Katatonia Sleep von DemonhounD (Darkfiction) ================================================================================ Kapitel 14: Hirophant --------------------- Die Fackeln warfen zuckende Schatten an die Wände, sodass Meg aus den Augenwinkeln heraus den Eindruck bekam, die Wandmalereien vollführten heidnische Tänze. In der Mitte des Raumes stand ein geschlossener Sarg. Dahinter befand sich ein hoher, goldener Thron, der mit einigen seidenen Vorhängen beinahe, die gesamte Raumhöhe einnahm. Die schwarze Gestalt, die Megs Vater darstellte, saß dort, scheinbar gewaltsam in eine aufrechte Position gezwungen. Im Feuerschein glänzten die tiefschwarzen Muskelstränge auf und schienen sich fortwährend zu bewegen, als sei jeder Zentimeter dieses Wesens von seiner eigenen unheiligen Kraft angetrieben. In einer Hand hielt er eine schwere glänzende Kette, die ebenfalls aus Gold zu bestehen schien. Während Meg die zusammen gekrümmte Gestalt seiner Selbst – den Schattendämon – betrachtete, der wie ein Hund an diese Kette gebunden war und zu den Füßen seines Vater lag, zischte der Herrscher dieses Saales: „Sieh dich an!“ Er konnte nicht sagen, ob sein Vater ihn, oder das bemitleidenswerte Abbild mit diesen Worten meinte. Er hob den Blick, um seinem Vater zu begegnen. Er wusste, dies war der letzte und entscheidende Kampf. Er kam zu früh, aber das war nun nicht mehr von Belang, denn der richtige Zeitpunkt entzog sich Meg und er würde niemals kommen. Er glaubte indes nicht, dass er durch seine pure Erscheinung Eindruck bei der Erscheinung des Herrschers vor ihm schinden könnte, aber er wagte es nicht, seinen Vater an zu sprechen. Stattdessen erwiderte er den Blick mit einem Gefühl, als würde man ihm den Boden unter den Füßen weg ziehen. „Du bist schutzlos und alleine!“, flüsterte der Dämon fauchend. An Meg vorbei drängten sich zwei ätherische Nebelkreaturen, die auf den Thron zuschwebten und sich dort mit dem Nebel verbanden. – Flügelschlagen. – Waren dies vielleicht die Gestalten der Echos? Meg war eine Weile abgelenkt, sodass er erst wieder auf den schwarzen, nackten Leib seines Vaters blickte, als dieser schon wieder zu sprechen begonnen hatte. „Das ist wohl so, weil du deiner Mutter so ähnlich geworden bist.“ Noch hatte sein Vater keine bestimmte Wertung in der Stimme. Er war genau so, wie Meg ihn in Erinnerung behalten hatte. – Noch versuchte er zu provozieren. Allzeit umgab ihn eine lauernde Kälte, als sei er eine Schlange, die nur darauf wartete zum vernichtenden Biss an zu setzen. – Und die Angriffstrategie war lange festgelegt und unumstößlich. Meg wusste, dass er nichts sagen konnte. Alles, was Meg nun tun konnte, würde seinen Vater nur näher an sein Ziel bringen, Meg durch pure Worte zu verletzen. Vielleicht war es schlimmer als zu sterben, wenn er jetzt auch noch gegen seinen imaginären Vater verlor. Sein Blick wanderte zurück zu seinem geschundenen zweiten Ich, das vollkommen gefühlskalt an ihm vorbei starrte, als sei er bereits zu lange hier festgehalten worden, um noch eine eigene Meinung zu haben. In diesem Moment begriff Meg, dass er sich vom Schattendämon keine Hilfe mehr erhoffen konnte. Der Schatten hatte seine Funktion erfüllt und nun war er es, der Schutz und Rettung benötigte. Meg musste seinem Vater alleine die Stirn bieten, weil sein Schicksal sonst auf ewig an dieser goldenen Kette liegen würde. „Lass meine Mutter aus dem Spiel.“, sagte Meg betont langsam und seine eigene Stimme verklang seltsam tonlos im viel zu großen Raum. Nun begann sein Vater zu lachen. Mit weit aufgerissenem Mund, brachte seine laute, gluckernde Stimme den Saal zum erbeben und Meg konnte die spitzen, ungepflegten Raubtierzähne im weit aufgerissenen Schlund erkennen. Das Lachen war noch nicht ganz im Raum verstummt, als sich Megs Vater langsam nach vorne beugte, einen Arm auf das rechte Knie gelegt und das Kinn mit der Hand stützend, die die Kette hielt. Der Kopf des Schattendämons wurde hochgezogen und er fügte sich ohne auf zu begehren. Der Herrscher atmete einmal tief mit geschlossenen Augen ein, als müsse er die eigene Beherrschung wieder finden und sagte: „Warum soll ich Evelyn nicht erwähnen, wo ihr doch so viel gemeinsam habt.“ Meg fuhr bei der Erwähnung des Namens seiner Mutter zusammen. – Hatte er sie schon vergessen, dass selbst ihr Name Furcht bei ihm auslöste? Meg wusste instinktiv, dass er soeben seinen verletzlichsten Punkt preis gegeben hatte und sein Vater zeigte keine Gnade. „Ihr beide seid weinerlich, schwach, menschlich…“, fuhr er fort und jeder Muskel in Meg spannte sich. Er wollte den Herrscher zum Schweigen bringen. Er wusste nicht genau, ob er seinen Vater verbal unterbrechen, oder angreifen wollte, doch eine Geste seines Vaters, bei der er gebieterisch die freie Hand hob, brachte abrupt jedes Vorhaben zum Stillstand. Eine Weile war abgesehen von dem leisen, metallischen Klingen, als sich der Schattendämon unmerklich an der Kette bewegte nichts zu hören. Dann schien sein Vater die Worte wieder gefunden zu haben. „Ihr seid beide mehr Frau als Mann“, sagte er „und enden werdet ihr auf die gleiche Weise!“ Das reichte. Meg wurde wütend. „Und welche Weise soll das sein?“, hörte er sich selbst mit deutlich festerer Stimme fragen. Der Vater verzog den Mund zu einem sinisteren Grinsen, das die Augen allerdings nicht erreichen konnte, als habe er nur auf diese Frage gewartet, um die Falle zuschnappen zu lassen. Urplötzlich drehte der Schattendämon auf dem Boden den Kopf in Megs Richtung – sah ihn direkt an, Hoffnungslosigkeit im Blick - und Meg bemerkte, dass dieser Raum reine Illusion war. – Er fiel taumelnd in die Dunkelheit und hörte nur noch die Stimme seines Vaters, der in weiter Ferne und sehr gedämpft antwortete: „Sechs Meter unter der Erde!“ Sechs Meter unter der Erde… Während er noch fiel, sah Meg vor seinem geistigen Auge einen kalten Friedhof. Er fror entsetzlich, aber es kümmerte ihn nicht. Für dieses herbstliche Wetter war er nun einmal nicht richtig gekleidet und zu allem übel hatte es auf dem Hinweg noch geregnet, sodass sein etwas zu großer schwarzer Anzug jetzt total durchnässt war. Es war ihm gleichgültig. Er war 11 Jahre alt und er spürte die Hand seiner Tante auf der Schulter, doch sie spendete ihm keinen Trost. Er hatte zu lange im Krankenhaus gelegen. Er hatte ihr nicht einmal Lebewohl sagen können. – Der Wind frischte auf. Meg hatte das Gefühl, als würde er von diesem Windhauch fortgetragen werden. Dieser Wind sollte seine Erinnerung fort ziehen, denn die Wahrheit konnte er einfach nicht ertragen. Er verbot sich selbst daran zu denken und jemals aus zu sprechen, was geschehen war. Sie konnte einfach nicht tot sein. Sie durfte es nicht. Genau diese Tatsache war es, die Meg immer davon abgehalten hatte, um sie zu trauern. Sie konnte einfach nicht tot sein. - Und doch sagte der Grabstein zu seinen Füßen etwas Anderes. – „Hier liegt Evelyn Saunderson – Tochter, Mutter und Freundin.“ Sie hatten ihn alle belogen. Es konnte nicht anders sein. Es war unfair. Sie hatte ihn zuvor nie beschützt. Niemals. – Sie durfte nicht tot sein, jetzt, da sie bewiesen hatte, wie sehr sie ihn geliebt hatte. Meg fiel taumelnd in die Dunkelheit. ****** „Wieso hast du die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen?“, stellte Ilone die Frage in die Stille, die sie schon viel zu lange aus reiner Pietät nicht zu fragen gewagt hatte. „Was?“, kam es von Daniel, der vorgab sich nur auf Meg zu konzentrieren. Ilone wandte ihren Blick ebenfalls ab und betrachtete Megs Körper, der sich seit ein paar Stunden merklich bewegte, als sei Meg im Schlaf. – Vielleicht war es das ja auch, doch wecken hatte man ihn bisher nicht können. So viel verlangte aber zu diesem Zeitpunkt auch niemand. Es war schon ein Wunder, dass überhaupt wieder Leben in den jungen Mann gekommen war und dass Meg träumte konnte nur bedeuten, dass er auch wieder Gefühle und Gedanken fassen konnte. Noch immer war man sich nicht sicher, ob Meg selbst wenn er aufwachte, jemals wieder der Alte werden würde. Das Gehirn war ein zu unerforschtes Terrain, um genaue Angaben machen zu können. Immerhin gab es Aktivität, in jeder Hinsicht. Er bewegte sich, er stöhnte und gelegentlich schienen seine Lippen Worte zu formen, die er jedoch nie aussprach. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.“, meinte Ilone nach einer Weile und wandte sich wieder Daniel zu. Daniel zuckte mit den Schultern. Wie sehr Ilone diese Geste doch mittlerweile hasste! Aber mittlerweile wusste auch der hünenhafte Bassist, dass es kein Entrinnen vor Ilone und ihren Fragen gab. „Wie kommst du darauf, dass ich ein schlechtes Gewissen habe?“, versetzte Daniel und schluckte. Ilone registrierte die Bewegung des Kehlkopfes und fühlte sich bestätigt. Es war Daniels Art immer so lange Gegenfragen zu stellen, bis man selber aufgab. Ilone hatte nicht vor auf zu geben und führte aus: „Daniel! Du wohnst nur wenige Kilometer vom Krankenhaus entfernt. Du hast ein eigenes Motorrad. – Du könntest in 10 Minuten hier sein, wenn du wolltest.“ Daniel atmete tief durch. „Worauf willst du eigentlich hinaus?“, schnaubte er. „Du bist beinahe hier im Krankenhaus eingezogen. – Du könntest genau so gut auch zu Hause übernachten und tagsüber hier sein. Trotzdem bleibst du und schläfst kaum.“ „Na und? Ich mache mir Sorgen. Das ist doch nur natürlich!“, gab Daniel zurück und schien selbst nicht mehr vollständig überzeugt zu sein. Ilone lachte und aus ihrem Mund klang es ironisch und bohrte sich wie ein Nagel in Daniels Ohr. „In der ersten Woche habe ich mir nichts dabei gedacht. Aber mittlerweile sind es schon fast drei.“ Wieder zuckte Daniel mit den Schultern. Jetzt aber wirkte er traurig und gleichzeitig peinlich berührt. „Ich denke nur, dass ich selbstsüchtig bin.“, flüsterte er. Eigentlich hatte er das Ilone nicht erzählen wollen. Es ging sie nichts an. „Als man mir erzählte, dass Meg im Krankenhaus liegt, war ich froh, dass wir nicht auftreten würden. Erst dann habe ich mir Sorgen um meinen Freund gemacht.“ „Was?“ Ilone setzte sich auf, als sei sie von Daniels Worten zurück gestoßen worden. „Ich habe ihn im Stich gelassen.“, sagte Daniel und schluckte erneut, als wolle er damit die Gefühle einfach wieder dorthin zurück befördern, wo sie her gekommen waren. „Aber wieso warst du froh? Die Band ist doch dein Leben?“ Dieses Mal klang Ilones Stimme nicht mehr anklagend, sondern rein verwundert. „Ist sie eben nicht.“, erklärte Daniel. „Ich hasse es auf der Bühne zu stehen. Der einzige Grund, wieso ich mich dazu hergebe ist, weil ich in diese Sache nun einmal schneller hinein geschlittert bin, als mir lieb war und ich konnte Meg ja nicht alleine dastehen lassen.“ Ilone schüttelte den Kopf. „Ich verstehe dich nicht!“, sagte sie. „Du verdienst gutes Geld damit und die Mädchen liegen dir zu Füßen. Du bist berühmt! Wieso beklagst du dich?“ Wieder hob Daniel die Schultern und ließ sie fallen. Dieses Mal aus echter Resignation heraus. Er hatte gewusst, dass Ilone es nicht verstehen würde. Sie war viel zu unromantisch, um zu träumen. – Das machte sie vielleicht zur idealen Partnerin für einen Träumer, wie Meg, aber es machte sie nicht unbedingt zur besten Gesprächspartnerin für philosophische Gedanken und Gefühle. Daniel machte eine abwehrende Handbewegung und erklärte damit das Gespräch für beendet, bevor er noch sagte: „Meg ist berühmt. – Ich stehe nur als sein treuer Handlanger daneben, während er den Großteil des Ruhmes einstreicht.“ Nach einem kurzen Seufzer schloss Daniel: „Ich weiß, dass mir Eifersucht nicht gut steht, aber ich habe mir etwas Anderes für mein Leben erträumt, als ewig im Schatten einer anderen Person zu stehen.“ Ilone nickte. Daniel glaubte aber nicht, dass sie wirklich verstand, was er meinte und wie er sich fühlte. „Nebenbei bemerkt“, setzte der deshalb noch einmal hinzu „bin ich arbeitslos, wenn Meg stirbt. Natürlich habe ich auch Angst um mich selbst.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)