Sagara von abgemeldet (der Ozean) ================================================================================ Kapitel 2: B ------------ ~Zweitens~ „Was hat der Arzt gesagt, Samson?“, meinte Traudl Pankraz, Sams Mutter, als ihr Sohn aus der Notaufnahme kam. Sie hatte noch ihre Arbeitskleidung an, weswegen es etwas seltsam aussah, wie diese 1.79m große Frau in ihrem Security-Outfit mitten im Krankenhaus stand und ihren Punkersohn abholte. Ich stand etwas betröpfelt neben ihr und war einfach nur froh, dass nicht Sams Vater Edelbert gekommen war…der war nämlich Polizist. „Gebrochen. Hab’ diesen dummen, weißen Gips für vier bis sechs Wochen!“ Er spuckte das Wort „weiß“ aus, als wäre es eine ekelhafte Krankheit. Am liebsten hätte er bestimmt einen neonfarbenen Gips gehabt, wenn es schon sein musste… „Sei gefälligst dem lieben Herrgott dankbar das es nur ein gebrochener Arm ist!“ „Mom, es gibt keinen Gott!!!“ „Ich hoffe für dich das er das überhört hast! Ich muss wieder in die Arbeit, lauf oder fahr mit dem Bus nach Hause. Deine Beine sind schließlich nicht gebrochen!“ Sie wandte sich zum gehen. Sam zeigte seiner Mutter hinter ihrem Rücken den Vogel. „Eine Woche Hausarrest, Freundchen!“ Und mit diesen Worten war Traudl aus dem Krankenhaus, auf dem Weg zu ihrer Arbeit.“ „Das ist mir früher schon aufgefallen. Kann es sein das deine Mutter dich nicht ausstehen kann?“ wandte ich mich an Sam. „Na ja, ganz so ist es nicht. Ich bin halt nicht so clever wie Jürgen und Erika, bin nicht so erfolgreich wie Antonia und August oder bin auch nicht überbegabt wie Greta.“ Jürgen, Erika, August, Antonia und Greta sind alle Samsons Geschwister, wobei nur noch Greta, Samson und Antonia zu Hause leben. Jürgen und Erika sind beide Ärzte. Jürgen lebt in Hamburg mit seiner Ehefrau und seinem Sohn. Erika lebt in Frankfurt mit ihrer Tochter. August, der Computerfreak, hat eine japanische Softwaredesignerin geheiratet und lebt nun in Tokyo. Antonia ist die berühmteste Fotografin der Stadt und Greta ist eine Überbegabte Violonistin und Malerin, die schon an nationalen Wettbewerben teilgenommen hat. Tja und Sam ist halt Sam. Er ist halt „Punker“. Eine Menschenart, auf welche die wenigsten zu gehen oder stolz sind. „Und was sollte dann das Gerede mit Gott?“ „Sie ist ziemlich konservativ seit ich «ein Diener des Bösen» wurde, wie sie es ausdrückt…“ Wir gingen nebeneinander her, als wir das Krankenhaus verließen und uns Richtung Bushaltestelle bewegten. „Sind das nicht eher Satanisten?“ „Satanisten, Gothics, Emos, Punks, Visus…egal welche Jugendkultur, wenn sie meiner Mutter nicht in die Gesellschaft passen sind sie…nein, sind wir «Diener des Bösen». “ Er lächelte. Ein verschmitztes, falsches Lächeln. „Du hast echt Glück 14 Jahre lang in Indien aufgewachsen zu sein, Sagara!“ „Glück? Es ist kein Glück in Indien so aufzuwachsen wie ich und Udaan…Es ist ungerecht!“ Ich kann mich noch an die vielen Menschen erinnern, die nicht so viel hatten wie wir. Wie sie uns angesehen haben. Mir wird heute noch schlecht wenn ich mir die Gesichter der hungernden Straßenkinder ins Gedächtnis rufe... „Sagara? Ist alles in Ordnung? Du bist ja ganz grün!“ „Ja, alles in Ordnung! Mir geht’s gut!“ log ich. Na ja, eigentlich ist es ja die Wahrheit. Mir wird dann nicht schwindelig oder ich müsste brechen. Ich sehe, wenn ich mir die Bilder vor Augen führe, einfach nur miserabel aus (sagt meine Mutter immer) und fühle mich leer. Sam wusste nur, dass ich in Madras (heute Chennai genannt) geboren und aufgewachsen bin. Nicht mehr. Und ich hatte auch nicht vor ihm oder irgendjemand anderem mehr davon zu erzählen. „Wie spät ist es eigentlich?“ Ich versuchte die Frage gleichgültig klingen zu lassen. Es war offensichtlich, dass ich über das Thema „Mein Leben vor meinem 15.Lebensjahr“ nicht rede. Sam sah mich verwundert an, sagte aber nicht, was ihm durch den Kopf ging. Stattdessen sah er auf die Kirchturmuhr, die er trotz der Entfernung gut sehen konnte. „Dreiviertel Drei.“ „Was? Schon? Wir wollten uns doch um halb am Einkaufszentrum treffen! Sie wird stinksauer sein…“ „Wer?“ „Basima!“ „Die Pakistanerin? Achso, na dann beeilst du dich besser. Die Busse zum Einkaufszentrum fahren nur um 19 nach und um 49 nach!“ Kaum hatte er geendet raffte ich den Rock meines blauen Sari zusammen (ich konnte mich in einem Sari, dank jahrelangem Tragen, genauso gut fortbewegen und auf dem Gepäckträger eines Fahrrads mitfahren, wie meine Mitmenschen in Jeans), nahm meine Schultasche in die Hand und hetzte zur Bushaltestelle. „Grüß sie von mir!“ rief mir Sam noch hinterher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)