Kiss, kiss - bang, bang von Leuchtender_Mond (Zwischen töten und sterben gibt es ein drittes - leben.) ================================================================================ Kapitel 10: Die Kraft --------------------- Die Kraft: Nicht die Stärke des Körpers, sondern Emotionen und Leidenschaft sind hier gemeint. Die Karte fordert uns auf, unsere Kräfte nicht länger zu unterdrücken, sondern im Kampf für das Gute einzusetzen. Juli 2007, Wien, Österreich Von Rom nach Wien dauerte der Flug nicht besonders lange, gemessen an der langen Strecke von Tokio nach Rom war es sogar nur ein Katzensprung. Dennoch lagen Welten zwischen den beiden Städten, wie Atemu bald feststellen musste. Er war noch nie in Wien gewesen und die Tatsache, dass er kein Wort deutsch sprach bereitete ihm ein wenig Sorge. Aber jene, um welche es ihm ging, waren wohl auch Japaner – und mehr wollte er hier nicht. Während er in der Bahn vom Flughafen zur Innenstadt saß überlegte er, was genau er tun solle. Er musste sie finden und das schnell. Es ging ihm ja auch nicht darum, sich vor ihnen zu verstecken, er wollte gefunden werden, es lag nicht in seiner Natur, vor unangenehmen Dingen davonzulaufen. Er wollte es nur hinter sich bringen um dann nach Paris zu fliegen. Wien schien ihm ohnehin nicht zu gefallen, während er aus dem Fenster sah bestätigte sich der erste Eindruck dessen, was er schon aus dem Flughafen heraus während des Landeanflugs gesehen hatte. Überall Industriegebäude. Schön war anders. Das Bild änderte sich erst, als die Bahn unterirdisch weiterfuhr. Er musste zwei Mal umsteigen, aber als er dann am Dr.-Karl-Renner-Ring ausstieg, verstand er schon eher, weswegen die Menschen begeistert von Wien waren. Der Dr.-Karl-Renner-Ring war Bestandteil der Wiener Ringstraße, welche im ersten und somit nobelsten Bezirk der Stadt lag. Somit war die Straße von den hohen und reich verzierten Prachtgebäuden umgeben, was Atemu sofort das Gefühl gab, sich in einer ganz anderen Welt – oder eher in einer anderen, seit gut 100 Jahren vergangenen, Zeit – zu befinden, als es die Fabrikgebäude eben noch hatten glauben machen. Dies hier wirkte edel – und sah wunderschön aus. Atemu lächelte leise. Er hatte beschlossen, sich an möglichst vielen, öffentlichen Plätzen herumzutreiben, dort musste man ihn immerhin nicht lange suchen, Wien war ja nicht so voll von Touristen wie Rom. Dafür aber spürte man die Geschichte dieser Stadt ebenso deutlich, auch, wenn es besonders hier keine so alte Geschichte war wie in Rom. Diese Gebäude hier stammten allesamt aus der Regierungszeit von Kaiser Franz Josef I., welcher bemüht war, Wien schöner werden zu lassen. Nach gut zehn Jahren Bauzeit war ihm dies auch gründlich gelungen, wie Atemu nun feststellen konnte. Er stand noch an der U-Bahn Station, aber gleich gegenüber von ihm befand sich das große Gebäude im Stil des Historismus, welches das Volkstheater beherbergte. Ein paar Plakate davor warben für die Stücke, heute Abend würde „Purple Rose of Cairo“ gespielt werden. Atemu lächelte, er kannte den Film, auf dessen Vorlage das Stück basierte, und wäre er zum Vergnügen hier, würde er heute Abend sicherlich die Vorstellung besuchen. Aber leider bestand dazu wohl kaum eine Möglichkeit. So ging er los, überall waren Gebäude, groß genug um sehr wichtig zu wirken. Auf dem Flug hierher hatte er einen Reiseführer über Wien gelesen um sich wenigstens ein bisschen orientieren zu können und so erkannte er das ein oder andere Gebäude doch wieder. Er ging schnell, denn ihn fröstelte, nach der warmen Sonne Italiens war es in Wien furchtbar kalt und zudem war der Tag grau und regnerisch. Kein Tag, an dem man gerne draußen war und Atemu ging auf direktem Weg in das Hotel. Er war nicht wirklich müde, aber sicher brachte es nichts, heute noch in Aktion zu treten, denn es war noch zu früh, sicher hatte niemand auf ihn gewartet. Deswegen vertrieb er sich den Tag mehr oder weniger unruhig im Hotel, er hasste es, untätig warten zu müssen. Zu seinem Verdruss stellte er am nächsten Tag fest, dass das Wetter in keinster Weise besser geworden war, dicke, graue Wolken hingen am Himmel und gaben nicht einen Blick auf die Sonne frei. Schlecht gelaunt trank er in der Hotellobby Orangensaft und verließ dann mit langen Schritten das Hotel. Die Schultern hochgezogen schenkte er weder dem Parlamentsgebäude mit dem Pallas-Athene-Brunnen noch dem schräg gegenüberliegenden K.K Hofburgtheater seine Aufmerksamkeit. Er war ein wenig erstaunt, wie wenig Menschen er hier vorfand, man sollte meinen, dass mehr Touristen hier wären, doch es waren nur wenige. Wie es aussah, würde er sich ein anderes Plätzchen suchen müssen. Fragte sich nur, wo. Er hatte zwar einen Stadtplan, aber wenn er die Straßenbahn benutzen wollte, würde es sich empfehlen, der deutschen Sprache mächtig zu sein. Aber das war er nicht. Und so war es eine enorme Herausforderung, sich bei der Vielzahl an Bussen, Straßen- und U-Bahnen zurechtzufinden. Letzten Endes hatte man ihm wohl angesehen, dass er recht hilflos vor dem Plan gestanden hatte, denn plötzlich fragte eine junge Frau mit dunkelblondem Haar neben ihm:„Kann ich Ihnen weiterhelfen?“ Atemu blinzelte, er hatte kein Wort verstanden, denn sie hatte Deutsch gesprochen. Die Frau sah ihn aufmerksam an, ihre Augen waren moosgrün und ein Schild am Revier mit dem rot-weißen Logo der Stadt Wien ließ Atemu vermuten, dass sie Stadtführungen oder etwas Ähnliches anbot. Unter dem Logo stand “Delia D.“ – Immerhin, sie musste Ahnung haben. Allerdings hatte er die Frau nicht verstehen können, da sie deutsch gesprochen hatte. „Na desuka? Boku wa hanamasen deutsu.“, erwiderte er reflexartig, aber nun war es an der Frau zu blinzeln – offensichtlich sprach sie wiederum kein Japanisch. Aber immerhin hatte sie anhand seiner Worte auch so verstanden, dass er ihr hatte mitteilen wollen, dass er kein Deutsch sprach. Sie lächelte und strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Can I help you?“, fragte sie. Endlich eine Sprache, mit der sie beide zurechtkamen. „Yes, please, how do I get to the…“, er hielt inne und überlegte kurz. Welches war der größte und beliebteste Platz in Wien? Hier, wo sich die Monumente tummelten war die Touristenmenge überschaubar. „to the St. Stephen’s Cathedral?“ Sie nickte lebhaft und deutete auf den Plan:„Here, you see, you get this train, the U2 and then you change at this station to the U3, it’s very simple.” Atemu konnte ihr nicht so recht zustimmen, dass das leicht sein solle, mit Wehmut dachte er an das U-Bahnnetz in Rom – dort gab es die Linea A und die Linea B – und damit gut, aber man kam überall hin. Dennoch bedankte er sich freundlich, ehe er die Treppen hinunter zur U-Bahn ging. Zu seinem Glück musste er, als er am Stephansdom angelangt war, feststellen, dass hier tatsächlich mehr los war. Zufrieden ließ er sich durch die Massen treiben, schlenderte scheinbar sorglos umher während seine Augen immer wach durch die Menge huschten, auf der Suche nach jenen, die ihn töten wollten. Er war darauf vorbereitet. Einen Großteil seiner Waffensammlung trug er versteckt am Körper, wo sie allzeit einsatzbereit waren. Darin hatte er ohnehin Übung. Aber diese Situation an sich war ihm neu, er wusste ja nicht einmal, ob er verfolgt wurde. Er konnte es nur vermuten und hoffen, dass sie auf seine Finte hereingefallen waren und ihm nach Wien und nicht Yuugi nach Paris gefolgt waren. Falls sie überhaupt bemerkt worden waren, nicht einmal das konnte er ja sagen. Er hasste diese Situation, denn er wusste gar nichts, hatte viel zu wenige Informationen. Normalerweise würde er unter solchen Umständen ja gar nicht handeln… Aber nichts war mehr normal. Nicht einmal die Gruppe Japaner mit den Digitalkameras. Zwar gab es wohl nichts alltäglicheres, als seine photografierende Landsleute, aber mit diesen stimmte eindeutig etwas nicht. Denn statt den imposanten Dom abzulichten, war viel mehr er selbst ihr Motiv. Atemu atmete tief durch. In Ordnung. Sie waren auf seinen Trick hereingefallen, jetzt musste er sie nur noch loswerden. Das Problem war nur – er hatte mit zwei Männern gerechnet – aber doch nicht mit fünf! Das würde erheblich schwieriger werden, wenn nicht sogar unmöglich. Aber solche Gedanken ließ er nicht zu. Er liebte doch Herausforderungen – und mehr war dies auch nicht, nur eine große Herausforderung, macht er sich selbst Mut. In Richtung der Männer freundlich lächelnd, wartete er darauf, dass sie seinen Blick bemerkten und die Kameras sinken ließen. Eine Sekunde starrten sie sich so quer über den belebten Platz um den Stephansdom an, dann drehte Atemu sich um und ging. Den Männern würde nichts anderes übrig bleiben als ihm zu folgen, denn wie wollten sie sonst ihrem Auftrag nachkommen? Während Atemu die U-Bahntreppen hinunterstieg fragte er sich, hinter wem die Männer her waren – Yuugi oder ihm, oder gleich ihnen beiden? Auf die Entfernung war es möglich, dass sie sie nicht hatten auseinanderhalten können, sie sahen sich ja so ähnlich, dass Atemu es selbst schwer fiel, die Unterschiede zu benennen. Die Haare, ein wenig. Und die Größe. Aber wenn man nur einen von ihnen vor sich hatte war es schwer zu sagen, wer wer war. Atemus‘ Gedanken rasten. Es fuhren mehrere U-Bahnen vom Stephansdom aus und er musste sich schnell entscheiden, wohin er seine Verfolger locken wollte. Schließlich landete er in der U1 Richtung Leopoldau. Zu seinem Leidwesen schafften es auch die Männer noch in die U-Bahn und standen nun in nur ein paar Schritt Entfernung von ihm, starrten ihn an. Atemu sah aus dem Fenster, obwohl die Bahn unterirdisch fuhr. Jetzt fragte sich nur noch, wo er aussteigen sollte. Es musste ein ruhiger Platz sein, etwas, wo er nicht so schnell erwischt wurde. Und etwas, was die Möglichkeit bot, sich rasch zu verstecken. Er musste nur drei Stationen warten, dann schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. Praterstern. Atemu stieg aus. Der Weg war nicht weit und leicht zu finden, denn das berühmte Riesenrad – genannt Wurstl Prater – war so groß, dass es ohne Schwierigkeiten den Weg zum Prater, dem Freizeitpark, auf dem man das Riesenrad fand, wies. Atemu ging schnell, er hörte die Schritte seiner Verfolger hinter sich, was er versuchte zu ignorieren. In Hektik legte er sich einen Plan zurecht, besonders ausgeklügelt war dieser jedoch nicht, immerhin kannte er nicht einmal das Areal. Vielleicht hätte er sich doch besser eine andere Stadt als Wien aussuchen sollen… Aber er hatte den nächstbesten Flieger nehmen müssen, der zeitgleich mit dem von Yuugi ging – und er hatte nicht damit gerechnet, so früh gefunden zu werden. Seine Verfolger waren ihm wohl dichter auf den Fersen, als er geglaubt hatte. Ärgerlich huschten seine Augen über den Prater. Er war jetzt fast da, über dem Tor befand sich ein großes, grünes Schild, auf welchem Prater Hereinspaziert stand. Rechter Hand ragte das Riesenrad auf, linker Hand standen viele gelbe Gebäude, welche Scherzartikelläden und ähnliches beherbergten. Dahinter ging es weiter, ein großes, grünes Gebäude und hinter dem Prater standen diverse Fahrgeschäfte. Mitten auf dem großen Platz, auf den man beim Betreten unwillkürlich gelangte, stand eine Statue und rechts daneben ein Briefkasten. Aber ansonsten war der Platz des berühmten Freizeitparks vollkommen leer. Nicht eine Menschenseele war da. Aber das war typisch. Hier war nur noch am Wochenende etwas los. Das spielte ihm grade in die Hände, hier hatte er das perfekte Areal gefunden, um es gegen eine Mehrheit aufnehmen zu können, weitläufig, verzweigt und voller Möglichkeiten, sich vor den Augen seiner Verfolger zu verbergen. Und genau das tat er, als er den Park betreten hatte. Das Spiel konnte beginnen. ~*~*~*~ Juli 2007, Paris, Frankreich Yuugi schob den Koffer in einer energischen Bewegung unters Bett und sprang dann rückwärts vom Bett weg. Beinahe angeekelt starrte er auf selbiges. Als er in seinem Hotel in Paris angekommen war und seinen Koffer geöffnet hatte, hatte er zu seinem Entsetzen feststellen müssen, dass Taoka-sama es irgendwie fertig gebracht hatte, eine seiner Pistolen in seinen Koffer zu schmuggeln. Wie er das fertig gebracht hatte, ohne, von den Sicherheitsleuten entdeckt zu werden, konnte Yuugi sich nicht einmal vorstellen. Er wollte diese Waffe nicht einmal. Er konnte zum einen nicht mit ihr umgehen und zum anderen wäre er niemals dazu in der Lage. Die bloße Anwesenheit dieser Waffe erschreckte ihn so sehr, dass er sie aus seinem Blickfeld hatte entfernen müssen. Aufgewühlt trat er ans Fenster und sah hinaus. Wie bei Taoka-sama nicht anders zu erwarten, hatte er ein teures Hotel gebucht, mit Blick auf den Eiffelturm. Der Ausblick war überwältigend, natürlich. Aber Yuugi konnte ihn nicht wirklich genießen. Zuviel Sorgen plagten sein Gemüt, nicht nur die Sorge um die eigene Zukunft sondern – wie er ein wenig erstaunt feststellen musste – die Sorge um das Wohlbefinden Taoka-samas. Zwar wusste er nun, wer er war und das war erschreckend genug, aber in der Woche, die er mit ihm verbrachte hatte, war er nicht umhin gekommen, ihn sehr sympathisch zu finden und außerdem hatte er ihn gerettet – er hatte keine Angst vor ihm. Wohl aber vor seinem Beruf. Nervös rieb er sich die Schläfen. Schon wieder konnte er nichts tun, außer herumzusitzen. Allmählich wurde das wirklich störend. Seine Hände ballten sich zu Fäusten während er sich auf die Lippe biss. Langsam ging er zurück zum Bett, zog den Koffer hervor und öffnete ihn wieder. Matt glänzend lag die Waffe unschuldig inmitten eines Haufens unordentlich in den Koffer geworfener T-Shirts. Eine Sekunde zögerte er noch, aber dann streckte er die Hand aus und hob die Waffe vorsichtig, als könne er sich an ihr verbrennen, hoch. Natürlich geschah nichts. Das Metall lag kühl und schwer in seiner Hand, es fühlte sich dabei aber lange nicht so cool an, wie es ihm Fernsehen aussah. Es machte ihm ein wenig Angst. Aber es gab ihm auch das gute Gefühl, nicht ganz so sehr von Taoka-sama abhängig zu sein – auch, wenn dieses Gefühl trügerisch sein mochte. Fasziniert drehte er die Waffe in Händen. ~*~*~*~ Juli 2007, Wien, Österreich Von seinem Versteck aus beobachtete Atemu seine Verfolger. Kaum, dass er den Park betreten hatte, hatte er seine Schritte beschleunigt und mehrere Haken geschlagen, sodass er den Blicken seiner Häscher entkommen war. Anschließend war er auf ein Dach geklettert und beobachtete nun von oben, welchen Weg seine Verfolger einschlugen. Ihm wäre es natürlich am liebsten, wenn die Männer sich aufteilen würden, aber so leicht machten sie es ihm leider nicht. Da würde er wohl nachhelfen müssen. Und das ohne seine eigenen Waffen gebrauchen zu können, denn ein Mord an einem derart öffentlichen Platz würde viele Untersuchungen nach sich ziehen, sodass er sich noch weniger Fehler als ohnehin schon erlauben durfte. Eine Herausforderung der neuen Art. Ausnahmsweise lächelte Atemu nicht. Er beobachtete nur konzentriert seine fünf Gegner. Diese standen nun beisammen und nahmen die Umgebung unter die Lupe, um ihn zu finden. Vorsichtshalber suchte Atemu Deckung hinter einem der Buchstabenzüge auf dem Gebäude – seine Haare würde man auch von da unten sehen. Manchmal dachte er sich, dass er sich wirklich eine Glatze schneiden sollte. Aber das brachte er dann doch nicht übers Herz. So wartete er nun geduldig ab, er wusste, dass es ihm nichts bringen würde, wenn er die Sache hetzte, dabei würde er nur selbst der Benachteiligte sein. Darauf konnte er verzichten. Aber als eine geraume Weile später immer noch nichts geschehen war, wagte er es, für den Bruchteil einer Sekunde einen Blick nach unten zu werfen. Da standen die fünf, Rücken an Rücken und beobachteten die Umgebung. Atemu knirschte mit den Zähnen. Sie wollten ihn aus der Reserve locken. Erneut Deckung suchend, überlegte er fieberhaft. Er würde etwas tun müssen, ohne seine Deckung zu verlassen. Was es ziemlich schwierig machte, einen lautlosen Angriff zu starten. Noch dazu, da er nur Sekunden hatte, ehe sie ihn entdecken würde – und selbst wenn sie ihn nicht sehen würden, so wäre ihnen doch bewusst, aus welcher Richtung der Angriff gekommen war. Er verfluchte sich für seine Schwäche, Yuugi nicht töten zu können. Dieser dumme, kleine Junge war schuld daran, dass er nun hier in der Falle saß. Revolver kamen nicht in Frage. Wurfmesser besaß er keine, abgesehen davon, dass er es in dieser Disziplin nicht zu der ausreichenden Perfektion brachte, die er hierfür benötigt hätte. Aber was dann? Er konnte ja wohl schlecht mit Steinen nach ihnen werfen… Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Vielleicht keine Steine, vielleicht keine Messer… aber mit etwas anderem konnte er ganz hervorragend werfen. Er griff an seinen Gürtel, grinste noch ein wenig breiter, als er die scharfen Kanten der beiden Shuriken an seinem Daumen spürte, die dort verborgen waren. Schon früh hatte er begonnen, sich darin zu üben diese traditionellen japanischen Wurfwaffen zu benutzen, aus Faszination für selbige. Auch, wenn die Kultur Japans‘ nicht ganz seine eigene war – sie war es auch, aber eben nicht nur. Sein Vater war Japaner gewesen, natürlich, ein Yakuza. Seine Mutter aber war Ägypterin. Er wusste nur nicht, was aus ihr geworden war, sie hatte nur eine kurze Liaison mit ihrem Vater gehabt, der sie anschließend gezwungen hatte, ihn ihm zu überlassen. Danach war sie nach Ägypten zurückgekehrt. Er kannte nicht einmal ihren Namen. Er hoffte, dass es ihr gut ging – und dass sie niemals herausfand, was aus ihrem Kind geworden war. Sie war wohl die einzige Person auf der Welt, vor der er sich wegen seines Berufs schämen würde. Aber andererseits war sie ihm eine Fremde… Ärgerlich über die Ablenkung den Kopf schüttelnd, zog er die beiden Shuriken und nahm eines in die rechte, das andere in die linke Hand. Er hatte davon abgesehen, die Klingen zusätzlich zu vergiften, es würde genügen, wenn er die Männer ein wenig in die Irre führte, vielleicht verletzte, im besten Falle tötete, aber auf jeden Fall dazu brachte, ihre Deckung fallen zu lassen. Ein bisschen nur. Das würde schon genügen. Ganz still verharrte er, wartete, bis der Wind sich legte. Fixierte die Männer. Dann warf er in einer geübten Bewegung die beiden Schuriken in einem Bogen über den Platz, ehe sie dem Mann, der am weitesten von ihm entfernt stand, die Halsschlagader durchtrennte. Der Mann gab ein würgendes Geräusch von sich, taumelte, sank schließlich auf die Knie und griff sich an die Kehle, in dem verzweifelten Versuch, die Blutung zu stoppen. Doch es waren zwei Schnitte und sie waren tief – Atemu grinste vor sich hin, mit den Shuriken konnte er schon im Kindesalter besser umgehen, als manch einer heute. Doch er hatte keine Zeit, Freude über seinen ersten Triumph zu empfinden, es warteten immer noch vier weitere auf ihn und er hatte nicht viel Zeit, wenn er das hier überleben wollte. Als er das Gebäude wieder hinabgeklettert – beziehungsweise das letzte Stück hinabgesprungen war – hatte er sein Messer bereits gezogen, auf diese kurze Distanz konnte er einen Wurf wagen, besonders, da die Männer abgelenkt waren, da in diesem Augenblick der eben angegriffene Mann seinen letzten Atemzug tat. Niemand sah zu ihm herüber, da sie ihn in der entgegengesetzten Richtung vermuteten. Schnell warf Atemu das Messer auf den Mann, der ihm am nächsten stand, ehe er blitzartig wieder Deckung suchte. Er hörte einen kurzen Schrei, dann das Geräusch als würde etwas Schweres zu Boden fallen, gefolgt von dem Rascheln von Stoff. Erschrockene Rufe wurden laut, dann eine geflüsterte Diskussion. Atemu wagte einen kurzen Blick zu den Männern. Der soeben angegriffene kniete am Boden, der Dolch stak in seinem Rücken – er war schwer verwundet, aber nicht tot. Atemu runzelte verärgert die Stirn. Die drei unverletzten Männer standen um ihn herum, der Kniende erteilte Befehle. Zögernd nickten die anderen Männer und Atemu suchte schleunigst wieder Deckung, als die Aufmerksamkeit der Männer nicht länger von ihrem verletzten Anführer gefesselt war. Schritte waren zu hören, zu seiner Erleichterung kamen sie nicht in seine Richtung, sodass er nach kurzer Zeit einen erneuten Blick wagen konnte. Die drei Verbliebenen teilten sich endlich auf um nach ihm zu suchen. Auf dem Platz in der Mitte lagen nur noch der Tote, neben ihm sein verletzter Kamerad, der zwar noch lebte, aber deutlich schwächer wurde. Nachdem er sicher sein konnte, dass die drei Männer außer Reichweite waren, betrat Atemu den Platz, scheinbar seelenruhig schlenderte er zu dem Sterbenden, der ihn mit bitteren Blicken bedachte, aber nicht mehr in der Lage war, etwas zu tun. So zog Atemu unter dem schmerzerfüllten Röcheln des Mannes das Messer aus seinem Rücken – nur, um es anschließend direkt in sein Herz zu jagen. Anschließend beraubte er den Erstochenen seines Revolvers – mit aufgeschraubtem Schalldämpfer, welch ein Glück! – und den anderen seines Messers. So konnte er die Behörden später glauben machen, dass die fünf sich gegenseitig umgebracht hatten – vorausgesetzt natürlich, er würde die übrigen töten können, bevor sie selbiges mit ihm taten. Er wollte dem Erstochenen noch seine Shuriken stehlen, doch er besaß keine. Nun gut, das war nicht weiter schlimm, es durften nur hinterher nicht zu viele Shuriken gefunden werden, über zu wenige machte er sich keine Gedanken, die Polizei konnte ja nicht wissen, welche Waffen von wem mit den in Kampf gebracht worden waren. Atemu richtete sich auf, steckte das Messer ein, da er es ohnehin nicht mehr benutzen konnte, da hier bereits ein Erstochener lag. Sollte sein Plan funktionieren, durfte nun nur die soeben gestohlene Pistole verwenden, um sein nächstes Opfer zur Strecke zu bringen. Er betrachtete die Waffe, auf welche der Schalldämpfer schon aufgeschraubt war. Sie war leichter als seine eigene, bevorzugte Waffe, die Beretta 92 FS, auch ein wenig kleiner, hatte dafür aber nicht den Rechtsdrall, den seine Waffe besaß. Er lächelte, als er den Namenszug Walther P99 entdeckte. Eine gute Waffe mit dem Vorteil, dass sie geladen sofort schussbereit war. Und sie war geladen, alle fünfzehn Patronen steckten noch im Stangenmagazin. Er lächelte. Ein Jammer, dass er diese Waffe nicht behalten konnte. Aber wenn er nach Paris zu Yuugi flog… er kannte in Paris eine hervorragende Waffenhändlerin, die er ohnehin noch hatte aufsuchen wollen. Der Gedanke zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. Sein Blick wanderte über den Platz. Es gab nur drei Wege von hier, den einen, über den er selbst den Platz betreten hatte, konnte er ausschließen. Der andere führte zum Ausgang, und diesen würden die Männer ja wohl nicht genommen haben. Blieb also nur noch einer. Die Walther in der Rechten ging er langsam auf diesen Weg zu. Es war durchaus hinderlich, nicht zu wissen, wo sich die Männer nun befanden, sein Blick huschte unruhig hin und her, am liebsten wäre er wieder auf eines der Dächer geklettert, aber das war hier kaum möglich, rechts neben ihm befand sich immerhin das Riesenrad und links ein Autoskooter. Keine Dächer, die er hätte nutzen können. Und somit keine Deckung. Keine zumindest, die er auf die Schnelle hätte nutzen können. Die drei Männer dagegen konnten, sie hatten die Zeit gehabt, sich rasch zu verbergen und auf ihn zu warten. Sie mussten ja gewusst haben, dass er diesen Weg nehmen würde. Atemu fluchte lautlos, und dann laut, als Schüsse fielen. Er konnte nicht einmal feststellen, von wo, suchte nur schnell Schutz hinter einem neongrünen Autoskooter. Ob das klug war wusste er nicht, denn der Angreifer könnte genauso gut hinter ihm sein. Er verharrte still, die Pistole im Anschlag, während seine Augen hektisch die Umgebung absuchten. Er sah nichts und hörte auch nichts mehr. Es schien Jahre zu dauern, nur die Stille und der kalte Wind, der ihm um die Nase pfiff. Dann fielen erneut Schüsse. Atemu biss die Zähne zusammen und zwang sich, gegen den Reflex anzukämpfen, die Augen zu schließen und den Kopf in die Hände zu stützen. Stattdessen achtete er genau darauf, von wo die Schüsse kamen und wie viele es waren. Das Geräusch war unheimlich laut, als die Kugeln auf den Autoskooter trafen und von ihm abprallten. Er atmete tief durch. Der Angreifer war auf der anderen Seite der Straße, irgendwo beim Riesenrad – und insgesamt waren fünf Schüsse gefallen. Auch, wenn er nicht wusste, wo der andere genau war, er hatte eine grobe Richtung – und in diese gab er drei Schüsse ab, ehe er sich schnell wieder hinter das Auto warf, da das Feuer erwidert wurde. Diesmal waren es mehr Schüsse, aber sie kamen immer noch aus einer Richtung. Die anderen mussten schon weiter sein, allerdings war es möglich, dass der Lärm sie anlocken würde. Wenn dies der Fall war, dann musste er schnell sein. Er würde auf die andere Straßenseite müssen. Aber erst musste er wissen, wo genau sich sein Gegner befand. Er griff erneut an, einzig aus dem Grund, dass er hoffte, sehen zu können, von wo genau der Andere dann auf ihn schießen würde. Das mochte gefährlich sein, war aber besser, als bloß dazuhocken und seinerseits auf einen Angriff zu warten. Er hatte Glück; in dem Bruchteil einer Sekunde, da er aus der Schussbahn flüchtete, sah er die Mündung der Waffe, aus der auf ihn geschossen wurde. Er atmete scharf aus, verlor aber keine Zeit. Schnell lief er geduckt zwischen den Reihen der Autoskooter hindurch. Von seiner neuen Position aus konnte er den Mann besser sehen, dessen Augen jetzt über den Platz huschten auf der Suche nach ihm. Er würde ihn bald gefunden haben, denn seine neue Position bot weniger Deckung. Nun, wenn er Glück hatte, würde er keine Deckung mehr benötigen. Er hob den Revolver und schoss bis das Magazin leer war. Dann erst schritt er zu dem Mann herüber. Er bot wahrlich keinen schönen Anblick, regelrecht durchlöchert. Atemu verzog den Mund, beugte sich vor und fischte mit spitzen Fingern eine weitere Pistole aus dem Jackett des Mannes. Doch noch während er dies tat, hörte er einen Schuss, gefolgt von einem scharfen Schmerz in seinem rechten Unterschenkel. Ein unartikulierter Laut des Schmerzes verließ seinen Mund, dann wankte er auf seinem linken Bein herum und starrte in den Lauf einer Pistole, welche direkt auf seine Stirn gerichtet war. Ehe der Gedanke überhaupt Zeit gehabt hätte, sein Gehirn zu erreichen, hatte er die Hand mit dem Revolver erhoben und abgedrückt. Der Mann vor ihm sackte langsam in sich zusammen, auf seinem Gesicht lag immer noch deutlich der Ausdruck der Überraschung. Ausatmend warf Atemu den leer geschossenen Revolver neben ihn, den anderen, noch geladenen, umklammerte er dafür umso fester. Atemu fühlte sich unendlich müde, aber es gab immer noch einen Mann, den er töten musste. Seufzend wankte er einige Schritte vorwärts, als er Schritte hörte. Er brachte die Pistole in Anschlag, richtete sie auf die Stelle, von wo die Geräusche herkamen. Im Grunde konnte sich da nur einer nähern. Dennoch wartete er ab, bis er näher kam. Dem Neuankömmling fiel schnell auf, dass der Überlebende keiner seiner Verbündeten war, schneller, als Atemus‘ Reflexe, denn er war müde, erschöpft und sein Bein schmerzte so sehr, dass er das Gefühl hatte, es raube ihm den Verstand. Er blinzelte gegen den Schmerz an, als der andere Mann langsam näher kam. Atemu schoss noch immer nicht, obwohl seine Waffe beständig auf das Herz des Mannes gerichtet war. Sein Gehirn schien sehr langsam zu arbeiten. Der andere Mann war so jung, entsetzlich jung für diesen Job. Aber Atemu war viel jünger gewesen, als er seinen ersten Mord begangen hatte. Der Augenblick, in dem ihm dieser Gedanke kam, war der Augenblick, da er abdrückte, und dann noch einmal, nur, um sicher zu gehen. Er fühlte sich merkwürdig stumpf dabei. Er warf die Waffe achtlos zu den Leichen, dann schleppte er sich noch ein paar Schritte weiter, ehe er zu Boden sank und sich die Wunde an seinem Bein besah. Zu seinem Glück war es nur eine leichte Fleischwunde und da die Kugel noch in der Wunde ruhte, blutete es auch nicht sehr stark. Aber er musste vorsichtig sein, wenn sein Blut am Tatort gefunden würde, hatte er ein ernsthaftes Problem. Seine Hose wies leichte Blutspuren, von dem Blut, das hindurch gesickert war, auf, doch da die Hose schwarz war, konnte man es kaum erkennen. Er erhob sich wieder, nachdem er sein Bein inspiziert hatte, dann schleppte er sich zum Ausgang des Parks, suchte sich ein Taxi und ließ sich zum Hotel fahren. Irgendwie schaffte er es die ganze Zeit über, abwesend aus dem Fenster zu starren und sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen. Wie er es später durch das Foyer des Hotels und bis in sein Zimmer geschafft hatte ohne zu Hinken oder sonst irgendwie verdächtig auszusehen, daran konnte er sich nicht mehr erinnern. In seinem Zimmer angelangt, warf er sich mit einem Stöhnen, welches sowohl Schmerz als auch Erleichterung ausdrückte, aufs Bett. Doch dass er hier nicht bleiben konnte, wusste er. Also rappelte er sich wieder auf, schälte sich aus seiner Kleidung und ging, nachdem er in seinem Koffer gewühlt hatte und den Erste-Hilfe-Kasten herausgenommen hatte, ins Bad. Dort setze er sich auf den Rand der Badewanne und machte sich daran, die Wunde zu versorgen. Da es Verdacht erregen würde, ins Krankenhaus zu fahren, tat er das immer selbst, aber das machte den Schmerz nicht leichter, im Gegenteil. Er wusch die Wunde aus, was seine Badewanne ziemlich schnell in ein Schlachtfeld verwandelte. Dann nahm er ein Handtuch, steckte es sich in den Mund um den Schrei zu unterdrücken, als er die Kugel entfernte. Der Schmerz war unmenschlich und Atemu stöhnte in das Handtuch. Aber dann war die Kugel draußen, die Wunde blutete jetzt heftiger, sodass Atemu sie schnell desinfizierte, mit Salbe bestrich und dann verband. Als er fertig war, reinigte er das Bad gründlich, es war zwar unwahrscheinlich, dass die Polizei ihm soweit auf die Schliche kommen würde, dass sie sein Hotelzimmer durchsuchen würden, aber er war lieber vorsichtig. Dann stand er auf, wusch sich, so gut das mit dem Verband ging und ging zurück in sein Zimmer. Er brauchte dringend Schlaf. Aber es ging nicht. Er musste das Land verlassen, nicht nur, weil er sich dann sicherer fühlen würde sondern auch weil er… weil er zu Yuugi wollte. Die Erkenntnis war überraschender, als sie es hätte sein sollen. Unwirsch warf er seine Sachen in den Koffer und zog sich frische Kleidung an, dann machte er sich auf den Weg zum Flughafen. Juli 2007, Paris, Frankreich Er betrat das Zimmer leise, es war zwar erst zehn Uhr abends und draußen war es noch hell, aber sollte er schon schlafen, dann wollte Atemu Yuugi nicht wecken. In der Tat lag Yuugi auf dem Bett, als er das Zimmer betrat – mal wieder ohne sich im Besitz eines Schlüssels zu befinden, übrigens – und döste. Atemu lächelte sanft und stellte seinen Koffer leise auf den Boden. Dann setzte er sich neben Yuugi auf das Bett. Da erst entdeckte er etwas, was ihn an diesem Bild störte. Atemu runzelte die Stirn. Yuugi lag auf der linken Seite, Atemu das Gesicht zugewandt. Sein linker Arm lag unter seinem Kopf und er lächelte leicht im Schlaf. Er wirkte so vollkommen friedlich. Aber in seiner rechten Hand lag die Waffe, die Atemu ihm gegeben hatte. Das kalte Metall hob sich deutlich von der Wärme von Yuugis Körper ab. Sie wirkte so entsetzlich fehl am Platz, dass Atemu sie am liebsten fortgenommen hätte. Aber dann hätte er Yuugi ja aufgeweckt. Es war schön, hier einfach nur neben ihm zu sitzen und ihn anzusehen, ihm dabei zuzusehen, wie er atmete. Atmen war gut – es zeigte so deutlich, dass er lebte. Und Atemu wollte, dass Yuugi lebte. In einer zärtlichen Geste strich er Yuugi durch das Haar. Davon wiederum wurde Yuugi wach, er blinzelte, dann klärten sich seine Züge auf. „Taoka-sama! Sie sind… geht es Ihnen gut?“, fragte er. Atemu lächelte. „Ja. Hunger?“ Er hielt eine braune Tüte hoch. Yuugi war einen Blick darauf und lachte – Atemu spürte einen Schauer seinen Rücken hinab laufen beim Klang dieses Lachens – und gluckste dann:„Fastfood?“ „Wir können es ,das Restaurant zum goldenen M‘ nennen, wenn es dann besser für dich klingt.“, schlug er vor und lächelte mit einer Fröhlichkeit, die er nicht empfand. Er hatte im Flugzeug geschlafen, aber das genügte nicht. Dennoch lächelte er für Yuugi, während sie das Essen auspackten und sich hungrig darüber hermachten. „Sie wollten mir vieles erklären…“, sagte Yuugi sanft, während er ein paar Pommes zum Mund führte. Atemu nickte ihm über den Rand seines Burgers hinweg zu. „Ja.“ „Und?“ „Morgen, Yuugi. Morgen.“, murmelte Atemu. Er war so müde… Hosted by Animexx e.V. 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