Katatonia Sleep von DemonhounD (Darkfiction) ================================================================================ Kapitel 4: Todesschlaf ---------------------- "Sie können versuchen, ob er sie hört! - Niemand kann sagen, ob Mister Saunderson es überhaupt wahrnehmen kann, aber wir wissen, dass Worte und Berührungen helfen können." Daniel nickte stumm. – Mr. Saunderson. Er hörte den Nachnamen seines Freundes so selten, dass er ihn beinahe nicht mehr kannte. – Ein Kuriosum, das Megs Berühmtheit mit sich brachte, war die Tatsache, dass wildfremde Leute eigentlich immer sofort perdu mit ihm waren und ihn beim Vornamen nannten. Den Oberarzt schien das nicht zu interessieren. Er strich sich eine platinblonde Strähne aus dem merklich zurück gegangenen Haar und heftete seine Augen auf ein paar Unterlagen auf einem Klemmbrett. Mit einer Hand blätterte er scheinbar desinteressiert in den einzelnen Seiten herum. – Daniel fragte sich kurz, ob er dort wirklich etwas suchte, oder ob er einfach nur wichtig aussehen wollte, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder. – Das gehörte nicht hier her. "Wann wird er aufwachen?", fragte er stattdessen und spielte dabei nervös mit einer Hand am gegenüberliegenden Ärmel seiner Jacke. – Eine Geste, die man sonst nur vor Auftritten an ihm kannte. "Sehen sie: OB und wann ein Komapatient wieder aufwacht, kann auch kein Arzt mit Gewissheit sagen. - Alles in Allem haben wir auch die Ursache noch nicht gefunden. Es könnte eine Krankheit, oder eine Verletzung des Gehirnes sein, was schlimm wäre. Wir haben ältere Narben im Kopfbereich gefunden, aber abgesehen von ein paar geringfügigen blauen Flecken, Schnittwunden und Einstichen am Arm keine neuen Verletzungen. - Was für Medikamente nimmt ihr Freund?“ Daniel bemerkte, wie er selbst rot wurde. Er hatte sich im Auto Stunden lang überlegt, wie er dem Arzt beibringen sollte, dass sein bester Freund gelegentlich Drogen nahm. Dass sich die Geschichte nun auf derart unkomplizierte Weise löste, hatte er nicht erwartet. Er bemerkte, dass seine eigene Stimme seltsam fahl klang, als er sagte: „Ich weiß es nicht, aber ich weiß, wo er es aufbewahrt.“ Der tadelnde Blick des Arztes war Antwort genug. Daniel merkte, dass sein Gegenüber sich einen Kommentar verkniff, warum Daniel nie etwas dagegen getan hatte und hätte ihn dafür am liebsten ins Gesicht geschlagen. Zumindest wegnehmen hätte man ihm das Zeug sollen, dass stimmte sicherlich, aber… Daniel verzog das Gesicht zu einer gequälten Grimasse und hielt sich zurück. Der Mann konnte ja nichts dafür, dass Daniel mit den Nerven am Ende war. Irgendwie hatte Daniel auch das Gefühl er müsse auch noch mal klarstellen, dass er selbst zumindest keine Drogen nahm, aber er verkniff es sich und fuhr sich mit der rechten Hand nur betreten lächelnd durch die struppigen, teilweise grün gefärbten Haare. „Die Polizei will Bremsspuren eines Autos gefunden haben. Vielleicht hatte er einen Unfall.“, führte der Arzt aus und schlug ein paar Zettel auf einem Klemmbrett zurück, als würde er das Thema für beendet befinden. – Es gab offensichtlich für ihn nichts mehr zu sagen. Mit einem müden Lächeln bedankte sich Daniel und der Arzt und machte eine leichte Verbeugung, als würde er sich verabschieden. Vermutlich tat er das auch. Er hatte sicherlich noch andere Patienten und nicht viel Zeit. „Ich denke, ob er erwacht, liegt jetzt nur noch an ihm allein.“, schloss der ältere Mann und streckte die Hand vor. Daniel zögerte sie zu ergreifen. Die Worte klangen weniger ermutigend, als sie sicherlich gemeint waren. Aber natürlich würde Meg zurück finden! Er war immer der Stärkere gewesen. Er war „Mister Meg Ich-Komm-Schon-Klar Saunderson“. Er hatte sich noch nie selbst hängen lassen. Er war einfach zu stolz, um einfach so zu sterben. Während Daniel diesen Gedanken nachging, fragte er monoton und wie beiläufig: „Warum wissen Sie nicht, ob ein Autounfall statt gefunden hat?“ Eigentlich interessierte es ihn nicht wirklich. Der Oberarzt zuckte mit den dürren Schultern und sein Blick schien zu sagen: „Ich bin Arzt, kein Hellseher!“ Laut aber bemerkte er: „Ich will Sie nicht mit Details langweilen. Bremsspuren waren meines Wissens auf der Straße zu sehen. - Offensichtlich ist der Unfallfahrer – so es denn einen gegeben hat – vom Ort des Geschehens verschwunden. – Es gibt keine Zeugen, was zu dieser Urzeit ja nicht unüblich ist. – Außerdem haben wir keine unfallspezifischen Verletzungen gefunden.“ Daniel nickte. Der Arzt ließ die Hände und das Klemmbrett sinken und blickte Daniel offen in die Augen. Seine Körperhaltung schien ungeduldig zu sagen: „Noch irgendwelche Fragen?“ Daniel musste dies mit einem leichten Kopfschütteln verneinen. Zwar hatte er eine Menge Fragen, aber er wusste, dass der Arzt diese nicht beantworten konnte. Er brauchte keine Einzelheiten. Es war auch nicht wichtig, was zu Megs Zustand geführt haben mochte. – Wichtig war nur, dass Meg seinen Weg ins Bewusstsein zurück fand. – Wichtig war Daniel einzig und allein, dass sein bester Freund ihn nicht im Stich lassen würde. Wie konnte man jemanden, der nicht mehr aufwachen kann dazu bringen, wieder ins Leben zurück zu kehren? Eine Krankenschwester hatte Daniel sehr bildhaft erklärt, Meg habe sich vielleicht in sich selbst verlaufen. Unter anderen Umständen hätte Daniel das für eine ziemlich dämliche Floskel gehalten. Nun war er dankbar für jeden Hoffnungsfunken. Wenn Meg sich nur verlaufen hatte, dann musste er nur seinen Weg zurück finden und alles würde so werden, wie es einmal war. Bis dahin würde Daniel für ihn die Stellung halten. Meg hatte bisher immer die Kontrolle zurück erlangt, egal, wie schwierig es wurde. Wenn es aussichtslos schien, hatte er die gesamte Gruppe immer noch durch gebracht. Körperlich mochte er nicht so viel hermachen, aber seine mentale Kraft war ganz enorm, wie sie nur bei einer Person sein kann, die durch Feuer und Vergangenheit getauft wurde. Dadurch, dass Meg so viel durchgemacht und immer weitermachte, war er ein Anführer gewesen. Er zeigte sich niemals schwach. – Er würde niemals aufgeben. Das lag einfach nicht in seiner Natur. – Und seine Freundin war mindestens genau so stolz. Daniel sah hektisch auf die Uhr. Ilone war noch nicht hier und es würde sicherlich noch eine ganze Weile dauern, bis sie ankam. - Er hatte erst vor zehn Minuten angerufen. Es konnte ewig dauern, bis man hier um die Mittagszeit ein Taxi bekam und die Fahrt dauerte mehr als 30 Minuten, sofern man sie nicht in einem Krankenwagen zurück legte. – Solange der Verkehr mitspielte und nicht alle Ampeln der Innenstadt auf rot geschaltet waren, würde sie es in einer halben Stunde schaffen.. Nun erst bemerkte Daniel, dass er den Oberarzt eine Weile völlig ignoriert hatte. Dieser rückte gerade seine soeben frisch geputzte Brille zurecht. "Ich weiß, dass es schwer ist.", begann er. "Aber wir haben eine Patentenverfügung erhalten, die Sie in diesem Fall zum Vormund erklärt, was die lebenserhaltenden Maßnahmen betrifft." Daniel nickte und sagte tonlos: "Ja, ich weiß. Meg hätte diese Entscheidung niemals seiner Familie überlassen. Ich habe nur nie geglaubt, dass ich jemals WIRKLICH über sein Leben und Sterben entscheiden müsste." Der Arzt sah Daniel mit der kalten Art von Verständnis an, die Menschen haben, wenn sie zu oft dasselbe Dilemma gesehen haben. Es waren die Reste des wahren Mitleids und der Leidenschaft, die einst da gewesen war, aber mittlerweile einem professionellen Denken gewichen war. – Das war vermutlich keine schlechte Einstellung, befand Daniel. „Ich… ich muss erstmal mit seiner Lebensgefährtin sprechen…“, sagte er nervös, obwohl er eigentlich wusste, dass von ihm sicherlich noch nicht sofort eine Entscheidung erwartet wurde. Der Oberarzt nickte erneut ohne jede Spur von echtem Mitleid. Daniel überlegte, dass es vielleicht das war, was man gemeinhin als „Routine“ bezeichnete und es jagte ihm einen Schauer den Rücken hinunter. „Ich muss zu Meg.“, beschloss Daniel und nickte dem Arzt kurz zu, um ihm zu signalisieren, dass das Gespräch nun wirklich beendet war. Er hatte es plötzlich sehr eilig weg zu kommen. Die Last der Entscheidung war zu frisch, um sich schon jetzt mit einem Arzt darüber aus zu tauschen. Daniel wusste nicht, was er tun sollte, wenn er jemals zu dem Punkt kam, an dem er diese Entscheidung für seinen Freund treffen musste. „Mir ist klar, dass sie nicht sofort eine Antwort geben können, aber denken sie frühzeitig drüber nach.“, sagte der Arzt noch und streckte die Hand vor. – Es war eine zarte, raue Hand mit schlanken Fingern, wie man sie von einem Arzt erwartet. Daniel ergriff sie mit seiner großen Pranke und schüttelte sie vielleicht etwas zu kräftig, bevor er in die Richtung ging, in der Megs Krankenzimmer lag. Er redete sich dabei ein, dass er niemals über solche Dinge wie Lebenserhaltung würde entscheiden müssen. Noch war ja nichts verloren. * * * * * * "Es ist alles verloren und vorbei!" "Ich kann einfach nicht glauben, dass sie nicht für das bezahlen mussten, was sie dir angetan haben!" "Wieso hast du die Gelegenheit nicht genutzt, als du sie hattest?" Meg war den Stimmen gefolgt. – Sei es auch nur, weil er nicht genau wusste, wohin er sich sonst wenden sollte. Zunächst war er einfach nur darauf zu gegangen, ohne in der farblosen Eintönigkeit eine Veränderung wahr zu nehmen. Dann waren sie Gesprächsfetzen zunehmend lauter geworden. Meg hatte das lediglich für eine neuerliche Einbildung gehalten, aber mittlerweile kreischten sie ihm um die Ohren, wie Sturmwind und es war schwer in dem Gewirr von Stimmen überhaupt einen zusammenhängenden Satz zu finden. Meg musste auch nicht wissen, was die Stimmen sagten. Er konnte es fühlen und er spürte den Schmerz, der in jedem Satz lag. Er kannte diese Gedanken, denn er hatte sie selbst viel zu oft gedacht und wieder nieder gekämpft. – Diese Stimmen, die ein Teil seiner selbst waren konnte er nun nicht mehr ignorieren. Was er bisher nicht gewusst hatte war, wie viele Stimmen es waren, die verzweifelt nach so langer Zeit der Gefangenschaft und des Vergessens in ihm schrien. „Wieso hast du nie etwas getan, du verdammter Verlierer! Du hättest dich wehren können! Dann wäre jetzt alles gut!“ Meg wusste genau, wieso er diese Stimmen sein ganzes Leben lang weggeschlossen hatte. Er wollte sie auch jetzt nicht hören. Warum auch? Es würde sich nichts ändern. Viele dieser Worte waren viel zu alt, als dass man ihnen noch Genugtuung verschaffen konnte. „Sie ist weg und das ist deine eigene Schuld!“, kreischte etwas in Megs Ohren. Dann hörte er eine sanfte, schnarrende Stimme: „Diese hier könnte neu sein.“ Meg zuckte merklich zusammen und blickte sich um. Es war der Schattendämon, der bereits eine Weile unbemerkt in Megs Augenwinkel verharrt hatte und offensichtlich jeden seiner Gesichtsausdrücke genau studierte. Mit leicht träumendem Blick in die weiße Ferne fuhr der Schatten fort: „Dies ist die Halle der Stimmen. Man sieht es diesem Ort nicht an, aber er ist etwas ganz Besonderes. – Weißt du, was es bedeutet, dass du hier bist?“ Meg gab sich kühl, obwohl er innerlich zitterte. Diese letzte Stimme hatte ihn aus dem Konzept gebracht und aufgewühlt. Ja! Es war vielleicht teilweise seine Schuld gewesen, aber nicht er hatte Ilone verlassen. War Ilone nicht deswegen genau so Schuld, wie er? War dies hier Teil einer perfiden Bestrafung für sein dekadentes Leben? Wenn es einen Gott gab, dann hatte er einen wirklich kranken Sinn für Humor! „Ich vermute, hier muss ich nun für all meine Sünden büßen?“, antworte Meg dem Dämon. Der sarkastische Ton in seiner Stimme war kaum zu überhören und der schwarze Schattendämon zog die Augenbrauen leicht zusammen, ohne sich auf diese Ebene ein zu lassen. „Bitte! Bitte! Hör auf! Hör doch auf, Vater!“, unterbrach ein lauter Schrei sie, der so hoffnungslos klang, dass es Meg die Tränen in die Augen trieb. Er wischte sie energisch fort und war sich dabei darüber im Klaren, dass er diese Bewegung wohl nur in seinen Gedanken ausführte. - Diesen Dämon gingen seine Gefühle rein gar nichts an und Sätze und Gedanken, wie dieser letzte waren nicht für die Ohren dieses Fremden bestimmt. „Sei nicht albern.“, tadelte der Dämon Meg, als die Stimme des Kindes im Gewirr der Echos versunken war. „Du büßt hier allerhöchstens für die Sünden, die Andere an dir begangen haben.“ Der Schatten wirkte ehrlich verärgert. Gut so! Meg war es ganz recht, wenn er die stoische Ruhe dieses Wesens etwas aushebeln konnte. Wofür hielt es sich eigentlich? Er war doch nicht sein Vater, dass er hier stehen und ihm Vorschriften über sein Handeln machen konnte. Schlimmer noch war die Tatsache, dass nicht einmal sein Vater sich so etwas mittlerweile erlauben dürfte. „Dies sind Echos all jener Stimmen, die du zu lange ignoriert und verdrängt hast.“, fuhr der Dämon fort, nachdem er einige Male tief durchgeatmet und sichtlich seine Ruhe wieder gefunden hatte. Er wies in die Leere, als könne er die Stimmen sehen. Meg zweifelte keine Sekunde daran, dass er das vielleicht sogar konnte. „Wie Geister prallen sie nun an der Fassade ab, die du um deinen Schmerz herum gebildet hast – und sie können nicht wirklich schweigen.“, erklärte der Schatten mit tiefer Stimme. Meg zuckte mit den Schultern, als würde ihn all dies hier nichts mehr angehen. Er wollte sich abwenden. Er wollte weg hier. – Vielleicht war es ganz gut, wenn diese Echos genau dort blieben, wo sie waren. Er hatte sie bisher erfolgreich ignoriert und das würde er auch in Zukunft schaffen. "Du bist dein Leben lang vor dem weggelaufen, was sich in dir befindet und hast ein Königreich aus Schmerzen erschaffen. - Du verschließt die Augen nur deshalb davor, weil es kein schöner Anblick ist.", rief der Schatten ihm nach. Meg schüttelte seine Worte ab, wie frisch gefallenen Winterschnee. Er hatte es nicht nötig sich dies an zu hören. Er hatte all dies nicht nötig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)