Perlentaucher Weihnachtsmärchen 2009 von abgemeldet (~ Jeden Tag ein OneShot über Twilight zum Fest der Sinne ~) ================================================================================ Die Gedanken malen Bilder ------------------------- Da sind wir wieder mit unserem 8. Weihnachtsmärchen. Für heute hat sich unsere peggy etwas Besonderes einfallen lassen. Haltet die Taschentücher bereit ;) A/N: AU, Laurent ist auch nicht wiedergekommen, um auf Victorias Wunsch nach Bella zu sehen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich saß an dem kleinen Esstisch in der Küche. Meine Unterarme lagen auf der kalten Tischplatte und ich starrte auf den Stapel Blätter, die ich in meinen Händen hielt. Es war ganz normales Papier, sieben Seiten, zusammengehalten von einer silbernen Büroklammer. Weiße Zettel, bedruckt mit schwarzer Schrift. Buchstaben, verbunden zu Wörtern, bis sich ein Text ergab. Auf den ersten Blick deutete nichts darauf hin, was auf diesen Seiten geschrieben stand. Der Text sah nicht schlimm oder böse aus. Nichts kündigte mir den unheilvollen Inhalt an. Nichts hatte mich gewarnt. Es gab kein Zeichen, welches sagte, dass es besser wäre, diese Zeilen nicht zu lesen. Es gab keine Warnung, nicht den geringsten Anhaltspunkt, dass nun alles vorbei wäre. Jeder Andere hätte vielleicht angenommen, dass die Seiten, die zwischen meinen Fingern lagen, ganz normaler Papierkram wäre. Ein Schreiben von der Bank; ein Antrag auf Wohngeld, oder eine Studienbewerbung. Doch keiner von ihnen würde ahnen, dass diese Blätter mein Leben völlig verändern würden, es schon verändert hatten. Ich verstärkte den Druck auf das Papier und hörte das Rascheln der Seiten, die aufeinander rieben. Erste Knicke bildeten sich unter meinen Fingern und ich wendete meinen Blick von den Zeilen ab, ich wollte es nicht mehr sehen. Ich schaute an die Decke, um die Tränen, die sich schon wieder in meinen Augen bildeten, nicht überlaufen zu lassen. Ich wollte nicht weinen, viel zu oft hatte ich das in den letzten zwei Monaten getan. Ich blinzelte und merkte, wie sich doch eine Träne löste, doch es kümmerte mich nicht. Es war mir egal, keiner sah mich hier, niemand wurde Zeuge von meinem Elend. Ich war allein. Und doch schämte ich mich für mein Leid. Ich hätte nicht hier sitzen und weinen sollen. Nein. Ich sollte mich für ihn freuen. Er war nun glücklich und das hätte doch das Wichtigste für mich sein sollen. Warum konnte ich ihm nicht einfach gratulieren und meine eigenen Wege gehen? So gerne wollte ich mich für ihn freuen, doch es tat einfach zu weh. Ich konnte nicht an ihn denken, ohne das Mitleid und die Trauer in seinen Augen zu sehen. Ich konnte ihm nicht sagen, dass er nichts dafür konnte und ich damit fertig werden würde. Denn es wäre gelogen gewesen. Also sagte ich nichts, ich hörte einfach auf zu sprechen. Was hätten Worte geändert? Was hätte ich tun können? Was hätte ihn zum Bleiben gebracht? Es gab tausende Fragen und ich kannte die Antwort längst. Nichts. Es gab nichts, mit dem ich ihn hätte halten können, nichts was stark genug gewesen wäre, als die Macht – die Magie – die ihn mir genommen hatte, zu bezwingen. Und wieder war ich alleine, wie schon so oft in meinem Leben. Ich hörte das Rauschen der Heizung, die eine wohlige Wärme in der Küche verbreitete, eine Wärme die so unpassend schien. Alles an und in mir war kalt. Ich war zerbrochen, endgültig. Und nun war niemand mehr da, der mir über den Schmerz hinweghelfen konnte. Mein persönliches Licht in dunklen Stunden war erloschen. Mein Herz war zerstört und ich fragte mich, wie es möglich war, dass es noch immer schlug, dass es nicht unter der Last, die es zu tragen hatte, aufgab, so wie ich aufgegeben hatte. Wozu sollte ich noch kämpfen, wenn ich wusste, dass ich verlieren würde - verloren hatte. Ich konnte nichts mehr tun, egal wie sehr ich es wollte. Mein Glück hatte sich endgültig gewendet und es blieb nur Trauer und Schmerz, Tränen und Leid. Ich schlug das Deckblatt um und las zum tausendsten Mal die Adresse des Anwaltes. Noch immer konnte kein Außenstehender erahnen um was es sich handeln mochte. Doch ich wusste es schon, als ich den Namen der Kanzlei gelesen hatte. Schon da war mir klar gewesen, dass es keinen Morgen mehr geben würde, dass die Sonne für mich untergegangen war und nun für jemand anderen scheinen würde. Jason Morgan & Co Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Familienrecht Familienrecht. Jetzt würde bei so manchen der Groschen fallen. Ich hatte es verstanden, ohne weiter zu lesen. Doch ich hatte es schon vorher gewusst, ich hatte es in seinen Augen gesehen, wenn er mir gegenüberstand. Ich hatte es an seiner Mimik gesehen, wenn er bei mir war, es in seiner Stimme gehört, wenn er redete und ich hatte es an seinem Blick gesehen, als sie sich gegenüber gestanden hatten. Ich hatte die wahre Liebe gesehen, doch sie war nicht für mich bestimmt gewesen. Das war sie nie. Wahrscheinlich war dies der Grund, weswegen ich hier saß und meine Scheidungspapiere in den Händen hielt. Die Liebe war einfach nichts für mich. Ich hatte vor vielen Jahren bedingungslose Liebe für ihn empfunden, doch ich bekam sie nicht zurück. Ich schüttelte den Kopf. Es war so viel Zeit vergangen und noch immer konnte ich seinen Namen nicht aussprechen, geschweige denn denken. Noch immer war der Schmerz zu groß und die Wunde in meiner Brust nicht verheilt. Er war gegangen und einen Teil von mir hatte er mitgenommen. Einen großen Teil. Nach vielen Monaten war damals Licht in meine Dunkelheit gekommen. Jacob Black war mein bester Freund geworden und hatte begonnen, meine Wunden zu heilen, er hatte mich wieder zusammengesetzt wie ein unvollständiges Puzzle. Nach und nach war mein Bild wieder komplett geworden und ich hatte angefangen, mich Jacob zu öffnen. Ich hatte seine Liebe angenommen und ihm meine gegeben. Ich war so dumm gewesen. Schon einmal hatte ich mich damals gegen die Natur der Menschen gestellt. Schon einmal war ich zu nah an der Welt des Übernatürlichen und hatte versucht die Grenzen zu verwischen. Und ich hatte nichts gelernt. Die Magie, dieser Zauber und all die Legenden waren nichts für Sterbliche und ich hätte es wissen müssen. Vielleicht hatte ich es gewusst, doch ich konnte und wollte mich nicht von den übersinnlichen Kräften trennen. Ich wollte den Bezug zu ihm nicht verlieren. Also hatte ich mir eine eigene Zukunft mit einem Gestaltenwandler aufgebaut. Einem Wolf, der den Mann, den ich geliebt hatte - vielleicht noch immer liebte - zum Feind hatte. Ich verlagerte mein Leben von goldfarben zu braun und von kalt zu heiß. Und was war mir geblieben? Ein Herz, das die Last, die es zu tragen hatte, kaum aushalten konnte. Einsamkeit, die meinen Körper und meinen Geist verschluckte. Und Schmerz, der mich von innen auffraß. Ich zerknüllte die Blätter in meinen Händen und die kleine, silberne Büroklammer sprang von den Seiten. Sie landete neben dem kleinen Gesteck, welches auf dem Tisch stand. Vier Kerzen brannten. Heute war heilig Abend, Weihnachten. Ein Fest der Familie und der Liebe. An diesen Tagen sollte man glücklich und dankbar sein. Man sollte seine Lieben beschenken und sich beschenken lassen; unter einem wundervollen Tannenbaum sitzen und Plätzchen essen; Lieder singen und in glänzende Augen blicken, wenn das nächste Geschenk geöffnet werden würde. Und was tat ich? Ich saß hier und versuchte zu verstehen, wie es möglich war, dass ich noch immer lebte. Als ich gesehen hatte, wie Jacob dieses Mädchen - seine Seelenverwandte - angeschaut hatte, war der Wunsch zu sterben überwältigend gewesen. Die Welt hatte sich plötzlich in eine andere Richtung gedreht und meine Existenz war sinnlos geworden. Ich wollte nur noch sterben. Und doch saß ich noch immer hier, alleine. Vielleicht fehlte mir der Mut oder das Rückgrat, einfach einen Schlussstrich zu ziehen. Denn Hoffnung bestand für mich keine mehr. An was sollte ich mich noch klammern, an was sollte ich fest halten? Jacob war gegangen und hatte den Rest meines Lebens unbrauchbar gemacht. Er hatte mich mit viel Wärme, Zuneigung und Liebe aufgebaut, mich stark gemacht und hatte meinem Dasein wieder einen Sinn gegeben. Und dann hatte er mich unwiderruflich und endgültig zerstört. Jacob war mir ein guter Ehemann gewesen. Er hatte mich auf Händen getragen und mich in seine Welt gelassen. Doch auch in dieser wunderbaren Zeit war es nicht einfach gewesen. Immer wieder wurden uns Steine in den Weg gelegt und es war schwer gewesen, sie zu beseitigen. Es hatte Zeiten gegeben, in denen ich darüber nachgedacht hatte, einfach abzuhauen und neu anzufangen. Nicht, weil es mir schlecht ergangen war, nein, weil ich wollte, dass Jake das bekommen würde, was er verdient hatte. Ich war mir dessen immer bewusst gewesen, dass ich nicht die Richtige für ihn war. Ich hatte gewusst, dass da draußen ein Mädchen sein würde, die meinem Jake alles geben konnte, was ich nicht zu geben vermochte. Er hatte bedingungslose Liebe verdient, eine Familie und Kinder. Und all das konnte ich ihm nicht gewähren. Mir war es nicht möglich gewesen, ein Kind mit Jacob zu bekommen. Seine Gene harmonierten nicht mit den meinen und kein Arzt konnte uns behilflich sein. Es war eine genetische Sackgasse. Drei Mal war ich von ihm schwanger gewesen, doch der Fötus hatte nie die Chance, sich zu entwickeln. Ich war nicht in der Lage gewesen, ihm ein Baby zu schenken und bei jeder Fehlgeburt war auch ein Teil von mir gestorben. Jedes Jahr hatte ich mir gewünscht, das Weihnachtsfest mit Jake und einem kleinem Baby zu feiern. Immer wieder hatte ich mir in den Läden kleine Strampler und Spielsachen angeschaut und hatte mir überlegt, was ich meinem Baby schenken würde. Ich hatte mir ausgemalt, wie die Augen des Kindes leuchten würden, wenn es das Geschenk öffnen würde. Ich hatte angefangen darüber nachzudenken, wie ich meinem Sohn oder meiner Tochter erklären würde, dass es den Weihnachtsmann nicht gab, wenn sie weinend von der Schule kämen und mich fragen würden. Oft hatte ich davon geträumt, wie Jake mit seinen Kindern spielen, eine Schneeballschlacht machen und dabei lachen würde. Doch auch dieser Traum war nie in Erfüllung gegangen. Nicht für mich, nicht für uns. Doch nun konnte Jake all das haben. Er wurde nicht mehr durch mich gebremst und sein Leben verlief endlich richtig. Er würde Kinder haben, er würde unendliche Liebe bekommen und geben können, und das ohne dem bitteren Beigeschmack, den er mit mir ertragen musste. Jake war vor zwei Monaten geprägt worden. Für ihn standen nun alle Türen offen und für mich verschlossen sie sich. Nun war keiner mehr da, der mich aus meinen Alpträumen riss. Keiner tröstete mich, wenn ich wieder an ihn dachte und nicht einschlafen konnte. Niemand würde beginnen, das Puzzle meines Herzens noch einmal zusammenzusetzen. Der Bezug zu dieser anderen Welt, zu der Welt in der auch er lebte, war verschwunden und ich klammerte mich an jeden Traum, in dem er vorkam. Manchmal fragte ich mich, wie es gewesen wäre, wenn er damals recht gehabt hätte, ob mein Leben anderes verlaufen wäre, wenn er sein Versprechen gehalten hätte. Doch ich würde es nie erfahren. Er hatte gelogen und ich war froh darüber. Ich wollte mich an ihn erinnern, auch wenn es mir von Jahr zu Jahr schwerer fiel. Es hatte Zeiten gegeben, in denen ich wochenlang nicht an ihn gedacht hatte. Es waren schöne Tage gewesen, die keinen Platz für einen Gedanken an die Vergangenheit gelassen hatten, doch in meinen Träumen erschien er mir immer wieder. Manchmal war es, als würde er direkt neben mir stehen und mir die Haare aus dem Gesicht streichen. Es gab Nächte, in denen ich seinen wunderbaren Geruch in der Nase hatte, als ich aufwachte, oder seine Stimme in meinen Gedanken glasklar nachklang. Doch er war nie da. Er hatte mich vor fünf Jahren verlassen und war nie zurück gekommen. Jacob war jeden Morgen bei mir gewesen. Oft hatte ich an seiner Brust geweint, da die Träume so real gewesen waren. Ich sagte ihm nie, dass ich ihn im Schlaf getroffen hatte. Zu groß war die Angst, ihm das Herz zu brechen. Und doch war ich überzeugt davon, dass er erahnen konnte, dass ich meiner ersten großen Liebe noch immer hinterher trauerte. Ich holte tief Luft und blies die vier Kerzen, die das Fest der Liebe kennzeichneten, mit einem Atemzug aus. Die Küche lag im Dunkeln und in meinen Händen hielt ich noch immer die zerknüllten Scheidungspapiere, die mir Jacob heute Vormittag vorbeigebracht hatte. Er ließ mir die Wohnung und alles Hab und Gut, das Einzige, was er mit sich nahm, war seine Freiheit und mein Herz. Vielleicht saß er nun unter einem wunderbar geschmückten Weihnachtsbaum mit der Frau, die er liebte, und genoss die feierliche Wärme von Weihnachten. Vielleicht drückte er soeben seine Angebetete an seine Brust und überreichte ihr ein Geschenk. Auch mir hatte Jake ein Geschenk mitgebracht. Ich wusste nicht, ob er es aus Mitleid tat oder um der alten Zeiten willen, oder als Entschuldigung für das, was er mir angetan hatte. Doch ich war nicht in der Lage gewesen, mich zu bedanken. Es waren wunderschöne Perlenohrringe, die aussahen wie zwei kleine Tränen. Sie waren wirklich hübsch und sie schienen so passend zu meiner Situation, dass ich sofort wieder angefangen hatte zu weinen. Jake hatte mich in den Arm genommen und immer wieder gesagt, wie leid es ihm täte. Doch ich hatte mich losgerissen. Ich wollte ihn nicht mehr sehen. Ich wollte nicht so weiter machen wie früher. Er sollte mich nicht trösten, er sollte einfach gehen und glücklich sein. Er würde nichts für mich tun können. Ich warf die Scheidungspapiere quer durch die Küche, in Richtung des Mülleimers und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Neue Tränen fanden den Weg aus meinen Augen und flossen meine Wangen hinab. Meine Augen taten weh von dem vielen Weinen und ich verfluchte mich dafür, nicht stärker zu sein. Doch woher hätte ich die Kraft nehmen sollen? Ich wusste, dass Jacob mich noch immer liebte. Vielleicht liebte er mich jetzt so wie ich damals für ihn empfunden hatte, als er mich verlassen hatte - als Schwester, nicht mehr und nicht weniger. Doch dies reichte nicht, um mich stärker zu machen, im Gegenteil. Würde er mich hassen oder mich einfach ignorieren, wäre es für mich wahrscheinlich einfacher. Doch er fügte mir mit jeder Berührung, mit jeder tröstenden Geste, mit jedem mitleidigem Blick nur noch mehr Schmerzen zu und merkte es nicht. Er wollte mir helfen, doch er machte es schlimmer. Immer wieder verdeutlichte er mir unbewusst, was ich verloren hatte. Die Dunkelheit um mich herum hüllte mich ein und ich hoffte, sie würde mich endlich verschlingen. Mein einziger Wunsch, den ich am Tag der Geschenke und Beschenkten hatte, war Erlösung. Ich konnte mit all dem Schmerz nicht mehr leben und wünschte mir die Leere, die ich damals empfand, als er mich verlassen hatte, sehnlichst zurück. Die Leere, die mich am Leben gehalten hatte, bevor Jacob mich von ihr befreite. Doch sie kam nicht. Ich stand von meinem Stuhl auf und ging zum Fenster. Jacob und ich waren in diese kleine Wohnung nahe Port Angeles gezogen, nachdem wir geheiratet hatten. Es war eine sehr schöne und kinderfreundliche Gegend. Die Straße war hell erleuchtet durch tausende von Lichtern. Weihnachtssterne, Schwibbögen, Pyramiden und Kerzen erhellten die Fenster, und der Schnee, der so wundervoll vom Himmel fiel, machte diese Bild perfekt. Zumindest fast. Denn es gab in dieser Straße ein Fenster, das dunkel blieb und dies war das Fenster meiner Küche. In meinem Herzen war jede Hoffnung erloschen. Es gab keinen Grund für mich, die Lichter anzuschalten und mich daran zu erfreuen. Es wäre falsch zu feiern, wenn man lieber sterben wollte. Ich legte meine Hand an den Griff des Fensters und drehte ihn langsam um, ein eisiger Windhauch schlug mir ins Gesicht, als die kalte Luft in die Küche eindrang. Ich hieß die Kälte willkommen, sie war passender als die kuschelige Wärme, die in der Wohnung herrschte. Ich beugte mich aus dem Fenster und hörte die Klänge von Weihnachtsliedern, die in dem Stockwerk unter mir gesungen wurden. Der Geruch von Zimt und Tanne stieg mir in die Nase und ich atmete tief ein. Schneeflocken fielen auf meine Haare und hüllten die Welt in ein wunderschönes Weiß. Wie konnte ich bei dem Anblick von so viel Glück und Liebe um mich herum nur so leiden? Warum konnte ich nicht einfach nach draußen gehen und mein Schicksal selbst in die Hand nehmen? Warum blieb ich liegen, wenn es Zeit war aufzustehen? Ich wusste es nicht. Meine Hände lagen auf der Fensterbank und ich merkte, wie die Kälte langsam in meine Glieder kroch und die Tränen trocknete. Es war so sinnlos zu weinen. Ich betrachtete das Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite und wieder wurde meinem Herzen ein Stich verpasst. Ein kleines, dunkelhaariges Mädchen sauste um den riesigen Weihnachtsbaum und versuchte ihren kleinen Bruder zu fangen. Der Junge war schnell und ich sah, wie er lachte, als seine Schwester ihn in die Finger bekam. Sie schien den Kleinen zu kitzeln, denn er wand sich unter ihr. Mutter und Vater saßen daneben und lachten mit ihren Kindern. Es war ein schönes Bild, doch es zeigte mir auf ein Neues all das, was ich nie bekommen würde. Ich konnte diese Szene nicht weiter anschauen und lehnte mich noch ein wenig aus dem Fenster, um in den Himmel schauen zu können. Zwischen ein paar Wolken waren die Sterne zu sehen, doch die Schneeflocken, die in meine Augen fielen, machten es mir nicht einfach, sie zu erkennen. Es war eine wundervolle Nacht, doch für mich war all dies nichts mehr wert. Denn ich konnte all die Wunder, die das Weihnachtsfest bereit hielt, mit niemandem mehr teilen. „Bella“, sprach die wunderbarste Stimme dieser Welt zu mir. Ich drehte mich nicht in die Richtung, in der ich die Stimme vernommen hatte, da ich wusste, dass er nicht hier war. Er war nur eine Einbildung und immer, wenn ich versuchte, ihn zu entdecken, wuchs der Schmerz in mir, da ich ihn nie fand. „Du warst lange nicht mehr da“, sagte ich zu meiner Halluzination und hoffte, dass sie mir noch ein paar Minuten erhalten bleiben würde. Warum hörte ich ihn überhaupt? Ich war nicht in Gefahr oder tat etwas Waghalsiges. Ich stand einfach nur hier und schaute aus dem Fenster. „Was tust du hier, Edward?“, fragte ich ihn. Es kostete mich fast meinen Verstand, seinen Namen auszusprechen. Die Wunde in meiner Brust riss endgültig und ich konnte fast spüren wie sich mein Herzschlag verlangsamte. „Ich werde nicht springen“, flüsterte ich zum Himmel gewandt und merkte, wie ich schon wieder begonnen hatte zu weinen. Das letzte Mal, als ich ihn gehört hatte, war ich von einer Klippe gesprungen und danach war er nie wieder so klar und so realistisch in meinen Gedanken erschienen. Dieses Ereignis war nun über vier Jahre her und noch immer sehnte ich mich jeden Tag danach, den Klag seiner Stimme zu hören. Und nun war dieses wunderbare Trugbild zurückgekehrt. Ein besseres und leidbringenderes Geschenk hätte man mir an diesem Abend nicht machen können. „Ich weiß, dass du nicht springen wirst, Bella“, säuselte mein Engel ganz nah an meinem Ohr. Wäre er wirklich existent, müsste ich nur meinen Kopf drehen und ich würde ihm direkt in die Augen blicken können. Doch er war nicht da, er war nur ein Bild, das meine Gedanken malten, ein Bild, für das ich keinen Rahmen fand, da sein Gesicht in meiner Erinnerung nach all den Jahren immer mehr verblasst war. „Woher weißt du das?“ Diese Halluzination konnte es nicht wissen. Immerhin tauchte sie nur auf, wenn ich mich in einer riskanten Situation befand. Mein Unterbewusstsein schien mehr zu wissen als ich, denn ich wollte mein Leben nicht beenden und doch hörte ich diese wunderbaren Töne, die an meine Ohren gesandt wurden. „Ich bin hier, um mich zu entschuldigen.“ Mit jeder Silbe, die erklang, wurde die Stimme meiner Phantasie leiser und ich dachte sie würde mir entgleiten. Doch sie durfte nicht verschwinden. Er sollte bleiben und meinen Schmerz erträglicher machen. Ich lehnte mich noch ein Stück aus dem Fenster und hoffte, ihn hier halten zu können. Es war dumm, mit einer Illusion zu sprechen, aber ich tat es dennoch. Seine Stimme war so greifbar, so nah, ich hatte keine Wahl, ich musste ihm antworten. „Wieso möchtest du dich entschuldigen? Du hast nichts Unrechtes getan. Du hast nichts falsch gemacht.“ Ich verschluckte die letzten Silben, da ich von einem Weinkrampf geschüttelt wurde. Nein, er hatte nichts falsch gemacht. Was hatte er dafür gekonnt, dass ich nicht gut genug war? Er war immer perfekt gewesen und ich war nur ein Mensch, der nicht in seine Welt gepasst hatte. Noch immer lag mein Blick auf der schneebedeckten Straße. Die vielen Lichter verschwammen vor meinen Augen. Das Einzige, was zählte, war seine Stimme und mein Herz setzte fast aus, als er begann wieder zu sprechen. „Bella, ich muss mich für alles entschuldigen. Nicht nur für das, was ich dir angetan habe, sondern für meine ganze Existenz. Ich war zu nah an der Welt der Menschen, zu nah an deiner Welt. Und du warst die Leidtragende von meinen Fehlern.“ Noch nie hatte der Klang meiner Phantasie so lange mit mir gesprochen. Und nie hatten mir meine Gedanken solche Worte gesendet. Sonst hatte mich seine Stimme von Dummheiten abhalten wollen oder hatte mir bei Gefahr geholfen. Doch nun war alles anders. Vielleicht war ich schon tot und dies war der Himmel in der Hölle. Der Schmerz ging nicht weg, aber er – Edward – war bei mir. „Bin ich tot?“, fragte ich meinen Engel. Es gab keine andere Möglichkeit. Vielleicht war ich vor wenigen Minuten doch aus dem Fenster gesprungen oder mein Herz hatte den Verlust von der Liebe nicht ausgehalten. Das musste es sein, mein Leben war vorbei und nun war seine Stimme immer bei mir. Doch dieser schöne Gedanke wurde zunichte gemacht, als Edward wieder begann zu sprechen: „Nein, du bist nicht tot, Bella. Du bist am Leben und ich werde dafür sorgen, dass das so bleibt.“ Er machte eine Pause und bei dem Wort, das ich als nächstes vernahm, erwärmte sich mein gefrorenes Herz. „Immer.“ Seine Stimme war so fassbar. Wie konnte mein Verstand mir solch wahre Klänge vermitteln und das, obwohl ich ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte? War dies mein Weihnachtswunder? Mein Geschenk von Gott? Doch was würde geschehen, wenn dieser magische Moment vorbei wäre? Würde ich wieder in dieses Loch von Schmerz und Verzweiflung fallen? Wäre ich wieder allein? Würde ich es überstehen und könnte ich mit dieser neuen, frischen Erinnerung leben? Ich wusste es nicht und es war mir jetzt egal. Ich musste den Moment genießen und mich der Illusion hingeben. Ich wollte nur einen kurzen Augenblick glücklich sein. „Wie willst du mein Leben beschützen, Edward? Du bist nicht hier. Du hast mich verlassen und nur diese Halluzination ist übrig geblieben. Du kannst mich nicht am Leben halten, nicht so. Wenn ich springen wollte, würde ich es tun und du könntest es nicht verhindern.“ Er antwortete nicht und die Angst in mir wuchs bis ins Unerträgliche. Hatte ich nun alles, was mit ihm zu tun hatte, endgültig vertrieben? Oder war meinem Unterbewusstsein endlich klar geworden, das es mir nur Schmerz zufügte, wenn es mir diese Laute sandte? Es vergingen weitere Sekunden. Die Weihnachtslieder der Nachbarn waren verstummt und der Schnee, der noch immer vom Himmel fiel, verschluckte jedes Geräusch von der Straße. Das Einzige, was ich wahrnahm, war mein Herzschlag und das Ticken der Uhr, die neben dem Fenster hing. Noch immer lag der Geruch von Zimt in der Luft, doch er vermischte sich mit etwas anderem, etwas, das mir so bekannt vorkam und doch konnte ich es nicht zuordnen. Ich lehnte mich noch ein Stück nach draußen, um den Duft, der sich um meine Nase legte, bestimmen zu können, doch er verschwand in dem frischen Hauch des Winters. „Dreh dich um, Bella“, sprach meine Halluzination nach einer gefühlten Ewigkeit. Es war nur ein kleines Wispern, das ich vernahm und es jagte mir einen Schauer über den Rücken. Nie wieder wollte ich diesen Klang vergessen, es war einfach zu schön, um wahr zu sein. Es war nicht wahr. „Du bist nicht hier. Warum machst du mir Hoffnung? Du bist nur ein Bild meiner Gedanken und wenn ich mich umdrehe, werde ich ein leeres Zimmer vorfinden.“ Ich schluchzte, als ich meine Gedanken preisgab, doch ich drehte mich nicht um. Er war nicht hier und ich war nicht in der Lage, diesen kostbaren Moment mit irgendeiner Bewegung zu gefährden. „Ich bin hier. War es immer. Ich war immer in deiner Nähe, Geliebte. Ich war immer da, Bella“, säuselte mein Engel und ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Er hatte mich Geliebte genannt, dies war der Beweis, dass er nicht bei mir war. Dass dies nur eine Einbildung war, eine Einbildung, wie ich sie schon früher gehabt hatte. Edward hatte mich nicht mehr geliebt und deswegen hatte er mich verlassen. Warum sollte er mich daher so nennen, wenn er wirklich hier war? „Du warst nicht da, Edward. Du warst nicht da, als es mir schlecht ging, du hast mich verlassen, weil du mich nicht mehr geliebt hast. Du bist gegangen, weil ich nicht gut für dich war. Du warst nicht bei mir, als ich diese Motorradgang traf. Du hast mich nicht davon abgehalten, mit Jake Motorrad zu fahren. Du warst nicht dabei, als ich von der Klippe sprang. Jedes Mal warst du nur eine dämliche Halluzination, die mich in den Wahnsinn trieb“, schrie ich aufgebracht in die Nacht hinaus. Er hatte mich verrückt gemacht. Hier stand ich und redete mit mir selbst. Das war also aus mir geworden. „Ich war da, Bella. Ich hatte dir gesagt, du sollest umkehren, als du auf die Typen in Port Angeles zugegangen warst. Ich war bei dir, als du deine erste Fahrstunde mit Jake hattest. Ich habe dich über Wasser gehalten, bis Jacob kam, als du von der Klippe gesprungen warst. Ich war bei dir, Bella.“ Ich hörte seine Worte, doch ich verstand sie nicht. Es war unmöglich, dass dies real war. Mit jedem Satz, den er sprach, splitterte mein Herz mehr. Er sollte aufhören und ich schüttelte wild mit meinem Kopf. Ich wollte diese Lügen nicht länger hören. „Nein, du warst nicht da, Jake hätte es gemerkt. Er hätte dich umgebracht, wenn er dich gesehen hätte“, erwiderte ich. Das war alles nicht möglich. War dies ein Traum? Viel zu lange war dieses Trugbild schon da und ich konnte nicht mehr von Wahrheit und Schein unterscheiden. „Jacob wusste Bescheid, von dem Moment an, als das Wolfsgen ihn das erste Mal verwandelt hatte. Ich ging an dem Morgen nach deinem achtzehnten Geburtstag zu Sam und bat ihn um Hilfe. Wir trafen eine Vereinbarung, die für das Rudel und mich akzeptabel war. Jake hasste es, das ich immer in eurer Nähe war, doch er konnte nichts tun. Er wusste, dass ich nur dein Bestes wollte.“ „Stopp, Edward! Das kann nicht sein. Warum sagst du so etwas? Das ist eine Lüge. Warum wache ich nicht auf? Warum verschwindest du nicht wieder? So wie du es immer getan hast?“ Ich wollte noch hunderte von Fragen in die Nacht schreien, doch ich war erschöpft, müde und ich fror. Meine Finger waren eisig kalt, doch ich löste den Griff um das Fensterbrett nicht. Ich brauchte diesen Halt, den Bezug zu der Wirklichkeit, eine Wirklichkeit die nicht mehr existierte. Wieder war es ruhig in der Küche und ich hielt den Atem an. Hatte ich ihn jetzt endgültig vertrieben? War dieser Traum vorbei? Nach ein paar Sekunden legte sich ein noch kühlerer Hauch um meine Hände. Ich blickte hinunter und erwartete, dass meine Finger bereits blau anliefen, doch was ich sah, ließ mein Herz stehen bleiben. Dort auf dem Fensterbrett lagen nicht nur meine Hände, sondern auch die wunderbaren, blassen Hände von Edward. Überall hätte ich seine zarten Finger erkannt und sie lagen tatsächlich in diesem Augenblick auf meinen. Mir verschlug es den Atem und ich hörte auf zu denken. War er wirklich hier? Oder war dies ein schrecklicher Albtraum der mir zeigen wollte, wie arm ich dran war? „Ich werde nicht weggehen, Geliebte“, wisperte er ganz nah an meinem Ohr. „Und das hier ist kein Traum, du musst nicht aufwachen. Du musst dich nur umdrehen und mich endlich anschauen.“ Wie gebannt starrte ich auf die perfekten weißen Finger, die sich um die meinen schlangen, und versuchte, meine Atmung wieder zu regulieren. „Bist du wirklich hier?“, flüsterte ich und noch bevor ich eine Antwort bekam, sank ich in Ohnmacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)