Die Nebelhexe von Lianait (Formori-Chroniken I) ================================================================================ Kapitel 2: Tarot ---------------- Wie vorher schon einmal erwähnt, ist dieses Kapitel als einziges noch in der ersten Person geschrieben. Bei Gelegenheit werde ich das noch ändern, wobei der Inhalt natürlich derselbe bleiben wird. Viel Spaß ^^ __________ Ich ließ alles stehen und liegen und rannte so schnell ich konnte aus meinem Zimmer. Vorbei an einem aufgeschreckten Phobos stolperte ich geradezu die Treppe hinunter; den Runenknochen die ganze Zeit in der Hand fest umklammert. Halbwegs heil am unteren Ende der Treppe angekommen, flog ich nur so um die Ecke und ließ mich sogleich auf die Knie fallen. Ich durchwühlte den kleinen Telefontisch, bis ich endlich fand, was ich suchte: das Telefonbuch. Glücklicherweise hat das Örtliche eine Landkarte der Umgebung. Wo hat er noch einmal gesagt, wohnt er? Andere Seite des Waldes… aber wo? Ungeduldig schlug ich das Telefonbuch auf und blätterte zu der Seite, die die Umgebung meiner neuen Heimat zeigte. Als ich zum ersten Mal in unser neues Telefonbuch geschaut hatte, war ich etwas verwirrt gewesen, da sich vor mir eine relativ detaillierte Karte erstreckte; in den städtischen Telefonbücher, die ich zuvor gesehen hatte, konnte man nur eine grobe Karte der Stadtteile ausmachen. Nachdem ich mich einigermaßen auf der Karte zurecht gefunden hatte, konnte ich nun auch den Wald und die Stadt ausmachen. Ich fand unser Hause am Waldrand abseits der Stadt und ein Stück darüber auf der Karte ein weiteres Haus. Die beiden Grundstücke wurden getrennt durch den Wald. Soweit stimmt also alles… Was mache ich jetzt? Versuche ich unter dem Namen ‚Morgenthal‘ einen Eintrag zu finden oder fahre ich gleich hin? Noch während ich vor mich hin grübelte, sah ich wie Phobos die Treppe hinunterkam. Seine Pfoten machten keinerlei Geräusch auf dem weichen Läufer und etwa auf der Hälfte seines Weges setzte er sich auf eine Stufe, schlang den langen Schwanz um die Beine und sah mich unverwandt an. Als ich in seine funkelnden Augen blickte, lief mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht. Er verhielt sich nicht wie eine Katze und das ungute Gefühl in meiner Magengegend verstärkte sich. Ich wollte nur noch weg von dieser Katze. Diesem Bedürfnis nachgebend beschloss ich gleich auf die andere Waldseite zu fahren und nicht anzurufen. Selbst wenn kein Constantin Morgenthal auf der anderen Waldseite wohnte, so war ich dann immer noch weit genug weg von Phobos. Da Sommer war und sich ein heißer Tag ankündigte, verzichtete ich darauf mir eine Jacke mitzunehmen und zog nur schnell etwas weniger Gammeliges und Schuhe an, schob den Runenknochen in eine Hosentasche, nahm meinen Schlüssel vom Schlüsselbrett und versicherte mich davon, dass alle Türen verschlossen waren. Auf meinem Weg durch das Haus folge mir Phobos auf Schritt und Tritt und verunsicherte mich immer mehr. Ständig fühlte ich seinen Blick in meinem Nacken. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, doch ich bin mir nicht sicher inwiefern mir das gelungen war. Als ich an unserem Kamin vorbeikam, bemerkte ich, dass der Schürhaken nicht mehr in seinem Ständer war, was nur meine Sorge verstärkte. Dummerweise hatten wir nur ein Auto und mit diesem war mein Vater zur Arbeit gefahren, daher musste ich auf mein Fahrrad umsatteln. Ich schloss die Verandatür, mir der Tatsache Phobos im Haus eingeschlossen zu haben vollkommen bewusst, und ging über die Veranda und durch den Garten auf den Fahrradschuppen zu. Der Weg durch den Garten kam mir so lang vor wie der Jakobsweg und ständig meinte ich Phobos‘ Blicke noch immer auf mir zu spüren. Unwillkürlich beschleunigte sich meine Atmung. Hektisch und mit zitternden Händen schloss ich den kleinen Schuppen auf und trat durch die Tür. Der Schuppen war noch immer staubig und beinhaltete noch Werkzeuge, die gefühlte 500 Jahre alt sein mussten. Als wir eingezogen waren, hatten wir nur schnell unser eigenes Gartenwerkzeug hinzugefügt und unsere Fahrräder in den Schuppen gestellt. Schnell räumte ich meins frei und versuchte es mehr schlecht als recht aus dem Schuppen zu befördern, wobei ich an etwas hängen blieb und hinfiel. Als ich mir hustend den Staub aus den Augen rieb, bemerkte ich entsetzt wie knapp ich einer Hacke, die auf dem Boden lag, nur um wenige Zentimeter entgangen war. Der Schock breitete sich in meinem Körper aus, mein Herz schlug schneller und mir wurde kalt als würde sich eine eisige Hand um mein Innerstes schließen. Zitternd streckte ich meine Hand nach der Hacke aus, um sie wieder aufzustellen, damit nicht noch jemand wirklich hineinfiel; allerdings ließ das Gefühl des Festgehaltenwerdens nicht nach. Um mich zu beruhigen schaute ich mich um in der Hoffnung zu sehen, worüber ich gestolpert war, doch ich erkannte in dem dämmringen Schuppen nichts Auffälliges, aber ich war nicht der Typ, der beim Laufen über seine eigenen Füße stolperte… Als ich mich aufrappelte, hörte ich ein Kichern, doch als ich aufsah, war nichts in dem Schuppen. Schaudernd hob ich mein Fahrrad vom Boden auf, klopfte mir notdürftig den Staub von den Kleidern und ging so schnell wie möglich aus dem Schuppen, immer den Boden wachsam im Auge. Und prompt stieß ich mir den Kopf an etwas Undefinierbarem, das von der Decke hing. Hing das schon immer hier? Fluchend rieb ich mir meine Beule und vernahm wieder das Kichern, dieses Mal jedoch deutlicher als zuvor und die Kälte in mir wurde stärker. Doch als ich mich wieder umdrehte, war da nichts. Wer hätte es auch anders erwartet? Zum Glück war ich nur noch einen halben Meter von der Tür entfernt und konnte diese mit einem Tritt nach draußen aufstoßen. Warmes Sonnenlicht strömte herein und ich meinte ein Zischen zu vernehmen, fast wie ein Fluchen. Ich trat ins Sonnenlicht und die Kälte, die sich in mir breit gemacht hatte, wurde mit jedem Schritt, den ich tat, geringer. Doch erst als ich die Türschwelle passiert hatte und den Schuppen verließ, ließ auch das festhaltende Gefühl nach. Mit einer Gänsehaut, aber erleichtert, verließ ich den Schuppen und schloss die Tür schneller und härter hinter mir als nötig gewesen wäre. Mit leicht zitternden Fingern brachte ich wieder das Vorhängeschloss an und verriegelte so die Tür. Unwillkürlich musste ich zum Haus aufblicken und mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich Phobos auf einer Fensterbank im Wohnzimmer sitzen und zu mir herunterschauen sah. Schaudernd zwang ich mich den Blick von ihm abzuwenden und schob mein Fahrrad durch den Garten vor das Haus auf die Ausfahrt zu. Ohne ein weiteres Mal zum Haus zurückzuschauen schwang ich ein Bein über mein Fahrrad um aufzusitzen. Ich wollte nicht wissen, dass Phobos auf einem anderen Fensterbrett saß, wenn ich zurückblickte. So schnell ich konnte verließ ich unser Grundstück und machte mich auf die Suche nach dem nächsten Feldweg, der hoffentlich am Wald entlang lief. Wenigstens einmal an diesem Tag sollte ich Glück haben und fand einen Weg, der mich um den Wald herumführte, ohne ein einziges Mal durch ihn hindurch fahren zu müssen. Noch immer aufgeregt durch die Geschehnisse zu Hause konnte ich die Fahrt und Aussicht nicht wirklich genießen. Okay, zum Einen das und zum Anderen, die Tatsache, dass ich schon lange nicht mehr eine längere Strecke mit Steigungen gefahren war und meine Ausdauer in den letzten Monaten leicht in die Inexistenz gerutscht war. Mindestens eine halbe Stunde verbrachte ich keuchender Weise auf diesem Feldweg, den man mit ein wenig Kondition sicher in der Hälfte der Zeit geschafft hätte. Irgendwann suchte ich mir nur noch Punkte, an denen ich mich festhielt und mich so Stück für Stück vorarbeitete, einen Baum, eine Weggabelung, eine Biegung des Waldes. Die Sommerhitze und die ungewohnte Anstrengung brachten mich schnell zum Schwitzen und der Fahrtwind begann auf meinem Gesicht zu brennen. Als sich schon ein starkes Gefühl der Monotonie eingestellt hatte, bog ich erneut um eine Ecke und erblickte ein Fachwerkhaus mit schwarzen Ziegeln, weiß verputztem Gefach, dunkelgrünen Balken und Fensterläden. Keuchend und auf dem Kies schlitternd kam ich an einem niedrigen Gartentor an. Ich stieg von meinem Rad und lehnte es an den Zaun. Schnell überprüfte ich noch einmal mein äußerliches Erscheinungsbild und musste feststellen, dass sich immer noch Staub auf meiner Kleidung befand. Leise fluchend klopfte ich die letzten Staubreste von meiner schwarzen Hose und meinem dunkelfliederfarbenen T-Shirt so gut es ging und durchschritt währenddessen das Gartentürchen. Der graue Kies knirschte leise unter meinen Sohlen und ich war mir meines noch immer keuchenden Atems bewusst wie auch meines immer noch schnell schlagenden Herzen, das sich gegen meinen Brustkorb drängte. Endlich an der hölzernen Haustür angekommen, blickte ich auf das Messingschild über der Klingel: Sybille Morgenthal Wahrsagerin Sprechstunde nach Vereinbarung Was zum Henker mache ich hier eigentlich? Ich bin auf gut Glück hier hergefahren, weil ich plötzlich Schiss vor meinem Kater bekommen habe und ihm entfliehen wollte! Was, wenn das alles doch nur ein Traum war? Und was ist mit dem Knochen und all den anderen Dingen? Zumindest wohnt hier schon mal jemand mit dem Namen ‚Morgenthal‘. Noch dazu eine Wahrsagerin. Wie groß ist jetzt auch noch die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen Neffen hat der ‚Constantin‘ heißt? Um das herauszufinden kann ich nur eins tun: Klingeln. Mehr als wegschicken kann mich die Frau auch nicht. Nachdem ich mein inneres Selbstgespräch beendete hatte, hob ich meine Hand und betätigte die Klingel. Einige Minuten geschah nichts, bis schließlich eine Frau die Tür öffnete. Sie war etwa Ende dreißig, groß, hatte braunes Haar, das ihre sympathischen Züge umspielte, und die ungewöhnlichste Augenfarbe, die ich je gesehen hatte: gelb. Auch ohne das Schild neben der Klingel gelesen zu haben, stand Esoterik dieser Frau auf den Leib geschrieben, oder vielmehr geschneidert. Sie trug einen dunkelroten Rollkragenpullover, darüber einen Schal um die Schultern gelegt, der passend zu dem leichten, aber weiten Rock in dunkelviolett gehalten war. Auf dem schlichten Pullover war das einzige Accessoire eine große Bernsteinkette, zu der sie passende Ringe trug. Ich hatte sie bestimmt eine Weile wortlos und mit offenem Mund angestarrt, denn sie fragte: „Ja? Kann ich dir helfen?“ „Ähm, ja. Entschuldigung, aber ich suche jemanden und frage mich, ob ich hier richtig bin.“ „Ah, natürlich. Komm rein.“ Sie lächelte nur und wandte sich ab, um ins Haus zu gehen. Zögernd folgte ich ihr in den dunklen Flur, der durch einen tannengrünen Läufer mit goldgelbem Muster geschmückt war. Vielleicht hätte ich sagen sollen wen ich suche. Nicht, dass sie mich für eine Klientin hält… Gerade als ich weiter in den Hausflur trat, vorbei an einem Bild von einem Männergesicht mit einem dritten Auge, und ein Missverständnis vermeiden wollte, hörte ich jemanden aufgeregt von oben rufen. „Tante Sybille? Weißt du, wo das Telefonbuch ist?“ „Wie immer neben dem Telefon, mein Junge.“ Meinte die Frau schmunzelnd nach oben gewandt und ich hörte wie jemand polternd Treppe heruntergerannt kam. „Wer hat geklingelt?“, kam wieder die Stimme von oben und ich drehte mich neugierig zur Treppe aus dunklem Holz, die ein ebenso tannengrüner Läufer wie den im Flur zierte, um den Sprecher ausfindig zu machen. Entweder kommt mir diese Stimme wirklich bekannt vor oder ich habe vom ganzen Grübeln Hallus bekommen… „Wenn es für mich ist, ich hab was dringendes zu erle-“ Auf dem Treppenabsatz erschien Constantin Morgenthal, wie ich ihn kennengelernt hatte: nicht herausragend groß für einen jungen Mann, aber auch nicht klein, mit blonden Haaren und grünbraunen Augen, gekleidet in ein dunkelgrünes T-Shirt und eine Jeans. Nun vielleicht mit einem kleinen Unterschied: Er hielt eine einzige Socke in der Hand. „-digen.“, beendete er seinen Satz und sah mich überrascht, aber wiedererkennend, an. So als würde er mich kennen, aber hatte nicht erwartet mich in seinem Flur wiederzufinden. Ich musste einen ähnlichen Ausdruck auf dem Gesicht haben, denn Constantins Tante sah fragend zwischen mir und ihm hin und her. „Ich glaube, wir müssen reden.“, brachte ich nach einer Weile stillen Anstarrens heraus. „Ja, das glaube ich allerdings auch“, meinte Constantin, nachdem er sich schließlich gefangen hatte, und ließ langsam seinen angehaltenen Atem aus. „Habe ich was nicht mitbekommen?“, schaltete sich nun Constantins Tante ein. „Äh, ja, ich meine nein“, bemühte sich Constantin schnell zu sagen und ich bemerkte aus dem Augenwinkel, dass sich das Stirnrunzeln seiner Tante in ein leichtes Grinsen verwandelte. Während er die Treppe zu uns hinunter geschritten kam, baumelte der einsame Socken ein wenig vergessen in Constantins linker Hand, während er mit der rechten etwas umschlossen hielt, das ich nicht erkennen konnte. „Darf ich euch gerade bekannt machen?“, fragte er und fuhr ohne eine Antwort abzuwarten fort. „Tante Sybille, das ist Layla. Sie wohnt mit ihrem Vater auf der anderen Waldseite im Fuhrmann-Haus. Layla, das ist meine Tante von der ich dir letztens erzählt habe.“ Das Wort „letztens“ hatte hier die Konnotation des „nicht-weiter-ausgeführt-werden-Sollens“, wie mir Constantin durch einen recht eindeutigen Blick mitteilte. „Freut mich Sie kennen zu lernen, Frau Morgenthal“, meinte ich schnell und lächelte höflich. „Ach, Kind, nenn mich ‚Sybille‘. ‚Frau Morgenthal‘ klingt so unglaublich alt“, entgegnete sie strahlend. „Wo habt ihr euch denn kennen gelernt? Du wohnst ja noch nicht so lange hier, oder?“, fragte sie an mich gewandt. „Äh…“, meinte ich ausweichend und sah Constantin Hilfe suchend an. „Wir haben und kürzlich zufällig im Wald getroffen“, meinte er schnell und seine Tante nickte vielsagend. Naja, zumindest ist das nicht gelogen… Noch immer mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen, wandte sie sich geschmeidig zu einer kleinen Kommode aus dunklem Holz, auf der ein Telefon stand, und öffnete eine der Schubladen. Mit einer ihrer langen, feinen Hände griff sie hinein, holte ein neues Telefonbuch heraus und reichte es Constantin, der es zunächst stirnrunzelnd entgegennahm. „Was wolltest du eigentlich damit?“, fragte sie. „Äh, eine Telefonnummer nachschlagen“, antwortete er. „Äh, Patricks. Er hat bald Geburtstag.“ Daraufhin wanderte ihr Blick zu mir und ihr Schmunzeln weiterte sich zu einem fast verhaltenen Grinsen. „Aha.“ „Ja. Äh, tut mir leid, Tante Sybille, aber wir haben jetzt etwas Dringendes zu besprechen. Patricks Geburtstag, du verstehst?“, fügte er schnell hinzu und führte mich so rasch in Richtung Treppe, dass ich kaum bemerkte, wie er mein Handgelenk ergriffen hatte. Bevor ich mich auch nur annähernd gefangen hatte und protestieren konnte, hatten wir schon den ersten Treppenabsatz erreicht. Währenddessen hörte ich Sybille nur noch „Natürlich.“ sagen und erhaschte, als wir den Treppenabsatz erreichten, einen Blick auf ihr vielsagend lächelndes Gesicht. „Folglich bin ich offiziell wegen der Planung für Patricks Geburtstag hier? Wer auch immer das ist“, fragte ich flüsternd, als wir von der Treppe in einen weiten Flur traten, den ein dunkelblauer Läufer mit goldgelbem Muster zierte. Hinter uns führte die Treppe ein weiteres Stockwerk nach oben und zu unserer rechten konnte man durch ein großes Fenster eingerahmt von passend dunkelblauen Vorhängen auf den naheliegenden Wald sehen. Der Flur, der ich weiter zu unserer Linken erstreckte, war in beige gehalten und mit einer dunklen Borte mit goldenen Mustern geschmückt. Weiter hinten im Flur ließen sich dunkle Kommoden ausmachen, auf denen Kerzen, Räucherstäbchen oder seltsame bunte Steine in Formationen standen. „Ja. Ich kann ihr ja schlecht sagen, dass wir uns im Wald in einer alten Hütte getroffen haben, aus der wir nicht mehr herauskonnten, oder?“, entgegnete er und führte mich weiter in den Flur. Ich musste ihm schulterzuckend zustimmen und folgte ihm. Wer würde uns das glauben? „Wenn sie dich fragt, sag am besten, dass du nach den Sommerferien auch aufs Adam-Riese-Gymnasium gehst, selbst wenn das gelogen sein sollte“, fuhr er fort. „Das könnte zumindest im Moment Probleme reduzieren.“ „Zum Glück ist es nicht gelogen“, meinte ich nur. „Dann lernst du den ominösen Patrick selbst ohne vorgeschobenen Geburtstag noch kennen. Große, grünhaarige Punks mit zu vielen Piercings lassen sich schwer übersehen auf kleinen Schulhöfen“, bemerkte Constantin grinsend und sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an. „Eher weniger“, äußerte ich mich lachend dazu. „Äh, ich glaube, du kannst meinen Arm jetzt loslassen.“ „Oh, Entschuldigung“, sagte er leicht errötend und ließ hastig mein Handgelenk los. „Schon okay“, versicherte ich ihm, doch er verdrehte die Augen. „Was?“, wollte ich wissen. „Ach, ich hätte das nicht machen sollen, schon gar nicht vor meiner Tante.“ „So schlimm war das jetzt aber auch nicht.“ „Du kennst meine Tante nicht“, meinte er. „Ich hab dir doch gesagt, dass sie ein wenig eigen ist, oder?“ Nachdem ich dies nickend, aber mit einem skeptischen Blick, bestätigt hatte, fuhr er fort: „Damit meinte ich nicht nur dieses ganze Esoterikzeug“ – es folgten ausschweifende Bewegungen auf die Umgebung – „sondern auch ihre zweite Vorliebe“, meinte er verschwörerisch und hielt an. „Die da wäre?“ „Groschenromane“, sagte er nur und sah mich ernst an. So ernst, dass ich laut lachen musste. „Tut mir leid“, meinte ich kichernd und bemühte mich, halbwegs erst zu sein. „Aber so schlimm ist das doch auch nicht.“ „Stimmt. Es ist schlimmer.“ Diesmal lag es an mir die Augenbraue hochzuziehen, zwar immer noch schwer grinsend, aber immerhin. „Glaub mir“, versicherte er mir, „meine Tante hat eine große Vorliebe dafür und hat über die Jahre einen wahren Kuppelinstinkt entwickelt. Und ihr Lieblingsopfer bin ich in Ermangelung anderer Personen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Ich hab schon meine Gründe so gut wie keine Mädchen hier herzubringen. Neben den offensichtlichen Tatsachen versteht sich. Du bist in ihren Augen jetzt mindestens meine Freundin und wenn wir nicht spätestens in drei Wochen heiraten, wird die Welt untergehen oder sowas“, erklärte er und setzte seinen Weg fort. „Wie oft ist die Welt schon untergegangen seitdem du hier wohnst?“, wollte ich grinsend wissen und beeilte mich mit ihm Schritt zu halten. „In den ersten Wochen bestimmt fast drei Mal, aber ich konnte den Weltuntergang immer vermeiden, indem ich ihr gesagt habe, dass besagte Mädchen in festen Händen sind. Am Besten in denen von meinen Freunden. Das geht immer. Weibliche Logik, du verstehst?“ „Ja, natürlich“, meinte ich gedehnt und grinsend. „und mit wem bin ich jetzt potentiell zusammen? Nur so als Grundinformation.“ „Keine Ahnung. Thomas und Patrick sind beide noch frei, soweit ich weiß. Such dir einen aus.“ „Dann nehm ich Patrick. Da weiß ich zumindest schon mal wie der eventuell aussehen könnte. Aber was sind denn die offensichtlichen Tatsachen, warum du keine Mädchen herbringst?“, hakte ich nach. Diesmal zog er sogar beide Augenbrauen hoch. „Hast du dich mal umgeschaut?“, fragte er und hielt mitten auf dem Flur inne. „Zum Beispiel hier“, meinte er und deutete auf ein großen, der detaillierten Duck, der an der Wand hinter ihm hing. „Ist das ein… Mondkalender?“ „Jap, genau. Und nicht nur das, auf der Borte hier sind nicht irgendwelche schön aussehenden Symbole. Nein, das sind die Zeichen für die Planeten in unserem Sonnensystem.“ „Geeky.“ „Du sagst es“, pflichtete er mir bei. „Mädchen, die hier herkommen, sind entweder total abgestoßen davon und wollen meist nicht mehr ganz so viel mit einem zu tun haben oder sie finden es total super-hyper-mega-toll. Und Mädchen, die es total super-hyper-mega-toll finden, sind meist auch für mich zu… eigen. Eine Esoterikerin Schrägstrich selbsternannte Okkultistin Schrägstrich Wahrsagerin in meiner Umgebung reicht mir.“ „Was für Mädchen kennst du?“, fragte ich kopfschüttelnd und richtete gerade noch rechtzeitig von der Borte meinen Blick wieder auf Constantin, um sein Schulterzucken mitzubekommen. „Ich find’s interessant. Zu was macht mich das dann?“ „Nerd. Aber Nerd ist okay“, meinte er grinsend und wir setzten unseren Weg fort. „Allerdings wäre auch Supernerdwoman für meine Umgangsformen zu viel. Aber keine Sorge, so wie ich das sehe, hast du bis dahin noch einen weiten Weg.“ „Ach, und du bist ein Fachmann oder wie?“ „Natürlich. Zweifelst du an meinen Fähigkeiten, Weib?!“, entgegnete er mit gespielt verletztem Stolz. „Wenn du wüsstest… wenn ich zu Hause alleine bin, flechte ich mir pinke Bänder in die Haare und trage einen Blumenkranz“, meinte ich wichtigtuerisch. „Nicht zu vergessen: Ich verabscheue Schuhe, da sie es dem Menschen nicht ermöglichen mit Mutter Erde in Kontakt zu treten. Daher ziehe ich nachts immer um die Häuser und stehle Schuhe, um sie in einem heidnischen Feuer nachts bei Vollmond zu verbrennen. Oh, verdammt, jetzt habe ich dir mein dunkelstes Geheimnis verraten…“, meinte ich und warf mir theatralisch den Arm über die Augen. Daraufhin fing er laut an zu lachen und auch ich konnte mein gespieltes Elend nicht vollends aufrecht erhalten und musste grinsen . Noch während ich gegen den Drang laut loszulachen ankämpfte, fiel mir wieder die Socke in Constantins Hand auf. „Warum trägst du eigentlich eine einzelne Socke mit dir herum? Ich meine, jedem das seine, aber warum eine Socke und nicht zwei?“, wollte ich wissen. Er richtete den Blick von meinem Gesicht auf die Socke in seiner Hand. Sein Gesicht, das Augenblicke vorher noch Fröhlichkeit ausgestrahlt hatte, wurde schlagartig ernst, als sei ihm erst jetzt wieder eingefallen, dass er die Socke mit sich herumtrug. Warum auch immer ihn der Anblick einer Socke derartig verstimmte, wusste ich beim besten Willen nicht. „Diese Socke hängt schwer mit dem Grund zusammen, weshalb du wahrscheinlich hergekommen bist“, erklärte er. „Aber das bereden wir besser in meinem Zimmer.“ Daraufhin hielten wir wie auf ein Stichwort vor einer dunklen Holztür, deren goldene Klinke Constantin herunterdrückte und so den Blick auf ein großes Schlafzimmer preisgab. „Komm rein.“ Als ich durch die Tür in Constantins Zimmer trat, bemerkte ich zu allererst eine ungewöhnliche Ordnung für ein Jungenzimmer. Das große Bett war gemacht, die Regale ordentlich eingeräumt, sogar der gläserne Couchtisch war ordentlich und glänzte in dem durch ein großes Fenster einfallenden Sonnenlicht vor sich hin. Die in Ockertönen gehaltenen Wände zierten diverse Poster, von denen ich nicht alle zuordnen konnte, aber dennoch einige. Darunter waren auch Poster, die ich selbst besaß. Keinerlei Kleidung lag auf dem dunkelblauen Teppichboden herum, sondern alles war ordentlich über den einzigen Schreibtischstuhl gehängt oder in eine Wäschetonne hinter der Tür verbannt worden. Die einzige Ausnahme bildete hier eine kleine Kommode, deren oberste Schublade geöffnet worden war. Der Inhalt der Schublade, Socken, ergoss sich vor der Kommode auf dem Boden. Soweit ich es erkennen konnte, schienen die Socken zumindest sauber zu sein. „Tut mir leid, dass es ein wenig unaufgeräumt ist“, sagte Constantin entschuldigend und schloss leise die Tür hinter mir. Meine hochgezogene Augenbraue schien er nicht zu bemerkten, denn er wandte sich gleich drauf seiner Sockenkommode zu um deren auf dem Boden verteilten Inhalt notdürftig in die geöffnete Schublade zu stopfen. „Setz dich“, meinte er auf eine Sitzgruppe bestehend aus einer Zweisitzercouch und einem Sessel deutend, die dichtgedrängt beieinander standen, während er mit den letzten Socken kämpfte und versuchte die Schublade beinahe gewaltsam zuzudrücken. Seiner Einladung folgend ließ ich mich auf der Couch nieder und beobachtete seinen mehr oder minder erfolgreichen Kampf mit den Socken. Nachdem er auch dieses Hindernis überwunden hatte, schritt er auf mich zu und setzte sich schräg neben mich in den Sessel. „Also…“, sagte er schließlich, doch schien es nicht über sich zu bringen weiter zu sprechen. „Also“, wiederholte ich nicht weniger zurückhaltend. Nach einiger Zeit brach Constantin schließlich das Schweigen. „Ich denke, wir haben ein Problem, welches zutiefst unmöglich in seiner bloßen Existenz scheint.“ „Sehe ich ähnlich. Ich meine, ich bin heute Morgen aufgewacht mit diversen Verspannungen und habe in der Dusche Kratzer und blaue Flecken an mir gefunden, von denen ich mir nicht erklären konnte wie sie zustande gekommen waren. Ich hatte alles, was in der Hütte geschehen ist, als einen seltsamen Traum abgehakt. Zumindest solange bis das in meinem Regal gefunden habe“, erläuterte ich während ich den Runenknochen aus meiner Hosentasche zog und ihn auf den Glastisch legte. „Mir ging es genauso“, meinte er. Nach einem kurzen Augenblick des Überlegens schien er sich zu sammeln, beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf den Knien ab. „Ich bin vollkommen verspannt aufgewacht, mit Kratzern am ganzen Körper. Meine Wäsche war dreckig und ich konnte mich nur noch vage an eine Hütte im Wald erinnern. Nach dem Duschen musste ich nochmal zurück und mir Socken holen, weil ich die irgendwie vergessen hatte. Auf jeden Fall habe ich in meiner Sockenschublade diesen Runenstein – oder was auch immer es sein mag – gefunden.“ Mit diesen Worten legte er seine Rune neben meine. Nachdem er nicht fortfuhr, sah ich von den beiden Runen zu ihm auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir fast die gleiche Haltung eingenommen hatten; zum Rand der Sitzfläche gerutscht, die Ellenbogen auf die Knie aufgestützt und die Hände in einander verschlungen starrten wir die beiden auf dem Tisch liegenden Runen an. Als er aufsah, wurde mir schlagartig bewusst, dass wir näher beieinander saßen als ich zunächst angenommen hatte. Erst jetzt erkannte ich, dass seine Iris kein grünbraunes Gemisch darstellte, sondern sich von außen nach innen von einem braunen Ring zu einem hellgrünen Ring verjüngte. Sehr ungewöhnlich. Mensch, jetzt bleib mal bei der Sache! Jetzt ist nicht gerade der günstigste Augenblick sich um seine Augenfarbe Gedanken zu machen!, herrschte ich mich innerlich an. „Zumindest scheint deine Rune aus einem Stein zu bestehen“, setzte ich schließlich an, nachdem ich mich selbst zu Genüge gescholten hatte. „Es hat mir einen tierischen Schrecken eingejagt, als ich festgestellt habe, dass meine aus einem Knochen besteht.“ „Knochen?“, wollte er wissen und zog die Brauen hoch. „Das wird ja immer schöner…“ Wieder schwiegen wir. „Aber das ist noch nicht alles“, sagte Constantin nach einer Weile leise. „Inwiefern?“, fragte ich stirnrunzelnd. „Es ist noch etwas anderes Seltsames passiert“, antwortete er, doch ich merkte, dass er es schon fast bereute, es überhaupt zur Sprache gebracht zu haben. „Und? Was? Es kann ja kaum unmöglicher als die Hüttennummer sein, oder?“ „Aber es kommt stark an die Hüttennummer, wie du sie nennst, ran. Tu mir nur einen Gefallen und lach nicht zu laut.“ Nachdem ich dies mit einem weiteren Stirnrunzeln und einem Nicken quittiert hatte, fuhr er fort. „Meine Tante hat mir vor ein paar Wochen eine Pflanze ins Zimmer gestellt und meinte noch, ich solle ihr immer gut zureden, was ich auch immer schön brav gemacht habe“, erklärte er während er aufstand und zu seinem Schreibtisch ging, um eine kleine Topfpflanze zu holen. Gleichzeitig bemühte ich mich ein möglichst neutrales Gesicht zu machen. „Und das ist die Pflanze jetzt“, schloss er und stellte die Pflanze vor mich auf den Glastisch. Ich sah mir die Pflanze etwas genauer an, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches an ihr erkennen. Es war eine kleine, aber hübsche Zimmerpflanze, die grade begann ihre Knospen zu öffnen. Sie schien gesund und gut gepflegt. „Und?“, wollte ich schließlich wissen. „Die Pflanze war heute Morgen noch halbtot, als ich ihr ihren scheinbar unvermeidlichen Tod mit einem netten Gespräch versüßen wollte.“ „Oh.“, machte ich nur und sah die Pflanze in meinen Händen mit hochgezogenen Brauen an. „Genau.“ „Das erinnert mich verdächtig an ein ähnliches Erlebnis heute in der Dusche“, murmelte ich vor mich hin während ich die Pflanze in einem ganz anderen Licht betrachtete. Ich drehte sie ein wenig im Sonnenlicht, doch es waren keine äußeren Anzeichen ihres nahen Todes zu sehen. Die Pflanze sah aus, als sei sie schon seit Wochen auskuriert. „Was für ein Erlebnis in der Dusche?“, wollte Constantin wissen, scheinbar sehr erleichtert, dass ich ihn nicht für verrückt abtat. „Naja“, setzte ich an, stellte die Pflanze auf dem Tisch ab und sah zu ihm auf, „es ist zwar nicht ganz so drastisch, wie das mit der Pflanze hier, aber immer noch seltsam. Als ich heute unter der Dusche stand, hat sich das Wasser seltsam… naja, ‚verhalten‘ klingt so nach einem eigenständigen Organismus, aber mir fällt grade keine andere Beschreibung ein“ sagte ich und erläuterte ihm mein Erlebnis unter der Dusche. „Kann gut sein, dass ich mir das einbilde, aber es ist trotzdem seltsam. Außerdem bekomme ich langsam Angst vor meinem Kater. Und irgendwie vor allem zu Hause. Alles sieht gleich aus, aber hat sich irgendwie doch verändert. Schwer zu erklären.“ „Ja, mir geht es ähnlich. Ich sehe schon den ganzen Tag Dinge, die nicht da sind… Aber gibt einen speziellen Grund für dein Mistrauen gegenüber deinem Kater?“, fragte er und rieb sich das Gesicht. Er sah besorgt aus. „Mehr oder weniger. Erst führt er mich in diesen Wald und wie er mich geführt hat, war definitiv nicht normal, nicht tierisch“, versuchte ich zu erklären. „Dann sah er heute so ganz anders aus. Mir ist heute zum ersten Mal aufgefallen, dass er wesentlich größer und auch anders gebaut ist als andere Katzen. Und ich habe diesen Kater seit bestimmt zwölf Jahren. Er kam vielleicht ein Jahr vor dem Tod meiner Mutter zu uns, irgendwann um meine Einschulung herum. Auf jeden Fall, kurz nachdem ich die Rune gefunden hatte, ist er mir überallhin auf Schritt und Tritt gefolgt, hat mich immer beobachtet. Selbst als ich das Haus verlassen hatte! Und es war nicht dieses Beobachten, wenn ein Tier deine Aufmerksamkeit haben will, weil es vielleicht Hunger hat. Oh nein, es war vielmehr so als lugte eine richtige Persönlichkeit hinter seinen Augen hervor, die mir vorher nie bewusst war. Ich will gar nicht daran denken, dass ich nachher wieder mit diesem Kater allein bin.“ Während ich sprach, hatte ich unbewusst die Beine angezogen und umklammerte mit meinen Armen meinen Oberkörper, um mir selbst ein wenig Halt zu geben. Mir wurde diese Schutzhaltung erst bewusst, als Constantin aus seinem Sessel aufstand, sich neben mich setzte und mir beruhigend die Hand auf die Schulter legte. „Das klingt total verrückt, oder?“, wollte ich wissen und verzog das Gesicht. Besser ich halte jetzt einfach die Klappe und rede mich mit dieser neugefundenen Paranoia nicht noch um Kopf und Kragen. Wenn ich jetzt noch von einem Kichern in unserem Fahrradschuppen erzähle, hält er mich für vollkommen bekloppt. „Glaub mir, unter diesen Umständen erhält ‚verrückt‘ eine ganz andere Definition“, entgegnete er und lächelte schwach. Wieder schwiegen wir tief in Gedanken versunken und starrten geistesabwesend auf die Pflanze und die Runen. „Hey“, meinte ich nach einer Weile. „Hmm?“ „Hast du irgendeine Ahnung, wie wir nach Hause gekommen sind?“, fragte ich, um auch mal etwas weniger sentimentales und mehr praktikableres zu sagen. „Nein, nicht wirklich“, antwortete er. „Aber ich konnte auch meine Tante noch nicht fragen. Es hat sich noch keine Gelegenheit dazu geboten. Sobald ich den Runenstein gefunden habe, hab ich mich auf die Suche nach dem Telefonbuch gemacht. Ich hab gar nicht mehr daran gedacht, dass ihr noch gar nicht drinstehen könntet. Allerdings was hätte ich meiner Tante denn auch großartig sagen sollen? ‚Hey! Ich hatte diese Nacht einen komischen Traum von einer Hütte im Wald, in der ich gefangen war. Und stell dir vor: das war gar kein Traum! Hast du gestern gesehen, wie mich eine unheimliche, dunkle, uralte Macht, die man nicht erklären kann und die mindestens das Urböse darstellt , nach Hause in mein Heiabettchen gebracht hat? Ich wollte ihr nur für dieses unglaubliche Erlebnis danken.‘? Wohl eher weniger.“ Entgegen meiner bedrückten Stimmung musste ich doch ein bisschen schmunzeln. „Ich bin auch noch nicht so ganz dahinter gestiegen, wie ich nach Hause gekommen bin. Als mein Vater heute Morgen zur Arbeit gefahren ist, war ja noch alles Friede, Freude, Eierkuchen und ich hatte die ignorante, aber glückliche Vorstellung nur einen lebhaften Traum gehabt zu haben.“ „Allerdings kann es ja auch nicht allzu schlimm gewesen sein. Sonst hätte sie heute Morgen sicher irgendwas gesagt“, fügte er hinzu. „Außerdem wäre sie dann nicht so normal sondern in irgendeiner Form aus dem Häuschen oder völlig aufgelöst; je nachdem.“ „Stimmt natürlich. Was hast du ihr denn gestern gesagt wohin du gehst, bevor du zur Hütte gekommen bist?“ „Hm“, meinte er und runzelte die Stirn bei dem Versuch sich zu erinnern. „eigentlich nur, dass ich nochmal weggehe. Ich hab ihr nicht gesagt wohin oder wieso.“ „Hätte es dann nicht sein können, dass du dich mit Freunden getroffen hast und einfach nur nicht mehr weißt, wann du nach Hause gekommen bist?“, schlug ich vor. „Wenn ich dann Alkohol getrunken hätte, würde das wenigstens erklären, warum ich ohne Auto in die ein paar Kilometer entfernte Stadt gegangen bin.“, stimmte er zu. „Irgendwer kann mich ja eingesammelt haben und ich bin zum Ausnüchtern nach Hause gelaufen.“ „Klingt doch plausibel, oder?“, fragte ich, denn ich kannte ja seine üblichen Gewohnheiten nicht wirklich. Nachdem er mit einer Mischung aus Schulterzucken und Nicken seine Zustimmung ausdrückte, erhob ich mich. „Na dann mal auf ins Gefecht! Ach, ja, ich bin potentiell mit Patrick zusammen, oder?“, wollte ich noch einmal wissen. Man sollte schließlich wissen von wem man etwas wollte. Die Frage entlockte ihm ein Grinsen. „Meinetwegen kannst du auch nur schwer in ihn verschossen sein. Die Hauptsache ist, dass sie nicht auf die Idee kommt zu kuppeln.“, erklärte Constantin. „Okay, dann bin ich schwer verschossen und fange langsam an den Typen zu stalken. Ich denke, dass reicht also Cover, oder?“, entgegnete ich und wir verließen Constantins Zimmer um uns auf die Suche nach seiner Tante zu machen. „Ja, ich denke, das sollte vorerst ausreichend sein. Vielleicht kommt sie auch weniger auf dumme Gedanken, wenn wir nicht die ganze Zeit alleine in meinem Zimmer hocken“, überlegte er. „Ja, vielleicht“, meinte ich schmunzelnd. „Zum Glück ist meine Tante nicht so. Okay, eigentlich ist das schwer zu beurteilen. Ich seh sie jetzt auch nicht sehr häufig, weil sich üblicherweise relativ viel Wasser in Form des Atlantiks zwischen uns befindet, aber ich wage daran zu zweifeln, dass sie je meinen Freund getroffen hat.“ „Wenn du einen Freund hast, musst du nicht in Patrick verschossen sein. Hat doch auch was. Ist wahrscheinlich auch besser. Patrick schnarcht wie ein Sägewerk“, meinte Constantin nüchtern, während wir die Treppe hinabstiegen, und ich musste lachen. „Exfreund trifft es besser. Wir waren in dieser pubertären Phase zusammen, in der alle zusammen sind. Wir haben es ausprobiert, hat nicht geklappt, wir haben Schluss gemacht. Das Ganze hat höchstens zwei Wochen gedauert. Wir haben uns darauf beschränkt, einfach nur Freunde zu sein und diverse Videospiele an zahllosen Wochenenden durchzuzocken“, erklärte ich. „Tja, dann hast du jetzt wohl einen Schnarchfetisch“, meinte er grinsend. „Dann stehe ich jetzt wohl auf männliche Männer“, entgegnete ich schulterzuckend. „Schnarchen ist männlich?“, fragte er und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ungeheuer. Und hocherotisch“ beteuerte ich und setzte eine Überzeugungsmine auf, auf die ein Sektenführer stolz gewesen wäre. „Ach deswegen hat das bei mir nie geklappt!“, folgerte er und schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Vielleicht gibt Patrick dir ja Nachhilfe“, meinte ich zwinkernd während wir den Flur im Erdgeschoss betraten. Mit einem schwachen Nicken des Kopfes deutete Constantin die Richtung an und ich folgte ihm weiter ins Haus hinein. Gelegentlich konnte ich an den Wänden astrologische Poster erkennen, aber wieder andere Bilder sagten mir gar nichts, doch wir bleiben nicht lange im Flur, sodass ich mir die Bilder nicht genauer ansehen konnte. Unweit der Treppe führte Constantin mich ein einen schattigen, überdachten Wintergarten dessen Boden mit weißen Fliesen ausgelegt war und in dessen Zentrum ein runder Holztisch mit einer mitternachtsblauen Tischdecke, auf der ein säuberlich gestapelter Stoß Karten lag, und dazu passenden Stühlen stand. Aus den Fenstern bot sich die Möglichkeit auf den dem Haus zugehörigen Garten und die dahinter liegende Felder zu blicken. Die Aussicht auf die reifen goldenen Kornfelder, deren Ähren sich leicht im Wind neigten, war so beruhigend wie auch schön. Die leicht abfallenden Felder wurden hier und da von blauen Kornblumen und rotem Mohn gespickt doch ansonsten erstreckte sich hinter dem Garten einige Hektar, bevor sie auf Viehkoppeln traf. „Die Aussicht ist sehr schön“, meinte ich. „Ja, nicht wahr?“, hörte ich unerwartet eine weibliche Stimme neben mir sagen und zuckte zusammen. „Oh, entschuldige! Es war nicht meine Absicht dich zu erschrecken!“, entschuldigte sich Sybille und sah mich bedauernd an. „Nein, nein! Ist schon in Ordnung!“, versicherte ich ihr hastig und lächelte. „Ich habe nur nicht damit gerechnet so versunken war ich.“ „Wirklich?“, hakte sie nach und nachdem ich bestätigend nickte, sah sie erleichtert aus. „Komm setzt dich, dann können wir einen Tee oder Kaffee zusammen trinken und ein wenig die Aussicht genießen“, sagte sie zwinkernd und führte mich zu Tisch. Schnell warf ich Constantin einen fragenden Blick zu, doch er hob nur die Schultern. Nicht wirklich widerstrebend, aber ein wenig zögernd ließ ich mich auf einen der Stühle sinken. „Tante Sybille, ich wollte dich noch etwas fragen“, warf Constantin ein. Nachdem sie ihm mit einer Handbewegung bedeutete fortzufahren, fragte er, meiner Meinung nach mit einem sehr überzeugenden Stirnrunzeln: „Hast du eine Ahnung, wann ich gestern nach Hause gekommen bin?“ „Nein, tut mir leid. Ich habe hier im Wintergarten ein Buch gelesen nachdem du gegangen warst, und bin selber eingeschlafen. Irgendwann in der Nacht bin ich dann endlich mal aufgewacht, weil es durch die offene Tür gezogen hat“, erklärte sie. „Als ich dann noch die Haustür abgeschlossen habe, standen deine Schuhe aber schon da, also hab ich mir keine weiteren Gedanken gemacht. Hätte ich mir welche machen sollen?“ „Nein, nein. Ich war nur etwas trinken und weiß einfach nur nicht mehr, wann ich nach Hause gekommen bin“, antwortete Constantin abwinkend und Sybille lächelte leicht. „Dann ist ja gut… Trinkst du lieber Tee oder Kaffee?“, fragte sie an mich gewandt. Eigentlich beides, aber Tee geht schneller und macht weniger Mühe. „Tee.“ „Was für welchen?“, schaltete sich nun Constantin ein. „Wir haben so einiges… Früchte, Kräuter…“ Ich hätte doch ‚Kaffee‘ sagen sollen… „Wenn da ist ein Earl Grey oder anderen Schwarzen Tee, ansonsten Früchtetee.“ „Wärst du dann so freundlich und würdest Wasser heiß machen, Constantin?“, bat Sybille. Zur Antwort nickte er nur, woraufhin sie ihn noch um Himbeertee bat, und er verschwand in den Flur zurück. Nachdem Constantin wahrscheinlich in die Küche gegangen war, um Wasser zu erhitzen, wandte sich Sybille an mich. „Es tut mir leid, wenn ich vollkommen unfähig wirke, aber ich hatte noch nie viel mit Erziehung zu tun“, entschuldigte sie sich schulterzuckend. „Relativ plötzlich hat Constantin mich gebeten hier wohnen und sein Abitur hier machen zu dürfen. Mein Bruder, Constantins Vater, und ich haben schon länger keinen angeregten Kontakt mehr. Umso mehr habe ich mich über eine Kontaktaufnahme seinerseits gefreut. Das ist alles noch etwas neu für mich.“ „Aber ist sowas nicht normal? Man braucht immer etwas Zeit sich in einer neuen Situation zurecht zu finden. Ich erinnere mich auch noch daran, wie mein Vater zum Hausmann wurde, nach dem Tod meiner Mutter. Nun gut, er war nicht überall erfolgreich damit und ich habe dann irgendwann herausgefunden, wie der Herd funktioniert und uns etwas wirklich Essbares zubereitet“, erklärte ich und sie lächelte erleichtert. „Aber mein Neffe und du, ihr könnt euch noch nicht lange kennen, oder? Wie lange wohnst du schon hier? Einen Monat? Zwei?“, erkundigte sie sich. „Fast zwei, aber ich habe den Unterricht vor den Ferien nicht mehr besucht. Mein Vater ließ sich widerstrebend davon überzeugen, dass die letzten paar Wochen auch keinen Unterschied mehr machen würden“, erklärte ich und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, welches Sybille mit einem leichten Lächeln erwiderte. „Nach den Ferien besuche ich das Adam-Riese-Gymnasium. Zumindest ist das geplant.“ „Und in welche Klasse?“, wollte sie wissen. „In die Zwölf. Mit Englisch und Chemie.“ „Oh, genau wie Constantin!“, meinte sie erfreut und lächelte vielsagend. „Er musste das letzte halbe Jahr wiederholen, weil hier die Leistungskurse, die er zuvor gewählt hatte, letztes Jahr nicht zustande gekommen sind. Aber das weißt du sicher.“ Ich nickte zustimmend und verstehend, doch vielleicht war dies der geeignete Moment mein vermeintliches Interesse an Patrick kundzutun. Gerade als ich den Mund öffnete, um etwas in diese Richtung anzudeuten, betrat Constantin beladen mit einem Tablett klappernd zurück in den Wintergarten und ersparte mir somit seine Tante anlügen zu müssen. Behutsam stellte er das Tablett auf dem Tisch ab und verteilte mit ruhiger Hand blaugemusterte Teetassen mit passenden Untertassen und einer Teekanne. Zwischen uns in der Mitte des Tisches stellte er ein kleines Zuckerdöschen und Milchkännchen in demselben Muster, hinzu kam eine Box mit verschiedenen Teesorten. Nachdem wir alle unsere Tees ausgesucht hatten und eine Tasse Schwarzen Tees mit Milch und Zucker dampfend vor mir stand, stellte sich ein gewisses Glücksgefühl bei mir mit dem ersten Schluck ein. „Warum seid ihr denn eigentlich hergezogen, wenn ich fragen darf?“, wollte Sybille nach einer Weile zufriedenen Schweigens wissen. „Hier auf dem Land ist ja nicht viel.“ „Mein Vater arbeitet als Buchhalter und die Firma, für die er arbeitet, hatte eine Außenstelle hier in der Stadt anzubieten. Er wollte schon lange wieder aufs Land ziehen und nach einigen Diskussionen hat er angenommen“, antwortete ich. „Diskussionen?“, hakte Sybille nach. „Ja, er wollte zuerst nicht zusagen, weil er dachte, es sei unfair mir gegenüber und ich musste ihm vom Gegenteil überzeugen“, lachte ich. Mit einem Seitenblick auf Constantin überlegte ich die Frage zu stellen, die mich schon die ganze Zeit wurmte. „Haben Sie nie überlegt in die Stadt zu ziehen?“ „Nein, warum?“, entgegnete sie verdutzt. „Nun ja, Constantin meinte, Sie seien Wahrsagerin und ich habe mich die ganze Zeit schon gefragt, ob auf dem Land überhaupt genügend Leute Ihre Dienste in Anspruch nehmen“, sagte ich und versuchte es so eloquent und ohne Wertung wie möglich klingen zu lassen. „Ach, so!“, lachte sie. „Nun ja, wenn man gut genug ist, kommen die Leute von überall her, wie auch bei anderen Dienstleistungen“, erklärte sie und zwinkerte mir zu, wobei mein Gesicht wahrscheinlich verdächtigerweise die Farbe meiner Haare annahm, denn es fühlte sich mit einem Mal recht warm an. „Wenn du willst, gebe ich dir eine Kostprobe meines Könnens. Kostenfrei, versteht sich“, trillerte sie fröhlich und schob mir den Kartenstapel zu, ohne auf eine Antwort zu warten. „Mensch, Constantin, schau doch nicht so!“, sagte sie an ihren Neffen gewandt und ich hob meinen Blick von den Karten vor mir. Constantin schaute skeptisch zwischen mir, seiner Tante und den Karten auf dem Tisch hin und her. „Es wird schon nichts Schlimmes passieren! Ich werde sie bitten Karten zu mischen und zu ziehen, nicht eine Ziege auf dem Tisch zu schlachten! Für wen hältst du mich?“, schnaubte sie leicht verärgert. Schmunzelnd bemerkte ich wie Constantin kleinbeigab, die Augen niederschlug und seufzte. „Und was muss ich jetzt tun?“, fragte ich und betrachtete die Karten zum ersten Mal etwas genauer. Das Deckblatt war bordeauxrot und mit goldenen Mustern und Symbolen verziert, die mir überhaupt nichts sagten. Aber sie sahen wenigstens hübsch aus. Die Karten wirkten schon älter und oft benutzt, denn die Ränder und Ecken waren nicht mehr scharfkantig, sondern weich und etwas ausgefranst. „Eigentlich genau das, was ich eben gesagt habe“, erklärte sie und räumte den Platz in der Mitte des Tisches frei. „Du mischt die Karten so gut wie du kannst, sodass du im besten Fall jede Karte einmal berührt hast. Du weißt doch wie kleine Kinder im Kindergarten Karten mischen, oder? Genauso ist es am effektivsten.“ Klingt aber nicht sehr mystisch oder okkult… Sie musste irgendetwas an meinem Gesicht bemerkt haben oder aber war es gewohnt, dass die Leute bei dieser Methode skeptisch reagierten, denn sie fuhr erklärend fort: „Vergiss am besten alles, was du je über das Kartenlegen gehört hast, weil es wahrscheinlich sowieso falsch ist. Wichtig ist, dass die Karten nur von dir berührt werden und keine anderen Einflüsse von anderen Personen bekommen. Deswegen musst du die Karten mischen, und nicht ich. Nimm am besten jetzt mal den Stapel und misch die Karten.“ Zögernd griff ich nach den Karten und mischte sie genauso, wie Sybille es mir gesagt hatte: im Kindergartenstil. „Gut so“, ermunterte sie mich lächelnd. „Ob du nun die Karten zusammenschiebst oder nicht, ist eigentlich unwichtig. Was uns jetzt nur noch interessiert sind die drei Karten, die du ziehen wirst.“ „Nur drei?“, fragte ich verdutzt und warf Constantin einen Blick zu, den er mit einem Schulterzucken erwiderte. „Ja“, bestätigte sie nickend. „Es ist völliger Humbug viel mehr Karten zu legen, wenn man nur die Großen Arkana benutzt. Wenn neun von zweiundzwanzig Karten auf dem Tisch liegen, kann man ja alles hineinlesen und das ist genau das, was die netten Damen im Fernsehen tun. Sie legen ganz gewichtig eine Karte auf den Tisch und lesen allgemeingültige Dinge hinein. Nein, für einen guten Kartenleser reichen drei Karten im Normalfall. Und genau das bin ich: eine Kartenleserin. Ich lege meinen Klienten die Karten nicht, sondern deute sie nur. Wenn ich selber etwas wissen will, dann lege ich sie, aber sonst nicht.“ Beeindruckt durch diesen Schwall von Informationen, tat ich wie mir geheißen und wählte drei Karten verdeckt aus. Die anderen schob ich zu einem Stapel zusammen und legte sie an die Seite. Fragend sah ich nun zu Sybille auf. „Nun wählst du eine Karte aus und deckst sie auf“, erläuterte sie. „Egal welche von den dreien?“, fragte ich. „Egal welche.“ Willkürlich entschied ich mich für die mittlere Karte und deckte sie auf. Das Bild stand auf dem Kopf, doch ich konnte einen Turm erkennen, in den ein Blitz einschlug und dessen oberer Teil in Brand stand. Außerdem konnte ich noch zwei fallende Menschen bemerken und unter dem Bild stand: ‚The Tower‘. „Hm“, meinte Sybille und schaute nachdenklich auf die aufgedeckte Karte. „Der Turm hat mehrere Bedeutungen, wie auch die anderen Karten. Das Spektrum reicht von Niedergang über plötzliche Veränderung über Krisen bis hin zu Enthüllungen. Zieh bitte die nächste Karte, damit ich vielleicht das Gesamtbild erkennen kann.“ Ich tat wieder wie mir geheißen und deckte eine der äußeren Karten auf. Mein Herz sank als ich das Bild auf der anderen Seite erblickte. Ein Skelett, das auf einem weißen Pferd durch eine Masse von toten oder sterbenden Menschen ritt und eine schwarze Fahne mit einer weißen Blume darauf mit sich trug. Unter der Karte stand ‚Death‘. „Das muss nicht zwangsläufig das sein, was drauf steht“, meinte Sybille und legte mir beruhigend eine Hand auf den Arm. Sie fühlte sich kalt an. „Natürlich bedeutet die Karte auch Tod, aber auch Veränderung und das Ende von etwas Vorangegangenem. Wenn diese Karte nicht eher für plötzliche Veränderungen stände, hätte ich jetzt auf irgendetwas während des Umzugs getippt. Deck bitte die letzte Karte auf.“ Missmutig hob ich meine Hand um die letzte Karte auch noch aufzudecken. Wenigstens kann es jetzt nicht noch schlimmer kommen. Die schlimmste Karte hab ich wahrscheinlich eben schon gezogen… Das Bild zeigte einen jungen Mann der kopfüber von einem Baum hing. Passenderweise stand unter dem Bild ‚The Hanged Man‘. „So“, sagte Sybille, nachdem sie die drei Karten eine Weile schweigend betrachtet hatte, gedehnt. „Ich würde es so deuten, dass du zuerst in deinem Gedankenkonstrukt der Welt gefangen warst, es aber nicht wusstest.“ Sie deutete auf die Tower-Karte. „Dann ist plötzlich“ – Sie deutete auf die Death-Karte – „etwas Unerwartetes passiert. Und da es plötzlich und unerwartet war, gehe ich davon aus, dass es nicht der Umzug hierher war, da dieser dir sicher vorher bekannt war, sondern etwas anderes, das wahrscheinlich erst hier passiert ist. Allerdings denke ich nicht, dass es länger her ist, erst etwas, das in den letzten Tagen geschehen ist“, murmelte sie mehr vor sich hin als dass sie uns einen Bericht gab und ich versteifte mich. Neben mir fühlte ich, dass es Constantin nicht anders erging. „Was auch immer passiert ist, es war tiefgreifend und hat deinen Blickwinkel auf die Welt verändert. Du siehst jetzt mehr von der Welt. Dinge die dir vorher verschlossen waren. Das sagt mir zumindest der Gehängte.“ Als ich Constantin einen Blick zuwarf, sah ich, dass sein Gesicht an Farbe verloren und einen Ausdruck zwischen betroffen und ertappt angenommen hatte. Ich war mir ziemlich sicher, dass mein eigenes Gesicht ein ähnliches Bild wiederspiegelte. Es war mehr als deutlich, dass wir dasselbe dachten, ohne dass einer von uns es hätte aussprechen müssen: die Hütte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)