Another Side, Another Story von _Kima_ (The Traitor's Tale) ================================================================================ Kapitel 3: Heimreise -------------------- Kapitel 3: Heimreise Sein Plan war eigentlich, so schnell wie möglich zurück nach Kyaro zu gelangen, um den Staat und damit die Söldner hinter sich zu lassen, doch als er ein paar Stunden nach Sonnenaufgang einen Blick auf Rious wehleidiges Gesicht warf, fiel dieser Plan in sich zusammen. „Was ist denn?“, fragte er verwirrt. Sie waren seit einigen Stunden unterwegs und bisher sah es nicht so aus, als würde sie jemand verfolgen… aber andererseits konnte man sich nie sicher sein. Die Jungen folgten der Straße nach Norden, die zum Tenzaan-Gebirge führte, und ganz in ihrer Nähe erkannte Jowy eine Abzweigung nach Osten. Rious Blick war gerade dorthin gewandert und der junge Aristokrat runzelte die Stirn. „Nichts“, antwortete Riou jedoch, seufzte und wandte den Blick von der Abzweigung ab, „Alles in Ordnung.“ Er schien sich zu bemühen, den traurigen Ausdruck auf seinem Gesicht zu vertreiben, doch es gelang ihm nicht. Überhaupt nicht. Und Jowy konnte nicht anders als zu grinsen, weil er genau wusste, worin das Problem lag… hauptsächlich, weil er zurzeit selbst daran litt. „Wenn du Hunger hast, dann sag es doch einfach“, schmunzelte er. Riou blickte ihn zuerst verblüfft an, dann lächelte er schwach und murmelte: „Ich frage lieber gar nicht erst, woher du das schon wieder weißt.“ Jowy warf einen Blick auf die Abzweigung und fragte: „Dort drüben ist ein Dorf, nicht wahr?“ „Das Dorf Ryube, ich wurde von den Söldnern dorthin geschickt“, erklärte Riou und seufzte dann, „Aber können wir es uns überhaupt leisten, jetzt anzuhalten?“ Er sah über seine Schulter zurück in die Richtung, aus der sie kamen. „Vielleicht nicht“, erwiderte Jowy langsam, „aber in einer Menschenmenge können wir uns besser vor ihnen verstecken.“ „Hm“, machte der Jüngere nachdenklich, dann hellte sich sein Gesicht merklich auf, als die beiden Jungen sich nach Osten wandten. Verglichen mit dem Dorf Toto war Ryube fast schon groß. Es lag direkt am Rande eines Waldes und ganz in der Nähe der Tenzaan-Berge, fast schon idyllisch in seiner Ruhe. Trotz der frühen Stunde befanden sich bereits Menschen auf den Straßen und als die Jungen das Gasthaus erreichten, bei dem sie zu frühstücken gedachten, hielten sie inne, als sie ganz in der Nähe eine Menschenmenge sahen. „Was ist da los?“, fragte Riou und reckte den Hals. Jowy tat es ihm gleich, konnte jedoch außer Hinterköpfen nicht allzu viel erkennen. Plötzlich stob inmitten der Menge eine Flamme in die Luft und die Leute brachen in Applaus und Jubel aus. Verwirrt wechselten die Jungen einen Blick, ehe sie näher traten und sich in der Menge weit genug nach vorne schoben, um wenigstens ein bisschen zu sehen. Die Menschen standen in einem Halbkreis um den Dorfplatz, in dessen Mitte ein großer Baum stand, herum; ihre Aufmerksamkeit galt drei Personen, zwei Mädchen, die Jowy auf irgendwo in seinem Alter schätzte, und einen jungen Mann, der sowohl groß als auch muskulös war. Er hatte kurzes, blondes Haar und trug lediglich einen blauen Lendenschurz. Dieser junge Mann war es, der gerade tief Luft holte und plötzlich erneut eine meterhohe Flamme in den Himmel spuckte. „Bravo!“, jubelte jemand neben Jowy auf, während ein kleiner Junge vor ihm begeistert schrie: „Wie macht er das?“ Das fragte sich der Blonde allerdings auch. Sein Blick wanderte zu einem der Mädchen; sie saß an einem Tisch und legte mit ernstem Blick aus dunklen Augen einer Frau gerade Karten. Sie hatte langes, schwarzes Haar und trug, so weit Jowy es erkennen konnte, ein schwarzes Kleid mit einem um die Hüfte geschlungenen grünen Seidentuch. Das andere Mädchen hatte kurze schwarze Haare und ebenso dunkle Augen wie die andere junge Frau und er fragte sich zwangsläufig, ob sie Schwestern waren. Sie trug ein schwarzes, ärmelloses und bauchfreies Oberteil und eine kurze, schwarze Hose und auch um ihre Hüfte war ein Seidentuch geschlungen, dieses war allerdings rot. Beide Mädchen hatten stark sonnengebräunte Haut und wirkten irgendwie, als wären sie nicht von hier. Das Mädchen mit den kurzen Haaren klatschte gerade für den blonden jungen Mann und lächelte breit, dann rief sie mit lauter, klarer Stimme: „Okay, und nun zu unserer nächsten Vorführung! Dazu brauchen wir einen Freiwilligen!“ Zahlreiche Hände um Jowy schossen hoch und er sah sich verblüfft um. Irgendetwas sagte ihm, dass die meisten Männer, die sich gerade meldeten, dies nicht wegen dem jüngeren Mädchen taten, sondern eher wegen ihrer älteren Gefährtin, die in diesem Moment aufblickte und dem Publikum ein geheimnisvolles Lächeln schenkte. „Mal sehen“, fuhr das kurzhaarige Mädchen fort, während ihr Blick über die Menge schweifte, „Okay, du da!“ Verblüfft sah Jowy, dass sie direkt in seine Richtung zuhielt. „Ja, du dort drüben!“, rief sie noch einmal und einen Moment lang befürchtete er, dass sie ihn meinte, obwohl er sich gar nicht gemeldet hatte, da die Leute vor ihm einen Weg für die Schaustellerin freimachten, doch sie blieb stattdessen vor Riou stehen und betrachtete ihn eingehend. „Ähm, was?“, murmelte dieser ein wenig überfordert, während das Mädchen um ihn herumging und schließlich in die Hände klatschte und verkündete: „Wundervoll! Du hast die richtige Größe und ziemlich gutaussehend bist du auch. Komm mit! Beeilung! Los!“ Ohne Riou eine Chance zu lassen, sich zu wehren oder zumindest etwas zu sagen, ergriff sie ihn am Knoten seines Halstuches und schleppte ihn mehr oder weniger hinter sich her. „H-Hey!“, rief Jowy ihnen hinterher, während er sich weiter nach vorne drängte, um eine bessere Sicht auf das zu haben, was sie mit seinem besten Freund vorhatte, „Riou!“ „Keine Sorge, du bekommst ihn heil wieder“, grinste sie ihm über die Schulter hinweg zu, zwinkerte und Riou demonstrativ zum Baum in der Mitte des Platzes schob. „Willkommen zu unserer Hauptattraktion!“, rief der männliche Schausteller mit einem überraschend leisen Stimme, „Äähm… Hier ist sie! Unsere… messerwerfende Expertin!“ Dies schien nicht nur in Jowys Ohren ein wenig falsch zu klingen, da besagte messerwerfende Expertin sich wütend zu ihm umdrehte und etwas zischte, das der junge Aristokrat nicht verstand. Dann korrigierte der Schausteller seine Ansprache: „Hier ist sie! Die wunderschöne und berühmte Messerwerferin Eilie! Weidet eure Augen an ihrem bezaubernden Gesicht und Körper!“ Die Menge applaudierte, während das Mädchen, das in diesem Moment Wurfmesser aus einer kleinen Tasche zutage förderte, die scheinbar unter ihrem Hüfttuch verborgen war, sich verbeugte. Währenddessen stand das andere Mädchen von ihrem Platz hinter dem Tisch auf und ging zu Riou hinüber. Sie schien ihm etwas ins Ohr zu flüstern und als dieser plötzlich unnatürlich blass wurde und mehr als verschreckt aussah, machte sich Jowy sofort noch mehr Sorgen als ohnehin schon. Er hatte ein verdammt schlechtes Gefühl bei dieser Sache. Das ältere Mädchen machte ein paar Schritte zurück, um Eilie freie Bahn zu machen, während der junge Schausteller eine Melone auf Rious Kopf positionierte. Oh nein. Sie würden doch nicht…! „Los geht’s!“, rief Eilie entschlossen, holte mit einem Wurfmesser weit aus und – warf. Das Messer traf die Melone genau in der Mitte und Jowy atmete erleichtert aus. Die Menge applaudierte wieder, doch anstatt Riou gehen zu lassen, wechselte der blonde Schausteller die Melone durch einen Kürbis aus und trat zurück. Wieder zielte Eilie, holte aus, warf und traf das Ziel wieder genau in der Mitte. Erneut brandete Applaus auf und erneut wurde das Ziel auf Rious Kopf ausgetauscht, der genauso nervös aussah, wie Jowy sich fühlte, als ein Bund dreier Bananen auf seinen Kopf gelegt wurde. Ein drittes Mal traf jedoch das Messer sein Ziel und das Publikum begann zu jubeln. „Hast du das gesehen?“, rief ein kleiner Junge irgendwo in der Nähe des Blonden begeistert, „Sie hat die Banane erwischt!“ Nun… nun würde es doch sicher zu Ende sein, richtig? Sie hatte nicht vor, etwas noch Kleineres auf Rious Kopf abzustellen, oder…? Seine Hoffnungen wurden jäh enttäuscht, als der blonde Schausteller, der dank seiner Größe und Masse Riou völlig verdeckte, plötzlich zurücktrat und alles, was auf Rious Kopf zurückblieb, ein kleiner, unscheinbarer Apfel war. „Im Namen aller Runen!“, rief Jowy panisch, „Ihr könnt doch nicht…!“ „Nein, lass sie werfen!“, wurde er von einer älteren Dame unterbrochen, die sich zwar schwer auf einen Gehstock stützte, jedoch von der Vorstellung begeistert zu sein schien, „Ich will sehen, ob sie dem Jungen den Schädel spalten kann!“ „Was?!“, heulte der Blonde beinahe auf, doch bevor er noch weiter protestieren konnte, um seinen besten Freund vor dem Tod durch ein Wurfmesser zu retten, hob die ältere Schaustellerin beide Hände und rief: „Ich bitte um Ruhe im Publikum! Sonst könnte der Wurf daneben gehen.“ Jowy wurde blass und verstummte sofort und auch Riou wirkte von dieser Aussicht nicht besonders beruhigt. Eilie schien tief durchzuatmen, dann zielte sie länger als bei den anderen Würfen und warf. Instinktiv schloss Jowy die Augen und öffnete sie erst wieder, als die Menge um ihn herum in ohrenbetäubenden Jubel ausbrach. Er blickte zu Riou hinüber, der unglaublich erleichtert schien, als man ihm endlich den Apfel vom Kopf nahm und er sich wieder bewegen durfte. Eilie lief zu ihm, drehte sich zum Publikum um, nahm seine Hand und verbeugte sich tief. „Vielen Dank!“, rief sie strahlend, „Danke, dass wir hier auftreten durften!“ Das Publikum applaudierte und Jowy fiel in den Applaus ein, mehr aus Erleichterung denn aus wirklicher Begeisterung – obwohl er einräumen musste, dass Eilies Künste mit dem Wurfmesser beeindruckend waren. „Wirklich toll!“, jubelte auch der junge Schausteller breit grinsend, „Einen großen Applaus, bitte!“ Eine Weile applaudierte die Menge noch, dann begannen die Menschen langsam, sich zu verstreuen, da die Vorstellung offensichtlich beendet war. Eilie beugte sich zu Riou hinüber und schien in etwas zu fragen, woraufhin er nickte und freundlich lächelte. Daraufhin winkte der blonde Schauspieler Jowy zu und rief: „Hey du! Du darfst auch helfen!“ „W-Was…?“ „Danke, dass ihr uns geholfen habt“, sagte die langhaarige Schaustellerin schließlich zu den Jungen, nachdem alle Sachen der Schausteller sicher in einem großen Handkarren verstaut waren, „Das war wirklich nett von euch.“ „Nicht der Rede wert“, erwiderte Riou und lächelte. „Wir sind reisende Schausteller“, erklärte das ältere Mädchen, „wie ihr sicher bemerkt habt. Ich bin Rina.“ „Ich bin Eilie“, stellte sich die jüngere ebenfalls vor, „Wir sind Schwestern und er hier ist unser kleiner Bruder.“ „Bolgan“, nickte der blonde Schausteller und Jowy runzelte die Stirn. „Klein?“, wiederholte er. Rina kicherte und erklärte: „Bolgan ist jünger als Eilie und ich. Er ist einfach nur sehr groß für sein Alter.“ „Ich bin Jowy“, stellte der junge Aristokrat sich nach kurzem Zögern ebenfalls vor und lächelte den dreien zu, „und das ist mein bester Freund Riou.“ „Nett, euch kennen zu lernen“, nickte dieser und lächelte wieder. „Seid ihr von hier?“, fragte Rina, „Es ist ein schönes Dorf.“ „Nein, wir sind… Reisende“, antwortete Jowy, nachdem er beschlossen hatte, dass dies eigentlich nicht einmal gelogen war, „Wir sind auf dem Weg nach Kyaro, in Highland.“ „Oh, Highland“, rief Eilie begeistert aus, „Dahin sind wir auch unterwegs.“ „Wir haben schon alle Dörfer in der Umgebung abgeklappert“, fügte Rina hinzu, „Es ist Zeit für eine Abwechslung. Aber… hmm…“ „Was ist?“ Riou runzelte die Stirn, doch bevor die Schaustellerin antworten konnte, fuhr Eilie sie an: „Ich hab dir doch gesagt, dass es kein Problem sein wird! Mach dir wegen diesem sogenannten Nebelmonster keine Sorgen, ich bin ja da!“ Rina sah nicht sonderlich überzeugt aus und Jowy fragte verwirrt: „Was für ein Nebelmonster?“ Die Schausteller wechselten einen Blick, dann erklärte Rina: „Um von hier aus nach Highland zu gelangen, muss man den Nord-Sperlingspass nehmen. Aber in letzter Zeit halten sich hartnäckige Gerüchte darüber, dass dort oben ein furchtbares Nebelmonster leben soll. Ein paar der Menschen hier haben gesagt, sie hätten es mir eigenen Augen gesehen…“ „Wenn du mich fragst, ist das alles völliger Blödsinn“, verkündete Eilie überzeugt und schnaubte, „Die Gerüchte werden wahrscheinlich von Highland selbst verbreitet, um die Staatler zu erschrecken.“ Riou und Jowy sahen einander kurz an. Der junge Aristokrat war sich völlig sicher, niemals etwas von einem Nebelmonster gehört zu haben und immerhin hatte er ein halbes Jahr in den Tenzaan-Bergen verbracht… „Hey“, sagte Rina plötzlich und lächelte zuversichtlich, „wenn ihr Jungs auch nach Highland geht, warum gehen wir nicht gemeinsam?“ Jowy überlegte kurz und nickte dann: „Ja, von mir aus. Was sagst du dazu, Riou?“ Der Jüngere schien ebenfalls nachzudenken, dann grinste er breit und sagte: „Es ist mir eine Ehre, mit so hübschen Damen zu reisen.“ „Du Schmeichler“, kicherte Rina vergnügt, schien sich über das Kompliment jedoch zu freuen. Eilie sagte nichts, sondern wurde nur rot, und Jowy begnügte sich damit, die Augen zu verdrehen. „Vielen Dank, ihr beiden“, murmelte Eilie schließlich mit hochrotem Kopf und Bolgan beschränkte sich grinsend auf ein bloßes: „Bolgan glücklich.“ Dann ergriff er die Griffe des Handkarrens und machte Anstalten, sich in Bewegung zu setzen, als Riou sich leise und plötzlich verschüchtert zu Wort meldete: „Bevor… bevor wir aufbrechen, könnten wir vielleicht vorher… etwas essen?“ Das kleine Grüppchen erreichte den Nord-Sperlingspass gegen Nachmittag und zwar ohne jegliche Spur von Verfolgern. Vielleicht war es den Söldner ja tatsächlich egal, ob ihre Gefangenen entflohen waren? Die drei Schausteller hatten einige interessante Geschichten zu erzählen und Jowy stellte fest, dass er die drei gern mochte. Es waren fröhliche, junge Menschen und waren von ihrem Lebensstil derart überzeugt und begeistert, dass er sie fast ein wenig beneidete. Immerhin wussten sie genau, was sie mit ihrem Leben machen wollten. Der Pfad, den sie entlanggingen, wurde jedoch schon bald von zwei Soldaten versperrt, die den Weg zu bewachen schienen. Ganz in ihrer Nähe befand sich ein kleines Häuschen – eine Wachstube, wie Jowy stark vermutete – und sie trugen die typische Uniform der Armee des Staates. „Halt!“, rief einer der Männer, als die fünf in Hörweite kamen, „Vor euch liegt die Grenze zum Königreich Highland. Auf Befehl von Bürgermeisterin Anabelle von Muse ist der Zutritt niemandem gestattet. Bitte geht den Weg zurück, den ihr gekommen seid.“ „Aber wir müssen zu-“, begann Jowy, hielt dann inne und korrigierte sich, „Ich meine, wir müssen unbedingt nach Highland.“ „Tut mir leid“, erwiderte der andere Soldat kopfschüttelnd, „aber wir haben unsere Befehle. Außerdem hält sich das Gerücht, dass dort oben ein Nebelmonster leben soll und wir hatten noch keine Zeit, dies nachzuprüfen. Also kann ich euch so oder so nicht durchlassen.“ „Könnt Ihr nicht dieses eine Mal eine Ausnahme machen?“, fragte Eilie und sah die beiden Männer flehend an. Doch der, der zuerst gesprochen hatte, schüttelte den Kopf: „Nein, tut mir leid.“ „Biiitteee“, bat nun auch Bolgan, doch der Soldat seufzte nur und sagte: „Nun kommt schon, Kinder, ich habe euch doch gesagt, dass ihr nicht durchkönnt. Warum geht ihr nicht nach Hause?“ Ja, genau das hatte Jowy vor, auch wenn er es diesem Mann besser nicht auf die Nase band. „Hm“, räusperte sich Rina unerwarteterweise von hinten und alle wandten sich überrascht zu ihr um, „Herr Captain? Könnte ich kurz mit Euch sprechen? Unter vier Augen, meine ich.“ „Huh?“, gab der Mann verwirrt von sich und nickte dann, „Ja, sicher…“ „Hier rüber“, winkte Rina und verschwand dann im Dickicht einiger Bäume. Die beiden Soldaten – und auch die vier zurückgebliebenen Jugendlichen – wechselten einen Blick, dann zuckte der offensichtlich ranghöhere Offizier die Achseln und folgte der Schaustellerin zwischen die Bäume. Jowy sah ihnen verwirrt hinterher. Was im Namen der Runen hatte sie vor? Etwa zehn Minuten später kam Rina zurück. Sie wirkte vergnügt und hatte leicht rötliche Wangen, was angesichts der leichten Frische in den Bergen etwas seltsam war. Ihr folgte in einiger Entfernung ein hochroter Soldat, was Jowy noch mehr stutzen ließ. Was in aller Welt…? „Also gut“, nuschelte der Mann, „geht. Aber versprecht mir, dass ihr euren Mund haltet.“ „Huh…?“, gab der junge Aristokrat verwirrt von sich, da ihn der plötzliche Sinneswandel irritierte. „Aber natürlich“, nickte Rina mit einem seltsam verführerischen Lächeln, „Macht Euch da keine Sorgen.“ „Rina“, sagte Eilie langsam und sah sie skeptisch an, „was hast du…?“ „Wenn dieser nette Herr sagt, dass wir gehen können, dann sollten wir sein nettes Angebot annehmen“, flötete ihre Schwester, zwinkerte den beiden Soldaten noch einmal zu und tätschelte Bolgan den Arm, um ihn zum Weitergehen zu bewegen. Dann schritt sie zufrieden an den Soldaten vorbei. Stirnrunzelnd – und vielleicht sogar ihr Glück nicht ganz fassen könnend – folgten die anderen ihr. Sobald sie außer Hör- und Sichtweite der beiden Staatssoldaten waren, ergriff Jowy Rina jedoch am Arm und fragte: „Was hast du mit ihm gemacht, Rina?“ Sie lächelte jedoch nur geheimnisvoll und antwortete leise: „Nichts. Wir hatten lediglich ein Gespräch unter Erwachsenen. Los, kommt schon.“ Stirnrunzelnd und mehr als verwirrt ließ sie den jungen Aristokraten zurück und schritt weiter voran. „Mach dir nichts draus“, seufzte Eilie, die neben ihm stehen geblieben war, „Ich glaube, so genau möchte ich es gar nicht wissen.“ Die Dunkelheit brach plötzlich herein, viel früher als erwartet, und mit ihr kam der Nebel. Es wurde merklich kälter und sie beeilten sich, ein Lager aufzuschlagen und ein Lagerfeuer zu entzünden, um sich daran wärmen zu können. Jowy hüllte sich enger in die Decke, die Eilie ihm gegeben hatte, und atmete den Duft der Suppe, die Bolgan gerade in einem kleinen Kessel köcheln ließ, tief ein. „Kann ich euch eine Frage stellen?“, erkundigte sich Riou, der dankbar eine Tasse Tee von Rina entgegen nahm, „Wenn ich das richtig verstanden habe, seid ihr beide und Bolgan nicht verwandt. Wie habt ihr euch kennen gelernt?“ Zumindest so viel hatte Jowy inzwischen auch herausbekommen. Eilie setzte sich und lächelte, dann erklärte sie: „Rina und ich haben unsere Eltern früh verloren und waren seitdem immer auf Reisen. Als wir uns zum ersten Mal gesehen haben, hat Bolgan in einem Zirkus in den Graslanden gearbeitet.“ „Aber er wurde dort schlecht behandelt“, fuhr Rina fort, „deshalb haben wir ihm vorgeschlagen, mit uns wegzulaufen.“ „Er wollte nicht“, sagte Eilie, „Könnt ihr euch das vorstellen? Er wollte dort bleiben und seine Schulden abbezahlen.“ „Das hat er dann gemacht und wir haben ihm geholfen“, schloss ihre ältere Schwester bei der Erinnerung lächelnd, „und seitdem sind wir gemeinsam unterwegs.“ „Ich schätze mal, dass ihr viel erlebt habt“, vermutete Jowy und nahm einen Schluck von dem heißen Tee, von dem die Schausteller schworen, dass er gegen jede Kälte wirkte, und die Schwestern nickten. Dann fragte Eilie: „Und was wollt ihr in Kyaro?“ „Wir leben dort“, antwortete Riou leise, „aber wir haben gedacht, dass wir es besser nicht an die große Glocke hängen sollten.“ „Aber der Krieg ist doch vorbei?“, erwiderte Rina. Jowy nickte langsam und zögerte einen Moment, entschied sich dann aber wiederum dagegen, den wahren Hintergrund ihres Aufenthalts im Staat Dritten zu offenbaren. Schließlich sagte er: „Das schon, aber das Vertrauen zwischen Highland und dem Staat ist noch immer zerrüttet. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis der Frieden nicht mehr nur auf dem Papier herrscht.“ Die Schwestern schwiegen betroffen, dann öffnete Eilie den Mund, doch sie kam niemals dazu, etwas zu sagen. Denn in diesem Moment verdichtete sich der Nebel plötzlich und abrupt um das kleine Lager und aus den Schwaden bildete sich eine monströse Gestalt wie aus Jowys schlimmsten Albträumen. Es war gute drei Meter groß und seine gierigen roten Augen glühten im Dunkeln. Bevor auch nur einer von ihnen zu einer Waffe greifen konnte, schrie das Nebelmonster ohrenbetäubend auf und aus der Mitte der Schwaden schossen plötzlich zwei krallenbesetzte Klauen. Genau auf Jowy zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)