Der letzte erste Donnerstag von Skorpion ================================================================================ Kapitel 1: Donnerstag, 5. Oktober 2111 -------------------------------------- Heute war der letzte erste Donnerstag im Monat. Ich dachte, es würde wie immer, als ich die Einladung vor meiner Zimmertür fand. Abendessen mit Damien und Hochwürden Michelangelo. Die Auszeichnung, von der ich nie verstand, wieso ausgerechnet ich sie verdient haben sollte. Aber heute war alles anders. Ab heute wird sich alles ändern. Ab heute werde ich mich ändern. Keine peinlichen Auftritte mehr. Wie oft habe ich diesen Vorsatz schon gefasst? Aber diesmal ist es definitiv und diesmal schreibe ich Tagebuch um meine Fortschritte festzuhalten. Positiv denken! Beginnen werde ich mit heute Abend. Der erste Donnerstag im Oktober. Wie jeden ersten Donnerstag im Monat also die Einladung. Es ist zur Gewohnheit geworden. War. Die anderen beneideten mich, verständlicherweise, und sie fanden immer wieder Wege, mir das zu zeigen. Und ich nahm es hin. Schliesslich verstand ich selbst nicht, wie ich mit meinen Noten die Einladung verdiente. Mit meinen nicht vorhandenen Fortschritten, was meine Psi-Kräfte betrifft, hatte es erst recht nichts zu tun. Es sollte eine Belohnung für die besten sein, in meinem Fall war es ein Trostpreis. Und ich redete mir ein, die kleinen Bosheiten seinen die Strafe für mein Glück. Oder die Kompensation. Nicht dass, das die Situation erträglicher gemacht hätte. Aber es half mir, sie nicht persönlich zu nehmen. Wird es aufhören? Wahrscheinlich schon. Es wird ihnen langweilig werden, wenn sie keinen Grund mehr haben, mich zu beachten. Das ist die positive Nachricht für heute. Ich ging also wie immer zu Hochwürden Michelangelos Räumen. Und wie immer öffnete mir sein persönlicher Assistent und Butler. Damien war schon da, wartete auf dem Kanapee. Und wie immer trug er seine Paradeuniform, die seit kurzem mit dem Stern der operierenden Magier gekennzeichnet ist. Im Gegensatz zu mir, ist seine Anwesenheit verdient. Er schloss als Jahrgangsbester ab und hat schon einige erfolgreiche Einsätze geleistet. Er ist ein Genie und dazu noch gutaussehend und nett, auch wenn er sich letzteres kaum anmerken lässt. Ich setzte mich nach einem schüchternen Gruss auf einen der Stühle und wartete. Bis dahin war alles wie gewohnt. Hochwürden Michelangelo öffnete die Tür und bat uns herein. Drückte erst Damien zur Begrüssung die Hand. Dann mir. Aber da war nicht nur Hand, da war ein Stück Papier. Vor Überraschung vergass ich zu sprechen. Dafür begrüsste mich Hochwürden um so lauter und liess dann meine Hand los. Das Papier segelte los, ich griff danach und bekam es gerade noch zu fassen. Ich machte den Mund auf um mich zu entschuldigen, sah aber gerade noch rechtzeitig, wie Hochwürden Michelangelo den Finger an die Lippen hielt. Also schwieg ich und folgte ich seiner Geste, setzte mich an den Tisch. Ich legte mit die Serviette auf den Schoss und nutzte die Gelegenheit, um den Zettel aufzufalten und zu lesen: Für Extremfälle: NF 07 375.5 Fragend sah ich auf. Das war eindeutig eine Buchsignatur aus der Bibliothek. Die Heimlichtuerei musste einen Grund haben. Hochwürden Michelangelo und Damien liessen sich nichts anmerken und ich beschloss, so zu tun, als wäre es wie immer. Damien begann über den Dauerregen der letzten Tage zu sprechen und ich schloss mich erleichtert dem harmlosen Thema an. Die Vorspeise wurde serviert. Olivenparfait und Brusquette. Hochwürden Michelangelo begann erst zu sprechen als wir wider alleine waren: „Das wird der letzte gemeinsame Donnerstag.“ Der letzte gemeinsame Donnerstag? Das hiess wohl, in Zukunft ohne mich. Ich stellte mich auf eine Enttäuschung ein. „Alles was ich jetzt sage, muss unter uns bleiben“, fuhr Hochwürden fort. Das klang ernst. „Ich werde zurücktreten. Morgen werde ich es bekannt geben. Ich hatte eine Vision, von meinem Tod. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit.“ Ich vergass zu kauen, starrte ihn an. Damien reagierte schneller. „Gibt es keine Möglichkeit, das zu verhindern? Und wieso treten sie davor zurück?“ „Ich wünschte, meine Visionen wären ungenau oder unsicher. Leider zeigen meine Erfahrungen das Gegenteil. Ich will mich auch nicht beklagen, ich hatte ein langes erfülltes Leben. 123 Jahre, immerhin.“ Der heitere Tonfall klang nicht ganz echt. „Sie sind schon so alt? Das sieht man ihnen nicht an“, platzte ich heraus. Ich dachte immer er wäre um die achtzig. „Ja, das bin ich. Und es gibt Menschen, die wissen das sehr genau“, antwortete er vieldeutig. „Sie würden viel dafür geben, zu wissen, wie ich so alt wurde. Aber ich werde dieses kleine Geheimnis mit ins Grab nehmen.“ Er sah selbstzufrieden aus. Natürlich war ich neugierig, wagte mich aber nicht nachzufragen. Anders Damien. „Sie können es nicht mal uns verraten?“ Fragte er und für einmal war sein Interesse nicht reine Höflichkeit. „Das wäre dumm von mir. Wenn sie in meinem Büro nichts finden, werden sie bei euch weiter suchen. Und dann seid ihr in Bedrängnis.“ „Das heisst, es gibt etwas zu wissen? Was ist es? Magie? Ich werde nichts weiter sagen, das schwöre ich ihnen“, liess Damien nicht locker. „Da gibt es nicht viel zu wissen“, antwortete Hochwürden Michelangelo mit einem spöttischem Lächeln, das zweifellos Damiens Eifer galt. „Es gab einmal ein Nekromantikum. Aber es ist verschwunden und damit auch die Zauber.“ Ich umklammerte den Zettel in meiner Hand, fragte mich, ob er etwas damit zu habe. „Mit ziemlicher Sicherheit wurde es zerstört“, fuhr Hochwürden Michelangelo fort. „Damals, bei dem Unfall, der eure Kameraden das Leben gekostet hat.“ Für einen Moment ist es still. Ich erinnere mich noch genau, obwohl ich damals erst vier Jahre alt war. Es war das einzige mal, dass sich meine Fähigkeiten zeigten. Die grosse Explosion, Dmien und ich rannten um Hilfe zu holen. Aber nicht schnell genug, die Betontrümmer kamen auf uns zugerast und ehe ich es verstand blieben sie in der Luft stehen. Ich hatte irgendwie einen Schutzschild erstellt. Das sagten jedenfalls die Soldaten, die uns später bargen. Die anderen Kinder der Übungsgruppe waren weniger glücklich. „Wusstet ihr, dass Aquila damals den Befehl erteilte? Ich war unterwegs und übergab ihm für die Zeit das Kommando. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so enden würde“, unterbrach Hochwürden Michelangelo in besorgtem Ton die Stille. Und wieder war es Damien, der schneller Verstand was Hochwürden zu sagen versuchte. „Die Dämonin, die sie Damals gejagt haben, trug es bei sich?“ „Soweit ich weiss, hatte sie es gestohlen. Die Chance, dass sie es bei sich hatte als sie starb ist gross.“ Wieder Stille. Ich hatte die Dämonin gesehen. Sie war verletzt und wir hielten sie für einen Mensch. Der Gruppenführer beschloss sie zu verarzten. Nur Damien musste etwas geahnt haben, denn er weigerte sich und bestand darauf, einen Ausbildner zu holen. Ich begleitete ihn. Ich rief mir das Bild der Dämonin ins Gedächtnis. Es war da, ziemlich deutlich aber an ein Buch konnte ich mich nicht erinnern. Ich warf Damien einen Blick zu, auch er wirkte nachdenklich, ob ihm das selbe durch den Kopf ging? „Ja, da war ein Buch, ich erinnere mich wage. Sie hielt es gegen ihre Wunden gepresst.“ Sagte er schliesslich. Und er mochte recht haben, ich war erst vier, er immerhin acht Jahre alt. Der Butler räumte die leeren Teller ab und den brachte Hauptgang. „Guten Appetit“, wünschte er bevor er den Raum verliess. „Aquila ist ein Kandidat für den Generalsposten, wenn sie zurücktreten, nicht wahr?“ Nahm Damien den Faden wieder auf. Hochwürden Michelangelo nickte. „Er hat den Posten so gut wie sicher. Um das zu verhindern müsste schon der Papst intervenieren.“ „Welchen Grund hätte der Papst, um zu intervenieren?“ Fragte Damien diplomatisch. „Nun, keinen, Aquila ist linientreu und konsequent. Unser Auftrag ist es, Dämonen zu jagen und zu vernichten. Und er tut dies mit Leidenschaft.“ „Das stimmt“, fügt Damien hinzu, „ich habe von seinen Aktionen gehört. Er lässt sich von nichts aufhalten.“ „Ich würde sagen er geht über Leichen, keiner verzeichnet so viele Verluste wie er“, ergänzte ich wesentlich direkter. Wieso das offensichtliche in schöne Worte hüllen, dachte ich. „Sie müssen das verhindern Hochwürden Michelangelo, Aquila ist ein Fanatiker, er wird einen Krieg anzetteln.“ Hochwürden zog nur tadelnd eine Augenbraue hoch: „Maria, was berechtigt dich, solche Anschuldigungen auszusprechen? Ist es nicht eher so, dass man mir vorwirft, zu milde zu sein? Wie könnte ich da Einwand gegen einen durchsetzungsfähigen Nachfolger wie Aquila erheben?“ Ich war wütend, bin es immer noch. Aber Hochwürden hatte klar gemacht, dass die Diskussion beendet war. Das war seltsam, bisher hatte er noch nie ein solches Gespräch gescheut. Im Gegenteil, Hochwürden erläuterte und diskutierte mit uns oft die Politik die er als General des Michaelsordens vertrat, soweit er uns einweihen konnte. Er erklärte uns den Unterschied zwischen dem Ideal, das uns gepredigt wurde und dem heiklen Gleichgewicht in der Realität. Liess uns Situationen einschätzen und Lösungen vorschlagen. Und er unterhielt uns immer wieder mit kleinen harmlosen Anekdoten aus dem Verhandlungsalltag. Aquilas Name war nie direkt gefallen, dafür die Missbilligung seiner provokativen Taktik. Und jetzt, wo ich diese Meinung direkt vertrat, wurde ich getadelt. Ich warf Damien einen hilfesuchenden Blick zu. Er lächelte nur und deutete mir an, still zu sein. Er war auf meiner Seite. Das machte mich glücklich und ich merkte, dass ich rot wurde. Ich beugte mich schnell über meinen Teller und gab mich beschäftigt. Und dann wurde mir die Situation bewusst. Sie belauschten uns. Der Zettel, Hochwürden Michelangelos vorsichtige Worte, alles gab ein vollständiges Bild. Der Raum war eigentlich magisch gegen jede Spionage geschützt, aber sie mussten ein Schlupfloch gefunden haben. Ich hätte mich ohrfeigen können. Das war absolut peinlich. Und angenommen, Aquila gehörte zu den Lauschern, dann hatte ich mir gerade das Leben eben noch schwerer gemacht, als es ohnehin schon war. Vom Rest des Essens bekam ich nicht mehr viel mit. Ich vermied jeden Blickkontakt und war froh, als es endlich zu ende war. Dem Abschied konnte ich doch nicht entgehen. Es würde das letzte mal sein, dass ich Hochwürden Michelangelo die Hand reichte. Er wird in wenigen Tagen sterben, rief ich mir in Erinnerung. Ich wich seinem Blick also nicht aus, als er mir die Hand drückte. Mein Gesicht fühlte sich heiss an, bestimmt war ich knallrot. Nur zu gern hätte ich mich für meine Unaufmerksamkeit und die resultierenden Fehler entschuldigt. Aber dann hätte ich alles verraten. Hochwürden michelangelo schien es mir nicht übel zu nehmen. Er sah mich ruhig an und hielt meine Hand länger als sonst. Er hatte Tränen in den Augen und ich merkte dass auch ich kurz davor war, zu weinen. Nicht unbedingt wegen ihm. Nicht nur wegen ihm. „Leb wohl, und verliere nie den Mut“, sagte er bevor er meine Hand losliess. Ich brachte nur ein gestammeltes Danke hervor. Was wünscht man einem Todgeweihten? Ich beeilte mich, meinen Mantel anzuziehen, beeilte mich aus dem Vorzimmer zu kommen. Damien hinterher. Ich drehte mich nicht um, als sich hinter mir die Tür schloss. Wischte mir hastig eine Träne weg, weinen konnte ich, wenn ich alleine war. „Das war also der letzte gemeinsame Donnerstag“ sagte Damien, der vor mir ging, leise ohne sich umzuwenden. „Schade.“ Am liebsten würde ich die Zeit nochmal zurück drehen, diesmal alles richtig machen. Aber es ist zu spät. Alles was ich versuchen kann ist in Zukunft Fehler wie heute zu vermeiden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)