Die Nebelhexe von Lianait (Formori-Chroniken I) ================================================================================ Kapitel 5: Die Geschichte von dem Blumenmädchen und dem Wächter --------------------------------------------------------------- Am nächsten Morgen verspürte Constantin unterbewusst ein Ziehen in der Schulter, das sich nicht mit seinem Traum vereinbaren ließ. Er versuchte sich umzudrehen und weiterzuschlafen, doch das Pochen und Ziehen in seiner Schulter wurde immer stärker und er sah sich gezwungen endgültig aus dem Traumland zurückzukehren und aufzuwachen. Als er seine Augen öffnete, fragte er sich zuerst verwundert, wo er eigentlich war, denn sein Zimmer sah anders aus als er das letzte Mal nachgesehen hatte. Erst durch einen Blick auf den Nachtschrank kehrte seine Erinnerung vollends zurück. Dort neben der Uhr, deren leuchtende Digitalziffern verkündeten, dass es viertel nach acht morgens war, lag rötlich schimmernd sein Runenstein. Seufzend ließ er sich zurück auf sein Kissen sinken und wollte sich mit der Rechten die Augen reiben. Ein fataler Fehler. Augenblicklich schoss eine Welle aus Schmerz seinen Arm entlang und das seichte Pochen entwickelte sich zu einem ausgewachsenen Stechen. Leise fluchend, ließ er den Arm sinken und bemühte sich noch einige Minuten möglichst regungslos liegen zu bleiben. Währenddessen hatte er genug Gelegenheit noch einmal über das am Abend zuvor Erfahrene nachzudenken. Wächter, Runen, Essenzen… und ich mitten drin. Wie soll ich das bloß Tante Sybille beibringen? Traurige Sache, dass ich zuerst daran denke, wie es meine Tante auffassen wird und nicht meine Eltern. Gut, wann habe ich überhaupt das letzte Mal richtig mit den beiden geredet? Mit 12? In Gedanken versunken schweifte sein Blick durch den Raum und er nahm unterschwellig die Informationen wahr, die er den Abend zuvor verdrängt hatte oder einfach nicht mehr aufnehmen konnte. Die beigen Wände zierte eine dunkelrote Borte, passend zu den gelichfarbigen Vorhängen, die das große Fenster einrahmten. Die dunklen Holzmöbel und das Gemälde einer Ruine im Grünen, welches am Kopfende des Bettes an der Wand hing, komplettierten das Gesamtbild nur noch. Doch Grübeln und das Gästezimmer bestaunen half alles nichts, Constantin kam zu keinem vernünftigen Schluss und konnte auch nicht mehr schlafen. Langsam erhob er sich, nur um festzustellen, dass er ganz verspannt war und sich umziehen mehr als nur ein wenig komplizierter darstellte, als noch wenige Stunden zuvor. Wahrscheinlich war es weniger günstig die ganze Nacht in einer Position zu verharren… Noch dazu seh‘ ich aus als wäre ich in einen Farbkasten gefallen! Doch nach einer gefühlten Ewigkeit gelang es ihm endlich sich vollständig zu bekleiden und er machte sich auf dem Weg ins Erdgeschoss. Den vorangegangenen Abend muss er zu überfordert gewesen sein mit der Informationsflut, die Laylas Vater und der creepy Superkater über sie beide haben hereinbrechen lassen, denn nun nahm er seine Umgebung das erste Mal wirklich wahr. Der Flur war in den gleichen Farbtönen gehalten, wie auch das Zimmer in dem er geschlafen hatte. Auf dem dunklen Boden ließ sich ein bordeauxroter Läufer ausmachen und die Wände zierte direkt unter der Decke eine ebenfalls bordeauxrote Borte, der eine beige gestrichene Wand folgte bis sie schließlich auf Hüfthöhe von einer dunklen Holztäfelung abgelöst wurde. Dann und wann hing an den Wänden ein Landschaftbild, das ähnliche Motive zeigte, wie das im Gästezimmer: Grüne Landschaften, Ruinen und Burgen. Nur wenige Schritte weiter gabelte sich der Flur rechtwinklig und Constantin konnte ein dunkles Holzgeländer ausmachen. Dem Gang folgend stieß er auf einen Rundgang, der in der Treppe und einen Balkon mündete und einen Blick auf den Flur im Erdgeschoss preisgab. Er wollte sich auf den Weg nach unten machen, doch bevor er den Treppenabsatz erreichte blieb sein Blick an einen Bild hängen. Es war den anderen ähnlich und auch wieder nicht. Wie bei den anderen Bildern könnte er eine grüne Landschaft ausmachen, doch im Mittelpunkt des Bildes befand sich keine Burg oder überwucherte Ruine, sondern ein kleines Steinhaus, das durch den qualmenden Schornstein bewohnt wirkte. Vor dem Haus erstreckte sich ein Garten, in dem knorrige Bäume standen und undefinierbare Pflanzen wuchsen. „Gefällt es dir?“ Unwillkürlich erschrak sich Constantin und zuckte zusammen, so in Gedanken war er gewesen. Erst als er sich umdrehte, erkannte er Phobos, der auf leisen Pfoten näher gekommen war. „Ja, schon“, sagte er nachdem er sich gefangen hatte. „Aber es ist anders als die anderen Bilder hier.“ „Inwiefern?“, wollte der Kater wissen und Constantin konnte das Gefühl auf die Probe gestellt zu werden nicht abschütteln. „Nun ja, auf den anderen Bildern sind Ruinen und Burgen zu sehen. Sie wirken allesamt unbewohnt. Nur das hier nicht“, versuchte er seinen Eindruck dieses Bildes wenig eloquent wiederzugeben. „Sehr richtig. Das liegt daran, dass es bewohnt ist. Das ist Clancys Elternhaus“, erklärte Phobos. „In der tiefsten Pampa Irlands, möchte ich hinzufügen.“ Constantin konnte sich bei diesem vor Ironie triefenden Nachschub ein Grinsen nicht verkneifen, doch wandte seinen Blick nur noch einmal dem Bild zu, um etwas genauer zu betrachten und sich dann der Treppe zuzuwenden, auf der sich der gleiche bordeauxrote Läufer befand wie auch schon im Flur. „Dafür, dass ihr noch nicht lange hier wohnt, ist die Einrichtung sehr schön“, meinte Constantin die ersten Stufen hinabsteigend und sich ein wenig umsehend. Ein leises Lachen neben sich ließ ihn wieder auf den Kater schauen. „Das wird Layla freuen. Clancy ist der sterile-weiß-Typ. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten die Bilder vollkommen ausgereicht. Layla konnte beige rauskitzeln und hat ihm dann noch einfach die rote Borte auf’s Auge gedrückt“, erklärte er als sie die Treppe hinabstiegen. „Das ist diese Vater-hat-eine-Schwäche-für-Tochter-Sache, du verstehst.“ Wieder musste Constantin grinsen. Wenigstens hat der creepy Superkater Humor… „Und wie sieht der konkrete Plan für heute aus?“, wollte Constantin schließlich wissen. „Da Layla bereits die Küche in Beschlag genommen hat, sieht es wohl so aus, als würden wir essen und uns dann auf den Weg zu deiner Tante machen. Wobei ‚fahren‘ eine andere Definition hat, wenn Clancy hinter dem Steuer sitzt. Man könnte dann auch glauben er sei ein alter Mann mit Hut“, die letzten Worte hatte Phobos lauter als nötig ausgesprochen. Constantin wollte entsprechend nachfragen, doch Clancys leicht irritierter Blick als er aus einem der angrenzenden Zimmer in den Flur trat, war Erklärung genug. „Wenigstens kann ich Auto fahren und einen Hut tragen ohne darin zu versinken“, gab er würdevoll zurück, was Phobos ein Grinsen entlockte. Super. Jetzt ist er von creepy Superkater zu super-creepy Grinsekatze digitiert. Oder vielmehr super-creepy Grinsekatzemon, wir wollen ja schließlich keine terminologischen Fehler machen. Noch während Constantins Gedanken leicht abschweiften, betraten sie das große Wohnzimmer, das wiederum offen in ein Esszimmer und die Küche überging. Layla stand steif in der Küche vor dem Herd und schien nichts zu tun außer in einer Pfanne herumzurühren. Neben sich hörte Constantin Clancy leise seufzen und sah ihn mit betont neutralem Blick an. Clancy machte eine Bewegung als wollte er auf sie zugehen, doch Phobos sprang dazwischen. „Ich glaube, wir sollten ihr das kleinere Übel schicken.“ Clancy blickte noch einmal auf seine Tochter und nickte schließlich widerwillig. Lustlos und in Gedanken versunken stocherte Layla mit dem Pfannenwender im Rührei herum. Was soll ich jetzt tun? Und was wird Constantin machen? Hinter dieser ganzen Wächtersache steckt sicher mehr als mein werter Herr Vater uns gestern gesagt hat. Aber was? Fragen über Fragen an sich selbst stellend, hörte sie erst gar nicht, wie jemand hinter ihr ihren Namen sprach. „…la? Layla?!“ Erst bei der wahrscheinlich x-ten Wiederholung ihres Namens drehte sie sich um. Und warum zum Henker ist mein Kater keine richtige, normale Katze? „Was?“, seufzte sie und richtete ihren Blick auf den verfluchten Kater, der sich ihr fast schüchtern näherte. „Ich würde gerne mit dir reden.“ „Kann ich dem irgendwie entfliehen?“ „Ich fürchte, nein“, antwortete er und Layla meinte das unterdrückte Schmunzeln regelrecht heraushören zu können. „Und warum willst du mit mir reden und nicht er?“, fragte sie mit einem Kopfnicken in Richtung ihres Vaters, der mit Constantin noch im Wohnzimmer stand. „Weil du höchstwahrscheinlich mit Dingen nach ihm werfen würdest“, entgegnete er und setzte sich auf die weißen Fliesen. „Und nach dir nicht, oder was?“, erwiderte sich leicht verärgert. „Doch, doch“, nickte er, „nur bin ich kleiner und schwerer zu treffen.“ Layla bemerkte, wie sich gegen ihren Willen ein Grinsen aufgrund dieser praktikablen und nüchternen Aussage auf ihre Züge stehlen wollte, und wandte sich schnell wieder dem Rührei zu. „Jedenfalls war es das, was deine Mutter gemacht hat. Zugegeben, bei ihr waren es Steine und keine Küchenutensilien…“ Noch während seine Gedanken abschweiften, wandte Layla sich ihm bei der Erwähnung ihrer Mutter wieder ruckartig zu. Genau das, was dieser Mistkater wollte, dachte sie, als sie das listige Funkeln in seinen Augen sah. „Hörst du mir jetzt zu?“, fragte er. Sie nickte widerstrebend und zog einen der Küchenstühle heran. Nachdem Phobos sie verlassen hatte, beobachteten Constantin und Clancy schweigend, wie er sich Layla näherte. Zuerst schien sie gar nicht zu reagieren, doch dann drehte sie sich schließlich doch um und Unmut spiegelte sich auf ihren Zügen wieder. Eine Weile redeten Phobos und Layla miteinander, wobei ihr Gesichtsausdruck sich hin und wieder erweichte und erhärtete oder sie sich gänzlich abwandte, doch Constantin verstand nicht worüber sie sprachen. Als sich Layla dem Kater ein letztes Mal ruckartig mit einem überraschten Gesichtsausdruck zuwandte, näherte sich Phobos ihr wieder. Doch erst als sie einen Stuhl näher heranzog und der Kater darauf sprang, hörte er Clancy neben sich erleichtert ausatmen und sah ihn fragend an. „Sie wirft keine Dinge nach ihm, ein gutes Zeichen“, meinte er schulterzuckend. „Sie ist ihrer Mutter so ähnlich…“ Bei diesen Worten rückte Clancys Blick in die Ferne und seine Züge wurden zusehends weicher. „Bei allem Respekt und mir der Tatsache durchaus bewusst seiend, dass es mich überhaupt nichts angeht, aber warum haben sie nicht schon früher mit Layla über das alles geredet?“, stellte Constantin eine der Fragen, die ihm am Meisten beschäftigten. „Viele Gründe. Aber der wahrscheinlich Wichtigste ist, dass ich es ihrer Mutter versprochen habe.“ Nachdem Layla den Stuhl zurückgezogen hatte, sprang Phobos darauf um sich zu setzten und legte dabei den Schwanz um die Beine. „Also?“, fragte Layla und zog eine Augenbraue hoch. Ihr ganzer Missmut klang in diesem einen Wort mit. Er seufzte. „Vielleicht fange ich einfach am Anfang an. Dein Vater hat mit mir zusammen eine Ewigkeit im Außendienst für die Wächter gearbeitet und deine Mutter war eine einfache Floristin mit ihrem eigenen kleinen Blumenladen. Sie hatten also eigentlich keinen Grund sich über den Weg zu laufen, es sei denn, dein Vater hätte Blumen kaufen wollen. Aber wenn wir ehrlich sind, dann wissen wir beide, dass er nie der Typ dafür war Blumen zu kaufen.“ Wieder musste sie unwillkürlich grinsen, doch diesmal ließ sie es geschehen. „Und was ist passiert?“ „Deine Mutter hatte sich mal wieder auf den Weg in den Wald gemacht, um dort Samen und Zweige für Gestecke zu suchen“, begann Phobos und Layla hatte das Gefühl, dass die Geschichte länger dauern würde und stellte den Herd herunter, damit die Eier nicht verbrannten. „Doch gerade an diesem Tag war der Eingang in den Wald abgesperrt. Allerdings hat Angelika nie viel von Absperrungen jedweder Art gehalten und ist kurzerhand drüber geklettert. Dummerweise gab es einen Grund für die Absperrung: In diesem Wald hielten sich Formori auf und gerade an diesem Tag wollten die Wächter sie stellen. Es kam natürlich wie es kommen musste: Deine Mutter geriet mitten in die Jagd und begegnete so deinem Vater. Und mir, nebenbei bemerkt. Clancy versuchte sie zu beruhigen, doch das ist nicht so leicht, wenn man zuvor ein blutiges Schwert schwingend durch den Wald gerannt ist. Normalerweise spreche ich aus offensichtlichen Gründen nicht vor anderen Menschen, doch ein Formor drohte Clancy, der noch immer auf die verstörte Frau einredete, zu überraschen. Ich rief eine Warnung aus, was Angelika den Rest gab und sie wollte uns vertreiben, indem sie Steine, Eicheln und alles was sich irgendwie in ihrer Reichweite befand nach uns zu werfen begann. Clancy ließ es geschehen und widmete sich erst einmal dem Kampf, während ich mich um Angelika kümmerte und sie in ein Erdloch in Sicherheit führte. Dass sie durchaus widerwillig war, muss ich dir sicher nicht sagen, aber manchmal reicht ein zweiköpfiger, brüllender und sabbernder Formor aus, um einfach mal der sprechenden Katze zu folgen. Dein Vater wurde in diesem Kampf verletzt und sah sich gezwungen mit uns in dem Erdloch zu verschwinden und dort auszuharren. All das, der schwertschwingende Irre, der gar nicht so bösartig schien, der sprechende Kater und der riesige zweiköpfige Dämon, der nun wenige hundert Meter entfernt ausblutete, trieb sie in kürzester Zeit in eine Mischung aus Verstehen und Schock, was sie wenigstens dazu brachte keine Steine mehr nach uns zu werfen. Eigentlich ist es in so einer Situation üblich für einen Wächter, dem nichtmagischen Opfer des Angriffes, in diesem Fall deiner Mutter Angelika, die Erinnerung zu nehmen. Unter anderen Umständen hätte dein Vater das auch ohne Zögern getan, doch irgendetwas während unseren gemeinsamen Zeit in diesem Erdloch brachte ihn dazu sich dagegen zu entscheiden und ihr ihre Erinnerung zu lassen.“ „Und warum hast du es nicht getan?“, wollte Layla wissen. „Weil ich ein Vertreter der Offenbarung bin. Das war lange Jahre ein Streitpunkt zwischen deinem Vater und mir und seine Meinung änderte sich erst durch Angelika.“ „Offenbarung?“, fragte Layla perplex. Sicher nicht die aus der Bibel, oder? „Ja. Die Vertreter der Offenbarung sprechen sich dafür aus, dass auch die nichtmagische Gesellschaft, wenn man sie so nennen will, von der magischen erfährt und sie Seite an Seite leben“, erklärte er, „aber das hat noch gewissen Diskussionsbedarf und führt uns im Augenblick zu weit von dem weg, was ich dir eigentlich sagen will.“ Mit einem Nicken bestätigte Layla ihm fortzufahren. „Wie viele Menschen entwickelte auch Angelika ihren eigenen Schutzmechanismus und tat alles Geschehene als etwas wirres Unwirkliches ab und wollte sich selbst einreden alles zu vergessen. Doch nur wenige Tage nach den Ereignissen im Wald suchte Clancy sie an seinen freien Tag in ihrem Blumenladen auf, um ihr alles zu erklären. Sie war ungläubig, doch meine Abwesenheit brachte sie zumindest dazu ruhiger zu sein. Sie redeten lange. Sehr lange. Und immer mal wieder. Sie fingen an mehr und mehr Zeit gemeinsam zu verbringen und verliebten sich schlussendlich ineinander. Irgendwann zogen sie zusammen, sehr gegen den Willen der Wächter, doch Clancy war einer ihrer besten Männer und so ließen sie ihn gewähren, aus Angst ihn vielleicht zu verlieren. Doch bald darauf konnte Angelika es nicht mehr ertragen Clancy Abend für Abend mit neuen Verletzungen nach Hause kommen zu sehen. Wie bei jedem Lebewesen hinterlassen Wunden, wie er sie ertragen hat, Narben. Tiefe Narben. Und Angelika tat es in der Seele weh ihn so sehen zu müssen. Daher bat ihn doch wenigstens in den Innendienst zu treten. Anfangs verstand er nicht, warum ihr das so viel bedeutete, denn für ihn war es seine Arbeit und er vollzog sie Tag für Tag mit dem Wissen, den nächsten Morgen vielleicht nicht erleben zu können. Clancy ist wie wir alle in der Ideologie der Wächter aufgewachsen und in der stellt man gerne das Individuum für das große Ganze zurück.“ Bei diesen Worten rückte sein Blick in die Ferne, als würde er noch einmal die Erinnerungen vor seinem inneren Auge sehen. „Dennoch willigte er ihr zuliebe ein. Seitdem übernahm er die Ausbildung der Rekruten und leitete in immer selteneren Fällen Außenoperationen. Und für den Fall, dass wir beide nicht bei Angelika sein konnten, brachte er ihr Schildzauber bei, die sie erstaunlich gut meisterte. In der Zwischenzeit hatten Clancy und Angelika geheiratet und sie erwarteten ihr erstes Kind.“ „Mich.“ „Genau, dich“, bestätigte er und warf ihr einen undeutbaren Blick zu. „Angelika wollte nicht, dass ihr Kind in einer so gewalttätigen Welt aufwuchs und rang deinem Vater das Versprechen ab, ihre gemeinsamen Kinder erst mit Eintreten der Volljährigkeit einzuweisen, also mit neunzehn. Durch ihr unerwartet großes Talent mit Schild- und Schutzzaubern, gelang es ihr kurz vor ihren Tod einen Zauber auf dich zu legen, sodass dein zweites Gesicht versiegelt wurde. Wir haben nie herausgefunden, ob sie einen triftigen Grund dafür hatte, da sie in diesem Autounfall ums Leben kam“, sagte er und alte Trauer schwang mit seinen Worten mit. Ihr Tod brachte Clancy endgültig dazu den Wächtern den Rücken zu kehren, denn er hatte sie gebeten in unserer Abwesenheit auf Angelika und dich Acht zu geben und sie hatten in unser beider Augen schändlich versagt. Wie wollten sie ganze Nationen beschützen, wenn es ihnen noch nicht einmal bei einer einfachen Frau und deren kleiner Tochter gelang? Sollte man ein junges Leben in ihre Hände legen, wenn sie dazu nicht in der Lage waren? ‚Nein‘ war die einzige Antwort, auf die wir kamen, und Clancy brachte dich fort von allem um dich in Sicherheit großzuziehen. Wenigstens diesen Wunsch wollte er deiner Mutter noch er füllen, denn dein Vater hat deine Mutter mehr als alles andere geliebt. Nur heute steht sie an zweiter Stelle nach dir.“ Die erneute Erzählung des Todes ihrer Mutter aus dieser ganz neuen Sicht, trieb Tränen in Laylas Augen und ihre Kehle schnürte sich zu. Schnell wandte sie den Blick ab, um nicht gleich vor Phobos in Tränen auszubrechen über etwas, was schon so lange zurücklag. Während sie so tat, als wolle sie nach den Eiern sehen, versuchte sie schnell die Tränen wegzublinzeln. „Es ist nicht so, dass Clancy dir das alles verheimlichen wollte. Er hatte nur vor es anders und langsamer anzugehen“, fuhr Phobos nach einer Weile leise fort. „Wir waren uns zuerst nicht sicher, ob deine Gaben stark waren oder ob es vielleicht besser wäre, dir gar nichts zu sagen, wenn sie zu gering wären, oder ob deine Reaktionslosigkeit in Bezug auf gewisse Dinge an dem Zauber deiner Mutter lag und das alles überhaupt nichts mit deinen potentiellen Fähigkeiten zu tun hatte. Doch dann wurde immer offensichtlicher, dass du das zweite Gesicht hast, aber es noch unterdrückt war, durch den Zauber deiner Mutter und dein Unterbewusstsein. Aber sei nicht sauer auf Clancy wegen der Rune. Als ich dich in den Wald geführt habe, habe ich eigenmächtig und ohne Absprache mit ihm gehandelt. Ich habe einfach den Ruf einer Rune in der Nähe gefühlt und dich hingeführt, in der Hoffnung, dass es deine sein könnte. Als dann Constantin auftauchte, war ich mir nicht mehr so sicher. Erst nach einigem Konzentrieren habe ich eine zweite Rune ausmachen können. Danach habe ich die Hütte verlassen um Clancy Bescheid zu geben, doch als wir zu der Hütte zurückkamen, hatten euch die Runen schon fortgebracht.“ „Fortgebracht? Inwiefern?“, fragte Layla verwirrt. War ich woanders? „Runen haben schon fast eine eigene Persönlichkeit, wenn es um ihre zukünftigen Besitzer geht. Sie halten die Besitzer oft, wie auch in eurem Fall, fest, bis sie die Runen finden und in etwa erkennen, was sie da gefunden haben. Danach passiert es oft, dass die Runen wieder ein wenig gutmachen wollen, was sie getan haben, und bringen die Besitzer dann an einen Ort, an dem sie sich sicher fühlen. Du glaubst gar nicht, wie erleichtert wir waren, dass du hier warst und nicht zum Beispiel in Irland bei deinen Großeltern. Eigentlich wollten wir dir alles in Ruhe erklären, aber Clancy musste gestern Morgen fort und ich alleine hätte dir sicher nicht alles zufriedenstellend erklären können. Abgesehen davon, dass du nachdem du die Rune gefunden hast, eine Heidenangst vor mir hattest. Eigentlich wollte ich ein Auge auf dich haben, aber du bist auf und davon. Dass du zu Constantin wolltest, konnte ich mir noch zusammenreimen, aber ich musste Clancy irgendwie Bescheid geben. Hast du schon mal versucht ein Telefon mit Pfoten zu bedienen? Gar nicht so einfach… Dass Aygül und Roland aufgetaucht sind, haben wir nicht erwartet, weil Rekrutierungen so früh eigentlich unüblich sind. Allerdings erhärtet das nur noch mehr unseren Verdacht, dass die Wächter mit der Situation überfordert sind und auf irgendeine Art in Bedrängnis geraten sind. Was ich eigentlich sagen will, ist, dass es mir Leid tut, wie ihr alles erfahren habt, und ich bitte dafür um Verzeihung. Allerdings werde ich mich nicht dafür entschuldigen, dass ihr es erfahren habt, weil ich keinen Grund dazu sehe“, schloss Phobos und sah Layla fest in die Augen. Sie hielt den Blickkontakt eine Weile aufrecht und nahm schließlich seine Entschuldigung mit einem Nicken an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)