sie Nadel und Faden dabeihatte. Als wir fast fertig waren, löste sich der Faden und wir durften alles wieder auftrennen. "Och nööö", quengelte die Schwarzmagierin, "ich wusste, das war 'ne blöde Idee!" "Bitte?" Entgeistert starrte ich sie an. "Du fandest das Kostüm von Anfang an toll und hast dich nie beschwert!" Ich seufzte tief und blickte sie an. Aya sah mich an. Dann ließen wir, fast gleichzeitig, die Köpfe hängen. "Braucht ihr Hilfe?", fragte in diesem Moment eine uns unbekannte Stimme. Als wir aufsahen, bekam ich das Gefühl, den Dunkelelf irgendwo schonmal gesehen zu haben. Nicht das Cosplay, sondern den, der da drinnen steckte. Ich zog die Augenbrauen zusammen. Doch Aya war schneller als ich. Wahrscheinlich fand sie den Typen in seinen Klamotten, die fast wie eine zweite Haut saßen, wohl genauso le... ähm, gut gelungen wie ich. "Meine Schleife will immer abgehen", meinte sie und hielt ihm den Hut hin, sodass er sich das Problem näher besehen konnte. Wir hatten uns mit Absicht auf einen dieser Viererplätze gesetzt, um uns eben mehr ausbreiten zu können. Der Typ setzte sich fast wie selbstverständlich neben mich und lächelte mich wissend an. Ich wusste, ich kannte ihn, nur woher? Das wollte mir noch immer nicht einfallen. Fachmännisch besah er sich den Hut, nahm mir Nadel und Faden aus der Hand und bevor er anfing zu nähen, vergewisserte er sich, ob Aya die Schleife noch für etwas anderes brauchte. Sie verneinte. "Dann kann ich's dir direkt an den Hut nähen", gab er Auskunft, bevor er mit der Arbeit anfing, "du hättest anderen Stoff nehmen sollen. Der hier ist zu schwer, der hängt runter. Doch irgendwie schaffte er es, uns Nählaien noch etwas beizubringen und die Schleife tatsächlich zu fixieren. "Cool", machte ich, als er fertig war, "da kann selbst Ellen noch was lernen." Aya und ich grinsten uns an, war es doch mein Zwilling, der uns immer bei Cosplays half. Wir waren ihm nicht professionell und geschickt genug. Der Dunkelelf blieb bei uns sitzen, nachdem wir ihn dazu eingeladen hatten und ein ungezwungenes Gespräch begann - eben so die üblichen Sachen wie was wir auf der Convention machen wollten, wen wir cosplayten und wen er darstellte. Schließlich eben die ganze ConHon-Zeichnerei. Als er so konzentriert über meinem ConHon saß, fiel es mir wie Schuppen von den Schultern - oder so. "Du warst der in der Straßenbahn und im Stoffladen", brachte ich heraus, ohne die Augen von ihm zu nehmen. Er sah auf und grinste mich an. "Du bist nicht der Schnellste, oder?" "Hey", empörte ich mich, "das liegt nur an deinem Kostüm!" Was ja eigentlich nicht stimmte, denn das Gesicht und die Haare konnte man immer noch gut sehen. "Ja, ja", machte er, "billige Ausrede." Eigentlich wäre das jetzt der Moment, in dem ich bei guten Freunden anfangen würde zu schmollen. Da ich ihn aber nicht kannte, unterließ ich das. Ich kannte ja noch nichtmal seinen Namen. Doch er schien es auch nicht sehr ernst zu meinen, denn er lächelte. Auf der Convention waren wir übrigens ausschließlich zu dritt anzutreffen. Mit Josh, so sein Name, war es erstaunlicherweise richtig lustig und wir verbrachten einen schönen Tag zusammen, stellten fest, dass wir sogar in der selben Stadt wohnten. Na gut, zugegeben - die Stadt war nicht gerade klein und er wohnte auch noch nicht lange dort, aber es war schön, einen Bekannten dort zu wissen. Als wir uns am Abend verabschiedeten, war er schon wieder am Grinsen. Das war bei einem bösartigen Dunkelelf eigentlich eine Seltenheit, aber Josh war einfach ein lustiger Typ. Ich mochte ihn. "Hast du Lust, mal Kaffee trinken zu gehen?", fragte er gezielt in meine Richtung. Ich sah ihn an, war unfähig zu erkennen, ob er einen Scherz machte oder nicht. Also zuckte ich mit den Schultern, etwas unschlüssig. "Wenn du Zeit hast...", begann ich. Josh lachte nur. "Nach der Fenster-Flirt-Aktion, klar gerne!" Nie hätte ich gedacht, dass er sich daran erinnert hätte, aber gut. Und wer bitteschön sollte einem Typen wie Josh etwas ausschlagen? Ich jedenfalls wäre der Letzte. Es war doch immer wieder schön, wie Gemeinsamkeiten verbinden konnten. Und ganz ehrlich? Ja, ich hatte Hintergedanken - die kleine Hoffnung, dass er auch schwul oder zumindest bi war. Würde sich noch früh genug zeigen.+ Ich war gespannt. Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)