Katatonia Sleep von DemonhounD (Darkfiction) ================================================================================ Kapitel 15: Kontrollverlust --------------------------- Regen schlug Meg ins Gesicht und verband sich mit den Tränen auf seinem Gesicht. Er würde nicht weinen. Zumindest nicht öffentlich. Würde jemand ihn fragen, dann wären diese Tränen lediglich Regentropfen. Er würde keine Schwäche zeigen. Niemals! Er hatte kein Mitleid verdient. Nicht einmal Selbstmitleid. Er war schuld. – Er ging einfach weiter die Straße endlang ohne genau zu registrieren, wo er hinlief. Genau wie damals. Er erinnerte sich, dass seine Mutter nach Hause gekommen war. Nicht wie sonst abends, sondern etwas früher. Meg hörte, wie sich oben der Schlüssel in der Haustür drehte und er blieb ruhig in seiner Ecke im Keller sitzen, ohne einen Laut von sich zu geben. Wenn seine Mutter ihn hier unten fand, wäre die Bestrafung durch seinen Vater grauenhaft. Wieso kamen ihm diese Erinnerungen nur genau jetzt, wo er sie am wenigsten gebrauchen konnte. – Soll ich meiner Mutter die Schuld geben? Sie hat mich niemals schlecht behandelt. - Und auch mein Vater wollte für mich nur das, was er selbst als das Beste ansah. – Stärke. Meg erinnerte sich, wie seine Mutter den kleinen Flur vor der Kellertür entlang gelaufen war und mit ihrer hellen, klaren Stimme nach ihm rief. Er sagte nichts. Vielleicht würde sie ja von selbst aufhören nach ihm zu suchen. Er musste hier unten bleiben. Vater hatte es gesagt. Von oben hörte Meg seine Stimme. „ Keine Ahnung, wo der Bursche steckt. Vielleicht ist er ja draußen spielen.“ Die Schritte seiner Mutter wurden leiser. Sie suchte offensichtlich im Garten nach ihm. Dann hörte Meg, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. „Komm rauf! Schnell!“, hörte er eine hektische Stimme und Meg sprang auf. Unschlüssig blieb er eine Weile an den Stufen stehen. Hatte sein Vater tatsächlich so etwas wie Angst in der Stimme? Vielleicht wartete Meg etwas zu lange. Er bemerkte, wie sein Vater wütend die Augenbrauen zusammen zog, was immer ein Zeichen dafür war, dass er mit seine Geduld am Ende war. Ilone hatte Recht ihn zu verlassen. Er war das Letzte. Er hatte versucht diesen Gedanken zu ertränken. Irgendwie. Es war ihm immer egal gewesen, ob das durch Alkohol oder stärkere Mittel geschah. Wenn Drogen seine Venen durchrauschten, wie flüssiges Feuer konnte Meg sich von diesen Gedanken befreien. Er wollte sich nicht mehr erinnern. Er wollte in einen Zustand übergleiten, in dem er gar nichts mehr fühlen musste und das war ihm solange gelungen, bis diese Frau in sein Leben trat. Wieso musste sie existieren und diese Gefühle in ihm wach rufen? Wieso nur war sie damals auf ihn zugegangen? Wieso war sie zurück gekommen? „Was hast du ihm angetan?“, hörte Meg plötzlich die Stimme, als er noch an den Stufen der Treppe stand und er erkannte kaum die sonst ruhige Tonlage seiner Mutter. „WAS HAST DU IHM ANGETAN?!“ Ihre Stimme überschlug sich vor lauter innerer Erregung. Meg konnte ihren Arm in der aufgerissenen Kellertür sehen. Dann sah er, wie sein Vater nach diesem Arm griff. Er taumelte zurück und schlug die Hände vor die Augen, bevor er die harte Steinwand am Rücken spürte. Laute Gräusche waren zu hören. Ein Ächzen, ein Schrei, dann lautes Poltern, das scheinbar näher kam. Meg spürte einen Luftzug und zog die Finger vom Gesicht zurück. Seine Mutter starrte ihm direkt in die Augen. Ihr Gesicht war regungslos und in ihren Augen sah Meg keine Gefühle mehr. Sie lag vor der Kellertreppe, die Beine verdreht noch immer auf den ersten drei Stufen liegend. Langsam breitete sich eine Blutlache von einer Wunde aus, die man dort, wo Meg saß nicht ausmachen konnte. Erst nun erinnerte Meg sich daran, wie es ausgesehen hatte. Als er noch ein Kind gewesen war, war das Einzige, was er wirklich registrierte der kalte Blick der dunklen Augen gewesen, deren Pupillen sich nicht mehr rührten. Selbst als er seinen Vater die Treppe herunterstürmen hörte, konnte er den Blick nicht mehr davon abwenden. Er wusste, dass er nun ebenfalls sterben musste. Es war wie eine logische Schlussfolgerung der Ereignisse. Seine Mutter war tot. Sein Vater sah das offensichtlich genauso und riss ihn ohne große Erklärung auf die Beine. Dann war da ein Licht. Nein. Dies war die Realität. Meg war mitten auf der Straße einfach stehen geblieben und starrte geradeaus auf einen weißen Kleinlaster, der direkt in seine Richtung fuhr und laut hupte. Meg konnte sich nicht mehr rühren. Es war ihm auch ziemlich egal, dass er vermutlich gleich sterben würde. Er war bereits tot. Das Auto fuhr in einer eleganten Kurve ein paar Zentimeter an Meg vorbei und streifte dabei eine Pfütze, deren kaltes Wasser hoch spritzte und Meg im Gesicht traf. Erst das kalte Wasser machte ihm klar, dass er tatsächlich existierte. Er schüttelte sich. Er musste fort. Er musste weg. Noch immer wollten sich seine Beine nicht mehr richtig bewegen. „Was ist los? Bist du betrunken?“, war eine gereizte Stimme zu vernehmen und nun bemerkte Meg, dass der Fahrer des Wagens das Fenster herunter gekurbelt hatte und sich ein Stück weit aus der Tür beugte. Der Wagen stand beinahe quer zur Fahrbahn. Meg drehte den Kopf ohne es selbst zu registrieren und hörte sich selbst sagen: „Alles in Ordnung.“ Es fühlte sich so an, als ob er sich selbst von außen beobachten würde. Er hatte nichts mehr mit sich selbst gemein. Der Mann im Auto musterte ihn eine Weile. „Idiot!“, knurrte er schließlich und kurbelte das Fenster erneut hoch. Dann hörte Meg das Geräusch des Motors wieder und der Wagen fuhr durch den sirrenden Regen davon. Er fasste sich an die Stirn und atmete tief durch. „Das hätte übel ins Auge gehen können.“, sagte er zu sich selbst. „Ich muss aufmerksamer sein, sonst werde ich noch überfahren.“ Er stolperte ein paar Schritte auf den Bürgersteig und bemerkte, dass seine Beine das eigene Körpergewicht kaum noch tragen wollten. Er zitterte am ganzen Körper und dieses Mal war es nicht die Kälte. Wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn man von einem Auto erwischt wird? Sicherlich nicht schön der Zusammenprall. Meg spürte die kräftigen Hände brutaler den je an seinen Armen und noch immer konnte er sich weder bewegen, noch denken. Eine Hand ließ ihn los und griff in seine Haare. Dann spürte er wie sein Kopf gewaltsam gegen die Kellerwand geschlagen wurde und dabei einen roten blutigen Abdruck auf dem Hinterkopf hinterließ. Der erste Schlag tat furchtbar weh und raubte ihm beinahe das Bewusstsein. Der zweite Schlag fühlte sich schon weitaus gedämpfter an und ein seltsames Singen Kopf folgte ihm. Beim dritten Schlag konnte Meg wenn überhaupt nur noch Schatten sehen. Als sein Kopf das vierte Mal auf den harten Stein prallte verlor er das Bewusstsein. Das Letzte, was Meg wahrnahm, war Regen, der in sein Gesicht schlug und, dass er offensichtlich auf dem Bürgersteig lag. Dann löste sich seine Welt in grauem Nebel auf. * * * * * * Für Ilone war es ein ungewöhnliches Gefühl, als sie Megs Wohnung betrat. In all der Zeit ihrer Beziehung hatte sie niemals einen Wohnungsschlüssel besessen und sich nun Zutritt mit einem Schlüssel zu verschaffen, den ihr Daniel gegeben hatte, fühlte sich falsch an. Als die Tür aufschwang, fiel ihr erster Blick auf den großen Flachbildfernseher, dessen leere Bildfläche ihr wie ein schwarzes Loch entgegen starrte. Ein Schauer lief ihr den Rücken herunter, als seien ihre Instinkte durch dieses einfache Bild erwacht. Niemals hatte Ilone die Wohnung dermaßen still und leer empfunden. – Ihre Schritte hallten auf dem hellgelben Parkett, als befände sie sich in einer hohen Kirche und wohin Ilone auch sah, bemerkte sie die feine Schicht aus Staub, der sich innerhalb eines Monats an den schwarzen Schränken, auf dem Glastisch und auf dem Boden abgesetzt hatte, als sei es vollkommen unmöglich, dass diese Wohnung je wieder von einem lebendigen Wesen betreten werden könnte. Sie ging vorbei am großen dunklen Ledersofa, dabei stieß sie im vorbei gehen die Fernbedienung von der Sofalehne, sie fiel mit einem dumpfen Aufprall auf die weiche Sitzfläche. Ilone registrierte es nebenbei und bewegte sich auf die Tür zu Megs Schlafzimmer zu. Sie war nur angelehnt und schwang bei ihrer Berührung beinahe von selbst auf. Ilone betrachtete das ungemachte Bett mit der Satinbettwäsche. – Auch hier waren bereits kleine graue Schlieren. Für einen Moment war Ilone geneigt sich ein zu bilden, dass die Verschmutzung mit jedem ihrer Schritte zu nahm. Sie war geneigt zu glauben, dass hier etwas sein musste, dass zwar unsichtbar war, jedoch bereits seine Hände nach ihr ausstreckte. Als habe Meg hier etwas zurück gelassen, dass niemals mit ihr hätte in Berührung kommen dürfen. Sie öffnete den Kleiderschrank, ohne dabei ihr eigenes Gesicht in den großen verspiegelten Türen zu beachten. Daniel hatte sie gebeten alles darauf vor zu bereiten, dass Meg bald aufwachen würde. Zwar hatte sie der Oberarzt trotz der guten Vorzeichen gebeten nicht all zu euphorisch zu sein, - noch sei rein gar nichts überstanden – doch Daniel fand, dass man zumindest mittlerweile ehrlich auf ein Erwachen hoffen konnte und das hieß natürlich, sich auch darauf ein zu stellen und Kleidung ins Krankenhaus zu bringen. Die Auswahl fiel Ilone nicht wirklich schwer. – Zwischen vielen schwarzen Kapuzenpullies mit verschiedenen Bandaufdrucken, wählte sie den Einzigen, der in grau gehalten war und eine blaue Jeans aus, dazu Socken und Unterwäsche. – Alles wurde in der blauen Sporttasche verstaut. Dann wandte sie sich im Zimmer um und fand tatsächlich auf einem Haufen von Musikzeitschriften eine Bürste. Vom Fenster her kam ein stetiger Lufthauch. Ilone ging ans Fenster und betrachtete die Hauswand und den Teil der Straße, den man von hier aus sehen konnte. Leichter Nebel stand in den Straßen, was ungewöhnlich für diese Tageszeit war. – Abgesehen davon hatte es begonnen zu schneien. „Mein Spiegelbild hat sich nicht bewegt!“, schoss es Ilone spontan durch den Kopf und Panik begann in ihr zu rotieren. Hektisch drehte sie sich um. Der Kleiderschrank war geöffnet und eine der Spiegeltüren war direkt auf sie gerichtet, sodass sie ihre eigenen ängstlichen Augen betrachten konnte. Etwas zögerlich ging Ilone auf das Spiegelbild zu, dass gleich einem vorwitzigen Pantomime jede ihrer Bewegungen imitierte. Sie war eindeutig übernächtigt. Sie schloss die Tür so schnell, dass sie kurz Angst bekam, die Türen könnten beim Aufschlag auf den Schrank zerbrechen. – Es knallte und alles hatte seine Ordnung. Nun musste Ilone nur noch alles aus dem Bad holen, was Meg brauchen würde. Sie verließ das Schlafzimmer, ohne den Kleiderschrank noch eines Blickes zu würdigen. – Erneut im Wohnzimmer angekommen begann sie ein ungewöhnliches Surren wahr zu nehmen, sie hielt inne und sah die eigenen Fußabdrücke im Staub der den Boden bedeckte. Wie konnte es möglich sein, dass die Wohnung nach vergleichbar kurzer Zeit bereits dermaßen verdreckt war? Ilone kannte Meg und abgesehen von einem leichten Hang zum Chaotischen gehörte Unordentlichkeit nie zu seinen Charaktereigenschaften. Sie war sich abgesehen davon ziemlich sicher, dass sie die Wohnung bei ihrem letzten Betreten sauber vorgefunden hatte, obwohl sie nicht sonderlich darauf geachtet hatte. Ilone ging zur Sitzecke und bemerkte, dass das kleine rote Licht am Fernseher leuchtete und monoton blinkte. – Natürlich. Beim Herunterfallen hatte die Fernbedienung offenbar einen Knopf betätigt. Ilone schoss kurz durch den Kopf, dass dies vielleicht die naheliegendste, aber nicht unbedingt eine logische Erklärung war. Sie schob den Gedanken bei Seite. – Und ging um das Sofa herum, um die Fernbedienung zu erreichen. Seit einem Monat lag Meg nun im Koma. Würde es jemals so werden, wie früher? Was war, wenn Meg ihr nicht verzieh? Bisher hatte Ilone sich sein Erwachen so vorgestellt, dass sie alle glücklich sein würden und natürlich würden sie über alles reden. – Natürlich wären Meg und sie wieder ein Paar und natürlich würde sich alles zum Besseren wenden. Ilone atmete tief durch und setzte sich auf das Sofa. Sie richtete die Fernbedienung auf den Fernseher und mit Drücken des „Aus“-Knopfes erlosch das Licht. Sie musste sich eingestehen, dass dies alles eventuell zu einfach gedacht war. Sie alle hofften, dass Meg bei seiner Rückkehr der Alte sein würde. Wenn dem so war, dann durfte sie nicht zu viel erwarten. Ganz sicher wäre er kaum bereit zu einem klärenden Gespräch – und da er nicht wusste, was Ilone und Daniel in den letzten paar Wochen durchgemacht hatten, wäre sein Stand immer noch der, bei dem er vor einem Monat aufgehört hatte. Dieser Stand war unumstößlich mit der Trennung verbunden und Ilone bemerkte, wie sie selbst Angst davor bekam, dass Meg die Augen öffnete. Sie legte die Fernbedienung bei Seite und urplötzlich schaltete sich der Fernseher mit gleißendem weiß ein. – Ilone zuckte zusammen und ihr erster Blick fiel auf die Fernbedienung, die unberührt neben ihr auf dem Sofa lag. Dann wanderte ihr Blick zurück auf den flimmernden Bildschirm. Hosted by Animexx e.V. 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