Die Nebelhexe von Lianait (Formori-Chroniken I) ================================================================================ Kapitel 3: Zurück zum Anfang ---------------------------- Vorneweg: Ich bitte um Verzeigung für das Türkisch. Ich weiß, dass es Falsch ist, aber ich kam noch nicht dazu meine Lehrerin zu fragen, wie man das, was ich sagen wollte, äh, sagt. Ich hab allerdings noch vor das zu ändern. Wie auch schon anfangs gesagt, ist ab jetzt alles in dritter Person geschrieben. Ich hatte viel Spaß beim Schreiben (vor allem gewisse Szenen^^ meinten zumindest Freunde...) und ich hoffe, ihr habt auch welchen beim Lesen.^^ 3. Zurück zum Anfang Sybille hatte nichts von ihrem stummen Gedankenaustausch bemerkt, soviel war klar als sie heftig zusammenzuckte, als das Telefon klingelte. So sehr war sie in die Karten versunken gewesen. Sie entschuldigte sich kurz und schritt mit wehenden Rocken davon, um das Telefonat entgegenzunehmen. Layla und Constantin saßen eine Weile schweigend im Wintergarten bis Sybille zurückkam um ihnen zu bedeuten, dass ihr Gespräch wohl länger dauern würde. Nachdem Layla sich etwas gefangen hatte, wagte sie es Constantin anzusehen. Die Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt, aber er war immer noch blass, seine Züge noch immer steif. Er schien erst gar nicht zu bemerken, dass sie ihn ansah, und sie überlegte sich bemerkbar zu machen, als er plötzlich aufblickte. „Was machen wir jetzt?“, wollte sie leise wissen, sich immer noch der Tante im Flur bewusst. „Ehrlich gesagt habe ich nicht den blassesten Dunst eines Schimmers einer Ahnung“, antwortete er ebenso leise und rieb sich mit dem Daumen und dem Zeigefinger die Augen. „Vielleicht sollten wir erst einmal aufzählen, was wir bisher wissen. Vielleicht fällt uns dann auch ein, was wir jetzt machen. Also, wir haben keine offensichtlichen Gemeinsamkeiten außer, dass wir in etwa im gleichen Alter sind, auf zwei Seiten ein und desselben Waldes wohnen und nach den Ferien dieselbe Schule besuchen. Wie auch tausend andere Leute, daher denke ich, dass das keine Rolle spielt.“ „Wir sind beide erst kürzlich hergezogen“, fügte ich hinzu. „Stimmt, aber was noch? Ich glaube kaum, dass das hier alles irgendwas mit irgendwelchen gemeinsamen Interessen zu tun hat, daher würde ich das auch ausschließen.“ „Oh, wir wurden beide von Tieren zu der Hütte geführt!“ fiel ihr noch ein, doch danach verließ sie ihr Gedankenfluss und sie schwiegen grübelnd. „Es wäre gut zu wissen, ob wir in diese Hütte sollten, oder ob es auch irgendwelche anderen Leuten hätten sein können“, fragte sich Constantin mehr selbst als dass er die Frage an Layla richtete. „Entweder hat es was mit den Runen oder dem Haus zu tun. Glaube ich zumindest…“, meinte sie. „Oder mit beidem“, seufzte er. „Was ist denn passiert nachdem wir die Runen gefunden haben? Wir konnten aus der Hütte oder wurden zumindest irgendwie hinausbefördert. Ohne die Runen waren wir gefangen.“ „Und wir haben seltsame Dinge gesehen.“ „Oder gehört.“ „Gehört?“ „Ja, da war ein Kichern in unserm Fahrradschuppen nachdem ich mich langgelegt hatte“, erklärte Layla und er zog die Brauen hoch. „Oh, nicht zu vergessen: deine Blume und mein Kater.“ „So alles in allem klingt es eher danach, dass die Runen ausschlaggebend sind und nicht die Hütte. Wahrscheinlich hätten wir auch an jedem anderen Ort sein können. Wenn die Runen auch da gewesen wären, wäre das Gleiche passiert. Man ersetze nur creepy Waldhütte mit beliebigem anderen Ort“, schlussfolgerte Constantin. „Ja, das denke ich auch“, stimmte sie ihm zu, „aber ich würde trotzdem gerne noch einmal hingehen und die Hütte überprüfen. Und wenn es nur von außen ist.“ Nach einigem Überlegen entschieden sie sich dagegen Waffen in Form von Hacken oder ähnlichem mitzunehmen, sondern beschränkten sich auf zwei Taschenlampen, ein Seil, welches Constantin trug, und ein altes Taschenmesser, das sie in einer Schublade im Geräteschuppen auf der Suche nach dem Seil fanden und welches Layla an sich nahm. Nach einigem Hadern entschieden sie sich auch dagegen das Handtuch mitzunehmen. Als sie endlich glaubten so gut gerüstet zu sein, wie es ihnen möglich war, war es bereits Nachmittag. Obwohl der Tag mit strahlendem Sonnenschein begonnen hatte, waren nun Wolken aufgezogen, hinter denen sich die Sonne versteckte. Gelegentlich brachen Sonnenstrahlen durch die lose Wolkendecke hinter Sybilles Haus, sodass ihr Garten nicht in Zwielicht versank. Das Haus hinter sich lassend, wandten sie sich zu einem kleinen Pfad, der in den Wald hineinführte und von dem Constantin meinte, dass er ihm am Vortag gefolgt sei. Layla schaute noch einmal zum Haus zurück, welches durch die wenigen Sonnenstrahlen erhellt wurde, und wandte sich schließlich dem Wald zu, über dem sich die Wolkendecke verdichtet hatte und fast schwarz wirkte . Ihr Mut sank bei dem Anblick, doch sie wollte sich nicht darauf einlassen sich von irgendwelchen Naturschauspielen böse Omen vorgaukeln zu lassen. Dennoch konnte sie das Gefühl wie Grenzgänger zwischen Licht und Dunkelheit zu wandeln nicht abschütteln, als sie das Zwielicht des Waldes betrat. Schweigend gingen sie den breiten Pfad nebeneinander entlang, dann Constantin schien ebenfalls von dem Anblick, der sich ihnen bot, wenig erbaut zu sein. Die Stille hielt sich beharrlich, denn es schienen weder Vögel zu Zwitschern noch Grillen zu zirpen und der Wald vor ihnen wurde mit jedem Schritt dunkler und dichter, sodass immer weniger Sonnenlicht zu ihnen durchdrang. Layla verlor schnell das Zeitgefühl und wusste nicht wie lange sie schon unterwegs waren, als sie ihre Taschenlampe einschaltete, um den Pfad besser erkenn zu können. „Bist du gestern auch so lange gelaufen?“, fragte sie in die Stille hinein und Constantin zuckte zusammen, als habe ihn ihre plötzliche Frage erschreckt. „Ich bin schon eine ganze Weile gegangen, allerdings kam es mir nicht so lange vor“, antwortete er. „Aber ich denke nicht, dass wir falsch sind. Das ist genau der Pfad, den ich gestern gegangen bin. Okay, es war dun–“, er stoppte mitten im Satz und Layla sah in fragend an. „Hörst du das?“, fragte er. Layla wollte zuerst verneinen, doch dann vernahm sie Stimmen. „Da sind Leute!“, keuchte sie leise. „Und wenn ich mich nicht schwer irre, muss die Hütte ganz in der Nähe sein“, entgegnete er ebenso leise. „Wenn das ein Zufall sein sollte, bin ich die Zahnfee !“ Schnell schaltete Layla ihre Taschenlampe aus, um zu überprüfen, ob noch genug Licht vorhanden war, um sich langsam auf dem Pfad vorwärts zu bewegen. Nachdem sich ihre Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, bedeutete Constantin ihr ihm zu folgen. So leise wie möglich schlichen sie den Pfad entlang, immer den Stimmen folgend. Bald kamen sie an eine Stelle, an der sie den Pfad verlassen mussten, da sich die Stimmen ein einer andren Richtung wiederfanden. „Gib mir mal bitte das Taschenmesser“, bat Constantin flüsternd. Seiner Bitte nachkommend tat Layla wie ihr geheißen und reichte ihm das Messer. Im schwachen Licht konnte sie gerade noch die Klinge aufblitzen und Constantin ein weißes Taschentuch zerteilen sehen. Layla nahm ihm einen Streifen des Tuches ab und band es an einen niedrighängenden Ast eines Busches. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass das Tuch fest hing, setzten sie ihren Weg durch das Unterholz fort. Immer wieder blieb ihre Kleidung an Sträuchern hängen und nach kurzer Zeit hatte Layla zahlreiche Schrammen an den freien Armen. In ungefähr den gleichen Abständen banden sie immer wieder einen Streifen des Taschentuches an Zweige, bis sie sich wünschten doch auf Douglas Adams gehört und das Handtuch mitgenommen zu haben. Indes wurden die Stimmen immer lauter und Layla konnte eine eindeutig weibliche Stimme ausmachen und eine Stimme, die ihr ungleich bekannt vorkam. Sie hatte diese Stimme erst kürzlich zuvor gehört, konnte sich aber nicht erinnern wo das gewesen sein sollte. Sie schlugen sich nicht so lange durch das Unterholz wie Layla erwartet hätte und in vielleicht hundert Meter Entfernung wurde es wesentlich heller. Nach wenigen Schritten wurde klar, dass sie sich der Lichtung näherten und sie versuchten so leise wie möglich näher heranzugehen. Hinter ein paar niedrigen Büschen zwischen zwei großen Bäumen gingen sie in Deckung. Nachdem sie und Constantin sich so gut es ging Platz schaffen konnten, bohrten sich diverse Äste in Laylas Knie, aber sie versuchte keinen Laut zu machen und die Aufmerksamkeit der Sprecher nicht auf sich zu ziehen. Als sie durch das Astwerk auf die Lichtung spähte, konnte sie eine Frau erkennen, allerdings redete sie nicht, sondern schein wütend etwas auf dem Boden anzustarren. Aber die andere, ihr schon bekannte Stimme sprach ruhig und abgeklärt: „I don’t have the slightest idea what you’re talking about.“ Layla runzelte die Stirn und sah Constantin an. „Das ist Englisch…“, flüsterte sie kaum hörbar. Sie konnte es aber nicht wiederholen, denn die Frau entgegnete erbost etwas, das sie nicht verstand. „Oh, hadi! Şimdi burada rünleri biliyorum. Size onun kim olduğunu biliyorum inanıyorum! So, Phobos?!“ „Das war kein Englisch, oder? Ich hab nichts verstanden“, fragte Constantin leise und Layla schüttelte verneinend den Kopf. Hinter ihnen vernahm sie ein Knacken, aber als Constantin und sie in die Richtung schauten, sahen sie nichts. Schulterzuckend wandten sie sich ab und blickten erneut auf die Lichtung Sie rutschte ein Stück auf dem Boden weiter, um durch ein großes Loch im Blätterwerk erkennen zu können mit wem die Frau redete, doch niemand war auf der Lichtung. Niemand außer einer relativ großen, schwarzen Katze. Als Layla die Katze erblickte, setzte ihr Herz einen Schlag aus und sie versteifte sich. Das kann doch nicht wahr sein… bitte, sag mir jemand, dass das nicht wahr ist… Constantin sah sie fragend an. Doch sie schüttelte nur den Kopf und zog ihn näher zu sich heran, sodass auch er durch das Loch im Blattwerk auf die Lichtung blicken konnte. Der Anblick verfehlte seine Wirkung nicht. Constantin sog scharf Luft ein und fragte leise flüsternd: „Das ist nicht dein Kater, oder?“ „Why should I tell you? Even if I’d known who’s possession they’re in“, fragte die Stimme wieder und von ihrem Blickpunkt aus, konnten sie erkennen, dass niemand anders als die Katze gesprochen haben konnte, so unmöglich es auch sein mochte. Die Frau schaute weiterhin wütend die Katze zu ihren Füßen an und antwortete ihr gestikulierend, und niemand anderem. „Çünkü lanet olası azar!“ Sie hörten die Katze „My Duty? Oh, haven’t seen that one coming…“ sagen und es klang selbst für jemanden, der der Sprache dieser Katze nicht mächtig war, ironisch. Sie warteten die Antwort der Frau ab, doch hörten sie nicht mehr, denn schwere Hände legen sich auf ihre Schultern, heißer, feuchter Atem streifte ihre Hälse und eine raue, tiefe Stimme grollte akzentuiert in ihren Ohren: „Na, was haben wir denn hier?“ Laylas Herzschlag beschleunigte sich, ihr Körper wurde stocksteif; nur ihr Kopf ließ sich noch bewegen. Langsam wandte sie ihren Blick von der Lichtung ab. Wie in Zeitlupe erschien ein bärtiges Gesicht vor ihrem Sichtfeld. Alles in diesem Gesicht schien braun: Haare, Augen und Bart. Sie musste sich nicht lange mit der Frage beschäftigen, wie sie ihren Kopf dazu bewegen sollte auch den Rest seines Erscheinungsbildes aufzunehmen, denn die prankenartige Hand, die sie an der Schulter gefasst hatte, legte sich wie ein Schraubstock um ihren Arm und zog sie gewaltsam auf die Beine. Neben sich hörte sie Constantin fluchen und protestieren, doch Layla war wie gelähmt, um selbst etwas zu unternehmen. Der bärtige Mann zog die beiden unerbittlich mit sich durch das Unterholz auf die Lichtung zu. Er machte keinen Halt vor den Büschen, sondern ging einfach hindurch ungeachtet der physikalischen Tatsache, dass zwei Individuen nicht denselben Platz im Universum einnehmen können. Layla bemerkte, wie ein langer scharfer Ast ihren Arm entlang zog und einen langen Striemen hinterließ, der sich langsam mit Blut füllte. Das leichte Brennen und der Ausblick auf die schwarze Katze holten sie in die Realität zurück. Sie versuchte die Fersen in den Boden zu stemmen, doch der bärtige Mann zog sie nur weiter und die Erde zu ihren Füßen dazu. „Lassen Sie mich los!“, fauchte sie, doch er schein gar nicht zu reagieren. Vergeblich versuchte sie weiterhin sich zu befreien, aber nur wenige Schritte später hatten sie die Frau und die Katze erreicht. „Leave them be, Aygül. They don’t have anything to do with this“, hörte Layla die Katze wenige Meter vor ihnen sagen. „Biz karar vermelisin“ , entgegnete die Frau. „Kulübesinde iki getir, Roland .“ Scheinbar auf eine Anweisung hin handelnd, zerrte der Mann sie durch den Eingang der Hütte. Unsanft wurde erst Constantin gegen eine Kommode geworfen, danach Layla gegen einen Sessel, der sich unsanft in ihren Rücken bohrte. Constantin gab ein Stöhnen von sich und rieb sich den Hinterkopf. Layla wollte es nicht wagen aufzustehen und zu ihm zu gehen, denn der Bärtige strahlte Gewaltbereitschaft geradezu aus. Doch ganz alleine wollte sie ihn auch nicht lassen. So versuchte sie sich zunächst durch Blicke mit ihm zu verständigen, was ihr ein Grummeln ihres haarigen Begleiters einhandelte. „Mir geht’s gut, Layla“, meinte Constantin ungeachtet der funkelnden Augen des Bärtigen. Anders als bei ihrem letzten Besuch war die Hütte durch einen Kandelaber auf dem Esstisch erleuchtet. Das sanfte Kerzenlicht erreichte nicht alle Ecken des Vorraumes, der sowohl Wohn- als auch Esszimmer darstellte, sondern nur den Bereich um den Tisch herum und zerfloss irgendwann in der Dunkelheit. Die Schatten an den Wänden tanzten einen grausigen Tanz und schienen eigene Wesenheiten zu sein, gefangen auf der Oberfläche der Wand. Schaudernd wandte sich Layla ihren „Gastgebern“ zu. Der Mann war groß und hatte sehr breite Schultern, war aber nicht massig. Sein Brauner Bart sah nicht aus, als würde er oft gekürzt und vermisste sich an den Koteletten mit seinem krausen Haupthaar. Die dunkeln Augen lagen tief in den Höhlen und glänzten gefährlich. Er trug ein dunkel kariertes Holzfällerhemd, dazu passende Jeans und feste Wildlederschuhe. Als er die Arme vor der Brust verschränkte, viel ihr ein silberner Ring an einem seiner Finger auf, der nicht recht zum Rest seines Outfits passen wollte. Die Frau schien Orientalin zu sein, allerdings wirkte sie bei Kerzenschein und von nahem nicht mehr ganz so jung, wie Layla zuerst dachte. Ihr schwarzes, lockiges Haar war mit helleren, weißen Strähnen durchzogen und reichte ihr den Rücken hinab. Im Licht wirkten ihre Augen ungewöhnlich hell. Sie trug lange beige Oberbekleidung, eine Mischung aus Kleid und leichtem Pullover, und dazu helle Khakihosen. Als sie gestikulierend auf Layla und Constantin einredete, bemerkte Layla einen ähnlichen Ring auch an ihrer Hand. „Siz kimsiniz? Ne burada arıyor musunuz? Siz belirtiler var mɪ? Kendini açıklar! Hemen!“ „I don’t think they understand a single word you’re saying. Not everyone is fluently in Turkish, you know. Try English or German“, kam es von der Katze, was Laylas Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Eine sehr große, schwarze Katze, mit buschigen Ohren und einem weißen Fleck am Hals. Ihr Herz sank als sich ihre Vermutung bestätigte: vor ihr stand Phobos. In Erkenntnis weiteten sich Laylas Augen als sie auf die Katze blickte, doch sagte sie kein Wort. Constantin konnte sich kaum vorstellen, wie es für sie gewesen sein mochte: Erst bringt ihr Kater sie in den Wald in eine Hütte, die sich nicht mehr verlassen kann, dann findet sie eine merkwürdige Rune und wiederholt verhält sich das Tier seltsam und jagt ihr Angst ein. Und nun sitzt eben dieser Kater vor ihr, seelenruhig, gemeinsam in besagter Waldhütte zusammen mit einer hysterischen Frau und einem gewalttätigem Mann. Und zu allem Überfluss kann das Mistvieh auch noch Englisch sprechen! Kein Wunder, wenn sie Angst bekommt… Doch als er seinen Blick wieder von dem mysteriösen Kater auf Layla richtete, sah er keine Angst in ihren Augen. Alles, was sich in ihnen wiederspiegelte, war Wut, Trotz und Verrat. Er rieb sich missmutig den schmerzenden Hinterkopf und richtete seinen Blick auf die Frau, die sie wütend in dieser unbekannten Sprache anblaffte. Die Frau funkelte unheilverkündend zu ihnen hinunter und es war offensichtlich, dass sie eine Antwort erwartete. Daraufhin folgte ein trockener Kommentar des Katers, der beinhaltete, dass nicht jeder in der Lage war fließend Türkisch zu sprechen und Constantins Mundwinkel hoben sich unwillkürlich ein wenig mach oben. Die Frau blinzelte scheinbar überrascht und sah den Kater stirnrunzelnd an. „Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“, fragte sie schließlich mit deutlichem Akzent. „Wo sind die Runen?“ Ihre Stimme wurde hart, ebenso wie ihre Augen. Zögernd wandte Constantin seinen Blick zu Layla, um auszumachen, ob sie sich vielleicht einen Reim darauf machen konnte. Doch Layla sah nicht Frau an, und auf ihrer Stirn bildete sich eine leichte Falte. Ihrem Blick folgend stellte er überrascht fest, dass sie den verräterischen Kater ansah. Hat der Kater gerade leicht den Kopf geschüttelt? Constantin schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen. Das musste er sich eingebildet haben. Ohne die Gelegenheit zu bekommen noch einmal darüber nachzudenken, ob und wie er der Frau antworten sollte, wurde ihm diese Entscheidung abgenommen. „Would someone please be so kind and explain to me what the hell is going on here?”, ertönte eine neue Stimme. Überrascht richteten sich alle Augen auf den Neuankömmling, der an den Türrahmen gelehnt stand, und so den Weg nach draußen versperrte. Nicht, dass sie eine Möglichkeit gehabt hätten zu fliehen. Der Mann trug einen dunkelblauen Anzug mit einem hellblauen Hemd, jedoch keine Krawatte. Ebenso wie die Frau und der andere Mann trug er einen dieser silbernen Ringe am Finger. Zudem hielt er einen länglichen, in ein Tuch eingewickelten Gegenstand in der anderen Hand. Er war vielleicht Anfang bis Mitte dreißig, eher durchschnittlich groß, hatte grüne Augen und rote Haare, die Laylas sehr ähnlich waren. Sein Gesichtsausdruck war hart, aber glatt; einzig seine Augen funkelten wütend und gaben seine Gefühle preis. Die türkische Frau und der bärtige Mann schienen nicht weniger überrascht den Mann hier zu sehen als Constantin auch. Einzig der Kater schien den Mann erwartet zu haben, denn er wandte sich von der Frau ab und sprang neben dem Eingang auf eine Kommode um sich dort niederzulassen, als würde er so seine Loyalität gegenüber dem rothaarigen Mann bezeugen. Constantin nutzte die Gunst der Stunde und sah Layla fragend an. Und stutzte. Layla hatte ebenso wie alle anderen ihren Blick überrascht auf den Mann gerichtet, doch schien sie ihn im Gegensatz zu Constantin zu kennen. Gerade als er eine entsprechende Frage stellen wollte, hörte er die Frau sprechen und er richtete seinen Blick schnell wieder auf das Geschehen vor sich. „Generalleutnant McCambridge?“, fragte sie offenkundig überrumpelt. „Was tun Sie hier?“ Militär? Doch ein Alienexperiment? Ohne darauf einzugehen, antwortete er ein einem befehlenden Ton: „Release my daughter. Now. I won’t ask twice.“ Nachdem Phobos die Frau aufgefordert hatte, doch Englisch oder Deutsch zu sprechen, wiederholte sie ihre Frage erneut auf Deutsch, doch Layla sah die Frau überhaupt nicht an, sondern hielt den Blick auf Phobos gerichtet, welcher sie ebenso anstarrte, wie sie ihn. Die Frau hatte sie aufgefordert ihre Namen zu nennen und hatte nach den Runen gefragt. Wenn Layla nicht die ganze Zeit auf Phobos geschaut hätte, wäre es ihr wahrscheinlich entgangen, doch er schüttelte kaum merklich den Kopf bei dieser Frage, wie um ihr zu bedeuten nicht darauf zu antworten. Was soll ich denn bitte davon halten? Noch während sie über das seltsame Verhalten des Tieres – wenn er überhaupt ein Tier war – nachgrübelte, vernahm sie eine vertraute Stimme, die eine Erklärung verlangte. Überrascht und ungläubig mit der festen Überzeugung Wahnvorstellungen haben zu müssen sah sie auf. Ihr Herz machte zur Abwechslung einmal einen freudigen Hüpfer als sie ihren Vater im Türrahmen erkannte. Er trug noch immer den Anzug, den er am Morgen getragen hatte und hielt etwas Längliches in der Hand, das sie nicht genau erkennen konnte. Und er war wütend. Sie hatte ihn noch nie so wütend gesehen. Selten verlor er die Beherrschung und entgegnete etwas Hitziges, das er eigentlich nicht meinte, doch diese beherrschte, kalte Wut war auch für Layla neu. Kaum, dass er gesprochen hatte, wandte sich ihm auch der Kater zu und lies sich auf einer Kommode neben dem Eingang nieder. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass auf der Kommode auch ihr Schürhaken und ihre Taschenlampe lagen. Schließlich schien sich die Frau genügend gefangen zu haben, um Laylas Vater anzusprechen. Habe ich gerade richtig gehört? Hat sie ihn Generalleutnant genannt? Layla war schon fast davon überzeugt, dass sie dringend eine Ohrreinigung brauchte, als ihr Vater erneut das Wort ergriff. „Release my daughter. Now. I won’t ask twice.“ Die Aufforderung enthielt eine Drohung, die sie ihrem Vater unter anderen Umständen niemals zugetraut hätte, doch in diesem Moment war es Layla gleich. Sie hoffte nur noch schnell hier wegzukommen und nichts mehr mit alledem zu tun haben zu müssen. Neben sich bemerkte Layla, wie Constantin sie überrascht anstarrte und merkte, dass sie leicht errötete. Sie erwiderte seinen Blick mühsam mit einem Schulterzucken. „Ich dachte, dein Vater wäre ein Buchhalter“, flüsterte er und rutschte näher. „Dachte ich auch“, entgegnete sie ebenso leise, doch Constantin blieb keine Gelegenheit, denn der Bärtige Mann und die Frau hatten sich zu ihnen umgedreht und alle Blicke scheinen auf Layla zu ruhen. „Das ist Ihre Tochter?“, erwiderte sie überrascht und schaute zwischen Layla und ihrem Vater hin und her. „Ja“, antwortete Clancy sich der Allgemeinheit anpassend nun auch auf Deutsch. „Gibt es ein Problem, von dem ich wissen sollte? Aygül? Roland?“ Als er die beiden ansprach, schaute er jeden einzeln an. Er kennt diese Leute? „Nein“, meinte die Frau, „es ist nur so, dass wir von der Existenz von Runen hier wissen und gestern festgestellt haben, dass sie entfernt wurden.“ „Dann haben die Runen wohl ihre Besitzer gefunden“, warf Phobos trocken von der Kommode aus ein. „Soll vorkommen. Dann und wann. Das können natürlich auch nur Gerüchte sein.“ Clancy zog eine Augenbraue hoch und sah Phobos kurz an, sagte jedoch nichts weiter dazu. „Und?“ „Wie ‚Und?‘? Generalleutnant–“, doch weiter kam die Frau – Aygül – nicht, denn Clancy unterbrach sie. „Nenn mich bitte nicht mehr so. Ich habe das Amt vor über fünfzehn Jahren niedergelegt. Es gibt keinen Grund mich noch so zu nennen. Was ist nun das Problem mit den Runen?“, erkundigte er sich kühl. „Die neuen Besitzer müssen gefunden und trainiert werden!“, donnerte der bärtige Roland. „Und deswegen misshandelt man sie erst einmal, damit sie Vertrauen zu einem fassen? Ich sehe auf den Armen meiner Tochter Kratzer, die heute Morgen noch nicht da waren, ganz zu schweigen davon, dass sie noch bluten. Und dass der Junge sich den Kopf hält, kommt sicherlich auch von der plötzlich auftretenden Migräne, ausgelöst durch die starke Sonneneinstrahlung“, erklärte Clancy kühl und deutete mit seiner freien Hand auf die dunkle Lichtung. „Natürlich, ich werde meine Tochter ganz sicher in die Obhut der Wächter geben“, führ er ironisch fort. „Das letzte Mal hat ja auch so gut funktioniert.“ Irgendwie versteh ich nur Bahnhof… „Und was willst du dann machen? Beide selber ausbilden? Mit ihm?“, höhnte Roland und deutete abwertend auf Phobos. „Pass auf was du sagst, Frischling!“, fauchte der Kater und stand auf um ihn anzufunkeln. „Phobos…“ meinte Clancy beruhigend, „lass dich nicht provozieren.“ Nachdem der Kater sich offensichtlich widerstrebend wieder auf der Kommode niedergelassen hatte, setzte Clancy sich in Bewegung und ging auf Layla und Constantin zu. „Nebenbei sehe ich keinen Grund, warum ich nicht in der Lage sein sollte, beide zu unterrichten“, erläuterte er. „Bei privatem Unterricht hat ein Lehrmeister immer nur einen Schüler“, warf Aygül ein. Clancy ging zuerst nicht darauf ein, sondern reichte Layla anstatt dessen seinen freien Arm. „Kannst du aufstehen?“, fragte er leise und nachdem sie nickte zog er sie sanft auf die Beine. „Was ist mit dir?“, richtete er sich nun an Constantin. Nachdem auch dieser genickt hatte, zog Clancy auch ihn auf die Beine. Langsam seufzte er und drehte sich um, um Aygül anzusehen. „Das stimmt durchaus, aber es ist nicht verboten, mehrere Schüler zu haben. Die meisten privaten Lehrmeister sind nur zu bequem sich um mehr als um einen anstrengenden Teenager zu kümmern. Ich habe mich zehn Jahre lang mit biestigen Rekruten herumgeschlagen, da stellen zwei Heranwachsende, von denen eine meine Tochter ist, keine wirkliche Herausforderung dar.“ Ich weiß gerade nicht, ob ich beleidigt sein soll. „Abgesehen davon, haben sie in Phobos einen zweiten Lehrmeister.“ „Und was wollen Sie wegen den Essenzen unternehmen?“, fragte Aygül mit gerunzelter Stirn. „Mit Hilfe der Wächter lassen sich wesentlich schneller welche finden, als auf eigene Faust.“ „Wir brauchen nur eine Essenz für Layla. Constantin hat schon eine“, meinte Clancy abwesend und zog Layla einen Zweig aus den Haaren, sodass er Constantins verwirrten Blick nicht mitbekam. Constantin versteht genauso wenig wie ich… dachte Layla. Naja, wenigstens hat er eine Essenz, was auch immer das sein mag. „Ja, sicher“, höhnte Roland. „Im Gegensatz zu dir merkt Clancy schon bei einer leichten Berührung, ob ein Jungdruide eine Essenz besitzt oder nicht“, erläuterte Phobos trocken. „Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass du vielleicht den falschen Beruf gewählt hast, mein bärtiger Freund?“ Also Irgendwas scheint zwischen den beiden ganz und gar nicht zu stimmen… ich frage mich, was der Grund dafür ist… ein alter Zwist? „Für eine Essenz muss sie nicht den Wächtern beitreten“, meinte Clancy schließlich und überging Phobos Sticheleien geflissentlich. „Sympathisierst du jetzt auch noch mit den Söldnern?“, grollte Roland. „Gelegentlich haben sie gar nicht so falsche Ansichten“, sagte Clancy und schenkte Roland einen eiskalten Blick. „Und nun kommt.“ Er legte beiden eine Hand auf den Rücken und führte sie in Richtung Tür. „Moment!“, meinte Aygül scharf. „Sie können zwar für Ihre Tochter sprechen, aber nicht für den Jungen!“ „‘Der Junge‘ hat auch einen Namen und heißt ‚Constantin‘. Macht man sich nicht einmal mehr die Mühe die Namen der Besitzer herauszufinden?“, entgegnete Clancy und blieb am Eingang stehen. Nachdem er einige Sekunden ihren Blick erwidert hatte, wandte sie sich ab. „Constantin, wie alt bist du?“ „Äh, neunzehn“, antwortete er überrascht und Clancy lächelte leicht. „Damit bist du volljährig und hast das Recht selbst zu entscheiden, wer dich unterrichtet.“ „Oh, wenigstens eine gute Nachricht heute“, meinte Constantin mit einem grimmigen Lächeln. „Sollten da noch andere gewesen sein, hab ich die gerade nicht mitbekommen. Sowas passiert mir gelegentlich, wenn sich große Mysterien, die die Welt verändern, vor mir offenbaren. Also, wenn ich das richtig verstanden habe, dann gehören die beiden da“ – er deutete auf Roland und Aygül – „zu den ‚Wächtern‘, wer auch immer das ist und was auch immer die tun mögen, aber Sie nicht, oder?“ „Nein, nicht mehr“, antwortete Clancy lächelnd. „Nach dem Tod meiner Frau habe ich die Wächter endgültig verlassen.“ „Dann ist die Entscheidung ja nicht schwer“, entgegnete Constantin. „Ich gehe definitiv nicht zu diesen ‚Wächtern‘, da muss ich ja Angst haben, den kleinen Finger abgeschlagen zu bekommen nur, weil ich eine falsche Antwort gegeben habe, wenn ich schon nur für eine Frage gewaltsam in eine Hütte gezerrt und angeschrien werde. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich bei Ihnen wenigstens erklärt bekomme, was hier überhaupt vor sich geht. Gut, Sie haben einen creepy Kater, der auch noch mindestens drei Sprachen versteht“ von der Kommode kam ein Schnaufen „aber gut, alles hat seine Vor- und Nachteile“, endete er schulterzuckend. „Bevor du dich endgültig entscheidest“, fügte Phobos hinzu, „sollte dir klar sein, dass Clancy und ich nur ein Mann und ein ‚creepy Kater‘ sind. Die Wächter sind viele und können dich schützen, wenn nötig.“ Layla blickte unwillkürlich zu den beiden Wächtern. Aygül schien überrascht, als habe sie nicht mit diesem Zugeständnis Phobos‘ gerechnet. Rolands Miene jedoch war unter all den Haaren im Dämmerlicht nicht zu deuten. Neben sich vernahm sie ein Schnauben und drehte sich wieder Constantin zu. „Und wer schützt mich vor denen? Sicher nicht Knight Rider. Nein. Ich kann auch von dem nächsten Bus überrollt werden. Wenn ich so in die Welt gehe, kann ich mich auch gleich in eine Gummizelle einschließen.“ Mit diesen Worten wandte er sich demonstrativ der Tür zu um auf die Lichtung zu treten. Als Layla ihm folgen wollte, bemerkte sie, dass er wieder im Eingang stehen geblieben war. Sie dachte schon, sie wären wieder in der Hütte gefangen, doch dann fiel ihr auf, dass er die Schwelle überschritten hatte. „Was ist? Warum gehst du nicht weiter?“, fragte Layla. „Leute, ich glaube, wir haben ein Problem“, meinte er. Sie versuchte um ihn herumzuschauen und sah was er meinte: Auf der kleinen Waldlichtung tummelte sich eine Gruppe, der merkwürdigsten Kreaturen, die sie je gesehen hatte. Sie waren nicht einheitliche, sondern verschiedene Individuen. Einige sahen aus, wie Kreuzungen zwischen Käfer und Mensch, andere wiederum hatten anstatt Beine Tentakeln und ihre Köpfe schmückten Geweihe. Wieder andere hatten Flügel mit vielen Augen. Layla hatte nicht lange Zeit sich die Wesenheiten genauer zu betrachten, denn ihr Vater zog sie und Constantin schnell in die Hütte zurück. Noch während er die Tür zuzog, konnte Layla durch einen Spalt sehen, wie das Wesen mit den Augenflügeln zum Sprung ansetzte. Clancy zog gerade noch rechtzeitig die Tür hinter ihnen zu als auch schon die Wucht eines Körpers dagegen prallte. „Was zum Henker ist da draußen los?“, fragte Roland. „Formori. An die zwanzig“, antwortete Clancy knapp und Layla sah, wie die Farbe aus Rolands Gesicht wich. „Am besten verbarrikadieren wir die Fenster und alle anderen Ausgänge“, wies Clancy sie an, „danach sehen wir weiter, was wir als Waffen benutzen können. Hat irgendjemand etwas mit, wodurch wir Verstärkung bekommen können?“ Aygül schüttelte den Kopf. „Nein, nicht hier drinnen. Draußen haben wir unsere Taschen, in denen sich Spiegel befinden und ich wage zu bezweifeln, dass die noch intakt sind“, antwortete sie, während sie notdürftig einen Riegel vor einen Fensterladen schob. „Wir haben nur unsere Handys dabei“, fügte Constantin hinzu und verschloss schnell ein weiteres Fenster, „allerdings hatte ich hier gestern keinen Empfang. Abgesehen davon glaube ich kaum, dass wir mit einem Handy jemanden benachrichtigen können, der etwas gegen diese Viecher unternehmen kann, oder?“ Indes war Layla in das Schlafzimmer gerannt und hatte sich gegen den Fensterladen geworfen. Etwas zerrte auf der anderen Seite, doch sie stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Unerwartet kamen ihr zwei weitere Hände zu Hilfe, die die Läden festhielten. „Schieb den Besenstil durch die Griffe, Mädchen, ich halte solange die Läden fest“, grollte Roland. Sie tat wie ihr geheißen und schob das Holz mühsam durch die Öffnungen. Zurück im Wohnzimmer angekommen sah sie, dass die anderen den Tisch vor die Tür geschoben hatten, um sie so zu verschließen. Gegen die Tür wurden immer wieder Stöße von draußen geführt und sie erzitterte unter jedem Aufprall. Es dauerte auch nicht lange und die Fensterläden wurden ebenso von draußen bearbeitet. Nervös ging Layla zu ihrem Vater und Constantin, die sich in der Mitte des Wohnraumes befanden. „Hat einer von euch beiden Empfang hier draußen?“, fragte Phobos auf einer Kommode auf und abgehend. Schnell holte Layla genau wie Constantin ihr Handy aus der Hosentasche, doch musste enttäuscht feststellen, dass nicht nur keine Balken auf den kleinen Display zu sehen waren, sondern darauf stand: kein Netz. Sie seufzte und hob den Blick um mit einem Kopfschütteln zu verneinen. „Papa?“, nach einigen Augenblicken des Schweigens, in dem die Schläge gegen die Tür und die Läden immer lauter zu werden schienen. „Ja?“ „Was sind diese Wesen da draußen?“, wollte Layla wissen. „Grob gesagt, Dämonen. Der Großteil wurde vor langer Zeit versiegelt, doch durch einen Zwischenfall vor dreihundert Jahren wurden viele von ihnen befreit und streifen seither wieder durch die Welt. Die Wächter sind dafür verantwortlich die friedlichen Populationen vor ihnen zu schützen. Wir nennen sie die Formori.“ Layla heilt es für unklug ihre Assoziationen bei diesem Namen mit einem Monster aus der Shin Megami Tensei-Reihe kundzutun und beschränkte sich daher auf das Wesentliche, als die Tür ein weiteres Knarren von sich gab. „Und wie können wir sie besiegen?“ Überrascht sah sie ihr Vater an. „Sag mir jetzt nicht, dass man sie nicht töten kann! Ich bin ohnehin schon mit der Gesamtsituation unzufrieden!“ Er blinzelte kurz und grinste dann. „Doch, man kann sie töten, so wie man jedes Lebewesen auf irgendeine Art und Weise töten kann. Ich habe nur nicht erwartet, dass du so praktikabel mit dieser Situation umgehen würdest.“ „Sie schlägt nach Angelika“, meinte Phobos zufrieden und Layla bemerkte, wie sie rot wurde. „Und mit was entledigt man sich ihrer dann? Angesichts der Tatsache, dass die Tür wahrscheinlich nicht mehr lange halten wird, wäre es günstig sowas zu wissen“, fragte sie um ihre Verlegenheit zu überspielen. „Im Allgemeinen sind sie nachts agiler als tagsüber, was aber nicht heißt, dass sie am Tag nicht angreifen. Physikalische Schwächen sind unterschiedlich, je nach Gattung. Aber im Normalfall lässt sich sagen, wenn sie keinen Kopf mehr haben oder man ihr Herz durchbohrt, sind sie tot“, erklärte Clancy und schob sie ein Stück weiter von der Tür weg, die zu bersten drohte. „Mit einem Taschenmesser und einem Schürhaken kommt man da aber auch nur bis zu dem Versuch und nicht weiter…“, murmelte sie, während sie nach dem Schürhaken neben Phobos griff. „Am besten bleibt ihr bei mir“, meinte Phobos, woraufhin Layla und Constantin ihn fragend ansahen. „Ich kann einen Schild um euch herum aufbauen. Das ist zwar nicht ruhmreich, aber immerhin eine größere Überlebenschance als untrainiert mitten im Getümmel herumzuhechten.“ „Wie lange wird die Tür noch halten?“, ertönte Aygüls Stimme aus dem Schlafzimmer. „Nicht mehr lange“, rief Clancy zurück, „vielleicht fünf Minuten im Bestfall, aber ich denke weniger. Warum?“ „Wir haben in einem der Nachtschränke einen Spiegel gefunden und versuchen nun jetzt Hilfe zu rufen. Das kann aber etwas dauern, der Spiegel ist ursprünglich nicht magisch“, kam die Antwort zurück. „Phobos, geh mit den beiden in das hintere Zimmer. Es wird länger dauern bis sie dort sind“, sagte Clancy und wandte sich Richtung Tür. „Zeit schinden, wo es geht, wie?“ „Natürlich“, grinste er über seine Schulter zurück und begann den länglichen Gegenstand aus dem Tuch auszufalten. Verwundert stellte Layla fest, dass ein Infanteriedegen zum Vorschein kam. Ihr Vater löste ihn aus der Scheide und die Klinge glänzte im schwachen Licht. Zögernd blieb sie auf Höhe eines der versiegelten Fensterläden stehen, als Teile der Tür zerborsten und in Splittern in den Raum hineinflogen. „Was ist? Warum bleibst du stehen?“, wollte Phobos ungeduldig wissen und hielt wenige Schritte vor ihr entfernt ebenfalls an. Wieder einige Schritte weiterentfernt tat es ihm Constantin gleich und blickte sich um. „Er ist ganz alleine…“, begann sie. „Unterschätz deinen Vater nicht. Ich habe selten jemanden gesehen, der schneller in den Rängen der Wächter aufgestiegen ist als er.“, entgegnete Phobos und sie meinte den Kater grinsen zu sehen. Hinter ihnen krachte es und die Tür gab endgültig nach. In den kleinen Raum ergoss sich eine Flutwelle aus dunklen Leibern. Gerade wollte sie sich wieder in Bewegung setzten als auch die Fensterläden ihren Dienst versagten und knarrend nachgaben. Wie in Zeitlupe, warf sich Layla zu Boden, als über ihr der Fensterladen zerborst und Splitter über sie hinabregneten. Hustend und blind durch den Staub tastete sie nach dem Schürhaken, der ihr aus der Hand gerutscht war. Nach Sekunden, die sich wie Jahrzehnte anfühlten, fand sie ihn endlich und kroch auf die Stelle zu, an der sie Augenblicke zuvor noch Phobos gesehen hatte. Layla kroch nur wenige Meter und stieß fast gegen die Wand. Mit pochendem Herzen zog sie sich an ihr hoch, wagte kaum sich umzusehen. Überall um sie herum ertönte Lärm, den sie nicht zuordnen konnte. Langsam drehte sie sich um, die Wand immer im Rücken. Die Staubwolke hatte sich etwas gelichtet und sie konnte zumindest eine der Geräuschursachen ausmachen. Ihr Vater stand nahe der einstigen Tür, die jetzt nur noch ein klaffendes Loch mit ausgefransten Rändern darstellte. Er kämpfte mit mindestens vier der Kreaturen, sicher war sich Layla aber nicht, da sie die Arme und Beine den Kreaturen nicht eindeutig zuordnen konnte. Clancy parierte nahezu jeden Streich der Formori und schaffte es gleichzeitig selbst auszuteilen. Jeder Streich erklang laut in ihren Ohren, wenn Clancys Schwert auf Widerstand traf, den es nicht durchbrechen konnte, und jeder Treffer in die weicheren Regionen der Leiber klang schmatzend aus. Doch kaum konnte er einen Formor niederstrecken, füllte ein anderer seinen Platz. Zuerst glaubte Layla ihren Augen nicht trauen zu können und es mit einer Sinnestäuschung zu tun haben zu müssen als sie ein Leuchten um Clancys unbewaffnete, linke Hand sah. Doch das Leuchten verschwand nicht. Im Gegenteil; es schien stärker zu werden. Wenige Augenblicke später war es so stark, dass Layla kleine Blitze ausmachen konnte, die die geschlossene Hand ihres Vaters umgaben, Noch ehe sie diese Information verarbeiten konnte, machte er eine werfende Bewegung mit der Linken und eine Art Blitz schoss daraus hervor um zwei Formori niederzustrecken, die nach dem Aufprall reglos auf dem Boden liegen blieben. Clancy nutzte die Gunst der Stunde um sich ein Stück umzudrehen und zu rufen: „Wie weit seid ihr?“ „Haben die Nachricht gerade gesendet!“, grollte Roland. Doch Clancy hatte nicht die Gelegenheit irgendetwas darauf zu erwidern. Erneut wurde er angegriffen. Als klar war, dass ihr Vater sich würde halten können, fing Layla sich endlich wieder aus ihrer Starre und begann nach Phobos zu suchen. Sie schaute nach rechts und links, doch konnte den Kater nicht entdecken. Etwa ein oder zwei Schritte von ihr entfernt befand sich die Tür, die in das Schlafzimmer führte. Vielleicht war Phobos im Schlafzimmer, um die anderen beim Senden des Hilferufs abzuschirmen. Sie machte einen Schritt vorwärts, doch nur um sofort wieder wie angewurzelt stehen zu bleiben. In dem zerfetzten Fensterrahmen neben der Tür erschien eine klauenartige Hand, der sogleich ein Körper folgte und sich langsam durch das Loch in das Zimmer zog. Ebenso langsam rutschte der Formor zu Boden und starrte sie aus Facettenaugen an. Ein Knurren entrann seiner Kehle und er richtete sich auf. Mit pochendem herzen und Rauschen in den Ohren trat Layla einen Schritt zurück und der Formor folgte ihren Bewegungen mit dem Kopf. Aus dem Nebenzimmer hörte sie ein Reißen, doch sie kümmerte sich nicht darum, zu sehr war sie mit dem Wesen vor ihr beschäftigt. Sie fasste den Schürhaken fester und trat einen weiteren, kleinen Schritt zurück doch diesmal folgte ihr das Wesen. Sein Körper hatte vier Glieder, zwei Arme, die in Klauenhänden endeten, und zwei Beine. Ansonsten ähnelte der Formor eher einer Kreuzung aus Käfer und Fliege als einem Mann. Der schmale Brustkorb war gepanzert und glänzte im schwachen Licht, Arme und Beine waren feingliedrig und behaart. Während sie weiter versuchte dem Formor zu entrinnen, merkte sie, wie die Reste der Staubwolke sich über den Kopf des Wesens hinweg zu sammeln schienen und in das Nebenzimmer gesogen wurden. Von nebenan hörte sie ein Windheulen, doch wusste nicht, wie sie es in das gesamtgeschehen einordnen sollte. Ihre Ablenkung ausnutzend, machte das Wesen einen Satz und beförderte sie krachend gegen die Wand. Sie fühlte wie sich kalte Klauen um ihren Hals legten und sie gegen die Wand drückten, während ihr die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Der Schürhaken drohte ihrem Griff zu entgleiten und ihre Sicht begann zu verschwimmen. Sie versuchte nach dem Formor zu treten, doch seine Arme waren zu lang und hielten sie zu weit von seinem eigenen Körper entfernt. Als sie seinen stinkenden Atem auf Ihrem Gesicht fühlte, wurde ihr übel, doch ihr Herz schlug durch den Adrenalinschub schneller. Das Blut rauschte durch ihren Körper, doch es hatte nicht genügend Sauerstoff. Schwarze Flecken trübten ihre Sicht und der Schürhaken glitt geräuschlos zu Boden. Also fängt man vor dem Tod durch Ersticken noch an zu halluzinieren… ich sehe grade Constantin mit einem Stuhl in der Hand…. Man, sieht der wütend aus… Vielleicht halluziniert man kurz vor dem Tod, vielleicht auch nicht. Layla fand es in diesem Moment nicht heraus, denn Constantin schlug dem Formor einen Stuhl auf den Kopf der sogleich zerbarst. Zwar raubte er Schlag dem Formor nicht die Besinnung, doch er sorgte zumindest dafür, dass das Wesen seinen Griff um Laylas Hals lockerte und sie an der Wand zu Boden rutschte. Noch immer schwindelig klärte sich ihre Sicht langsam und die schwarzen Punkte verschwanden aus ihrem Sichtfeld. Layla sog tief Luft ein und tastete geistesgegenwärtig nach ihrem Schürhaken. Verärgert durch den Angriff Constantins wandte der Formor leicht seinen Oberkörper von ihr ab, als wolle er sich lieber auf den Störenfried stürzen. Blitzschnell sprang Phobos erschein Phobos zu Constantins Füßen und die Luft zwischen ihnen und dem Formor begann leicht zu flimmern. Grollend wandte der Formor sich den beiden Störenfrieden weiter zu und vor Layla offenbarte sich weiches Bauchfleisch. Geistesgegenwärtig stieß Layla den Schürhaken empor und rammte ihn dem Formor zwischen die Rippen, sodass er vor Schmerz, so hoffte Layla, laut aufheulte. Der Stab drang tief in das weiche Fleisch ein und Layla drückte fester zu. Mit jeder Krafteinheit die sie in den Schürhaken legte, drang er tiefer in den fremden Körper ein. Die Flüssigkeiten, die aus der Wunde quollen, und das Gefühl des nachgebenden Widerstandes, lösten Übelkeit in Layla aus, doch sie ließ nicht locker. Schließlich wurde es dem Formor zu bunt und er schwang mit seiner Klauenhand nach ihr. Sie wurde gegen eine weitere Kommode geschleudert und fühlte wie warmes Blut ihren Arm herunterran. Knurrend kam der Formor wieder auf sie zu, doch sie hatte kaum Zeit sich, benebelt wie sie war, auch nur aufzusetzen. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Phobos und Constantin dem Formor nachsetzten, doch hinter ihnen war unbemerkt ein weiterer in den Raum gekrochen. Layla wollte eine Warnung ausrufen, aber ihre Stimme versagte. Hilflos musste sie mitansehen, wie der neue Formor auf Constantin zusprang und ihn gegen die Wand warf. Sie sah noch, wie Aygül aus dem Schlafzimmer kam, in eine Wolke aus Staub eingehüllt. Phobos versuchte ebenfalls etwas zu tun, denn die Luft flimmerte wieder, doch Layla war nun gezwungen sich wieder mit dem ersten Formor zu beschäftigen, da er sich in ihr Sichtfeld schob. Knurrend und schlurfend kam er immer näher, langsam aber unerbittlich. Er legte eine Klauenhand an den Schürhaken und zog ihn aus seinem Körper. Klatschend ergoss sich dunkle Flüssigkeit auf dem Boden und glänzte im einfallenden Mondlicht silbern. Layla versuchte wegzukriechen, stieß aber gegen eine Wand. Besonders helle sind diese Viecher ja nicht, so ist der Blutverlust wesentlich höher und der blutet irgendwann aus. Aber bevor das passiert, ist er hier und reißt mir den Kopf ab. Wenn diese Wunde nur schneller bluten würde… Plötzlich kam ihr eine Idee. Was wenn, das, was in der Dusche gesehen war, kein Zufall war? Was wenn es noch einmal funktionierte? Probieren geht über studieren. Versuchen kostet nichts… außer vielleicht meinem Leben… aber welche Wahl habe ich schon? Ich bin in eine Ecke gedrängt, kann mich kaum bewegen und mein Schürhaken liegt zwei Meter hinter dem Vieh! So gut wie unter diesen Umständen möglich konzentrierte sie sich auf die Wunde des Formors, dachte immer daran den Blutfluss zu beschleunigen. Langsam bekam sie Kopfschmerzen, doch ihre Versuche zeigten Wirkung: der Formor blutete schneller und die Lache auf dem Boden schwoll zu einem silberschwarzen See an. Dennoch war der Formor immer noch zu schnell. Zwar blutete er umso mehr, je näher er Layla kam, doch, war die Distanz wieder auf einen Meter geschrumpft und sie konnte seinen röchelnden Atem hören. Sie sah noch, wie der Formor zum Sprung ansetzte, doch konnte nicht mehr in irgendeine Richtung ausweichen und wurde unter seinem Gewicht begraben. Fieberhaft suchte sie nach der Wunde um die Hände darauflegen zu können, in der Hoffnung die Blutung zu beschleunigen. Ringend rutschten ihre eigenen glitschigen Hände über den Brustpanzer der Kreatur hinunter bis zu der Verletzung. Sie drückte die Hände so gut es ging auf die Wunde, das weiche Fleisch unter ihren Händen fühlend, das Blut durch ihre Finger rinnen spüren. Schlagartig beschleunigte sich der Blutfluss und Layla musste den schnappenden Greifwerkzeugen des Formors ausweichen, die fanatisch klickten. Irgendwo weit weg, wie ihr schien, hörte sie etwas wie eine Explosion. Ganz unerwartet hörten die Greifwerkzeuge auf zu klicken und etwas tropfte auf Laylas Stirn. Misstrauisch schaute sie zu dem Wesen über ihr auf, hielt jedoch die Hände fest auf die Wunde gepresst. Während sie aufblickte, löste sich der Köpf des Formors von dessen Rumpf und rollte zur Seite um mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden aufzuschlagen. Noch bevor Layla diese Information verarbeiten konnte, wurde der schwere Körper von ihr gehoben und sie blickte in das grimmige, aber zufrieden wirkende Gesicht ihres Vaters. „Nicht schlecht“, meinte er und zog sie schnell auf die Beine. Endlich wieder stehend und schwer atmend, sah sie sich um. Eine Seite der Hütte war fast komplett eingestürzt und ermöglichte einen Blick auf die Lichtung, auf der ein riesenhafter Wolf einem Formori gerade dem Kopf mit dem Maul abriss. Aygül umgab noch immer eine Staubwolke, die gerade einen Formori vertrocknen lies. Constantin und Phobos hatten ihren Formor – oder einen anderen – umzingelt und immer, wenn dieser versuchte nach Phobos, der scheinbar leichteren Beute, zu schnappen, von Constantin eins mit dem Kandelaber übergebraten bekam. Sobald er sich dann Constantin zuwandte, flog Besteck durch die Luft und bohrte sich dem Formor in den Leib. Diese „Technik“ mussten sie schon einige Male angewandt haben, denn im Rücken des Formors steckten zahlreiche Gabeln. Langsam machte sich auch ein beißender Geruch bemerkbar und Layla suchte unwillkürlich nach der Quelle. Ihr Blick schweifte durch den Raum; dort, wo vorher der Eingang war, lagen nun massenhaft dunkle, regungslose Körper, die eindeutig verbrannt aussahen. Verstohlen warf sie ihrem Vater einen Seitenblick zu. „Selber nicht schlecht, Herr Generalleutnant“, meinte sie trocken, woraufhin er zum Sprechen ansetzte, doch ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, fuhr sie fort, „jetzt haben wir keine Zeit, aber später werde ich mit allen Mitteln eine Erklärung verlangen, verlass dich drauf. Und wo zum Geier ist mein Schürhaken? Ich fühle mich gerade nackt.“ Mit betont neutralem Gesicht, welches Layla nur zu gut als unterdrücktes Schmunzeln zu deuten wusste, wies Clancy auf einen Fleck wenige Meter von Laylas Formor entfernt. „Allerdings wage ich zu bezweifeln, dass du den noch brauchen wirst“, fügte Clancy hinzu, nachdem Phobos‘ und Constantins Formor auch zu Boden sank und scheinbar das Zeitliche gesegnet hatte. „Egal. Nackt ist nackt“, entgegnete sie und machte die wenigen Schritte, um den Schürhaken aufzuheben. Er war klebrig und in dem der dunkeln Flüssigkeit getränkt, die Formorblut zu sein schien. Draußen ertönte noch ein letztes Heulen und dann Stille. „Du blutest“, hörte Layla Constantin neben sich. „Du auch“, entgegnete sie. „Ich hab dir gesagt, wir hätten ein Handtuch mitnehmen sollen“, erwiderte er und sie musste lachen. Langsam trat nun Aygül auf die kleine Gruppe zu. „Meint ihr nicht, dass ihr bei den Wächtern sicherer seid?“, fragte sie an Constantin und Layla gewandt. „Bevor ich nicht weiß, was hier vor sich geht, meine ich gar nichts“, entgegnete Constantin. „Ich bleibe bei meinem Vater“, sagte Layla nur und wandte sich zum Gehen. Aygül seufzte. „Formoriübergriffe sind in den letzten Jahren immer häufiger geworden…“, setzte sie an. „Nein“, entgegnete Clancy ruhig, „das war vorher auch schon so, glaub mir. Jetzt ist es nur so, dass die Wächter die Kontrolle verlieren.“ Nachdem sich Clancy davon versichert hatte, dass keine Formori mehr in der Lage waren anzugreifen, untersuchte er Laylas und Constantins Wunden. „Eigentlich müssten wir beides gründlich reinigen und verbinden, aber wir haben hier gerade nicht die Mittel dazu. Am besten gehen wir nach Hause und ich versorge eure Wunden“, murmelte er stirnrunzelnd als er Constantins Schulter untersuchte. „Allerdings sollten wir die Blutung so gut wie möglich lindern…“ Noch während er sprach, zog er sich Jackett und Hemd aus, um letzteres in schmale Streifen zu reißen. Ein Stück zusammengefalteten Stoff legte er auf die Wunde und wies Layla an den Druck aufrecht zu erhalten während er notdürftig Constantins Schulter mit den Stoffstreifen umwickelte. Ähnlich behandelte er Laylas Arm und Constantin hielt den Druck konstant. Schließlich legte er ihr noch sein Jackett um die Schultern, das sie gerne willkommen hieß, denn langsam kroch ihr die Kälte in die Glieder. „Das hält zwar nicht ewig, aber zumindest bis nach Hause“, meinte Clancy und sie begaben sich auf den Rückweg durch den nächtlichen Wald. Vorsichtshalber ging Phobos an der Spitze um nötigenfalls schnell einen Schild aufbauen zu können, sollten noch weitere Formori in den Wäldern umherstreifen. Danach folgten Layla und Constantin schweigend und Clancy bildete mit blankgezogenem Degen die Nachhut. Nachdem das Adrenalin langsam in ihrem Körper abgebaut wurde, begann Laylas Arm unter dem Verband dumpf und schmerzhaft zu pochen. Ein Seitenblick auf Constantin bestätigte ihr, dass es ihm wahrscheinlich nicht besser ging: Er hielt sich die Schulter und unter seinen Fingern sickerte dunkles Blut hervor, doch seine Lippen verlies kein Laut, sein Gesicht verzog kaum eine Miene. Phobos schien weitestgehend unverletzt, sofern Layla erkennen konnte. Blieb also nur noch ihr Vater. Nun, außerhalb der Gefahrensituation, stellte sich Trotz, Verwirrung und Ärger bei Layla ein. Warum hatte er all dies vor ihr geheimgehalten? Wie sollte sie ihm jetzt noch trauen? Verstohlen blickte sie sich zu ihm um. Obwohl Layla so viele Fragen beschäftigten, wagte sie nicht auch nur eine zu stellen solange sie ungeschützt den Wald durstreiften. Sie wusste zwar nicht, ob sie in ihrem Haus sicherer waren als hier draußen, doch erfüllte sie allein der Gedanke an die eigenen vier Wände mit Wohlbehagen und Ruhe. Ganz in Gedanken versunken bemerkte Layla erst gar nicht wie sich der Pfad vor ihnen lichtete und den Blick auf ihren Garten preisgab. Als sie das weiche Gras unter ihren Sohlen fühlte, atmete sie erleichtert aus. Doch erst als sie die Veranda erreichten und Clancy vortrat, um sie einzulassen, stellte sich ein beruhigendes Gefühl ein. Layla trat durch die geöffnete Glastür ins dunkle Wohnzimmer und sog den vertrauten Duft ein. „Wartet bitte kurz hier, ich hole Verbandszeug.“, bat Clancy sie und verschwand nachdem er das Licht eingeschaltet hatte, in seinem Schlafzimmer. Nach einigen Augenblicken kehrte er mit einem Verbandskasten und einem Stapel Kleidung zurück. „Ich denke, ihr habt beide das Bedürfnis wieder sauber zu sein“, meinte er und nachdem sie kräftig nickten führ er fort, „Layla, dein Arm sieht nicht ganz so schlimm aus wie Constantins Schulter. Geh am besten schon einmal hoch, dusch dich und komm danach wieder runter, damit ich deinen Schnitt nähen kann. Constantin, du kommst am besten gleich mit mir.“ Da Layla den wenig betörenden Duft ihrer selbst keine fünf Minuten länger ausgehalten hätte, war sie nur zu dankbar für diese Anweisung. Müde machte sie sich auf den Weg in den ersten Stock und schälte sich noch in ihrem Zimmer aus ihrer verschmutzten Kleidung, die sie einfach erst einmal auf einem Haufen neben der Toilette liegen ließ. Den dürftigen Verband ließ sie vorsichtshalber noch an Ort und Stelle, da sie nicht den Blutfluss unnötig anregen wollte. Der warme Strahl war eine warme Wonne auf ihrer kühlen Haut und sie blieb einige Augenblicke länger als nötig unter der Dusche. Gute zehn Minuten später verließ sie ihr Zimmer und traf auf der Treppe auf Phobos. „Und? Wie sieht es aus?“, fragte sie ungeachtet des seltsamen Gefühls von dem Kater eine wirkliche Antwort zu bekommen. „Constantin ist auch gerade fertig mit duschen. Clancy meinte, ich solle nach dir sehen, damit du ihm mit den Verbänden helfen kannst. Aus Offensichtlichen Gründen bin ich dazu nicht in der Lage“, entgegnete er und Layla meinte Verbitterung in seiner Stimme mitschwingen zu hören. Mit einem Nicken nahm sie die Information entgegen und machte sich auf den Weg in das andere Bad des Hauses. Vor dem Badezimmer hielt sie kurz inne und klopfte ungewohnter Weise an die Tür. Nach einem „Komm rein“ von drinnen stieß sie die Tür auf und trat ein. Constantin saß mit freiem Oberkörper auf dem Rand der Badewanne und Layla bemühte sich nach Möglichkeit nicht zu starren, was ihr zugegebener Maßen einige Mühe machte, denn er sah bei weitem nicht schlecht aus, was sie wahrscheinlich zum ersten Mal wirklich registrierte. Um sich abzulenken räusperte sie sich leicht und blickte auf ihren Vater. Er stand sehr nah an Constantin und trug Einweghandschuhe. In den Händen hielt er eine Nadel und Layla ahnte schon, was nun kommen würde. „Was soll ich tun?“, fragte sie ein wenig hilflos. „Im Augenblick noch nicht viel“, antwortete Clancy. „Erst muss ich desinfizieren, dann kann ich nähen.“ Diese Antwort lenkte Laylas Aufmerksamkeit zum ersten Mal seit der Waldlichtung auf Constantins Wunde. In seiner Schulter klaffte ein Loch als habe jemand etwas längliches und spitzes gewaltsam hineingezwungen. Schließlich nahm Clancy eine grüne Flasche zur Hand und träufelte deren Inhalt auf ein Wattepad. „Vorsicht“, warnte er, „das wird jetzt ordentlich brennen.“ Nachdem Constantin genickt hatte, presste er die Lippen zusammen und Laylas Vater betupfte die Wunde. Constantin sog scharf Luft ein, doch beklagte sich nicht. Schließlich nahm Clancy die Nadel zu Hand und zog einen langen Faden durch das Nadelöhr. „Na gut. Layla, jetzt kannst du mir helfen. Neben dem Verbandskasten liegt eine Packung mit Einweghandschuhen. Nimm dir bitte welche und hilf mir beim Nähen.“ Sie musste schockiert dreingeschaut haben, denn er fügte hinzu: „Du sollst mir nur helfen, das Gewebe zu halten, das eigentliche Nähen übernehme ich.“ Etwas erleichterter atmete sie aus und tat wie ihr geheißen. „So, am besten steigst du in die Wanne und stellst dich hinter Constantin. Gut. Jetzt drückst du das Gewebe so zusammen. Sehr gut.“ Er führte ihre Hände an Constantins Schulter und zeigte, wie sie das Fleisch zusammendrücken sollte, woraufhin Constantin kurz zuckte. „Fertig?“, erkundigte sich Clancy. „Nicht wirklich, aber wenn wir darauf warten würden, dass es mir in den Kram passt, säßen wir noch nächste Woche hier“, entgegnete Constantin und Clancy schmunzelte leicht. „Dann mal los.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)