Another Side, Another Story von _Kima_ (The Traitor's Tale) ================================================================================ Kapitel 28: Die Hilltop-Konferenz --------------------------------- In der folgenden Woche vermied es Jowy tunlichst, aus seinem Bett zu kommen. Er hatte sich am Abend nach seiner Rückkehr freundliche Worte angehört, bis ihm schlecht davon geworden war, und nun konnte er einfach keine weiteren mehr ertragen. Viktor, Flik und Leona waren noch wach gewesen, als die drei Jugendlichen mit Pilika im Schlepptau zurück in die Taverne gekommen waren, und auch am nächsten Morgen war er beim Frühstück nicht vor Menschen verschont geblieben, die ihn glücklich ansahen und ihn willkommen hießen. Oh, wenn sie nur gewusst hätten, welch teuflischem Plan er zugestimmt hatte! Wenn sie nur gewusst hätten, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit dafür verantwortlich sein würde, dass sie alle Highland in die Hände fallen würden… Aber sie wussten es nicht. Und so blieb ihm nichts Anderes übrig, als den freundlichen Gesichtern und den guten Worten so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Zum Glück ließen sie ihn einfach sein – vielleicht hatte Riou die anderen darum gebeten, vielleicht waren sie selbst zu dem Schluss gekommen, ihn erst einmal in Ruhe zu lassen, damit er mit sich ins Reine kommen konnte nach der grässlichen Gefangenschaft. Aber was wirklich grässlich war, war er selbst. Er und die furchtbare Entscheidung, die er getroffen hatte. Seit seiner Rückkehr hatte er Anabelle nicht mehr gesehen und das war auch gut so. Irgendwie vertraute er sich selbst nicht genug, um bei ihrem Anblick nicht in Tränen auszubrechen und alles zu gestehen… Auch Jess war ihm erspart geblieben. Als Riou und Nanami gemeinsam mit den anderen und ohne Jowy zurückgekehrt waren, hatte Viktor getobt und gespuckt, nachdem sie ihm von dem Auftrag erzählt hatten. Und dann hatte er sie alle mit ins Rathaus geschleppt, wo er sich mit Gewalt Zutritt zu Anabelles Büro verschafft hatte, weil man ihn nicht hatte einlassen wollen. Bei dieser Gelegenheit hatte Jess natürlich gleich nach den Ergebnissen der Spionage gefragt und so musste Jowy es nicht auch noch auf sich nehmen, dem Mann in die Augen zu sehen. Er lag in seinem Bett, im abgedunkelten Zimmer, und hatte nicht vor, sich überhaupt zu bewegen. Hier war er allein mit seinen Gedanken und der Tat, die schon jetzt so groß und schwer auf ihm lastete, als habe er sich bereit erklärt, das Tenzaan-Gebirge auf seinen Schultern zu tragen. Außer ihm befand sich nur Riou in ihrem gemeinsamen Zimmer, doch der schlief tief und fest, wie Jowy an den gleichmäßigen, ruhigen Atemzügen erkannte. Gerne hätte er selbst auch geschlafen, nachdem er die ganze Nacht wach gelegen hatte, doch wann immer er die Augen schloss, sah er wieder die eisblauen Augen vor sich, deren Besitzer ihn zum Antworten gezwungen hatte, Anabelles ernstes Gesicht, die enttäuschte und tieftraurige Miene seiner Mutter, das sadistische Grinsen von Luca Blight. Jowy kniff die Augen zusammen und ballte unter der Decke die Fäuste. Die Rune des Schwarzen Schwertes wisperte in seinen Gedanken, doch er schirmte sich selbst von ihr ab. Er wollte ihr nicht zuhören, nicht nachdem sie ihn aus heiterem Himmel im Stich gelassen hatte… „Sagt mal, wie lange wollt ihr eigentlich noch schlafen?!“ Ein erschrockener, hoher Laut entwich ihm, als man ihm die Decke entriss und er von der plötzlichen Helligkeit – wer hatte die Fensterläden aufgerissen?! – geblendet wurde. Es war Nanami – natürlich, wer sonst? – die da neben seinem Bett stand, die Hände in die Hüften gestemmt und mit einem grimmigen Gesichtsausdruck. „Nanami“, flehte Jowy und hoffte, dass die Verzweiflung in seiner Stimme genug war, damit sie ihn auch weiterhin in Ruhe ließ. „Kannst du nicht…? Nur ein bisschen länger… Du weißt doch, früh morgens…“ „Früh morgens!“, weiderholte das Mädchen schnaubend. „Von wegen früh morgens, Pilika und ich hatten schon Mittag!“ Von Rious Bett – dem auch die Decke fehlte – kam nur ein unzufriedenes Brummen, ehe sich der brünette Junge gähnend aufrichtete und murmelte: „Du stehst ja auch bei Sonnenaufgang auf…“ Jowy seufzte und sah zwischen dem völlig zerstrubbelten Riou und seiner hellwachen Schwester hin und her. Er wollte sich nicht unterhalten. Er wollte… allein sein… „Hör mal“, sagte Nanami und warf ihm einen Blick zu, der irgendwo zwischen Mitleid und Rüge rangierte. „Ich weiß, dass es schwer war, aber es ist jetzt eine Woche her! Reiß dich ein bisschen zusammen, ja?“ Jowy gab ein undefinierbares Geräusch von sich und setzte sich widerwillig auf. „Los, lasst uns gehen!“, fuhr Nanami fort, nachdem sie ihre Erfolge, die beiden Jungen aus dem Bett zu bekommen, zufrieden betrachtet hatte. „Gehen?“, echote Jowy verwirrt und unglücklich, während er sich ein sauberes Hemd anzog. „Wohin?“ Er wollte nirgendwohin gehen! „Irgendwas scheint oben am Jowston Hill los zu sein“, erklärte Nanami, die zu den offenen Fenstern schritt und auf die belebte Straße blickte. „Die Stadt platzt vor lauter Reisenden fast aus den Nähten! Es sind so viele Menschen gekommen…“ Menschen? Davon hatte Jowy nichts mitbekommen. Aber das war auch kein Wunder, immerhin hatte er hier in seinem Zimmer wie ein Bär in seiner Höhle gelegen, lethargisch und fernab der Welt. Und wenn es nach ihm gegangen wäre, würde er auch noch immer in diesem Zustand verbleiben… „Vielleicht ist es ein Fest oder so etwas in der Art“, überlegte Nanami weiter. „Ich meine, wir kennen uns ja mit den Feiertagen im Staat nicht aus… Es könnte etwas Wichtiges sein! Los, lasst uns gehen!“ Sie drehte sich schwungvoll zu den Jungen um und überraschte den noch verschlafenen Riou so sehr, dass er zusammenzuckte und rücklings zurück aufs Bett fiel. „Nun macht schon!“, forderte Nanami. „Leona hat noch ein bisschen was vom Frühstück für euch aufgehoben, also… Los!“ Sie wuselte in ihrer üblichen, aufgeregten Art wieder hinaus, wahrscheinlich, um vor der Tür auf sie zu warten. „Oh je…“, seufzte Riou auf, fuhr sich durchs Haar und gähnte, dann stand er wieder auf und zog sich weiter an. Jowy beobachtete ihn und fragte dann: „… Was meinst, sollen wir gehen?“ Insgeheim hoffte er, dass auch sein bester Freund nicht allzu wild darauf war, sich von Nanami durch die Stadt schleifen zu lassen. Riou sah ihn lange und mit einem sehr seltsamen Blick an, dann lächelte er und antwortete: „Du wirst dich besser fühlen, wenn du etwas frische Luft schnappst. Du wirst schon sehen!“ „Hmm…“ Nanami hatte Recht gehabt – die Stadt war wirklich voller Menschen. Nicht, dass Muse nicht schon vorher fast aus allen Nähten geplatzt war wegen der Flüchtlinge aus dem östlichen Teil des Fürstentums… Sie hatten sogar Probleme gehabt, aus Leonas Taverne zu kommen, weil die Eingangshalle voller Reisender gewesen war, die nach einem Zimmer verlangt hatten. Spontan war Jowy mehr als nur froh, dass er die letzten Tage in seinem Bett verbracht hatte. „Ich frage mich wirklich, warum sie alle herkommen“, murmelte Nanami, während sie sich durch die Menschenmassen drängelten, die scheinbar ebenfalls alle zum Gipfel des Als Jowston Hill bekannten Hügels wollten. „Man könnte meinen, es würde da oben etwas umsonst geben…“ Riou lachte leise und unter normalen Umständen wäre Jowy wohl ebenfalls in das Gelächter eingefallen. Aber er schaffte nur ein müdes Lächeln, während sie sich weiter durch die Menge kämpften. Am Gipfel des Berges angekommen, sahen sie ein großes Gebäude, das noch größer war als das Rathaus. Jowy hatte es bisher nicht sonderlich beachtet, da der gepflasterte Weg, der hier hinauf führte, für gewöhnlich abgesperrt und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich war, doch heute war es wohl anders. „Wo ist eigentlich Pilika?“, fragte er dumpf, während sie von einer der Aussichtsplattformen hinunter auf die Stadt blickten. „Bei Hanna und Millie“, antwortete Nanami. „Sie haben mir angeboten, heute auf sie aufzupassen… damit du mal wieder an die frische Luft kommst!“ Sie warf ihm einen gespielt strengen Blick zu, doch er ignorierte es und starrte hinunter aufs Dach des Rathauses. Da, wo er Anabelles Büro vermutete, waren unter dem Fenster Blumenbeete angelegt. Ob sie sie wohl selbst pflegte? Er versuchte, sich Anabelle bei der Gartenarbeit vorzustellen, schaffte es aber nicht. Sie wirkte nicht wie der Typ Frau, der sich um Blumen kümmerte. Aber was wusste er schon von ihr? Vielleicht mochte sie kein Fleisch, vielleicht hasste sie Gemüse. Vielleicht konnte sie nicht schwimmen, vielleicht hatte sie panische Angst vor Schnecken… Er hatte keine Ahnung. Und wahrscheinlich würde er es auch nie erfahren, weil er sie vorher umbringen würde. Er dachte an das Messer, das Luca Blight ihm gegeben hatte; es lag, eingewickelt in ein Stück Stoff, ganz unten in seinem Rucksack. Aber selbst ohne diese stetige Erinnerung würde er wohl nicht vergessen, wozu er zurückgekehrt war… „Ihr seid doch wohl nicht wegen der schönen Aussicht hier raufgekommen, oder?“ Jowy zuckte zusammen und hob den Blick, nur, um einen grinsenden Viktor neben sich vorzufinden, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und die Jugendlichen amüsiert betrachtete. „Äh“, machte Nanami ratlos. „Nein, wir…“ „Was ist hier los, Viktor?“, fragte Jowy, nachdem er sich dazu gezwungen hatte, sich zusammenzureißen. Gerade vor Viktor durfte er sich auf gar keinen Fall verdächtig verhalten… „Ach, ihr wisst das gar nicht?“, entgegnete der Bär verblüfft und lachte dann. „Heute treffen sich die Oberhäupter der Stadt-Staaten von Jowston. Der Hügel hier wird Jowston Hill genannt… daher nennt man die Sitzung Hilltop-Konferenz.“ „Dann ist aus allen fünf Staaten jemand Wichtiges gekommen?“, stellte Riou klar und Viktor nickte. „Genau. Aus Muse, South Window, Greenhill, Matilda und… was war es? … Hm, ich hab’s vergessen. Egal.“ Er lachte auf. „Jedenfalls sind alle da. Es sollte interessant werden.“ Jowy wusste zwar, dass es sich um das Fürstentum Tinto handelte, dass der Söldner da vergessen hatte, aber er verzichtete darauf, ihn darauf hinzuweisen. „Interessant?“, wiederholte Nanami mäßig überzeugt. „In deiner Welt oder in unserer?“ Viktor brach in lautes Gelächter aus, welches mehrere Menschen in ihrer Umgebung dazu veranlasste, sich zu ihm umzudrehen, dann zwinkerte er ihr zu und erwiderte: „Keine Sorge, ihr findet das sicher auch spannend. Wenn ihr mit mir kommt, kommt ihr bestimmt rein, die stellen sich dieses Mal ganz schön an mit den Sicherheitsbestimmungen. Als ob ein Highlander sich hier reinschleichen könnte… Nichts für ungut.“ „Schon gut“, winkte Riou ab und grinste. „Wissen wir doch.“ „Fein“, rief Viktor. „Das hier werdet ihr später noch euren Enkeln erzählen, da bin ich mir sicher.“ Irgendwie glaubte Jowy nicht, dass er lang genug leben würde, um seinen Enkeln auch nur irgendetwas zu erzählen, geschweige denn, dass er überhaupt welche haben würde. Aber er sagte nichts und folgte stumm Viktor, der sich bereits wieder in Bewegung setzte und einen Keil in die Menge trieb. „Da bin ich ja gespannt!“, hörte er Nanami noch sagen, dann ließen sie sich schweigend von dem Söldner bis zu einem der Eingänge des großen Ratsgebäudes führen. In der Türöffnung stand eine etwas gestresst wirkende Frau mit streng zurückgebundenen Haaren und einer harten Miene, die einen der Besucher nach dem anderen verscheuchte. „Nur Beteiligte dürfen jetzt noch hier durch“, erklärte sie ihnen gelangweilt über den Lärm der Menge hinweg, als sie endlich bei ihr angekommen waren. „Ich bin Viktor“, erklärte der Bär grinsend. „Söldneranführer und unter Vertrag mit der Stadt Muse. Die Kinder gehören zu mir, also lass uns rein.“ Die Frau seufzte und pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn, die sich aus ihrem Haarknoten gelöst hatte, dann entgegnete sie, als er Anstalten machte, sich an ihr vorbei zu drängen: „Einen Moment mal. Zeigt mir einen Beweis für Eure Identität.“ „Hä?“, gab Viktor irritiert von sich. „Schau dir mein Gesicht an, Schätzchen! Mein Gesicht ist ja wohl genug Beweis für meine Identität!“ Er deutete auf die Narbe unter seinem rechten Auge, doch die Frau zuckte nur die Achseln und sagte: „Tut mir leid, aber das genügt nicht. Bitte geht.“ „Was?!“ Jowy sah zwischen der Frau und dem wütenden Söldneranführer hin und her und öffnete bereits den Mund, um Viktor davon abzuhalten, irgendeinen Fehler zu machen, doch dann ertönte hinter ihnen Fliks Stimme: „Ich hoffe, dass du nicht schon wieder vorhast, deinen guten Trick zu benutzen, Viktor! Das hatten wir alles schon einmal.“ „Wer zum-?!“ Viktor fuhr schnaufend wie ein Stier zu dem anderen Söldner herum, doch als er ihn erkannte, milderte sich der Ausdruck auf seinem Gesicht zu einem beleidigten Schmollmund. „Ach, geh doch dahin, wo die Griffins leben, Flik!“ Flik legte den Kopf in den Nacken und lachte, doch bevor er etwas darauf erwidern konnte, rief die Frau vor dem Eingang: „Oh! Oh… Ist das… Seid Ihr wirklich…? S-Sir Flik?!“ Der Blaue Blitz runzelte die Stirn und antwortete: „Hm? Ja, aber was…?“ „Ihr… Ihr seid dieser Söldner!“, fuhr die Frau mit irgendwie leuchtenden Augen fort und trat einen Schritt näher. „Der, den sie… den Blauen Blitz nennen!“ Flik legte den Kopf schief und hob irritiert eine Augenbraue, dann ergriff ihn die Frau plötzlich an der Hand und erklärte: „Oh, ich habe ja schon so viel von Euch gehört! Ihr seid… Oh!“ Sie ließ ihn los und schlug sich stattdessen beide Hände vors Gesicht, während sie – wenn Jowy sich nicht sehr irrte – knallrot anlief. Sie brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen, dann gab sie den Eingang frei und sah Flik an, als wäre er die personifizierte Schönheit auf Erden. „Bitte“, hauchte sie. „Lasst Euch nicht aufhalten, Sir Flik… Ihr und Eure Freunde könnt natürlich durchgehen!“ Sie lachte seltsam hoch und nervös und winkte die kleine Gruppe durch. Nachdem sie einen langen Flur betreten hatten, der vollständig mit blankpoliertem Marmor ausgekleidet war, sodass man Angst haben musste, etwas dreckig zu machen, drehte sich Viktor halb zu der Tür um, die sich hinter ihnen geschlossen hatte, und warf dann Flik einen misstrauischen Blick zu. „Sag mal“, brummte der Bär missmutig, „wie kommt es, dass sie mich nicht erkennt, aber dir beinahe einen Heiratsantrag gemacht hätte?“ „Woher soll ich das wissen?!“, entgegnete Flik entrüstet. „Als ob ich etwas dafür könnte!“ „Das kaufe ich dir nicht mehr ab“, sagte Viktor. „Jedes Mal, wenn wir irgendwohin kommen…“ Jowy lauschte dem Geplänkel der beiden – denn mehr war es nicht und er nahm ihre harmlosen Streitereien schon lange nicht mehr ernst – nur mit halbem Ohr. Seine Gedanken waren schon wieder ganz woanders. Was würde mit den beiden Söldnern passieren, wenn Muse fiel? Und überhaupt, wohin würden all die anderen gehen… wenn sie rechtzeitig entkamen? „Amtierende Bürgermeisterin von Muse – Lady Anabelle! Oberster Kanzler von Muse, Lord Jess!“ Er zuckte zusammen und starrte die rothaarige Bürgermeisterin und ihren Assistenten an, die gerade den großen Saal betraten, in dem er sich wiederfand. Die beiden traten durch die Tür gegenüber und gingen, ohne sich umzusehen, ans Kopfende eines langen Tisches, um sich dort niederzulassen. Jowy blinzelte und sah sich verwirrt um. Der Saal war riesig und auf den Rängen, die ein Stockwerk höher angebracht waren, saßen bestimmt Hunderte von Menschen. In der Mitte des Saals stand der große Tisch, an dem sich Anabelle und Jess niedergelassen hatten, und ihm gegenüber, halb unter den Rängen mit den anderen Zuschauern verborgen, befanden sich ein paar Stühle, auf denen kaum mehr Plätze frei waren. „Wir sollten unsere Besichtigung da hinten fortführen“, sagte Viktor und machte sich auf den Weg zu den Stühlen, um fünf nebeneinanderliegende zu besetzen; Flik folgte ihm und auch Riou und Jowy setzten sich in Bewegung, doch dann ertönte ein dumpfer Laut und Nanamis Aufschrei. Der Aristokrat fuhr zu ihr herum und sah, dass sie von einem beleibten älteren Mann zur Seite gestoßen war. Der Mann hatte kinnlanges, weißes Haar und einen Vollbart – und eine äußerst saure Miene. Er war in eine Rüstung gekleidet, über der er eine weiße Tunika mit einem Wappen und besticktem Saum trug; an dem dicken Ledergürtel hing ein großes Breitschwert. „Aus dem Weg, Mädchen!“, raunzte der Mann und schob sich an ihr vorbei, um zu Anabelles Rechten Platz zu nehmen. „Alter Widerling!“, zischte Nanami wütend, rieb sich den Ellenbogen und streckte dem Ritter die Zunge raus. „Pass doch auf, wo du hinläufst!“ „Verzeiht, Mylady“, meldete sich in diesem Moment ein junger Mann mit kurzen, rostroten Haaren zu Wort, der dem älteren Ritter gefolgt war, verbeugte sich tief vor der überrumpelten Nanami und gab ihr einen Handkuss. „Ich fürchte, mein Lord hat es etwas eilig. Vergebt uns bitte die Unannehmlichkeit.“ Er trug einen kurzen, roten Mantel über einem weißen Hemd, einen kurzen, violetten Umhang, der über einer Schulter festgemacht war, und eine weiße Hose; auch an seinem Gürtel hing ein Schwert, doch dieses war viel dünner und filigraner als das Breitschwert des weißen Ritters. „N-Nein“, stammelte Nanami und lief so rot an, dass sie seinem Mantel Konkurrenz machte. „Äh, i-ich meine… J-Ja! Natürlich…“ „Camus, was soll denn das?“ Ein zweiter junger Mann trat neben den ersten und seufzte schwer. Er hatte kurzgeschorenes, dunkelbraunes Haar und trug einen langen, blauen Mantel über einem weißen Hemd und einer weißen Hose – seine Hand lag auf dem Heft eines Langschwertes. Der rothaarige Mann – Camus – drehte sich amüsiert lächelnd zu seinem Kameraden um und erwiderte: „Ich erledige meine Pflicht als Ritter, Miklotov. Hast du etwas dagegen?“ „Oh“, wandte Nanami nervös und noch immer völlig rot im Gesicht ein. „Es… es ist schon gut, wirklich…“ „Das freut mich“, nickte Camus und schenkte ihr ein Lächeln. „Und jetzt entschuldigt mich bitte.“ „Beeil dich, Camus“, seufzte Miklotov erneut. „Es ist auch die Pflicht eines Ritters, pünktlich zu sein…“ Er verdrehte die Augen, als sein Gefährte Nanami noch zuzwinkerte, dann folgten die beiden dem missmutigen, weißgekleideten Ritter und ließen sich neben ihm nieder. Nanami drehte sich schwungvoll zu Riou und Jowy um und strahlte sie an. „Habt ihr das gehört?“, rief sie aufgeregt. „Er hat mich eine Lady genannt!“ Riou grinste und meinte: „Na los, komm schon. Setzen wir uns.“ Jowy nickte nur, dann beeilten sich die drei Jugendlichen, sich auf die freien Stühle neben Viktor und Flik zu setzen. „Gleich geht’s los“, flüsterte der Bär ihnen zu, „das gerade waren Gorudo, der Anführer der Matildaritter und Befehlshaber der Einheit der Weißen Ritter, und seine beiden Generäle Camus und Miklotov, die Befehlshaber der Roten und der Blauen Ritter.“ Gedankenverloren betrachtete Jowy das Profil der drei Männer, die beinahe desinteressiert auf ihren Plätzen saßen. Das also waren die Vertreter des Rittertums Matilda…“ „Generalbevollmächtigter der Stadt Two River, Lord Makai!“, ertönte wieder die Stimme des Ansagers und ein Mann von etwa 30 Jahren betrat den Saal. Er sah irgendwie unsicher aus. Die kurzen, blonden Haare waren nach hinten gebürstet und er trug ein weißes Gewand mit allerlei Verzierungen am Saum; es sah ein bisschen so aus, als wäre ihm die Kleidung zu groß… oder als wolle er sich darin verstecken. Der Mann nahm zu Anabelles Linken Platz und sah sich nervös um. „Amtierende Bürgermeisterin der Stadt Greenhill, Lady Teresa Wisemail!“ Eine junge Frau betrat den Saal; sie ging betont aufrecht, mit durchgedrücktem Rücken. Die langen, blonden Haare fielen seidig glänzend ihren Rücken hinab und sie trug einen langen, dunkelgrünen Rock und ein hellgrünes Oberteil mit kurzen Ärmeln, das vom Kragen abwärts mit grauen Verzierungen bestickt war. Ihre Hände steckten in langen, weißen Handschuhen. Ihr dicht auf den Fersen folgte ein grimmig dreinblickender Mann, dessen dunkle Augen den Saal scheinbar nach potentiellen Angreifern absuchten. Auf dem Kopf trug er einen gelben Turban, der seine Haare völlig bedeckte, und er war in einen orangen, ärmellosen Kampfanzug gekleidet, auf dessen Rücken eine stilisierte Spinne abgebildet war. An seiner Hüfte hing ein monströses Schwert, in dessen Heft ebenfalls eine Spinne eingelassen war. Jowy schauderte und dachte daran, dass Millie nun sicher schreiend die Flucht ergriffen hätte… Teresa warf den Zuschauern auf den Rängen ein Lächeln zu, dann setzte sie sich neben Miklotov; ihr Leibwächter oder was auch immer der Mann war, blieb mit verschränkten Armen hinter ihrem Stuhl stehen. „Bürgermeister der Stadt Tinto, Lord Gustav!“ Der Mann, der nun den Saal betrat, blieb Jowy am meisten wegen seiner dunklen, buschigen Augenbrauen in Erinnerungen. Seine kurzen, braunen Haare fielen ihm in ein paar Strähnen ins Gesicht und er trug einen hellblauen, offenen Mantel über einem weißen Hemd, das er in eine schwarze Hose gestopft hatte. Hoch erhobenen Hauptes und irgendwie arrogant wirkend marschierte er zu dem Platz neben Makai und ließ sich dort nieder. „Aufgeblasener Sandsack“, glaubte Jowy Viktor murmeln hören, aber er wusste nicht genau, ob er es sich nicht nur einbildete. „Bürgermeister der Stadt South Window, Lord Granmeyer!“ Das zweifellos älteste Mitglied des Senats von Jowston betrat den Saal und lächelte den Zuschauern freundlich zu. Granmeyer war weit über sechzig, ging jedoch noch immer aufrecht und durchaus selbstsicher. Das halblange, bereits ergraute Haar lag erstaunlich ordentlich und er trug eine sandfarbene Uniform unter einem kurzen, hellblauen Umhang. Deutlich besorgt setzte sich der ältere Herr neben Teresa und legte ihr eine Hand auf die Schultern, ehe er leise mit ihr zu reden begann. „Kommandant der Streitkräfte von Muse, Lord Hauser!“, rief der Ansager und an ihm vorbei hastete ein dunkelhäutiger Mann mit kurzen, schwarzen Locken, der eine blaue Militäruniform trug. Ohne lange zu zögern oder jemanden zu beachten, setzte sich der Mann neben Gustav und sah erwartungsvoll zu Anabelle und Jess hinüber. Damit waren alle Plätze der Tafel belegt. Anabelle erhob sich von ihrem Platz, sah sich um und rief dann laut: „In Übereinstimmung mit der Vereinbarung des Stadt-Staatenbunds von Jowston erkläre ich die Hilltop-Konferenz hiermit für eröffnet!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)