Katatonia Sleep von DemonhounD (Darkfiction) ================================================================================ Kapitel 9: Totenwache --------------------- Ilone war gegangen, um etwas zu essen. Daniel hatte sie darum gebeten. – vorgeblich, weil er sich Sorgen machte. - Sie sei blass, hätte seit Stunden nichts gegessen. Das war es zumindest, was er gesagt hatte. Indes glaubte er, dass die junge Frau durchaus wusste, dass er eigentlich einfach nur eine Weile mit Meg alleine sein wollte und einen Vorwand suchte, um sie los zu werden. Er hoffte, dass sie ihm das nicht Übel nahm. In vielerlei Hinsicht war sie genau so schwierig wie Meg. Für Daniel, der ihre Nähe nicht gewohnt war, war sie vielleicht sogar noch komplizierter. – Sie und Meg hatten einander wohl wirklich verdient. - „Ich möchte etwas alleine trauern.“, kam ihm in den Sinn, als er seinen totenbleichen Freund zwischen all den Kabeln und Schläuchen betrachtete. Irgendwann einmal hatte Meg gesagt, dass es sein müsste, als wäre man gestorben, wenn man im Koma lag. Man habe sicherlich keine Gefühle mehr und keine Schmerzen. Man sei jenseits von Allem und vielleicht sei das garnicht schlecht. Er hatte es mit einem Gesichtsausdruck gesagt, den Daniel beunruhigend fand. Das war das erste Mal, das Daniel eigentlich bewusst wurde, wie intensiv sein Freund über Selbstmord nachdachte und wie lange er schon mit sich selbst rang es nicht zu tun. Damals war Meg natürlich unwissend und betrunken gewesen. Es war eines dieser pseudophilosophischen Gespräche, das man nur dann führt, wenn man auf einer Party die entsprechende Menge Alkohol getrunken hat. Es war eines der Gespräche, die man vergisst, bis der passende Zeitpunkt gekommen ist einmal wirklich darüber nach zu denken. - Nun wusste Meg es in jedem Fall ganz genau. Vielleicht würde er zurück kommen und davon erzählen, was er erlebt hatte. Es war unwahrscheinlich, aber Daniel hoffte es. „Tja, Meg.“, flüsterte er. „Hätte nie gedacht, dass du einmal solchen Blödsinn machst. Er stand von dem kleinen Klappstuhl auf und setzte sich auf die Bettkante, die unter seinem Gewicht vernehmlich ächzte. „Dieses Mal kann ich dich nicht raus hauen.“, fuhr Daniel fort und machte Meg nun innerlich keine Vorwürfe mehr, dass er nicht antworten konnte. Er redete einfach weiter, weil es ihm selbst gut tat. „Weißt du noch? Du hast dich früher andauernd mit irgendwem angelegt. – Meist ging es dabei um Mädchen. Schon in der Schule.“ Megs konzentriertes Gesicht war Antwort genug. Daniel spürte, dass sein Freund ihn irgendwie sicher hören konnte. – Zumindest redete er sich das erfolgreich ein. „Oft hast du aber auch andere in Schutz genommen, die von Größeren schikaniert wurden. – Immer war ich es, der dich aus solchen Dingen wieder raus holen musste. Hah!“ Daniel lachte hohl und schloss die Augen, während eine Hand sich wieder auf Megs nackten Arm legte. „Und ich Idiot habe das auch jedes Mal gemacht. Weißt du, wieso?“ Er sah erneut in Megs Gesicht und es blieb gewohnt regungslos. Manchmal vergaß Daniel das nur. Er wollte sich vorstellen, dass Meg ihm nun zuhörte. In Wirklichkeit wusste er, dass Meg das nicht tun würde, wenn er noch wach wäre. Meg war nur in seinen Liedern romantisch und wortreich. Was seine Beziehung zu anderen Personen anging, machte er selten viele Worte, als seien die Lieder das Ergebnis der hervorsprudelnden Emotionen, die Meg sonst selbstsüchtig in sich hortete, ohne sie je jemandem zu zeigen. Daniel schwieg eine Weile und überlegte sich, ob er weiterreden sollte. Er beschloss, dass er es niemals sagen würde, wenn nicht nun. „Ich habe wirklich keine Ahnung, was dein Vater mit dir angestellt hat, aber du hattest seit ich dich kenne Alpträume. Egal also, was es war, es muss entsetzlich für dich gewesen sein. – Du hast nie etwas gesagt, außer, wenn du geträumt hast und das ist auch okay so.“ Daniel zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf, als würde er einen innerlichen Kampf aufgeben. Hatte er jemals ein so Gespräch mit Meg geführt? – Natürlich nicht! Sein Freund wäre ausgewichen und Daniel hätte nicht weiter gefragt. Das hatte ihre Freundschaft seit Jahren am Leben gehalten. „Ich habe mir immer gewünscht, dass du mir genau so vertraust, wie ich dir. Dass du das nicht konntest, habe ich akzeptiert und ich habe dich beschützt, weil du mein Freund warst und weil du sonst niemanden hattest. – Ich war an deiner Seite, als du durchgedreht bist. Ich habe bemerkt, wie du Drogen genommen hast, aber ich habe nie etwas gesagt, weil ich dich nicht verlieren wollte. - Ich war selbstsüchtig in diesem Fall denke ich. - Das wird anders werden, wenn du wach bist. Dann werde ich nämlich mehr an dich denken und an das, was du wirklich gebraucht hättest. - Ein Freund gewesen, der dich gegen die Dämonen in dir selbst beschützt. – Jemand der dich aufsammelt und zu einer Therapie überredet. Du hast dich jetzt lange genug in dir selbst versteckt!“ * * * * * * „Du hast dich lange genug in dir selbst versteckt!“, hörte Meg den Dämon flüstern und bemerkte, wie er selbst den Kopf zu einem Nicken senkte. Meg wusste nicht, wieso er es tat, aber langsam begann er dem Schatten zu zu stimmen. Vielleicht ging ihm einfach die Kraft aus, sich entsprechend zu wehren. „Du hast in der Zeit deines Lebens viele Grenzen überschritten, sogar die des eigenen Verstandes.“, sprach der Schatten weiter. Seine Stimme war ätherisch und schien von weit her zu kommen. Trotzdem hatte Meg das Gefühl, dass die Worte nun viel realer waren und, dass er ihnen vertrauen konnte. Er kannte die Stimme. „Es gibt noch mehr Grenzen.“, sagte Meg und lächelte bei dem Gedanken daran. Vielleicht waren es genau diese Grenzen, für die es sich noch zu leben lohnte. „Warum hast du dann das Gefühl, dass dein Leben schon vorbei ist.“, konterte der Schatten und Meg erkannte die veränderte Stimme. Sie kam eigentlich von weit her, hinter dem Nebel, den Meg nicht durchschreiten konnte. – Sie war weit stärker, als Ilones Stimme und sie war real. „Es gibt so viel zu tun, so viele Fragen zu beantworten. Es gibt noch so viele Gründe zu fühlen. – Also wieso schließt du deine eigenen Empfindungen so weit weg?“, bohrte der Schatten weiter. Meg sah auf. – Diese Sätze könnten wirklich von Daniel stammen. Redete er vielleicht in der Welt hinter dieser Welt mit ihm? Es musste wohl so sein. „Ich kenne meinen Weg jetzt, Dämon.“, forderte Meg. „Ich bin bereit für deine Prüfungen.“ „Ich denke, wenn du scharf nachdenkst, dann erkennst du, dass du eigentlich frei bist.“, meinte der Dämon unbeeindruckt und unverkennbar mit der Stimme von Megs bestem Freund. – Natürlich wusste Meg, dass er Daniel nicht wirklich geantwortet hatte, also war es wohl nicht verwunderlich, wenn die Worte des Dämons nicht zu dem passten, was Meg gesagt hatte. „Was zur Hölle soll das bedeuten?“, fuhr er dennoch auf. „Ich bin nicht frei. Dieser verdammte Nebel hält mich zurück!“ Der Schattendämon zuckte mit den Schultern, wie es sein Freund vielleicht getan hätte, um ein ungemütliches Thema ab zu wehren. Meg machte eine wegwerfende Handbewegung und schüttelte dabei resignierend den Kopf. Was sollte er schon von diesem Schatten erfahren, was er nicht schon längst selber wusste? – Außerdem redete er nicht wirklich mit Daniel. Er hörte ihm nur zu, - wenn überhaupt. „Du bist wohl noch nicht bereit deine Augen auf zu machen.“, sagte der Schattendämon und machte erneut eine kurze Pause, bevor er schloss: „Aber du sollst wissen, dass deine Freunde auf dich warten. – Obwohl du so selbstsüchtig bist.“ Stimmte das wirklich? Meg erkannte, dass es ihm schwer fiel sich vor zu stellen, dass hinter dieser Nebelwand tatsächlich irgendjemand auf ihn warten könnte. Ilone jedenfalls ganz sicher nicht. Daniel war vielleicht auch gar nicht da. Warum sollte er auch? Jetzt, zu diesem Zeitpunkt war Meg nicht viel mehr, als eine Last für jeden, der ihn umgab. Diese Stimmen waren vielleicht nicht real. Es konnten genau so gut neue Halluzinationen sein. Die Vorstellung, dass da draußen tatsächlich jemand Angst um ihn hatte, war zu gut. Vielleicht hatte Daniel ihn allein gelassen, weil er eigentlich froh war von seiner Last befreit zu sein. Das wäre ja nicht das erste Mal, dass jemand so etwas mit Meg tun konnte, ohne dass er selbst etwas daran hätte ändern können. - Andererseits war Daniel etwas Besonderes. Einen Moment lang erlaubte Meg es sich diesen Gedanken zu zu lassen und einfach daran zu glauben. Urplötzlich musste er lächeln. Daniel hatte ihn bisher noch nie fallen lassen. – Nicht einmal, als er seinen ersten wirklichen Absturz mit Heroin nach einem Konzert gehabt hatte. Ganz im Gegenteil: Daniel war es gewesen, der ihm geholfen hatte es zu verschleiern, sodass es nicht an die Öffentlichkeit gekommen war. Wenn überhaupt irgendjemand die Stärke hatte an Megs Seite zu bleiben, dann war es Daniel. „Dann muss ich eben kämpfen und sei es nur, um heraus zu finden, ob er wirklich jetzt noch bei mir ist.“, erklärte Meg dem Schatten, als habe dieser seine Gedanken gelesen. Der Schatten nickte und ein raubtierhaftes Grinsen wurde sichtbar. „Wenn du bereit bist zu leben, dann wird es nun Zeit für uns in den Nebel zu gehen.“ Meg nickte. Hier hielt ihn nichts mehr. Wenn es wirklich noch eine Hoffnung für ihn gab, dann musste er sie hinter dem suchen, was er nun nicht sehen konnte. „Hab keine Angst.“, wies der Schatten Meg an, als sie in die wabernde weiße Fläche eintauchten. „Du könntest beim Durchschreiten sterben – oder leben. Beides kann schmerzhaft sein. Aber egal was passiert: Es wird deine Entscheidung sein! Du wirst es begrüßen!“ * * * * * * In diesem Moment flog die Tür zum Patientenzimmer krachend auf. „Achso, du hast also entschieden, dass es besser wäre, wenn ich von all dem hier nichts erfahre?“, hörte Daniel, bevor er Zeit hatte, die streng wirkende Frau mit den rotbraunen Haaren genauer ein zu ordnen, die in der Tür stand und eine ausladende Bewegung mit den Armen vollführte. Ganz so, wie sie sich selbst den Umstand erklären wollte, hätte es Daniel nicht ausgedrückt, aber wenn er nun so genau darüber nachsann, dann hatte sie eigentlich Recht. Diese Frau war die nächste Verwandte von Meg. Daniel sah sie zum ersten Mal, doch die Beschreibung seines besten Freundes traf, oberflächlich gesehen, durchaus zu. Sie wirkte entschlossen und dominant, wie es nur eine Frau tun kann, die drei Kinder großgezogen hat und für keines von ihnen freundschaftliche Gefühle erübrigen konnte. Es hätte Daniel klar sein müssen, dass sie es ihm übel nehmen würde, wenn er sie wie eine Fremde außen vor ließ, ohne sie zu informieren. Mittlerweile war das allerdings offensichtlich nicht mehr nötig, denn sie hatte bereits durch die Presse von Allem erfahren, das es zu wissen gab und sie war genauso wütend, stolz und unnachgiebig, wie Meg sie Daniel beschrieben hatte. Vielleicht war die Tatsache, dass Meg niemals gut von dieser Frau geredet hatte, bei der er immerhin jahrelang gewohnt hatte, auch der ausschlaggebende Grund, wieso Daniel nur kurz erwogen hatte, sie zu informieren, aber es dann schlicht vergessen hatte. „Es tut mir Leid.“, flüsterte er, während sie begann einige Kissen im Nacken des jungen Mannes zu ordnen. Jetzt, wo Daniel sie zum ersten Mal sah, kam er nicht umhin Mitleid für sie zu empfinden. Sicherlich hatte sie im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten alles für Meg getan, was sie aufzubringen vermochte. Seitdem sie ins Zimmer getreten war, bemerkte Daniel, wie besorgt sie eigentlich sein musste und wie anmaßend es von ihm selbst gewesen war sie zu beurteilen, ohne sie zu kennen. Meg redete immer schlecht von Menschen, die ihm auf aggressive Art und Weise helfen wollten. Er war ein indirekter Mensch und solche Personen kommen nur sehr selten mit direkter Kritik zurecht. „Nundenn, es gibt Wichtigeres.“, sagte die zornige Frau und fuhr sich in einer Art durch die Haare, die Daniel auch schon ein paar Mal von Meg gesehen hatte, wenn sich dieser nach einem Wutanfall zu beruhigen begann. Daniel musste kurz grinsen, verkniff es sich aber, als ihn der Todesblick der Alten traf. Sie blickte auf Meg und ihr Gesichtsausdruck wurde weicher. Daniel sah in ihrem Gesicht zwar keine Liebe, wohl aber Anzeichen von Sorge. Es war klar, dass diese Frau keinerlei Muttergefühle empfand. Dies allerdings schien sie durch extremes Pflichtgefühl aus zu gleichen. – Daniel glaubte nicht, dass dieses Fehlen von Liebe einem Kind ausreichen konnte, oder das Ehrgefühle all die fehlenden Kleinigkeiten ersetzen konnten, die ein Heranwachsender zum Leben brauchte und er begann Meg besser zu verstehen. - Er verstand nun seinen Stolz, sein Ehrgefühl, sein verzweifeltes Streben nach Anerkennung und wusste, von wem er es gelernt hatte. „Ich habe immer vermutet, dass irgendwann einmal etwas Schreckliches mit ihm passiert.“, murmelte die Dame als sei dies alles ihre Schuld. „Er hat die Naivität von Evilyn geerbt und die aufbrausende Art seines Vaters. – Sowas konnte gar nicht gut enden.“ Daniel sah sie fragend von der Seite her an, doch sie sagte nicht mehr dazu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)