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Katatonia Sleep

Darkfiction
von

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Zeitreise

Ilone wusste nicht, wie lange sie auf der Couch gesessen und den leeren Fernsehbildschirm angestarrt hatte. Sie konnte es kaum fassen. Wie konnte es nur so schnell vorbei sein? Das war nicht richtig so.

Beinahe hörte sie schon die Stimmen ihrer Eltern sagen, dass sie das alles hatten kommen sehen. Wie könne sich ein kleines naives Ding auch einreden, man können eine wirklich lange Beziehung mit diesem... diesem Rockstar führen? Sie sah schon, wie ihr Vater das Wort beinahe ausspuckte. Weiter würde er behauten, Meg hielte sie ohnehin nur für ein billiges Flittchen. Ersetzbar durch jeden x-beliebigen Groupie. - Und überhaupt: Sie war doch viel zu gut für einen verkommenen Junky. Es wäre ja eine Schande für die Familie.

Ilone zuckte mit den Schultern, wie sie es auch im wirklichen Gespräch mit ihren Eltern tun würde. Am meisten an diesem Bild störte sie, dass sie ihren Eltern in beinahe sämtlichen Belangen würde Recht geben müssen, soweit es ihren Verstand betraf.

Ihr Herz hingegen sprach eine andere Sprache. Gott! Sie liebte diesen Idioten. Er hatte das nicht verdient, aber zuweilen spielt einem das eigene Hormonchaos derart böse Streiche. Sie hatte von vornherein gewusst, dass sie sich auf ein gewagtes Spiel einließ und dass sich Meg in vielen Situationen eher für die Drogen, als für sie entscheiden würde.

Irgendetwas in ihm war schon kaputt gewesen, bevor er Ilone kennen lernte und lange hatte die junge Frau sich gewünscht, dass sie es sein könnte, die ihn heilte. Zweifelsohne war das eine überromantisierte Vorstellung gewesen, die sie niemals öffentlich ausgesprochen hätte, doch sie war eben auch eine Frau. – Mehr noch: Es war ihre Aufgabe Menschen gesund zu pflegen. Das wollte sie beruflich tun und auch in ihrem Privatleben schien es eine größere Rolle gespielt zu haben, als sie sich eingestanden hatte.

Sie war stärker als Meg. Das hatte sie instinktiv gespürt und sie wollte den Mann an ihrer Seite beschützen. Das würden ihre Eltern niemals verstehen.

Was würden eigentlich Megs Eltern dazu sagen. Ilone war ihnen niemals vorgestellt worden und sie konnte sich kaum vorstellen in welchem Umfeld jemand wie Meg wohl aufgewachsen sein mochte. Sie hatte in irgendeinem Klatschblatt gelesen, dass Megs Vater wohl im Gefängnis gestorben war. Das war einige Monate her und Ilone hatte Meg nicht danach gefragt. Es schien als habe er es gar nicht richtig registriert. Vielleicht war er es einfach nicht wert sich darüber Gedanken zu machen. Megs Eltern schienen in seinem Leben keine große Rolle zu spielen und Ilone hatte sich immer gewünscht, dass vielleicht stattdessen sie diese Lücke ein wenig füllen könnte. – Auch das war eine pathetische Ansicht. In Megs Leben spielten nur wenige Menschen überhaupt eine Rolle.

- Und vielleicht hatte sie niemals dazu gehört.

Nie hatte sie Kinderfotos von ihm gesehen. Meg war das Gegenteil von Peter Pan. - Er war der Junge ohne Kindheit. Ilone hatte sich daran gewöhnt. Etwas anderes blieb ihr immerhin nicht übrig.

Hatte sie selbst nicht alles mit Meg geteilt? Sie hatte ihn mit zu ihren Eltern gebracht, auch wenn diese ihn nicht ausstehen konnten. Das gemeinsame Essen war ein Desaster voller Spitzen gewesen, in denen Meg mehr durch seine große Klappe bestochen hatte, als durch alles Andere. Ihre Eltern waren auf der anderen Seite auch keine Heiligen gewesen, also gab es, soweit es Ilone betraf niemanden, der unschuldig war. Wieso sollte man also überhaupt jemandem Vorwürfe dafür machen, dass es nicht funktioniert hatte.

Ihre Eltern hatten nach dem Essen wirre Behauptungen aufgestellt. Es stimmte schon, dass sie Meg selten essen sah, aber auf Grund eines einzigen Abendessens, bei dem Meg die ganze Zeit mit der Gabel in einem zähen Stück Braten herum gestochert hatte, ohne etwas an zu rühren, hatten sie sofort Fantasien über Essstörungen und Schönheitswahn von Superstars aufgestellt.

- Natürlich hatten sie diese Meinung später auch vor einem neugierigen Reporter vertreten, sodass Meg auch davon erfahren hatte und seither nie wieder mit zu ihren Eltern gekommen war. Es war ein absoluter Reinfall gewesen, ihn ihren Eltern vor zu stellen.

Dennoch: Sie hatte es versucht. Sie hatte versucht ihn in ihr Leben zu integrieren. Fast ein Jahr lang war sie nun daran zerbrochen.

Während sie selbst immer nur daneben gestanden hatte, hatte Meg sein eigenes Leben ohne sie weiter gelebt und lediglich die Stunden nach getaner Arbeit mit ihr verbracht. Das waren Dinge, die sie ihm nicht vorwerfen wollte, aber sie tat es.

Es fiel ihr erst nun auf, da die Beziehung beendet war, also war es offensichtlich vormals nicht so schlimm für sie gewesen. Vielleicht war sie einfach nur blind in diese Sache hinein geraten.

Schämte Meg sich für sie? Wollte er sie deshalb nicht bei seinen Eltern haben? Zumindest Megs Mutter hätte sie ja innerhalb eines Jahres mal kennen lernen können, oder seine Tante. Ilone erinnerte sich, dass Daniel einmal erzählt hatte, Meg hätte den Großteil seiner Kindheit bei ihr und ihren beiden Zwillingen verbracht. Daniel kannte alle drei und er mochte sie nicht, aber immerhin war er es wert gewesen, sie kennen zu lernen. Oder hatte Meg den Kontakt schon lange vor ihrer Zeit mit ihnen abgebrochen? – Vielleicht hatten sie sich gestritten. – Oder es war ihm vielleicht peinlich wenn er von seinen Eltern und Verwandten beim fixen erwischt würde? Vielleicht ging er deswegen nicht mehr zu ihnen. – Vielleicht war das auch geschehen und seine Familie hatte ihn darauf hin rausgeschmissen.

Egal, was es war, es hatte vermutlich weniger mit Ilone selbst zu tun, als diese sich nun einreden wollte und das musste sie sich selbst auch eingestehen.

Sie zuckte die Schultern. Langsam begann ihre Fantasie in dieser Richtung Überhand zu gewinnen und sie schüttelte die Vorstellungen ab. – Es war Vergangenheit und es war egal. Es war nun Zeit dieses Kapitel ihres Lebens ab zu schließen und ein Neues ganz ohne Meg zu beginnen. Zwar wusste sie, dass Meg sicherlich nichts gegen einen weiteren Versuch haben würde, aber sie hatten sich schon früher für eine ganze Weile getrennt und sie wollte das nicht noch einmal wiederholen. Das würde zu nichts führen.

Wieso hatte sie eigentlich für Meg mit ihrem langjährigen Freund Jerry Schluss gemacht? – Sie war fast drei Jahre mit ihm zusammen gewesen. Er war treu gewesen, strebsam – und langweilig. Das genaue Gegenteil von Meg. Kein Wunder, dass sie sich nach einer langen Beziehung ohne nennenswerten Streit und Probleme in jemanden verkuckt hatte, der deutlich mehr Spannung versprach.

Wenn sie so darüber nach dachte, war es beinahe traurig. – Mit Jerry hätte sie eine Zukunft gehabt. Vielleicht sogar Kinder. Ilone schüttelte den Kopf. – Irgendwie war es dumm mit 21 Jahren schon Torschlusspanik zu bekommen. Jerry war der Richtige für ihren Verstand, aber nicht für das Gefühl. Mit Meg verhielt es sich genau umgekehrt.

Noch während Ilone dies dachte, war sie aufgestanden und hatte eine dreckige Sporttasche aus Megs Kleiderschrank genommen. Sie wusste, er würde sie kaum zwischen dem Rest seiner Designerkleidung vermissen - und wenn doch, war es auch irgendwie egal.

Sie war blau mit weißen Streifen. - Ein Imitat einer großen Sportmarke. Sie hatte Meg noch nie mit diesem Monstrum gesehen. Er machte ja nicht einmal Sport, wenn man das Getanze und Gespringe auf der Bühne nicht mitzählen konnte.

Hatte er vielleicht irgendwann einmal geschwommen? – Die Tasche zumindest roch leicht nach Chlor und Shampoo.

Ilone stopfte fast traumwandlerisch ein paar ihrer Dinge in den Beutel und arbeitete sich langsam von Zimmer zu Zimmer vor. - Hier ein T-Shirt, dort ein Schlafshirt und weiter - etwas Unterwäsche, ein Parfum und mehrere vollkommen unnütze Kleinigkeiten. Wann nur hatte sie diese Taschenlampe hier gelassen?

Es war wie eine Zeitreise in die Vergangenheit, als die Ruinen ihrer Beziehung noch unbeschadet waren. An diesem Appartement hingen so viele Erinnerungen. Das wurde Ilone erst jetzt wirklich bewusst. Früher hatte sie Meg immer vorgeworfen, dass es ein ekelhaftes, dreckiges Zimmer sei und sie hatte sich gewünscht irgendwo anders mit ihm zusammen zu ziehen. Nun bemerkte sie, dass dieser Ort ganz unverhofft auch ein Teil ihrer eigenen Vergangenheit geworden war. Jetzt verstand sie, wieso Meg nicht fort wollte. - Sie fand einen Schal.

Meg hatte ihn getragen, als er mit Fieber und Lungenentzündung im Bett lag. Ilone erinnerte sich, dass er drei Konzerte hatte absagen müssen und, dass er deswegen so verstört war, als würde deswegen ein ganzes Weltreich untergehen. Eine Weile hatte er sich wirklich so albern aufgeführt, als glaube er wirklich, dass die Fans einen Massenaufstand nur seinetwegen machen würden.

Er hatte so gut ausgesehen mit den wirren, hellen Haaren, die ihm überall im bleichen Gesicht klebten. Wie konnte ein Mensch nur so gut aussehen, wenn er krank war? Es war das erste Mal gewesen, dass Ilone bemerkt hatte, dass Meg deutlich verletzlicher war, als er zugeben wollte. Er hatte sich dafür geschämt, dass er einfach nicht mehr konnte. Dabei war es ausnahmsweise wirklich nicht seine Schuld, dass ihm etwas zugestoßen war.

Ilone hatte selten Mitleid mit ihm. – Nicht, wenn er sich bei irgendeiner waghalsigen Motorradtour die Hand verstauchte und auch nicht, wenn er nach seinen vielen Eskapaden mit Kopfschmerzen im Bett lag, weil er zu viel gesoffen hatte und sich das nun einmal nicht gut mit Tabletten verträgt.

Nicht so war es bei jener Lungenentzündung. Er hatte sie gebraucht und sie hatte sich um ihn gekümmert. Tagelang. – Und seine spezielle Art der Belohnung war durchaus die Erinnerung wert.

Es war eine der wenigen Wochen ihrer Beziehung gewesen, an denen sie füreinander wirklich uneingeschränkt Zeit gehabt hatten.

Der Schal roch noch nach ihm. - Auch jetzt war es der beste Geruch, den Ilone sich vorstellen konnte, auch wenn sie nie fähig sein würde zu beschreiben, wieso eigentlich. Sie legte die Tasche wieder auf dem Sofa ab, vor dem ihr letzter Streit statt gefunden hatte. - Die Reise war vorbei.

Sie setzte sich hin, den Schal locker in beiden Händen haltend.

Ihr wurde gerade bewusst, dass sie ihn niemals wirklich verlassen konnte, als das Handy in ihrer Hosentasche vibrierte. Sie nahm es heraus. Für eine Weile hatte sie gehofft, dass es Meg sei. – Und sie hasste sich dafür.

Auf dem Display stand der blinkende Schriftzug "Daniel" und das bedeutete, dass es Megs Bassist war. Vermutlich hatte er alles über den Streit bereits gehört. In solchen Dingen waren die beiden Männer Tratschtanten, wie man es eigentlich Frauen vorhalten würde. Ilone nahm den Hörer ab.

"Ilone?" Daniels Stimme klang unnatürlich aufgeklärt.

"Ja.", hörte sie sich selbst sagen und ihr Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Daniel war nie ein Mensch der ernsthaften Worte gewesen. – Ilone wusste instinktiv, dass etwas Schlimmes passiert sein musst.

"Ilone, es geht um Meg..."



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  freddy
2010-05-30T18:18:24+00:00 30.05.2010 20:18
Ilone hast du hier auch wunderbar rüber gebracht. Gefällt mir richtig gut, wie du sie ihren Erinnerungen nachhängen lässt. Und auch wie du das Verhältnis der Beiden zueinander beschreibst mit dem Familien- Beispiel finde ich klasse. War eine prima Idee.


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