Blut & Seele von abgemeldet (The sign of the black cross) ================================================================================ Kapitel 4: Gamma: Unsichtbare Ketten ------------------------------------ 5. Schuldig hatte sich wieder einigermaßen im Griff. Er lehnte seinen schwammigen Kopf an die kühle Außenwand und ließ die Nachwehen der Schmerzattacke des levelhöheren Telepathen Blutengel verklingen. Seine Bestrafung für sein Versagen hatte er somit hinter sich gebracht. Es war wie früher. Dieselbe gottverdammte Scheiße! Sie hatten ihm damals weder seine Würde, noch seinen Stolz gelassen. Wimmernd und winselnd wollten sie ihre Untergebenen vor sich sehen, falls diese nicht spurten. Schuldig hasste es, wenn er so ausgeliefert, erniedrigt und gedemütigt wurde, noch dazu vor Aya. Ein Faktor, der ihm zu seiner Erniedrigung fast den Verstand raubte. Wie aus weiter Ferne hörte er leise Worte, die Aya an Ken richtete. Schuldig interessierten sie nicht. Bald wären sie weg und er konnte aufstehen und sich seinen Mund ausspülen. In der ersten Schrecksekunde hatte er sich auf die Innenseite seiner Lippe gebissen, er schmeckte noch immer den charakteristischen, eisenhaltigen Geschmack, den Blut an sich hatte, in seinem Mund. Ein kleines Rinnsal, eben dieser Körperflüssigkeit lief ihm vermutlich gerade aus der Nase. Fahrig mit zitternden Fingern wischte er sich das vermeintliche Blut ab, er hatte keine Lust seine schweren Augenlider zu heben, nur um sich das Offensichtliche, visuell zu bestätigen. Wieder wurden Worte gesprochen, eine Tür geöffnet und wieder geschlossen. Sie waren weg. Endlich. Er legte seine Hand an die stützende Wand und schob sich langsam vorwärtstastend mit geschlossenen Augen nach oben. Ohne eine Spur von Schwindel oder sonstigen Nachwehen öffnete er die Augen, bemerkte die verwischten Blutspuren an der Wand, als er sich aufgerichtet hatte und wandte sich Richtung Badezimmer. Aya. Dieser stand so unmittelbar vor ihm, dass er unwillkürlich etwas zurückschreckte. Er war nicht gegangen? Was wollte er denn noch hier? Sich über ihn lustig machen? Mitleidig auf ihn herab blicken? Nein, danke. Schuldig fühlte sich, als hätte Aya ihn mit seiner Anwesenheit zusätzlich einen Schlag verpasst. Und dieser Schlag, der ihm ein Gefühl der vollkommenen Auslieferung und Scham gab schmerzte mehr als Blutengels Bestrafung. Er war vor Aya auf den Knien gelegen, hilflos und klein. Schuldig spürte wie sich vertraute Gefühle in ihm regten, blinde Wut, die es ihm ermöglichen würde seinem Selbstbewusstsein einen Schubs aus dem schwarzen Loch heraus zu geben, in das es gefallen war. Doch er musste sich zusammenreißen, durfte nicht die Kontrolle aufgeben. Kontrolle war so wichtig, so verdammt wichtig. „Und? Hast du es genossen? Die Vorstellung war doch bestimmt geil für dein Ego!“ Sagte er stattdessen. Schuldig grinste spöttisch, fixierte die ruhigen, kalten Augen vor sich, entschied dass er ihnen in seiner gegenwärtigen Situation nicht lange standhalten konnte und zischte abfällig, als er sich an Aya etwas grob vorbeischob und das Badezimmer anstrebte. „Es war unterhaltsam, stimmt. Aber um mein Ego zu befriedigen braucht es schon etwas mehr“, erwiderte Aya kühl. Schuldig wusch sich das Gesicht, strich seine Haare beiseite und legte einen kalten Waschlappen auf seinen Nacken. Er bezweifelte dass Aya es nicht ernst meinte und dieser so etwas wie Humor besaß. Auch wenn dieser Humor etwas Schwarz sein würde. Müde lächelte er in sich hinein. Schuldig stand in dem dunklen Bad, leicht auf das Waschbecken gestützt und wartete bis sich sein Nasenbluten gelegt hatte. „Willst du nicht endlich abhauen?“ „Nein.“ Na klasse, kommentierte Schuldig in Gedanken. „Und was willst du hier noch?“ Langsam hörte es auf zu bluten, er nahm den Waschlappen aus dem Nacken säuberte sich nochmals im Gesicht und warf seinem wenig erbaulichen Spiegelbild im Halbdunkel einen unwirschen Blick zu. Sein Shirt wies leuchtend rote Blutflecke auf. Du siehst Scheiße aus, sagte er sich selbst, bevor er die Tür schloss und zu Aya ins Zimmer trat. „Wissen, wer der Typ ist. Er wirkt richtig sympathisch, wenn du vor ihm derartige Kniefälle machst.“ Ayas Stimme troff vor Sarkasmus, sein Gesicht war bar jeder Emotion. Nur seine Augen blitzten gefährlich. „Du stehst wirklich drauf, was? Hast du es mal mit einem Sado/Maso Studio probiert?“ Schuldig betrachtete einen Moment den lediglich um wenig kleineren Mann interessiert, wandte sich schließlich mit einem hintergründigen Grinsen ab und öffnete die Tür. „Du hast nicht den leisesten Schimmer zu was dieser Typ fähig ist. Genau das war es, was Crawford, Nagi, Farf und mich dazu bewogen hat unser eigenes Ding durchzuziehen. Es war, und ist uns noch immer Scheißegal was anderen um uns geschieht, solange wir nicht die sind, die leiden. Wir haben die Schnauze gestrichen voll davon, uns ständig von anderen ausnutzen und benutzen zu lassen. Lieber eine Welt voller Anarchie und Chaos oder den Tod, als noch mal dasselbe durchzumachen.“ Er spürte wie erneuter Hass in ihm das lang antrainierte Gefühl von Gleichgültigkeit und Überheblichkeit überlagerte. Wut und Hass gegen alles um ihn herum, gegen diese Welt voller selbstgerechter und heuchlerischer Menschen. „Niemals wieder... hörst du?! Niemals... lasse ich wieder zu, dass sie mich kriegen...“, flüsterte er bedrohlich und verließ den Raum. Er ließ Aya einfach stehen, flüchtete vor ihm, vor diesen Augen, die ihn dazu gebracht hatten, dass er seine Kontrolle aufgeben musste, dass er wieder so wurde wie früher... Rannte weg vor dieser düsteren, einnehmenden Aura, diesem Mann dessen Ausstrahlung den ganzen Raum zu füllen schien, keinen Platz mehr ließ für jemand anderen. Wie ein schwarzes Loch das alles in sich aufsaugte, sobald es geboren war und sich jemand in seine Nähe begab. Er entfernte sich vom Behandlungsraum, der neben den Trainingsräumen und der Schussübungshalle lag und machte sich ins obere Stockwerk auf, schließlich hatte er keine Lust noch mehr Minuspunkte bei Blutengel zu sammeln. Warum hatte er das eben gesagt? Was war es nur, dass ihn dazu veranlasste, sich wieder wie früher zu geben? Warum hatte er nur den brennenden Wunsch dem Rotschopf ständig eine reinzuwürgen? Hätte er sich nämlich nicht beherrscht, hätte er Aya mit Sicherheit, in seiner unterdrückten Wut, gegen die nächste Wand geworfen. Im großen Wohnraum angekommen empfingen ihn schon mehrere neugierige Augenpaare. Wobei die Neugier zwar bei allen zu sehen war, doch in unterschiedlichen Abstufungen von anderen deutlich lesbaren Gefühlen überlagert wurde. Genugtuung bei Yohji, Mitleid bei Ken, Unsicherheit bei Omi, Nervosität bei Nagi... und Crawford... schien etwas besorgt zu sein!? Er musste sich das einbilden, beruhigte er sich selbst. Crawford war nahe dran Schuldigs Weltbild auf den Kopf zu stellen, so wie dieser sich in der letzten Zeit aufführte. Nicht erst seit die anderen Jungs hier waren, konnte Schuldig neue Seiten an Crawford erkennen. Nur minimale Andeutungen, Bemerkungen, die er früher so nie geäußert hätte. Schuldig warf sich unflätig in einen der Sessel und enthielt sich ausnahmsweise einmal eines Kommentars. „Du hast Aya allein gelassen?“, fragte Ken plötzlich in die eingetretene Stille, seit er sich in den Ledersessel, knirschenderweise, geworfen hatte. „Ja und? Ist der noch nicht groß genug um allein zu sein, oder was?“ Schnodderte Schuldig übellaunig. „Das war ja wieder so klar!“, sagte Ken enttäuscht und wollte sich bereits wieder aufmachen um wohl Aya zu holen, als dieser bereits mit einem etwas verbissenem Gesichtsausdruck langsam die Treppe hochstieg. Schuldig musste zugeben, dass der Rotschopf unnatürlich blass aussah, er schonte seinen rechten Arm und verzog, bei jedem Schritt den er machte, das Gesicht leicht. Leicht unbehaglich wandte sich Schuldig ab und richtete seinen desinteressierten Blick auf Coldpain, der neben Blutengel stand und scheinbar darauf wartete, dass sich die ganze Rasselbande endlich versammelte. Er hörte noch ein kleines Ächzen, dass Aya von sich gab. Schuldig widerstand jedoch der Versuchung den Kopf zu wenden und dem Anderen dabei zuzusehen wie er sich auf der Couch niederließ. Es sollte auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass er ein schlechtes Gewissen hatte, weil er den Rotschopf dort unten allein gelassen hatte. Nie und nimmer hatte ER ein schlechtes Gewissen... er wusste ja schon gar nicht mehr was das war! Schlechtes Gewissen... wo kam denn dieses verstaubte Ding plötzlich her? Aus den Tiefen seines Unterbewusstseins? Da sollte es aber auch bitteschön wieder hin! Schuldigs Blick schweifte kurz zu Blutengel, dessen Miene Strenge und Unnachgiebigkeit ausdrückte. Die Augen waren kalt und als sie nun Schuldig direkt fixierten, hatte dieser das untrügliche Gefühl, als würde die Temperatur im Raum merklich kühler werden. Er wandte den Blick ab und heftete ihn wieder auf Coldpain, der mit seinen Ausführungen begann und gleich ohne Umschweife und Vorgeplänkel zum Kern der Sache kam. Schuldig rollte nur genervt mit den Augen, als er die ersten Worte vernahm. „Durch Schuldigs Zeitverlust bei der Suche nach Aya, erlitt dieser einige schwerwiegende Verletzungen, die es nun unmöglich machen den vorgesehenen Zeitplan einzuhalten. Wie ich euch bereits berichtete ist es von größter Notwendigkeit, dass die Teams zusammenarbeiten. Ohne die Existenz beider Teams, vereint, wird weder Weiß noch Schwarz weiter bestehen können.“ Blutengel tauschte einen kurzen Blick mit Coldpain und übernahm dann das weitere. „Ab sofort untersteht ihr mir. Hinter mir steht keine Organisation wie Kritiker oder SZ. Ihr seid nur mir Rechenschaft schuldig, Versagen wird sofort bestraft, eine Weigerung nicht akzeptiert.“ Schuldig spürte die lähmende Furcht, die in seinem Inneren aus gut verdrängten Gefilden hervorkroch, ihn innerlich zusammensinken ließ. Er wollte zu Crawford, zu Nagi blicken, ihre Gesichter sehen, wenn er schon nicht ihre Gedanken lesen konnte, wissen ob sie das gleiche dachten, fühlten, doch sie standen hinter ihm und umdrehen wollte er sich nicht, das hätte nur lächerlich gewirkt. Es war alles wie früher, wie damals...alles wie damals... Panikartig versuchte er, die nach außen drängenden Gefühle wieder dorthin zu schieben wo sich nach seiner Meinung hingehörten: Tief in seine Seele, dorthin wo keiner sie sehen konnte. Unwohl ruckelte er sich in seinem Sessel zurecht, ließ sich etwas weiter hineinrutschen, streckte die Beine von sich und brütete mit düsterem Blick vor sich hin. „Ihr werdet euch perfekt ergänzen. In täglichen Trainingseinheiten werdet ihr euch die fehlenden Eigenschaften aneignen, diejenigen die ihr beherrscht verfeinern und sie auf euren Partner abstimmen.“ „Partner?“ unterbrach ihn eine tiefe Stimme, die Aya so charakterisierte. Blutengel ließ sich zu einem kleinen, feinen Lächeln herab. „Ihr werdet zu vier Teams zusammengefasst, jedes Team umfasst einen PSI Akteur und einen Inaktiven mit materiellen Waffen. In euren psychologischen Gutachten, zu finden bei Kritiker, die umfangreiche Charakterfiles von euch angelegt haben, sind genaue Angaben über eure Teamfähigkeit und andere nützliche Gutachten zu finden gewesen.“ Schuldig hätte jetzt nur allzu gern gewusst was in den einzelnen Köpfen vorging, aber vor allem interessierten in Ayas Gedanken. „Eure Arbeit wird sich von eurer vorherigen kaum unterscheiden, nur werden die Gegner härter, wesentlich härter sein. Sie besitzen ähnliche Fähigkeiten, wie diejenigen, die euch vor eurem Zusammentreffen zugesetzt haben. Nur in verstärkter Form. Ziel wird es sein, diese feindlichen Elemente auszuschalten, ihnen keine Chance zu lassen eure Identität zu ergründen. Die nächsten Wochen werdet ihr euch an euren Partner gewöhnen, um eine perfekt aufeinander abgestimmte Einheit zu bilden. Eure Gegner müssen gnadenlos bekämpft werden, nur durch eine perfekte Zusammenarbeit werdet ihr sie ausschalten können. Versagt eine der beiden Hälften ist die andere nicht fähig dieses Versagen auszugleichen.“ Schuldig fühlte sich im Fokus Blutengels, sah aber nicht auf, sondern starrte nach wie vor blicklos auf den gläsernen Boden. Das war schon kein Wink mit dem Zaunpfahl mehr, das war vielmehr ein ganzer Laternenmast! Gott verdammt! Er hatte es ja verstanden! Wie oft denn noch!? Stille herrschte im Raum, die ihn vermuten ließ, dass jeder Anwesende, das Gesagte erst auf sich wirken und in seinen Verstand einsickern lassen musste. ‚Partner‘, wiederholte er wie betäubt in Gedanken. Das hatte Coldpain gemeint, mit ‚er ist dein Partner‘. Ihm schwante Übles, und noch bevor er aufbegehren konnte, hörte er Crawford kalte Stimme hinter sich. „Wie lautet die Zusammenstellung?“ „Ihr habt euch bereits miteinander warm gemacht, wie ich beobachtet habe. Eure Differenzen werdet ihr in den nächsten Tagen beilegen.“ Warm gemacht? Unbewusst schlich sich ein kleines Grinsen auf Schuldigs Gesicht, seine blauen Iriden, die in dieser Beleuchtung leicht grünlich wirkten, glitzerten vor Belustigung. Das er nicht lachte! Wären in den letzten zwei Tagen nicht ständig Blutengel oder Coldpain anwesend gewesen, hätten sich die beiden gegensätzlichen Gruppen zerfleischt. Nagi probte regelmäßig gegen Ken den Aufstand, nur um sich von dem körperlich, weitaus überlegeren Killer anschließend verdreschen zu lassen. Entweder vergaß der Kleine, in seinem Zorn, dass er seine Fähigkeiten innerhalb des abgegrenzten Bereiches des Aversionsschildes nicht einsetzen konnte, oder er stand auf Prügel. Wobei... Ken war der einzige, den Nagi so richtig auf dem Kieker hatte. Wenn Schuldig das Verhalten ihres Jüngsten einmal genau betrachtete, war es schon außergewöhnlich wie der sich gerade aufführte. Früher, als sie sich anfangs in der Akademie kennen gelernt hatten, war es ähnlich gewesen, Nagi hatte sich mit jedem angelegt. Dann nach der systematischen Umerziehung in der Akademie wurde er stiller, kälter, entfernte sich weiter von der Realität. Damals, als Nagi Tot begegnet war, hatte diese Bekanntschaft etwas Ähnliches wie einen Beschützerinstinkt bei Nagi wachgerufen. Als Tot wieder aus seiner Nähe verschwand, Crawford und Farf dem Jungen zeigten, dass ihn dieses Mädchen nicht zu interessieren hatte, letzterer sie einfach aus dem Leben tilgte, wurde er wieder zu dem Nagi, den die Akademie herangezüchtet hatte. Dass der leicht schusslige Ken so extrem auf die Provokationen des Jungen ansprang, war schon auch eine interessante Beobachtung. Verdammt! Jetzt hatte er schon die Fähigkeit in die Köpfe der Anwesenden zu sehen, und konnte sie nicht einsetzten. Vermutlich versuchte Blutengel genau dies zu verhindern. Denn Schuldig hätte sich nicht um alles in der Welt davon abbringen können, etwas Chaos und Verwirrung zu stiften. Schuldig fand langsam Gefallen an diesem Vortrag. „Die Aufteilung gilt nach wie vor, wie zu Beginn dieses Experimentes.“ Leichte Belustigung war aus seiner Stimme herauszuhören und Schuldig sah kurz auf. Experiment? „Das heißt?“, fragte Ken. „Eure jeweiligen Partner haben euch bereits aus der ersten misslichen Lage gerettet. Diese Aufteilung bleibt. Ken wird Nagi zugeteilt. Nagi ist von körperlicher Statur zu schwach um allein zu kämpfen“, Schuldig hörte den Kleinen neben sich leise fluchen und konnte sich ein kleines, innerliches Grinsen nicht verkneifen. Es stimmte, Nagi hatte zwar ein großes PSI-Talent, doch ein levelhöherer Telekinet würde Nagi in Grund und Boden stampfen. „Deshalb wird Ken ihm zugeteilt, dessen körperliche Kräfte eine hervorragende Ergänzung darstellen. Hier werden Nahkampf, sowie Fernkampfwaffen verbunden.“ Schuldig durchschaute langsam das Konzept. Nagi war nicht nur schwach, sondern auch ein ungeliebtes, verstoßenes, verzogenes, Kind, das versuchte sich mit Gefühllosigkeit und Kälte vor der rauen Welt zu schützen. Und Ken konnte doch hervorragend mit kleinen Gören umgehen, oder nicht? Nur wenn sie sich jetzt schon derart in der Wolle hatten, konnte das nur noch mehr Ärger heraufbeschwören. Nicht, dass Schuldig sich darüber beschwerte, war es doch ein zwar magerer, aber doch tröstender Ersatz für den ortsbegrenzten Verlust seiner telepathischen Fähigkeiten. „Crawford und Yohji bilden das zweite Team. Crawford ist ein hervorragender Schütze, stellt die Fernwaffe, Yohji, die Nahkampfwaffe. Wobei er mit seinem Draht auch Gegner auf Distanz erledigen kann.“ Aha. Der undisziplinierte, leichtlebige Yohji, bekommt einen provokanten, Aufpasser vor die Nase gesetzt, der die Wörter Disziplin und Gehorsam scheinbar schon mit der Muttermilch aufgesogen hatte. Nicht destotrotz konnte Crawford ein Arschloch und Dreckskerl sonder gleichen sein, wenn man es darauf anlegte. Und Yohji würde es mit Sicherheit darauf anlegen! Eine explosive Mischung... Schuldig trauerte immer mehr seinen Fähigkeiten nach. „Als nächstes folgen Coldpain und Omi. Coldpain gehört zu den Akteuren der oberen Klassen. Seine Fähigkeiten halten Omi den Rücken frei um seine Waffen einzusetzen.“ Schlau eingefädelt, sinnierte Schuldig. Coldpain, der nicht wusste, was Gefühle überhaupt sind, den kleinen Weiß zuzuteilen, der ein wandelnder, übersprudelnder Quell derselbigen war, grenzte schon an Wahnsinn. Nicht auszudenken was geschah, wenn Coldpain herausfand, dass es noch etwas anderes außer der Akademie gab. Und vor allem war er sich sicher, dass Omi sich vor Coldpain zurückzog, was wiederum ein Problem darstellte. Dass dürfte interessant werden. „Coldpains Fähigkeiten werden noch genau erläutert, haltet euch an die Sicherheitsmaßnahmen im Umgang mit ihm. Doch kommen wir zu unserem letzten Team. Ran und Schuldig. Rans Schwert stellt eine effiziente Waffe dar, zusammen mit Schuldigs Telepathie sind sie unsere offensivste Kraft.“ Tja, und da waren sie wieder, seine drei Probleme...frotzelte er in Gedanken. Sie hatten ihm Aya an die Seite gestellt um zu verhindern, dass er Mist baute, soviel war klar. Dachten sie eine Sekunde daran, dass Aya ihn hasste? Dass es keine Verbindung zwischen ihnen geben konnte? Außer dem Hass? Und selbst das war vermutlich nur eine einseitige Sache. Denn Schuldig teilte dieses Gefühl nicht mit Aya. „Die Versorgung und die Pflege der Räumlichkeiten werde ich in die Wege leiten. Ihr absolviert die Trainingseinheiten zusammen mit euren Partnern oder allein, so wie es die Stundenpläne vorsehen. In abschließenden Tests wird geprüft, wie weit ihr fortgeschritten seid. Ihr werdet die Fertigkeiten eures Partners in den Grundzügen erlernen, zumindest soweit um sie abzuwehren, zu verstehen und mit ihnen umzugehen.“ Er deutete kurz auf Nagis Computeranlage. „Die Pläne werden von Coldpain und Nagi ausgearbeitet. Mit Ausnahme von Schuldig und Aya beginnen heute die ersten Stunden. Ich werde nach einer Woche die erste Prüfung ansetzen. Damit ist diese Besprechung beendet. Noch Fragen?“ „Können wir raus? Ich meine...“,fing Yohji mürrisch an. Blutengel überlegte einen Moment wie es schien. „Ihr könnt euch innerhalb der gesicherten Zone frei bewegen. Diese geschützte Zone, mit einem Aversionsschild versehen, erstreckt sich über einige Hektar. Außerhalb dieses Gebietes seid ihr gefährdet. Solltet ihr dennoch den Wunsch verspüren, die unsichtbare Grenze zu überschreiten, meldet dies bei mir an, damit ich euch die Eintrittsmöglichkeiten nenne. Sonst würdet ihr nicht mehr zurückfinden, selbst wenn euch eure Gegner verfolgen. Ihr würdet nicht mehr hier her wollen. Mir ist bewusst, dass dem jetzt schon nicht so ist. Doch, wie schon erwähnt, hätte euer Leben bereits in der Nacht geendet als Schwarz euch zu Hilfe kamen. Entfernt euch nicht ohne eure Partner aus dem Aversionsschild. Die Grenzen kann euch Nagi genauestens aufzeigen. „Gegen wen kämpfen wir?“, erinnerte Aya wieder an seine Anwesenheit, die Stimme ausdruckslos und dunkel. „Gegen die Brut der Hölle! würde wohl Kritiker heroisch euch auf euer Band sprechen.“ Blutengel lachte freudlos. „Aber ich fürchte so einfach ist es nicht. Ihr kämpft gegen die, die euch töten wollen. Mehr kann ich euch im Moment nicht sagen. Vor eurer ersten Mission werdet ihr mehr erfahren. Ihr kämpft unter anderem um euer Leben, wie bisher auch. Bezahlt werdet ihr nach bestandener Prüfung, in von euch gewünschter Form. Sucht euch etwas aus, wie diese Bezahlung auszusehen hat. Geld, Autos, neue Waffen, Freigänge, Reisen, Frauen, egal, es spielt keine Rolle.“ Schuldig warf Yohji einen grinsenden Seitenblick zu, der zunehmend unruhiger wurde. Der Playboy im Moment ohne Zigaretten, weil Rauchen lediglich in seinem Zimmer, und außerhalb des Komplexes gestattet wurde, und auf lange Sicht kein Ziel, in das er seinen Schwanz stecken konnte, erheiterte Schuldig ungemein. Der Dunkelblonde wurde zunehmend unruhiger, bis er etwas überstürzt aufstand und mit einem gemurmelten „bin frische Luft schnappen“, in Richtung Terrasse verschwand, seine Kippen wie einen Rettungsanker fest umklammert. Bei all dem Spott den Schuldig gerade in eine Bemerkung legen und dem Weißkiller hinterher schicken wollte, fiel ihm auf, dass Yohji wie ein Tier in Gefangenschaft durchdrehen würde. „Hey! Wenn du dich anstrengst, kannst du raus und so viele Weiber flachlegen wie du willst!“, rief er dem Blondschopf provozierend hinterher und wandte sich halb in seinem Sessel um, damit er die Reaktion des Ladykillers nicht verpasste. Yohji tat ihm aber leider nicht den Gefallen und sprang, wie gewünscht, verärgert darauf an. Der Playboy zeigte ihm nur den Mittelfinger, setzte ein Herzensbrecherlächeln auf und sagte mit honigsüßer Stimme: „Fuck yourself!“, bevor er die Tür zur Terrasse öffnete und sich ein Plätzchen zum Rauchen suchte. Als Schuldig sich mit einem gespielt enttäuschten Gesichtsausdruck umwandte, streifte er kurz Crawfords Gestalt mit einem forschenden Blick. Der Schwarz-Anführer offenbarte aber keine Gefühlsregung auf seinem Gesicht. Nur die Augen funkelten ihn dunkel, bedrohlich an. Was denn? Durfte er jetzt keinen Spaß mehr haben? Schulterzuckend setzte er sich wieder bequemer hin, als Blutengel fortfuhr. „Von jetzt an, werden sich nur noch die jeweiligen Partner um die gegenseitigen Belange kümmern. Folglich wird nur Schuldig Ran dabei helfen in sein Zimmer zu kommen. Daran schließt sich ebenso ein Verbandswechsel wie sonstige Notwendigkeiten an. Das ist keine Schikane, es dient lediglich dazu euch mit euren Partner abzustimmen und eure Differenzen aus der Vergangenheit beizulegen.“ Schuldig konnte nicht verhindern, dass sich ein diabolisches Grinsen auf sein Gesicht stahl, als er sich umdrehte und Blutengel nachsah, der gerade im Begriff war den Raum zu verlassen. Differenzen beilegen? Sich um Aya kümmern? Auf welchen Stern war er denn jetzt gelandet? Aber würde das Ganze schon für sich zu nutzen wissen. Darauf konnte sich Blutengel verlassen. Das Grinsen perlte jedoch schnell ab, als er einen Blick auf genau dieses Objekt seiner fiesen Gedanken warf. Aya versuchte sich krampfhaft aufrecht zu halten, hatte den Oberkörper leicht vorgeneigt und den Arm, gleich einem kaputten Flügel, an sich gepresst. Seine Atmung ging oberflächlich, die Augenbrauen leicht zusammengezogen, als wollten sie dieses Ärgernis, das wohl Schmerz hieß nicht die Oberhand gewinnen lassen. Ken und Omi versuchtem ihm aufzuhelfen, doch ohne sichtlichen Erfolg, Ayas Körper war verkrampft, seine Muskeln noch nicht willens sich ihm zu unterwerfen. Die Überanstrengung war zu viel für ihn gewesen, er hätte sich noch schonen sollen... geisterten seltsame, fremde Gedankengänge durch Schuldigs Gehirn. „Lasst ihn hier liegen. Gebt ihm zu trinken und stopft ihn mit Tabletten voll. Danach wird’s schon gehen. Aber hört auf an ihm rumzuzerren, das kann ja nicht mal ich mit ansehen.“ Schuldig schüttelte unwillig den Kopf und zuckte mit den Schultern, als er einen bösen Blick von Ken einfing. „Macht doch was ihr wollt.“ Er schlenderte zu Nagi und sah dem Jungen über die Schulter, der sich mit Coldpain an die Ausarbeitung der Stundenpläne gemacht hatte. Das war allerdings auch nicht viel interessanter, also machte er sich daran einen der geschickt getarnten Wandschränke zu öffnen und zog eine weiche Decke hervor, die er unnötig hart nach Aya warf. Der sollte nur nicht denken, Schuldig würde weich werden oder sonst was utopisches! Aya lehnte mit seinem Oberkörper seitlich an der Rückenlehne, die Beine ausgestreckt, den Flügel noch immer an sich gezogen. Die roten Strähnen legten sich an die fahle Wange, ein Kontrast, der den jungen Mann blass und zart wirken ließ. Schuldigs Deckenattacke jedoch ließ ihn kurz aufsehen und ein warnendes Knurren abgeben. Und schon war es wieder vorbei mit der Zartheit, feixte Schuldig innerlich. Die halb geöffneten Augen wirkten etwas trüb, das Violett matt und glanzlos. Omi kam mit einer Flasche Wasser zurück und Ken hatte eine Packung Tabletten in der Hand. Schuldig beugte sich zu Nagi herunter und flüsterte ihm ins Ohr. „Dimm das Licht etwas.“ Nagi nickte lediglich, tippte etwas in seinen Rechner und schon fuhr das Licht stufenweise runter. Er ignorierte den Blick, den Aya ihm gerade zuwarf, als er mit festem Griff das Glas an seine Lippen führte und die zuvor platzierte Tablette mit großen Schlucken hinunterspülte. Aya hatte ihn keinen Augenblick währenddessen aus den Augen gelassen. Wo war eigentlich Crawford abgeblieben?, lenkte er sich selbst, von den verwirrenden und unbehaglichen Gefühlen ab, die er verspürte wenn ihn diese durchdringenden Augen fokussierten. Schuldig ging zur Terrasse und spähte hinaus. Der Himmel hatte sich mit tiefhängenden dunklen Wolken überzogen, die ersten Tropfen hatten schon Bekanntschaft mit der Erde gemacht. Yohji hockte auf der steinernen, hüfthohen, überdachten Balustrade und rauchte. Er hatte ihm den Rücken zugekehrt, mit Blickrichtung auf den undurchdringlichen Wald. Verlorene Gestalt im Regen, dachte Schuldig melancholisch, schüttelte diese Art Gedanken sofort wieder ab. Crawford war hier nicht. Warum sollte er sich auch bei Yohji aufhalten? Schuldig machte sich in die Küche auf, registrierte beiläufig eine Unterhaltung zwischen Ken und Omi die sich über ihre Situation unterhielten, möglichst leise um Aya nicht zu stören. In der Küche war keiner, sie wirkte steril, als würde keiner jemals in ihr gekocht haben. Nun, zum Teil stimmte das auch, er fragte sich, ob sich dies nun ändern würde. Seine Suche erstreckte sich nun auf den unteren Teil ihres Domizils. Vor der angelehnten Tür zum Trainingsraum blieb er verblüfft stehen, als er Blutengels Stimme von innen heraushörte. „...werden wir sehen“, sagte Blutengel bestimmt. Es entstand eine Pause und Schuldig wusste zunächst nicht mit wem Blutengel sprach, als Crawfords schneidende, kalte Stimme antwortete. „Wir brauchen es früher, als die anderen. Ansonsten kann ich für nichts garantieren.“ „Ich verstehe. Es sind tickende Zeitbomben. Alle, du gehörst auch dazu, bilde dir nicht ein, du wärest anders.“ Es entstand wieder eine Pause. „Aber ich denke du hast recht. Ich teile dir mit, wann.“ Schuldig entfernte sich lautlos etwas von der Tür und lehnte sich mit angewinkeltem Bein an die Wand als die Tür aufging. Er hatte nicht vor zu leugnen, das Gespräch belauscht zu haben. Wozu? „Na Brad?!“, grinste er den gleichgroßen Mann an, der ihm nur einen, wenig überraschten, Blick schenkte, ehe er an ihm vorbeiging. Blutengel blieb im Trainingsraum, Schuldig hätte zu gern gewusst was er dort drin trieb, letztendlich folgte er jedoch Crawford nach oben, immer noch das belauschte Gespräch im Kopf hin und her analysierend. Aya hielt die Augen geschlossen, Ken und Omi waren nicht aufzufinden, Coldpain und Nagi arbeiteten nach wie vor und Yohji saß weiterhin draußen. Wurde es dem Typen nicht endlich mal zu kalt oder was? Das Zeitbombenthema bezog sich eindeutig auf die Teams, ja, das war klar. Nur was bedeutete: Wir brauchen es früher als die anderen. Ansonsten kann ich für nichts garantieren`? Was war es? Wofür konnte Crawford nicht garantieren? Schuldig langweilte sich. Selbst nach mehreren, anfangs annehmbaren, Theorien kam er nicht darauf, was Crawford und Blutengel nun besprochen hatten. Missmutig ließ er sich auf den schmalen, einzig freien Platz neben Ayas Füßen plumpsen, quetschte sich zurecht und nahm wie selbstverständlich dessen Füße auf seinen Schoß, die aus der Decke hervor spitzten. Was war es nur? Bezog sich dieses ES nun auf sie alle, oder nur auf… Er stockte, als er sich bewusst wurde was er hier eigentlich völlig in Gedanken versunken tat. Und dieses plötzliche Eintreten in die Realität rührte daher, dass er registrierte hatte, wie kalt sich sein zeitvertreibendes Objekt unter seinen streichelnden Händen angefühlt hatte. Schnell zog er die Decke etwas heran und wickelte die beiden Eisklötze ein. Die schwarzen Socken waren viel zu dünn um... Halt. Stopp! Was zur Hölle dachte er denn jetzt schon wieder? Wann war er denn bitteschön zur Glucke mutiert? Wenn er Glück hatte, dann hatte niemand bemerkt wie er Ayas Füße bearbeitet hatte, ganz zu Schweigen vom Rotschopf selbst... Dieser Gedanke ließ ihn vorsichtig den Kopf wenden, nur um mit einem verschleierten Blick beehrt zu werden, in dem so was wie Hass, Kälte und Abscheu in der Lightversion, zu erkennen waren. Durch die Tablette, die langsam ihre Wirkung tat, die Auswirkungen des Blutverlustes und die Schmerzen, waren diese sonst so deutlich ablesbaren Emotionen überlagert und somit abgeschwächt. Schuldig erkannte sie trotz alledem, er kannte einfach diesen speziellen Blick, den der Rotschopf scheinbar nur für ihn reserviert hatte. Schließlich hatte er eine Großaufnahme, ein Prachtexemplar dieses Blickes in seinem Zimmer. Würden diese Augen ihn jemals mit einem anderen Ausdruck beehren? Schuldig beantwortete sich selbst diese Frage: Wohl nicht. Aber er genoss es, hier zu sitzen und Aya nahe zu sein. Es war das erste Mal, daas sie auf diese Weise Kontakt hatten. Eine stille Akzeptanz... oder war es einfach nur, weil Aya zu krank war um sich zu wehren? Schwierig würde es werden, wenn Aya das Bild sehen würde. Schuldig konnte schon förmlich das Schwert des Killers quer durch den Bildschirm metzeln sehen. Am Besten er redete mal mit Nagi, vielleicht konnte der Kleine ein anderes Bild hochladen. Schuldig hatte sich wieder abgewandt, dachte nicht daran dem Blick Folge zu leisten, der ihm eindeutig sagte, dass er die Finger von Aya lassen und sich verpissen sollte. Er wäre nicht Schuldig, wenn er es nicht genoss, jemand Anderem auf die Nerven zu gehen. Und wenn es Aya war, machte die Sache nur noch mehr Spaß. Seltsam, war er noch vor wenigen Tagen niedergeschlagen und voller Gedanken an seine Vergangenheit, so war das mit dem Auftauchen von Coldpain, der anschließenden Mission und der Begegnung mit Aya wie weggewaschen. Oder nur übertüncht? Würden sie wieder durchbrechen? Er blieb noch eine Weile so sitzen, in seine Gedanken vertieft, legte seine Hände wieder auf die Decke und grübelte mit wechselnden Gesichtsausdrücken vor sich hin. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er fast eine dreiviertel Stunde sinnlos herumgesessen war, die Füße des Rotschopfes noch immer auf seinen Oberschenkeln. Dieser schlief, wie ihm ein schneller, fast schon hektischer, Seitenblick bestätigte. Ein würziger Geruch reizte plötzlich Schuldigs Nase, sagte ihm, dass es bald etwas zu Essen geben würde. Ihm lief bereits das Wasser im Mund zusammen, als Ken die Tür der Küche öffnete um sie zum Essen zu rufen. Crawford kam die Treppe wieder herunter, war also in seinem Zimmer gewesen und ging zielstrebig auf die Küche zu. Schuldig wollte ihm nach, schließlich musste er herausfinden, was die beiden da unten besprochen hatten, vergaß aber das Aya seine Füßchen immer noch auf seinem Schoß hatte und riss sie schlussendlich mit vom Sofa als er übereilt aufsprang. Ein verhaltenes Stöhnen drang zu Schuldig durch und er musste schließlich von seinem ursprünglich erdachten Plan, Crawford zu löchern, kurzfristig absehen und sich doch noch seinem ‚Partner‘ widmen. Er drehte sich genervt um.. „Jetzt stell dich nicht so...“, er stockte. Aya schlief immer noch, Schuldig musterte die entspannte Gestalt kurz, ihm fielen die feuchten Flecken am Shirt auf und er runzelte die Stirn. Er hatte jetzt bestimmt keine Lust, irgendwelche Verbände zu machen. Ganz bestimmt nicht. Überzeugt von sich selbst und seinem Entschluss ging er in die Küche. Crawford saß am Tisch, sah nicht auf, als Schuldig sich neben ihn setzte und ihn mit durchdringendem Blick fixierte. Die Stille im Raum wurde nur durch die nötige Geräuschkulisse des Essvorganges oder Geschirrgeklapper unterbrochen, eine seltsame Stimmung. Während die anderen still aßen, selbst Coldpain und Nagi sich in die Küche begeben hatten, starrte Schuldig immer noch Crawford an, ohne mit der Wimper zu zucken. „Was willst du?“, fragte Crawford schließlich nach geschlagenen zehn Minuten. „Um was genau ging es da unten?“ Crawford sah ihn gelangweilt an. „Nun scheinbar bist du zu spät gekommen. Sonst hättest du gehört um was es gegangen ist.“ Er stand auf und verließ mit einem Kopfnicken Richtung Ken und Omi die Küche. Schuldigs Augen verengten sich. Arsch. Ihm war der Appetit vergangen, er schlenderte zurück ins Wohnzimmer und er konnte nicht verhindern, dass der erste Blick sich auf die Couch richtete. Na, das Problem löste sich wohl nicht von alleine. Er piekte Aya mit dem Zeigefinger in die Schulter, bekam aber keine Reaktion. Da musste er dann doch härtere Geschütze auffahren. „Hey! Wach schon auf, ich hab keine Lust dich hochzutragen!“, sagte er und drückte etwas fester auf den bandagierten Oberschenkel, der durch die Hose nur durch eine kleine Erhebung zu erkennen war. Schuldig verfolgte die halbherzigen Abwehrversuche seiner drückenden Hand mit argwöhnischem Blick, Aya wachte trotz seiner Bemühungen nicht auf, konnte nicht einmal die Hand richtig heben. Das leichte Drehen des Kopfes, offenbarte ihm das Gesicht Ayas, die aufgesprungenen Lippen, die rot schimmernden Wangen. Als er so da saß und jede Facette dieses Anblicks in sich aufnahm, verspürte er wieder, wie altbekannte Gefühle an die Oberfläche drangen. ...so vollkommen hilflos... mir ausgeliefert... ich kann mit ihm machen was ich will... jetzt.... ...ihn töten...ihn zerfleischen... ihm das Weiße aus dem Leib schneiden…ihn quälen... ihn foltern...jetzt... so nah... er ist so nah... ihm alles nehmen was er besitzt... selbst seinen Körper... alles... seine Seele... seinen Geist… bis nichts mehr übrig ist... bis alles mir gehört... mir... mir... mir allein.... Er verlor sich immer mehr in seinen hassenden, nach Vergeltung gierenden Gedanken, auf seinem Gesicht eine Fratze aus Bosheit, Neid und Hass. Als hätten eben genau diese Gedanken einen Weg in Ayas fieberbenebelten Verstand gefunden, hoben sich die schweren Lider leicht an, gaben den Blick in verschleierte, müde violette Augen frei. Hielten einige Momente Schuldigs infernalischen Blicken stand, schlossen sich dann mit einem gequälten Aufstöhnen aus einer trockenen Kehle wieder. Als wäre das ein Signal gewesen, kehrte Schuldig wieder in die Realität zurück, war der Bann gebrochen, der sich ihm aus seiner Vergangenheit bemächtigt hatte, ihm für wenige Augenblicke gesagt hatte, dass Aya derjenige war, den es galt zu bestrafen, für das, was Schuldig in seiner Jugend angetan worden war. Warum kehrten diese Gefühle gerade jetzt zurück? Hatte er sie nicht verdrängt? Sie tief eingeschlossen, nachdem sie sich von der Akademie losgesagt hatten, die sie für Tod hielten. Warum konnte er sie nicht mehr kontrollieren, sie verbannen? Er presste die Lippen fest zusammen, atmete tief durch und wartete einen Moment, bis sich seine Nerven wieder etwas beruhigt hatten. Der Rotschopf löste Dinge in ihm aus, die er nur in einem gut versteckten Bereich seines Geistes aufbewahrte. Seufzend stand er auf und schob die Decke beiseite. Danach legte er sich Ayas linken Arm über seine Schulter, lud sich die Beine auf den Unterarm indem er Aya unter den Kniekehlen fasste und hob ihn hoch. Er spürte wie sich eine Hand in sein Hemd krallte, sich Ayas heißes Gesicht in seine Halsbeuge legte, ihn der warme Atemhauch leicht über seine Haut strich. Für einen kurzen Moment blieb er so stehen, genoss die süße Schwere, die er empfand, als er Aya so in den Armen hielt. Die Wärme des Anderen, Ayas Körper so dicht an seinem, der zarte Duft nach Ayas eigenem Körpergeruch, so unwiderstehlich, so neu und doch vertraut. Schuldig konnte die Empfindungen, die durch seinen Körper purzelten, nicht mehr klar einordnen. Ein wehmütiges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht und er zog Aya dichter an sich heran. Resignierend schloss er die Augen für einen kurzen Moment. ‚Es hat keinen Sinn. Nichts hat einen Sinn.‘ Schuldig brachte ihn in den ersten Stock in Ayas Zimmer, das – vermutlich von Blutengel arrangiert – neben seinem lag. Er ließ Aya langsam auf das Bett gleiten, legte ihn leicht seitlich gekippt und schob ihm das Hemd am Rücken hoch. Aya ließ alles mit sich machen, zuckte weder zusammen, als Schuldig ihn wieder auf den Rücken drehte, ihm das Shirt über den Kopf abstreifte, oder sich an den Verbänden vergriff. ...zu viel Bewegung... Die Wunden sind noch zu frisch, registrierte er den Sachverhalt und holte neues Verbandszeug. Während er die Verbände wechselte und seine kühlen Finger ab und an mal die aufgeheizte Haut des Jüngeren berührten, breitete sich rasch eine Gänsehaut auf dem Körper aus und Aya schauderte. Schuldig betrachtete den nackten Oberkörper des Schlafenden. Sein düsterer, gedankenversunkener Blick glitt über alte Narben, verursacht von Stich- und Schussverletzungen, wie aus ihrer Form zu lesen war. Wie einer Landkarte gleich zogen sich die hellen Mahnmale über den schlanken Körper. Es waren nicht viele... doch für Schuldig waren es genug. Er fragte sich, wie viele Narben auf dieser Haut auf sein Konto gingen? Wie viel Hass er in Aya geschürt hatte? Wie viel er noch schüren würde...? Wie viel Schuld er sich in Ayas Rechtsprechung aufgeladen hatte und was für ihn als Buße vorgesehen war? „Du wirst mich niemals akzeptieren...“, sagte er leise, nur begleitet von Ayas leisen Atemzügen. Denn dies war seine Buße. Sein Kreuz, das er zu tragen hatte. Sich gerade von dem Mann angezogen zu fühlen, wie die Motte vom Licht, dem er im Kampf immer gegenüber gestanden hatte. Dem er so viel angetan hatte. Dem er die Schwester entführt, sie für Leute geraubt hatte, die sie für ihre widerlichen Zwecke missbrauchen wollten. Und hatte er nicht auch dazu gehört? Damals war es anders gewesen, war er anders gewesen. Hätte Gefühle positiver Art niemals zugelassen. Doch nach seinem Fall... nach diesem Sturz... war er aufgewacht... aus diesem Albtraum. Warum sollte Aya, dieser stolze Mann, ihm jemals verzeihen? Oder gar ihn an seiner Seite akzeptieren, ihn... wollen? Aya war für ihn das Licht. Ein Licht, das ihn schmerzte, das in ihm brannte, eine Intensität besaß, die es ihm unmöglich machte diese glühende, weiße Hitze zu berühren. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals wirklich „gewollt“ gewesen zu sein. Er hätte nie geboren werden dürfen. Nicht wahr? Wie alle anderen PSI-Kinder. Missgeburten, die nur Probleme machten, nicht wussten, wohin mit sich selbst. Einem „Selbst“, dass sie nur schwer verstanden. Ihren Gefühlen ausgeliefert, hilflos, unwissend und bereit sich von solchen Leuten, wie denen aus der Akademie auffangen zu lassen. Froh das jemand sie verstand, sie nicht beschimpfte, Angst vor ihnen hatte und alles taten was ihnen einen gewissen Status einbrachte um dieses neue Gefühl der Akzeptanz zu bewahren. ALLES. Dabei verloren sie allerdings auch den Blick für das, was sie taten. Ethik und Moral wurden, in der Akademie in der er ausgebildet worden war, nicht unterrichtet. Schuldig legte seinen Kopf aufs Bett, berührte mit seiner Wange die Hand des anderen Rotschopfes. Aya war für ihn immer noch so weit entfernt, obwohl er ihn berühren konnte. Doch Berührung würde Aya nur zulassen, wenn diese, in der von ihm gebilligter Form von Statten gehen würde… Aya sah ihn als Feind an und deshalb hatte Schuldig die unausgesprochene Erlaubnis ihn im Kampf zu berühren. Mit Schlägen, Tritten, Waffen, immer verletzend, immer schmerzend. ‚Wenn ich nur Schmerz von dir bekommen kann... wird es nur Schmerz sein, den ich mir von dir ersehne... die einzige Art der Berührung die du zulassen wirst.‘ Er spürte wie sein Herz schwer wurde. Warum nur machte er sich selbst solche finsteren Gedanken? Warum zog er sich selbst hinunter in das schwarze Loch das ihn verschlingen würde? Schuldig richtete sich wieder auf und schluckte seine Selbstvorwürfe und seine Zweifel hinunter. Früher hätte er anders reagiert, hätte sich genommen was er wollte, darum erbittert gekämpft, egal mit welchen Waffen oder Methoden. Doch wenn er nur einmal in seinem Leben etwas richtig machen wollte dann durfte er die gleichen Fehler nicht noch einmal begehen. Nicht bei ihm. Er lächelte sanft, als er Aya die Haare aus der Stirn schob. Fieber. Das würde eine lange Nacht werden, seufzte Schuldig in Gedanken. 6. Er sollte Recht behalten. Das Fieber war leider nicht so hoch, dass Aya brav alles befolgte was Schuldig ihm sagte. Nachdem die Wirkung der Tablette nachgelassen hatte war Aya wieder der Alte. Er wollte weder Kens Suppe, noch etwas trinken, knurrte sie alle nur an, machte Schuldig das Leben schwer und warf ihm bissige Blicke zu, wenn sich dieser nur näherte. So beschloss Schuldig das Feld vorerst zu räumen und überließ den Endfight Omi und Ken, die von ihrem Training gerade zurückkamen und mit Sicherheit noch etwas Energie hatten um Ayas mürrische Launen auszuhalten. Die erste Woche sollten sie überwiegend ihre körperlichen Fähigkeiten allein trainieren. Danach folgte der schleichende Übergang in das Partnertraining und den PSI – Unterricht. Die zwei unterschiedlichen Gruppen hielten sich soweit es möglich war voneinander fern, vermieden es an einem Ort zur gleichen Zeit zu sein. Schuldig hatte es sich zur Aufgabe gemacht – er wollte sich schließlich wenigstens etwas amüsieren – die anderen zu beobachten. Aya war nach zwei Tagen wieder oben auf und absolvierte bereits die erste, ihm gestellte Prüfung von Blutengel, ohne ersichtliche Einschränkung. Wobei Schuldig bezweifelte, dass der Rotschopf gejammert, oder sonst irgendwie geäußert hätte, dass er Schmerzen hätte. Schuldig führte wie Crawford Schussübungen durch, verfeinerte seine Wurftechniken und übte sich im Nahkampf mit seinen Langdolchen. Nagi musste sich Sprachcodes einprägen, Programme schreiben, ihre Sicherheitsmaßnahmen verstärken, Schalttafeln studieren, Pläne ausarbeiten. Schuldig linste dem Jungen oft über die Schulter, verstand aber nur die Hälfte von dem was dieser von sich gab. Ken war meist mit Yohji beim Laufen und im Geräteraum. Omi war oft auf dem Schießstand, tüftelte an seinen Waffen herum oder erledigte, die ihm gestellten Aufgaben wie Nagi am Computer. Zusätzlich war er für die Hardware, ihre kleinen technischen Hilfsmittelchen in den Einsätzen verantwortlich. Nur einen sah Schuldig so gut wie gar nicht. Aya glich einem Schatten, wenn Schuldig morgens seinen Astralkörper aus dem Bett quälte, war dieser im Trainingsraum, oder an der frischen Luft und hatte sich bereits aufgewärmt. Nur um anschließend sein Schwert zu schnappen und sich irgendwo hin zu verziehen und einstudierte Bewegungsabläufe immerwährend zu wiederholen. Aya war, dem von Coldpain aufgestellten, Zeitplan meist um Längen voraus, sodass Schuldig ihn kaum zu Gesicht bekam. Kam Schuldig gerade in die Küche, verließ Aya sie gerade, beachtete ihn nicht. So ging es bis nach der ersten Prüfung, danach sollten sie die einzelnen Pläne langsam überlappen, bis die Paare zu den gemeinsamen Trainingseinheiten in denen PSI-Kräfte sowie Kampftechniken im fließenden Übergang trainiert wurden. Seit er Aya mit zweierlei Gefühlen entgegentrat, sich sein früheres Ich in Gegenwart des Rotschopfes wieder bemerkbar gemacht hatte, sah er den kommenden Wochen mit unguten Vorahnungen entgegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)