Träume fangen von abgemeldet (aka Dreamcatcher) ================================================================================ Kapitel 3: verdrängen und lieben -------------------------------- Kühl und feucht legte sich der Regen auf mein Gesicht und mein Haar. Er war so dicht und die Tropfen so winzig, dass es im Licht der Straßenlaternen aussah, als würden greifbare Nebelschwaden durch die Stadt treiben. Der Duft der Feuchtigkeit war so überwältigend, dass es meinen Geruchssinn beinahe überforderte. Mein Weg führte mich am Bahnhof entlang. An zahllosen geschlossenen Geschäften, erleuchteten Kneipen und mäßig besuchten Imbissbuden vorbei. Vor einer geöffneten Bar stand ein kuschelndes Pärchen und rauchte. Ein Auto fuhr mit dröhnender Technomusik vorbei und seine Insassen lachten so laut, dass man es noch drei Ampeln weiter hören konnte. Ich ging an einem Restaurant vorbei. Ich achtete eigentlich gar nicht darauf. Ich weiß nur, dass es sich um ein Restaurant handelte, weil der plötzliche Geruch nach gutem Essen meinen Magen knurren ließ. Nach einigen Schritten hörte ich, wie die Tür des Restaurants geöffnet wurde. Gespräche und Gelächter schwappten hinter mir auf den Bürgersteig. Und ich hörte eine männliche Stimme, gelassen und warm: „–mich daran, dass ich Cosma anrufe, sobald wir im Auto sitzen. Sie soll mir die nötigen Informationen raussuchen. Ich kann einfach nicht glauben, dass...,“ Mühsam verzichtete ich darauf, mich nach dem Sprecher umzudrehen und ging weiter. Ungefähr zehn Meter vor mir wurde die Hauptstraße von einer anderen gekreuzt. Die Laternenreihe setzte an dieser Stelle für einige Meter aus. Dort herrschte Dunkelheit. Aus dieser Dunkelheit traten zwei Gestalten heraus und auf mich zu. Schwarze Anzüge und Sonnenbrillen, trotz der Nacht. Ich sah sie eigentlich gar nicht bewusst. Nur das Blitzen von Stahl schnitt sich in meine Netzhäute. „RUNTER!“ Der Ruf schallte laut und drängend durch die Nacht. Und ich gehorchte ihm. Ohne zu zögern – ich warf mich zu Boden. Nur einen Herzschlag später fiel der erste Schuss. Ich kniff die Augen zu und schlang die Arme schützend um meinen Kopf, während um mich herum das Chaos ausbrach. Ich hörte hektische Schritte, gebrüllte Befehle. Und immer wieder krachten Schüsse. Ich hörte Glas splittern, panische Schreie. Und ich war mittendrin. Ich krümmte mich auf dem nassen Fußweg und betete. Mein Herz raste und mein Magen drehte sich um, sodass ich mich fast übergab. Noch nie, niemals in meinem ganzen Leben hatte ich solche Todesangst gehabt wie in diesen Sekunden. Ich vernahm, wie jemand zu Boden stürzte. Er stieß einen schrecklichen, schmerzerfüllten Schrei aus, der mein Knochenmark gefrieren ließ. Dann erklangen rasche Schritte hinter mir, unterlegt mit neuen Schüssen, die meine Trommelfelle zu zerfetzen drohten. Jeder meiner Muskeln verspannte sich vor Entsetzen. „WAS TUST DU?!“, donnerte jemand fassungslos einige Meter hinter mir. „GIB MIR FEUERSCHUTZ!“, brüllte es zurück. Einen Augenblick später packte mich eine Hand an der Jacke und riss mich auf die Füße. „Weg hier! Schnell!“ Ein muskulöser Arm umschlang meine Schultern und zerrte mich mit sich. Wehrlos stolperte ich in die Richtung, in die ich gezogen wurde. Ich konnte nichts sehen. Ich fühlte nur mein Herz hämmern und das Vibrieren des Bodens, wenn ein weiterer Schuss die Luft zerriss. Ich wurde vorwärts gestoßen, in ein Auto hinein. Einen Wimpernschlag später stürzte mir mein Retter hinterher und ein weiterer Mann warf sich auf den Beifahrersitz. Zwei Autotüren knallten zu. Dann quietschten Reifen, der Motor heulte auf und schon schoss der Wagen die Straße entlang und davon. Der Mann, der sich auf den Beifahrersitz geworfen hatte, begann lautstark zu fluchen und jemanden mit dem Namen Bariello wüst zu beleidigen. Ein Mann, der offenbar nicht nur dumm, hässlich und sehr schlecht bestückt war, sondern es außerdem gewagt hatte, ihnen eine Falle zu stellen. Ein Fehler, der ihn das Leben kosten sollte. Ich weiß noch, wie meine Ohren klingelten und mein Herz immer noch wild und schmerzhaft in meiner Brust schlug. Die Furcht nahm mir den Atem, als ich langsam begriff, in welcher Situation ich mich befand. Ohne es zu realisieren hatte ich mir die Hände ins Gesicht gekrallt. Und erst jetzt bemerkte ich, dass meine Wangen tränennass waren. Zitternd vor unterdrücktem Grauen drehte ich den Kopf, um den Mann, der mich aus dem Kreuzfeuer geholt hatte und jetzt neben mir saß, anzusehen. Er hatte sich im Polster zurückgelehnt, die Augen geschlossen und massierte sich mit der linken Hand die Nasenwurzel. Fast schwarzes Haar klebte ihm in der Stirn. Trotz der Dunkelheit konnte ich erkennen, dass er sehr blass war. Sein Brustkorb hob und senkte sich in schnellen Stößen. In der rechten Hand hielt er eine schimmernde Waffe. Mir drehte sich der Magen um. Aber trotzdem. Irgendetwas packte mich in diesem Augenblick. Mein Körper begann zu prickeln, als würde er versuchen, mir eine Nachricht zu übermitteln. Eine Macht, die ich noch nie zuvor gespürt hatte, ergriff mich und zog mich zu diesem Mann hin. Unaufhaltsam und bedrohlich. Als ich leise aufkeuchte, öffnete er die Augen und warf mir einen raschen, besorgten Blick zu, der mir durch und durch ging. Er war der schönste Mann, den ich je gesehen hatte. Ich bekam tatsächlich eine Gänsehaut und mein Herz vollführte einen kleinen Trommelwirbel. „Ist einer von euch verletzt?“, fragte mein Retter in die Stille hinein, die der plötzlich unterbrochenen Schimpftirade folgte, „José? Vincent?“ „Nein,“ antworteten die beiden Männer vorne im Chor. Er atmete erleichtert auf. Dann wandte er sich mir zu und ich musste etwas konzentrierter atmen. Seine Augen waren so dunkel wie die Nacht. Und sein Atem roch nach Karamell. „Und du, Junge? Bist du okay?“ Unverwandt sah ich ihn an. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Der Mann auf dem Beifahrersitz drehte sich um und musterte mich mit gerunzelter Stirn. Er hatte helles Haar, ein kantiges Gesicht und trug eine Brille. Er erweckte den Eindruck von intelligenter Brutalität. Sein Anblick löste meine Zunge. „Wer sind Sie?“, stieß ich heiser und gleichzeitig schrill hervor, „Was passiert hier? Wer sind Sie?“ Der Beifahrer schnaubte spöttisch. „Was soll das, Alejandro?“, fragte er und klang halb gelangweilt, halb verärgert, „Dass du den Kleinen mitgenommen hast, wird uns nur Probleme machen. Wir sollten ihn losw–,“ „Vincent!“, wurde er jedoch von meinem Sitznachbarn mit scharfer Stimme unterbrochen und verstummte daraufhin sofort, „Behalt deine Kommentare gefälligst für dich. Verstanden?“ „Alejandro–,“ „Verstanden?!“ Eine Sekunde herrschte Grabesstille. Dann nickte der Mann, den mein Retter Vincent nannte, und senkte den Blick. „Ja, Boss.“ Mein Herz raste. Ich weiß bis heute nicht, was Vincent genau hatte sagen wollen. Doch ich ahne es. Und ich war mir auch damals schon sicher, dass es wohl nichts Gutes zu bedeuten hatte. Mir war schlecht vor Angst. Und ich stand unter Schock. Ohne nachzudenken drehte ich mich von Alejandro weg und begann voller Panik gegen das getönte Fenster zu trommeln. „Hilfe!“, brüllte ich und packte den Türgriff, „Lassen Sie mich hier raus! HILF–,“ Die Autotür schwang auf und Nieselregen peitschte ins Wageninnere. Ich schrie auf, als ich den Halt verlor und beinahe nach draußen auf die Straße flog. Aber soweit kam es nicht. Ein starker Arm schlang sich um meinen Bauch und hielt mich fest. Vincent fluchte, das Auto schlingerte und Bremsen kreischten. Dann standen wir schief auf der Straße. Aber mich hatte blinde Panik ergriffen. Mit einem Ruck machte ich mich los, sprang aus dem Auto und rannte so schnell ich konnte davon. All das hatte insgesamt vermutlich nicht viel länger als fünf Minuten gedauert. Trotzdem hatte es mein Weltbild erschüttert. Und deshalb wundert es mich eigentlich auch, dass ich diese Nacht nicht vollständig verdrängt oder irgendwelche psychischen Störungen davon getragen habe. Aber vielleicht wäre das anders, wenn es bei dieser einen, haarsträubenden Begegnung geblieben wäre. Doch das tat es nicht. Denn Alejandro kam mir hinterher, nachdem ich geflohen war. Ich hörte ihn rufen, während ich um mein Leben rannte. Und die Angst verlieh mir Flügel. Ich wusste gar nicht, wo ich war und wo ich hinlief, doch es kümmerte mich auch nicht. Alles, was ich wollte, war möglichst viel Distanz zwischen mich und den Wagen bringen. Doch Alejandro ließ sich nicht abschütteln. Er verfolgte mich wie mein eigener Schatten und holte mich schließlich ein, als ich vollkommen erschöpft in irgendeiner finsteren Garageneinfahrt zu Boden sank. Er blieb neben mir stehen, stützte seine Hände auf die Knie und rang ebenfalls nach Atem. Als wir beide wieder sprechen konnten, flehte ich ihn an, mich in Ruhe zu lassen. Ich versprach wirres Zeug, dass ich der Polizei nichts verraten würde, dass ich vergessen würde, was ich gesehen hatte. Aber Alejandro wischte meine Versprechungen mit einer unberührten Handbewegung weg. Und dann überraschte er mich so sehr, dass es mir die Sprache verschlug: „Tut mir Leid. Aber ich kann dich nicht einfach in Ruhe lassen. Du bist völlig verstört. Was, wenn Bariellos Leute hier noch irgendwo sind? Ich bringe dich nach Hause. Ich kann dich unmöglich allein lassen. Schließlich ist es meine Schuld, dass du überhaupt da hinein geraten bist.“ Er fragte mich, wie ich hieß und wo ich wohnte, doch ich konnte nicht mehr. Ich war am Ende meiner Kräfte. Ich konnte nicht fassen, was geschehen war und immer noch geschah. Also setzte ich mich einfach auf den nasskalten Weg unter mir, vergrub mein Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen wie ein Baby. Und das war der Moment, in dem sich alles veränderte. Ich habe nie verstanden, was genau passiert ist. Es war, als wäre in meinem Kopf ein Schalter umgelegt worden, der meine Vernunft regulierte. Ich hörte einfach auf nachzudenken. Ich ließ es zu, dass Alejandro vor mir zu Boden sank und mich in seine Arme zog. Ich wehrte mich nicht, als er mich an sich drückte und mir übers Haar strich. Stattdessen krallte ich mich in seine Jacke, weinte in sein Hemd und ließ das Entsetzen aus mir heraus fließen, während er sich alle Mühe gab, mich zu trösten. Er sagte mir, dass es ihm Leid täte und er sich vorstellen könnte, wie schrecklich das alles für mich gewesen sein musste. Und er sagte mir, dass ich jetzt keine Angst mehr haben bräuchte, weil er dafür sorgen würde, dass mir nichts zustieß. Und ich glaubte ihm. Einfach so. Eigentlich verrückt, geradezu dumm. Aber irgendwie konnte ich nicht anders. Es war irgendwas an der Art, wie er mich festhielt. Dort am Boden, in dieser fremden Einfahrt, mitten in der Nacht und im Nieselregen. Es tat mir gut. Mehr als das. Es erfüllte mich von Kopf bis Fuß mit Wärme und Verlangen. Mein Herz klopfte laut und aufgeregt gegen meine Rippen und schickte Gefühle durch meine Venen, die mir vollkommen fremd waren. Ich zitterte, obwohl ich nicht fror. Ich fühlte mich schwer und benebelt, als stünde ich unter Drogen. Noch nie zuvor hatte und habe ich etwas Vergleichbares empfunden. Es zog mich voll und ganz in seinen Bann. Er zog mich voll und ganz in seinen Bann. Ohne dass ich es bemerken oder gar hätte verhindern können, hatte er sich in mein Herz, in meinen Kopf und in meinen Körper geschlichen. Ich war ihm völlig ausgeliefert. Ich hatte keine Chance. Ja... Alejandro hatte es wirklich sehr einfach mit mir. Irgendwann hörte ich dann endlich auf zu weinen, lehnte meinen Kopf aber nach wie vor an Alejandros Brust und atmete den Karamellduft ein, dessen Ursprung ich damals noch nicht kannte. Und er hatte sein Gesicht in meinen Haaren vergraben und machte auch sonst keine Anstalten, mich loszulassen. Was mich nicht störte. Im Gegenteil. „Deine Haaren riechen unheimlich gut...,“ flüsterte er mir ins Ohr, „Was ist das...?“ „Irgendwas von Nivea, glaub ich...,“ wisperte ich zurück. Ich hörte ihn grinsen und zwang mich, aufzusehen. Er war mir wahnsinnig nah. Und alles in mir drängte mich vorwärts. An meiner Angst und meiner Verwirrung vorbei, näher zu ihm hin. Gott, ich konnte nicht fassen, was in mir vorging. Kann ich immer noch nicht. Was ist da bloß mit mir passiert? „Verdammt...,“ hauchte er und seine Stimme war rau, „Was...machen wir hier eigentlich?“ „Keine Ahnung...,“ erwiderte ich leise und schluckte trocken. „Lass mich dich nach Hause bringen. Ich sterbe vor Sorge, wenn du um diese Zeit allein durch die Stadt läufst.“ Nachdem wir anhand einiger Straßenschilder herausgefunden hatten, wo genau wir uns befanden, machten wir uns durchnässt und frierend zu Fuß auf den Weg zu mir nach Hause. Wir hielten uns an den Händen, als wäre das vollkommen natürlich. Wir aßen seine Karamellbonbons und er fragte mich aus. Nach meinem Studium und meinen Freunden und meiner Familie. Ich erzählte ihm alles, wagte aber nicht, ihm irgendwelche Gegenfragen zu stellen. Und er hörte mir zu. Wie mir noch nie zuvor jemand zugehört hatte. Als wäre mein unspektakuläres Studentenleben viel bemerkenswerter und aufregender als das seine. Als wir schließlich vor meiner Haustür angekommen waren, erkundigte er sich erneut nach meinem Namen. Und diesmal sagte ich es ihm. Dann verabschiedeten wir uns umständlich. So, als fiele es uns beiden schwer, uns voneinander zu trennen. Er sagte mir, ich müsse mir keine Sorgen machen, wegen dem, was passiert war. Er würde mich beschützen. Glücklicherweise verzichteten wir dabei auf Körperkontakt. Hätten wir das nicht getan, bin ich nicht sicher, ob ich ihn überhaupt hätte gehen lassen können. Allein in meinem Zimmer angekommen, musste ich mich erst mal setzen, weil meine Beine sich so wacklig anfühlten. Dann fragte ich mich, ob ich den Verstand verloren hatte. War ich vollkommen verrückt geworden? Was dachte ich mir nur dabei? Mich in einen Mann zu vergucken, den ich nicht nur kaum bis gar nicht kannte, sondern der noch dazu eine Waffe mit sich herum trug und auf den Anschläge vor Restaurants verübt wurden. Ich beschloss, ihn und mein Erlebnis zu vergessen. Doch als ich schließlich im Bett lag, schwebte sein Gesicht unauslöschlich vor meinem inneren Auge. Und immer und immer wieder musste ich seinen Namen in die Dunkelheit meines Zimmers hauchen, um seinen Geschmack und seinen Klang zu testen. In dieser Nacht träumte ich das erste Mal vom Fliegen. Und als ich fiel, fuhr ich erschrocken aus dem Schlaf. Danach ging alles ganz schnell. Am nächsten Abend rief Alejandro mich zum ersten Mal auf meinem Handy an. Als ich ihn alarmiert fragte, woher er meine Nummer hatte, meinte er nur, er hätte seine Methoden. Ich fragte nicht weiter nach. Wir telefonierten stundenlang und sprachen über alles Mögliche, was uns in den Sinn kam. Mein Magen kribbelte die ganze Zeit über und mein Mund verzog sich instinktiv zu einem Lächeln, als ich ihn das erste Mal lachen hörte. Um zwei Uhr morgens fragte er mich dann, ob ich ihn wiedersehen wollte. Ich erinnere mich genau daran, dass ich nicht einen Moment zögerte. Nicht einen einzigen. Noch bevor er die Frage zu Ende formuliert hatte, hatte ich mich bereits entschieden. Es war, als hätte es immer nur eine Möglichkeit für mich gegeben. Ich sagte ja. Zwei Tage später wurde ich von ihm um neun Uhr abends zu Hause abgeholt. Meinen Freunden sagte ich nichts. Ich musste mich arg überwinden, in den grauen BMW einzusteigen, den ich gleich wiedererkannte. Allerdings war Vincent nicht anwesend, was mich beruhigte. Nur José, der Chauffeur, saß am Steuer und grüßte mich höflich. Und Alejandro strahlte, als ich zu ihm auf die Rückbank rutschte. Ich war schrecklich aufgeregt und sein Anblick machte es mir nicht leichter. José fuhr uns zu einem hohen Bürogebäude, das dunkel und leer in einen herrlichen Sternenhimmel ragte. Mit dem Fahrstuhl gelangten wir zu zweit auf die Dachterrasse. Mir sackte das Kinn auf die Brust, als ich den Lift verließ. Der Garten war groß und überall wuchsen kleine Bäume und riesige Blumen, deren Geruch schwer in der noch warmen Luft hing. Und mitten in diesem Urwald stand ein Auto. Ein alter, purpurroter Cadillac mit offenem Verdeck, hellen Ledersitzen und eingeschalteten Scheinwerfern. Und in einigen Metern Entfernung war eine Leinwand aufgebaut worden. Ein Autokino. Für nur zwei Personen. „W... Wie...kommt das Auto hierher...?“, fragte ich wie vom Donner gerührt, „Und woher...haben Sie überhaupt die Schlüssel...?“ Alejandro lachte über meine perplexe Miene und antwortete nicht. Es wurde die schönste und aufregendste Nacht meines Lebens. Wir setzten uns in den Wagen und sahen uns Ein Fisch namens Wanda und The Rocky Horror Picture Show an. Wir lachten und redeten, tranken Cola und Champagner und stopften uns mit Karamellbonbons und Popcorn voll, bis uns beiden ganz schlecht war. Ich war so glücklich wie selten zuvor in meinem Leben. Ich genoss Alejandros Nähe in vollen Zügen und verdrängte den Gedanken mit aller Kraft, dass er vermutlich viel gefährlicher war, als ich wahrhaben wollte. Ich wollte nicht darüber nachdenken, wo ich mich mit wem befand und ob das vernünftig war. Ich wollte nichts davon wissen. Ich wollte nur fühlen. Und nur das tat ich. Als wir keine Lust mehr auf Fernsehen hatten, streckten wir uns auf den bequemen Ledersitzen des Autos aus, leerten die letzte Flasche Champagner und sahen in den Sternenhimmel. Da Alejandro keinen blassen Schimmer von Sternbildern hat, erklärte ich ihm die paar, die ich kenne und auch finde. Dann überlegten wir uns neue, zeigten sie uns gegenseitig und kicherten über unsere Ideen wie kleine Kinder. Irgendwann konnte ich meine Hand nicht mehr in den Himmel heben, da der Champagner und seine Körperwärme neben mir meine Sinne berauschten und meine Bewegungen beeinträchtigten. Also streckte Alejandro den linken Arm aus und verschlang seine Finger mit meinen, um mir Halt zu geben. Seine Haut war wunderbar warm und glatt. Ich versuchte, ihm mein neu erfundenes Sternbild zu zeigen, aber ich entdeckte es nicht mehr. Es war verschwunden. Verschwunden in Alejandros Berührung. Er seufzte enttäuscht und unsere verflochtenen Hände sanken zurück ins Auto. Und ganz plötzlich...schlug mein Herz unglaublich schnell. Und mir wurde furchtbar warm und schwach zumute. Und als ich den Kopf drehte, sah ich, dass er mich ebenfalls ansah. Mein Magen kribbelte wie verrückt. Ich sehnte mich mit einem Mal so sehr nach ihm, dass es mir den Atem nahm. Und ich wusste irgendwie, dass es ihm genauso ging. Alejandro streichelte meinen Handrücken mit seinem Daumen und küsste meine Fingerknöchel. Seine Lippen waren heiß und unendlich weich. Mir wurde schwindlig, als er sich endlich über mich beugte und seine Lippen vorsichtig auf meine legte. Sie schmeckten nach Karamell. Es war, als würde plötzlich wieder ein Film laufen. Ein Film, den ich nicht beeinflussen konnte und den ich so nehmen musste wie er war. Ich hätte absolut nichts tun können... Es riss mich einfach mit. Ich ertrank in der Romantik. Wir schlangen die Arme umeinander und begannen uns zu küssen. Hemmungslos, als hätten wir die ganze Zeit nur für diese eine Nacht gelebt. Wir gruben uns unter die Klamottenschichten des jeweils Anderen, versuchten so viel fremde Haut zu berühren und zu küssen, wie nur irgend möglich. Mit jeder verstreichenden Minute bedeckten mehr Kleidungsstücke die Innenausstattung des Cadillac'. Dann – ganz plötzlich – löste sich Alejandro von mir und starrte mit glasigen Augen auf mich hinunter. Ich spürte sein Herz wild gegen meines hämmern. Als er sprach, war seine Stimme weich und belegt, als wäre er richtig betrunken. „Vielleicht...ist das ein Fehler... Wenn du...dir nicht sicher...bist, dann...,“ Aber ich war mir sicher. Ich wollte ihn so sehr, dass es jedes andere Gefühl, jeden Zweifel einfach fortspülte. Hätte er gesagt, es würde mich umbringen – es wär mir egal gewesen. „Küss mich...,“ wisperte ich mit schwerer Zunge. Einen rasenden Herzschlag lang zögerte er noch. Als würde er hinter seiner Stirn mit sich selber kämpfen. Aber dann tat er mir den Gefallen. Heiß und ungestüm. Und dann entjungferte Alejandro mich. In dem roten Cadillac, inmitten von Popcorn, Bonbonpapier und Blumen, unter dem atemberaubenden Sternenhimmel. Hinterher lagen wir schwer atmend und eng aneinander gedrängt zwischen unseren abgelegten Klamotten und schwiegen. Es dauerte eine Weile, bis wir die Kraft dazu fanden, aufzustehen und uns anzuziehen. Alejandro rief José an und ließ uns abholen. Ich fuhr mit ihm, weil ich den Gedanken nicht ertragen konnte, diese Nacht ohne ihn zu verbringen. Bei ihm angekommen, schliefen wir erneut miteinander. Und dann redeten wir bis in den Morgen hinein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)