Mülldeponie von ElefantenFee ================================================================================ Kapitel 1: Ermordert gemordet ----------------------------- Drei Wörter habe ich Dir gesagt. Du hast nur gelacht und mit Deinem Finger auf mich gezeigt. Jetzte knie ich vor Dir und weine für Dich. Meine Hände zittern. Rotes Blut klebt an der Wand. Ich würde schreien, aber ich kann es nicht. Ein Röcheln von Dir. Du schaust mich an. Entsetzt, verwirrt mit Schmerz in den Augen. Ich halte die kleine Engelsstatue in meiner Hand. Sie weint Blut. Ich kann Dich nicht verstehen. Tränen rollen meine Wangen hinab. Ich sage Dir nocheinmal, dass ich Dich liebe. Du atmest tief ein. Du atmest aus. Und Du lachst. Zum letzten Mal. Ich versuche Dich zu berühren. Leere. Ich schaue in Deine Augen. Weiß und leblos. Du bist so schön. Ich liebe Dich. Ich will Dich küssen und kann es nicht. Du starrst mich an. Kein Wort sagst Du zu mir. Hass schlägt mir entgegen. Er trifft mich hart. Es war doch keine Absicht. Ich weine und flehe Dich an: „Verlass' mich nicht!“ Du zeigst keine Reaktion. Stehst einfach nur so da. Weißer Nebel um Dich rum. Du siehst aus wie ein Engel. „Du hast mich umgebracht“, sprichst Du jetzt. Du greifst in meine Brust. Nimmst mein Herz und gehst. Kapitel 2: Ich, dein Glück - MS Wichtel für jamey ------------------------------------------------- Silvester 2009, fünf vor zwölf. Dirk schaute zu Rod, der traurig auf den Boden sah: „Komm', Du kannst auch ohne Jan feiern.“ „Mit ihm wäre es schöner“, seufzte Rod. „Lass' uns raus gehen. Feuerwerk lenkt ab.“ Rod zuckte mit den Schultern und verließ mit Dirk die Wohnung. Gemeinsam liefen sie durch den kleinen Vorgarten zur Straße. Die ersten, bunten Lichtblitze zuckten über den Himmel. „Hi, Jan“, sagte Dirk. Rod blickte auf. Jan stand lächelnd vor ihm. Schweinsohren auf dem Kopf, eine Stupsnase im Gesicht. Jan grinste: „Hallo Schatz, darf ich dieses Jahr Dein Glücksschwein sein?“ Kapitel 3: Genommen ------------------- Kommen und gehen. Bleiben war keine Option. Ich sehe dich an. Ich vergesse die Welt um mich herum. Ich berühre dich. Ich atme deinen Duft. Wir küssen uns. Ich stehe kurz vor der Ohnmacht. Ich liebe dich. Ich will dich nicht gehen lassen, aber ich muss. Ich kann dich nicht aufhalten. Ich kann dich nie aufhalten. Ich weiß nicht wie du fühlst. Ich weiß nicht was du willst. Es ist eine Qual. Es zerreißt mich jedes Mal. Wenn ich dir ein letztes Mal in die Augen sehe. Sie funkeln mich an. Das Lächeln, das über dein Gesicht huscht. Kaum zu erkennen, aber ich weiß es ist da. Du hast dir genommen was du willst. Ich bin den Tränen nahe als du den letzten Knopf an deinem Hemd schließt. Du wirst mich wieder vergessen für eine ganze Zeit. Du lässt mich alleine. Du ziehst deine Schuhe an. Ich sitze auf dem Ran des Bettes und warte. Ich warte darauf verlassen zu werden. Ich will das Gefühl nicht wieder erleben müssen, aber es führt kein Weg daran vorbei. Deine Hand legt sich unter mein Kinn. Sanft drückst du mein Gesicht nach oben. Ich schaue dich an. Ich kann nicht anders. Liebevoll streichst du mir über die Wange. Es lässt mich schaudern. Diese Zärtlichkeit kann nicht echt sein. Ich halte es kaum aus. Du hauchst mir einen Kuss auf die Lippen. Wir berühren uns kaum. „Mach's gut, Dirk“, sagst du. „Jan, geh' nicht.“ Du lächelst zufrieden. Deine Hand verschwindet von meiner Haut. Du verlässt das dunkle Hotelzimmer. Ich fange an zu warten. Ich warte auf dich. Wie ich es jedes Mal mache. Alleine. Keiner da, der mir hilft. Keiner da, der mir die Hand reicht und mich von dir wegziehen kann. Niemand der mich aus meiner Lethargie holen kann. Ich ziehe mich an. Ich fühle mich schmutzig. Ausgenutzt und fallen gelassen. Ich stehe auf und schließe das Zimmer hinter mir ab. Unten erfahre ich, dass wir die Stunde überschritten haben. Ich zahle den fälligen Betrag und verlasse das Haus. Gehe heim. Ohne dich. --- --- --- Die Tage ziehen an mir vorbei. Ich bekomme kaum etwas mit. Ich gehe einkaufen. Ich esse. Ich trinke. Irgendwann sitze ich an meinem Schlagzeug. Ich habe es in den Keller gestellt nach dem Umzug. Ich brauche es kaum noch. Wie in Trance beginne ich zu spielen. Höre kaum was ich mache. Ich schaue Fernsehen. Ich gehe duschen. Ich lebe nur noch vor mich hin. Jede Minute zieht sich wie Stunden. Tage fühlen sich an wie Jahre. Ich gehe kaum noch weg. Ich ertrage die Menschen nicht mehr. Wie sie lachen. Wie sie reden. Wie sie mich berühren wollen. Ich schotte mich ab. Ich bin gerne alleine. Ich brauche auch niemanden. Niemand außer dir. Ich sehe dich vor mir. Immer wieder. Lachend. Ich fühle deine Berührungen noch Tage danach. Manchmal meldest du dich schon am nächsten Tag wieder, manchmal auch erst nach zwei Wochen. Ich warte einfach. Ich weiß auch gar nicht wie ich dich erreichen soll. Jedes Mal kommt deine Nachricht von einer anderen Nummer. Ich frage mich wie du das machst. Eine Antwort kriege ich nie, denn ich frage ich. Es sind fünf Tage vergangen. Ich habe mit niemanden gesprochen. Ich habe mir eine Flasche Wasser geöffnet und trinke sie. Nach und nach. Kleine Schlucke. Es wird dunkel. Der Tag ist vorbei. Ich träume von dir. Die von der fast verschwundenen Sonne orange leuchtenden Wolken am Himmel sehen aus wie du. Eine lacht. Eine weint. Sie erinnern mich an früher. An die Zeit in der wir gemeinsam Spaß haben konnten. Die Zeit bevor die Band zerbrach. Das Telefon piept. Ich nehme es in die Hand. Drücke zwei Knöpfe, dann erscheint die Nachricht. Selber Ort, selbe Zeit. --- --- --- Ich bin pünktlich. Der Mann am Schalter kennt mein Gesicht. Traurig sehe ich ihn an. Erwartungen habe ich keine an den Abend. Ich zahle das verlangte Geld, diesmal will er gleich für zwei Stunden bezahlt werden. Ich widerspreche nicht. Ich widerspreche nie. Egal wem. Ich gehe auf das Zimmer. Du hast dich nicht mehr gemeldet seit der Nachricht. Es ist der selbe Ablauf wie immer. Seit es vor drei Jahren begonnen hat. Ich weiß nicht mehr wie es dazu kam. Ich will es vielleicht auch gar nicht wissen. Da klopft es an der Tür. Ich hänge meine Jacke über den alten, dreckigen Stuhl. Versuche noch das Licht anzumachen, aber die Glühbirne brennt durch. Ein Schlag und das Zimmer wird nur noch halbherzig von der Straßenlaterne auf der Straßenseite gegenüber beleuchtet. Wortlos öffne ich dir Tür. Blonde Haare. Glitzernde Augen. Das weiche Gesicht. Diese roten Lippen. Du schenkst mir ein Lächeln und betrittst das Zimmer. Ich sage nichts. Ich schaue dich nur an. Ich sehe dir zu wie du deine Jacke über meine legst, deine Schuhe ausziehst und dich zu mir drehst. Wie es mir geht, willst du wissen. Ich zucke nur mit den Schultern. Wie soll es mir schon gehen? Meine Welt ist gerade in Ordnung. Wie du so vor mir stehst. In deinen schwarzen Kleidern, die ich dir gleich ausziehen darf. Ich betaste vorsichtig dein Gesicht. Ich fühle nur Wärme. Du ziehst mich zu dir, beginnst mich zu küssen. Eine wohlige Wärme durchzieht mich als eine Hand sich meine schwarzen Haare vergräbt und die Andere schon meine Hose öffnet. Ich will nicht, dass es zu schnell geht. Aber ich sage nichts. Ich lasse dich machen. Du bist derjenige, der das Sagen hat. Du bestimmst die Regeln, den Ort und die Zeit. Du erreichst mich und nicht ich dich. Wir reden nicht. Wir küssen uns nur. Deine Berührungen sind wie Feuer. Irgendetwas ist zwischen uns, ich weiß es. Ich kann mir nur nicht erklären was. Du hast mich mit aller Vorsicht auf das Bett gelegt. Ich kann deine weichen Haare zwischen meinen Finger spüren. Ich kann deine warme Haut auf meiner spüren. Ich kann nicht verstehen, dass du mich nicht liebst. Du bist so sanft und vorsichtig. Du bist doch so ein herzensguter Mensch und spielst nur mit mir. Wir rollen über das Bett. Ich liege auf dir. Ich darf ein paar Minuten so tun als hätte ich die Oberhand. Als würde ich sagen was wir tun. Du gibst mir das Gefühl wichtig zu sein. Ich streiche über deinen Hals. Du bäumst dich unter mir auf. Ich werde verrückt. Ich liebe dich so sehr. Die Welt dreht sich im Kreis. Dein Atem auf meinem Gesicht. Du stöhnst. Ich löse mich von dir und schaue in deine Augen. Sie sind geweitet. Oh Gott, wie schön du bist. Deine Hände liegen auf meinen Armen. Du atmest so laut. Es ist fast ein Röcheln. Du willst mich wegdrücken. Ich kann meine Hände nicht von deinem Hals lösen. Tonlos formen deine Lippen meinen Namen. Das schummrige Licht von draußen legt dein Gesicht in einen silbernen Glanz. Es macht dich nur noch schöner. Dein Druck auf meine Arme ebbt ab. „Ich liebe dich“, flüstere ich und lächele dich an. Du keuchst. Ich spüre deinen Atem nochmal auf meinem Gesicht. Warm. Pfefferminz. Ich glaube es kaum. Du bist mein Leben. Ich will nicht das du gehst. Deine Hände gleiten an meinen Armen hinab. Deine Bewegungen hören auf. Dein Atem stockt. „Verlass' mich nicht“, sage ich. Endlich löse ich meine Finger von deinem Hals. Deine Augen starren mich an. Ich fahre voller Liebe mit meinen Fingerspitzen über deine Lider und schließe deine Augen. Kapitel 4: Aneinander vorbei ---------------------------- Aneinander vorbei Du weißt nicht... ...was ich fühle Du weißt nicht... ... was ich brauche Du weißt nicht.... ... was ich will. Du kennst nur,... ... Deine Gef0hle. Du kennst nur,... ... Deine Bedürfnisse. Du weißt nur,... ... was Du willst. Dirk, denkst Du... ... dass Du mich kennst? Dirk, denkst Du... ... dass Du mich brauchst? Dirk, denkst Du... ... dass Du mich willst? Ich weiß nicht,... ... Jan, hast Du heute schon an mich gedacht? Ich weiß nicht,... ... Jan, hast Du heute schon jemand gebraucht? Ich weiß nicht,... ... Jan, hast Du heute schon das Verlangen gehabt,... ...mich zu sprechen? ...mich lachen zu sehen? ... mich lachen zu hören? ... mich an zu schauen? .... mich zu berühren? ... mich zu küssen? Du sollst es wissen,... Ich muss es Dir sagen,... ...ich liebe Dich! ...ich liebe Dich! Kapitel 5: Warten ----------------- Ich bin aufgestanden, habe mir Frühstück gemacht und bin auf die Terrasse um dort zu essen. Der Toast schmeckt alt und ist schon ziemlich trocken. Die Butter rettet kaum etwas, auch die Marmelade hilft nicht sehr. Mit dem heißen Kaffee kann ich die nicht kleiner werden wollenden Toastbrocken runter spülen. Der Kaffee verbrennt mir die Zunge. Ich höre dem Radiomoderator zu. Er ließt monoton seine Liste mit den Staumeldungen ab. Drei Kilometer, vier Kilometer und acht Kilometer. Stockender Verkehr wegen einer Autopanne, der Wagen steht ungesichert auf der rechten Spur. Er beginnt vom Wetter zu reden. Ich blicke in den Himmel. Noch ist es dunkel. Die Sonne klettert nur ganz langsam am Horizont hervor. Einige Wolken versperren ihr den Weg. Ich kann den kommenden Regen riechen und doch soll es warm werden. Es wird ein normaler Tag. Wie immer eben. Ich werde alleine sein und auf etwas warten, das mir seit Tagen ein unangenehmes Ziehen im Magen verursacht. Im Haus gegenüber geht ein Licht im oberen Stockwerk an. Es ist das Badezimmer, ich erkenne das an dem Milchglasfenster. Mein Nachbar ist erwacht. Er hat die selben blonden Haare wie du, nur seine Augen sind nicht so schön. Er ist ein netter Kerl und er grüßt jedes Mal wenn wir uns auf der Straße begegnen. Meine Hand greift nach dem Mobiltelefon, das ich mit raus genommen habe. Es ist immer bei mir seit du weg bist. Ich schaue drauf und warte. Warte auf die SMS, die mir sagt, dass du an mich denkst. Die volle Papiertüte lag schwer auf meinem Arm, aber ich traute den Griffen, die natürlich auch aus Papier waren, nicht. Einmal war mir der Griff gerissen. Der Einkauf hatte sich auf dem Parkplatz verteilt. Doch ich hatte Glück, denn du warst dabei. Du bist den Orangen nachgelaufen und hast jede Einzelne wieder eingesammelt. Die Cornflakes und die Konserven hatten es überstanden ohne großen Schaden zu nehmen. Der Saft in der Plastikflasche war noch einmal in die Luft gesprungen und hatte sich dann mit einem dumpfen Aufprall dazu entschlossen doch lieber ein bisschen im Kreis zu kullern bevor er vor meinen Füßen liegen blieb. Ich habe so laut geflucht, dass eine Mutter mich mit tödlichen Blicken bedachte und ihr Kind hastig mit sich zog. Die Eier hatte es zerschlagen. Sie hatten keine Überlebenschance. Genau so wenig das Glas mit dem Senf. Als gelber Fleck klebte er auf dem Parkplatzboden. Durch und durch versetzt mit Glassplittern. Du bist bepackt mit Orangen und einem nicht enden wollenden Lachen wieder zu mir zurück gekommen. Seitdem nehme ich die Papiertüten lieber gleich auf den Arm. Ich öffnete den Kofferraum und legte meinen Einkauf in den Wagen. Als sich die Heckklappe wieder schloss stand ich schon neben der Autotür. Ich sah mich um. Die Leute trippelten durch die tiefen Pfützen, die das einzige Überbleibsel des schweren Regenguss vor wenigen Minuten waren, und blickten mit sorgenvoller Miene gen Himmel. Er war hellblau und wunderschön. Es schien als wäre das Wasser aus dem Boden gequollen. Ich setzte mich ins Auto und öffnete das Handschuhfach. Kalt liegt das Handy in meiner Hand. Ich schaue drauf und warte. Warte auf die SMS, die mir sagt, dass ich dir fehle. Ich habe gerade die Spülmaschine angestellt. Laut rattert sie, dann scheint sie kurzfristig den Geist aufzugeben als plötzlich mit einem Rauschen das Wasser eingepumpt wird. Ich schließe den Kühlschrank und nehme die Flasche Wasser mit in mein Arbeitszimmer. Die Schreibtischlampe brennt und erhellt die Arbeitsplatte des Schreibtisches mit grellen, weißen Licht. Ich lasse noch den Rollladen runter bevor ich mich auf den Bürostuhl setze und mich zu dem Papierstapel drehe, der auf der rechten Seite des Tisches liegt. Das oberste Blatt ziehe ich runter. Einzelne Worte, durchgestrichene Sätze und spontane Gedanken, die ich in Stichworten aufgeschrieben habe. Das Papier, das schon in der Mitte des Tisches lag, fügt alles von meinem Notizzettel zusammen. Hier ergibt alles einen Sinn. Der Text handelt von Liebe, von Hoffnung und ich will ein gutes Ende oder vielleicht ein offenes Ende. Die Melodie dazu habe ich schon im Kopf. Ich werde mich bald daran machen sie mit den Instrumenten aufzunehmen. Mein Diktiergerät kennt sie schon. Ich habe sie summend aufgenommen als sie mir plötzlich auf dem Rückweg vom Supermarkt eingefallen ist. Sie war so perfekt und vollständig, dass ich Angst hatte sie zu vergessen. Ich bin rechts ran gefahren, habe das alte Aufnahmegerät unter dem Beifahrersitz in einer Ablage gefunden und sofort alles aufgenommen. Es liegt jetzt sicher auf dem Regal über mir in einem Faltordner, der eigentlich Zettel und Briefe enthalten sollte. Ich halte den Stift nur wenige Millimeter über dem Papier, das den angefangen Song davor bewahrt vergessen zu werden. Immer wieder fliegt mein Blick von den Notizen zum begonnen Text und wieder zurück. Jeglicher Sinn scheint verflogen. Ich finde keinen Anfang, ich sehe keine Mitte und das Ende ist wie ausgelöscht. Es entlockt mir ein verzweifeltes Seufzen. Offensichtlich ist heute kein guter Abend zum Arbeiten. Ich will nach dem Wasser greifen und etwas trinken. Mir einen Moment gönnen um mich zu sammeln und nochmal von vorne anzufangen. Stattdessen fühle ich das kühle Plastik meiner Handyhülle. Ich schaue drauf und warte. Warte auf die SMS, die mir sagt, dass du mich liebst. Es ist spät geworden. Ich habe das Lied fertig bekommen. Und ich habe es dir gewidmet. Es ist anders geworden als ich gedacht habe. Irgendwie fröhlicher, nicht so melancholisch wie ich es erwartete. Es ist voller Hoffnung und voller Wünsche. Es drückt meine Sehnsucht aus und es ist nur für dich. Ich denke nicht, dass ich es jemals veröffentlichen werde. Es ist dir und mir. Es ist wie ein kleines Geschenk für dich. Es ist einfach viel zu privat. Als ich es beendet habe und es noch einmal gelesen habe, hat es mir sogar ein kleines Lächeln in das Gesicht gezaubert. Danach habe ich die Schreibtischlampe ausgemacht und bin in mein Schlafzimmer gegangen. Ich habe meine Hose ausgezogen und sie über die Stuhllehne gehängt. Das Hemd legte ich darüber. Einen kurzen Augenblick lang sah ich die Sterne am Himmel als ich am Fenster stand. Sie erschienen mir wie kleine Blitze, dann verschwanden sie hinter den grauen, verdreckten Platten des Rollladen. Das Zimmer wurde noch von der Lampe an der Decke erhellt. Ich schlug die Bettdecke zurück. Es war himmlisch als ich mich auf die weiche Matratze legte. Sie passte sich meinem Rücken an und die absolute Entspannung durchfuhr mich. Ich fühlte mich gut. Ich hatte meine Arbeit erledigt und konnte mit dem Gefühl von ein wenig Stolz schlafen gehen. Meine Finger glitten über den Lichtschalter neben meinem Kopf. Es wurde dunkel um mich herum. Der Kleiderschrank knackte und eine wohlige Wärme breitete sich aus als ich die Decke über mich zog. Ich rollte mich zusammen, blickte in das Dunkle. Obwohl ich mich entspannte und das Liegen genoss, spürte ich die Einsamkeit. Ich wollte dich jetzt gerne hier haben. Ich wollte dich in den Arm nehmen und vielleicht auch küssen. Gerne wäre ich mit dir eingeschlafen, aber du warst eben nicht hier. Es war verwirrend sich so gut zu fühlen und gleichzeitig dieses Verlangen nach dir zu haben. Du bist mein ein und alles. Ich nehme mein Handy in die Hand und schaue drauf. Es klingelt. Ich lese die SMS, die mir sagt, dass es keinen Sinn mit uns hat. Kapitel 6: Liebe ist Kunst -------------------------- Ich lachte laut und hob mein Glas. Fest stieß das Glas meines Gegenübers an meines an und wir tranken die braune Flüssigkeit, die brennend meinen Hals hinab floss. Die Uhr zeigte gleich halb vier am Morgen. Ich fühlte mich gut, denn ich war betrunken. Der Alkohol hatte einen dichten Nebel über meine Gedanken gelegt und ließ mich vergessen was mich bedrückte. Das fehlende Geld, die viele Arbeit und die vielen Absagen. Nur das Konzert heute Abend war ein voller Erfolg gewesen. Immerhin eine handvoll der fünfzig oder sechzig Besucher des Clubs waren wegen uns gekommen. Sie hatten gefeiert, lauthals mitgesungen und hingen mir an den Lippen wenn ich etwas erzählte. Ich fühlte mich wie Gott. Irgendwer füllte mein Glas erneut. Auch das ging schon den ganzen Abend so. Ich glaube sogar, dass ich noch nicht einen Drink selbst zahlen musste. Ich fand das richtig so, denn ich war hier der Star. Ein älterer Mann mit Schirmmütze auf dem Kopf, die jedem mitteilte, dass er begeisterter Opel Fahrer war, legte seinen Arm um mich und begann zu singen. Ich verstand kein Wort von dem was er mit tiefer Stimme gröhlte, aber ich legte meinen Arm um ihn und lallte mit. Meine langen, schwarze Haare flogen durch die Gegend als er mich mit sich zog und plötzlich anfing headbangend sein Getränk über den Boden zu verteilen. Die Mädchen um mich herum feuerten uns an. In ihren engen, bunten Hosen sahen sie verlockend aus. Der wenige Stoff, der ihre Oberweite bedeckte, hätte ich um den Verstand bringen sollen. Aber ich sah immer wieder den blonden Haarschopf, der in einer Ecke des Ladens saß. Ganz ruhig, so als ginge es ihn alles nichts an. Als wäre er gar nicht hier. Er saß mit dem Rücken zu mir. Er tat es immer so. Er wartete und hielt sich aus allem raus. Er wollte kein Spielverderber sein also setzte er sich lieber in die ruhige Ecke. „Bela!“, brüllte mir wer ins Ohr. Dann klatschte mir wer auf den Rücken. Schon fast zu fest und ich ergoss den Whiskey aus dem Glas auf die Hose eines Mädchens. Sie schreckte zurück, sah mich an und begann zu lachen. Sei alles nicht so schlimm, sagte sie und verschwand doch kurz darauf auf der Toilette. Ich löste mich aus dem Pulk, der mich umgab. Vorher hatte ich noch nach einer Zigarette gefragt. Sechs Stück wurden mir hingehalten. Eine davon nahm ich dankend an. Der Rauch schlängelte sich zwischen meinen Fingern durch als ich sie nach unten hielt um niemanden ein Loch in die Kleider zu brennen. Der Blondschopf saß noch immer reglos auf seinem Stuhl und schien Löcher in die Wand starren zu wollen. Ich stellte mein leeres Glas auf den Tisch. „Hey Jan“, sagte ich. „Hey“, sagst du. „Alles klar?“ „Ja.“ „Willst du gehen?“ „Lass' dich nicht vom Feiern ab halten.“ „Nein, das ist schon okay.“ Du zuckst nur mit den Schultern und nimmst dir die Jacken, die neben dir auf dem Stuhl liegen und gibst mir dann meine. Ich ziehe sie über und trete kurz die Zigarette aus, die ich habe fallen lassen. Ein Mädchen schleicht sich von der Seite an. Ich sehe sie aus den Augenwinkeln. Sie stellt sich vor dich, kurz bevor wir die Tür erreichen. „Nimm' mich mit“, sagt sie zu dir. Ihre Stimme ist verrucht und sie fordert es mehr als das sie darum bittet. „Nicht heute“, ein mitleidiges Lächeln schenkst du ihr. Wir verlassen den Laden. Die Leute rufen uns zu dass wir bleiben sollen. Einige pfeifen weil wir gehen. Es stört uns nichts. Es ist genug für heute Abend. Mir bläst kalter Wind in das Gesicht. Die Luft schmeckt alt und klebrig. Das kommt vom Alkohol. Schweigend laufen wir nebeneinander die Straße entlang. Jugendliche überall. Sie halten ihre Bierflaschen wie Trophäen in die Luft, schreien und jagen sich gegenseitig. Sie sind betrunken und sie feiern es wie Wilde. Ich stolpere, du fängst mich auf. Ich sehe dich nur kurz an, aber ich erkenne dein Grinsen. Dann schlägt die Welle der Übelkeit über mir zusammen. Sie kommt plötzlich, wenn auch nicht unerwartet. Sie ist schnell und sie ist unaufhaltsam. Ich drehe mich von dir weg, halte mich an der Straßenlaterne fest die ich zu fassen kriege und übergebe mich. Ein paar Jugendliche sehen es und beginnen zu jubeln. Mehr wollen sie sehen. Nicht aufhören. Ich würge und schmecke den bitteren Alkohol, der eben noch so herrlich gerochen hat. Jetzt wird mir bei dem bloßen Gedanken an ein weiteres Glas nur noch schlechter. Da legt sich deine Hand in mein Genick. Sie ist kühl und nimmt mir den Schmerz, den ich immer fühle wenn ich mich übergeben muss. Deine andere Hand liegt auf meiner Schulter, sie drückt mich ganz leicht. Es dauert ein paar Minuten, aber dann endlich, beruhigt sich mein Magen. Seine Turnübungen scheinen vorbei zu sein. Ich spucke auf den Boden. Ein Mal, zwei Mal, drei Mal. Erst dann wische ich mir über die Augen und blinzele in das Licht der Laterne, die jetzt in einer Pfütze steht. Dein Arm legt sich um meine Hüfte. Du ziehst mich zu dir. Ich lehne mich an deine Schulter und auch ich lege meinen Arm um dich. Langsam, Schritt für Schritt, gehst du so mit mir über die Straße in Richtung unserer Wohnung. Ich habe die Augen geschlossen, lasse mich von dir führen. Denn ich vertraue dir blind. „Ich liebe dich“, sage ich. „Ich weiß“, antwortest du. Kapitel 7: Weihnachten 2012 im Hause BB/FU ------------------------------------------ Es hat den ganzen Tag geschneit und scheint einfach kein Ende nehmen zu wollen. Bis zu den Knöcheln geht Farin der Schnee schon. So albern er sich auch gerade vorkommt, so froh ist er doch die braunen Stiefel an zu haben. Sie sind dick gefüttert und der weiße Kunstpelz am oberen Rand schließt den Schuh sicher ab. Seine Füße sind mollig warm. Im Nachhinein hätte er die zwei paar Socken gar nicht gebraucht, aber ahnte, dass das hier kein leichter Spaziergang werden würde und er wollte auf Nummer sicher gehen. Er hatte auch extra einen Straße weiter geparkt damit Bela sein Auto nicht sehen konnte, sollte er durch eine dumme Idee auf den Gedanken kommen aus dem Fenster zu gucken. Doch schon beim Aussteigen war ihm der Wind ins Gesicht geschlagen. Er fühlte sich an wie unzählige kleine Mückenstiche, beißend und bitterkalt. Eigentlich fand er es schon schlimm genug, dass er die viel zu große, rote Hose zu Hause hatte anziehen müssen. Er hatte sich fest vorgenommen, die Jacke und die Handschuhe erst anzuziehen wenn er es in Belas Haus geschafft hatte. Doch nur der Pullover reichte ihm nach wenigen Sekunden schon nicht mehr. Er hatte die Jacke vom Rücksitz genommen und versuchte mit kalten Fingern, die ihm sicher gleich abfrieren würden, die großen Knöpfe zu zumachen. Es kostete ihn einiges an Zeit und Mühe. Auch die Jacke hatte den weißen Fellbesatz, selbst um die Knöpfe herum. Es machte ihm das Verschließen nicht leichter. Erst als er die Jacke ganz zu hatte zog er sich die Handschuhe über. Sie waren ebenfalls weiß und, im Gegensatz zu der Hose und der Jacke, recht klein. Sie standen mit der Eigenheit sehr alleine da. Es war das letzte Kostüm im Laden gewesen. Weihnachtsmänner waren gerade sehr begehrt und er hatte keine Wahl gehabt. Immerhin hatte ihm der Verleiher noch ein altes Paar Hosenträger geben können. Wirklich wohl fühlte er sich nicht, wie er so als bartloser Weihnachtsmann auf der Straße stand mit kratzender Hose, zu kleinen Handschuhen und den ungewohnten Hosenträgern, die über seinen Schultern lagen. Den Bart steckte er vorerst in die Tasche seiner Jacke. Völlig zum Idioten wollte er sich dann doch nicht machen. Die Mütze hielt er noch in der Hand. Die Lichter des Wagens leuchteten einen Moment auf als er den Knopf auf seinem Schlüssel drückte und den Wagen damit verriegelte. Schlurfend ging er über den Bürgersteig. Es dauerte keine zwei Minuten bis ein Kind vor ihm stand. Mit hochgezogenen Augenbrauen stand der Kleine vor ihm: „Wo ist dein Bart?“ Er fühlte sich überrumpelt: „In meiner Tasche.“ Es war eine blöde Antwort, das wusste er. Aber was hätte er sagen sollen? Zudem schaute der Bartzipfel aus seiner Tasche. Das Weiß war durch den dunkelroten Hintergrund seines Kostüms kaum zu übersehen. Farin erwartete ein weinendes Kind, das den Glauben an den Weihnachtsmann am Heilig Abend verlor. Stattdessen überlegte der Junge einen Moment bevor er sagte: „Den solltest du dir aber dran machen. Du siehst blöd aus ohne den Bart.“ Frech grinste der Junge ihn an bevor seine Beine in die Hand nahm und durch den Garten, durch den er gekommen war, zurück in das Haus seiner Eltern rannten. Farin sah ihm nach. Erschrocken stellte er fest, dass er die Eltern kannten. Es waren Belas Nachbarn. Lächelnd standen sie in der Haustür und sahen ihn. Die Mutter winkte. Farin griff nach dem Bart, winkte kurz damit und zog sich das fusselige Etwas über das Gesicht. Der Gummi, der den Bart halten sollte, war etwas groß. Ganz offensichtlich hatte der durchschnittliche Weihnachtsmann einen größeren Kopf als er. Jetzt konnte er sich auch vollends zum Affen machen. Er zog die Mütze über und warf den weißen Bommel von deren Ende, der vor seiner Nase hin und her schwang, nach hinten. Er hatte sich schon beim Anziehen zu Hause die Frage gestellt warum er das tat und die Antwort war ganz einfach. Bela war ein Kindskopf, ob er es freiwillig zugeben würde oder nicht, und er liebte dieses Kind, das erst vor einigen Tagen seinen fünfzigsten Geburtstag hinter sich gebracht hatte. Mit holprigen Schritten stapfte er über den Weg, den Bela eigentlich hätte frei räumen sollen. So hinterließ er nur gut sichtbare Fußabdrücke und es erschwerte seinen Weg um das Haus. Die Welt machte es ihm manchmal nicht einfach ein guter Freund zu sein. Er hoffte, dass Bela wenigstens nicht wider seiner Gewohnheit die Balkontür im ersten Stock zugemacht hatte. Durch den Kamin käme er nie. Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre er stecken geblieben, wenn er in diesem Aufzug dadurch wollte. Zudem endete der Kamin sowieso nicht im Wohnzimmer mit der üblichen Feuerstelle. Jetzt musste er aber erst am Wohnzimmer vorbei kommen, das eine große Fensterfront zum Garten hin hatte. Vorsichtig sah er um die Ecke. Das Zimmer war hell erleuchtet, aber von Bela war nirgends eine Spur zu sehen. Der Fernseher lief, auf dem Couchtisch stand ein blinkender Weihnachtsbaum aus Plastik. Er musste irgendwo im Haus sein, das war Farin klar. Er wollte nicht gesehen werden sondern seinen großen Auftritt haben. Da sah er den kleinen Schatten im Flur umher huschen. Er nutzte seine Chance, hüpfte mehr als er lief am Fenster vorbei. Selbst die verdammten Stiefel waren ihm zu groß. Rutschend kam er vor der pflanzenlosen Rankhilfe, die seit ewigen Zeiten an einem Teil der Hauswand hing, in Augenschein. Alt und wackelig, aber der einzige Weg zum Balkon. Ihm fiel die Tür ins Auge. Guter Gott danke, dachte Farin. Die Tür war auf. Bela saß vor dem Computer. Er langweilte sich beinahe zu Tode während er sich durch das Internet klickte. Musik, Nachrichten, nackte Menschen in anzüglichen Posen die für Kaffee oder eine Telefonfirma warben. Die wenigen Internetforen, die er nutzte, waren überschwemmt mit Bildern von betrunkenen, Witze erzählenden und weiblichen Weihnachtsmännern. Letzteres meist nur spärlich bekleidet und mit einem Glöckchen um den Hals. Es war jedes Jahr das Selbe und es waren jedes Jahr die selben Bilder, die ihre Runden drehten. Nichts davon amüsierte ihn. Er griff lieber nach dem Glas Wein, das er neben sich stehen hatte und lehnte sich dabei zurück. Draußen muss es eiskalt sein, vermutete er. Die Sonne hatte sich den Großteil des Tages hinter dicken Wolken versteckt, die mehr als genug Schnee da gelassen hatten. Das Schlimme daran war, dass es noch immer schneite und wenn man den Vorhersagen glauben durfte würde sich das in den nächsten Tagen wohl auch nicht ändern. Nur heute Morgen hatte er sich raus gewagt, extra früh um den Weihnachtschaos am vierundzwanzigsten Dezember zu entgehen. Trotz dicker Winterjacke und tief ins Gesicht gezogener Mütze hatte er gefroren und war heilfroh als er nach rund einer Stunde wieder in die eigenen vier Wände gekommen war. Es war die beste Idee, die er in den letzten Tagen hatte, so früh zu gehen. Der Supermarkt war noch fast leer gewesen und er konnte sein Geld schnell an der Kasse lassen. Er brauchte auch gar nicht so viel. Er verbrachte die Weihnachtstage alleine. Ein paar Tüten Chips und ein paar Fertiggerichte, für die er nur die Dose öffnen brauchte. Damit sollte er über die Feiertage kommen ohne bei einem Lieferdienst anrufen zu müssen. Zumal er befürchtete, dass sein Stammlieferant zu hatte. Das war die letzten Weihnachten immer so gewesen. Das einzig wirklich Teure, das er sich gegönnt hatte, waren die beiden Flaschen Wein. Die wollte er heute Abend leeren. So könnte er morgen lange schlafen und müsste nicht so viel an Farin denken. Er war eh derjenige, der ihm seine schlechte Laune bescherte. Wie schon die drei Jahre zuvor hatte er seine Sachen pünktlich am Zwanzigsten gepackt und sich von ihm verabschiedet. Er mag doch keine Weihnachten und kalt sei es auch. Er ist in zehn Tagen wieder zu Hause und mit einem zurückersüßen Ich liebe dich hatte er das Haus verlassen. Etwas mehr als drei Jahre waren sie nun zusammen und nicht ein Weihnachten hatten sie gemeinsam verbracht. Nur weil Farin sich jedes Jahr aus dem Staub machte. Er wolle lieber in Urlaub und, sofern es Bela nichts ausmachen würde, auch gerne alleine. Sie gaben doch sowieso beide nicht viel auf diesen heilige Nacht Quatsch. Das erste Mal war Bela noch geknickt gewesen, aber er hatte zugestimmt. Das zweite Mal hatte er damit gerechnet und auch nicht weiter etwas gesagt. Dieses Jahr war es Routine gewesen, aber er hatte zu spät darüber nachgedacht, was er an Weihnachten machen wollte. Familie und Freunde hatten sich selbst über das Land verteilt. Kaum einer war zu Hause und wenn doch hatten sie selbst familiären Besuch. Da wollte er sich nicht selbst zu einladen. Blieb er eben zu Hause. Er hätte Farin ebenso gut bitten können hier zu bleiben, aber es war das Einzige um das er jedes bat. Mit einem Blick als könne er keiner Fliege was zu Leide tun und mit einer Sehnsucht in den Augen, die Bela zeigte, wie wichtig es für Farin zu sein schien. Also ließ er ihn gehen und saß alleine vor dem Weihnachtsbaum. Er überlegte sich, sich an zu ziehen und einen Spaziergang durch die leeren Straßen zu machen. Doch das Wetter und der pfeifende Wind hielten ihn davon ab. Dann waren da noch die vielen hellen Fenster durch die er in die Häuser schauen und glückliche Pärchen sehen konnte. Auch darauf konnte er getrost verzichten. Er lächelte seinem Rotwein zu. „Wir sind Freunde bis zum Ende“, versprach er der roten Flüssigkeit und trank noch einen Schluck. Dabei nahm er sich fest vor wenigstens mit Farin über diese Sache zu reden. Vielleicht gab es die Möglichkeit einen Kompromiss zu finden. Sollte er eben vor Weihnachten weg fahren. So alleine war es doch irgendwie unschön. Er fühlte sich allein gelassen. Er wollte nur einmal mit seinem Freund gemeinsam den Abend vor dem Fenster verbringen, kuschelnd und vollgefressen vom Weihnachtsessen. Würde man sich dann noch bewegen können hätten sie die Geschenke auspacken können. Zwar schenkten sie sich offiziell nichts, da sie theoretisch beide hatten was sie wollten, aber eine Kleinigkeit für den Anderen hatten sie bisher immer angeschleppt. Egal ob zum Geburtstag, Weihnachten oder ihrem Jahrestag. Es war wahrscheinlich überall so. Wenn er so darüber nach dachte, war das alles furchtbar kitschig und eigentlich auch viel zu romantisch, aber mit Farin würde er es ausprobieren. Der blonde Hüne hatte ein Gefühl dafür diese Augenblicke zu etwas Speziellen zu machen, dass gerne auch jeglichen Kitsch verschwinden ließ. Ihm wurde wieder bewusst, dass er im abgedunkelten Arbeitszimmer saß und in den Bildschirm vor sich starrte. Ein Rentier starrte zurück. Aus dem unteren Stockwerk drang die Stimme des Moderators aus dem Fernseher. Er drückte den Monitor aus, nahm sich die Flasche und das Weinglas, und verließ das Arbeitszimmer. Den Computer selbst ließ er an. Mit Sicherheit würde er irgendwann wieder nach oben gehen und sich nochmal dran setzten. Zu tun gab es ja sowieso nichts. Vorher aber würde er versuchen eine Weile lang mit den alljährlich kommenden Weihnachtsfilmen zu beschäftigen. Viele von ihnen waren alt und schlecht, aber mit ein bisschen mehr Wein sicher ein guter Zeitvertreib. Langsam stieg er die Treppen runter. Da fiel es ihm schlagartig ein. Er hatte den Weihnachtsbaum vergessen, den er sich heute früh im Supermarkt geholt hatte. Klein, absolut hässlich, aber völlig ausreichend. Er stellte den Wein auf die Ablage der Garderobe an der er gerade vorbei ging. Er hatte das Plastikbäumchen, das etwa die Größe eines Telefonhörers hatte, auf einem Wühltisch gefunden. Nach dem er es an der Information auf seine Funktion hatte prüfen lassen, hatte er es gekauft. Er dachte kurz nach. Es musste mit den Dosen in die Abstellkammer gewandert sein. Dort fand er es auch. Die Batterien waren das Teuerste an dem Bäumchen und sie taten ihren Dienst. Als er den Schalter unter dem Baum drückte begannen kleine Fäden, die um das grüne Plastik gewickelt waren, in allen erdenklichen Farben zu blinken. Weihnachtlich war es nicht, aber mit ein bisschen Fantasie reichte auch das. Er stellte den Baum auf den Couchtisch und betrachtete sich das Meisterwerk an weihnachtlicher Dekoration. „Passt schon“, sagte er zu sich selbst. Er drehte dem Zwergengewächs aus Plastik und Gummi den Rücken zu um den Wein aus dem Flur zu holen. Er machte es sich jetzt auf der Couch gemütlich, mit oder ohne Farin. Sollte der Volltrottel doch am Meer ersaufen oder von der Sonne gar gebraten werden. Vielleicht schlief er ja in der Sonne ein und kam krebsrot zurück oder es biss ihn wenigstens ein Fisch in den Fußzeh. Irgendwas in der Art gönnte Bela seinem Freund nur allzu sehr. Vielleicht brachte ihn so etwas ja auf den Gedanken an Weihnachten nicht mehr weg fahren zu müssen. Schnaufend hing Farin am Balkongeländer. Gerade noch hatte er das Gitter erwischt als unter ihm eine der kleinen Querstangen der Rankhilfe weggebrochen war. Mit einem Satz hatte er sich in Sicherheit gebracht und die Augen der gebrochenen Stange folgen lassen bis sie lautlos im Schnee verschwunden war. Er durfte nicht daran denken wie er jetzt aussehen musste. Ein viel zu dürrer Weihnachtsmann, dem der Bart verrutscht war, dessen Mütze ihm über ein Auge hing und der sich nur mit Mühe und Not am Geländer festhalten konnte, weil er sich das Lachen über des Wissens dieser saublöden Aktion verkneifen musste. Er wünschte sich weg. Wäre er bloß in Urlaub gefahren. Zu allem Übel fror er auch noch. Verzweifelt versuchte er den Bommel der Mütze nach hinten zu pusten. Es kostete ihn eine Unmenge an Kraft sich soweit hochzuziehen, dass er das Bein über das Geländer schwingen konnte. Er schluckte den Schmerzensschrei als einer der Hosenträger sich dabei von der Hose löste und unter der Jacke auf seine Schulter zurück schnallte. „Gott.. verdammt!“, zischte er. Die Fliesen unter ihm waren rutschig. Die recht dünne Schneeschicht, die vor einigen Tagen hier gelegen hatte, hatte sich in blankes Eis verwandelt und war kaum sichtbar unter der Masse an Neuschnee. Er hielt sich am Geländer fest bis er festen Boden unter den Füßen hatte. Erst als er die Balkontür hinter sich geschlossen hatte, Bela würde er es wohl nicht mehr angewöhnen können, das auch mal zu machen, zog er die Mütze wieder gerade und zupfte sich den Bart zurecht. Er hatte Fussel im Mund und versuchte nicht daran zu denken bei wem der Bart auch schon im Mund gelandet war. Seine Schulter kribbelte noch immer unangenehm als er die Hose wieder am Träger befestigte und sie wieder an Ort und Stelle hielt. Als er die Tür des Gästezimmers öffnete konnte er den Fernseher hören. Das machte ihm die Sache leichter über die Treppen ungehört nach unten zu kommen. Bela war nirgends zu sehen, im Flur war stockdunkel. Aber er kannte sich hier aus. Auch er wohnte hier. Es dauerte nur wenige Sekunden bis er den Flur und die Treppen hinter sich gelassen hatte und im Türrahmen zum Wohnzimmer stand. Er fand seinen Freund in deine Decke gewickelt auf der Couch vor. In der einen Hand die Fernbedienung, in der anderen Hand ein Weinglas. Roter Wein schwappte darin umher. Das würde sicherlich gut sichtbare Flecken auf der Decke und der Couch geben. Nun ja, daran konnte er jetzt auch nichts mehr ändern. Gemerkt hatte Bela bisher noch nichts. Am Liebsten wären Farin noch eine ganze Zeit hier stehen geblieben und hätte ihm dabei zugesehen wie er scheinbar schmollend in den Fernseher starrte. Bunte Lichtpunkte tanzten in seinem Gesicht. Die mussten von diesem scheußlichen Plastikbaum auf dem Tisch kommen. Doch bevor Bela etwas merkte und er ihn hier nur plump herum stehen sah, nahm er die Sache besser selbst in die Hand. „Ho, ho, ho!“, rief er und trat freudestrahlend einen Schritt in der Zimmer. So, dass er im Licht stand. Bela schreckte zusammen. Das Glas fiel ihm aus der Hand und zersplitterte laut auf dem Holzboden. Wein spritze auf die Couch. „Heilige Scheiße“, keuchte er und rutschte auf der Couch soweit zurück bis er an die Armlehne stieß. „Warst du denn brav?“, Farins Stimme war laut und tief. „Jan?“, Bela zog die Augenbrauen hoch. Er zweifelte an seinem Verstand. Vielleicht war es doch schon ein Glas Wein zu viel. Farin lachte. Der Anblick war um einiges besser als erwartet. Er zog den Bart nach unten und lächelte seinem Freund entgegen. Bela glaubte immer noch nicht daran, dass Farin vor ihm stand. Er war in Urlaub gefahren, vor vier Tagen schon. Er kam im Leben nicht so früh zurück und schon gar nicht als Weihnachtsmann. Sein Griff, der sich in die Kissen des Sofas gegraben hatte, lockerte sich. Er suchte nach Worten. Doch das Einzige was ihm einfiel und Farin in Tränen ausbrechen ließ vor Lachen, war: „Wo ist dein Sack?“ --- Frohe Weihnachten! Kommt alle sicher und gut ins neue Jahr! Auf ein erfolgreiches 2013, wird schon werden. :) xoxo eFee Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)